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LUJO BRENTANO
Die Entwicklung der Wertlehre
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"Mit dem Ausgehen vom Normalmenschen, der als in normalen Verhältnissen befindlich gedacht wird, war die Brücke geschlagen, auf der man mit logischer Notwendigkeit von der subjektiven zur objektiven Werttheorie, vom Bedürfnis zu den Kosten als Maßstab des Wertes gelangen mußte. Damit waren nämlich alle subjektiven Wertbestimmungsgründe als gleich gesetzt und damit ausgeschaltet; dann bleibt, eine bestimmte Qualität des Gutes gegeben, als einziges Wert bestimmendes Moment das objektive der Herstellungs- oder Beschaffungskosten. Diese Konsequenz war unvermeidlich, sobald an die Stelle der äußerlichen Betrachtung des gemeinen Werts für praktische Zwecke die theoretische über eine Grundlage und Berechtigung eines Preises trat."

Mit Wehmut übergebe ich die folgende Abhandlung dem Druck. Es sind jetzt viele Jahre her, daß LUDWIG FICK, der Sohn des Würzburger Physiologen, in das von mir geleitete staatswirtschaftliche Seminar eintrat, strahlend vor Gesundheit des Körpers, Geistes und Herzens. Wie sein Vater gehörte er zu den Naturen, denen die Reinheit des Wollens auf die Stirn geschrieben ist, und die durch einen mit heiterer Liebenswürdigkeit verbundenem Ernst und der Selbstlosigkeit ihrer Gesinnung sofort alle Herzen gewinnen. Die erste literarische Frucht seiner Tätigkeit war die Bearbeitung der vom Königlich Bayerischen Justizministerium veranstalteten Enquete über die in den bäuerlichen Kreisen Bayerns tatsächlich herrschende Erbfolge. Sie hat ihn als einen Mann von umfassendem Wissen, reifem Urteil, nicht gewöhnlichem Scharfsinn und rücksichtsloser Wahrheitsliebe gezeigt.

Alsbald nach der Bewältigung dieser ersten Aufgabe machte er sich an eine größere. Im Mittelpunkt unserer auf Arbeitsteilung und Tausch, Eigentum und Freiheit beruhenden Wirtschaftsorganisation steht der Preis, begreiflicherweise auch im Mittelpunkt der volkswirtschaftlichen Diskussion die Lehre vom Wert. Dabei ist von den verschiedensten Seiten auch auf die Lehrmeinungen früherer Jahrhunderte bis zurück ins Altertum Bezug genommen worden. Vor dem 16. Jahrhundert frühestens hat es aber keine Nationalökonomen in unserem Sinne gegeben. Nichtsdestoweniger konnten Philosophen, Juristen, Theologen nicht umhin, auch wirtschaftliche Dinge zu berühren. Allein ihre Betrachtung derselben hat nie stattgefunden, um den Kausalzusammenhang der wirtschaftlichen Erscheinungen darzulegen, weil diese ansich sie interessiert hätten, sondern untergeordnet unter ethische oder juristische Gesichtspunkte. Es ist also nicht am Platz, ihre einschlägigen Äußerungen als Lehren von Nationalökonomen zu betrachten. Nichtsdestoweniger sind sie von wissenschaftlicher Bedeutung auch für die Volkswirtschaftslehre. In ihnen spiegelt sich nämlich, wie sich, unter dem Einfluß der jeweiligen Verhältnisse und Geistesströmngen, das wirtschaftlich unbewußte Denken zu verschiedenen Problemen gestellt hat, die uns noch heute beschäftigen; gewisse noch heute über diese herrschende Grundanschauungen sind so entstanden, und es dient somit die Kenntnis des Werdegangs derselben auch zu ihrer heutigen Kritik. Ich ermunterte daher meinen jungen Freund, sich an eine Darstellung des Werdegangs der Wertlehre zu machen; eben weil diese im Mittelpunkt der Volkswirtschaftslehre steht, werde er auf diese Weise am besten eine Kenntnis der Entwicklung der verschiedenen ökonomischen Systeme von den ersten Anfängen der Nationalökonomie an erlangen.

