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OTTO SCHLUNKE
Die Lehre vom Bewußtsein
bei Heinrich Rickert

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"Wir wissen, Dinge sind mehr als Wahrnehmungskomplexe. Gegeben sind nur die Eigenschaften, und auch diese nur mit Rücksicht auf ihren Inhalt, d. h. also eigentlich noch nicht als Eigenschaften. Das Ding, an dem die Eigenschaften haften, und das sie so miteinander verbindet, daß wir von ihnen als den Eigenschaften eines Dinges reden können, ist der Wahrnehmung entzogen. Das angeblich transzendent seiende Ding ist eine transzendente Norm oder Regel der Vorstellungsverknüpfung."


II. Bewußtsein und Bewußtseinsinhalt

1. Die Abhängigkeit des Bewußtseinsinhaltes
vom Bewußtsein - ein gemeinsames grundlegendes
Vorurteil des "Realismus" und des Rickertschen
Idealismus.

Wenn RICKERT vom Realismus als einer Erkenntnistheorie spricht, die dem Idealismus entgegengesetzt, also unhaltbar ist, so hat er stets den "Gegenstand" des Realismus, d. h. "die ansich existierende Wirklichkeit" im Auge (1). In diesem "Gegenstand der Erkenntnis", den der Realismus aufstellt, sieht er das Grundübel des "Realismus" überhaupt.

Und so richtet sich dann der erkenntnistheoretische Zweifel als die Methode der "neuen" Erkenntnistheorie, insofern er zur Zerstörung des falschen Erkenntnisbegriffs dient, nur gegen den "Gegenstand" des Realismus, d. h. die von der "Bewußtseinwelt" unterschiedene Wirklichkeit in der Voraussetzung, daß mit dem "Gegenstand der Erkenntnis" auch der "Erkenntnisbegriff" fallen muß, der aufgrund dieses "Gegenstandes" gebildet ist. (2)

Wie RICKERT nachweist, daß die "transzendente Wirklichkeit" des Realismus wie überhaupt so im besonderen auch als "Gegenstand der Erkenntnis" nicht haltbar ist, und ob die Beweise gegen die "ansich existierende Welt seiender Dinge" stichhaltig sind, kommt hier nicht in Frage. (3) Es genügt, das Resultat der Untersuchung festzustellen. Es besteht, wie zu erwarten, in der Ablehnung der ansich existierenden Welt als eines "Gegenstandes" durch die Erklärung, daß ein Nachweis für die Existenz dieser Welt nicht zu erbringen ist.

Mit der Existenz dieser Welt fällt unzweifelhaft auch die Erkenntnistheorie und der "Erkenntnisbegriff", die nur aufgrund eben dieses Gegenstandes möglich sind: die Bildung eines "neuen Erkenntnisbegriffs" auf idealistischer Grundlage scheint ebenso notwendig wie berechtigt, gleichzeitig aber auch die Forderung erfüllt, daß die Erkenntnistheorie vorurteilslos an ihre Aufgabe herangehen muß.

Und dennoch ist der Idealismus RICKERTs nicht weniger voraussetzungsvoll als der Realismus: den Schein der Voraussetzungslosigkeit hat er sich erworben durch ein rechtzeitiges Einstellen der Frage, er verschwindet, sobald die Methode des radikalen Zweifels konsequent durchgeführt wird. Erst die Frage, was den Realismus zur Setzung einer von der Bewußtseinswelt unterschiedenen Welt getrieben hat, deckt das Grundübel auf, an dem der Realismus krankt, läßt aber auch zugleich die Voraussetzung des Idealismus hervortreten und zeigt, wie beide auf gleichem Grund ihre Gebäude errichten.

Die Annahme einer von der Bewußtseinswelt unterschiedenen, transzendenten Welt scheint dem Realismus geboten und unumgänglich, da er von vornherein voraussetzt, daß der Bewußtseinsinhalt irgendwie abhängig ist von dem Bewußtsein, dessen Inhalt er ist, denn diese Voraussetzung führt mit Notwendigkeit zu den Widersprüchen des Solipsismus, weil sich dem, der jene Behauptung ausspricht, nichts innerhalb seines Bewußtseinsinhaltes bietet, das nicht von ihm abhängig wäre (4): die Setzung einer vom Bewußtsein unabhängigen Welt ist für den Realismus das Mittel diesen Widersprüchen zu entgehen; nicht also die "ansich existierende Realität" ist das Grundübel des Realismus, sondern die Voraussetzung, daß der Bewußtseinsinhalt abhängig ist vom Bewußtsein, jene aber ist nichts als die Folge eben dieser Behauptung.

Es ist bezeichnend und verständlich, daß RICKERT nicht zur Aufdeckung dieser Grundvoraussetzung des Realismus trotz der Methode des radikalen Zweifels vordringt, weil die Aufdeckung der behaupteten Voraussetzungslosigkeit der neuen Erkenntnistheorie Hohn gesprochen und ihr gezeigt hätte, wie sie mit dem Realismus auf gleichem Boden ruht; denn auch in der RICKERTschen Erkenntnistheorie findet sich von Anfang an dieselbe Voraussetzung, die den Realismus zur Setzung einer transzendenten Wirklichkeit nötigte, die Voraussetzung nämlich, daß der Bewußtseinsinhalt abhängig ist vom Bewußtsein: Wie im "Realismus" sind RICKERT die Worte "transzendent" und "unabhängig vom Bewußtsein" Ausdrücke für ein und dasselbe, dementsprechend besteht für beide die Gleichung: Bewußtseinsinhalt = vom Bewußtsein Abhängiges. (5) Beide stehen am Ausgang ihrer Untersuchungen mit diesem Urteil auf gleichem Boden. Daß sie trotz derselben Grundlage unterschiedene Resultate zeitigen, ist, wie sich zeigen wird, nicht im mindesten in der Art begründet, wie sie den Bannkreis des Solipsismus, der durch jenes Urteil gezogen ist, zu sprengen suchen.

Nicht aber wurzelt die Verwandtschaft zwischen "Realismus" und RICKERTschem "Idealismus" in der Aufnahme jenes Urteils allein, sie wurzelt vor allem auch darin, daß das Urteil für beide Wissenschaften eine "ungeprüfte Voraussetzung" bedeutet (6): auch bei RICKERT finden wir ebenso wie beim Realismus das Urteil: "der Bewußtseinsinhalt ist abhängig vom Bewußtsein" als Vorurteil. Unter "Vorurteil" aber verstehen wir mit RICKERT ein Urteil, das eine Wissenschaft hinnimmt, ohne daß es ein Ergebnis wissenschaftlicher Arbeit ist: eine Voraussetzung, deren "Berechtigung" nicht durch eine wissenschaftliche Prüfung erwiesen ist. Ich habe nicht entdecken können, daß RICKERT jenes Urteil jemals in Frage gestellt hat (7), trotzdem nach ihm "fragen" dasselbe heißt wie "zweifeln" 8), trotzdem der radikale Zweifel als die "Methode" seiner Erkenntnistheorie verkündet ist (9).

