p-4cr-2ra-1 W. T. MarvinVeryckenTh. NagelG. TeichmüllerJ. Guttmann    
 
RICHARD BAERWALD
Die Objektivierung
der subjektiven Vorstellung

[Darstellung und Geschichte eines
erkenntnistheoretischen Denkfehlers]

[ 2 / 3 ]

"Erscheinungen sind die einzigen Gegenstände, die uns unmittelbar gegeben werden können. Sie sind aber selbst nur Vorstellungen, die wiederum ihren Gegenstand haben, der also von uns nicht mehr angeschaut werden kann."

"Beim unmittelbaren Erkennen liegt ja der Fehler hauptsächlich bloß im Wort Erkennen, denn wenn das sogenannte Erkannte in Wahrheit nur die subjektive Vorstellung ist, so ist diese ja in der Tat im Subjekt und diesem unmittelbar."

"Da die Kategorien bei der Synthesis der Erscheinungselemente ja nur ein Organ der Apperzeption sind, so verdient in letzter Instanz diese, also das Subjekt, den Namen Objekt."

"In unseren Vorstellungen ist ein Zwang, der uns nötigt, sie so und nicht anders zusammenzusetzen. Dieser Zwang einigt, synthetisiert sie. Als Ursache derselben wird ein äußerer Gegenstand angenommen (Gegenstand wird als das angesehen, was dawider ist, daß unsere Vorstellungen beliebig bestimmt sind), auf den die geeinte Vorstellung bezogen wird. Aber dieser äußere Gegenstand ist nur ein hinzugedachtes Phantom, ein nichtssagendes X. Das, was eigentlich den einenden Zwang auf unsere Vorstellungen ausübt, ist die Kategorie, d. h. die Apperzeption. Diese müßte also eigentlich Objekt heißen, denn sie ist ja die wirkliche Ursache der Vorstellungsverknüpfung."


Hume

§ 37. Bei HUME kann ich mich kurz fassen, die OdsV [Objektivierung der subjektiven Vorstellung] hat sich auf ihn gar nicht ausgewirkt. Nur einmal, im 12. Abschnitt seines "Inquiry concerning human understanding" zalt auch er ihr seinen Tribut. Dort heißt es:
    "Kein Denkender hat je bezweifelt, daß die Gegenstände, welche wir betrachten, wenn wir sagen dieses Haus und dieser Baum, nur Vorstellungen der Seele sind und flutende Bilder oder Darstellungen von Gegenständen, welche gleichförmig und selbständig bleiben." Auf HUMEs Gedanken hat dieser Fehler keinen Einfluß gehabt.

Kant
I. Vorbereitung

§ 38. Bei keinem anderen Philosophen hat die OdsV eine so große Bedeutung erlangt wie bei KANT; bei ihm sind es teilweise die wesentlichsten Stücke des ganzen Systems, die von ihr beeinflußt sind.

Aber gerade bei ihm beginnt der Fehler sich auch zu korrigieren, indem die Worte Objekt, Erkennen usw. in ihre immanente Bedeutung übergehen.

Dieser Übergang macht die genannten Worte zweideutig, so daß es unmöglich ist, im einzelnen Fall zu bestimmen, ob der Satz "Die Erscheinung ist unser Objekt" eine OdsV in sich schließt oder nicht. Den Schwierigkeiten, welche sich infolgedessen unserer Untersuchung und Darstellung entgegenstellen, glaube ich am besten dadurch aus dem Weg zu gehen, daß ich zunächst die OdsV bei KANT motiviere und der Form nach nachweise, ohne auf etwas Anderes Rücksicht zu nehmen, und daß ich erst hinterher die Frage aufwerfe: "Wie weit ist das Gesagte im Hinblick auf die Korrektur des Fehlers einzuschränken?"


II. Nachweis und Gründe der OdsV bei Kant

§ 38. Wie gelangte KANT zur OdsV?

Abgesehen davon, daß er sie von LOCKE und BERKELEY übernahm, scheint ihm namentlich die Zweideutigkeit des Wortes "Erscheinung" dazu verleitet zu haben. Gleich den anderen, in § 14 genannten Bezeichnungen des Erkennens kann auch dieses Wort ebensogut das Objekt wie die subjektive Vorstellung bedeuten. Nenne ich z. B. das Fieber ein bloßes Symptom, eine Erscheinung der Schwindsucht, so denke ich an das Objekt; sage ich, die Erscheinung der Ätherschwingungen sei Licht und Farbe, so denke ich an die subjektive Vorstellung. Indem nun KANT diese beiden Bedeutungen miteinander verwechselte und da, wo die "Erscheinung" eine subjektive Vorstellung war, von ihrem Erkanntwerden sprach, gelangte er zur OdsV.

Wenn KANT (Ästh. § 1, Absatz 2) von der Wirkung des Gegenstandes auf die Vorstellungsfähigkeit spricht, und wenn er dann fortfährt: "Der Gegenstand einer empirischen Anschauung heißt Erscheinung", so scheint er hier an die objektive Bedeutung des Wortes gedacht zu haben. Aber weiterhin (Ästh. § 3 Ende) heißt es:
    "Der - Begriff der Erscheinungen - ist uns eine kritische Erinnerung, daß -, was wir äußere Gegenstände nennen, nichts anderes als bloße Vorstellungen unserer Sinnlichkeit sind."
Hier und im Grund überall in der "Kritik der reinen Vernunft" bezieht sich das Wort Erscheinung auf die subjektive Vorstellung. Trotzdem heißt es weiter (Ästh. § 7 Ende): "daß alle unsere Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung ist". Hier also ist die subjektiv gemeinte Erscheinung Objekt und zugleich tritt hier die OdsV so drastisch als nur irgendwie möglich hervor. Denn Vorstellung und Erscheinung bedeuten ja bei KANT dassebe. Noch weiter aber geht eine Stelle am Ende desselben Absatzes:
    "Denn wir würden auf allen Fall doch nur unsere Art der Anschauung, d. h. unsere Sinnlichkeit vollständig erkennen."
Hier fehlt sogar der verhüllende Doppelsinn des Wortes "Erscheinung", der Widersinn der OdsV ist an dieser Stelle unmöglich zu verkennen.

