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ELIESER FRÄNKEL
Begriffsbildung und Abstraktion

"Daß im Bemerken tatsächlich eine Abstraktion stattfindet, wird niemand seltsam finden, der sich vergegenwärtigt, daß Abstraktion hier nicht einen Akt des Absehens oder dergleichen bedeutet, sondern nur besagen will, daß sich die Bildung eines Gedankens aufgrund von etwas Gegebenem vollzieht und daß daher das objektive Resultat dieses Gedankens als von dem Gegebenen entlehnt, von ihm abgeleitet betrachtet zu werden verdient."

"Wir denken oder begreifen die Gegenstände aber nur dann, wenn wir wissen, als was wir sie anzusehen, für was wir sie zu nehmen haben. Unter diesem «Für was» oder «Als was» kann aber nicht wiederum ein realer Gegenstand gemeint sein, denn dieser wird ja selbst erst durch ein entsprechendes «Als was» begreiflich und denkbar. Dieses «Als was» oder «Für was» ist vielmehr identisch mit dem jeweiligen Begriff des Gegenstandes."

"Wir denken die Gegenstände meist nur durch sehr unvollkommene Begriffe; wir denken sie oft nur aufgrund eines charakteristischen Sachverhalts, einer charakteristischen Eigenschaft, die uns zufällig von ihnen bekannt ist."

"Der objektive Begriff, der dem eigentlichen Wesen des Gegenstandes entspricht, läßt sich in einem beschreibenden Satz gar nicht fassen, weil alles, was man von einem Gegenstand aussagen kann, nicht mehr sein Wesen, sondern irgendeinen seiner Sachverhalte oder irgendeine seiner Eigenschaften bedeutet."

"Weil aber die Definitionen im besten Fall Urteile über reale Gegenstände darstellen, niemals aber ihnen selbst konkruent sind, so hat ein Denken, das nur auf Definitionen aufbaut und nur mit Definitionen operiert, es nicht mit der Wirklichkeit selbst, sondern nur mit Gedanken über die Wirklichkeit zu tun."


§ 1. Die Begriffsbildung

Die Worte abstrakt und Abstraktion werden sowohl in der wissenschaftlichen Literatur wie auch im gewöhnlichen Leben in sehr mannigfachen, voneinander durchaus verschiedenen Bedeutungen gebraucht. Diese sollen nun den eigentlichen Gegenstand folgender Erörterung bilden. Abstrahere bedeutet im Lateinischen ursprünglich etwas etwas von etwas weg- oder abziehen. Nun wird die Vorstellung des Abziehens bzw. Abgezogensein dazu verwendet, erstens, um bestimmte Bewußtseinstatsachen, zweitens um bestimmte Klassen von Gegenständen, die anderen Gegenständen entlehnt, von ihnen gleichsam "abgzogen" worden sind, in ihrer Eigenart zu charakterisieren. Jene Bewußtseinstatsachen und diese Klassen von Gegenständen sind aber wiederum unter sich so verschiedenartig und schließen dabei so wichtige und aufklärungsbedürftige Probleme in sich, daß der Versuch wohl berechtigt erscheinen dürfte, sie einmal der Reihe nach besonders darzustellen und nach den verschiedenen Richtungen hin zu bestimmen. Wir wollen mit einer Untersuchung der Begriffsbildung und der Begriffe beginnen, weil in Bezug auf diese wohl am meisten von abstrakt und Abstraktion gesprochen wird. Ich schmeichle mir nicht, im Folgenden eine vollständige und abgeschlossene Theorie der Begriffsbildung und eine Lösung all der mannigfachen Fragen, die in Bezug auf die Begriffe in Betracht kommen, gegeben zu haben. Ich wollte bloß ein wenig zur Klärung der verschiedenen Bedeutungen von abstrakt und Abstraktion, die sich hier geltend machen, beitragen.

THOMAS von AQUIN (1) unterscheidet zweierlei Arten von Abstraktion: Erstens "secundum quod forma abstrahitur a materia, sicut forma circuli abstrahitur ab omni materia sensibili" [insofern die Form von der Materie abstrahiert ist, so wie die Form eines Kreises von seiner sinnlichen Materie abstrahiert ist. - wp] und zweitens "secundum quod universale abstrahitur a particulari, ut animal ab homine" [insofern das Allgemeine vom Besonderen abstrahiert wird, wie etwa das Tierische vom Menschen. - wp]. Ich habe diese beiden Arten von Abstraktion in umgekehrter Reihenfolge, als sie bei THOMAS sich finden, angeführt, weil ich später nachweisen will, daß die von mir zuerst genannte, wie ich sie zumindest verstehe, genetisch von grundlegender Bedeutung für die zweite ist, derart, daß sie stets voraufgegangen sein muß, wenn die zweite sich vollziehen soll. Die angeführte Unterscheidung, in dem Sinn, in welchem ich sie nehme, eignet sich nun sehr, den Ausgangspunkt unserer augenblicklichen Betrachtung zu bilden. Sie betrifft nämlich danach nur diejenigen Arten von Abstraktion, welche bei der Begriffsbildung in Betracht kommen, und sich dabei doch nicht nur in dem, was abstrahiert wird, sondern, da im Denken des Allgemeinen ein ganz neues Bewußtseinsmoment zur Geltung kommt, auch als Bewußtseinstatsache voneinander unterscheiden.

