ra-2G. SimmelBöhm-BawerkProudhonC. H. Weisse    
 
ROBERT LIEFMANN
Theorie des Sparens
und der Kapitalbildung

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"Von den Angehörigen der obersten Einkommensklassen werden Jahr für Jahr beträchtliche Teile ihres Einkommens der Konsumtion entzogen und kapitalisiert. Die Kapitalisierung erfolgt nicht mit Rücksicht auf die Kapitalbedürfnisse der Volkswirtschaft, sie entspringt vielmehr dem Verwertungsbedürfnis des Kapitals selbst, dem Streben der Kapitalisten, mittels dieser Ergebnisse ihr Einkommen zu erhöhen. Der tatsächliche Kapitalbedarf braucht nun keineswegs mit dem Kapitalverwertungsbedürfnis der Kapitalisten zu harmonieren. In der Regel übersteigen die zur Kapitalisierung bestimmten Teile des Volkseinkommens den Kapitalbedarf der Volkswirtschaft ganz erheblich."

"Warum in aller Welt soll die Kaufkraft der neu beschäftigten Arbeiter mit dem volkswirtschaftlichen Reinertrag der neuen Unternehmungen übereinstimmen? Mir scheint, es kommt da wieder einmal der Pferdefuß der alten Arbeitswerttheorie zum Vorschein: die Arbeiter produzieren nicht nur Produkte, sondern auch deren Wert. Sie haben daher Anspruch auf den vollen Arbeitsertrag (= Produkt); dann Mehrwert- und Ausbeutungstheorie: kurzum Marx, der Wiederauferstandene."


IV. Kapitalbildung und Konsum als
volkswirtschaftliches Problem


1. Die bisherigen Anschauungen

Unter welchen Bedingungen - das ist unser Problem - ist es für die ganze Volkswirtschaft vorteilhaft, daß gespart wird? Wann ist es für die ganze Volkswirtschaft vorteilhafter, daß Einkommensteile Kapital, als daß sie konsumiert werden? Oder, wenn wir, statt von vorteilhafter zu reden, uns genauer ausdrücken und die Frage auch hier als Maximalproblem stellen: In welchem Verhältnis müssen Kapitalbildung und Konsum zueinander stehen, daß größter Volkswohlstand erzielt wird?

Diese Frage hat die Wirtschaftstheorie bisher noch kaum gestellt, zumindest sehr unvollkommen beantwortet. Als Beweis seien einige Auszüge aus den neuesten Lehrbüchern wiedergegeben. Bei LEXIS (a. a. O., Seite 65) heißt es:
    "Überhaupt kann man sagen, daß das neue freie Kapital der Hauptsache nach nicht aus der Beschränkung der Konsumtion hervorgeht, sondern aus der Steigerung der Produktion, die der fortschreitenden Entwicklung der Verkehrsmittel und der Technik zu danken ist."
Wie kann aus der Steigerung der Produktion ein Kapital "hervorgehen", wenn die hergestellten Produkte nicht konsumiert werden? Es scheinen da wieder Produktionsmittel in einem technischen Sinn und Kapital verwechselt und der alte Satz vergessen zu sein, daß die Güter entfernterer Ordnung nur Wert erhalten, wenn mit ihnen wertgeschätzte Genußgüter hergestellt werden.
    "Sparsamkeit ist für den Anfang der Kapitalansammlung in der Einzelwirtschaft notwendig und sehr zu empfehlen (!). Da aber die Konsumtion der alleinige Endzweck der Produktion ist, so wäre es ein innerer Widerspruch, wenn in der Volkswirtschaft die Gesamtkonsumtion beschränkt würde, um die Produktionsmittel zu vermehren. Vielmehr muß die erstere normalerweise der fortschreitenden Produktion stets nachrücken und es kommt nur darauf an, daß ihre Ausdehnung auch der Masse der Bevölkerung zugute kommt."
Das ist alles, was hier über das Verhältnis von Kapitalbildung und Konsum gesagt wird. (22)

Ebensowenig weiß von PHILIPPOVICH über diesen wichtigsten Punkt der Lehre vom Sparen und der Kapitalbildung etwas zu sagen. Er führt aus (in den älteren Auflagen § 56, 4): "
    Für die Verwendung von Einkommensteilen zur Kapitalbildung müssen bestimmte Gründe maßgebend sein."
Als solche werden drei genannt: wirtschaftliche Voraussicht der Zukunft, organisatorische Einrichtungen zur Sicherung und Nutzbarmachung der in die Zukunft übertragenen Einkommensteile: Sparkassen, Krediteinrichtungen, Rechtssicherheit usw., und drittens: wirtschaftliche Zweckmäßigkeit einer solchen Übertragung. Hier wird also das wirtschaftliche Prinzip als Ursache des Sparens dem Vorhandensein von Sparkassen und dgl. gleichgestellt. Über die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sagt nun von PHILIPPOVICH:
    "Wirtschaftlich zweckmäßig wird das Verfahren sein, wenn dem Sparenden durch jene Verwendung ein wirtschaftlicher Vorteil erwächst. Ein solcher kann gelegen sein in der Sicherstellung einer Güterversorgung in der Zukunft, die ohne jene Zurücklegung nicht gegeben wäre, wie in der Tatsache der Vermögensbildung ansich. Ein weiterer Gewinn braucht sich nicht mit der Erwerbskapitalbildung, die mit dem Sparen verknüpft ist, zu verbinden." (!)
Also eine Erwerbskapitalbildung ohne Gewinn! Eine  contradictio in adjecto  [Widerspruch in sich - wp].
    "Doch liegt ein solcher regelmäßig vor in dem Einkommen, das das Kapital abwirft, im Zins, und es vermag die größere oder geringere Höhe desselben ebenfalls Einfluß zu gewinnen auf das Maß der Erwerbskapitalbildung. Doch steht dieser Einfluß regelmäßig zurück hinter den übrigen Momenten."
Das braucht kaum kritisiert zu werden.

In der neuesten, neunten Auflage seines Lehrbuches hat von PHILIPPOVICH die Darstellung wesentlich verschwommener gehalten und dadurch erheblich verschlechtert. Die größten Unklarheiten sind vorhanden. Er sagt Seite 193:
    "Auf welchem Weg kommt die Entstehung von Produktivkapital zustande? Dazu ist nötig, daß die in der Volkswirtschaft vorhandenen sachlichen Produktionsmittel in der Richtung der Erzeugung von Kapitalgütern (!) verwendet werden."
Diese Produktionsmittel sind ja selbst Kapitalgüter; es soll gezeigt werden, wie sie entstehen!
    "Die Bestimmung der Richtung der Produktion ist, wie wir wissen, von den Unternehmern abhängig, die ihrerseits wieder vom Vorhandensein natürlicher Produktionsbedingungen, vom Stand der bereits eingerichteten Produktionsanstalten und vorrätigen Produktionsmittel sowie vom Stand der Arbeitskräfte abhängig sind."
Das soll eine Erklärung sein! Gerade das, wovon die Unternehmer allein abhängig sind, wird nicht erwähnt! Die Unternehmer sind allein abhängig von der  Intensität der Nachfrage; danach  beschaffen sie Produktionsanstalten, Produktionsmittel und Arbeitskräfte.
    "Sehen wir von der Möglichkeit des Einkaufs von Produktionsmitteln im Ausland ab, so ist die Kapitalvermehrung objektiv gebunden durch den in jeder Zeit gegebenen Stand der Produktionsbedingungen."
Produktionsbedingungen ist ganz nichtssagend und die Auffassung in charakteristischerweise rein objektiv-technisch. "Nicht nur das vorhandene, sondern auch das möglicherweise zu bildende Kapital ist daher sachlich begrenzt" usw. Nicht auf technische "Produktionsbedingungen", sondern auf das Problem: Verwendung des Einkommens zum Konsum oder zur Kapitalbildung, kommt es an. Im Gegensatz zu seiner früheren Auffassung betont jetzt von PHILIPPOVICH den großen Einfluß des Zinses auf die Menge des ersparten und angelegten Kapitals. Zu einem allgemeinen Satz über das Verhältnis von Kapitalbildung und Konsum kommt er so natürlich nicht.