§ 40. Wie BERKELEY faßt auch KANT, weil er das Haben der Vorstellung mit dem Erkennen verwechselt, as wirkliche Erkennen nicht als solches auf, eben weil es kein Haben ist. So sagt er ("Deduktion der reinen Verstandesbegriffe", erste Auflage, Nr. 3, Absatz 10): "Erscheinungen sind die einzigen Gegenstände, die uns unmittelbar gegeben werden können." Sie sind aber "selbst nur Vorstellungen, die wiederum ihren Gegenstand haben, der also von uns nicht mehr angeschaut werden kann." Hier haben wir auch gleich wieder die drei Glieder Subjekt, Pseudo-Objekt und wirkliches Ding, wobei letzteres, da es infolge der OdsV zu einem unerkannten, geheimnisvollen Etwas = X geworden ist, auf dem Aussterbeetat steht. (Siehe hierzu § 7)

§ 41. Da die OdsV bei KANT mit solcher Offenheit auftritt, so ist es nicht zu verwundern, ,wenn sich bei ihm das Gefühl lebendig erhält, daß das Pseudo-Objekt eigentlich nur die subjektive Vorstellung ist, und sich in einem unmittelbaren Erkanntwerden des ersteren äußert. So heißt es dann, das Objekt, die Erscheinung, sei im Subjekt und werde von diesem unmittelbar erkannt. Es wurde schon oben gezeigt, wie diese Anschauung dem Wesen des Erkennens widerspricht, welches ja gerade in einem Auseinander von Subjekt und Objekt wurzelt. Sie ist in der Tat nur aus unserem Denkfehler zu erklären und stellt eine Art halber Selbstkorrektur desselben dar. Die durch die OdsV vom Subjekt gleichsam losgerissene, aus ihm herausgezogene subjektive Vorstellung wird wieder in dasselbe hineingetragen, ohne doch den Titel Objekt zu verlieren.

Einschlägige Stellen finden sich in der "Kritik des vierten Paralogismus", Absatz 5:
    "Sie (die Gegenstände) sind nichts als Vorstellungen, deren unmittelbare Wahrnehmung zugleich ein genugsamer Beweis ihrer Wirklichkeit ist."
Zu vergleichen sind hier auch die gleich näher zu erwähnenden Zeilen aus der "Deduktion der reinen Verstandesbegriffe".

Auch hier wieder darf aber nicht unerwähnt bleiben, daß KANT vielleicht auch an die rechtmäßige Unmittelbarkeit des immanenten Erkennens denkt.

§ 42. Die OdsV nun und das unmittelbare Erkennen geben Anlaß zu der merkwürdigen Ansicht - oder sagen wir lieber: zu dem merkwürdigen Ausdruck -, daß das Objekt zur Form die apriorischen, d. h. dem Subjekt angehörigen Anschauungen und Begriffe hat.

Wollte man hier KANT beim Wort nehmen, so würde in der Tat ein direkter Widersinn herauskommen. Eine Form, welche meinem Geist angehört und nur in ihm besteht, soll Form des Objekts sein, welches doch eben als Objekt mir gegenüber stehen und außerhalb von mir sein müßte (§ 5)! Das wäre ja ganz so, als wenn ich sagen wollte: "Der Rock, den ich anhabe, befindet sich im gegenüberliegenden Haus."

Indessen findet man bei näherer Betrachtung, daß hier die Abstrusität doch mehr im Wort liegt. Es ist ja doch eben falsch, daß die Erscheinung ein (realistisches) Objekt ist; sie ist nur das, was wir subjektive Vorstellung genannt haben, und kann darum sehr wohl in den apriorischen Formen des Subjekts erscheinen.

Die Ansicht von den apriorischen Formen des Objekts berührt sich mit dem durch die OdsV hervorgebrachten "unmittelbaren Erkennen". Auch bei diesem liegt ja der Fehler hauptsächlich bloß im Wort"Erkennen", denn wenn das sogenannte "Erkannte" in Wahrheit nur die subjektive Vorstellung ist, so ist diese ja in der Tat "im Subjekt" und diesem "unmittelbar". In beiden Ansichten ist es also nur die Bezeichung der subjektiven Vorstellung als "Objekt" oder als "Erkanntes, welche als Fehler erscheint.

Daher treten die "apriorischen Formen des Objekts" auch gemeinsam mit dem "unmittelbaren Erkennen" auf, wie folgende Stelle beweist:
    "Nehmen wir sie (Begriffe a priori) aus uns selbst, so kann das, was bloß in uns ist, die Beschaffenheit eines von uns unterschiedenen Gegenstandes nicht bestimmen." Aber die "Erscheinungen machen einen Gegenstand aus, der bloß in uns ist, weil eine bloße Modifikation unserer Sinnlichkeit außerhalb von uns gar nicht angetroffen wird." (Kritik der reinen Vernunft, Ausgabe A, Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, Abschnitt 3, Summarische Vorstellung).
Hier schließt sich eine längere Reihe von Stellen an, die die apriorische Form des Objekts aussprechen:
    "Unsere Erörterung lehrt die Realität (d. h. objektive Gültigkeit) des Raums in Anbetracht all dessen, was äußerlich als Gegenstand uns vorkommen kann" (Ästh. § 3, drittletzter Absatz). "Die Zeit ist nur von objektiver Gültigkeit in Anbetracht der Erscheinungen" (Ästh. § 6c). "Alle Dinge, als Erscheinungen (Gegenstände der sinnlichen Anschauung) sind in der Zeit" (ebd.). "Form der Anschauung des Gegenstandes welche - im Subjekt - gesucht werden muß, gleichwohl aber der Erscheinung zukommt" (Ästh. § 7, Absatz 2). "objektiv gültige Anschauung a priori" (§ 7, Absatz 3 Ende). "subjektive Bedingungen des Denkens sollten objektive Gültigkeit haben" (Transzendente Analytik, § 13, vorletzter Absatz).

III. Korrektur der OdsV,
Wandlung des Objektbegriffs.

§ 43. Bisher haben wir die OdsV bei KANT der Form nach nachgewiesen, ohne zu fragen, ob der Fehler sich auch dem Inhalt nach an den zitierten und ähnlichen Stellen findet. Wir wissen, daß dies noch zweifelhaft ist, da bei KANT eine Verschiebung der Begriffe stattfindet, mittels deren die Worte "Unsere Vorstellungen sind unsere Objekte" einen richtigen, fehlerfreien Sinn bekommen.

Auch die Natur dieser Verschiebung kennen wir bereits; sie besteht im Übergang des realistischen Objekt- und Erkenntnisbegriffs in den entsprechenden immanenten Begriff. Sobald man diesen an die Stelle des ersteren setzt und unter "Objekt" unsere subjektiven Vorstellungen bzw. deren Inhalt, unter "Erkennen" und "Wissen" das Produzieren und Haben derselben versteht, so korrigieren sich, wie leicht einzusehen ist, die OdsV und das "unmittelbare Erkennen" in allen ihren verschiedenartigen Erscheinungsweisen.

Die genannten Begriffe hängen zusammen: gelangt man zu einem immanenten Objektbegriff, so hat man damit unmittelbar auch den immanenten Begriff des Erkennens und Wissens. Unsere Aufgabe, die Korrektur der OdsV bei KANT einzusehen, reduziert sich also auf den Nachweis, wie bei ihm der Objektbegriff seine immanente Form annahm.