Die "vorurteilslose Wissenschaftslehre" Rickerts hat somit, da ihren Ausgangspunkt ein Vorurteil bildet, den Anspruch auf den Titel einer "vorurteilslosen" Wissenschaft verwirkt.

Die ungeprüfte Aufnahme dieses Urteils in die Erkenntnistheorie muß umso bedenklicher erscheinen, als gerade dieses Urteil es ist, das die gesamte "Wissenschaftslehre" trägt. Der "erkenntnistheoretische Idealismus" RICKERTs ist ebenso wie der Realismus nur aufgrund dieses Urteils möglich, er braucht es, "um den richtigen Begriff des Erkennens zu bilden", ich nenne es deshalb das grundlegende Urteil des "Idealismus" RICKERTs.

Die folgenden Ausführungen werden darüber zu entscheiden haben, ob zumindest das "grundlegende Urteil" haltbar, ob es ein "richtiges Urteil" ist.


2. Die besonderen Fassungen des
"Abhängigkeitsverhältnisses" bei Rickert.

Die kritiklose Hinnahme jenes Urteils als der Grundlage des RICKERTschen Idealismus rächt sich: wie wissenschaftliche Arbeit die Eindeutigkeit ihrer Sätze zumindest zu erzielen strebt, so stellt sich mit jenem Satz RICKERTs ein Schwarm von Bedeutungen ein, die einander widerstreiten, so daß jenem Satz schließlich überhaupt kein Sinn mehr abzugewinnen ist: ein neuer und zugleich der treffendste Beweis, daß die behauptete Voraussetzungslosigkeit der Wissenschaftslehre nichts ist als eine Behauptung, woran auch die Tatsache nichts ändert, daß sich der Satz in jeder der "alten" Erkenntnistheorien findet, daß er RICKERT also als ein Erbstück aus früheren Erkenntnistheorien überkommen ist.


a) Der Bewußtseinsinhalt als
Zustand des Bewußtseins.

Wir lesen die Behauptung: "Die Dinge sind aus Bestandteilen zusammengesetzt, die man als Zustände des Bewußtseins auffassen kann." (10)

Ob es angängig ist, das Räumliche als Zustand eines Raumlosen, als das auch nach RICKERT das Bewußtsein begriffen werden soll, zu fassen, soll zunächst dahingestellt bleiben. Es sei fürs Erste nur klargelegt, wie die Stellung der Dinge zum Bewußtsein jenem Ausspruch nach zu deuten ist und unter welcher Bedingung jenem Satz ein Sinn zugeschrieben werden kann. Von einem Zustand ist die Rede, wenn eine oder mehrere Bestimmtheiten oder Eigenschaften in einem Augenblick oder im Nacheinander, d. h. in mehreren Augenblicken, als zu einem Einzelwesen gehörig begriffen werden sollen. So sprechen wir von einem Zustand der "Traurigkeit" oder "Freude" und drücken damit aus, daß ein Bewußtsein als eine besondere Bestimmtheit in einem Augenblick das Gefühl der "Traurigkeit" oder "Freude" aufweist. Zustand bedeutet ferner eine oder mehrere Eigenschaften an einem Einzelwesen: in diesem Sinne ist das Wort vom Zustand der Flüssigkeit, der Härte, der Wärme zu fassen, in dem ein Einzelwesen sich befindet. Das Wort "Zustand" finden wir auch dort verwendet, wo mehrere unterschiedene Bestimmtsheitbesonderheiten im Nacheinander als zu einem Einzelwesen gehörig begriffen werden: das Wort "Bewegung", als eines Wechsels der Bestimmtheitsbesonderheiten "Ort" mag als Beispiel dienen. Endlich wird durch das Wort "Zustand" ausgedrückt, daß ein Einzelwesen eine besondere Bestimmtheit in mehreren Augenblicken aufzuweisen hat; diese Bedeutung kommt dem Wort zu, wo die Ruhe als Zustand eines Einzelwesens gefaßt wird. "Ruhe" bedeutet, daß zu einem besonderen Einzelwesen in mehreren Augenblicken dieselbe Ortsbestimmtheit gehört.

Trotz der verschiedenen Bedeutungen, die das Wort "Zustand" im Sprachgebrauch zum Ausdruck bringt, findet sich doch etwas, das allem, was "Zustand" genannt wird, gemeinsam ist: ausnahmslos gehört das "Zustand" Genannte zu einem von ihm selbst Unterschiedenen und zwar zu einem Einzelwesen: nur wo Einzelwesen gegeben sind, kann sinnvoll von einem "Zustand" gesprochen werden. Sollen die Dinge begriffen werden als aus Zuständen des Bewußtseins zusammengesetzt, so ist dem Sinn des Wortes "Zustand" entsprechend zu verlangen, daß dieses Bewußtsein etwas von den Dingen selbst Unterschiedenes und zwar ein Einzelwesen ist: es ist das die erste unerläßliche Bedingung, wenn die RICKERTsche Behauptung verständlich sein soll.

Ausnahmslos ferner findet sich, daß ein Zustand, der an einem Ort gegeben ist, einem ebenfalls ortsbestimmten Einzelwesen zugehört, wie umgekehrt Zustände, die ortlos sind, sich nur dort finden, wo ortlose Einzelwesen gegeben sind. Da den Dingen ebenso wie den Bestandteilen, aus denen sie angeblich zusammengesetzt sind, den Eigenschaften (11), örtliche Bestimmtheit nicht abzusprechen ist, muß notwendigerweise das Einzelwesen, dem sie als Zustände zugehören sollen, ebenfalls als ortsbestimmt angesehen werden.

Soll und kann endlich ein Nacheinander von Unterschiedenem in der Dingwelt nicht überhaupt geleugnet werden, so ist dieses Nacheinander nur als ein Wechsel von Zuständen des Bewußtseins zu begreifen, oder, was dasselbe sagt: als eine Veränderung des Bewußtseins, aus dessen Zuständen sich die Dinge nach RICKERT zusammensetzen: wie Zustände sich nur an Einzelwesen finden, so ist ein Nacheinander von Zuständen nur dort zu verzeichnen, Wo eine Veränderung des Einzelwesens, zu dem die Zustände gehören, vorliegt (12).

