ra-2Oswald KülpeFr. Th. VischerBerthold von KernAugust Döring    
 
JONAS COHN
(1869-1947)
Allgemeine Ästhetik

"Man wird uns hier vielleicht einwerfen, daß der Vorgang des Wertens selbst doch ein seelisches Geschehen sei und daher in der Psychologie behandelt werden müsse. Das ist auch durchaus zuzugeben, nur beweist es hier ebensowenig, wie etwa der Einwand beweisen würde, die Töne seien doch physikalische Vorgänge, die Musiktheorie müsse also ein Teil der Physik sein. Denn die Physik untersucht das Zustandekommen der Töne als körperlicher Bewegungen ohne Rücksicht auf ihre Wirkung auf den Menschen und ganz analog betrachtet die Psychologie die vorgefundenen Wertungen als Tatsachen, die beschrieben und kausal erklärt werden sollen, ohne sich um den Grund ihrer Berechtigung zu kümmern. Die Unterscheidung eines guten und schlechten Geschmacks hat für den Psychologen gar keine Bedeutung. Daher können die Grundbegriffe der Ästhetik unmöglich der Psychologie entstammen."

"Wenn für manche Zweige der Kunstgeschichte in der Tat jedes, auch das geringste Überbleibsel von höchster Bedeutung ist, so liegt das nur daran, daß die unerbittliche Zeit ein uns unliebsame Auswahl vorgenommen hat und nun das Unbedeutende interessant wird, weil es einen Nachhall eines verlorenen Bedeutenden gibt oder doch geben könnte. Aber nicht nur für die Auswahl dessen, was ihr an den Kunstwerken bedeutend ist. Kein Kunsthistoriker wird den Kubikinhalt von Statuen berechnen oder die Feststellung der Buchstabenzahl von Dichtwerken für seine wesentliche Aufgabe halten, vielmehr hebt er zunächst stets das ästhetisch Bedeutende hervor, anderes nur insoweit, als es damit in Beziehung steht (Technisches usw.) oder als sich daraus über die historische Stellung des Werkes etwas schließen läßt."


Vorwort

Es ist die Absicht dieses Buches, das System der Ästhetik als kritischer Wertwissenschaft in seinen allgemeinen Umrissen zu entwerfen. Damit stellt sich der vorliegende Versuch von vornherein auf den Boden, den KANT der ästhetischen Wissenschaft bereitet hat. KANT vermochte dem ästhetischen Gebiet endgültig seine Selbständigkeit zu geben und seine Grenzen abzustecken, aber die wahre Bestimmung seines Inhalts und seiner Bedeutung blieb er trotz einiger unschätzbarer Anregungen schuldig. Hier hat dann die große Bemühung der späteren deutschen Ästhetik von SCHILLER bis HEGEL und FRIEDRICH THEODOR VISCHER eingesetzt; aber freilich ging dabei die kritische Besonnenheit mehr und mehr verloren und als nach dem Zusammenbruch des HEGELschen Systems größere Vorsicht eintrat, da begann leider zugleich eine merkwürdige Anarchie des Denkens. VISCHER selbst konnte, als er mit bewundernswerter, männlicher Entsagung das System, das er mit so vieler Mühe gebaut hatte, umstieß, nicht mehr zu methodischer Klarheit kommen. Sehr vieles ist seither im einzelnen geleistet worden, der innere Zusammenhang der Wissenschaft aber droht verloren zu gehen. Unter diesen Umständen ist es wohl an der Zeit, sich an die Aufgabe zu erinnern, welche RUDOLF HAYM vor bald 45 Jahren der Philosophie unserer Zeit stellte: "Es handelt sich darum, die dogmatische Metahphysik des letzten Systems  ins Transzendentale umzuschreiben."  (Hegel und seine Zeit, Berlin 1857, Seite 468). Dieses Programm hat sich weniger schnell erfüllen lassen, als HAYM damals vermutete. Es kostete die ernste Arbeit einer Generation von Forschern, nur einmal den kritischen Kern aus KANTs Lebenswerk rein herauszuarbeiten. Erst jetzt kann man daran gehen, die notwendige inhaltliche Ergänzung des Kritizismus vorzunehmen, ohne daß man fürchten muß, die strenge Festigkeit der kritischen Grundlage zu verlieren.

Diese Bemerkungen zeigen, daß die vorliegende Arbeit als eine systematisch-philosophische angesehen sein will. Das lebendige Interesse aber und die Freude an meinem Gegenstand gibt mir die Hoffnung, daß ich möglicher Weise auch solchen etwas nützen kann, die von der Kunst, nicht von der Philosophie her an die Ästhetik herantreten, den Kunstkritikern und Kunsthistorikern - vielleicht sogar einem Künstler, der aus der Verwirrung des landläufigen Kunstgeredes zu theoretischer Klarheit herausstrebt. Gerade im Gedanken an solche Leser habe ich mich bemüht, meine Darstellung so einfach und verständlich zu halten, wie es mit wissenschaftlicher Strenge irgendwie verträglich schien. Freilich manche Auseinandersetzungen mit fremden Ansichten wird der philosophisch nicht vorbereitete Leser überschlagen müssen, wie denn auch die Anmerkungen zum größten Teil nicht für ihn geschrieben sind.