Noch weitergehend als von PHILIPPOVICH mißt FRANK FETTER dem Kapitalzins eine ausschlaggebende und ursächliche Bedeutung für die Erscheinung des Sparens bei, indem er überhaupt das ganze Sparproblem im Anschluß an die Lehre vom Kapitalzins behandelt (23):  Saving as affected by the interest rate  [Sparen beeinflußt durch die Zinsrate - wp], heißt das betreffende Kapitel (a. a. O., Seite 159f). Wieviel gespart wird, hängt nach ihm nur von der Höhe des Zinsfußes ab; er erkennt aber nicht, wie Konsum und Kapitalbildung in einer Beziehung zueinander stehen und hoher Zins, Leihertrag, genau wie jeder andere hohe Kapitalertrag, nur die Folge davon ist, daß der Konsum sich ausgedehnt hat und zu seiner Befriedigung eine verstärkte Kapitalbildung erfolgen muß. Der innere Zusammenhang zwischen Konsum und Kapitalbildung wird nicht erkannt, die Tatsache des Zinses als selbständige Ursache des Sparens hingestellt, während der Zins doch überhaupt auch nur eine Folge der Nachfrage nach Kapital ist (24).

Auch nach ALFRED MARSHALL ("Principles", dritte Auflage, Seite 314) ist der Umfang des Sparens in der Hauptsache von der Höhe des Zinsfußes abhängig: "The higher the rate of interest the greater the saving as a rule. But there are exceptions of the rule ... But in spite of all exceptions a fall in the rate of interest tends to make saving less attravie than it otherwise would be." [Je höher der Zinssatz ist, umso höher ist in der Regel auch die Ersparnis. Aber es gibt Ausnahmen von dieser Regel .... Aber trotz all dieser Ausnahmen tendiert ein fallender Zinssatz dazu, das Sparen weniger attraktiv zu machen, als es sonst wäre." - wp] Also auch hier eine reine privatwirtschaftliche Auffassung des Sparens, die nur die Aufzinsung [Diskontierung = Wechsel vor ihrer Fälligkeit unter Abzug der Zinsen ankaufen - wp] berücksichtigt, keine Vorstellung von volkswirtschaftlicher Kapitalbildung.


2. Das Problem der Überkapitalisierung
im besonderen.

Wie man schon an diesen Beispielen aus der neuesten systematischen Literatur ersieht, sind die Beziehungen zwischen Sparen und Konsum in ihren Wirkungen auf die Volkswirtschaft bisher in noch keiner Weise näher untersucht worden. Die meisten Lehrbücher enthalten überhaupt nichts über den Gegenstand. Die Theorie ist jedenfalls nicht über den von LEXIS oben angeführten Satz hinausgekommen, der sich ganz ähnlich auch bei von PHILIPPOVICH in der Anmerkung zu den zitierten Ausführungen folgendermaßen ausgedrückt findet:
    "Fortgesetzte Nachfrage nach Kapitalgütern seitens der Besitzenden (Sparenden) ohne Steigerung des Konsums ist undenkbar, weil jene ja endgültig nur den Zweck haben, Genußgüter herzustellen."
Dasselbe haben aber, wie wir oben sagten, schon LAUDERDALE und MALTHUS gesagt.

Wie wenig Klarheit über das Problem: Kapitalbildung Konsum bisher vorhanden ist, kann man auch daraus ersehen, daß selbst dieser Satz, den man seiner ganz allgemeinen Fassung wegen für selbstverständlich halten sollte, von manchen bestritten wird. Es ist die bekannte Theorie, daß eine allgemeine Überkapitalisierung unmöglich ist, die in ihren extremsten Vertretern so weit geht, zu behaupten, daß unter gewissen Bedingungen eine "fortgesetzte Nachfrage nach Kapitalgütern ohne Steigerung des Konsums" möglich ist. Hier mündet das Problem des Sparens und der Kapitalbildung in das breite, ungeheure Literaturmassen umfassende Bett des Krisenproblems.

Wir haben nun hier natürlich nicht das Krisenproblem als Ganzes, sondern nur die Frage der Überkapitalisierung zu erörtern. Dabei ist zunächst noch auf eines aufmerksam zu machen. Der Begriff und die Vorstellung der Überkapitalisierung bezeichnet schon einen großen Fortschritt, den erst verhältnismäßig wenige Schriftsteller in neuer Zeit dokumentieren. Die meisten bleiben, entsprechend dem materialistischen Charakter der Nationalökonomie, an der Erscheinung der "Überproduktion" haften, der Tatsache, daß mehr Produkte hergestellt werden, als unter der gegenwärtigen Nachfrage Absatz finden können. Dem Gedanken, daß die zweckmäßige Organisation der Bedarfsversorgung schon dann versetzt ist (25), wenn zuviel Kapital in irgendeiner Form gebildet wird, diesem Gedanken ist man erst in neuerer Zeit näher getreten, und schärfer theoretisch ist er noch nie formuliert worden. Man beachtete zu wenig, daß die  Überproduktion  nur die Folge einer  Überkapitalisierung  ist, daß dem betreffenden Unternehmenszweig mehr Kapitalien und in der Regel auch mehr Arbeitskräfte zugeströmt sind als "der Nachfrage" oder - theoretisch scharf formuliert - dem Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge entspricht. Man beachtete nicht, daß diese Überkapitalisierung in einer Industrie schon jenes Gesetz verletzt und damit die vollkommenste Bedarfsversorgung aufgrund des wirtschaftlichen Prinzips ausschließt, ganz einerlei, ob die zuviel investierten Kapitalien produzieren oder nicht. Schon daß sie investiert wurden, war entgegen dem Prinzip größter Wohlstandsförderung. Auf  Überkapitalisierung,  auch schon in Form von Geldkapital, nicht erst in der von Produktionsmitteln, kommt es also an.

Auf diese Erscheinung kamen bisher hauptsächlich nur die Schriftsteller zu sprechen, die vom Problem des Sparens ausgegangen sind. Wir müssen sie daher hier vor allem heranziehen. Die Krisentheoretiker dagegen haben sich meist mit der Erscheinung der Überproduktion begnügt. Hier stehen sich bis in die neueste Zeit zwei Parteien in denkbar schroffster Weise gegenüber, indem geradezu zwei entgegengesetzte Extreme von Anschauungen Vertreter gefunden haben. Es gibt einerseits Leute, die die theoretische Möglichkeit einer Überkapitalisierung überhaupt bestreiten, andere, die behaupten, die daß ständig eine Überkapitalisierung vorhanden ist.

Zu den Anhängern der ersten Anschauung, deren Haupturheber JAMES MILL ist, gehören von den neuesten Schriftstellern, mit denen wir uns hier beschäftigen wollen, namentlich MANTEUFFEL und OLDENBERG, zu den Vertretern der letzteren Gruppe ist der moderne Sozialismus und von anderen Schriftstellern vor allem HERKNER zu rechnen. Die letztere Anschauung ist weniger eine solche der Theorie als vielmehr eine Tatsachenfrage, eine Frage der Auslegung wirtschaftlicher Beobachtungen. Wir wollen nun zuerst ihre Begründung kennenlernen, dann ihre Kritik durch die Anhänger des entgegengesetzten Extrems in Verbindung mit unserer eigenen Widerlegung derselben, und schließlich wollen wir sehen, wie es sich mit der behaupteten theoretischen Unmöglichkeit einer Überkapitalisierung wirklich verhält.


a) Die Lehre von der
ständigen Überkapitalisierung

HEINRICH HERKNER gibt in seinem Artikel "Krisen" im  Handwörterbuch der Staatswissenschaften,  zweite Auflage, Bd. V, Seite 419 (26) folgende Begründung:
    "Von den Angehörigen der obersten Einkommensklassen werden Jahr für Jahr beträchtliche Teile ihres Einkommens der Konsumtion entzogen und kapitalisiert. Die Kapitalisierung erfolgt nicht mit Rücksicht auf die Kapitalbedürfnisse der Volkswirtschaft, sie entspringt vielmehr dem Verwertungsbedürfnis des Kapitals selbst, dem Streben der Kapitalisten, mittels dieser Ergebnisse ihr Einkommen zu erhöhen. Der tatsächliche Kapitalbedarf braucht nun keineswegs mit dem Kapitalverwertungsbedürfnis der Kapitalisten zu harmonieren. In der Regel übersteigen die zur Kapitalisierung bestimmten Teile des Volkseinkommens den Kapitalbedarf der Volkswirtschaft ganz erheblich."
HERKNER übersieht, daß die Kapitalisten nicht nur streben, ihr Einkommen zu erhöhen, sondern daß sie aufgrund des wirtschaftlichen Prinzips wie alle Wirtschaftssubjekte streben, eine  möglichst große  Erhöhung zu erzielen und aufgrund dessen ihr Kapital den Erwerbszweigen zufließen zu lassen, die sie für die rentabelsten halten. Hätte er das beachtet, so hätte er auch erkannt, daß er sich nicht damit begnügen durfte, einfach zu behaupten, jenes Streben der Kapitalisten erfolge ohne Rücksicht auf die Kapitalbedürfnisse der Volkswirtschaft, sondern daß er hätte zeigen und beweisen müssen, daß und warum trotz jenes Prinzips das "Verwertungsbedürfnis" des Kapitals und die Kapitalbedürfnisse der Volkswirtschaft immer auseinandergehen. Oder umgekehrt: wenn beides in der Regel nicht übereinstimmt und eine ständige Überkapitalisierung vorhanden ist, so hätte er zeigen müssen, warum denn die Kapitalisten immer weiter sparen, trotzdem die Überkapitalisierung ihr Einkommen doch zweifellos nicht erhöht. Für all das bleibt HERKNER den Beweis schuldig.