§ 44. In der Wandlung des Objektbegriffs bei KANT lassen sich drei Phasen unterscheiden, welche sämtlich noch in der "Kritik der reinen Vernunft" vertreten sind. Wir wollen sie nacheinander betrachten.

1. In der ersten Phase hat das Wort "Objekt" noch seine alte, realistische Bedeutung. "Transzendentes Objekt", "Gegenstand ansich" wird gleichbedeutend gebraucht mit "Ding ansich". Nicht wegzuleugnen ist auch der realistische Sinn des Ausdrucks, daß der Geist von den Gegenständen "affiziert" wird. Denn wenn man versucht hat, das Wort "affiziert werden" so auszulegen, als wenn es einfach "anschauen", "sinnlich erkennen" in einem immanenten Wortsinn bedeutet, so heißt das doch eigentlich der deutschen Sprache Gewalt antun.

§ 45. 2. Wenden wir uns nun zur zweiten Phase in der Wandlung des Objektbegriffs bei KANT; dieselbe ist recht kompliziert und daher wird es der Klarheit zuträglich sein, wenn wir uns hier dem Ziel nicht mit einem Mal, sondern in zwei Absätzen nähern und zunächst nur ein Teilziel ins Auge fassen.

Eine Stelle, an welcher der Übergang des Wortes "Objekt" in eine neue Bedeutung ganz markant hervorzutreten scheint, findet sich in der "Kr. d. r. V.", Auflage A, Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, Abschnitt II 3, Absatz 4. Dort heißt es:
    "Wir finden also, daß unser Gedanke von der Beziehung aller Erkenntnis auf ihren Gegenstand etwas von Notwendigkeit bei sich führt, da nämlich dieser als dasjenige angesehen wird, was dagegen ist, daß unsere Erkenntnisse nicht aufs Geratewohl oder beliebig, sondern a priori auf gewisse Weise bestimmt sind."
Zweierlei kann dagegen sein, daß wir unsere Vorstellungen beliebig bilden.
    1. Das Objekt, das erkannte Ding.

    2. Die innere, apriorische Gesetzmäßigkeit unseres Denkens und Anschauens.
Entsinnen wir uns aber hier der Ausführungen in § 10 dieser Schrift, so zeigt sich, daß diese beiden Faktoren unseres Erkennens noch etwas Anderes gemeinsam haben als den Zwang, den sie auf unser Denker ausüben. Sie sind es nämlich, die unsere Vorstellungen wahr machen; das äußere Objekt gibt ihnen eine realistische, die innere Gesetzgebung eine immanente Wahrheit.

An welche Wahrheit denkt KANT hier? Es scheint, an beide. Denn wenn er das, was da Zwang ausübt, Gegenstand nennt, meint er dem Anschein nach realistische, wenn er aber hinzufügt, daß es die Vorstellungen a priori bestimmt, meint er eine immanente Wahrheit.

Hier also haben wir den Übergang, den wir suchen. KANT gibt zunächst dem Wort "Objekt" die zweideutige Definition: "Das, was wahr macht", und dann denkt er nicht, wie es zuvor üblich war, an die realistische, sondern an die immanente Wahrheit.

Was ist nun das, was in einem immanenten Sinn wahr macht und also Objekt heißen müßte? Zunächst wären es die Kategorien, die den inneren Zwang ausübenden Verstandesgesetze (1). Und da die Kategorien bei der Synthesis der Erscheinungselemente ja nur ein Organ der transzendentalen Apperzeption sind, so verdient in letzter Instanz diese, also das Subjekt, den Namen Objekt (2); in der Tat ein etwas schwer faßbarer Gedanke!

§ 46. Hier haben wir das erreicht, was vorhin als unser Teilziel bezeichnet wurde. Die dargelegte neue Bedeutung des Wortes "Objekt" ist mehrfach als die endgültige bei KANT angesehen worden; allein ein eingehenderes Studium der "Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" zeigt uns, daß dieselbe zwar nicht gerade falsch, aber einseitig und unvollkommen ist, und daß unsere bisherige Ausführung der Berichtigung und Ergänzung bedarf. An der Stelle der "Kr. d. r. V.", von welcher wir ausgegangen sind, hat KANT sich zu Ungunsten der Deutlichkeit etwas zu kurz ausgedrückt.

Das Objekt oder der Gegenstand wird von KANT beschrieben als ein X, das den Erscheinungen "korrespondiert" und das "für uns nichts ist" (Deduktion, A, Abschnitt II 3 Absatz 5). Von der transzendentalen Apperzeption aber läßt sich doch kaum sagen, sie sei für uns Nichts, denn sonst könnte KANT sie nicht in seine Erfahrungstheorie einführen, und noch weniger kann sie den Erscheinungen korrespondieren, weil sie ihnen nicht ähnlich ist. Weiterhin (ebd. vorletzter Absatz) heißt es, die Kategorien (Begriffe oder Regeln des Verstandes) "bestimmen der Anschauung einen Gegenstand". Dieser Ausdruck wäre doch außerordentlich geschraubt, wenn die Kategorien selbst das Objekt der Anschauung wären. Und wären sie das, wie könnte KANT sie (Deduktion, A, § 22) als die Begriffe bezeichnen, "dadurch überhaupt ein Gegenstand gedacht wird?" Sollen sie etwa Gegenstand sein und sich selbst als solchen denken?

An den erwähnten Stellen betrachtet KANT offenbar nicht die Kategorie oder die transzendentale Apperzeption als Objekt, sondern er denkt noch an das alte, realistische Objekt; denn nur von diesem läßt sich sagen, es korrespondiert der Erscheinung. KANT scheint also in dieser zweiten Phase der Wandlung des Objektbegriffs zwei solche Begriffe nebeneinander anzunehmen, nämlich das realistische und das Kategorie-Objekt.

Wie kam das? Daher, daß KANT zwei nahezu entgegengesetzten Tatsachen oder Annahmen gleichzeitig Rechnung tragen wollte.

Er hatte den Begriff der immanenten Wahrheit entdeckt und glaubte, daß die Erfahrungstatsachen nur diese und nicht die realistische besitzen; der Begriff der immanenten Wahrheit aber zog den des Kategorie-Objekts nach sich, wie wir oben gesehen haben. Auf der anderen Seite aber verkennt KANT auch nicht die Tatsache, daß es einen apriorischen realistischen Trieb im Menschen gibt, welcher uns zur allgemeinen und notwendigen Annahme eines äußeren Objekts treibt; und so fand auch dieses realistische Objekt eine Stelle im System. Freilich durfte KANT als Idealist nicht zugeben, daß der realistische Trieb uns zur Wahrheit führt und so durfte auch dieses zweite Objekt nur ein fiktives, ein allgemeiner und notwendiger Schein sein.