Die "Form", welche THOMAS in der ersten Abstraktionsart von der "Materie" abstrahiert werden läßt, ist hier wohl identisch mit der Essenz oder Wesenheit, welche im betreffenden realen Gegenstand zur realen Geltung kommt. Denn mag es auch "formae subsistentes" und "formae separatae" geben, d. h. "Formen", die ohne alle "Materie" real existieren können, so sind doch die "Formen" der äußeren Dinge, von deren Abstraktion allein oben die Rede war, abgesehen von ihrer "Materie", nichts als Wesenheiten oder Essenzen (2), die nur als ideal objektive Momente von Gedanken Bedeutung haben. So betrachtet, erstrecken sich die "Formen", die in der ersten Abstraktionsart abstrahiert werden, auf alles, was die Dinge wirklich sind, was sie in ganz spezieller, bestimmter Weise sind. Das, was wir von den Dingen unmittelbar erfahren, und genau so, wie wir es erfahren, wird hier vom Intellekt abstrahiert und seinem Denken einverleibt. Nun ist aber als gesichert anzunehmen, daß das Bemerken stets einen zumindest impliziten Teilakt der schlichten Urteilsfähigkeit bilden muß, da jede urteilende Setzung in sich schließt, daß sich das Bewußtsein das "Gesetzte" zuvor ohne alle Setzung bloß seiner Wesenheit nach zugeeignet hat. Dies geschieht im Akt des bloßen "Bemerkens", welcher die Grundlage für alle weitere intellektuelle Tätigkeit bildet und das eigentliche Urteil vorbereitet. Es wird da zwar nicht bewußt auf die Wesenheit als solche abgezielt. Allein indem sich der Geist anschickt, die gegebenen Bewußtseinsinhalte geistig zu verarbeiten, geschieht es ganz von selbst, daß er, um den Gegenstand zu beurteilen, sich die Prädikate desselben zunächst rein ihrer Wesenheit nach zu Bewußtsein bringt. Dies besagt aber genau dasselbe wie die Abstraktion der "Form von der Materie" in dem eben dargelegten Sinn. Daß im "Bemerken" tatsächlich eine Abstraktion stattfindet, wird niemand seltsam finden, der sich vergegenwärtigt, daß Abstraktion hier nicht einen Akt des Absehens oder dergleichen bedeutet, sondern nur besagen will, daß sich die Bildung eines Gedankens aufgrund von etwas Gegebenem vollzieht und daß daher das objektive Resultat dieses Gedankens als von dem Gegebenen entlehnt, von ihm "abgeleitet" betrachtet zu werden verdient. Im Bemerken geschieht nun aber tatsächlich nichts anderes als die ursprünglich unbewußte gedankliche Konstruktion oder Rekonstruktion des Gegebenen als Begriff; das "Bemerken" ist mit anderen Worten tatsächlich nichts anderes als die Abstraktion der Wesenheiten, die dem Gegebenen vollständig entsprechen, als Begriffe. Das "Bemerken" ist die erste Tätigkeit des Geistes den sinnlichen Daten gegenüber. Hier erst beginnt der "intellectus agens" sich zu regen. Es ist daher zugleich diejenige Tätigkeit, in der er sich erst die Grundlage für alles weitere Denken und Erkennen schaffen muß. Diese Grundlage besteht aber einzig und allein in einem gedanklichen Inne- und Zueigenhaben des Begriffs. "Begriff" ist all das, wodurch wir die Gegenstände begreifen und denken, wodurch sie uns begreiflich sind. Wir denken oder begreifen die Gegenstände aber nur dann, wenn wir wissen, als was wir sie anzusehen, für was wir sie zu nehmen haben. Unter diesem "Für was" oder "Als was" kann aber nicht wiederum ein realer Gegenstand gemeint sein, denn dieser wird ja selbst erst durch ein entsprechendes "Als was" begreiflich und denkbar. Dieses "Als was" oder "Für was" ist vielmehr identisch mit dem jeweiligen Begriff des Gegenstandes. Im gedanklichen Inne- oder Zueigenhaben der Begriffe besteht das eigentliche Wesen des Geistes, soweit er aktuell wirklich existiert. Er erkennt durch sie die Gegenstände, weil er selbst deren Gedanke ist (3). Würde dem nicht so sein, dann könnte gar keine Erkenntnis und gar kein Denken zustande kommen, weil das Bewußtsein dann sozusagen nicht aus der eigenen Haut herauskönnte, um die Gegenstände irgendwie geistig zu erfassen. Es besäße gar kein Mittel, um sie als etwas Bestimmtes zu begreifen, was nur durch den Begriff, der als Wesenheit, als Objekt des Geistes überhaupt, durch sich selbst bestimmt ist, geschehen kann. Ohne die Bildung der Begriffe würde es beim bloßen "Haben von Bewußtseinsinhalten" sein Bewenden haben, und "Anschauungen ohne Begriffe sind blind". Die sinnlichen Anschauungen, die wir von den äußeren Gegenständen haben, behalten als solche selbst dann, wenn sie bereits gedacht sind, noch immer den Charakter des schlechthin Vorhandenen, des einfach Gegebenen. Die Begriffe hingegen, welche wir im Akt des "Bemerkens" aufgrund der sinnlichen Anschauungen bilden, sind als gedankliche Gebilde unser eigenes Produkt. Wir fühlen dies auch ganz unmittelbar. Wir empfinden gleichsam das "Als was" der Gegenstände stets als von ihnen selbst unabhängig und ganz zu uns gehörig. Die Frage, wie es überhaupt denkbar ist, daß die Begriffe, die als solchce der Seele niemals von außen gegeben werden, die ihrer Natur nach nur etwas dem Geist aktuell Immanentes sein können, gleichwohl aufgrund der gegebenen sinnlichen Anschauungen von ihm gebildet zu werden vermögen, diese Frage löst CONSTANTIN GUTBERLET (4) am Besten dadurch, daß er auf die Einheit der Seele hinweist, deren einzelne Funktionen nicht separat neben und unabhängig voneinander bestehen und einander nichts angehen, sondern als Tatsachen ein und desselben Wesens von Grund auf einander bedingen und miteinander zusammenhängen. Falls daher die Anlage zur Begriffsbildung und zum Denken der Seele von Haus aus eigen ist, dann ist es vollständig begreiflich, wenn diese Anlage durch die sinnlichen Anschauungen, welche die Seele von den äußeren Gegenständen hat, zur Aktualität gebracht werden kann. Es ist dies ebenso begreiflich, wie es uns ohne Schwierigkeit einleuchtet, daß bestimmte Urteile notwendig zu bestimmten Gefühlen und Willenshandlungen führen. Wir dürfen nur nicht unbeachtet lassen, daß auch die sinnlichen Anschauungen eine Bewußtseinstatsache darstellen, die auf sämtliche Funktionen der Seele irgendwie einen Einfluß ausüben können. Dazu kommt, daß wenn die Wesenheiten als solche auch mit den äußeren Gegenständen nicht identisch sind, jene doch durch diese dem Bewußtsein tatsächlich repräsentiert werden, in ihnen real zur Darstellung gelangen. Wenn daher, wie eben ausgeführt, die sinnlichen Anschauungen dieser Gegenstände überhaupt das Gesamtleben des Geistes irgendwie beeinflussen knnen, so liegt es auf der Hand, daß sie vor allem auch imstande sein müssen, die Bildung der Begriffe, die ihnen entsprechen, welche sie repräsentieren, herbeizuführen. Wie bei der Betrachtung eines Kunstwerks das von uns Erlebte als persönliches Erlebnis uns niemals von außen gegeben und dorch durch einen äußeren Gegenstand, in dem das Objektive dieses Erlebnisses zur Darstellung gelangt, veranlaßt werden kann, so bildet der individuelle Geist durch Veranlassung oder infolge der sinnlichen Anschauungen, die er in den äußeren Gegenständen hat, die verschiedenen Begriffe dieser Gegenstände als seine eigenen rein geistigen Gebilde. Im darauffolgenden Denken denkt dann der Geist die vorliegenden Gegenstände "als diese und diese", d. h. als die durch die entsprechenden Begriffe bestimmten, zu ihnen gehörigen Gegenstände.

Das eben Gesagte gilt von sämtlichen Begriffsarten, die wir im Folgenden kennen lernen werden, mit Ausnahme der Kategorien, die überhaupt nicht sinnlich angeschaut werden können. Was aber die in dem der schlichten Urteilstätigkeit zugrundeliegenden "Bemerken" entstandenen Begriff betrifft, so könnte man sie passend als schlichte Begriffe bezeichnen. Sie sind, was ihre Genesis anbelangt, die einfachsten, die zuerst gewonnenen, zugleich diejenigen, die im Bewußtsein bereits entstanden sein müssen, wenn die anderen von ihm gebildet werden sollen. Man könnte die schlichten Begriffe wohl auch als Einzelbegriffe bezeichnen. Einzelbegriffe sind solche, die vollständig bestimmt sind und im Unterschied von den Allgemeinbegriffen gar keine Variation mehr zulassen. Beispiele dafür wäre etwa das ganz bestimmte Grün, das ich eben vor Augen habe, die bestimmte Gestalt des eben vor mir liegenden Gegenstandes als Wesenheit gefaßt, oder die Zahl 2 (5). Dagegen darf man die schlichten Begriffe nicht mit den Individualbegriffen verwechseln. Diese beziehen sich nämlich auf das eigentliche Wesen einzelner individueller Gegenstände, jene nur auf bestimmte Seiten, Eigenschaften oder Momente derselben, und zwar so, wie wie in einem bestimmten Augenblick gerade erscheinen. Die Individualbegriffe sind die Folge einer intuitiv zusammenfassenden, auf den Grund gehenden Betrachtungsweise, welche das eigentliche Wesen der individuellen, konkreten Gegenstände gedanklich nachzukonstruieren und das in der schlichten Urteilstätigkeit Erkannte ihm als Folgen, Eigenschaften oder Momente unterzuordnen sucht. Bei der Bildung der Individualbegriffe ist also erstens das kategoriale Denken in hohem Maße mit im Spiel. Zweitens kann sie sich nur vollziehen, wenn schlichte Begriffe bereits bestehen und ihr ein zu verarbeitenes Material liefern. Es ist aber zu beachten, daß beim Denken der individuellen Gegenstände die Individualbegriffe durch schlichte Begriffe vertreten werden können und tatsächlich oft vertreten werden. Nachdem die Gegenstände in der schlichten Urteilstätigkeit erkannt worden sind, können sie nämlich mittels der gewonnenen schlichten Begriffe auch in substantivischer Weise gedacht werden. Sie werden da als individuell, aber nicht mittels Individualbegriff gedacht.