Bei einem systematisch-philosophischen Buch macht die Behandlung der Literatur stets besondere Schwierigkeiten. Alle Vorgänger gründlich zu behandeln, ist schon deshalb unmöglich, weil die Kritik dann das Buch zu einer unförmigen Masse aufblähen würde. Eine kurze Erwahnung aber tut philosophischen Gedanken oft unrecht, da sie nur aus ihrem Zusammenhang heraus gewürdigt werden können. Zudem ist bei einer so unübersehbaren Literatur, wie sie auf ästhetischem Gebiete vorliegt, eine auch nur annähernde Vollständigkeit nicht erreichbar. Einige Autoren haben diese Schwierigkeiten dadurch überwunden, daß sie überhaupt nicht zitieren. Diese in manchen Fällen gewiß berechtigte Übung konnte ich mich doch nicht entschließen anzunehmen. Denn Auseinandersetzung mit anderen Meinungen schien mir ein zu bedeutendes Mittel der Verständigung, Erwähnung wichtiger Vorgänger eine Pflicht literarischer Dankbarkeit zu sein. Der mit dem Gebiet weniger bekannte Leser endlich ist auch für fragmentarische Literaturnachweise dankbar. Meine literarischen Anmerkungen geben daher wenigstens eine subjektive Auswahl aus der Literatur: die Arbeiten, aus denen ich Wichtiges gelernt habe, diejenigen, mit denen mich kritisch auseinanderzusetzen, wünschenswert schien, endlich manches, worauf aufmerksam gemacht zu werden, vielleicht manchem Leser angenehm sein könnte. Auf Vollständigkeit und Objektivität verzichtete ich von vornherein, - ich weiß, daß jeder, der auf ästhetischem Gebiet gearbeitet hat, sich über Fehlendes und über Erwähntes wundern wird. Auf die vorkantische Literatur bin ich nur selten zurückgegangen.

Da ich einmal beim Bekennen notwendiger subjektiver Mängel meiner Arbeit bin, sei noch ein anderer eingestanden. Kaum wird es einem Leser entgehen, daß die Musik weit seltener zu Beispielen herangezogen ist, als die übrigen Künste. Das hat seinen Grund darin, daß ich völlig unmusikalisch bin. Ich habe mich daher begnügt, nur diejenigen allgemeinen Verhältnisse dieser Kunst zu erwähnen, die auch einem rein theoretischen Verständnis zugänglich sind. Da ich nur eine allgemeine Ästethik, kein System aller Kunsttheorien schrieb, war das möglich.


Einleitung

Für die Behandlung einer philosophischen Einzelwissenschaft sind stets zwei Möglichkeiten vorhanden. Entweder man geht von den Grundwahrheiten eines Systems der Philosophie aus, bestimmt die Stellung der zu behandelnden Einzelwissenschaft in diesem System und leitet ihre Grundbegriffe aus seinen allgemeinen Prinzipien ab, oder man sucht die besondere Disziplin von ihrer eigentümlichen Aufgabe aus zu begründen und bemüht sich, schließlich von hier aus auch die allgemeinere philosophische Bedeutung derselben festzustellen. Den zweiten dieser Wege will ich in Bezug auf die Ästhetik einschlagen. (1) Es geschieht dies, damit die Voraussetzungen im Verlaufe der Untersuchung selbst entwickelt und gerechtfertigt werden können. Dadurch ist die Möglichkeit gegeben, daß der Leser jeden Schritt des Gedankengangs nachprüfen kann, nirgends gezwungen wird, Voraussetzungen zunächst einfach hinzunehmen. Es wird dabei nicht verkannt, wieviel Vorteil derjenige hat, der der Kunst und dem Schönen von Anfang an einen bestimmten Platz in einem System der menschlichen Betätigungen oder gar in einer vollendeten Weltanschauung (2) anzuweisen vermag. Ihm ergeben sich wie von selbst die Richtlinien der Betrachtung, schon die elementaren Bestimmungen werden geweiht durch den großen Zusammenhang, in den sie eintreten. Viel nüchterner muß der andere anfangen, der einen solchen Zusammenhang nicht sogleich zu bieten vermag; aber vielleicht entschädigt es einigermaßen für diesen Mangel, daß bei ihm klarer hervortritt, was das ästhetische Gebiet und seine Betrachtung ihrerseits zur Lösung jener höchsten philosophischen Aufgaben beizutragen vermögen.