Kommen wir nun endlich zur Gesamtansicht dieser zweiten Phase, zu dem vermittelnden Resultat so widerstreitender Rücksichten und Voraussetzungen, wie ich es aus der "Deduktion" herauslesen zu können glaube:

In unseren Vorstellungen ist ein Zwang, der uns nötigt, sie so und nicht anders zusammenzusetzen. Dieser Zwang einigt, synthetisiert sie. Als Ursache derselben wird ein äußerer Gegenstand angenommen ("Gegenstand wird als das angesehen, was dawider ist, daß unsere Vorstellungen beliebig bestimmt sind"), auf den die geeinte Vorstellung bezogen wird. Aber dieser äußere Gegenstand ist nur ein hinzugedachtes Phantom, ein nichtssagendes X (3) ("immer einerlei = X" "für uns nichts", "selbst nicht mehr angeschaut", "Grenzbegriff"). Das, was eigentlich den einenden Zwang auf unsere Vorstellungen ausübt, ist die Kategorie, d. h. die transzendentale Apperzeption. Diese müßte also eigentlich Objekt heißen, denn sie ist ja die wirkliche Ursache der Vorstellungsverknüpfung. Infolgedessen ist sie aber zugleich die Ursache des Objektphantoms ("bestimmt der Anschauung ihren Gegenstand"), welches ja gerade wegen der Vorstellungseinheit und zur Erklärung derselben angenommen wurde; sie führt jenes sich immer gleichbleibende X gewissermaßen mit sich und fügt es der Erscheinung hinzu, so daß sich mit einer allerdings etwas schiefen Ausdrucksweise sagen läßt, daß durch sie "überhaupt ein Gegenstand gedacht wird", der durch Übertragung auf die Erscheinung zum speziellen Gegenstand wird.

Bei einer solchen Auffassung des Gegenstandsbegriffs scheinen sich mir nahezu alle die dunklen Stellen zu erhellen, an denen die "Deduktion der reinen Verstandesbegriffe" so reich ist. "Die Kategorie müßte eigentlich Objekt heißen." In diesem eingeschränkten Sinn darf man wohl das Kategorieobjekt unseres Teilzieles gelten lassen; denn die Untersuchung des kantischen Gedankengangs führt mit einer gewissen Notwendigkeit zum Begriff des Kategorie-Objekts. Allein wie weit KANT selbst auf denselben eingegangen ist, das läßt sich nach seinen Äußerungen nur schwer entscheiden; selbst die oben zitierte Stelle, aus der wir das Kategorie-Objekt gewonnen haben, ist, wie schon bemerkt, allzu kurz und unklar.

Jedenfalls ist nicht das Kategorie-Objekt, sondern das hinzugedachte Objektphantom sozusagen das offizielle Objekt dieser Phase, und dieses entspricht, trotz der Berührungspunte, die es mit dem immanenten Objektbegriff schon besitzt, im Ganzen doch noch den realistischen.

§ 47. 3. Wenden wir uns nun zur dritten Phase in der Wandlung des kantischen "Gegenstandes", zur immanenten Form desselben. Vorausgeschickt muß aber werden, daß, wenn ich hier die dritte Phase aus der zweiten sich entwickeln lasse, dieses Nacheinander hypothetisch ist. Es kann auch sein, daß die Objektbegriffe der beiden Phasen trotz ihrer inhaltlichen Verschiedenheit nebeneinander in KANTs Denken entstanden sind und bestanden haben, ohne deutlich voneinander gesondert zu werden, und daß das, was ich hier als Übergang des einen in den anderen darstelle, in Wahrheit nur ein Moment der Verbindung und Vermischung beider war - ein begriffliches und logisches, kein historisches Übergehen.

Der Übergang vom Objektphantom zum immanenten Objektbegriff, vom Bezogensein der Vorstellung auf ein Objekt zum Objektsein derselben war leicht; es lag schon im Doppelsinn des Wortes Objektivität. So bezeichnet man einerseits das Objektsein eines Dinges, aber man spricht auch von objektiven Vorstellungen im Gegensatz zu bloß subjektiven Produkten der Phantasie; hier sind die Vorstellungen nicht selbst Objekt, sondern sie sind nur auf ein solches bezogen, und darum heißen sie objektiv.

Sprach KANT in der zweiten Phase von Objektivität oder objektiver Gültigkeit der Erscheinung, so dachte er an das Bezogensein derselben auf das Objektphantom; aber sehr leicht konnte diese Bedeutung des Wortes dem Denkenden unbewußt in das Objektsein der Erscheinung übergehen; und damit war die dritte Phase, das immanente Objekt, gewonnen. Die durch die Kategorien synthetisierte, die im immanenten Sinn wahre Erscheinung war nun selbst Objekt.

Am deutlichsten wird der Übergang beim Wort "Realität". Man kann auch subjektive nur auf ein Objekt bezogene Vorstellungen real nennen, wie wir schon in § 7 beobachtet haben, und in diesem Sinn faßt KANT das Wort auf, wenn er (Deduktion etc., A, Abschnitt II 3, letzter Absatz) sagt: "Beziehungen auf einen Gegenstand, d. h. objektive Realität". Real ist hier identisch mit wahr. Aber das ist doch nur eine seltene Nebenbedeutung des Wortes; in der weitaus größten Zahl der Fälle wird es vom Objekt selbst ausgesagt, und wenn es heißt, die synthetisierte Erscheinung besitze objektive Realität, so liegt es am allernächsten, anzunehmen, daß die Erscheinung, unser Vorstellungsinhalt, selbst Objekt heißen und nicht nur auf ein solches bezogen sein soll. Ich glaube, so liest jeder seinen KANT und so wird sich KANT wohl auch selbst gelesen haben.

§ 48. Die Zweideutigkeit der Worte objektiv und real bildete den Weg, die Brücke zum immanenten Objektbegriff, aber sie begründet noch nicht die Entstehung desselben, den Übergang der zweiten in die dritte Phase. Fragen wir nach den Gründen, so läßt sich anführen, daß es eine ziemlich unnatürliche Annahme war, die Erscheinung solle erst durch die Beziehung auf ein hinzugedachtes Phantom "Erkenntnis" werden (Deduktion, B, § 17, Absatz 2). Es lag nahe, dieses Phantom aus dem Spiel zu lassen, und wenn es dann noch hieß, die synthetisierte Erscheinung sei objektiv, so konnte damit nur gemeint sein, sie sei selbst Objekt.