Was die Allgemeinbegriffe betrifft, so beziehen sie sich im Gegensatz zu den schlichten und Individualbegriffen, welche wir gemeinsam als Einzelbegriffe bezeichnen können, auf das Allgemeinbegriffe in den Gegenständen. Es empfiehlt sich, hierbei mit LOTZE (6) zweierlei Allgemeines und damit zweierlei Allgemeinbegriffe zu unterscheiden. Ein erstes Allgemeines, dessen Einzelnes die den schlichten Begriffen entsprechenden Einzelvorstellungen sind, und ein zweites Allgemeines, dessen Einzelnes das den Individualbegriffen entsprechende spezielle Wesen der Einzelgegenstände ist.

Das Allgemeine höherer Ordnung oder das zweite Allgemeine setzt das erste Allgemeine ebenso voraus, wie der Individualbegriff die schlichten Begriffe voraussetzt. Es enthält es in den sogenannten Merkmalen, die ebenso allgemein gefaßt werden müssen wie das Wesen selbst (7), als Elemente oder "Bausteine" in sich. Es ist nun zu beachten, daß im Bewußtsein des Allgemeinen eine ganz neue Bewußtseinstatsache zur Geltung kommt. Es gehört zum Wesen des Allgemeinen als solchen, daß es unbestimmt, daß es für nähere Determinationen im Einzelnen offen ist, daß es erst durch die Bestimmtheit, die es im Einzelnen gewinnt, überhaupt zu einem vorstellbaren, "qualitativ bestimmten Etwas" wird, daß es also für sich allein überhaupt nicht vorstellbar ist und nur in der Intention des Gedankens erfaßt werden kann. In dem bestimmten Bewußtsein von etwas aber, das weder dieses noch jenes Bestimmte ist und doch in ihnen beiden als das in ihnen sich Differenzierende in eigentümlicher Weise implizit mitenthalten ist, mit einem Wort, in einem Bewußtsein vom Allgemeinen liegt etwas psychologisch so Eigenartiges, Merkwürdiges und auf nichts weiter Zurückführbares vor, daß man mit Recht für die Bildung derartiger Gedanken mit CARL STUMPF (8) eine besondere Funktion des Bewußtseins, die Generalisation, in Anspruch nehmen darf.

Wie haben wir uns aber die Abstraktion der Allgemeinbegriffe als allgemeiner Wesenheiten des Näheren vorzustellen? Ich glaube, daß folgende Überlegung zu einer Lösung dieser Frage führen kann. Das Allgemeine bildet nicht nur ein Moment der einzelnen realen Gegenstände, es ist nicht nur stets in der besonderen Bestimmtheit derselben als Träger, als das sich in ihr Differenzierende mitgegeben (9), sondern es bildet auch ein Moment der Begriffe dieser Gegenstände, sofern sie Einzelbegriffe sind, die ihrem Inhalt nach mit dem Gegebenen übereinstimmen. Und da diese Begriffe als Wesenheiten, als ideale Gegenstände kein anderes principium individuationis als die Verschiedenheit ihres Inhalts haben, so wiederholt sich in ihnen allen das Allgemeine als ein im eigentlichen Sinne absolut identisches Moment (10). Wenn daher beim Wahrnehmen verschiedener Gegenstände, die unter denselben Allgemeinbegriff fallen, die Einzelbegriffe dieser Gegenstände im Bewußtsein erwachen, so muß sich ihm, falls es überhaupt das Allgemeine zu denken fähig ist, vermöge seiner realen Identität in allen seinen Gedanken das Identische in all diesen Begriffen ganz von selbst aufdrängen und bewußt werden. Das Identische der Einzelbegriffe ist ihr übergeordneter Allgemeinbegriff. Dieser wird demnach nicht direkt von den äußeren Gegenständen selbst, in denen er nur implizit zur Darstellung gelangt, sondern von den Einzelbegriffen dieser Gegenstände abstrahiert. Die Abstraktion besteht hier in einem Bewußtwerden eines identisch Allgemeinen in den Begriffen und nicht in einem "Bemerken" des Allgemeinen an den äußeren Gegenständen. Daß dem so ist, beweist die Tatsache, daß wir uns wohl erinnern können, dieses oder jenes Moment an den Gegenständen zuerst kennen gelernt und wahrgenommen, nicht aber das Allgemeine je an ihnen selbst zum ersten Mal entdeckt zu haben. Es ist auch falsch, zu sagen die Allgemeinbegriffe seien infolge irgendeiner vergleichenden Tätigkeit an den äußeren Gegenständen entstanden. Erstens widerspricht dem die Erfahrung. Wenn wir uns genau beim Erwerb irgendwelcher neuer Allgemeinbegriffe beobachten, werden wir finden, daß wir dabei nicht zuerst die Gegenstände in vergleichende Beziehung zueinander setzen und dann ihren Allgemeinbegriff als Resultat erhalten, sondern gleich beim ersten Auftauchen und Wahrnehmen von neuen Gegenständen, die mit früheren, von uns bereits wahrgenommenen zu demselben Allgemeinbegriff gehören, geht uns dieser wie von selbst auf, was nach uns als Folge vom Bewußtwerden des Identischen in den Einzelbegriffen zu erklären ist. Der Allgemeinbegriff kommt den äußeren Gegenständen vielmehr von Seiten des Bewußtseins entgegen, anstatt von ihnen irgendwie erst entlehnt werden zu müssen. Ferner ist auch zu bedenken, daß im ersten Kindesalter, wo wir uns die meisten der gewöhnlichen Begriffe aneignen, die vergleichende Tätigkeit doch nicht so tief und klar vor sich geht, daß sie ein derartiges Resultat hätte zeitigen können. Schließlich hat bereits HUSSERL darauf aufmerksam gemacht (11), daß man von Gleichheit nur mit Rücksicht auf Allgemeinbegriffe, denen die verglichenen Gegenstände unterstehen, sprechen kann. Jede vergleichende Tätigkeit hat infolgedessen das Vorhandensein von Allgemeinbegriffen im Bewußtsein zur Voraussetzung und kann darum nicht selbst der Ursprung derselben sein. Man darf die psychologischen Allgemeinbegriffe auch nicht als "Niederschläge" oder Ergebnisse von eigentlichen Urteilen bezeichnen. Sie müssen vielmehr allen auf das Allgemeine Bezug habenden Urteilen, denen sie entsprungen sein sollten, schon zugrunde liegen. Um das Allgemeine den Gegenständen zuzuerkennen, um sie, mittels ihres Allgemeinbegriffs denken zu können, muß das Bewußtsein diesen Allgemeinbegriff sich schon zuvor zueigen gemacht haben.

Man kann wohl alles Denken mittels Begriff, sei dieser welcher Art auch immer, als ein Ergebnis von Urteilen bezeichnen. Indem ich etwas mittels eines Begriffes denke, muß ich ja wissen, daß ihm dieser Begriff zukommt, daß er an ihm teilnimmt. Die Begriffe selbst hingegen müssen in allem Denken, in dem sie überhaupt eine Rolle spielen, diesem Wissen vorausgehen. Die Begriffe sind ihrem Wesen nach in erster Linie nicht selbst Objekte des Denkens, sondern dasjenige, was die erste Voraussetzung und tiefster Grund für alles weitere Denken und Wissen bildet. Nur durch sie kann erst der Geist der Gegenstände Herr werden. Ihr gedankliches Zueigenhaben mach sein Wesen aus, durch das er auch die Gegenstände begreift.