Nun setzt freilich auch diese Aufgabenstellung schon etwas voraus: nämlich, daß ein Gebiet als das ästhetische irgendwie abgegrenzt ist. In der Tat bringt ein jeder eine solche Abgrenzung, wenn auch nur undeutlich und in verschwommenen Linien, zur wissenschaftlichen Betrachtung mit. Nicht nur wir, die Erben einer ungeheuren Gedankenarbeit, gehen mit irgendwie bestimmten Begriffen des Schönen und der Kunst an die wissenschaftliche Orientierung heran, nein, schon die Ersten, die sich bemühten, hier schärfere Rechenschaft abzulegen, gingen dabei von Unterscheidungen des gewöhnlichen Sprachgebrauchs, d. h. des damals noch in vollem Sinn des Wortes vorwissenschaftlichen Denkens aus. Zwei verschiedene Begriffsbildungen waren es, die hier den  Sophisten  und SOKRATES vorlagen; denn diese Generation war wohl die erste, bei welcher von wissenschaftlicher Reflexion über ästhetische Gegenstände zu reden ist. Einerseits wurden gewisse Dinge, Personen und Handhabungen durch das Beiwort "schön" ehrend ausgezeichnet, andererseits gab es einige Berufsarten, die es sich zur Aufgabe stellten, Dinge hervorzubringen, die ohne praktischen Zweck nur erfreuten und erhoben, die nichts als schön sein sollten. Diese beiden Unterscheidungen wurden aber von der Sprache in sehr verschiedener Art dem wissenschaftlichen Denken entgegengebracht. Das Wort "schön" hatte zwar eine Kernbedeutung, die es von halbverwandten Begriffen unterschied, es wurde aber, wie es solchen allgemeinen Wörtern stets zu gehen pflegt, über diesen Kern hinaus angewendet, so daß andere Bezeichnungen wie gut, angenehm oder nützlich mit ihm zusammentrafen. (3) So bot es dem Bemühen klarer begrifflicher Scheidung Schwierigkeiten, kam aber dem Bestreben entgegen, die Einheit aller Wertprädikate festzuhalten. Die Bezeichnungen besonderer menschlicher Tätigkeiten sind im Gegenteil tatsächlich vorhandenen Unterschieden entnommen. Daß der Bildhauer nebenan und der Schuster gegenüber etwas verschiedenes treiben, ist so einleuchtend, wie daß der Hund keine Katze ist. Viel ferner lag es dagegen, eine Gruppe von Berufsständen, die praktisch nichts gemein hatten, näher zusammenzufügen und den Allgemeinbegriff des Künstlers zu bilden, welcher so gut den Dichter wie den Maler, den Baumeister wie den Bildhauer, den Musiker wie den Schauspieler umfaßt. Hier also liegt das Trennende, Besondere näher als das Verbindende. Diese einander gleichsam entgegenkommenden Anregungen des vorwissenschaftlichen Sprachgebrauchs zur Einheit zu verarbeiten, war die Aufgabe des wissenschaftlichen Denkens; und in der Tat hat die Betrachtung des Schönen den Gesamtbegriff der schönen Kunst erst hervorgebracht, das Bedürfnis, der Kunst gerecht zu werden, umgekehrt den Begriff des Schönen stets von neuem aus drohenden Vermischungen gelöst.

Wenn wir heute von denjenigen Begriffsbildungen ausgehen, die das gewöhnliche Denken unserer Zeit beherrschen, so befinden wir uns in eienr von der des SOKRATES sehr verschiedenen Situation. Denn es wäre wenig zutreffend, wollte man das, was die landläufige Erziehung uns als selbstverständlichen Schatz von Begriffen mitgibt, als vorwissenschaftlich bezeichnen. Durch hunderte von Kanälen sind die Resultate wissenschaftlichen Forschens und philosophischen Nachdenkens in den Strom des allgemeinen Sprachgebrauchs geleitet worden. Sie haben das gewöhnliche Denken bereichert und sehr viel mehr, als man meist ahnt, von seiner Ursprünglichkeit abgelenkt; sie sind dabei selbst abgeschliffen und vielfach ihrer ursprünglichen Bestimmtheit beraubt worden. Was sie heute sind, ist Resultat eines langen und verwickelten historischen Prozesses. Nehmen wir dieses Resultat zum Ausgangspunkt einer wissenschaftlichen Betrachtung, so bekennen wir uns damit als Erben dieser Geschichte. Wir gehen von der Vermutung aus, daß der historische Verlauf nicht wertlose und unberechtigte begriffliche Scheidungen aufbehalten und gefestigt haben wird; aber wir treten diese Erbschaft nur mit Vorbehalt an. Ob unser guter Glaube an die Vernünftigkeit der überkommenen Unterscheidungen sich bewähren wird, ob und wo wir genötigt sein werden, ändernd einzugreifen, das soll uns die unabhängige Untersuchung lehren, der wir die überkommene Begriffswelt als Leitfaden, aber nicht als Autorität darreichen. Nur vorläufige Bedeutung also kann es haben, wenn wir das Schöne und die Kunst als Gegenstand der Ästhetik bezeichnen. (4) Dies spricht sich auch in der bloßen Nebeneinanderstellung der beiden Begriffe aus. Es soll eben nur eine allgemeine Zusammengehörigkeit, nicht schon irgendein näheres Verhältnis von ihnen ausgesagt werden.  Eine  Inkongruenz beider Begriffe macht sich jedoch schon beim ersten Überblick geltend. Wir schätzen viele Erzeugnisse der Künste, die wir uns doch - wenigstens nach dem Sprachgebrauch des gewöhnlichen Lebens - bedenken würden "schön" zu nennen. Die barocken Launen des Humors, das liebevolle Eingehen in die Eigentümlichkeiten des Unscheinbaren, die furchtbar erhabene Größe - das alles gehört mit zum künstlerisch Dargestellten. Der wissenschaftliche Sprachgebrauch hat sich dieser Schwierigkeit gegenüber dadurch geholfen, daß er dem Wort "schön" eine erweiterte Bedeutung gab. "Schön" wurde dabei gleichbedeutend mit "ästhetisch wertvoll" überhaupt und man nannte das Erhabene, Komische etc. "Modifikationen des Schönen" oder so ähnlich. (5) Das Wort "schön" erhält bei diesem Vorgehen einen Doppelsinn; es bedeutet erstens den Inbegriff alles ästhetisch Bedeutsamen, zweitens jene besondere Art des ästhetischen Wertes, die der gewöhnliche Sprachgebrauch mit "schön" bezeichnet. Es entsteht dadurch die Gefahr von Verwechslungen und Fehlschlüssen. Indessen ist eine solche Gefahr überwunden, wenn sie bemerkt ist. Daher wird es nicht nötig sein, im folgenden auf die eingeführte Bezeichnung Verzicht zu leisten, wenn nur durch Zusätze in zweifelhaften Fällen angegeben wird, welche Bedeutung gemeint ist. Man hat in neuerer Zeit (6) aus verwandten Gründen für den weiteren Begriff das Wort "ästhetisch" vorgeschlagen. Ich werde mich diesem Sprachgebrauch, so oft es zweckmäßig erscheint, anschließen.