Und ebenso ist es bei seinen weiteren Ausführungen:
    "In der Regel übersteigen die zur Kapitalisierung bestimmten Teile des Volkseinkommens den Kapitalbedarf der Volkswirtschaft ganz erheblich."
Das muß eben erst bewiesen werden, wird aber nicht im geringsten bewiesen durch die folgenden Ausführungen, die einen merkwürdigen Rückfall in ökonomische Theorien darstellen, die ich von der heutigen Wissenschaft längst überwunden glaubte:
    "Wenn neue Kapitalanlagen" - fährt  Herkner  fort - "auch eine Nachfrage nach Arbeitskräften hervorrufen und insofern neue kaufkräftige Konsumenten schaffen, so bleibt deren Kaufkraft doch hinter der durch die neuen Unternehmungen bewirkten Vermehrung des Warenangebotes zurück. Würde die Kaufkraft der neu beschäftigten Arbeiter mit dem volkswirtschaftlichen Reinertrag der neuen Unternehmungen übereinstimmen, dann würde sich ja für die Unternehmer und Kapitalisten weder eine Verzinsung noch ein entsprechender Unternehmergewinn ergeben. Darauf kommt es für sie aber gerade an, wenn sie auch nicht die Absicht haben, die Zinsen, Renten und Gewinne selbst zu konsumieren. Günstiger könnte sich das Verhältnis nur dann gestalten, wenn die Anlage neuen Kapitals zu einer Steigerung des Lohnniveaus der gesamten Arbeiterklasse überhaupt treiben würde. Tritt aber der durch die neuen Kapitalanlagen bewirkten Steigerung der Warenproduktion keine entsprechende Erhöhung der kaufkräftigen Nachfrage zur Seite, so müßte der Umstand, daß ein Teil des Volkes Jahr für Jahr ansehnliche Beträge nicht der Konsumtion, sondern der Vergrößerung der Produktion widmet, ansich schon in einer geschlossenen Volkswirtschaft zu einer Störung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Konsumtion führen."
Gewiß muß der durch neue Kapitalanlagen bewirkten Steigerung der Warenproduktion eine Erhöhung der kaufkräftigen Nachfrage entsprechen. Aber jene erfolgt doch auch gerade, weil eine solche Steigerung der Nachfrage eingetreten ist, was den Kapitalisten durch eine Steigerung der Gewinne in den betreffenden Unternehmenszweigen angezeigt wird. HERKNER hätte, wie gesagt, zeigen müssen, daß  zuviel  Kapital gebildet wird. Die Behauptung, daß die Kaufkraft der neu beschäftigten Arbeiter nicht gleich der Erhöhung des Reinertrages gestiegen sei, ist aber kein Beweis für eine Überkapitalisierung. Denn warum in aller Welt soll "die Kaufkraft der neu beschäftigten Arbeiter mit dem volkswirtschaftlichen Reinertrag der neuen Unternehmungen übereinstimmen?" Mir scheint, es kommt da wieder einmal der Pferdefuß der alten Arbeitswerttheorie zum Vorschein: die Arbeiter produzieren nicht nur Produkte, sondern auch deren Wert. Sie haben daher Anspruch auf den "vollen Arbeitsertrag" (= Produkt); dann Mehrwert- und Ausbeutungstheorie: kurzum MARX redivivus [der Wiederauferstandene - wp].

Sehen wir auch von diesen Irrtümern ganz ab, so hat doch HERKNER, wie auch schon von MANTEUFFEL gezeigt hat, einen Beweis seiner Behauptung ständiger Überkapitalisierung nirgends gegeben. Er übersieht eben, daß doch nur dann gespart, Kapital gebildet wird, wenn günstige Anlagegelegenheiten dafür vorhanden sind. Daß immer zuviel gespart wird, hätte er erst nachweisen müssen. Auch von MANTEUFFEL hält HERKNER mit Recht entgegen, das Vorhandensein eines Zinses bedeutet schon, daß eine Nachfrage nach Kapital bestehen muß.

    "Die Darlehensempfänger werden nur dann Geld aufnehmen wollen, wenn sie den Glauben haben, daß sie aus ihren Unternehmungen die Zinsen dafür nebst einem weiteren Gewinn herausarbeiten werden." (27)


b) Die Lehre von der Unmöglichkeit
einer Überkapitalisierung

Wie sucht nun die andere Partei im Gegenteil die theoretische  Unmöglichkeit einer allgemeinen Überproduktion und Überkapitalisierung  zu beweisen? von MANTEUFFEL (28), einer der extremsten Vertreter dieser Richtung, erklärt Überproduktion und Überkapitalisierung dann für ausgeschlossen, wenn nur die Vermehrung der Produktion "nicht in Konsumgütern, sondern in Form von bleibenden Kapitalgütern" besteht.
    "Im allgemeinen wird der Unternehmner nur soviel produzieren wollen, als der Bedarf verlangt, er wird den dem Kapitalisten zufallenden Mehrgewinn diesem nicht in Form von Artikeln zugehen lassen, die der Kapitalist nicht konsumieren will, sondern in Form von solchen Gütern, die dieser begehrt. Daß es solche Güter geben muß, ist klar, denn sonst würde der Kapitalist sich ja nicht die Mühe des Sparens machen; diese Güter sind eben nur keine Konsumartikel, sondern bleibende Kapitalgüter oder Besitztitel auf solche, Eisenbahnen, Kanäle, Meliorationen [kulturtechnisch optimierter Boden - wp] usw., in letzter Linie aber Gold und Silber."

    "Es tritt also keine Vermehrung des Warenangebots, sondern eine Vermehrung des arbeitenden Kapitals ein, wir müssen nicht an eine unausgesetzte Mehrproduktion von Nahrungsmitteln oder Stoffen oder anderen Waren denken, die Industrie sucht den Bedarf an diesen Artikeln vorauszuberechnen und liefert, wenn nach ihnen keine zureichende Nachfrage ist, den zu verarbeitenden Überschuß eben in verbesserten Produktionsmitteln. Eine solche Steigerung des Produktionsfaktors  Kapital  braucht aber ansich absolut keine Überproduktion herbeizuführen. Wir können uns durchaus wohl einen  Robinson Crusoe  denken, der seinen Konsum nie erweitert, sondern jede Zeit, die er durch die Erfindung eines neuen Werkzeuges gewinnt, nur dazu verwendet, weitere Vervollkommnungen in seiner Produktionsweise anzubringen."

    "Wir können uns ebensowohl eine geschlossene Wirtschaft mit Arbeitsteilung denken, bei der jeder Arbeiter stets denselben Lohn erhält, der Unternehmer selbst stets dasselbe konsumiert, bei welcher aber doch keine Überproduktion entsteht, weil alle Ersparnisse dazu verwendet werden, immer neue Verbesserungen anzubringen."

    "Eine Überproduktion ist - eine einheitliche Leitung der Produktion und richtige Berechnung des Konsums vorausgesetzt - solange absolut ausgeschlossen, als es technisch überhaupt möglich ist, durch eine Erhöhung des Kapitalanteils an der Produktion diese zu vervollkommnen."