Mit unermüdlichem Fleiß hat daraufhin LUDWIG FICK in deutschen Bibliotheken und im Britischen Museum die Schriften der Philosophen, Juristen, Theologen und Nationalökonomen zweiter Jahrtausende mit Rücksicht auf ihre Anschauungen über den Wert exzerpiert. Das Ergebnis war ein umfangreiches Manuskript, das er am 7. Januar 1897 der staatswirtschaftlichen Fakultät unserer Universität als Habilitationsschrift überreicht hat. Bevor er es dem Druck übergab, wollte er es, um die verschiedenen Einzeläußerungen übersichtlicher unter die ihnen gemeinsamen Geistesrichtungen zusammenzufassen, nochmals überarbeiten. Schon hatte er begonnen, da wurde er durch eine Blinddarmentzündung hinweggerafft.

Die Wissenschaft hat damit eine Kraft verloren, die noch Vortreffliches hoffen ließ.

Der ausgezeichnete, seitdem gleichfalls verstorbene Vater wollte, daß die Frucht der Arbeit seines Sohnes der Welt nicht verloren geht. Da das Werk nicht vollendet war, wäre es aber ein Unrecht gegen diesen gewesen, seine Arbeit in dem unvollkommenen Zustand, in dem er es hinterlassen hatte, der Kritik auszusetzen. Der Vater übergab mir daher für das staatswirtschaftliche Seminar sowohl die von LUDWIG FICK angelegte Exzerptensammlung als auch seine Bearbeitung derselben, damit die Arbeit seines Sohnes anderen, die sich nach ihm mit dem Problem beschäftigen würden, zugute käme. Ein großherziges Geschenk, dem Geist des Sohnes würdig.

Jahre vergingen. Manche nahmen einen Anlauf, das Werk des Verstorbenen wieder aufzunehmen, und scheiterten. Endlich fand sich in Dr. RUDOLF KAULLA ein Mann, den ein Interesse an der Frage und der Befähigung FICKs ähnliche Geisteseigenschaften zur neuen Inangriffnahme der Geschichte des Wertproblems geeignet erscheinen ließen. Der mir seitens des Vaters gewordenen Weisung entsprechend übergab ich Dr. KAULLA die FICK'schen Manuskripte, und nach seinem eigenen Zeugnis sind sie ihm beim Einarbeiten in die Geschichte der Wertlehre eine große Erleichterung gewesen.

Allein Dr. KAULLA hat nicht etwa eine lediglich literarische Neubearbeitung des ihm übergebenen Materials vorgenommen. Es hat ihm nur als Wegweiser gedient, und mit nicht geringerem Fleiß und Zeitaufwand hat er sich selbst in all die Autoren vertieft, die FICK schon vor ihm bearbeitet hatte. Das Ergebnis dieses erneuten Studiums liegt seit Herbst 1906 in einem Buch von verhältnismäßig kleinem Umfang vor, betitelt: "Die geschichtliche Entwicklung der modernen Werttheorien", Tübingen 1906. Es ist ein durchaus selbständiges Werk. Die Exzerpte FICKs und seine eigne Bearbeitung derselben aber habe ich unter Zustimmung der noch lebenden Geschwister FICKs der Münchener Universitätsbibliothek zur ständigen Aufbewahrung übergeben, damit sie allen, die sich weiter mit dem Problem befassen wollen, zugänglich sind.

Ich möchte nur kurz darlegen, was sich mir anhand dieser Arbeiten meiner Schüler über die Entwicklung der Wertlehre ergibt. Ich werde dabei in der Beurteilung manchen Schriftstellers von ihnen abweichen; auch werde ich da oder dort auf die seither erschienenen Arbeiten anderer Bezug nehmen. Allein in der Hauptsache beruth der folgende Versuch einer Darstellung der Hauptströmungen in der Entwicklung der Wertlehre auf der Detailarbeit, die jene geleistet haben.