Eine besondere Gruppe von Begriffen bilden die Kategorien. Sie entsprechen den kategorischen Eigenschaften der Gegenstände. Es kann in Bezug auf ihre Entstehung im Bewußtsein von keinerlei Abstraktion die Rede sein, da sie das sinnliche Material in gar keiner Weise mitkonstruieren, in ihm überhaupt nicht gegeben sind. Sie sind vielmehr ursprüngliche ideale Formen, in denen alles Gegebene in einer bestimmten Weise gedacht wird (12). Auf ihre eigentliche Bedeutung näher einzugehen, gehört nicht mehr zu meiner Aufgabe.

Schließlich sei noch bemerkt, daß im entwickelten Denken, wo sich alle intellektuellen Prozesse aufgrund von bereits bestehenden Begriffen vollziehen, der schlichte Denkakt, wie wir ihn früher beschrieben haben, überhaupt nicht mehr vorkommt. Implizit ist er freilich stets mit Ursache eines jeden neu entstehenden Gedankens an irgendeinem Gegenstand. Allein im Denken aufgrund bereits vorhandener Begriffe ist der schlichte Denkakt mit dem Gedanken des jeweiligen Begriffs gleich beim Auftauchen irgendeines Gegenstandes im Bewußtsein derart vereinigt, daß sie zusammen einen neuen durchaus einheitlichen Denkakt bilden (13). Ein solcher findet immer beim substantivischen Denken durch Begriffe statt, seien diese welcher Art auch immer. Der von mir nach dem Voranschreiten von LIPPS dargelegte schlichte Denkakt soll überhaupt nur das Produkt einer psychologisch-erkenntnistheoretischen Analyse und keine im gewöhnlichen Leben explizit zur Geltung kommende Bewußtseinstatsache sein. Als ein solches Produkt ist aber dessen Betrachtung wohl geeignet, den Grundstein einer allgemeinen Erörterung des Denkens zu bilden.


§ 2. Abstraktion und Determination

Viele der gewöhnlichen modernen Theorien der Begriffsbildung suchen die Entstehung der Allgemeinbegriffe mechanisch, nur durch die Tatsachen des Gedächtnisses zu erklären (14). Infolge derselben prägen sich nämlich bei der Wahrnehmung verschiedener,, aber doch zu demselben Allgemeinbegriff gehörender Gegenstände deren verwandte, gleichartige oder ähnliche Seiten oder Merkmale dem Gedächtnis besser ein, während das Besondere an den einzelnen Gegenständen immer mehr von der Aufmerksamkeit und Erinnerung vernachlässigt wird. Die besser eingeprägten gemeinsamen Momente der Gegenstände sollen nun den Allgemeinbegriff ergeben.

Es muß jedoch jedem, der sich einmal über das Wesen eines Gedankens gründlich Rechenschaft gegeben hat, einleuchten, daß auf diesem Weg allein sich höchstens nur eine sogenannte Allgemeinvorstellung im Gedächtnis bilden kann, d. h. eine Vorstellung, an der bestimmte Elemente oder Seiten heller hervortreten, andere hingegen mehr verdunkelt sind und leichter verschwinden. Eine bloße Vorstellung ist aber für sich allein, solange noch keine anderen psychischen Funktionen hinzutreten, nur ein Bewußtseinsinhalt sein kann, falls die Aufmerksamkeit sich auf ihn richtet, wohl zu einer Phantasie, niemals aber zum Bewußtsein eines Allgemeinbegriffs führen. Dieser muß vielmehr im Bewußtsein schon vorhanden sein, wenn jene Allgemeinvorstellung, deren Bedeutung ich für das Denken nicht verkenne, repräsentativ irgendwie als anschauliche Stütze soll verwendet werden können.

Das Wesentliche bei der Begriffsbildung, die tätige Abstraktion, der gedankliche Akt, durch welchen der Begriff als Grundlage alles weiteren Denkens und Erkennens in uns entsteht, ist, wie mir scheint, von jenen Theorien übersehen worden. Sie haben den radikalen Unterschied zwischen Gedanke und bloß sinnlicher Vorstellung und die Tatsache, daß die Begriffe nur mit jenem etwas zu tun haben, ganz übersehen. Deswegen gibt es für sie auch nur Allgemeinbegriffe, aber nicht zugleich Begriffe von einem absolut und vollständig bestimmten Einzelnen. Sie machten eben den Begrifff zu einer besonderen Art von Vorstellungen. Was sie jedoch zu ihren besonderen Konstruktionen verleitete, besteht, wie ich vermute, in einer Verwechslung zweier Bedeutungen des Wortes Abstraktion. Die Abstraktion, wie wir sie bisher kennen gelernt haben, bedeutet nicht absehen, willkürlich oder unwillkürlich etwas in Gedanken unberücksichtigt lassen, sondern sie bedeutet, der ursprünglichen Bedeutung des Wortes sehr nahe kommend, etwas von entlehnen, es gleichsam von ihm abziehen. Die Begriffe werden von mir, obwohl sie eigentlich nur Gebilde des Denkens sind, doch nur aufgrund des Gegebenseins der Gegenstände, in denen sie realisiert sind, gebildet und dieses wird nun als ein Entlehnen oder Abziehen des Begriffs vom Gegenstand gedeutet.

Andererseits bedeutet abstrahieren tatsächlich auch "von etwas absehen", etwas bewußt oder unbewußt gedanklich vernachlässigen oder "in Abzug bringen". Und auch in diesem im Vergleich zum vorhergehenden durchaus neuen Sinn kommt das Wort Abstraktion beim begrifflichen Denken in sehr weitem Umfang zur Geltung. Doch nicht bei der Begriffsbildung selbst, bei der eher etwas hinzugesehen als abgesehen wird, sondern im darauf folgenden Denken der Gegenstände durch ihre Begriffe, falls diese Allgemeinbegriffe sind. Allerdings meine ich auch dann, wenn ich die Gegenstände mittels ihrer Allgemeinbegriffe denke, die Gegenstände selbst, ganz wie sie in Wirklichkeit sind; ich meine dabei sie und nicht ihre Allgemeinbegriffe, die durch sie nur gedacht werden. (15) Allein es sind uns dabei doch ihre speziellen Besonderheiten, die sie im Einzelnen besitzen, ganz gleichgültig. Wenn ich von Menschen im Allgemeinen sprechen, dann ist mein Interesse und eigentliches Denken dabei nicht auch zugleich auf die besonderen Eigentümlichkeiten der einzelnen unter ihnen, sondern nur auf das Allgemeine, das ihnen allen gemeinsam ist, gerichtet. Ich meine dabei beim Denken durch Allgemeinbegriffe wohl die Gegenstände, wie sie in concreto sind, wir meinen dabei aber nicht alles, was sie in concreto sind. Das ist ja der Zweck, weswegen wir uns meist der Allgemeinbegriffe im Denken bedienen. Wir bringen durch sie die mannigfachen Gegenstände der Erfahrung in Klassen, Gattungen und Arten und sind auf diese Weise, indem wir uns um die Besonderheiten der einzelnen nicht kümmern, imstande, im eigentlichen Sinn des Wortes unendlich viele Gegenstände auf einmal zu denken. Es vollzieht sich dabei aber nicht in Bezug auf die Begriffe oder etwas an ihnen eine Abstraktion, sondern in Bezug auf den Inhalt der gedachten Gegenstände. Und zwar geschieht dies eben mit Hilfe der Begriffe. Diese sind hier nicht als abstrahiert, sondern als abstrahierend zu bezeichnen (16). Indem wir durch Allgemeinbegriffe denken, abstrahieren wir dabei ganz von selbst vom speziellen Gehalt der einzelnen Gegenstände. Und zwar ist das bis zu einem gewissen Grad hinsichtlich sämtlicher Allgemeinbegriffe der Fall. Es wird aber durch die Verwendung eines Allgemeinbegriffs im Denken umso mehr abstrahiert, je allgemeiner er ist. Je mehr er dies nämlich ist, desto mehr spezielle Eigentümlichkeiten der unter ihn fallenden Gegenstände werden bei seiner Verwendung im Denken vom Bewußtsein unbeachtet gelassen. Das ist auch der Sinn des alten bekannten Satzes, daß die Weite des Umfangs eines Allgemeinbegriffs immer im umgekehrten Verhältnis zum Reichtum seines Inhalts steht. Der Ersatz des Besonderen durch das Allgemeine im Allgemeinbegriff, auf den LOTZE (17) aufmerksam macht, gilt erstens nicht immer und gilt zweitens nur für den logisch-objektiven, nicht aber für den psychologischen Allgemeinbegriff, in welchem tatsächlich nur das in die Augen fallende Allgemeine der Gegenstände gedacht wird, und schließlich ist zu bedenken, daß das Allgemeine schon als solches immer ärmer ist, als das Besondere, durch das es bestimmt wird, da die Bestimmtheit selbst ja auch etwas ist. Das allgemeine Rot ist ärmer als das bestimmte Rot, die Farbe im Allgemeinen ärmer als das allgemeine Rot. Auch deswegen schon besteht jener Satz zu Recht.