Indessen auch als erste Abgrenzung bedarf die Definition "Wissenschaft vom Schönen und der Kunst" noch einer Erläuterung. Eine Wissenschaft ist nie durch ihren Gegenstand allein bezeichnet, vielmehr gehört zu ihrer Begriffsbestimmung notwendig die Angabe des Gesichtspunktes der Behandlung. Denn von jedem Gegenstand ist es möglich, unendlich vieles auszusagen und zu erkennen. So kann die Kunst Gegenstand historischer Schilderung sein, ihre Werke können als Dokumente menschlicher Kenntnisse betrachtet werden, die Aufmerksamkeit kann sich auf die technischen Vorgänge ihrer Herstellung richten, ihr Material kann naturwissenschaftlich analysiert werden usw. (7) Einer solche Mannigfaltigkeit möglicher Behandlungsweisen gegenüber soll die Ästhetik die Erkenntnis der allgemein wesentlichen Elemente sein. Damit ist zunächst nur eine Forderung aufgestellt, zu deren Erfüllung wenig Aussicht vorhanden zu sein scheint. Indessen führt uns eine einfache Betrachtung unserer populären Ausgangsbegriffe noch einen Schritt weiter. Was ist es, so können wir fragen, für eine Art von Unterscheidung, der das Wort "schön" dient? Sicherlich doch nicht die Heraushebung einer durch gemeinsame Merkmale verbundenen Klasse von Gegenständen, wie wir sie durch die Bezeichnungen Tier, Pflanze usw. abgrenzen. Denn welche gemeinsamen Merkmale hätte wohl ein Gebäude, ein menschliches Antlitz, eine Melodie? Auch um die gesonderte Betrachtung einer Merkmalgruppe, die vielen Dingen anhaftet, kann es sich aus demselben Grund nicht handeln. Weder räumliche, noch zahlenmäßige, noch irgendeinem Empfindungsverhältnis angehörige Besonderheiten sind allem als schön Bezeichneten gemeinsam. Nicht mit Wörtern wie ausgedehnt, hörbar oder farbig gehört "schön" in eine Bedeutungsklasse. Vielmehr sind seine begrifflichen Nachbarn, mit denen es sich in Grenzstreitigkeiten verwickeln könnte, Begriffe wie gut, wahr, nützlich, angenehm. Das alles aber sind Prädikate, durch die wir einen Wert beilegen. Dasselbe ergibt sich, wenn wir von den Künsten ausgehen. Nicht eine gemeinsame Art der Arbeit, eine Ähnlichkeit der Erziehung verbindet Maler und Dichter, Musiker und Baumeister; sondern wenn der gemeinsame Oberbegriff für alle diese Betätigungen überhaupt ein Recht hat, so kann dies nur aus einer Gemeinsamkeit der Ziele, aus einer Ähnlichkeit der Beurteilung, welcher die Produkte jener Berufsarten unterliegen, herfließen. Soll nun die Abgrenzung des ästhetischen Gebietes eine wesentlich berechtigte sein, so muß der Grund dieser Berechtigung mit dem Grund der Abgrenzung zusammenfallen. Wir können also unsere Begriffsbestimmung dahin präzisieren, daß  die Ästhetik die besondere Art von Werten zu untersuchen hat, die im Schönen und der Kunst herrschen. 