Doch der eigentliche Grund der Entstehung des immanenten Objektbegriffs scheint mir tiefer zu liegen; ich glaube, die OdsV spielte hier wieder eine bedeutsame Rolle. In ihr hieß ja die Erscheinung, die subjektive Vorstellung "Objekt". Einerseits nun drängte dies dahin, daß die synthetisierte Erscheinung nicht nur auf ein Objekt bezogen, sondern selbst als solches aufgefaßt werden soll, andererseits besaß die OdsV, gerade weil sie bei KANT mit äußerster Schroffheit auftritt, die Tendenz, sich selbst zu korrigieren, indem in dem Satz "meine subjektiven Vorstellungen sind meine Objekte" das Wort "Objekt" einfach als "(synthetisierte) Vorstellung" aufgefaßt wurde, wodurch der Satz sich in ein identisches und darum einwandfreies Urteil verwandelte. So drängte die OdsV auf den Begriff des immanenten Objekts hin, und wenn dieser ihr einen richtigen Sinn verlieh, so können wir darin eine teilweise Selbstkorrektur des Denkfehlers erblicken.

§ 49. Wenden wir uns nun zu dem Nachweis, daß der immanente Objektbegriff bei KANT vorhanden ist. Freilich scheint es vielleicht ein wenig übergründlich, die ausgemachte Tatsache, daß KANT den synthetisierten Inhalt unserer Vorstellungen Objekt nennt, noch umständlich nachweisen zu wollen; wozu offene Türen einrennen!

Aber bei näherer Betrachtung zeigt es sich, daß die Tür ziemlich fest verschlossen ist. Wo finden sich denn Stellen, an denen der Begriff des immanenten Objekts uns klar entgegentritt? Diejenigen Sätze, in denen es schlechthin heißt, die Erscheinung ist unser Objekt, können wir ja als Beleg nicht gebrauchen, weil es hier ebensogut um eine OdsV wie auch um das immanente Objekt handeln kann. Die Stellen, die wir zu suchen haben, müssen die Erscheinung darum Objekt nennen, weil sie synthetisiert, weil sie den Kategorien unterworfen ist, denn nur dann haben wir die Gewißheit, daß das Wort "Objekt" keinen realistischen Sinn besitzt. (§ 51) An solchen Stellen jedoch ist Mangel.

"Aber enthält denn nicht die Deduktion der reinen Verstandesbegriffe, sowohl in der ersten wie in der zweiten Auflage, den immanenten Objektbegriff?" Man scheint denselben allerdings oft, vielleicht sogar meistens aus derselben herauszulesen, aber man schaue sich die "Deduktion" nur auf diesen Punkt hin genauer durch, und man wird mit Erstaunen bemerken, daß in ihr (mit Ausnahme einer einzigen noch zu erwähnenden Stelle) von einem immanenten Objekt gar keine Rede ist. Durchgehend heißt es, die Erscheinung oder Anschauung werde durch ihre Synthetisierung mittels der Kategorien "auf einen Gegenstand bezogen" oder "in einen Begriff vom Objekt vereinigt". Wohlgemerkt, nicht zum Objekt wird sie vereinigt, sondern zum Begriff eines Objekts; die geeinte Erscheinung ist nicht selbst Objekt, sondern begreift ein solches, wird auf dasselbe bezogen. Wenn man hier nicht, wie es namentlich für den befangenen Leser sehr verführerisch ist, über das wichtige Wort "Begriff" achtlos hinweggeht, so merkt man, daß man es hier mit der zweiten und nicht mit der dritten Phase des Objektbegriffs zu tun hat. Daß ferner die "Objetivität", "objektive Gültigkeit", "objektive Realität" der Erscheinung ebensogut ihre Beziehung auf das Objektphantom wie ihr Objektsein bezeichnen kann, haben wir schon gesehen. Wie gesagt, in der "Deduktion" findet sich das gesuchte "immanente Objekt" fast gar nicht. (4)

§ 50. Ist demnach die Annahme, daß KANT diesen Begriff gehabt hat, überhaupt grundlos? Nein, es lassen sich doch einige Gründe für dieselbe ins Feld führen. Es gibt nämlich wenigstens eine Stelle in der "Deduktion", welche die Vorstellungen selbst um ihrer Einheit willen Objekt nennt (A, Abschnitt II 4 letzter Absatz). Sie lautet:
    "Bedenkt man aber, daß diese Natur ansich nichts ist als ein Inbegriff von Erscheinungen, - bloß eine Menge von Vorstellungen des Gemüts ist, so wird man sich nicht wundern, sie bloß in - der transzendentalen Apperzeption in derjenigen Einheit zu sehen, um deren willen allein sie Objekt aller möglichen Erfahrung, d. h. Natur heißen kann."
Ferner nennt KANT (Ästh. § 1, Absatz 2) die noch nicht synthetisierte Erscheinung "unbestimmten Gegenstand". Danach müßte er die synthetisierte als bestimmten Gegenstand auffassen. (5) Schließlich deutet, wie schon erwähnt wurde, der Ausdruck "Realität" auf das Objektsein der Erscheinung.

Diese Gründe machen es zumindest wahrscheinlich, daß KANT schon den immanenten Objektbegriff gehabt hat; sehr zuverlässig aber sind sie nicht, und es kann daher nicht als ausgeschlossen erachtet werden, daß der Begriff sich erst bei den Nachfolgern KANTs gebildet hat und diese ihn erst in die "Kritik der reinen Vernunft" hineingelesen haben. Für uns ist übrigens diese Frage belanglos. Der Begriff des immanenten Objekts und seine Korrektur der OdsV ändert sich nicht, ob er nun in mehreren oder nur in einem Kopf, ob er bei KANT oder erst bei seinen Nachfolgern entstanden ist; für den Kantforscher dagegen dürfte die Frage von Interesse sein.

§ 50. In § 49 wurde gesagt: "Die Stellen, die wir zu suchen haben, (um das Vorhandensein des immanenten Objektbegriffs bei KANT nachzuweisen) müssen die Erscheinung darum Objekt nennen, weil sie synthetisiert, weil sie den Kategorien unterworfen ist." Ist denn das richtig? Wenn der Satz: "Die Vorstellung ist Objekt" ein OdsV sein soll, warum nehmen wir denn in dem anderen Satz: "Die synthetisierte Vorstellung ist Objekt" den einwandfreien immanenten Objektbegriff an? Es ist einleuchtend, daß wir es hier mit der Kernfrage dieses ganzen Abschnitts über eine Korrektur der OdsV zu tun haben.