Mit Verwendung - nicht Bildung - immer allgemeinerer Begriffe im Denken ergeben sich daher immer weitergehendere Abstraktionen in Bezug auf den wirklichen Inhalt der konkreten Gegenstände. Jeder einzelne Aufstieg zu einem um einen Grad allgemeineren Begriff hat schon eine solche Abstraktion zur Folge. Im Gegensatz hierzu wird die Verwendung eines bestimmteren statt eines weniger bestimmten Allgemeinbegriffs als Determination bezeichnet. Es liegt im Wesen der Wissenschaften, welche auf die Feststellung des Allgemeinen in den Dingen gerichtet ist, daß in ihr mehr die Abstraktion zur Geltung kommt, während die Kunst, welche vornehmlich das Bestimmte und Individuelle angeht, in ihren sprachlichen Darstellungen mehr zur Determination neigt.

Kehren wir zum Ausgang meiner Betrachtung zurück. Die Abstraktion in der neuen, eben dargelegten Bedeutung, bei der tatsächlich und zwar von vornherein und unwillkürlich (18) von etwas abgesehen wird, die aber das Entstandensein der Allgemeinbegriffe bereits voraussetzt, wurde, wie ich vermute, von den oben genannten Theorien der Begriffsbildung für diese selbst genommen. Da sie nun das Zustandekommen dieser Abstraktion, die wir einfach als Folge der Anwendung der im Bewußtsein bereits vorhandenen Allgemeinbegriffe zu verstehen haben, zu erklären suchten, verfielen sie auf die bei solchen Abstraktionen sich meist einstellenden Allgemeinvorstellungen und suchten nun deren Genesis begreiflich zu machen. Im Grunde ist aber mit dem Vorhandensein einer Allgemeinvorstellung hier nichts erklärt, weil sie eben nur eine Vorstellung und kein Gedanke ist.


§ 3. Das abstrakte Denken
und die ideierende Abstraktion

Ich habe die Begriffe als das "Als was" der Gegenstände definiert, als ihre Wesenheiten oder Ideen, in denen sie gedacht werden. Bei diesem Denken stehen jedoch nicht die Wesenheiten selbst dem Bewußtsein gegenständlich gegenüber; sie dienen ihm bloß, als Begriffe die entsprehenden jeweiligen Gegenstände zu denken. Es wird da in Begriffen oder mittels Begriff gedacht. Das Bewußtsein der Begriffe gehört gleichsam noch zum Subjekt und nicht zum Objekt. Indem wir etwas denken, und das heißt immer als etwas irgendwie Bestimmtes denken, so ist darin stets implizit die Tatsache enthalten, daß uns dessen Begriff als dasjenige, das dem ganzen Gedanken seinen Sin gibt, eigen ist. Sonst wäre der Gedanke unmöglich. Durch den Begriff können wir gleichsam das Objekt erst auffangen und uns gegenüberstellen.

Es ist aber beachtenswert, daß unsere Begriffe von den Gegenständen sich keineswegs immer mit den objektiven, wahren Begriffen derselben zu decken brauchen. Wir denken die Gegenstände vielmehr meist nur durch sehr unvollkommene Begriffe; wir denken sie oft nur aufgrund eines charakteristischen Sachverhalts, einer charakteristischen Eigenschaft, die uns zufällig von ihnen bekannt ist. Da es nun verschiedene Grade der Vollkommenheit gibt, in denen sich das Wesen der Gegenstände in den Gedanken der Einzelnen spiegeln kann, da ferner ein Gegenstand durch eine ganze Reihe von verschiedenen charakteristischen Eigenschaften auf verschiedene Weise bestimmt werden kann, so ergibt sich daraus, daß, wenn auch objektiv ein und demselben Gegenstand nur ein einziger Begriff entsprechen kann, da er ja nicht zweierlei ist, er subjektiv doch auf ganz verschiedene Weise begrifflich gedacht werden kann. Diese verschiedenen Weisen, in denen ein Gegenstand begrifflich in den Gedanken der einzelnen Individuen zur Geltung kommen kann, will ich im Gegensatz zu jenem einzigen objektiven Begriff subjektive Begriffe nennen. Es ist nun beachtenswert, daß sämtliche Definitionen subjektive Begriffe darstellen.

Der objektive Begriff, der dem eigentlichen Wesen des Gegenstandes entspricht, läßt sich in einem beschreibenden Satz gar nicht fassen, weil alles, was man von einem Gegenstand aussagen kann, nicht mehr sein Wesen, sondern irgendeinen seiner Sachverhalte oder irgendeine seiner Eigenschaften bedeutet. Die Urteile, welche sich wirklich auf das Wesen der Gegenstände beziehen, können immer nur lauten: Ein A ist, oder: Es besteht so etwas wie A. Das wahre leibhaftige Wesen eines Gegenstandes kann man nämlich nur in der unmittelbaren Intuition [und mit Gottes Hilfe - wp] erfassen. Deswegen hat auch das naive Bewußtsein einen gewissen Widerwillen gegen alle Definitionen, die ihm doch niemals das geben, was es meint. Was ein Mensch, was ein Tier, was ein Baum ist, muß man eben aus eigenem Erleben und Erfahren wissen. Jede Umschreibung, jede Auseinanderlegung zerstückelt und zerstört das Wesen des Gegenstandes in Gedanken und gibt ihn Wahrheit immer nur irgendwelche Sachverhalte und Eigenschaften, niemals das Wesen des Gegenstandes selbst wieder.

Das Gerippe von Merkmalen, welches in manchen Darstellungen der Logik als das Wesen eines Gegenstandes ausgegeben wird, nicht einmal ausreicht, es gehörig zu charakterisieren, hat bereits LOTZE zur Genüge dargelegt (19). Was aber den wahren objektiven Begriff betrifft, so kann er durch keine Formel der Welt dargestellt, sondern nur intuitiv erlebt werden. Darum nennen sich auch die Charakterisierungen und Umschreibungen der Begriffe in bescheidener Weise "Definitionen". Sie maßen sich nicht an, den objektiven Begriff wirklich wiederzugeben, sondern ihn nur zu bestimmen, zu charakterisieren und gegen andere "abzugrenzen".