Ich nehme meinen Ausgang von der zweiten Szene im zweiten Aufzug von SHAKESPEAREs "Troilus und Cressida). Da heißt es:
    Hektor: "Sie ist nicht Bruder, wert, was sie uns kostet."
    Troilus: "Die Schätzung ist es, was den Wert bedingt."
    Hektor: "Doch nicht die Willkür des einzelnen.
    Es richtet sich der Dinge Wert sowohl
    nach dem, was ansich kostbar macht,
    als nach dem Schätzer."
Die Stelle zeigt uns ein Objekt, das geschätzt wird; es ist HELENA, von der die Rede ist; ferner ein Subjekt, im Hinblick auf welches es geschätzt wird, hier die Trojaner. Sie zeigt, daß der Wert auf der Beziehung eines Objekts zu einem Subjekt beruth. Der Wert der HELENA besteht, wie der weitere Verlauf der Diskussion dartut, in der Bedeutung, welche dem Raub und Festhalten ihrer Person mit Rücksicht auf das Rachebedürfnis und die Ehre der Trojaner beigelegt wird. SHAKESPEARE bringt also zum Ausdruck, daß der Wert durch zweierlei bedingt wird:
    1. durch das Bedürfnis des Subjekts, das es zu befriedigen gilt.

    2. durch die Eigenschaften, die dem Objekt, welches diesem Bedürfnis dienen soll, beigelegt werden.
Er läßt HEKTOR sagen, daß beides nötig ist, damit von Wert gesprochen werden kann. Allein, während TROILUS ausschließlich das Bedürfnis des Subjekts ins Auge faßt, legt HEKTOR den Schwerpunkt in die Eigenschaften des Objekts, indem er fortfährt:
    "Toller Götzendienst,
    ist's, größer als den Gott den Dienst zu machen,
    und Aberwitz, Verehrung dem zu zollen,
    dem auch der Schatten der Verdienste fehlt,
    die kranker Sinn ihm liebend zuerkennt."
Es tritt uns in TROILUS und HEKTOR also der Gegensatz entgegen, der zwischen den Erklärungen des Werts besteht, je nachdem sie ausschließlich oder überwiegend die Bedürfnisse des Subjekts oder die Eigenschaften des Objekts ins Auge fassen, der Gegensatz zwischen den subjektiven und den objektiven Werttheorien. Und noch ein anderer Gegensatz: Die Fortsetzung der Rede HEKTORs zeigt, daß es sich für ihn um das Seinsollende handelt, während TROILUS das Seiende vertritt.

Das sind die Gegensätze, welche auch den Streit über den wirtschaftlichen Wert der Dinge beherrschen: auf der einen Seite Theorien über das, was den Wert bestimmen sollte; das sind bei all denen, welche die Wirklichkeit ihrem Ideal entsprechend umgestalten wollen, die objektiven Werttheorien; auf der anderen Theorien über das, was wirklich den Wert bestimmt; es sind die subjektiven Werttheorien.

Dabei berührt SHAKESPEARE zweierlei Eigenschaften des Objekts als maßgebend für seinen Wert: die Kosten, die es verursacht, und die Eigenschaften, die es begehrenswert machen, also das, was den Kostenwert des Objekts, und das, was seine Brauchbarkeit bestimmt. In den Erörterungen der Anhänger der objektiven Wertlehre treten aber die Eigenschaften, die ein Gut begehrenswert machen, völlig hinter den Kostenwert zurück. Sehr begreiflich. Gewiß ist z. B. für den Wert eines Pferdes seine größere oder geringere Geschwindigkeit, für den Wert eines Heizstoffs das größere oder geringere Maß seiner Heizkraft von Wichtigkeit. Allein nur soweit Güter gleicher Art miteinander verglichen werden, kommt das größere oder geringere Maß gewisser technischer Eigenschaften in Betracht. Dagegen können bei der Wertvergleichung von Gütern verschiedener Art die ihnen eigentümlichen natürlichen oder technischen Eigenschaften nicht als Maßstab gebraucht werden, ebensowenig wie sich Nüsse und Äpfel addieren lassen. Es fehlt, solange Güter verschiedener Art nur auf ihre inneren Eigenschaften angesehen werden, das Gemeinsame, an dem sie gemessen werden könnten. Sie können verglichen werden nur im Hinblick auf die Lustempfindung, welche die Befriedigung des nach ihnen bestehenden Bedürfnisses hervorruft; das geschieht seitens der subjektiven Werttheoretiker; oder mit Rücksicht auf die Kosten, die ihre Beschaffnung verursacht; dementsprechend sind alle objektiven Werttheorien Kostenwerttheorien.