Sie ist folgendermaßen zu beantworten: Durch den Zusatz "synthetisiert" wird die als Objekt bezeichnete Vorstellung näher beschrieben und spezialisiert und dadurch eine Klarheit des Denkens garantiert, welche das Vorliegen eines Denkfehlers unwahrscheinlich macht. Es läßt sich kaum annehmen, daß KANT die Vorstellung infolge einer Begriffsverwechslung Objekt nennt, wenn er für diese ihre Objektivität einen bestimmten Grund, nämlich ihr Synthetisiertsein anführt. Dazu kommt noch, daß dieser Grund mit der realistischen Objektivität gar nichts zu tun hat; denn wenn die Vorstellung den apriorischen Erkenntnisgesetzen unterworfen ist, so bietet das doch noch keine Veranlassung zu der Annahme, daß sie äußeren Dingen entspricht. Der erste der beiden genannten Sätze ist ein einfaches Urteil, in dem der Begriff der Vorstellung dem des Objekts subordiniert und über die Kluft des die beiden Begriffe trennenden Widerspruchs hinweg zu ihm hinübergezogen wird. Dagegen hat der zweite, KANT eigentümliche Satz mehr den Charakter einer Definition; die synthetisierten Vorstellungen sind nicht bloß dem schon bestehenden Objektbegriff untergeordnet, sondern es ist das Wesen des hier besprochenen Objekts, eine synthetisierte Vorstellung zu sein. In der Definition aber richtet sich der erklärte Begriff nach dem erklärenden, hier also wird, im Gegensatz zur OdsV, der Begriff des Objekts zu dem der Vorstellung hinübergezogen.

Nicht anders steht es übrigens mit der Ansicht, der Vorstellungsinhalt sei Objekt und der Vorstellungsakt das Erkenntnismittel. Auch hier wird der Objekt genannte Vorstellungsbegriff spezialisiert und klarer herausgebildet, auch hier entspricht die Zutat nicht dem Begriff des realistischen Objekts; denn daß das Verhältnis von Vorstellungsakt und -inhalt nicht dasjenige des realistischen Erkennens ist, scheint doch einleuchtend genug. Daher können wir auch in dieser Auffassung, wenn wir auf sie treffene, ein Anzeichen für das Vorhandensein des immanenten Objektbegriffs erblicken.

Hier nun bin ich auf den Einwand gefaßt, daß diese so hypothetischen Gründe von dem, was sie beweisen sollen, den Leser kaum ganz überzeugen können. Daß der Zusatz "synthetisiert" zum Vorstellungsbegriff die Tendenz hat, auf den immanenten Objektbegriff hinzuleiten, mag zugegeben werden; aber daß diese Tendenz auch vollkommen wirksam wird, und daß wir in dem Satz "Die synthetisierte Vorstellung ist Objekt" unfehlbar den rein immanenten Objektbegriff vor uns haben, zu dieser Annahme reichen doch die erwähnten Gründe nicht aus.

Ich antworte: Der Einwand, der hier gegen meine Ansicht erhoben wird, ist eigentlich keiner, denn er stimmt mit ihr überein, und ich erkenne ihn vollkommen an. Ich gebe zu, daß die Korrektur der OdsV bei KANT und seinen Nachfolgern nur cum grano salis [mit etwas Dazutun - wp] anzunehmen ist, ein Punkt, dessen Besprechung ich mich sogleich zuwende.


IV. Unvollkommenheit der
Korrektur der OdsV

§ 52. Nehmen wir einmal an, daß KANT den immanenten Objektbegriff schon gehabt hat, (was nach § 49 ja nicht so ganz sicher ist): sollen wir daraus schließen, daß es bei ihm keine OdsV mehr gibt, daß alle die Stellen, an denen wir oben dieselbe der Form nach beobachtet haben, in Wahrheit einen fehlerfreien Sinn ergibt?

Keineswegs, denn der Begriff des immanenten Objekts bei KANT ist noch viel zu unausgebildet, als daß das Wort "Objekt" bei ihm nicht zumindest noch realistisch schillern sollte.

§ 53. Man muß sich vor allem das Eine vergegenwärtigen, daß man es bei der Entstehung der "immanenten Objekts" nicht mit einem klaren, bewußten Denken, sondern nur mit einer unbewußten, unwillkürlichen Begriffsverschiebung zu tun hat. Die Selbstkorrektur eines Denkfehlers, das Hinüberspielen der zweideutigen Worte Objektivität und Realität aus ihrer eigenen in ihre andere Bedeutung, diese Vorgänge lassen sich doch unmöglich als bewußte Denkakte auffassen. Und ferner, wenn KANT das klare Bewußtsein gehabt hätte, daß er einen völlig neuen Objektbegriff benutzte, wie hätte er denn denselben so ohne Sang und Klang, ohne Erklärung, ohne Definition in sein System einführen können? Nirgends ist ja von einem neuen Objekt die Rede, und da, wo KANT sich über den Begriff des "Gegenstandes" ausläßt, in der "Deduktion", hat er noch einen realistischen Begriff desselben, nämlich den des Objektphantoms. Die Zeitgenossen KANTs konnten diesen so unvermittelt ihnen entgegentretenden neuen Begriff noch weniger verstehen als die heutigen Leser, und in der Tat darf man getrost sagen, daß die Hälfte der Schwierigkeiten der "Kritik der reinen Vernunft" auf Rechnung des beständig wechselnden Objektbegriffs geht.

§ 54. Auf die Unvollkommenheit des "immanenten Objekts" bei KANT deutet auch die Seltenheit und Unklarheit der Stellen, in denen es sich bei ihm zeigt. Es war uns ja kaum möglich, das Vorkommen des neuen Begriffs in der "Kritik" auch nur mit einiger Gewißheit nachzuweisen.

§ 55. Denselben Schluß dürfen wir schließlich daraus ziehen, daß sich in der "Kritik" alle drei Phasen des Objektbegriffs nebeneinander finden; daraus geht doch wohl mit Bestimmtheit hervor, daß KANT die Begriffsverschiebung selbst gar nicht bemerkt hat. Freilich kann man hiergegen einwenden, daß KANT etwas anderes meint, wenn er den realistischen, als wenn er den immanenten Objektbegriff anwendet; im ersteren Fall denkt er an den transzendenten Gegenstand, im letzteren an die Erscheinung. Aber immerhin, wenn er beides, die Erscheinung wie das ihr korrespondierende X, gleicherweise Objekt nennt, so muß Jedermann annehmen, daß es sich hier um zwei Fälle eines Begriffs, nicht, daß es sich um zwei durchaus heterogene Begriffe handelt.

§ 56. Also der Begrif des immanenten Objekts ist bei KANT, wenn überhaupt vorhanden, noch ganz unausgebildet, erst im Werden begriffen, unbewußt und schwankend, so daß das reine realistische Objekt sich neben ihm behaupten konnte. Da darf man dann wohl annehmen, daß der Satz "Unsere Erscheinungen sind Objekte" selbst da, wo der immanente Objektbegriff schon mitwirkte, noch einen realistischen Beigeschmack hatte. Da dieser Begriff in der "Kritik" ja nur mühsam erraten werden kann, so mußte der zeitgenössische Leser KANTs, welcher noch nicht gleich uns die Kenntnis des immanenten Objekts zur Lektüre bereits mitbrachte, unfehlbar die OdsV aus der "Kritik" herauslesen, wie es ja in der Tat auch der Fall war. Ist es aber wohl wahrscheinlich, daß Etwas, was aus KANTs Werken mit Notwendigkeit herausgelesen werden mußte, nicht von ihm hineingeschrieben war?