Jene Behauptung RICKERTs ist folglich nur solange verständlich und haltbar, wie er am Bewußtsein als einem ortsbestimmten, veränderlichen Einzelwesen festhält und eine Veränderung der Dinge zu leugnen imstande ist.

Von allen Schwierigkeiten, die der RICKERTsche Satz mit sich führt, scheint mir die Leugnung von veränderlichen Dingen die größte, und doch ist sie nicht zu umgehen: Zustände sind nicht veränderlich, gleichgültig ob es sich um einen einzelnen Zustand oder um eine Summe von Zuständen, die zusammengehören, handelt. Auch dort, wo im Sprachgebrauch von Zuständen, die sich verändert haben, die Rede ist, zeigt die Prüfung des Wortsinnes, daß sich nicht die Zustände, sondern die Einzelwesen verändert haben, zu dem die Zustände gehören, daß hingegen ein Wechsel dieser vorliegt. Wechsel und Veränderung aber ist nicht dasselbe; daß der Zustand Kälte mit Wärme, Freude mit Traurigkeit, Ruhe mit Bewegung wechseln können, ist ebenso unleugbar und verständlich, wie es unverständlich ist, daß sich Freude ändert und Traurigkeit wird oder daß Ruhe sich in Bewegung verändert. Sind Dinge aus Zuständen des Bewußtseins zusammengesetzt, so können sie nie und nimmer als veränderliche Einzelwesen begriffen werden.

Wie jene Behauptung RICKERTs eine vorurteilsfreie Auffassung der Dingwelt unmöglich macht, so steht auch die "Fassung des Begriffs Bewußtsein" in jenem Satz mit seinen sonstigen Anschauungen über das, was er "Bewußtsein" nennt, in schärfstem Widerspruch: Da nach RICKERT die Bestandteile, aus denen sich die Dinge zusammensetzen, augenscheinlich die Eigenschaften des Dinges sind, so müssen diese Eigenschaften, die der "naiven" Meinung nach zum Ding gehören, sind sie Zustände des Bewußtseins, als zum Bewußtsein gehörig begriffen werden, was dasselbe bedeutet, wie das Bewußtsein selbst zu einem Ding mit sämtlichen Dingeigenschaften der Welt stempeln, ein Gedanke, der sich umso ungeheuerlicher im idealistischen System RICKERTs ausnehmen würde, als nach RICKERT das Bewußtsein nicht einmal als örtlich bestimmt begriffen werden kann und soll.

Wie die Behauptungen der Ortslosigkeit des Bewußtseins und der ortsbestimmten Eigenschaften, aus denen sich die Dinge angeblich zusammensetzen, miteinander unvereinbar und einander widersprechend bleiben, so ist auch endlich nicht zu begreifen, wie die Eigenschaften der Dinge, die RICKERT durchaus als "Realitäten" (13) gelten, Zustände eines Nichtrealen (14), als das er das Bewußtsein gefaßt wissen will, sein können.

Von all jenen Schwierigkeiten auch nur eine zu lösen, macht RICKERT nicht einmal den Versuch - wenn man nicht die Art, wie RICKERT um sie herumkommt, als einen Lösungsversuch ansehen will, der darin besteht, daß er sich nicht weiter um seine grundlose und unbewiesene Behauptung (15) kümmert, sondern sie fallen läßt in demselben Augenblick, in dem er sie aufgenommen hat und jene durch andere ersetzt, denen dasselbe Los beschieden ist, so daß schließlich ein Satz über die Stellung des Bewußtseinsinhaltes zum Bewußtsein unvermittelt neben dem anderen steht. Nur in einem Punkt bleibt RICKERT seinem idealistischen System auch in jener Behauptung treu: die Abhängigkeit des Bewußtseinsinhaltes vom Bewußtsein ist gewahrt. Wenn abhängig von einem anderen das genannt wird, was ohne dieses andere nicht ist oder doch zumindest nicht so ist, wie es ist, so kann die Dingwelt mit Recht als vom Bewußtsein abhängig bezeichnet werden; denn die Dingwelt als Summe von Zuständen des Bewußtseins ist nur, insofern das Bewußtsein Zustände zu haben vermag; hätte das Bewußtsein nicht verschiedene Zustände, so wären nicht verschiedene Dingeigenschaften, folglich auch nicht verschiedene Dinge; hätte das Bewußtsein nicht überhaupt Zustände, so bedeutete Dingwelt und Nichts dasselbe, nämlich nichts. Insoweit ist, wie gesagt, jener Satz mit dem Idealismus durchaus vereinbar, aber auch nur insoweit die besondere Stellung, die die Dingwelt als Bewußtseinsinhalt zugewiesen erhält, ist unhaltbar und wird auch von RICKERT aufgegeben durch eine zweite Behauptung, die das Verhältnis von Bewußtsein zum Bewußtseinsinhalt anders erscheinen läßt, ohne die Abhängigkeit des Bewußtseinsinhaltes vom Bewußtsein schlechthin fallen zu lassen. Wir finden diese Behauptung in folgenden Sätzen ausgedrückt:


b) Die Tätigkeitstheorie
    "Fassen wir ... das Subjekt ganz im Allgemeinen als das Aktive auf, das etwas tut, das Objekt dagegen als das Passive, womit etwas getan wird. Diese Bedeutung kann als allen drei Begriffspaaren (16) gemeinsam angesehen werden. Als aktiv können wir zunächst das psychophysische Subjekt betrachten, insofern es etwas mit der es räumlich umgebenden passiven Außenwelt vornimmt." (17)
Der Sinn des Ausspruches ist klar und eindeutig besonders dankt der Aufstellung des ersten "Gegensatzpaares": Das Verhältnis von Subjekt und Objekt (18) ist gedacht als ein Wirkverhältnis, und zwar gilt in diesem Wirkverhältnis als "Subjekt" das Einzelwesen, das die wirkende Bedingung für die Veränderungen des anderen zu dem Wirkverhältnis gehörenden Einzelwesen abgibt, während dementsprechend diejenigen Einzelwesen, die in diesem Wirkverhältnis Veränderungen als Wirkungen erleiden, mit der Bestimmung "Objekt" belegt werden.