Weil die Definitionen nur subjektive Gedanken über Gegenstände, nur subjektive Begriffe sind, darum kann es auch von ein und demselben Gegenstand eine ganze Reihe verschiedener Definitionen geben. So wird z. B. die Gerade das eine Mal definiert als eine Linie, die durch zwei Punkte schon vollständig bestimmt ist; sodann als eine Linie, die bei einer Drehung um sich selbst nicht aus ihrer Lage herauskommt; ferner als eine Linie, die zwischen zwei Punkten den kürzesten Weg darstellt usw. Hier haben wir lauter verschiedene subjektive Begriffe der Geraden, die sich auf verschiedene charakteristische Eigenschaften derselben aufbauen, niemals aber deren Wesen, das nur aufgrund einer bestimmten räumlichen Anschauung erhalten werden kann, zum Ausdruck bringen. Die in klaren Definitionen festgelegten Begriffe werden auch wissenschaftliche Begriffe genannt. Von ihnen gilt allerdings, daß sie Ergebnisse eigentlicher Urteile sind. Denn die Definitionen sind in der Tat niemals etwas anderes als Urteile über Gegenstände, mag es sich nun um Definitionen, die sich auf bestimmte charakteristische Eigenschaften der realen Gegenstände beziehen, oder um Definitionen, die bestimmte Tatsachen einem vom Bewußtsein fingierten Gegenstand beilegen, handeln. Weil aber die Definitionen im besten Fall Urteile über reale Gegenstände darstellen, niemals aber ihnen selbst konkruent sind, so hat ein Denken, das nur auf Definitionen aufbaut und nur mit Definitionen operiert, es nicht mit der Wirklichkeit selbst, sondern nur mit Gedanken über die Wirklichkeit zu tun. Darum wird ein derartiges Denken auch als abstrakt bezeichnet. Es wird damit als ein solches charakterisiert, das sich mit eigenen Gebilden beschäftigt und dabei der Wirklichkeit selbst "entzogen" oder entrückt ist. Die wissenschaftlichen Begriffe selbst werden dementsprechend als Abstraktionen bezeichnet, d. h. als etwas Unwirkliches, dessen Gedanke das Bewußtsein von der Wirklichkeit ablenkt. Und das sind sie in der Tat immer. Denn in Wirklichkeit existieren nicht irgendwelche Sachverhalte, sondern es existieren nur Gegenstände, von denen jedesmal unzählig viele Sachverhalte zugleich gelten. Von diesen greift nun die Wissenschaft solche heraus, die für die Erkenntnis besonders fruchtbar sind, d. h. aus denen sich auf leichtem Weg sehr vieles ableiten läßt, und verwendet sie zu Definitionen. Diese Definitionen werden dann als Begriffe der Gegenstände erklärt. Sie werden selbst zu Gegenständen erhoben. Es wird über sie und nicht über die Gegenstände nachgedacht. Es werden Schlüsse und Folgerungen aus ihnen abgeleitet und ihre Zusammenhänge mit anderen Definitionen werden ermittelt. Dabei kann es sich oft sogar um Begriffe oder Definitionen solcher Gegenstände handeln, die real gar nicht existieren und nur Fiktionen des wissenschaftlichen Denkens sind. Das gilt besonders von vielen Begriffen der modernen Naturwissenschaften, vom Atom, vom Äther, von den Lichtschwingungen. Hier kommt es nämlich, wie HEINRICH HERTZ bemerkt (20), nur darauf an,
    "daß die denknotwendigen Folgen der Bilder (= fingierten Vorstellungen) stets wieder die Bilder sind von den naturnotwendigen Folgen der abgebildeten Gegenstände",
oder mit anderen Worten: daß das aus den Begriffen der fingierten Gegenständen Gefolgerte sich auch praktisch verwerten läßt. Die naturwissenschaftlichen Begriffe sind eben vielfach nichts anderes als Hilfsmittel der Orientierung in Bezug auf eine bestimmte Gruppe von Erscheinungen, denen aber sonst gar keine reale Bedeutung beizumessen ist, und die deswegen immer von anderen, die sich als zweckmäßiger wie sie erweisen sollten, verdrängt werden können. Im Vergleich zum wissenschaftlichen steht das naive Denken der Wirklichkeit viel näher. Es lebt stets in den Anschauungen und dem unmittelbar Gegebenen. Und wenn seine Begriffe von diesem oft auch unvollkommen sind, so ist das nur die Folge einer ungenügenden Erfahrung, eines nicht gehörig entwickelten intuitiven Erkenntnisvermögens oder eines unzulänglichen intuitiven Scharfblicks.

Wie die subjektiven Begriffe der Definitionen durch Reflexion auf ihren Bedeutungsgehalt selbst zu Gegenständen des Denkens erhoben werden, so können auch die objektiven Begriffe, die eigentlichen Wesenheiten der realen Gegenstände, vom Bewußtsein als eigene, selbständige Gegenstände erfaßt werden. Dies geschieht in der von HUSSERL (21) so genannten ideierenden Abstraktion. In dieser Abstraktion, die sich in einem ganz eigenartigen Bewußtseinsakt vollzieht, können wir alles sub specie aeternitatis [im Licht der Ewigkeit - wp] betrachten, als bloße Essenzen, als bestimmte Denkinhalte, die abgesehen von aller Existenz ewige objektive Bedeutung haben. Der Inhalt des in dieser Abstraktion Erfaßten deckt sich mit, wie HUSSERL schon bemerkt (22), vollständig mit dem Inhalt der realen Gegenstände, nur die Auffassungsweise beider ist eine verschiedene. Der fragliche Akt heißt Abstraktion, weil in ihm stets der ideale Gegenstand vom realen gleichsam erst "abgezogen, erhoben oder entlehnt werden muß".

Die ideierende Abstraktion verhält sich zur Abstraktion der Begriffsbildung, die wir oben kennen gelernt haben, ähnlich wie die bewußte Reflexion über die Tragik einer Tragödie zum unmittelbaren, unwillkürlichen Ergriffenwerden von derselben. Ob THOMAS von AQUIN mit seiner Unterscheidung der zweifachen Art von Abstraktion die ideierende oder die begriffsbildende gemeint hat, weiß ich nicht. Ich hebe sie im ersten Sinn genommen. Als Gegenstände, die nur infolge einer Abstraktion gedacht werden können, sind natürlich sämtliche Wesenheiten als Abstrakta zu bezeichnen. Als Begriffe hingegen, d. h. sofern sie für das Bewußtsein als Grundlage allen Denkens in Betracht kommen, hat es einen guten Sinn, sie in konkrete und abstrakte Begriffe einzuteilen. Begriffe können nämlich als konkret oder abstrakt bezeichnet werden, je nachdem die Gegenstände, auf die sie sich beziehen, die in ihnen gedacht werden, es sind. Welche Gegenstände aber außer den Wesenheiten als Abstrakta zu bezeichnen sind, ist eine Frage für sich. Jedenfalls hat aber der Gegensatz zwischen abstrakten und konkreten Begriffen nichts mit dem Gegensatz zwischen Allgemein- und Einzelbegriffen zu tun. So sind die Begriffe von Adler, Raubvogel, Vogel, Tier, organisches Wesen obgleich Allgemein-, deswegen doch konkrete Begriffe. Wir denken nämlich in ihnen ganz konkrete Gegenstände. Dagegen sind die Begriffe von der Gestalt einer ganz bestimmten Figur, von einer ganz bestimmten Geschwindigkeit oder Beschleunigung obgleich Einzel-, deswegen doch abstrakte Begriffe. Denn ihre Gegenstände sind Abstrakta.


§ 4. Die Begriffe einerseits als Begriffe,
andererseits selbst als Gegenstände genommen.