Eine besondere Art von Werten wird stets auf eine gewisse Gruppe von Gegenständen oder Ereignissen entweder ausschließlich oder in Konkurrenz mit anderen Wertungsweisen angewendet. Im Dienst einer bestimmten Art von Werten stehen ferner gewisse menschliche Tätigkeiten. Dieser Umkreis von Gegenständen, Ereignissen und Tätigkeiten, insoweit er unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Wertungsart betrachtet wird, heiße ein  Wertgebiet.  In diesem Sinn werde ich im folgenden von einem ästhetischen, logischen usw. Wertgebiet reden.

Eine jede Art von Wertschätzung drückt gleichzeitig einen gewissen Anspruch aus, den wir an die Beschaffenheit des Gewerteten machen. Aus der Art der Wertschätzung folgen ferner Vorschriften zur Erreichung des Gewerteten. Jene Ansprüche wie diese Vorschriften kann man in imperativer Form darstellen. Sie heißen dann Normen. Man hat daher die Wertwissenschaften vielfach Normwissenschaften genannt. Ich ziehe die erste Bezeichnung vor; denn einerseits betont sie das primäre Moment, da die Normen aus den Werten hervorgehen, wenn man die Bedingungen ihrer Verwirklichung hinzunimmt, andererseits hat die Bezeichnung "Norm" in der Ästhetik leicht den störenden Nebensinn einer Vorschrift für den schaffenden Künstler, einer Regel gewissermaßen, nach der Kunstwerke erzeugt werden können. Nun ist aber, wie sich aus der Bestimmung des ästhetischen Inhalts von selbst ergeben wird, künstlerisches Schaffen kein Arbeiten nach Regeln. Die Werte wirken hier vielmehr als immanente Gesetzlichkeit des schaffenden Genies.

Die Aufgabe der  allgemeinen  Ästhetik beschränkt sich darauf, das dem ganzen Wertgebiet Gemeinsame zu bestimmen und die wichtigsten Gliederungen innerhalb des Gebietes abzuleiten. Als allgemeine Ästhetik verzichtet dieses Buch sowohl auf die Erörterung der Theorien der einzelnen Künste, als auch auf eine Phänomenologie des Schönen, wie sie z. B. FRIEDRICH THEODOR VISCHER und EDUARD von HARTMANN geliefert haben. Ebenso liegt eine philosophische Betrachtung der Geschichte des Schönen und der Kunst außerhalb meines Plans. Was aus allen diesen Gebieten hier und da aufgenommen wird, dient dem Beweis oder der Erläuterung allgemeiner Sätze.

Die hier gegebene Bestimmung der Aufgabe der Ästhetik widerspricht anderen weit verbreiteten Anschauungen. Viele ziehen es vor, nach dem Wesen des Schönen zu forschen. Sie meinen, daß in allem Schönen - ganz unabhängig von unserer Wertschätzung desselben - eine gemeinsame Realität verborgen liege. Aber auch diese  Metaphysiker  werden uns zugeben müssen, daß wir zuerst und zunächst das Ästhetische als ein nach besonderer Art Gewertetes kennen; sie werden also unseren Ausgangspunkt anerkennen müssen, auch wenn sie sich mit unseren Resultaten nicht zufrieden geben. Gäbe es ein als wahr erwiesenes metaphysisches System, so müßte es freilich auch möglich sein, von ihm aus das Ästhetische abzuleiten. Aber alle Metaphysik hat die Einwände der Erkenntniskritik zu fürchten. Es wird sich weiterhin die Notwendigkeit ergeben, die Grenzen unseres Erkennens festzustellen und damit wird sich von selbst zeigen, warum den kühnen Versuchen metaphysischer Ästhetiker nicht folgen darf. Es werden ferner die Grundfehler der wichtigsten unter diesen Systemen bei Gelegenheit angedeutet werden. Im übrigen werden Liebhaber vielleicht die gewohnten heftigen Ausfälle und höhnischen Randglossen gegen die großen Metaphysiker in diesem Buch vermissen. Aber es scheint zur Zeit in der Tat wichtiger, von ihnen zu lernen, was sie an tiefen und gründlichen Einsichten in das Wertgebiet des Ästhetischen gewonnen haben, als sich an ihren Irrtümern zu reiben. Denn indem die Metaphysik den Wert aus dem "Wesen" ableiten will, faßt sie, wo sie das Wesen zu ergreifen meit, oft entscheidende Merkmale des Wertes.

Aber noch von verschiedenen anderen Seiten wird meine Definition angefochten werden. Die Psychologie nimmt häufig die Ästhetik als ein Teilgebiet in Anspruch; neuerdings hat auch die Soziologie behauptet, nur sie könne der Kunstwissenschaft die rechte Grundlage geben. Endlich kann man zuweilen ausdrücklich, häufiger als unausgesprochene Voraussetzung die Behauptung antreffen, daß in der Kunstgeschichte (8) alles über die Kunst gesagt werde, was überhaupt wissenschaftlicher Behandlung fähig sei.