Daß RICKERT unter "Subjekt" ein Einzelwesen begriffen wissen will, geht einmal daraus hervor, daß ihm als "Subjekt" das "Aktive gilt, das etwas tut", denn nur Einzelwesen sind als aktiv, tätig zu fassen, und sodann daraus, daß im ersten "Begriffspaar) als Subjekt ein Einzelwesen, nämlich der beseelte Körper, auftritt. Gleichzeitig aber ist in jenem satz auch ausgesprochen, daß die Bestimmung "Subjekt" einem Einzelwesen zukommt, insofern es in einer Beziehung zu Anderem, von ihm Unterschiedenem, gesetzt wird, daß also ein Einzelwesen, solange es für sich betrachtet wird, Anspruch auf eine Bestimmung als "Subjekt" nicht erheben kann; denn ganz im Allgemeinen faßt RICKERT das Subjekt als das Aktive, das etwas tut, auf. Als "aktiv" aber ist ein Besonderes nur dann zu fassen, wenn es auf ein Anderes bezogen wird, dem gegenüber es "aktiv" ist, oder, was dasselbe sagt, aktive Einzelwesen finden sich nur dort, wo gleichzeitig passive gegeben sind. "Passivsein" heißt RICKERT aber offenbar dasselbe wie eine "Veränderung erleiden": im ersten "Gegensatzpaar" gilt ihm die Außenwelt als passiv, weil etwas mit ihr "vorgenommen" wird, ein Wort, dessen Sinn nur in einer Veränderung der Außenwelt gesucht werden kann. Doch ist der Sinn des Wortes "passiv" hierdurch noch nicht restlos beschrieben, denn auch der Körper muß, soll er aktiv sein oder etwas mit der Außenwelt vornehmen, sich selbst verändern, oder, mit anderen Worten, ein ruhender Körper, d. h. ein Körper, der selbst keinerlei Veränderung aufweist, kann als aktiv, tätig nicht begriffen werden: der Grund für die Bestimmung eines Einzelwesens als "aktiv" oder "passiv" ist mit der Veränderung dieses Einzelwesens als solcher nicht gegeben, woraus ersichtlich wird, daß der Sinn der beiden Worte nur in einer Beziehung zweier Veränderungen aufeinander zu suchen ist: passiv heißt ein Einzelwesen, wenn seine Veränderung als eine Wirkung angesehen wird, aktiv dementsprechend ein Einzelwesen, wenn seine Veränderung als die wirkende Bedingung für die Veränderung eines von ihm unterschiedenen Einzelwesens gilt: das Verhältnis von Subjekt zu Objekt ist nach diesem Ausspruch RICKERTs als ein Wirkverhältnis zu denken, als ein Verhältnis also, das nur aufgrund zumindest zweier voneinander unterschiedener Einzelwesen möglich ist (19).

Doch in dieser allgemein gehaltenen Fassung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt liegt eine Schwierigkeit: durch das Aktiv- bzw. Passivsein schlechthin ist das Verhältnis von Subjekt und Objekt nicht restlos beschrieben, denn offenbar kann nicht jedes Wirkverhältnis zwischen zwei Einzelwesen als ein Verhältnis von Subjekt und Objekt angesehen werden, denn wir kennen im Wirklichen kein Einzelwesen, das nicht eine wirkende Bedingung für die Veränderung eines anderes von ihm unterschiedenen Einzelwesens sein könnte. Sollte also der Grund für das "Subjektsein" eines Einzelwesens nur darin liegen, daß das betreffende Einzelwesen die wirkende Bedingung für die Veränderung eines von ihm unterschiedenen Einzelwesens abgäbe, so müßte jedes wirkliche Einzelwesen als ein "Subjekt" angesprochen werden, da eben jedes Einzelwesen in der Welt "etwas mit einem anderen Einzelwesen vornehmen", d. h. eine wirkende Bedingung für die Veränderung des anderen Einzelwesens sein kann.

Da nun nach der Behauptung RICKERTs ein Einzelwesen als Subjekt nur aufgrund seines "Aktivseins" zu verstehen ist und kein Einzelwesen als solches schon als ein "Subjekt" angesprochen werden kann, da also "Subjektsein" eine Beziehung eines besonderen Einzelwesens auf ein anderes zum Ausdruck bringt, aber nach RICKERT nicht jedes "aktive" Einzelwesen als "Subjekt" gefaßt werden soll, muß der Grund dafür, daß ein Einzelwesen aufgrund seines "Aktivseins" als "Subjekt" bestimmt wird, in einem besonderen "Aktivsein" gesucht werden.

Weil "aktiv sein" so viel bedeutet wie "Veränderung wirken", muß die besondere "Aktivität" eines Einzelwesens, die das Einzelwesen ein "Subjekt" sein läßt, sich durch eine besondere Veränderung kennzeichnen, die das "aktive" Einzelwesen wirkt; in der besonderen Veränderung eines oder mehrerer Einzelwesen als der Wirkung wird der Grund zu suchen sein, ob das Einzelwesen, das die wirkende Bedingung für eben diese besondere Veränderung abgibt, als Subjekt zu bestimmen ist oder nicht (20).

Nach dem Ausspruch RICKERTs soll nunmehr jedes Verhältnis von Subjekt zu Objekt analog dem Verhältnis "meines beseelten Körpers" zu der "ihn räumlich umgebenden Außenwelt" gefaßt werden, denn "ganz im allgemeinen", schreibt RICKERT, "kann man das Subjekt als das Aktive auffassen, das etwas tut, und das Objekt als das Passive, mit dem etwas getan wird"; es ist somit nach RICKERT jedes Verhältnis von Subjekt und Objekt als ein Wirkverhältnis zu denken.

Jedes Wirkverhältnis erfordert aber zumindest zwei voneinander unterschiedene Einzelwesen: ein Einzelwesen, das wirkt, und ein anderes, das die Wirkung erfährt: es widerspricht diese Auffassung von Subjekt und Objekt der zuerst angeführten infolgedessen in allen Punkten; denn nicht kann, wie es nach der Behauptung: "die Dinge sind Summen von Zuständen des Bewußtseins", den Anschein hatte, das "Objekt" zum "Subjekt" oder der "Bewußtseinsinhalt" zum "Bewußtsein" gehören, wie ja die den beseelten Körper räumlich umgebende Außenwelt zum beseelten Körper gehört. Nicht ist der Bewußtseinsinhalt ein "Zustand des Bewußtseins", wie die Außenwelt nicht die "Summe von Zuständen" des beseelten Körpers ist. Durch die Trennung von Subjekt und Objekt, wie sie analog dem ersten Gegensatzpaar in allen Subjekt-Objektverhältnissen durchgeführt erscheint, kommt RICKERT endlich umd die Schwierigkeit herum, das Bewußtsein als ortsbestimmt annehmen und eine Veränderung der Dinge leugnen zu müssen, denn daß ein Ortloses mit einem Ortsbestimmten in einem Wirkzusammenhang steht, scheint mit dem RICKERTschen System durchaus vereinbar (21), und daß durch ihr Verhältnis zum Bewußtsein den Dingen nicht jede Veränderungsmöglichkeit abgeschnitten ist, ist schon ersichtlich aus der Aufstellung des ersten Gegensatzpaares, in dem ja veränderliche Dinge auftrten, und aus sonstigen Aussprüchen RICKERTs (22).