    "Es braucht also gegebenfalls auch bei gleichbleibendem Konsum, bei einer vollen Kapitalisierung des jeweiligen volkswirtschaftlichen Überschusses keine Überproduktion einzutreten, wir können uns sehr wohl eine durch fortgesetztes Sparen unendlich gesteigerte Produktivität denken, und kommen somit zu einem der  Herknerschen  Ansicht durchaus zuwiderlaufenden Endergebnis. Nach  Herkner  müßte der Umstand, daß ein Teil des Volkes Jahr für Jahr ansehnliche Beträge nicht der Konsumtion, sondern der Vergrößerung der Produktion widmet, in einer geschlossenen Volkswirtschaft ansich schon zu einer Störung zwischen Produktion und Konsumtion führen. Wir aber sehen hier, daß, solange eine Produktivitätssteigerung überhaupt möglich ist, die volkswirtschaftliche Sparquote unendlich groß sein darf, ohne daß - die richtige Leitung der Produktion vorausgesetzt - eine Überproduktion einzutreten braucht."
Sind nun diese Ausführungen richtig? Es ist klar, daß die Entscheidung darüber von der allergrößten Bedeutung für die Theorie der Produktion, der Kapitalbildung und der Krisen ist. Wäre sie richtig, so wäre eine Überkapitalisierung unmöglich, solange das ersparte Einkommen nicht zur Vermehrung der Konsumgüterproduktion, sondern "zur Erhöhung des Kapitalanteils an der Produktion" und insbesondere auch zum Ersatz teurer arbeitender Produktionsmittel durch billigere dient.

Aber diese Theorie ist zweifellos ebenso falsch wie jene, die eine ständige Überkapitalisierung annimmt. Es sind bei ihr ebensosehr grundlegende ökonomische Tatsachen verkannt, und es ist sonderbar, daß die Ausführungen von MANTEUFFELs, trotzdem mehr als zehn Jahre seit ihrer Veröffentlichung verflossen sind, niemals eingehender bekämpft worden sind. Zunächst liegt ihnen die schon kritisierte verhängnisvolle Anschauung zugrunde, die Nachfrage als eine feste Größe anzusehen. Wenn nur die zu den gegenwärtigen Preisen kauffähige Nachfrage befriedigt ist, dann ist, nach von MANTEUFFEL, alles schön und gut. Dann können die Kapitalisten soviel sparen wie sie wollen, die Produktivität der Volkswirtschaft wird dadurch nicht berührt; im Gegenteil, sie wird gesteigert, sofern nur der Kapitalanteil an der Produktion vergrößert wird. Daß hinter der jetzt kauffähigen Nachfrage auch noch Bedürfnisse vorhanden sind, die vielleicht dringender sind und mit größerem Ertrag befriedigt werden könnten als das Interesse der Sparenden, berücksichtigt er nicht. Damit wird das eigentliche Problem, um das es sich hier handelt, überhaupt verkannt. Denn die Frage ist eben: Was ist volkswirtschaftlich vorteilhafter, die Befriedigung eines Teils der zu den gegenwärtigen Preisen noch latenten Nachfrage nach Konsumgütern, oder die Anlage in "Sparmitteln"? Es ist klar, daß man diese Frage wie jedes Produktivitätsproblem nur aufgrund der Erträge wird beantworten können. Nach von MANTEUFFEL kann - und das ist sein Hauptirrtum - die Kapitalisierung von Einkommensteilen nur dann zu einer Überkapitalisierung führen, wenn sie in solchen Produktionsmitteln erfolgt, die direkt Konsumgüter produzieren. Die Anlage in "Sparmitteln" aber, die "Erhöhung des Kapitalanteils an der Produktion" kann nach ihm niemals zu einer Überkapitalisierung führen. Sie ist unter allen Umständen produktiv. Als ob es nicht unproduktiv wäre, soviel Einkommen in derartigen "Sparmitteln" anzulegen, daß das investierte Kapital nur ganz unzureichend beschäftigt wird! Kurzum,  es gibt keinen Unterschied zwischen "Sparmitteln" und direkt zur Herstellung von Konsumgütern verwandten Kapitalien.  Die Erhöhung des Kapitalanteils an der Produktion ist nicht unter allen Umständen, sondern nur bis zu einer gewissen Grenze produktiv, und diese gilt es eben herauszufinden. Darüber findet sich aber bei von MANTEUFFEL und überhaupt in der bisherigen Theorie nichts. Die Theorie von der Unmöglichkeit einer Überkapitalisierung ist also ganz genau ebenso falsch wie die vom ständigen Vorhandensein einer solchen. Und zwar sind beide, genau genommen, deswegen falsch, weil sie überhaupt den Begriff Überkapitalisierung nicht richtig zu definieren vermögen, weil sie keine Grenze zu ziehen, keinen allgemeinen Satz darüber aufzustellen vermögen, wann eine weitere Kapitalbildung, wann eine Aushebung des Konsums volkswirtschaftlich produktiv ist. (29)

Die Lehre OLDENBERGs (30) ist für uns von geringerer Bedeutung, weil er nicht so schaft wie von MANTEUFFEL die uns hier allein interessierende und tatsächlich auch allein in Betracht kommende Seite der  Kapitalbildung  betont, sondern, rein materialistisch, mehr bei den  Produkten  und der  Überproduktion  bleibt. Immerhin sind auch seine sehr klar ausgesprochenen Anschauungen sehr charakteristisch und sollen hier deshalb kurz zitiert werden. OLDENBERG meint, wenn auch von irgendeinem Produkt zuviel produziert wird, eine Störung des Gleichgewichts der Volkswirtschaft dadurch nicht möglich ist. Unter anderem führt er aus:
    "Ebenso einflußlos wäre eine Steigerung der Arbeitsproduktivität, weil sie den Geldwert unberührt läßt. Würde mit derselben Arbeitszeit die doppelte Warenmenge erzielt, so hätte diese doch denselben Geldwert."
Das ist richtig. Stellen wir uns eine kleine "Volkswirtschaft" von 100 Produzenten vor, in der jeder von jedem ein Stück seiner Produkte kauft, so würde, wenn  A  seine Waren verdoppelt, jeder für zwei Stück ebensoviel geben können wie vorher, es würde sich also am Geldeinkommen aller nichts ändern. Deshalb ist es aber durchaus falsch, wenn OLDENBERG fortfährt:
    "Wird mehr Arbeit geleistet und wird mehr Ware produziert, so steigt auch das Einkommen und die Kaufkraft, bei einer Verdoppelung der Arbeit würde sich mit dem Einkommen auch die Kaufkraft verdoppeln."
Ein merkwürdiger Widerspruch mit den vorhergehenden Sätzen und ein Zeichen großer Unklarheit! Die Theorie muß - um bei unserem Beispiel zu bleiben - natürlich annehmen, daß ein zweites Stück jenes Produktes, dessen Menge verdoppelt wurde, von jedem Konsumenten geringer geschätzt wurde als jedes andere der angebotenen Produkte. Wird jetzt die doppelte Menge angeboten, so kann sie nur abgesetzt werden, wenn jetzt zwei Stück nicht mehr kosten als vorher eins. Und ihr Produzent wird nur dann wirtschaftlicherweise seine Produktion verdoppeln, wenn ihn die Herstellung von zwei Stück mindestens nicht mehr kosten als vorher von einem. Sind seine Kosten höher, so erzielt er einen geringeren Ertrag, kann nicht je ein Produkt von den 99 anderen Produzenten kaufen, kurzum die allgemeine Krise ist da. Dies ist die einfach Sachlage, rein materialistisch die Produktmenge und ihren Austausch in Betracht gezogen. Doch wenden wir uns jezt wieder unserem Problem der Kapitalbildung zu.


3. Die Tendenz des Ausgleichs der Grenzerträge und
die Kapitalbildung in der Volkswirtschaft

Die Frage, wann ist eine weitere Kapitalbildung, wann eine Ausdehnung des Konsums volkswirtschaftlich produktiv, d. h. also im Sinne einer möglichst vollkommenen Bedarfsversorgung, ist, wie das ganze Produktivitätsproblem nur zu beantworten mit dem allgemeinen  Ertragsbegriff  und aufgrund  des Gesetzes des Ausgleichs der Grenzerträge.  Wenn wir nun versuchen, unsere diesbezüglichen Erörterungen auf das Problem der  Überkapitalisierung  anzuwenden, haben wir also zwei Möglichkeiten zu unterscheiden:
    1. die Verwendung ersparter Einkommen zur Kapitalbildung überhaupt,  d. h. zur Erweiterung der Produktions- und Erwerbsmittel und

    2. den besonderen Fall der Kapitalvernichtung und Kapitalersetzung,  d. h. die Ersetzung vorhandener Produktionsmittel durch neue, "produktivere", geringere Produktionskosten erfordernde.
Diese Unterscheidung ist also etwas ganz anderes als von MANTEUFFELs unklare Gegenüberstellung von "Sparmitteln" und anderen Kapitalgütern. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß von MANTEUFFEL meines Wissens zuerst auf das Problem der Kapitalvernichtung und Kapitalersetzung überhaupt hingewiesen hat, wenn er auch von seinem Standpunkt aus nicht einmal den Versuch macht, es zu lösen. Wir werden auf dieses für die ganze ökonomische Theorie höchst wichtige Problem im nächsten Abschnitt eingehend zu sprechen kommen. Hier sei zunächst die erste Frage behandelt.