Der erste, dessen Anschauungen über den Wert auf seine Nachfolger einen nachhaltigen Einfluß ausgeübt haben, war ARISTOTELES. Nach ihm ist der Ausgangspunkt allen Wertes das Bedürfnis und die Brauchbarkeit eines Dings für seine Befriedigung. Aller Wert ist nach ihm Gebrauchswert. Allein es gibt eine doppelte Brauchbarkeit. "Jedes Besitztum", sagt er (Politik I, 9) "läßt eine doppelte Benützung zu. Beide Arten betreffen die Sache ansich, aber nicht in gleicher Weise: die eine Benützung ist dem Ding ansich eigen, die andere nicht; z. B. das Anziehen eines Schuhs und sein Umtausch. Beides ist eine Benützung des Schuhs. Auch der, welcher ihn an den, der eines Schuhs bedarf, gegen Geld oder Lebensmittel eintauscht, benützt den Schuh als Schuh, aber nicht nach seiner eigentümlichen Bestimmung, denn der Schuh ist nichts des Austausches wegen da." Entsprechend dieser doppelten Brauchbarkeit der Güter ist auch ihr Gebrauchswert ein doppelter. Je nachdem man die einem Gut vermöge seiner technischen Natur eigene Bedeutung für die Befriedigung eines Bedürfnisses ins Auge faßt oder die für den Zweck, einen Preis zu erzielen, spricht man von Gebrauchswert schlechthin oder vom Tauschwert eines Gutes. Für den Besitzer des Schuhs, der ihn hinzugeben gewillt ist, kommt nur sein Tauschwert in Betracht, für den Nichtbesitzer, der ihn haben möchte, sein natürlicher Gebrauchswert. Dann fährt ARISTOTELES fort: "Ebenso verhält es sich mit den anderen Besitzstücken. Denn der Umtausch läßt sich auf alles anwenden, obgleich er von einem natürlichen Bedürfnis ausgeht, weil die Menschen von dem einen mehr haben, als nötig, von dem andern weniger." Mit diesem Schlußsatz wird betont, daß das Bedürfnis das für den Umtausch Maßgebende ist.