Die Art allerdings, wie RICKERT um jene Schwierigkeiten herumkommt, ist für die Wissenschaftslehre nicht weniger verhängnisvoll als jene Schwierigkeiten selbst, da statt ihrer ein Widerspruch auftritt: das Urteil: "Ganz im Allgemeinen kann man das Subjekt auffassen als das Aktive, das etwas tut, und das Objekt als das Passive, mit dem etwas getan wird, bedeutet in allen Stücken die Widerlegung jenes ersten Urteils: "Die Dinge sind aus Bestandteilen zusammengesetzt, die man als Zustände des Bewußtseins auffassen kann."

In beiden Behauptungen jedoch hält RICKERT am Bewußtsein als einem Einzelwesen fest, wenn diesem Einzelwesen Bewußtsein oder Subjekt in den beiden Behauptungen auch eine verschiedene Stellung zu den "Bewußtseinsinhalten" oder den "Objekten" zugewiesen ist. Abhängig ist der Bewußtseinsinhalt vom Bewußtsein auch nach dem letzten Ausspruch RICKERTs, abhängig nämlich in den besonderen Veränderungen, die er aufgrund des Wirkzusammenhanges mit dem Bewußtsein durchmacht: es hat der Bewußtseinsinhalt diese besonderen Veränderungen (immer angenommen natürlich, daß sich solche Veränderungen überhaupt finden) nur aufzuweisen, weil das Bewußtsein als das Aktive die wirkende Bedingung für jene Veränderung abgibt.


c) Das den Inhalt schaffende Bewußtsein

Eine besondere "Tätigkeit" des Bewußtseins scheint nach RICKERT nunmehr in der Formung des Inhaltes seitens des Bewußtseins zu bestehen (23). Denn die Behauptung RICKERTs, daß das Bewußtsein seinen Inhalt "formt", trifft mit der Behauptung, das Bewußtsein ist dem Inhalt als dem "Passiven" gegenüber das "Aktive", insofern zusammen, als nach beiden Behauptungen das Bewußtsein die Bedingung für ein neu Auftretendes im Bewußtseinsinhalt bildet, dort für die neu auftretenden Veränderungen des Bewutßseinsinhaltes, hier für die neu auftretenden Formen.

Darin jedoch besteht ein Unterschied zwischen den beiden Behauptungen, daß nach der letzten der Zusammenhang zwischen Bewußtsein und "Bewußtseinsinhalt" nicht, wie nach der ersten, als ein Wirkzusammenhang zu fassen ist.

Denn einmal ist das, was "geformt" wird, nicht selbst ein Veränderliches. In Übereinstimmung mit KANT lehrt RICKERT, das, was die Formen erhält, ist die "inhaltlische" Bestimmtheit der einzelnen Tatsachen oder Wahrnehmungen" (24), z. B. "dieses Blau und dieses Rot" (25); es ist also das, was man die qualitativen Bestimmungen der Dinge zu nennen pflegt. Da nun aber Wirkung ausnahmslos Veränderung bedeutet (26), kann die "Form" des Inhaltes nicht durch eine Veränderung des Inhaltes herauskommen, weil der "Inhalt", also das, dem die Form verliehen wird, selbst ein Unveränderliches ist (27): Das Verhältnis zwischen dem formenden Bewußtsein und dem die Form erhaltenden Inhalt ist also nicht als Wirkverhältnis zu begreifen, da ein Wirkverhältnis nur dort zu behaupten ist, wo eine Veränderung als Wirkung vorliegt.

Die Annahme eines Wirkverhältnisses zwischen Bewußtsein und Bewußtseinsinhalt ist nach dieser Auffassung RICKERTs aber auch deshalb ausgeschlossen, weil die Kausalität selbst eine "Form" des Bewußtseinsinhaltes ist, denn die Form der Kausalität bringt nach RICKERT die "Gegebenheiten" in eine bestimmte, notwendige Anordnung zueinander (28). Da das "Bewußtsein im Gegensatz zum Bewußtseinsinhalt" nicht selbst als eine "Gegebenheit" gefaßt werden soll, kann es auch nicht mit den Gegebenheiten unter die "Form der Kausalität" [rauzei] gebracht werden, eben weil das Band der Kausalität nur Gegebenheiten verknüpft.

Muß aber dennoch nach RICKERT angenommen werden, daß das Bewußtsein dem Inhalt die "Formen" verleiht, so ist das "*Formen" seitens des Bewußtseins nur als eine schöpferische Tätigkeit zu fassen. Unter "schöpferischer Tätigkeit" des Bewußtseins aber verstehen wir, daß das Bewußtsein die alleinige Bedingung für die Formen des Bewußtseinsinhaltes bildet. Es stände so die "schöpferische Tätigkeit" im Gegensatz zur "Tätigkeit aufgrund eines Wirkzusammenhangs". "Tätigkeit aufgrund eines Wirkzusammenhanges" heißt: Bedingung für eine auftretende Veränderung sein. Diese Veränderung gehört immer zu einem vom tätigen Einzelwesen unterschiedenen Einzelwesen. Es erfordert also eine "Tätigkeit aufgrund eines Wirkzusammenhanges" zumindest zwei Einzelwesen: ein Einzelwesen, das "tätig" ist, und ein anderes Einzelwesen, das sich infolge dieser "Tätigkeit" verändert. Wir nennen das tätige Einzelwesen die wirkende, das Einzelwesen, das die Veränderung als Wirkung erfährt, die grundlegende Bedingung der Veränderung. Jede "Tätigkeit aufgrund eines Wirkzusammenhangs" ist nur möglich, wenn diese beiden Bedingungen die "wirkende" und die "grundlegende", vorliegen. (29)

Im Unterschied zur "Tätigkeit aufgrund eines Wirkzusammenhangs" fehlt bei der "schöpferischen Tätigkeit" die grundlegende Bedingung, das Einzelwesen also, das eine Veränderung als Wirkung erfährt. Nennen wir somit die Tätigkeit des formenden Bewußtseins eine "schöpferische", so wollen wir damit zum Ausdruck bringen, daß das Bewußtsein die alleinige Bedingung für die Formen des Inhaltes bildet.