Was zunächst die  Psychologie  betrifft, so ist es ihre Aufgabe, den nicht körperlichen Teil der Wirklichkeit in seine Elemente zu zerlegen und die Verbindungsformen und Verbindungsgesetze zwischen diesen Elementen festzustellen. Auch die Erlebnisse beim ästhetischen Anschauen und Schaffen fallen zweifellos in ihr Gebiet. Aber da die Psychologie Wertunterschiede so wenig kennt, wie die Körperwissenschaft, so hat sie ansich kein Interesse daran, das ästhetische Gebiet als ein besonderes abzugrenzen und etwa von dem des Angenehmen zu unterscheiden. Der Gefühlsverlauf ist in beiden Fällen ähnlich, die Verhältnisse der Assoziation, das Einwirken der Gewöhnung, die Bedeutung der Aufmerksamkeit bietet verwandte Bilder. Und in der Tat würde die Psychologie ebensowenig ein ästhetisches wie ein ethisches Gebiet kennen, wenn ihr diese Unterscheidungen nicht von anderswoher gegeben wären. Da dem so ist, kann die Psychologie unmöglich den wesentlichen Wert feststellen, und eine rein psychologische Ästhetik wird daher, so verdienstvoll ihre Untersuchungen auch sonst sein mögen, stets am Fehler der Prinzipienlosigkeit leiden. Sie würde noch hilfloser erscheinen, wenn sich nicht stets unbemerkt Wertunterschiede einschlichen. (9) Man wird uns hier vielleicht einwerfen, daß der Vorgang des Wertens selbst doch ein seelisches Geschehen sei und daher in der Psychologie behandelt werden müsse. Das ist auch durchaus zuzugeben, nur beweist es hier ebensowenig, wie etwa der Einwand beweisen würde, die Töne seien doch physikalische Vorgänge, die Musiktheorie müsse also ein Teil der Physik sein. Denn die Physik untersucht das Zustandekommen der Töne als körperlicher Bewegungen ohne Rücksicht auf ihre Wirkung auf den Menschen und ganz analog betrachtet die Psychologie die vorgefundenen Wertungen als Tatsachen, die beschrieben und kausal erklärt werden sollen, ohne sich um den Grund ihrer Berechtigung zu kümmern. Die Unterscheidung eines guten und schlechten Geschmacks hat für den Psychologen gar keine Bedeutung. Daher können die Grundbegriffe der Ästhetik unmöglich der Psychologie entstammen. Als Hilfswissenschaft freilich ist die Psychologie der Ästhetik unentbehrlich, da sie die allgemeinen Gesetze des Seelenlebens kennen lehrt, deren sich auch die ästhetische Wirkung bedient. Auch hier besteht die oben angegebene Analogie mit dem Verhältnis der Musiktheorie zur physikalischen Akustik zu Recht. Die Kenntnis der Schwingungsgesetze leistet Hilfe für die Theorie der Technik, ohne daß sie das Wesentliche der Musik berührt. (10)

Mit der psychologischen Begründung der Ästhetik teilt die soziologische die Verkennung des Wertgesichtspunktes. Sie sieht nicht, daß dieser schon bei der Entscheidung der Frage, welche sozialen Erscheinungen denn eigentlich ästhetischen Zwecken dienen, notwendig angewendet werden muß. Diese Frage wird besonders für die primitiven Völker, deren Verhältnisse als die einfachsten besonders aufschlußreich sein sollen, durchaus nicht leicht zu beantworten sein. Der Hauptvertreter der soziologischen Ästhetik in Deutschland, ERNST GROSSE, hat die Schwierigkeit dieser Frage auch anerkannt, ohne aber die notwendigen Folgerungen daraus zu ziehen (11). Es soll dabei nicht im geringsten geleugnet werden, daß ethnologische Forschungen uns auch kunstgeschichtlich interessante Aufschlüsse geben können. Aber für die Grundfragen der Ästhetik wird daraus nie etwas gewonnen werden, so wenig wie die Erkenntnistheorie aus dem Bekanntwerden mit dem Denken der Kinder und Wilden Anregungen schöpfen kann.