Daß dieses auch für das Austauschverhältnis oder den Tauschwert des Gutes den Maßstab bildet, ist dann nur folgerichtig. Diese Konsequenz zieht ARISTOTELES in der Nikomachischen Ethik V, 8. Er erörtert da, bei welchem Austauschverhältnis des Gutes die Vergeltung gerecht ist. Er sagt, dies sei dann der Fall, wenn der eine so viel empfängt, als er dem anderen mitteilt. "Andernfalls ist keine Gleichheit vorhanden, und dann hat das Austauschverhältnis keinen Bestand." Dabei fällt ARISTOTELES nicht in den Fehler vieler Späterer, also ob die Gleichheit zwischen Geben und Nehmen voraussetzt, daß die Dinge, die gegeneinander vertauscht werden, gleich große Kosten verursacht hätten. Er betont ausdrücklich, daß es kein Hindernis dieser Gleichheit ist, wenn das Werk des einen kostbarer als das des anderen ist; es muß nur ein Maßstab gefunden werden, nach welchem die auszutauschenden Dinge miteinanader verglichen werden. Alles, was ausgetauscht werden soll, muß in irgendeiner Weise vergleichbar sein. Die auszutauschenden Größen müssen etwas gemeinsames haben, woran sie gemessen werden können. "Dieser Maßstab liegt im wahrsten und eigentlichsten Sinne in dem Bedürfnis, welches der Grund aller Verbindung unter Menschen ist." Soviel stärker das Bedürfnis nach dem Werk des Baumeisters ist als nach dem des Schusters, so viele Paar Schuhe müssen für ein Haus bezahlt werden. Um diese Vergleichung zu erleichtern, ist das Geld eingeführt worden. Die Stärke eines jeden Bedürfens nach einem Gut, das ihm dient, wird in Geld ausgedrückt; daraus ergibt sich, um wieviel die eine Sache die andere an Wert übertrifft oder ihr an Wert nachsteht. Das Austauschverhältnis ist nach ARISTOTELES dann gerecht, wenn vermöge des Austauschs auf beiden Seiten Bedürfnisse von gleicher Stärke befriedigt werden, so daß z. B. wie das Bedürfnis, dem der Ackerbauer dient, gegen das, welchem der Schuhmacher dient, in einem gewissen Verhältnis steht, auch deren Produkte in dasselbe Verhältnis gesetzt werden.

Daraus wird klar: ARISTOTELES war ein subjektiver Werttheoretiker; er kennt keinen Gegensatz von Gebrauchswert in natürlichen Sinne und Tauschwert; der erstere bedingt nach ihm vielmehr den zweiten und soll ihn bedingen.

Von dieser Grundlage aus war nur noch ein Schritt zur modernen Grenznutzenlehre. Ihren Grundgedanken hat ARISTOTELES an verschieden Stellen ausgesprochen; so "Politik" I, 9 wo er sagt, daß jede Kunst, da ihr Ziel ein Ideal sei, ins Unendliche strebe, daß sie dagegen jedes Mittel zur Annäherung an dieses Ideal nur endlich begehre; ferner "Politik" VII, 1: "Es liegt in der Natur einer jeden nützlichen Sache, daß ein Übermaß derselben ihrem Besitzer entweder schaden muß oder ihm wenigstens keinen Nutzen gewährt"; ferner auch "Nikomachische Ethik" X, 4, wo er die Ursachen der abnehmenden Lustempfindung auseinandersetzt; und auch die übrigen Elemente der modernen subjektiven Wertlehre finden sich bei ARISTOTELES, wie OSKAR KRAUS dargetan hat. (1) Allein die alten Philosophen beschäftigten sich, wie ARISTOTELES, wo er (Politik I, 11) von den Spekulationen des THALES in Ölpressen spricht, sagt, mit wirtschaftlichen Dingen, "nur um zu zeigen, daß auch Philosophen, wenn sie wollen, sich mit leichter Mühe bereichern können, nur sei der Reichtum nicht das Ziel ihrer geistigen Bestrebungen." Sie schrieben über wirtschaftliche Dinge nicht, um zu erklären, wie sie wirklich sind, sondern wie sie sein müssen, um den Anforderungen des Sittengesetzes und der Gerechtigkeit zu entsprechen. Die aristotelischen Ansätze zu einer subjektiven Wertlehre fanden daher seitens der alten Philosophen keine Weiterentwicklung.