Die vom Bewußtsein geschaffenen Formen des Bewußtseinsinhaltes sind bei RICKERT ebenso wie bei KANT die besonderen Einheiten, in denen sich das Gegebene vorfindet; zu diesen Einheiten gehören die "Dinge", die "Kausalzusammenhänge", der eine "Raum", die eine "Zeit", in der sich die Welt kontinuierlich verändert. (30) Die Dinge (31), die Kausalzusammenhänge usw. sind also ihrer Einheitsform nach durch das Bewußtsein geschaffen.

Nunmehr gehört nach RICKERT das "Sein - Wirklichsein" ebenfalls zu den Formen des Bewußtseinsinhaltes (32). Das "Sein" also auch des "Erkenntnisinhaltes" ist, da es als eine "Form" begriffen werden soll, als eine Schöpfung des Bewußtseins zu fassen, denn "der Inhalt der Erkenntnis wird unter die Form des Seins gebracht." (33) Es hängt nach RICKERT also die Wirklichkeit des gesamten "Inhaltes" (34) vom Bewußtsein ab, insofern als das Bewußtsein dem Inhalt wie andere "Formen", so auch die *Form der "Wirklichkeit" schafft.

Das Bewußtsein ist somit nach diesem Ausspruch Rickerts Schöpfer der wirklichen Welt, will sagen, es bildet die alleinige Bedingung für die Wirklichkeit des Bewußtseinsinhaltes als der Welt. (35)

Aber auch gegen das Bewußtsein als ein Einzelwesen und gegen die Abhängigkeit des "Bewußtseinsinhaltes" vom Bewußtsein erhebt wiederum eine Behauptung RICKERTs über die Stellung des "Bewußtseinsinhaltes" zum Bewußtsein ihre Stimme, die Behauptung nämlich, daß das Bewußtsein nichts anderes bedeutet als die allen Bewußtseinsinhalten gemeinsame Form oder die Art des Seins des Bewußtseinsinhaltes. (36)

Ich sehe von dem Widerspruch ab, der in der Annahme eines allen immanenten Objekten Gemeinsamen liegt und hebe nur hervor, daß das "allen immanenten Objekten Gemeinsame" (37) oder daß die "Form des Seins" zu den immanenten Objekten gehören muß, ebenso wie die "Form der Kausalität" zur immanenten Wirklichkeit gehört.

Der Satz: "Das Bewußtsein ist die Form des Bewußtseinsinhaltes", bedeutet daher zunächst die Umkehrung des Satzes: "Die Dinge sind aus Bestandteilen zusammengesetzt, die man als Zustände des Bewußtseins auffassen kann"; denn muß nach dieser Behauptung der Bewußtseinsinhalt als zu einem Bewußtsein gehörig begriffen werden, so ist umgekehrt in der Behauptung: "Das Bewußtsein ist die Form des Seins" das Bewußtsein als zum Inhalt gehörig gedacht (38).

Es bedeutet weiterhin die Behauptung vom Bewußtsein als der Form des Seins auch die Streichung des Bewußtseins als eines Einzelwesens, des schöpferischen sowohl aus auch des aufgrund eines Wirkzusammenhangs tätigen Einzelwesens "Bewußtsein", denn das "Bewußtsein", das dem "Inhalt" die Form schafft, kann nicht selbst als eine Form des "Seins" begriffen werden: der Satz: die Form des Seins schafft die Form des Seins, ist ein Widerspruch in sich: das Bewußtsein wäre also nicht das schöpferische Einzelwesen!

Ist das Bewußtsein die "Form des Bewußtseinsinhalts", so fällt weiterhin auch das Urteil: "Das Bewußtsein ist das Aktive, das etwas tut, und der Bewußtseinsinhalt das Passive, mit dem etwas getan wird." Denn in diesem Ausspruch faßt RICKERT, wie ich dargelegt habe, das Aktive als ein vom Passiven unterschiedenes Einzelwesen, und zwar als ein Veränderliches, dessesn Veränderung die wirkende Bedingung für die Veränderung des Passiven abgibt. Da nunmehr die "Form des Seins" kein Veränderliches, kein Einzelwesen ist, so kann das Bewußtsein oder das "Subjekt" nicht das "Aktive" sein, das etwas tut und der "Bewußtseinsinhalt" oder das "Objekt" nicht das "Passive", mit dem etwas getan wird.

Jede Abhängigkeit endlich erfordert zumindest zweierlei voneinander Unterschiedenes, von dem das eine als vom anderen abhängig bestimmt werden kann. Einem Besonderen, das für sich der Betrachtung unterzogen wird, kann die Bestimmung: "abhängig von einem anderen" niemals beigelegt werden, eben weil die Bestimmung: "abhängig von einem anderen" immer ein Besonderes zu einem von ihm Unterschiedenen in Beziehung setzt, das Wort: "abhängig von einem anderen" also der Ausdruck eines Beziehungsbegriffes ist.

Daß nicht jede Beziehung eines Besonderen auf ein anderes eine Beziehung der Abhängigkeit ist, sondern daß "Abhängigkeit" eine besondere Beziehung, d. h. eine von anderen Beziehungen unterschiedene Beziehung bedeutet, versteht sich von selbst. Das Wort: "abhängig von einem anderen" drückt aus, daß das Besondere, das als von einem anderen als abhängig bestimmt wird, nur möglich ist durch das Besondere, von dem es als "abhängig" gefaßt wird. Oder: "abhängig von einem anderen" ist das, was eines anderen bedarf, damit es ist, oder so ist, wie es ist.

In diesem Sinn ist in den drei von mir angeführten Behauptungen RICKERTs der "Bewußtseinsinhalt" abhängig vom Bewußtsein; in jenen drei Behauptungen gilt das Bewußtsein als die Bedingung entweder für den "Bewußtseinsinhalt überhaupt", wie in der ersten und dritten Fassung des Abhängigkeitsverhältnisses, oder doch zumindest für ein Besonderes im Bewußtseinsinhalt (die besonderen Veränderungen, die das Bewußtsein wirken soll), wie in der zweiten Behauptung.