Sollten diese Gründe noch nicht für ausreichend erachtet werden, um die OdsV bei KANT anzunehmen, so geht deren Vorhandensein mit Sicherheit aus ihren Folgen hervor, die sie innerhalb des Systems hatte und die wir noch zu betrachten haben werden.


V. Gibt es bestimmt eine OdsV?

§ 57. Eine umständliche und ermüdende Auseinandersetzung liegt hinter uns, und Manchen könnte es scheinen, als habe sie uns zu weit von unserer eigentlichen Aufgabe entfernt; daher dürfte es nicht unangebracht sein, hier einen Rückblick auf dasjenige einzuschalten, was wir durch diese ganze Erörterung für unser eigentliches Ziel, d. h. für die Kenntnis des uns beschäftigenden Denkfehlers gewonnen haben.

Zunächst haben wir die Korrektur oder Selbstkorrektur desselben kennengelernt. Aber das ist noch nicht alles und nicht einmal das Wichtigste: Wir haben unsere ganze Aufgabe verteidigt und sie als eine berechtigte zu erweisen gesucht.

Diese Abhandlung basiert auf der Annahme, daß die Worte "Wir erkennen unsere Vorstellungen" in der Geschichte der Philosophie eine fehlerhafte Bedeutung gehabt haben und zum Teil noch haben, daß sich in ihnen eine Verwechslung von Substantialität und Erkenntnisbeziehung offenbart.

Beständig schlagen wir uns nun mit der Schwierigkeit herum, daß diese Worte doppeldeutig sind und auch einen richtigen Sinn annehmen können, wenn man "Erkennen" und "Objekt" in einem immanenten Wortsinn auffaßt.

Wer nun annimmt, daß der immanente Erkenntnis- und Objektbegriff von jeher, also schon bei LOCKE und BERKELEY vorhanden gewesen ist, und daß der Satz: "Wir erkennen unsere Vorstellungen" allezeit einen immanenten Sinn gehabt hat, der macht dadurch einen Strich durch diese ganze Arbeit; bei einer solchen Auslegung fällt ihr ganzer Inhalt schlechthin in Nichts zusammen.

Die geschilderte Auffassung aber ist keineswegs eine bloß mögliche und zu befürchtende, sie ist tatsächlich vorhanden, und zwar gerade bei jenen Meistern des Gedankens, die den immanenten Objektbegriff in sich zur vollen Entwicklung gebracht haben. Ihnen erscheint derselbe so selbstverständlich und natürlich, daß es ihnen kaum noch zu Bewußtsein kommt, wie spät und langsam sich derselbe entwickelt hat.

§ 58. Diese Ansicht nun von der durchgängig immanenten Natur des Satzes: "Ich erkenne meine Vorstellungen" sollte die Erörterung über die Entstehung des immanenten Objektbegriffs widerlegen. Indem ich zeigte, daß dieser Begriff jünger ist als die OdsV, daß er erst bei KANT und sogar erst mit Beihilfe dieses Denkfehlers entstand, daß er denselben auch nicht vollständig beseitigte - dadurch glaube ich nachgewiesen zu haben, daß es trotz des immanenten Erkenntnis- und Objektbegriffs eine OdsV gegeben hat und gibt.

In unserer historischen Erörterung ist, wie schon erwähnt wurde, manches hypothetisch. Aber es ist eine Tatsache, daß der realistische Objektbegriff älter ist als der immanente, und daß dieser erst aus jenem entstand; es ist eine Tatsache, daß bei diesem Übergang unsere sogenannte zweite Phase eine Vermittlerrolle spielte, und daß namentlich der in ihr aufkommende neue Begriff der immanenten Wahrheit erst die Veranlassung zu KANTs immanentem Objekt gab; denn dieses ist ja bei ihm identisch mit synthetisierter, d. h. mit einer immanent wahren Erscheinung; es ist Tatsache, daß dieser Begriff der immanenten Wahrheit (von unklaren Vorversuchen einmal abgesehen) erst von KANT geschaffen ist, so daß wir nicht den mindesten Grund haben, schon bei LOCKE und BERKELEY ein immanentes Objekt anzunehmen, es ist schließlich eine Tatsache, daß sich dieser Begriff auch bei KANT noch in gewissermaßen embryonalem Zustand befindet. So zeigt uns die Entwicklungsgeschichte des "immanenten Objekts", daß die Annahme einer OdsV kein Mißverständnis ist, daß die subjektive Vorstellung wirklich als realistisches Objekt angesehen worden ist.

§ 59. Indem wir uns aber so mit vieler Mühe von den Gefahren der Charybdis losgerungen haben, scheint es, daß wir gerade dadurch der Scylla gefährlich nahe gekommen sind. Indem wir uns bemühten, zu zeigen, daß in dem Satz: "Die Vorstellung ist unser Objekt, wirklich vom Pseudo-Objekt der OdsV und nicht vom immanenten Objekt die Rede ist, scheint sich zugleich der Unterschied zwischen diesen beiden Arten des Objekts vollständig verflüchtigt zu haben, womit dann die OdsV durchaus bedeutungslos würde.

Schon längst vielleicht hat sich der Leser bei manchen zitierten Stellen gefragt: "Wo in aller Welt soll den der Unterschied liegen zwischen der falschen und der richtigen Auffassung des Wortes Objekt? Soviel ist doch gewiß, daß der Autor "Objekt" gleich "objektive Vorstellung" setzt, daß er also weiß, was er mit dem Wort Objekt sagen will. Ob man hier nun von einem "fehlerhaften, schiefen Ausdruck" redet, oder lieber von einer "Änderung der Wortbedeutung", das ist doch mehr eine Differenz des Geschmacks als der Überzeugung.

So läge es in der Tat, wenn zwischen dem Pseudo-Objekt der OdsV und dem immanenten Objekt kein inhaltlicher Unterschied, sondern nur etwa ein solcher der Entstehung läge. Daß dies aber nicht unsere Absicht ist, haben wir schon darin angedeutet, daß wir das Pseudo-Objekt, im Gegensatz zum immanenten, als ein realistisches oder doch als ein realistisch schillerndes bezeichneten. Inwiefern aber verdient es noch diese Bezeichnung? Ihm fehlt ja eine wesentliche Eigenschaft des wahren realistischen Objekts: Es ist nicht außerhalb des Subjekts, denn es wird unmittelbar erkannt. Daher bezeichneten wir schon in § 41 das unmittelbare Erkennen als eine "halbe Selbstkorrektur des Denkfehlers;" das Pseudo-Objekt nähert sich dadurch dem Begriff des immanenten.