Dagegen fand die Grundanschauung des ARISTOTELES, daß das Bedürfnis und die einer Sache beigelegte Brauchbarkeit für seine Befriedigung der Maßstab des Wertes ist, im römischen Recht praktische Anerkennung. Überall, wo eine Wertermittlung durch den Richter zu geschehen hat, hat die Jurisprudenz Veranlassung, die Frage aufzuwerfen, von welchen Gesichtspunkten ein richtiges Werturteil auszugehen hat, so vor allem, wo es sich um Schadensersatz handelt. Die römischen Juristen entscheiden: Nicht vom Affektionswert, sondern vom gemeinen Wert (2), d. h. nicht von der Bedeutung, die ein einzelner mit Rücksicht auf seine besonderen Verhältnisse, sondern von der, welche ein als normal gedachter Mensch, der sich in als normal gedachten Verhältnissen befindet, einem Gut beilegt. Damit zeigten sich auch die römischen Juristen als subjektive Werttheoretiker. In beiden Fällen bemaßen sie, gewisse technische Eigenschaften des Gutes gegeben, dessen Wert an der Bedeutung, die es für ein Subjekt hatte, nicht nach seine objektiven Eigenschaften, beim Affektionswert an der Bedeutung für einen bestimmten Einzelnen, beim gemeinen Wert an der für den Normalmenschen.

Mit dem Ausgehen von diesem Normalmenschen, der als in normalen Verhältnissen befindlich gedacht wird, war allerdings die Brücke geschlagen, auf der man mit logischer Notwendigkeit von der subjektiven zur objektiven Werttheorie, vom Bedürfnis zu den Kosten als Maßstab des Wertes gelangen mußte. Damit waren nämlich alle subjektiven Wertbestimmungsgründe als gleich gesetzt und damit ausgeschaltet; dann bleibt, eine bestimmte Qualität des Gutes gegeben, als einziges Wert bestimmendes Moment das objektive der Herstellungs- oder Beschaffungskosten. Diese Konsequenz war unvermeidlich, sobald an die Stelle der äußerlichen Betrachtung des gemeinen Werts für praktische Zwecke die theoretische über eine Grundlage und Berechtigung eines Preises trat.

Zu einer solchen Betrachtung aber war für die klassischen Juristen weder durch die damaligen Wirtschaftsverhältnisse noch durch die Weltanschauung, der sie huldigten, ein Anlaß gegeben. Bei der damaligen Wirtschaftsorganisation war es nur den Kaufleuten, die ein Gut kauften, um es wieder zu verkaufen, möglich, eine Kostenberechnung aufzustellen. Strebten diese aber nach einem die Kosten möglichst übersteigenden Preis, so widersprach dies nicht dem  aequm et bonum  [gleich und gut = angemessen - wp] der Juristen. Jeder Händler nimmt mehr vom Käufer, als ihn die Sache gekostet hat, und zwar nimmt er so viel, als er nach den jeweiligen Verhältnissen erlangen kann. Das liegt im Wesen des Handels. Zwischen der Natur der Dinge und dem Sittengesetz gab es für die klassischen Juristen aber keinen Gegensatz. Sie waren Anhänger der Stoa. Den Stoikern waren Gott und die Welt eins, Natur und Sittengesetz in notwendiger Harmonie, und der  Natur gemäß leben  das oberste Moralprinzip. Solange man sich nur von der Vorspiegelung falscher Tatsachen fernhielt, hatte jeder das Recht, einen Gegenstand, der tatsächlich mehr wert war, für ein Geringes zu kaufen, und einen Gegenstand, der weniger Wert besaß, für einen hohen Preis zu verkaufen, und jeder konnte den anderen übervorteilen. POMPONIUS und PAULUS erklären ausdrücklich, dies entspreche dem natürlichen Recht Aber allerdings nur mit der gedachten Einschränkung. Denn das oberste Naturgesetz ist nur eines, daher für alle Menschen dasselbe; die Menschen erscheinen, weil durch dasselbe Gesetz bestimmt, als Teile eines Ganzen; was für den einzelnen naturgemäß und vernünftig ist, ist es also für alle, und der einzelne, der dem Vernunftgesetz folgt, wirkt notwendig zugleich zum Vorteil der Gesamtheit. Dagegen folgt aus eben dieser Zusammengehörigkeit des Menschen, daß nur der wirklich weise ist, der im Sinne dieser Zusammengehörigkeit handelt. Der eigene Vorteil darf nur insofern zur Richtschnur des Handelns dienen, als er nicht die Bande gefährdet, welche die menschliche Gesellschaft zusammenhalten, sonst wird auch das Interesse des einzelnen gefährdet. Nur das wohlverstandene Interesse jedes einzelnen entsprach also der Natur und war in Harmonie mit dem Sittengesetz. Daher schrieb derselbe POMPONIUS: "jure naturae aequm est, neminem cum alteris detrimento et injuria fieri locupletiorem." [Das Naturgesetz ist gerecht ohne andere größere Schäden und Verletzungen zu verursachen. - wp] Wenn die vom Verkäufer behaupteten Eigenschaften einem Gut nicht zukamen, war der Vertrag anfechtbar.