Da aber nach dem Satz: "das Bewußtsein ist die Form des Inhaltes", die Form als zum Bewußtsein gehörig begriffen werden muß, "Abhängigkeit zumindest zweierlei voneinander Unterschiedenes erfordert, dessen eines als vom anderen abhängig bestimmt werden kann, so ist nach der Behauptung: "Das Bewußtsein ist die Form des Inhalts", der Bewußtseinsinhalt nicht als vom Bewußtsein abhängig zu fassen, weil sich kein vom Bewußtseinsinhalt, zu dem die Form "Bewußtsein" ja gehören soll, Unterschiedenes findet, von dem der Bewußtseinsinhalt als abhängig begriffen werden könnte.

Das Letzte, was die Sätze über das Verhältnis von Bewußtsein zu Bewußtseinsinhalt verband, ist dahin: würde durch die ersten Behauptungen immer noch die Abhängigkeit hindurchblicken, wenn auch in verschiedener Fassung und wäre durch sie zumindest bis zu einem gewissen Grad eine Einheitlichkeit in der Auffassung des Verhältnisses gewahrt, so stellt sich die letzte Behauptung jedem Verständnis über die Stellung des Bewußtseinsinhaltes zum Bewußtsein in den Weg: kein Punkt mehr in jenem Wirrwarr von Behauptungen, der haltbar wäre, kein Satz, dem nicht ein anderer widerspricht. Daß nicht einmal die Abhängigkeit des Bewußtseinsinhaltes vom Bewußtsein von RICKERT gewahrt wird, erscheint umso sonderbarer, als der Idealismus ohne jede Abhängigkeit nicht auskommen kann: ein Beweis dafür, wie unklar und verworren die Grundlagen des RICKERTschen Idealismus sind, ein Beweis aber auch zugleich, mit welcher Sorglosigkeit die vorurteilslose Wissenschaftslehre Behauptungen in die Welt setzt, ohne auch nur den Versuch zu machen, sie miteinander in Einklang zu bringen.
LITERATUR - Otto Schlunke, Die Lehre vom Bewußtsein bei Heinrich Rickert [Inaugural-Dissertation] Leipzig 1911
    Anmerkungen
    1) "Von den Schwierigkeiten, welche sich für die herkömmliche Ansicht ergeben, heben wir zunächst die größte hervor, die darin besteht, daß nicht nur die Erkennbarkeit, sondern auch die Existenz einer vom erkennenden Subjekt oder Bewußtsein unabhängige Welt seiender Dinge in Frage gestellt werden kann." (Geg 2) - "Offenbar ist dies eine Lebensfrage für jede Erkenntnistheorie, welche in einer "außerhalb" des Bewußtseins existierenden Welt den Gegenstand der Erkenntnis sieht, denn falls die Existenz dieser Außenwelt mit Recht bestritten wird, so gibt es überhaupt keinen Gegenstand der Erkenntnis mehr und damit keine Objektivität." (Geg 2-3)
    2) "Läßt eine Erkenntnistheorie, welche auf diesem Gegensatz von Sein und Bewußtsein aufgebaut ist, sich durchführen, oder ist eine Umbildung des üblichen Erkenntnisbegriffs notwendig? In dieser Frage steckt das Grundproblem der Erkenntnistheorie." (Geg 2)
    3) Der Nachweis, daß die "Welt ansich existierender Dinge" unhaltbar ist, ist geführt. (Geg 35-74)
    4) Daß der Realismu unser "Bewußtsein" immer ein menschliches Bewußtsein begriffen und den Bewußtseinsinhalt als zu einem menschlichen Bewußtsein gehörig aufgefaßt hat, beweist die Geschichte dieser Erkenntnistheorie. Vgl. auch den Ausspruch Rickerts: "Das Bewußtsein als Subjekt tritt in der erkenntnistheoretischen Untersuchung als mein Bewußtsein auf und muß da ebenfalls als etwas Psychisches angesehen werden. Der erste Schritt, den ich über den naiven Realismus hinaus tue, besteht ja darin, daß ich alles Gegebene als Bestandteil meines individuellen Ich auffasse, und damit scheinen die Körper in der Tat wie alle übrigen Bewußtseinsinhalte zu psychischen Vorgängen zu werden." (Geg 67) - Daß die Gefahr, im Solipsismus zu enden, für die Erkenntnistheorie besteht, gibt auch Rickert zu, indem er schreibt: "Freilich, das muß hinzugefügt werden, daß nur mit Hilfe des Begriffs von einem unpersönlichen Bewußtsein und erkenntnistheoretischem Subjekt der Solipsismus zu widerlegen ist. Wer nur ein individuelles Bewußtsein und dabei kein von diesem Bewußtsein unabhängiges Sein anerkennen will, spricht damit den Solipsismus einfach aus und vermag niemals über ihn hinauszukommen." (Geg 57)
    5) Man hat behauptet, daß auch das Wissen von der vom Bewußtsein unabhängigen Welt ebenso unmittelbar gewiß ist wie das Wissen vom Bewußtseinsinhalt und daher gemeint, daß die transzendente Existenz der Dinge zu den Voraussetzungen der Erkenntnistheorie gehören muß." (Geg 17)
    6) Über die Vorurteile des Realismus vergleiche die kritische Geschichte der Erkenntnistheorie bei Rehmke, Philosophie als Grundwissenschaft, Seite 431-581.
    7) Es sei hier ein Einwand zurückgewiesen: Es könnte behauptet werden, Rickert habe den Beweis für die Berechtigung des "grundlegenden" Urteils dadurch erbracht, daß er nachgewiesen hat, daß die Annahme einer transzendenten Welt in einem realistischen Sinn unhaltbar ist. Dieser Einwand ist deshalb ohne Bedeutung, weil Rickert die "transzendente Welt" identifiziert mit der von der "Bewußtseinswelt" unterschiedenen Welt; seine Beweise gegen die "transzendente" Welt sind also Beweise gegen eine von einer Bewußtswelt unterschiedene Welt, daß sie Beweise gegen jede vom Bewußtsein unabhängige Welt sind, könnte nur behauptet werden, wenn die Berechtigung für die Gleichung: "Bewußtseinswelt = vom Bewußtsein abhängige Welt" schon vorher nachgewiesen wäre. Da von Rickert dieser Beweis nicht erbracht wird, bedeutet auch die Ablehnung der "transzendenten Welt" nicht die Berechtigung für die Annahme des "grundlegenden" Urteils.
    8) Geg 129
    9) Geg 8