Es ist klar, daß wir die Beantwortung der Frage: Wann werden Einkommensteile volkswirtcshaftlich vorteilhafter zum Konsum, wann zur Bildung neuen Kapitals verwandt? wiederum als Maximalproblem auffassen müssen. Sie ist ja nur ein Spezialfall des allgemeinen Produktivitätsproblems, indem jetzt die Erträge, was in der Geldwirtschaft eine große Rolle spielt, danach unterschieden werden, ob sie Kapital- oder Konsumerträge sind. Es ergibt sich also aus meinen früheren Ausführungen, daß größte volkswirtschaftliche Wohlstandsförderung dann gegeben und eine Überkapitalisierung dann nicht vorhanden sein wird, wenn die  Grenzerträge sowohl von Konsum- als auch von Kapitalgütern ungefähr gleich hoch  sind oder - wie wir uns jetzt ausdrücken können - wenn die  Grenzkonsum-  und die  Grenzkapitalerträge gleich hoch  sind. Grenzkonsumertrag bedeutet also den Ertrag, den der letzte noch zum Konsum verwendete Einkommensteil einem Wirtschafter liefert, Grenzkapitalertrag ist der Ertrag, den der letzte zur Kapitalbildung verwendete Einkommensteil erzielt.

Das gilt zunächst aber nur für die  Einzelwirtschaft.  Wie überträgt sich nun dieses Prinzip auf die ganzen  Volkswirtschaft?  Man muß dabei berücksichtigen, daß zwar innerhalb der Einzelwirtschaft der Wirtschafter das Bestreben hat, die Grenzerträge zum Ausgleich zu bringen, einerlei ob Kapital- oder Konsumerträge, daß aber  bei verschiedenen Wirtschaften die Grenzkonsumerträge sehr verschieden hoch  sind. Der Arme muß ja bei einem sehr viel höheren Grenzkonsumertrag die weitere Bedarfsbefriedigung notgedrungen früher aufgeben als der Reiche. Daß trotz dieser Verschiedenheit der Grenzkonsumerträge die Tendenz des Ausgleichs der Erträge über die ganze Volkswirtschaft erfolgt, ist nur möglich, weil die  Grenzkapitalerträge  überall die Tendenz zum Ausgleich haben.  Das einzelne Wirtschaftssubjekt vergleicht nun seinen individuellen Grenzkonsumertrag mit dem allgemeinen in der Volkswirtschaft zu erzielenden Kapitalertrag und richtet danach seine Einkommensverwendung aus. Es fängt also an zu sparen, wenn sein individueller Grenzkonsumertrag geringer zu werden beginnt als der Kapitalertrag, den es bei der Anlage des noch vorhandenen Einkommensteils in der Volkswirtschaft erzielen kann.  Ist sein Grenzkonsumertrag höher als dieser, so verwendet es eben kein Einkommen zur Kapitalbildung. Daraus erklärt sich wieder, warum Leute mit einem hohen Grenzkonsumertrag, d. h. Leute mit geringem Einkommen oder Leute mit großen Luxusbedürfnissen, Verschwender, nicht sparen; ebenso warum von zwei Leuten mit gleichem Einkommen der eine spart, der andere nicht. Ihr Grenzkonsumertrag ist eben verschieden und bei letzterem höher als der in der Volkswirtschaft zu erzielende Kapitalertrag.  Für den Ausgleich der Erträge in der ganzen Volkswirtschaft kommen also nur die Grenzkonsumerträge derjenigen Einzelwirtschaften in Betracht, welche sparen.  Sie bestimmen  den allgemeinen volkswirtschaftlichen Grenz(kapital)ertrag aufgrund ihrer individuellen Grenzkonsumerträge.  Durch ihre Nachfrage nach Gelegenheiten zur Kapitalanlage stellt sich aber der  volkswirtschaftliche Grenzertrag  fest, d. h. ein gewisses Minimum an Ertrag, das man bei Kapitalanlagen noch erwartet, das ist z. B. für sicherste Kapitalanlagen von längerer Dauer der landesübliche Zinsfuß. Alle diejenigen, deren Konsumerträge höher sind, kommen nicht für die Kapitalbildung in Betracht, verwenden kein Einkommen zu diesem Zweck.

Populärer ausgedrückt können wir sagen:  Kapital stellen der Volkswirtschaft in der Hauptsache diejenigen zur Verfügung, die damit einen größeren Ertrag zu erzielen erwarten, als wenn sie die betreffenden Einkommensteile zum Konsum verwenden.  Daher können Leute mit sehr geringem Einkommen kein Kapital bilden, nicht sparen. Allerdings wird ja auch vielfach zur  Vermögens bildung gespart, nicht des Ertrags wegen, aber nur dann, wenn die spätere Benutzung dieses Vermögens ihnen einen größeren Nutzen gewährt, als sie jetzt mit dem Einkommen erzielen konnten. Aber auch die so gesparten Geldsummen werden heute regelmäßig "angelegt", also zu Kapital, und wirken daher mit auf die Höhe des Ertrages ein, welche bei der großen Masse der Kapitalbildenden für den Umfang, in dem das geschieht, bestimmend ist.

Jedenfalls ist die Entscheidung darüber, welches das "richtige", d. h. dem wirtschaftlichen Prinzip am meisten entsprechende Verhältnis von Kapitalbildung zu Konsum ist, der Einzelwirtschaft und ihrem Streben nach größtem Gewinn überlassen. Damit ist einerseits zwar eine gewisse automatische Selbstregulierung jeder Volkswirtschaft gegeben, als welche eben die Tendenz zum Ausgleich der Grenzerträge erscheint, andererseits sehen wir aber doch schon einen schwachen Punkt in dieser Selbstregulierung darin, daß die Kapitalbildung eben nicht ausschließlich zu Ertragszwecken und nach dem Ertragsprinzip erfolgt, und daher den Grenzkapitalertrag eventuell unter den nach dem Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge bestimmten Stand herabdrückt. Dazu kommen noch die Fälle des Irrtums größerer Gruppen von Einzelwirtschaften über den Bedarf, plötzliche Veränderungen in den Konsumverhältnissen, Bedarfsverschiebungen, z. B. infolge von Mode, welche bewirken, daß der Regulator der tauschwirtschaftlichen Organisation nicht vollkommen funktioniert. Den wesentlichsten Punkt, technische Umwälzungen in ihren Wirkungen auf die Kapitalbildung, werden wir aber erst im folgenden Abschnitt kennenlernen.

Trotz aller dieser Hemmnisse kann aber die allgemeine  Tendenz  des Ausgleichs der Grenzerträge in der Volkswirtschaft, welche sowohl Konsum- wie auch Erwerbserträge (Kapital- und Arbeitserträge) umfaß, unmöglich geleugnet werden. Sie wird daher auch ausdrücklich anerkannt von den beiden deutschen Nationalökonomen, welche wohl die zutreffendste Erklärung des tauschwirtschaftlichen Prozesses gegeben haben, wenn ihnen auch die scharfe theoretische Formulierung noch fehlt, ADOLF WAGNER und vor allem WILHELM LEXIS. Allerdins sind es zwei entscheidende Gesichtspunkte, welche sie an einer wirklich klaren Einsicht in den Mechanismus der Tauschwirtschaft und an einer scharfen theoretischen Formulierung verhindern. Einmal die übliche Lehre von den  speziellen Einkommensarten  aufgrund der  Zurechnungstheorie  und also der Mangel eines  einheitlichen,  einfach die Spannung zwischen Nutzen und Kosten darstellenden  Ertragsbegriffs,  und dann gerade bei diesen beiden Autoren der Mangel des  Grenzgedankens.  Von einer allgemeinen Tendenz des Ausgleichs  sämtlicher  Kapital- und Unternehmergewinne, von der ADOLF WAGNER spricht (31) und von einem  "normalen"  Kapitalgewinn, mit dem LEXIS operiert (32), kann natürlich nicht die Rede sein. Es handelt sich nur um eine Ausgleichstendenz der  Grenzerträge  bei allen Unternehmenszweigen, in jedem werden aber selbstverständlich von einzelnen Anbietern auch höhere Erträge erzielt (33).