Die Einmischung von Wertgesichtspunkten, die in psychologischen und soziologischen Untersuchungen unberechtigt ist, hat in der Kunstgeschichte ihr notwendiges Recht. Denn die Geschichte kann ihren Stoff stets nur nach Wertprinzipien auswählen (12). Allerdings rühmen sich die Historiker der Literatur und bildenden Kunst oft ihrer Unabhängigkeit von allen Wertmaßstäben, sie sagen, sie wollen nur verstehen, ihnen sei, wie dem Naturforscher, der Gegenstand ansich gleichgültig; ob er schön oder häßlich sei, mache für ihre Forschung keinen Unterschied. Solche Äußerungen haben zwar ein gewisses Recht engen Beurteilern gegenüber, die die große Geschichte nur aus dem Gesichtspunkt ihres zufälligen individuellen Geschmacks anzusehen vermögen; ansich aber behaupten sie etwas Unmögliches. Wenn der Kunsthistoriker gar keine Wertunterschiede voraussetzte, so könnte er nicht einmal sein Material abgrenzen. Würde man rein äußerliche Momente, etwa die Einteilung in rhythmische Zeilen, den kurzen Umfang und das Fehlen einer objektiven Erzählung für den Begriff "Lyrik" maßgebend sein lassen, so hätte ein beliebiger Dichterling denselben Anspruch auf gründliche Berücksichtigung wie GOETHE (13). Und wenn man etwa den "objektiven" Maßstab des Einflusses auf die Zeitgenossen, der Verbreitung usw. anlegen wollte, so müßte immer das Kapitel "Kotzebue" mit dem Kapitel "Schiller" in unseren Literaturgeschichten an Umfang wetteifern. Wenn für manche Zweige der Kunstgeschichte in der Tat jedes, auch das geringste Überbleibsel von höchster Bedeutung ist, so liegt das nur daran, daß die unerbittliche Zeit ein uns unliebsame Auswahl vorgenommen hat und nun das Unbedeutende interessant wird, weil es einen Nachhall eines verlorenen Bedeutenden gibt oder doch geben könnte. Aber nicht nur für die Auswahl dessen, was ihr an den Kunstwerken bedeutend ist. Kein Kunsthistoriker wird den Kubikinhalt von Statuen berechnen oder die Feststellung der Buchstabenzahl von Dichtwerken für seine wesentliche Aufgabe halten, vielmehr hebt er zunächst stets das ästhetisch Bedeutende hervor, anderes nur insoweit, als es damit in Beziehung steht (Technisches usw.) oder als sich daraus über die historische Stellung des Werkes etwas schließen läßt.

Der Kunsthistoriker hat vielfach von diesen seine Arbeit beherrschenden Wertgesichtspunkten kein Bewußtsein. Es ist hier nicht der Ort, zu untersuchen, ob und inwiefern ihm Klarheit über diese Grundlagen nötig und nützlich ist. Bedeutende Vertreter dieser Wissenschaften haben sich hierin verschieden verhalten. Jedenfalls aber ist es ansich eine notwendige Aufgabe, die Voraussetzungen nachzuprüfen und klarzulegen, die hier gemacht werden. Die Ästhetik steht zur Kunstgeschichte in demselben Verhältnis, in dem philosophische Disziplinen überall zu Einzelwissenschaften stehen.