Dies war aber nicht wegen eines Abweichens des Preises vom gemeinen Wert, sondern weil etwas anderes geliefert als verkauft worden war. Erst spät, in der Zeit des Verfalls, wurde durch das Edikt DIOKLETIANs und MAXIMANs vom Jahre 285 die Anfechtbarkeit eines Verkaufs von der Benachteiligung durch mangelhafte Qualität auf die durch Bezahlung eines nicht entsprechenden Preises ausgedehnt; dem Verkäufer wird ein Rücktrittsrecht zuerkannt, falls er für seine Sache weniger als die Hälfte des  justum pretium  [gerechter Preis - wp] erhalten hat. Aber auch diesem Edikt gilt nicht etwa ein den Kosten entsprechender Wert, sondern der Wert, den eine Sache für den Normalmenschen, der in normalen Verhältnissen befindlich gedacht wird, hat, als justum pretium. Das zeigt der Umstand, daß das Edikt vom Verkauf eines Gutes ausgeht, bei dem von Produktionskosten nicht die Rede sein kann, nämlich vom Verkauf eines Grundstücks. Mit dem steigenden Geldwert waren die Preise gesunken; diese Preise erschienen verglichen mit dem gemeinen Wert früherer Zeiten als  laesio enormis  [erhebliche Schädigung - wp].

Dann kam die Münzverschlechterung DIOKLETIANs, als Folge derselben steigende Preise und als deren Folge DIOKLETIANs Preisedikt von 301. Auch dieses Edikt sieht nicht in dem den Produktionskosten, sondern in dem dem normalen Bedürfnis des normalen Menschen entsprechenden Preis, nämlich in den Preisen, wie sie vor der Münzverschlechterung waren, das justum pretium. Nirgends darin wird auf Produktionskosten Bezug genommen. Die angeblichen Belege, die man für das Gegenteil beibringt, sind Konstruktionen, welche der Kritik nicht standhalten können. Es handelt sich beim Preisedikt nicht darum, ein Produzenteninteresse zu wahren, sondern um eine im Interesse der Truppen und Beamten vorgenommene Festsetzung von Höchstpreisen zur Abwehr der unangenehmen Folgen der vorausgegangenen Münzverschlechterung.