Dieser allgemeine Ausgleich der Grenzerträge ist natürlich nur möglich in der entwickelten Geldwirtschaft, in der alle Einkommen zuerst die Geldform haben und dann in jeder beliebigen Art von Konsumgütern, Produktions- oder Erwerbsmitteln angelegt werden können. Hier wird also jeder dann sparen, sobald er einen Kapitalertrag erzielen kann, der über seinem Grenzkonsumertrag hinausgeht. Natürlich sind, wie schon gesagt, die  einzelnen  Kapitalerträge oft sehr verschieden hoch, Monopol- bzw. Differentialgewinne sind oft unlöslich mit ihnen verbunden, aber zwischen ganzen Unternehmenszweigen ist doch unter Berücksichtigung verschiedenen Risikos eine Tendenz zum Ausgleich vorhanden. Die Verschiedenheit der Erträge aber bewirkt, daß unter Umständen auch Leute mit einem höheren Grenzkonsumertrag als der durchschnittliche sparen werden, wenn sie einen noch höheren Kapitalertrag dafür erwarten zu können glauben. Im Handel mit seinem schnellen Umschlag des Kapitals kommt das besonders oft vor. Ein Kaufmann wird vielleicht seinen Konsum einschränken, wenn er mit einem Teil seines Einkommens ein besonders vorteilhaftes Geschäft zu machen imstande ist.

Hier tritt nun allerdings das ausgebildete Kreditsystem der heutigen Volkswirtschaft vermittelnd ein und trägt viel dazu bei, einen Ausgleich der Erträge herbeizuführen. Jener Kaufmann wird in vielen Fällen, statt seinen Konsum einzuschränken, Kredit in Anspruch nehmen, er wird das Geldkapital zu einem niedrigeren Zinsfuß, als seinem Grenzkonsumertrag entspricht, aufnehmen können von einem, dessen Grenzkonsumertrag noch niedriger ist und der deshalb einen Teil seines Einkommens ausleiht. So hat schließlich der Leihkapitalertrag, Zins, doch zweifellos eine große Bedeutung für das Sparen, er kann allenfalls als der "volkswirtschaftliche Grenzkonsumertrag" bezeichnet werden, wenn man, was aber sehr bedenklich und zum Mißverständnissen führend ist, den Konsumertrag mit Prozenten vom Leihkapital vergleichen will. Besser sagt man, daß der Konsum nicht leicht über eine Grenze der Erträge hinaus ausgedehnt werden wird, bei welchem Kapitalertrag, den der landesübliche Zinsfuß gewährt, vorgezogen wird. Wer die weitere Befriedigung seiner Bedürfnisse nur so gering einschätzt, wird lieber sparen. Daß sich viele "kleine Leute" mit dem niedrigen Zinsfuß von Sparkassen, Staatsanleihen und dergleichen begnügen, obgleich ihre Grenzkonsumerträge sicherlich viel höher liegen, rührt, wie schon gesagt, daher, daß es sich hier eben mehr um  Vermögensbildung, Thesaurieren  als um Kapitalbildung handelt. Diese Leute wollen für den Fall des Alters oder der Krankheit ein kleines Geldvermögen - der populäre Ausdruck "Kapital" ist hier wirtschaftstheoretisch unzutreffend - an der Hand haben. Ich glaube, daß diese Summen trotz ihrer beträchtlichen Gesamthöhe - man darf natürlich nicht den ganzen Bestand der deutschen Sparkassen im Betrag von 14 Milliarden Mark dazu rechnen - für die Bildung neuen Sachkapitals in der Volkswirtschaft nicht von sehr großer Bedeutung sind. Der größte Teil des in der Volkswirtschaft neu verwendeten Kapitals besteht sicherlich in den Summen, die große und kleine Unternehmer aus ihren Erträgen von vornherein für Ergänzung und Erweiterung ihrer Betriebe reservieren. Dazu kommen dann diejenigen Summen, die in Gestalt neuer Aktien und dergleichen von den größeren Kapitalisten, Rentern usw. gezeichnet werden.

Schließlich sei noch ein Punkt erwähnt. Es kommt für mich überhaupt nicht so sehr darauf an, ob ein Ausgleich der Grenzerträge wirklich jederzeit in der Volkswirtschaft  konstatiert  werden kann. Mein Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge ist nur die schärfste theoretische Formulierung einer  Tendenz,  welche sich allgemein aus dem wirtschaftlichen Prinzip ergibt und deren Vorhandensein unmöglich geleugnet werden kann. Daß aber jedes Wirtschaftssubjekt wirklich zwischen Kapitalbildung oder Konsum so in jedem einzelnen Fall aufgrund seiner Erträge entscheidet, kann, wie ich schon betonte, nicht äußerlich  festgestellt  werden, weil diese Vorgänge sich in der Seele des Wirtschafters vollziehen. Sie zu untersuchen ist Sache der Psychologie, die freilich gerade auf diesem Gebiet noch sehr wenig entwickelt ist, mit derartigen Untersuchungen aber mancherlei Anregungen erfahren könnte. Die Wirtschaftstheorie, die die tauschwirtschaftlichen Erscheinungen zu erklären hat, kann sich damit begnügen, festzustellen,  unter welchen Umständen in der Einzelwirtschaft und der Tauschwirtschaft das Ziel aller, die vollkommenste Bedarfsversorgung gegeben ist.  Meine scharfe theoretische Formulierung des Ausgleichs der Grenzerträge ist zunächst nur ein  methodisches Hilfsmittel  zur klaren Erkenntnis des tauschwirtschaftlichen Mechanismus. Wenn daher die Vertreter der bisherigen Theorien, um sie zu retten, glauben, die meinige damit befestigen zu können, daß sie erklären, das Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge lasse sich weder in der Einzelwirtschaft noch in der Volkswirtschaft konstatieren, so nützen sie sich mit dieser sehr billigen Behauptung gar nichts. Daß es mittels dieser Abstraktion möglich ist, den ganzen tauschwirtschaftlichen Mechanismus viel besser zu verstehen als bisher und über mancherlei ökonomische Probleme, die bisher Gegenstand unzähliger Kontroversen waren, Klarheit zu schaffen, wie die Preisbildung, das Produktivitätsproblem, die Kapitalbildung, Einkommenslehre usw., das dürfte aus einem unbefangenen Vergleich meiner  Ergebnisse  mit der bisherigen Literatur zur Genüge hervorgehen. Und damit hat mein theoretisches System seine Berechtigung dargetan.

Für die Frage der Überkapitalisierung ergibt sich aus dem Gesagten folgendes:  Bei völliger Einsicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse und freier Konkurrenz,  die die Theorie anzunehmen hat,  ist eine Überkapitalisierung in der Form, daß mehr Einkommen zur Ausdehnung der vorhandenen Produktionsmittel verwendet wird, als der Ausdehnung des Konsums entspricht - und nur dieser Fall steht zur Erörterung (34) -  in der Tat unmöglich.  Insoweit ist also den Anhängern dieser Theorie in der Tat recht zu geben. Die Überkapitalisierung wird verhindert durch die Tendenz des Ausgleichs der Grenzerträge, die wieder auf das Streben aller Wirtschaftssubjekt nach dem größten Vorteil zurückgeht. Dies bewirkt, daß alle diejenigen, deren individuelle Grenzkonsumerträge so gering sind, daß sie unter den durchschnittlichen Grenzkapitalertrag fallen, anfangen zu sparen, d. h. neues Kapital zu bilden. Sie werden ihr Kapital all den Erwerbszweigen zuführen, in denen die dringendste noch unbefriedigte Nachfrage vorhanden ist, die also mit dem verhältnismäßig höchsten Kapitalertrag befriedigt werden kann.  Durch die so bewirkte Ausdehnung der Produktion wird einerseits der durchschnittliche volkswirtschaftliche Kapitalertrag herabgedrückt, andererseits aber auch eine allgemeine Herabdrückung der individuellen Grenzkonsumerträge herbeigeführt, was mit volkswirtschaftlichem Fortschritt, mit einer vergrößerten Bedarfsbefriedigung identisch ist. (35)  Hierdurch wird aber wieder die Summe der für die Kapitalbildung in Betracht kommenden Einkommensteile kleiner werden, da ja auch die Grenzkapitalerträge geringer geworden sind, und so wird sich auf einer niederen Stufe der Ausgleich der Grenzerträge wieder durchsetzen. Darin besteht ja eben die Selbstregulation der auf der freien Konkurrenz beruhenden Volkswirtschaft.  Die Tendenz des Ausgleichs der Grenzerträge bewirkt, daß sie sich immer wieder ins Gleichgewicht zu bringen versucht. Sie ist wie in Pendel, das zwischen Konsum und Kapitalbildung hin und her schwingt und nach der einen Seite gestoßen, auch nach der anderen stärker ausschlägt, oder wie eine  U-förmige Röhre, in der sich das Wasser in beiden Armen gleich hoch stellt und sich immer wieder so einstellt, wenn man auf der einen Seite nachfüllt (36).