Wir haben zweierlei Begriffe unterschieden, subjektive und objektive. Erstere kongruieren wohl mit irgendwelchen charakteristischen Sachverhalten der mittels ihrer gedachten Gegenstände, niemals aber mit diesen selbst. Letztere hingegen decken sich ihrem Inhalt nach ganz mit dem eigentlichen Wesen der entsprechenden Gegenstände. Die Worte "subjektiv" und "objektiv" beziehen sich hier nicht auf die Begriffe, sofern sie selbst gegenständliche Bedeutung haben, sondern auf die Begriffe, sofern sie ausschließlich als Begriffe anderer Gegenstände in Betracht kommen. Gewiß kommt auch den subjektiven Begriffen eine objektive Bedeutung zu, und zweifellos sind sie, selbst als Gegenstände gefaßt, als vollkommen rechtmäßige Gegenstände anzusehen. Denn logisch verdient, wie ich bereits einmal erwähnt habe, alles als Gegenstand angesehen zu werden, von dem sich überhaupt etwas aussagen läßt, von dem überhaupt etwas gilt, und von jedem Begriff gilt vor allem sein eigener Inhalt, das, was er bedeutet. Das Wort "subjektiv" bzw. "objektiv" soll hier vielmehr nur die fraglichen Begriffe als solche charakterisieren. Subjektive Begriffe sind eben solche, denen nur Tatsachen, die aus dem Wesen der Gegenstände folgen, entsprechen, und die nur deswegen als Begriffe dieser Gegenstände bezeichnet werden, weil dieselben mittels ihrer von uns gedacht werden. Dagegen sind die objektiven Begriffe, die mit der Wesenheit der entsprechenden Gegenstände identisch sind, schon bloß vermöge ihres Inhalts Begriffe dieser Gegenstände (23). Die Gleichheit und Parallelität zweier gegenüberliegender oder die bloße Parallelität je zweier gegenüberliegender Seiten eines Parallelogramms sind subjektive Begriffe desselben. Sein objektiver Begriff aber ist nicht weiter beschreibbar, sondern nur aus der Anschauung zu entnehmen, aus der sich übrigens außer den genannten noch viele andere charakteristische Sachverhalte des Parallelogramms ergeben. Weil aber die subjektiven Begriffe nur einem der mannigfachen Sachverhalte des Gegenstandes, also einem Abstraktum von der Art der unselbständigen Gegenstände, entsprechen, so werden sie gewöhnlich zum Unterschied von den objektiven Begriffen als Abstraktionen bezeichnet. Durch ihre Verwendung im Denken wird das Hauptaugenmerk vom Wesen des Gegenstandes, von seinem eigentlichen ursprünglichen Inhalt abgelenkt und irgendeinem seiner charakteristischen Sachverhalte zugewendet. Dies ist aber gleichbedeutend mit einer Abstraktio per modum simplicitatis [der Einfachheit halber - wp]. Es ist hier nur merkwürdig, daß nicht nur das Abstrahieren selbst, sondern auch die Begriffe, infolge deren Verwendung im Denken notwendig abstrahiert wird, Abstraktion genannt werden. Dies ist andererseits aber auch begreiflich, da es sich hier ja um die Begriffe als Begriffe und nicht um die Begriffe als Gegenstände handelt, und wenn sie in ihrem Zurgeltungkommen als Begriffe eine Abstraktion zur Folge haben, so sind sie es in ihrer Rolle als Begriffe, welche diese Abstraktion ausmachen. Die abstrakten Begriffe werden zuweilen auch als Abstraktionen bezeichnet. Doch sind sie nur eine besondere Art derselben. Denn sie haben nicht nur unselbständige Gegenstände zu ihrem eigentlichen Inhalt, sondern sie beziehen sich überhaupt nur auf solche. Die Allgemeinbegriffe sind meist wohl Abstraktionen, aber keine abstrakten Begriffe. Ob sie als objektive Begriffe gelten können, hängt erstens damit zusammen, ob in ihnen das allgemeine Wesen der Gegenstände für sich allein, oder mittels dieses allgemeinen Wesens sie selbst gedacht werden. Zweitens kommt es darauf an, ob die betreffenden Allgemeinbegriffe das allgemeine Wesen der Gegenstände, das für sich allein gedacht werden sollte, vollkommen wiedergeben oder nicht. Die in unserem Denken tatsächlich zur Geltung kommenden Allgemeinbegriffe sind meist unter allen Umständen nur subjektive Begriffe. Sie entsprechen dem Wesen der Gegenstände nicht nur nicht in spezieller, sondern nicht einmal in allgemeiner Weise ganz. Dies ist besonders dann der Fall, wenn es sich um ein Allgemeines höherer Ordnung handelt (24), das ansich einen sehr reichen, mannigfaltigen Inhalt hat, im Bewußtsein jedoch nur durch einige wenige allgemeine Momente der Gegenstände vertreten wird.

Von den zwei verschiedenen Klassen von Gegenständen, die als Abstrakta bezeichnet zu werden pflegen, haben wir nunmehr eine bereits kennengelernt. Es sind das die Begriffe, sofern sie selbst als Gegenstände in Betracht kommen. Sie werden alsdann, wie gesagt, Abstrakta genannt, weil sie uns auch als Gegenstände ursprünglich nicht gegeben sind, sondern erst mit Hilfe einer Abstraktion von uns gewonnen werden müssen. Das Wort Abstraktion ist hier insofern berechtigt, man darf hier deswegen von einem "Abziehen" der Wesenheiten von den realen Gegenständen sprechen, weil die Wesenheiten von den realen Gegenständen sprechen, weil die Wesenheiten zwar nicht real-psychologisch für das noch nicht denkende, wohl aber ideal-logisch für das bereits zu diesen Begriffen gelangte Bewußtsein in den realen Gegenständen gegeben sind. In diesen erscheinen die Begriffe dem Geist, der sie bereits kennt, als dasjenige, das ihren ewigen denkmöglichen Inhalt ausmacht, den sie nur momentan zur Verwirklichung bringen. Die realen Gegenstände sind in dieser Betrachtung nur Erscheinungen der entsprechenden Begriffe und in der Abstraktion der Begriffe wird nur das erscheinende Ideale von dem es zur Erscheinung bringenden Realen abstrahiert. Wer die Begriffe bereits kennt, der sieht sie auch unmittelbar in den realen Gegenständen, die real unmöglich wären, wenn jene ideal undenkbar sind. Dies ist nicht nur in Bezug auf die objektiven Begriffe richtig, die im Wesen der realen Gegenstände zur Erscheinung gelangen, sondern auch in Bezug auf die subjektiven Begriffe, die nur bestimmten charakteristischen Sachverhalten derselben kongruent sind. Denn diese Sachverhalte sind als bestimmte von den Gegenständen geltende Tatsachen, mit diesen zugleich gegeben und können an ihnen auch wahrgenommen werden. Dieses ideal-logische Gegebensein des Begriffs im realen Gegenstand, das dem gereiften Denken aufgeht, ist es auch, wie ich bereits angedeutet habe, was mich veranlaßt, auch in Bezug auf die ursprüngliche Entstehung der Begriffe im Bewußtsein von einer Abstraktion zu sprechen. Die subjektiven Begriffe, denen ein ganz bestimmter, klarer, leicht für sich allein erfaßbarer Sachverhalt am Gegenstand korrespondiert, werden aber ebenso wie die eigentlichen objektiven Begriffe in der Regel nicht bloß und nicht erst in der eigentlichen ideierenden Abstraktion, in der bewußt von einem "hic et nunc" [hier und jetzt - wp] der realen Gegenstände abgesehen und deren ewiger gedanklicher Inhalt zum Gegenstand des Denkens erhoben wird, in ihrer Objektivität erfaßt, sondern schon bei Gelegenheit der logischen Reflexion auf ihren objektiven Bedeutungsgehalt (25). In ihr findet ein eigenartiges Bewußtsein von Wesenheiten statt, welches die Mitte hält zwischen der ideierenden Abstraktion einerseits, in der die Wesenheiten mit vollem Bewußtsein im Unterschied von den realen Gegenständen selbst als Gegenstände aufgefaßt werden, und der ursprünglichen Abstraktion der Begriffe andererseits, in welcher die Wesenheiten uns überhaupt nicht gegenständlich bewußt werden, sondern nur in unseren Gedanken von den gegebenen Gegenständen als das dieselben als bestimmte Objekte Erfassende und Bestimmende enthalten sind. In der logischen Reflexion nämlich, in der wir über die Bedeutung eines Begriffs oder Sachverhalts als solche nachdenken, urteilen oder irgendwelche Folgerungen aus ihr als solcher ableiten, tritt uns diese Bedeutung zwar selbst als Gegenstand gegenüber, aber doch so, daß wir uns dabei eigentlich gar nicht dessen bewußt sind, mit was für einer Art von Gegenständen wir es in diesem Fall zu tun haben und was diese Gegenstände als solche des Näheren bedeuten. Wir urteilen da, ohne bestimmt und genau zu wissen, über was; wir folgern da, ohne bestimmt und genau zu wissen, aus wem oder was. Wenn wir z. B. erkennen, daß aus dem Begriff der Gleichseitigkeit eines Dreiecks die Gleichschenkligkeit stets mit Notwendigkeit folgt, so sind wir uns meist dabei erstens gar nicht dessen bewußt, daß es ein Begriff ist, aus dem wir das folgern oder aus dem sich das folgern läßt, und wir sind uns dabei zweitens auch gar nicht dessen bewußt, was Begriffsein, was Wesenheit überhaupt bedeutet. Wäre dem nicht so, dann hätte der langwierige und vielleicht auch jetzt noch nicht ganz beendete Streit zwischen Nominalismus und Realismus gar nicht entstehen können. Er ist dadurch allein möglich geworden, daß wir meist gar nicht merken, was wir in der logischen Reflexion tun und mit wem wir es da zu tun haben.