Jene Konsequenz aus der Lehre vom gemeinen Wert, welche die klassischen Juristen zu ziehen keinen Anlaß hatten, wurde dagegen von den Kirchenvätern gezogen. Ihnen erschien diese Welt nicht als eins mit Gott; ihnen war die Natur durch den Sündenfall verdorben. Nicht der Natur gemäß leben, sondern die Natur überwinden, um das Himmelreich zu erwerben, war für sie die Richtschnur des Lebens. "Willst du vollkommen sein, so gehe hin und verkaufe was du hast und gib's den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben", hieß es im Evangelium; und ferner: "Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon." Damit war den Christen die Richtschnur gegeben sowohl für die Verwendung als auch für den Erwerb von Gütern. "Wenn wir Nahrung und Kleidung haben, so lasset uns begnügen", hatte der Apostel PAULUS an TIMOTHEUS geschrieben; alles darüber galt den Kirchenvätern als den Dürftigen vorenthaltenes Gut. "Die Erwerbsgier", hatte er an derselben Stelle weiter gesagt, "ist die Wurzel allen Übels", und dementsprechend hatten die Väter den Handel verurteilt. Nur  der  Handel war gegen den Vorwurf der Gewinnsucht geschützt und galt daher als erlaubt, bei dem der Händler dem Verkäufer einen gerechten Preis zahlt und beim Wiederverkauf nur so viel zum Einkaufspreis zuschlägt, als zu seinem und seiner Familie unterhalt absolut notwendig ist. Damit waren die Beschaffungskosten eines Gutes zum Maßstab seines Wertes gemacht, und dabei war es nicht gestattet, die Kosten des Lebensunterhaltes, die als Maßstab dienen sollten, individuell verschieden zu berechnen. Alle Menschen werden von den Kirchenvätern als von Natur gleich erachtet. Daß, wo von Wert die Rede ist, ein Bedürfnis gegeben sei, setzten sie als selbstverständlich voraus. Vermöge der natürlichen Gleichheit der Menschen gilt ihnen dieses Bedürfnis bei allen als gleich und gleichbleibend. Ja, es gilt ihnen sogar als unrecht, von einem anderen als einem gleichbleibenden Bedürfnis auszugehen. Ein Normalmensch also wird vorausgesetzt, normal hinsichtlich der Bedürfnisse, die er empfindet und folglich auch hinsichtlich der Stärke, in der er sie empfindet. Jedes Bedürfnis, das über das des normalen Menschen hinausgeht, erscheint dann als verwerflicher Luxus; Verhältnisse, die es verursachen, daß in einem konkreten Fall ein Bedürfnis stärker als seitens des vorausgesetzten Normalmenschen empfunden wird, zur Erzielung höherer Preise zu benützen, erscheint als verwerfliche Ausbeutung, als Wucher. (3)

So ist die objektive Werttheorie entstanden als Ausfluß einer Lehre, die von einem Widerspruch zwischen der Natur und der Vernunft des Weltganzen ausgeht, und ihre Aufgabe in der Unterwerfung der Natur unter ein von dem Gesetz, das diese beherrscht, verschiedenes Sittengesetz sieht. Sie ist entstanden nicht als eine Lehre vom Seienden, sondern von einem diesem entgegengesetzten Seinsollenden, als ein Protest gegen die Welt, wie sie infolge des Sündenfalls geworden ist, als Postulat, die Wirklichkeit entsprechend einem Ideal umzugestalten. Dieser Charakter eines Protests gegen die  iniquitas hominum  [menschliche Ungerechtigkeit - wp] und eines ethischen Postulats ist ihr bewußt und unbewußt bis zum heutigen Tag geblieben. Nur die Begründung des Postulats hat im Laufe der Zeiten gewechselt und die Vorstellung von den Mitteln, die zu seiner Verwirklichung anzuwenden sind.
LITERATUR - Lujo Brentano - Die Entwicklung der Wertlehre [Sitzungsbereichte der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Vortrag gehalten am 15. Februar 1908] München 1908
    Anmerkungen
    1) OSKAR KRAUS, Die aristotelische Werttheorie in ihren Beziehungen zu den Lehren der modernen Psychologenschule, Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Tübingen 1905, Seite 573f.
    2) Siehe KAULLA, Seite 30. PAULUS führt aus: "Sextus quoque Pedius ait, pretia rerum non ex affectione nec utilitate singulorum, sed communiter fungi." [Die Preise der Dinge sind nicht von der Zuneigung oder dem wirtschaftlichen Interesse abhängig, sondern von allgemeinen Grundsätzen. - wp]
    3) Vgl. BRENTANO, Ethik und Volkswirtschaft in der Geschichte, München 1902, Seite 8. Und BRENTANO, Die wirtschaftlichen Lehren des christlichen Altertums, Sitzungsberichte der philos.-philol und der hist. Klasse der Königlich Bayer. Akademie der Wissenschaften 1902, Seite 178.