Je mehr sich in einer Volkswirtschaft die Tendenz des Ausgleichs der Grenzerträge durchzusetzen vermag, umso mehr wird die Überkapitalisierung im praktischen Leben auf einzelne besondere Umstände beschränkt bleiben, die zu berücksichtigen nicht Sache der allgemeinen Theorie ist. Solche können liegen auf seiten der Kapitalisten und Produzenten in Irrtümern über die Nachfrage, auf seiten der Konsumenten in Bedarfsverschiebungen und Bedarfseinschränkungen infolge äußerer Ereignisse. Nur infolge solcher ist zeitweise eine  "allgemeine Überproduktion"  in dem Sinne, den die bisherige Theorie mit diesem Ausdruck verband, möglich, ein Zustand, in welchem für alle Waren die Produktion im Verhältnis zum Konsum zu sehr ausgedehnt worden ist. Von einer "allgemeinen Überkapitalisierung" zu sprechen aber bedeutet vom Standpunkt größter volkswirtschaftlicher Wohlstandsförderung immer eine Verkennung des Prinzips größter Wirtschaftlichkeit. Denn volkswirtschaftlich ist  jede  Überkapitalisierung auch nur in  einem  Unternehmenszweig eine  "allgemeine".  Theoretisch ist das richtige Verhältnis zwischen Kapitalbildung und Konsum gestört, wenn auch nur einem Unternehmenszweig mehr Kapital zugeführt worden ist als der Ausdehnung und Intensität der Nachfrage entspricht. Wir werden davon noch im nächsten Kapitel zu sprechen haben, wenn wir bei der Frage nach der Überkapitalisierung auch den Faktor Kapitalvernichtung und Kapitalersetzung berücksichtigt haben.

Der Ausgleich der Grenzerträge in der Volkswirtschaft wird heute erschwert durch die außerordentliche Vielseitigkeit der Formen, in denen das gesparte Einkommen Kapital werden kann. Insbesondere ist in dieser Hinsicht der  Effektenkapitalismus,  die Bedeutung des modernen Inhaberpapieres, Aktien und Obligationen, zu erwähnen. Zwar sind diese Effekten ja kein wirkliches Kapital, vertreten und und verkörpern vielmehr nur ein Sachkapital. Aber ihr Vorhandensein ist auf den Prozeß der Kapitalbildung doch von sehr großem Einfluß. Sie  erschweren  nämlich den Ausgleich der Erträge in der Volkswirtschaft insofern, als sie eben nicht nur der Anlage neuen ersparten  Kapitals,  sondern auch der Anlage freigewordener  Vermögen  dienen. Wenn jemand neue Aktien zeichnet, weiß man nicht, ob er das aus seinem Einkommen tut oder ob er andere Aktien oder irgendwelche sonstige Vermögensstücke vorher verkauft hat. Insbesondere wegen des intensiven Effektenaustausches mit dem Ausland ist in keiner Weise festzustellen, ob neue Effektenemissionen im Inland aus dem ersparten Teil des Jahreseinkommens in der Volkswirtschaft erworben werden und zu welchem Teil sie nur die Folge eines Vermögenswechsels sind. Wenn so und soviele Millionen deutscher Reichsanleihe gezeichnet werden, weiß man nicht, wieviel ausländische Effekten dafür aus Deutschland zurückfließen. Nachfrage und Angebot auf dem Effektenmarkt sind also, wie bekannt, in keiner Weise ein Maßstab für das Bedürfnis nach neuem Kapital in der Volkswirtschaft und ebensowenig für die Höhe der Summen, die aus dem Einkommen nicht zum Konsum, sondern zur Kapitalbildung verwandt werden.

Auf der anderen Seite darf man allerdings nicht übersehen, daß der Effektenkapitalismus in gewisser Hinsicht auch den  Ausgleich der Grenzerträge erleichtert,  und zwar scheint mir dieses Moment eine viel größere Bedeutung zu haben als das erwähnte gegensätzliche. Diese Erleichterung des Ausgleichs der Grenzerträge vollzieht sich dadurch, daß  alle in Effektenform verkörperten Kapitalbeträge jederzeit nach ihrem wirklichen Ertrag bewertet, ge- und verkauft werden.  Wenn z. B. ein Montanpapier im Verhältnis zum Kurs eine höhere Verzinsung liefert als ein Textilpapier, so werden Leute, die einen Teil ihres Einkommens Kapital werden lassen wollen, die Anlage in jenem bevorzugen und so einen Ausgleich herbeiführen. Die Verzinsung, die solche Aktien im Verhältnis zum Kurs gewähren, ist nichts anderes als der ungefähre volkswirtschaftliche Grenzkapitalertrag unter Berücksichtigung eines besonderen Risikos, das mit der Kapitalanlage in diesem oder jenem Unternehmenszweig verbunden ist.

Der Kurs der Effekten,  genauer:  die Verzinsung, die der Käufer auf ihrer Grundlage erhält, ist zweifellos der beste Maßstab zur Feststellung der ungefähren Höhe des volkswirtschaftlichen Grenzkapitalertrags und des durchschnittlichen Grenzkonsumertrags.  Das wird noch dadurch verstärkt, daß nicht nur die ersparten Einkommensbeträge, sondern, wie gesagt, auch die ganzen in Effekten angelegten Vermögen im Sinne eines Ausgleichs der Erträge wirken. Die Leichtigkeit, die Vermögensanlage zu wechseln, muß hier eine fast vollständige Ausgleichung herbeiführen.

Die Ausgleichung der Effektenkapitalerträge besagt allerdings noch nichts darüber, ob nun auch das Verhältnis zwischen Kapitalbildung und Konsum das volkswirtschaftlich Zweckmäßigste ist. Aber bei dem außerordentlichen Umfang des Kredits und der Beteiligung in der heutigen Volkswirtschaft ist sicherlich die Möglichkeit eines Ausgleichs in sehr viel höherem Grad gegeben als früher, wo eigentlich die Beleihung von Grund und Boden die einzige Form der Kreditgewährung in größerem Umfang war. Jedenfalls kann heute nicht mehr die Rede davon sein, daß der sogenannte landesübliche Zinsfuß, der Leihertrag, den die besten Kapitalanlagen gewähren, der einzige oder auch nur der beste Regulator der Kapitalbildung ist. Andererseits folgt der Zins für kurzfristige Kreditgewährung bekanntlich anderen Bestimmungsgründen. Er hat, wie hier nur kurz betont sei, mit Kapitalbildung und Sparen, für die Theorie zumindest, die ja nur die Hauptfaktoren hervorhebt, so gut wie nichts zu tun.

Nichtsdestoweniger ist der  Leihkapitalertrag,  besonder auch in der letzteren Form, heute, wie bekannt,  das Hauptmerkmal, um im praktischen Wirtschaftsleben unsere Frage zu entscheiden, wann eine Vermehrung des Konsums oder eine Ausdehnung der Spartätigkeit volkswirtschaftlich vorteilhafter ist.  Ist der Zins sehr niedrig, so ist anzunehmen, daß die Grenzkonsumerträge der meisten Menschen höher sind, und es ist Zeit, den Konsum mehr auszudehnen, den Grenzertrag der Bedarfsbefriedigung herabzusetzen. Das wird auch schon automatisch dadurch herbeigeführt wrden, daß die Neigung zum Sparen dann naturgemäß niedriger ist. Ist der Zinsfuß dagegen hoch, so ist anzunehmen, daß der Konsum stark ausgedehnt worden ist, also eine große Nachfrage nach Produktionsmitteln vorhanden ist, und diese wird dann der Spartendenz einen Anreiz geben, einen größeren Teil der Einkommen zur Kapitalbildung zu verwenden.