Ähnlich wie in der logischen Reflexion verhält es sich in verschiedenen anderen Fällen, wo das Einzelne und Besondere mit Rücksicht auf einen zugehörigen Allgemeinbegriff gedacht und beurteilt wird. (26) So z. B., wenn verschiedene Gegenstände in bestimmter Hinsicht miteinander verglichen werden. Auch hier tritt uns der Begriff als Hinsicht des Vergleichs gegenständlich gegenüber, ohne daß wir ein klares und deutliches Bewußtsein haben, was wir mit dieser Hinsicht meinen.

Sodann wäre vielleicht noch darauf aufmerksam zu machen, daß die Begriffe in der logischen Reflexion nicht im Hinblick auf die gegebenen Objekte selbst als Gegenstände abstrahiert werden, sondern nur durch Besinnung oder Reflexion auf die Bedeutung unserer eigenen Gedanken. Man kann daher in diesem Fall überhaupt nicht gut von einer Abstraktion, sondern bloß von einem Gegenständlichwerden der Begriffe sprechen.

Zum Schluß möchte ich noch ein Wort über die abstrakten Begriffe sagen. Ich habe die abstrakten Begriffe als solche definiert, die ein Abstraktum zum Gegenstand haben. Nun hat sich mir gezeigt, daß die Begriffe selbst, soweit sie selbst als Gegenstände in Betracht kommen, eine besondere Klasse von "Abstrakta" darstellen. Ist aber ein Begriff selbst Gegenstand des Denkens, dann ist das, was in diesem Denkakt als Begriff fungiert, nur dadurch vom Gegenstand verschieden, daß die Bedeutung des Umstandes, es handle sich nur um einen bloßen Begriff, um eine Wesenheit, mit zu seinem Inhalt gehört. Ein solcher Begriff unterscheidet sich vom Begriff des entsprechenden realen Gegenstandes in ähnlicher Weise, wie der Gedanke eines Baums sich vom Gedanken "eines" Baumes unterscheidet. Nun, auch die Begriffe welche Begriffe zum Gegenstand haben, sind, da ihr Gegenstand ein Abstraktum ist, abstrakte Begriffe. Ein solcher ist z. B. der Begriff "Menschheit" oder "Menschentum" in all den Fällen, wo man sich nicht bloß sprachlich eines Abstraktums pro concreto bedient und unter "Menschheit" nur die Gesamtheit der Menschen versteht. Ursprünglich bedeutet wohl die Menschheit die allgemeine Wesenheit des Menschen, seinen zum Gegenstand erhobenen Begriff. Ein anderes Beispiel wäre der Begriff des Weißen oder des Roten, sofern man darunter nicht ein einzelnes Weiß oder Rot, sondern die allgemeine Wesenheit des Weißen oder Roten versteht (27). Es ist jedoch nicht zu vergessen, daß diese Art von abstrakten Begriffen eben nur eine besondere Art derselben darstellt, daß allgemein aber derjenige Begriff immer abstrakt ist, der sich auf einen abstrakten Gegenstand bezieht, mag dieser nun ein zum Gegenstand erhobener Begriff oder ein unselbständiger Gegenstand sein.
LITERATUR - Elieser Fränkel, Begriffsbildung und Abstraktion, Philosophisches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft, Bd. 25, Fulda 1912
    Anmerkungen
    1) Thomas von Aquin, Summa theologica I, 40, 3c.
    2) vgl. Thomas, "Contra gent." III 24 und De anima, art. 1 ad 1.
    3) vgl. Thomas, De anima III 8, 431b 28.
    4) Gutberlet, Psychologie, zweiter Abschnitt, 1. Kapitel, § 5 III.
    5) vgl. Husserl, Logische Untersuchungen II, Seite 110.
    6) Hermann Lotze, Logik, Seite 28f. Bei Lotze hat jedoch das Wort Begriff eine andere Bedeutung als bei mir. Er unterscheidet daher nur zweierlei Allgemeines.
    7) vgl. auch Lotze, a. a. O., Seite 41.
    8) Stumpf, Erscheinungen und psychische Funktionen, Seite 24f.
    9) Theodor Lipps, Leitfaden der Psychologie, Seite 186.
    10) vgl. Husserl, Logische Untersuchungen II, Seite 112.
    11) vgl. Husserl, a. a. O. Seite 112
    12) Husserl, a. a. O. Kapitel 6.
    13) Bei diesem ist der schlichte Denkakt dasjenige, was dem ganzen Gedanken die kategoriale Formung gibt.
    14) Vgl. Benno Erdmann, Logik, § 10-12.
    15) Man muß stets das Denken der Gegenstände durch Begriffe und das Denken der Begriffe als Gegenstände streng auseinanderhalten.
    16) Ich vermag jedoch nicht die Bemerkung Kants (Logik § 6), man sollte die abstrakten Begriffe eigentlich abstrahierende nennen, als zutreffend zu bezeichnen. Erstens kommt die Eigenschaft, abstrahierend zu sein, sämtlichen Allgemeinbegriffen zu. Zweitens hat es auch, wie wir noch sehen werden, einen ganz guten Sinn, von abstrakten Begriffen zu sprechen. Daß man zuweilen nicht nur "abstrahere ab aliquo" [von etwas abstrahieren - wp], sondern auch, was Kant (a. a. O.) in Abrede zu stellen scheint, "abstrahere aliquid" [etwas abstrahieren - wp] sagen kann, geht schon aus den bisherigen Darstellungen genügend hervor.
    17) Lotze, Logik, Seite 41
    18) "Per modum simplicitas" [der Einfachheit halber - wp] im Sinne Thomas von Aquins (Contra gent. II 82)
    19) Lotze, Logik, Seite 46f.
    20) Heinrich Hertz, Einleitung zu den "Prinzipien der Mechanik".
    21) Husserl, Logische Untersuchungen II, Seite 221
    22) Husserl, a. a. O., Seite 109.
    23) Vgl. Stumpf, Erscheinungen und psychische Funktionen, Seite 33, Anm. Die beiden dort vorgebrachten Beispiele sind sehr geeignet, den dargelegten Unterschied zwischen subjektiven und objektiven Begriffen zu illustrieren.
    24) Vgl. oben "Über Abstraktion und Determination".
    25) Vgl. Husserl, Logische Untersuchungen II, Seite 103 und 221. Husserl scheint zwischen der logischen Reflexion und der eigentlichen ideierenden Abstraktion nicht zu unterscheiden, was mich sehr verwundert.
    26) Vgl. Husserl, a. a. O.
    27) Wenn gesagt wird, Ausdrücke wie Menschheit, Weiße, Röte und dgl. bezeichnen nur Attribute von Gegenständen, aber keine Gegenstände selbst, so steht das, falls man sich hier unter Gegenstand einen realen Gegenstand denkt, mit dem eben von mir Ausgeführten nicht in einem Widerspruch. Die Begriffe, für sich als Gegenstände gefaßt, sind mit Rücksicht auf die realen Gegenstände tatsächlich nur deren Attribute.