Aber noch eine andere Unterscheidung der beiden Objektbegriffe haben wir verloren. Es konnte zunächst scheinen, als werde beim immanenten Objektbegriff die subjektive Vorstellung mit Bewußtsein "Objekt" genannt, beim Denkfehler aber, wie es in der Natur des Fehlers, der Begriffsverwechslung liegt, unbewußt. Aber gerade gegen diese Ansicht spricht unsere Untersuchung über die kantische Begriffsverschiebung, denn sie zeigt uns, daß auch das immanente Objekt bei KANT unbewußt entstanden ist und unbewußt gebraucht wird.

Welcher Unterschied der beiden Objektbegriffe bleibt also bestehen? Kurz gesagt: Derjenige, welcher in ihrem Verhältnis zum realistischen Gefühl des Menschen liegt. Das "immanente Objekt" ist nichts als ein neues Wort für das, was wir subjektive Vorstellung nennen und darf daher ebensowenig Anspruch darauf erheben, dem menschlichen Trieb nach äußerer Realität zu genügen, als die subjektive Vorstellung selbst. Das Pseudo-Objekt aber, weil es in einer falschen Übertragung des realistischen Objekts besteht, befriedigt scheinbar das Wirklichkeitsbedürfnis, und eben dadurch macht es das alte Objekt entbehrlich und führt den Idealismus herbei. Die scheinbare Befriedigung des realistischen Triebes - die ist es, welche das Pseudo-Objekt vom immanenten unterscheidet, und welche wir das "realistische Schillern" des ersteren genannt haben.

Diese Andeutungen werden genügen, um die erwähnten Zweifel zu beruhigen, mit den neuen Fragen aber, zu denen sie Anlaß geben, werden wir uns noch mehrfach zu beschäftigen haben.


VI. Folgen der OdsV bei Kant

§ 60. Wenden wir uns nunmehr zu den Folgen, welche die OdsV innerhalb des kantischen Systems hatte.

Wir haben von Anfang an die Ansicht vertreten, daß dieser Denkfehler keine zufällige Einzelerscheinung, sondern etwas Allgemeines, unter bestimmten Bedingungen Wiederkehrendes ist; wir dürfen daher voraussetzen, daß sich auch in den Folgen des Fehlers eine gewisse Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit zeigt, daß die Erscheinungen, welche wir im Anschluß an die OdsV bei BERKELEY beobachtet haben, sich in der einen oder anderen Form auch bei KANT wiederholen werden.

Welche Wirkungen der OdsV haben wir nun bei BERKELEY konstatiert? Es waren deren drei, nämlich
    1) Die Dreigliederung der Erkenntnisbeziehung

    2) Die Abstoßung des "wirklichen Dinges" infolge seiner Zurückschiebung hinter das Pseudo-Objekt und seine Ersetzbarkeit durch dasselbe.

    3) Die Verhinderung skeptischer Zweifel über das Verhältnis von Subjekt und Pseudo-Objekt durch die Unmittelbarkeit beider.
§ 61. Das Wiedervorkommen des ersten Punktes bei KANT ist klar. Die Dreiteilung von Subjekt (Sinnlichkeit, Verstand, Vernunft), Objekt (Erscheinung) und "wirklichem Ding" (Ding-ansich) zieht sich durch die ganze "Kritik der reinen Vernunft".

Was den dritten Punkt anbelangt, so wäre man versucht, die Ansicht BERKELEYs, daß das "wirkliche Ding" skeptischen Zweifeln ausgesetzt, das Pseudo-Objekt aber wegen seines unmittelbaren Erkanntwerdens von ihnen befreit ist, in einer Stelle der "Kritik des vierten Paralogismus" (Ausgabe A, Absatz 4 und 5) wiederzufinden. Da indessen auch hier die OdsV verschwindet, wenn man die immanente Bedeutung der Worte "empirischer Realismus" und "Objekt" einführt, und da ferner KANT im Anhang der Prolegomena zu jeder künftigen Metaphysik (Abschnitt II, Absatz 10) zeigt, daß er ganz andere Gründe gegen den Skeptizismus ins Feld führt als BERKELEY, so ist die genannte Stelle für uns kaum verwertbar.

Was schließlich die oben an zweiter Stelle angeführte Wirkung der OdsV betrifft, so gestaltete sich dieselbe bei KANT komplizierter als bei BERKELEY und im Anschluß an eine merkwürdige, schwer zu charakterisierende, aber für die Kenntnis des kantischen Systems sehr wichtige Begriffs- oder vielmehr Gefühlsverschiebung, die sich von LEIBNIZ auf KANT vollzog. Da dieselbe gleichfalls eine Folge der OdsV war, so müssen wir sie hier vor allem betrachten. Sie besteht aus zwei zusammenhängenden Veränderungen, denn zwei Begriffe, Erscheinung und Ding-ansich sind es, die durch sie ihren Charakter wechseln. Beschäftigen wir uns zunächst mit der ersteren dieser Verschiebungen, mit derjenigen der Erscheinung.

LITERATUR: Richard Baerwald, Die Objektivitation der subjektiven Vorstellung, Jena 1893
    Anmerkungen
    1) Demnach identifiziert WINDELBAND (Präludien, Seite 135) "Gegenstand" mit "Regel der Vorstellungsverknüpfung".
    2) Hieran scheint COHEN zu denken, wenn er sagt (Kants Theorie der Erfahrung, zweite Auflage, Seite 363): "Beide (das transzendentale Subjekt und das transzendentale Objekt) sind als Seiten desselben transzendentalen Gegenstandes wirklich bei all unseren Erkenntnissen immer dasselbe, ein X."
    3) Wenn hier das "Ding ansich", der "transzendente Gegenstand" im Anschluß an KANTs eigene Worte ein Phantom genannt wird, so ist dabei nicht zu vergessen, daß dieser Ausdruck nur in der theoretischen Philosophie, für das Erkennen des Intellekts anwendbar ist. Auf dem Gebiet des Praktischen und für den Glauben, für das moralische Gefühl, ist ja bekanntlich jenes X nichts weniger als ein Phantom.
    4) Ein namhafter Kantphilologe zitiert KANTs Satz "Objekt aber ist das, in dessen Begriff das Mannigfaltige einer gegebenen Anschauung vereinigt ist" und knüpft daran die Worte: "Und diese Vereinigung des Mannigfaltigen kraft des Begriffs zum Gegenstand führt zugleich zum Selbstbewußtsein." Hier sieht man deutlich wie die dritte Phase in die zweite hineingelesen wird.
    5) Dieser Grund wird freilich sehr entwertet durch den Zusammenhang, in dem die Stelle steht. Derselbe macht es nämlich wahrscheinlich, daß das Wort "Gegenstand" hier realistisch gefaßt wird, wir es also mit einer ganz echten OdsV zu tun haben (§ 39).