Man muß aber erkennen, daß  neben dem Leihkapitalertrag alle anderen Kapitalerträge ganz ebenso für die Entscheidung in Betracht kommen, ob das einzelne Wirtschaftssubjekt sparen oder konsumieren will.  Das Leihkapital ist ja auch häufig, vielleicht in den meisten Fällen, nur eine Durchgangsstufe (Effektenkapitalismus) für die eigentliche Kapitalvermehrung als Sachkapital. Zum Beispiel eine Aktiengesellschaft, die prosperiert und ihre Fabrikanlagen vergrößern will, nimmt eine Obligationenanleihe auf, die durch die Vermittlung durch Banken von einzelnen Sparern gezeichnet wird. Wenn also auch der Zinsfuß das am leichtesten erkennbare äußere Merkmal für den Kapitalbedarf einer Volkswirtschaft und danach für die Beantwortung der Frage ist, ob mehr oder weniger gespart werden sollte, so sind doch die durchschnittlichen Erträge der verschiedenen Unternehmenszweige weit eher der entscheidende Punkt, auf dessen Berücksichtigung es bei dieser Frage ankommt.
LITERATUR Robert Liefmann, Theorie des Sparens und der Kapitalbildung, Jahrbuch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich, Jhg. 36, München und Leipzig 1912
    Anmerkungen
    22) Auch die Erörterungen Seite 189f über Produktion und Einkommen enthalten darüber nichts.
    23) FRANK FETTER, Principles of Economics, New York 1904.
    24) Der Hauptgrund für alle diese Mißverständnisse ist natürlich die schreckliche Lehre vom "time-value", d. h. der BÖHM-BAWERKschen Zinserklärung, die nirgends eine solche Verbreitung erlangt hat wie in Amerika. Daß diese Lehre, wonach der Wert gegenwärtiger Güter höher sein soll als der der Güter in Zukunft, eine  occupatio principii  ist, die das, was erst erklärt werden soll, schon voraussetzt, ist oft gezeigt worden. Ich kann hier nicht näher darauf eingehen und verweise auf "Ertrag und Einkommen" und die dort zitierte Literatur.
    25) Ich vermeide absichtlich zu sagen: daß das  Gleichgewicht  von Angebot und Nachfrage in der Volkswirtschaft schon dann gestört ist usw. Denn diese Vorstellung vom Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage hat - wie ich in meinem Aufsatz über die Entstehung des Preises gezeigt habe - einen der schlimmsten Irrtümer der heutigen materialistischen Auffassung verschuldet, die Lehre nämlich, die sich namentlich bei den "mathematischen" Nationalökonomen findet und typisch von CLARK, von BORTKIEWICZ, SCHUMPETER u. a. vertreten wird, daß man die tauschwirtschaftlichen Vorgänge als Gleichungen zwischen Güterquantitäten auffassen kann. Aber auch wenn man diese äußersten Konsequenzen der üblichen materialistischen Auffassung vermeidet, ist es doch sehr bedenklich und zumindest irreführend, von einem Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu sprechen. Denn es führt dazu - und hier liegt ein Hauptfehler der bisherigen Preistheorien -, die  Nachfrage als eine feste Größe anzusehen.  In Wirklichkeit ist die Nachfrage aber sozusagen unbegrenzt, nur nimmt sie bei zunehmender Befriedigung immer mehr an Intensität ab. Die Aufgabe der Preistheorie besteht aber gerade darin, zu zeigen, wie einer solchen nicht fest begrenzten Nachfrage gegenüber  ein Angebot zustande kommt.  Das ist nur mit einem allgemeinen Ertragsbegriff und dem Gesetz des Ausgleichs der Grenzerträge möglich. Hier sei nur hervorgehoben, daß es also kein Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage gibt, sondern nur eine solche Höhe des Angebots von allen Gütern, daß die möglichst vollkommene Bedarfsbefriedigung aller damit erzielt wird.
    26) Der Aufsatz wurde vor Erscheinen des HERKNERschen Aufsatzes in der 3. Auflage des Handwörterbuches geschrieben. Hier hat der Verfasser seine Stellungnahme wesentlich geändert. Er vertritt zwar noch die Unterkonsumtionstheorie in der RODBERTUSschen Form, zu geringe Löhne der Arbeiterklasse, huldigt aber außerdem der neuerdings besonders von SPIETHOFF vertretenen Lehre vom "reproduktiven Konsum", von der übermäßigen Ausdehnung der Produktionsmittelindustrien. Wir führen HERKNERs Ausführungen hier vor, ums sie der nach der anderen Seite ebenso falschen Lehre von MANTEUFFELs, der sie kritisiert, gegenüberstellen zu können. Ein anderer Vertreter der Lehre von der Unterkonsumtion der arbeitenden Klassen als Hauptkrisengrund ist von TUGAN-BARANOWSKY, "Studien zur Theorie und Geschichte der Handelskrisen in England".
    27) HERKNER, a. a. O., Seite 70
    28) von MANTEUFFEL, a. a. O., Seite 73f
    29) Ganz absurd ist das Extrem, zu dem von MANTEUFFEL bei seiner Theorie gelangt (a. a. O., Seite 75 und 76): "Aber auch angenommen, der Konsum der Volkswirtschaft bliebe stetig, und weiter angenommen, die Möglichkeit einer Steigerung der Produktivität einer Kapitalanlage in verbesserten Produktionsmitteln wäre nicht vorhanden, müßte dann eine Überproduktion eintreten? Nein, selbst dann nicht! Wir können uns in der Theorie durchaus einen Zustand der Volkswirtschaft denken, in dem stets weniger konsumiert als produziert wird, in dem andererseits keine produktiven Anlagen mehr gemacht werden und bei welchem doch keine Überproduktion eintritt. In diesem Fall würden nämlich die Sparer die Mehrwerte in Form von Edelmetallen beziehen und thesaurieren [horten - wp], alle in der Produktion ersparten Kräfte würden dann zur Steigerung der Edelmetallproduktion verwandt werden." Das kommt auf die bekannte merkantilische Lehre hinaus, daß Edelmetallbergwerke produktiv sind, auch wenn sie sich nicht rentieren! Außerdem aber ist ein solches Anhäufen von Edelmetall überhaupt Konsum, Beschaffung von dauerbaren Genußgütern. Wenn man es aber als Geld verwendet, würde dieses "Sparen" nur die Wirkung haben, alle Preise zu erhöhen, und wenn  alle  so "sparen" würden, hätte sich schließlich bei keinem etwas verändert.
    30) KARL OLDENBERG, "Zur Theorie der volkswirtschaftlichen Krisen", in diesem Jahrbuch, Bd. 27 (1903), Seite 838f.
    31) ADOLF WAGNER, Theoretische Sozialökonomik, Seite 328 und 369; siehe zu all dem meinen Aufsatz über die Entstehung des Preises, besonders Seite 74f.
    32) WILHELM LEXIS, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, Seite 77 u. a.; siehe besonders auch den Artikel "Überproduktion im  Wörterbuch der Volkswirtschaft. 
    33) Die österreichishe sogenannte  Grenznutzenlehre  ist in der Erfassung des tauschwirtschaftlichen Mechanismus stark zurückgeblieben. Ihr Hauptfehler ist auch wieder der Mangel des allgemeinen Ertragsbegriffs, vielmehr hat sie den Irrtum der speziellen Einkommenslehre mit prinzipieller Begründung auf die Zurechnungstheorie auf die Spitze getrieben (von Wieser, Böhm-Bawerk, Schumpeter). Sie kennt zwar den  Grenzgedanken,  in dessen Erfassung ihr einziges Verdienst besteht (Menger), wendet ihn aber nur an auf ihren unglückseligen  Wert begriff, auf den es bei der Erklärung der wirtschaftlichen Erscheinungen gar nicht ankommt.
    34) Der andere, daß das neue Kapital zum Ersatz von altem verwandt wird, ist Gegenstand des folgenden Kapitels.
    35) Welche Folgerungen sich daraus für die  Einkommensverteilung  ergeben, wird am Schluß erörtert werden.
    36) Nur insofern kann man von einem  Gleichgewichtszustand,  besser von einer  Ausgleichstendenz  in der Volkswirtschaft sprechen. Es handelt sich dabei aber um Erträge, d. h. um  Wertvorstellungen,  nicht um Güter quantitäten.  Die Verwechslung mit solchen ist ein Grundfehler der bisherigen materialistischen Nationalökonomie, der in den Theorien von CLARK und SCHUMPETER ins Extrem getrieben wurde. Es ergibt sich daraus auch die Unmöglichkeit der Unterscheidung von Statik und Dynamik in der ökonomischen Theorie, die CLARK aufgebracht hat. Die ganze Verkehrswirtschaft besteht darin, daß sozusagen auf beiden Seiten der Röhre fortwährend weggenommen und zugefügt wird, und die Theorie hat die Aufgabe zu zeigen, wie sie dabei fortgesetzt einen Ausgleich herbeizuführen, einen neuen Ruhepunkt zu erreichen sucht. Also typisch dynamische Erscheinungen!