Was die Gliederung der Darstellung betrifft, so ergibt sich sehr ungezwungen eine Dreiteilung. Um zunächst das Recht der Aufgabenstellung überhaupt zu beweisen, muß festgestellt werden, ob und wie sie sich das ästhetische Wertgebiet gegen andere Wertgebiet abgrenzen läßt. Die so gewonnenen Merkmale des ästhetischen Wertes geben zugleich eine formale Charakteristik des Gebietes. Es wird sich dabei zeigen, daß so noch nicht der eigentliche Inhalt der ästhetischen Werte gefunden ist. Die Aufsuchung und Feststellung dieses Inhalts wird die Aufgabe des zweiten Teiles bilden. Endlich wird dann drittens zu fragen sein, welche Bedeutung das Schöne und die Kunst im Zusammenhang unseres Seins und Wirkens in Anspruch zu nehmen haben. Dieser dritte Teil führt über das rein ästhetische Gebiet hinaus und weist auf einen tieferen Zusammenhang aller philosophischen Wissenschaften hin.
LITERATUR Jonas Cohn, Allgemeine Ästhetik, Leipzig 1901
    Anmerkungen
    1) Nur scheinbar deckt sich diese Unterscheidung mit der von SCHLEIERMACHER (Vorlesungen über die Ästhetik, herausgegeben von LOMMATZSCH, Berlin 1842, Seite 21f) und besonders von FECHNER (Vorschule der Ästethik I, Seite 1) gegebenen einer Ästhetik von oben und von unten. Diese nämlich kommt wesentlich auf den Gegensatz von Deduktion und Induktion heraus. Meine zweite Methode aber ist keineswegs rein induktiv, sie sucht nur die Prinzipien ihrer Deduktionen aus dem ästhetischen Gebiet selbst zu gewinnen.
    2) Ein solches System ist nicht notwendig metaphysisch; SCHLEIERMACHER z. B. (a. a. O. Seite 50) sieht es in dem, was er Ethik nennt, d. h. in der Wissenschaft, welche für die freie Tätigkeit des menschlichen Geistes Gesetze aufstellt. Dagegen verbietet bei dem hier gewählten Plan natürlich schon die Methode, metaphysische Voraussetzungen offen oder versteckt zur Untersuchung mitzubringen.
    3) Man vergleiche das reiche sprachliche Material, das WALTER, Die Geschichte der Ästhetik im Altertum, Leipzig 1893, aus HOMER, den Tragikern usw. zusammenstellt.
    4) Diese vorläufige Definition der Ästhetik stimmt mit der von SCHASLER, Ästhetik I, Leipzig und Prag, 1886, Seite 1, gegebenen überein.
    5) Ausdrücklich rechtfertigt z. B. FRIEDRICH THEODOR VISCHER, Das Schöne und die Kunst, 2. Auflage, Stuttgart 1898, Seite 26 diesen Sprachgebrauch.
    6) KARL GROOS, Einleitung in die Ästhetik, Giessen 1892, Seite 46 - 50. Derselbe: Ästhetisch und schön, Philosophische Monatshefte XXIX, Seite 531 - 581, 1893. Längst vor GROOS hat aus denselben Gründen BÜRGER, Lehrbuch der Ästhetik I, herausgegeben von K. von REINHARD, Berlin 1825, Seite 16, 33, 70 denselben Vorschlag gemacht. Auch SCHILLER klagt über den Terminus "Schönheit" im Brief an GOETHE vom 7. Juli 1797.
    7) CONRAD FIEDLER, Schriften über Kunst, herausgegeben von HANS MARBACH, Leipzig 1896, Seite 7 - 29
    8) Ich gebrauche hier und später dieses Wort im Sinne der Geschichte  aller  Künste, nicht im eingebürgerten engeren einer Geschichte nur der bildenden Künste.
    9) In FECHNERs Vorschule der Ästhetik, diesem sonst so überaus anregenden Werk, in welchem die Herrschaft der Psychologie nur durch Einführung des eudämonischen Prinzips I, Seite 38f durchbrochen wird, kann man interessante Beispiele der erwähnten Prinzipienlosigkeit finden. So tragen für FECHNER alle lustgebenden Assoziationen, auch die äußerlichsten, zur Schönheit eines Gegenstandes bei. Mindestens kann er keinen Grund finden, sie auszuschließen. Er zieht z. B. Band II, Seite 47, selbst unsere Freude und unser Interesse am Wiedersehen eines für uns bedeutenden Gegenstandes in die Ästhetik hinein. Bei LIPPS wird man ähnliche Dinge kaum finden, indessen bleibt bei ihm der Psychologismus ein unausgeführtes Programm. Seine Bestimmung der Begriffe  Kunst  und  Künstler  (siehe besonders "Komik und Humor", Hamburg 1898, Seite 108f) ist ganz von Wertgesichtspunkten beherrscht. Dieses normative Element in seiner Ästhetik erkennt LIPPS auch ausdrücklich als solches an (*Archiv für systematische Philosophie, Bd. V, Seite 94f), ohne indessen über die bloße Behauptung, daß psychologische Analyse und Normation zusammenfallen, irgendwie hinauszukommen. In einem ähnlichen Widerstreit steht bei KÜLPE die Behauptung, rein psychologische Ästhetik zu treiben (Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. XXIII, Seite 183), mit seiner von diesem Standpunkt aus unmotivierten Einführung der "edelsten Kunstwerke" (ebenda Seite 167). Man könnte solchen Arbeiten gegenüber meinen, daß die ganze Differenz mit ihnen auf einen Streit um die Wortbedeutung von "Psychologie" hinauslaufe. Indessen handelt es sich doch darum: 1) die herrschenden Gesichtspunkte als solche kenntlich zu machen, sie nicht nur nebenher einzuführen, 2) den prinzipiellen Unterschied zweier auseinander gehender wissenschaftlicher Interessen hervorzuheben. Sehr streng hat neuerdings MÜNSTERBERG, Grundzüge der Psychologie I, Leipzig 1900, Seite 145 - 152, die Trennung von Psychologie und Ästhetik durchgeführt, dabei aber die sekundären Hilfsleistungen der Psychologie - wohl nicht ohne Absicht - vernachlässigt.
    10) Wie die hier entwickelte Aufgabenstellung überhaupt, so entspricht insbesondere die Auseinandersetzung mit der Psychologie der Methode der kritischen Philosophie, die vielleicht am klarsten von WINDELBAND, Präludien, Freiburg i. Br. 1884 dargestellt worden ist.
    11) ERNST GROSSE, Anfänge der Kunst, Freiburg i. Br. 1894, vgl. besonders Seite 21f. In seinem neuesten Buch "Kunstwissenschaftliche Studien, Tübingen 1900, scheint GROSSE den exklusiv soziologischen Standpunkt verlassen zu haben und einer Verbindung von psychologischer und soziologischer Ästhetik das Wort zu reden. Den Wertgesichtspunkt führt er hier Seite 7 dadurch ein, daß er sagte, wissenschaftliche Erkenntnis der Kunst müsse aus einem wirklichen lebendigen Gefühl für Kunst erwachsen. Gewiß ist das richtig - aber sollte es dann nicht das wichtigste sein, die immanenten Prinzipien dieses Gefühls sich klar zu machen?
    12) Siehe HEINRICH RICKERT, Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft, Freiburg i. Br. 1899, besonders Seite 44f.
    13) Ähnlich ELSTER, Prinzipien der Literaturwissenschaft I, Halle 1897, Seite 52. - Freilich kann ELSTER bei seiner Vermischung der psychologischen Analyse mit der Normation nirgends zu wirklicher Klarheit gelangen.