    10) Geg 19
    11) "Wir wissen, Dinge sind mehr als Wahrnehmungskomplex. Gegeben sind nur die Eigenschaften und auch diese nur mit Rücksicht auf ihren Inhalt, d. h. also eigentlich noch nicht als Eigenschaften. Das Ding, an dem die Eigenschaften haften ... Das ... Ding ist ... ein Regel der Vorstellungsverbindung ..." (Geg 199/200)
    12) Vgl. Rehmke, a. a. O., Seite 163-205
    13) Geg 29
    14) Geg 149
    15) Der Satz tauch unvermittelt auf in dem Abschnitt des "Gegenstandes der Erkenntnis", in dem Rickert nachweist, daß die transzendente Existenz der Dinge nicht zu den Voraussetzungen der Erkenntnistheorie gehören kann. Der Satz bestände offenbar zu Recht, wenn Rickert nachgewiesen hätte, daß in Bezug auf die "Existenz" der Dinge nur die beiden Möglichkeiten vorliegen: "Entweder ist die Existenz der Dinge eine transzendente, oder die Dinge sind Summen von Zuständen des Bewußtseins", so daß die Ablehnung der transzendenten Existenz der Dinge die Annahme des Rickertschen Satzes bedeutet. Da Rickert für das Bestehen dieser Alternative keinen Beweis erbracht hat, muß ich seinen Satz als grundlose Behauptung ansprechen. (Vgl. Geg 19)
    16) Gemeint sind das psychophysische, psychologische und das erkenntnistheoretische mit ihren Objekten.
    17) Geg 168-169
    18) Die Worte "Subjekt" und "Bewußtsein" bedeuten dasselbe wie "Objekt" und "Bewußtsinhalt": "In jedem empirischen Ich ist vielmehr Subjekt und Objekt oder Bewußtsein und Bewußtseinsinhalt zu scheiden." (Geg 174) - "Ein ganz neuer Gesichtspunkt aber begegnet uns, wenn wir, um den Begriff des Bewußtseins im Gegensatz zu seinem Inhalt oder den Begriff des Subjekts im Gegensatz zum Begriff des Objekts ..." (Geg 23)
    19) Vgl. Rehmke, a. a. O., Seite 245-321
    20) Ob sich eine solche besondere Veränderung von Einzelwesen überhaupt findet, die auf ein Subjekt als wirkende Bedingung schließen läßt, ist Gegenstand späterer Erörterungen.
    21) Vgl. hierzu "Psychophysische Kausalität und psychophysischer Parallelismus".
    22) Vgl. Anmerkung 26
    23) "Der transzendentale Idealismus sieht in der Form der Wirklichkeit das Erzeugnis der Urteilsform." (Geg 174) - "Als Akt der Anerkennung ist sie (d. h. die Kategorie) es, die dem Urteilsprodukt erst die Form verleiht." (Geg 173) - "Die Form der Wirklichkeit ist vielmehr, erkenntnistheoretisch betrachtet, durch die Urteilsform begründet." (Geg 170) - "Der erkenntnistheoretische Schwerpunkt liegt deshalb nicht in der Form des bereits vollzogenen Urteils, sondern im Akt der Urteilsvollziehung, in der formgebenden, wirklichkeitbegründenden Anerkennung." (Geg 170) - Das "Urteilende" oder das "Anerkennende" ist das "urteilende Bewußtsein überhaupt". (Vgl. Geg, 4. Kapitel. Die Begründung der Objektivität. III. Das urteilende Bewußtsein überhaupt.
    24) Geg 167
    25) Geg 168. "Lediglich der Inhalt der Erkenntnis kann unter die Form gebracht werden." (Geg 175) - "In vollständiger Übereinstimmung mit Kant befinden wir uns nur darin, daß jede wissenschaftliche Erkenntnis der Wirklichkeit ihren Inhalt der immanenten Sinnenwelt entnimmt, daß ihre Form sich jedoch nicht aus dem Gegebenen ableiten läßt." (Geg 209) - "Für den Inhalt der Erkenntnis kommen nur die wahrnehmbaren Eigenschaften in Betracht. Diese jedoch nur mit Rücksicht auf ihren Inhalt." (Geg 199)
    26) So faßt Rickert "Wirkung": "kausal bestimmter Vorgang ist die notwendige Aufeinanderfolge eines Ereignisses auf das andere." (Geg 212) Das Wort "Ereignis" kann offenbar in diesem Zusammenhang nur dasselbe heißen wie "Veränderung". Vgl. "Der Begriff der Wirkung stammt aus den Veränderungen, die wir in der immanenten Sinnenwelt beobachten. Jede Veränderung wird hier angesehen als die Wirkung eines Dinges auf das andere." (Geg 47)
    27) Vgl. Rehmke, a. a. O. Seite 163-205.
    28) "Die Kategorie der Kausalität ist nichts anderes als eine bestimmte Anordnung von Gegebenheiten." (Geg 213) - "Die Kausalität gehört zu den konstitutiven Kategorien der objektiven Wirklichkeit." (Geg 213)
    29) Vgl. Rehmke, a. a. O. Seite 245-321
    30) Geg 189
    31) "Wir wissen, Dinge sind mehr als Wahrnehmungskomplexe. Gegeben sind nur die Eigenschaften, und auch diese nur mit Rücksicht auf ihren Inhalt, d. h. also eigentlich noch nicht als Eigenschaften. Das Ding, an dem die Eigenschaften haften, und das sie so miteinander verbindet, daß wir von ihnen als den Eigenschaften eines Dinges reden können, ist der Wahrnehmung entzogen ... Das angeblich transzendent seiende Ding ist eine transzendente Norm oder Regel der Vorstellungsverknüpfung." (Geg 199-200)
    32) "... wenn wir das Existenzialurteil analysieren und dabei auf den Gegensatz von Form und Inhalt reflektieren, kann das Sein nicht im vorstellungsmäßigen Inhalt, sondern nur in der Urteilsform enthalten sein ... das Sein ist die Form des Existenzialurteils." (Geg 169-170)
    33) "Lediglich der Inhalt der Erkenntnis kann unter die Form des Seins gebracht werden und die Form kommt in die Sphäre des Seins, insofern man sie am Seienden haftend betrachtet."
    34) "Der Inhalt allein ist es, dem Wirklichkeit zukommt." (Geg 29)
    35) "Der Bewußtseinsinhalt ist nur, insofern, als dies vom urteilenden Bewußtsein überhaupt bejahte Existenzialurteil eine transzendente Geltung hat." (Geg 150) - "Das Sollen muß anerkannt sein, damit überhaupt etwas ist." (Geg 150) - "Das transzendente Sollen und seine Anerkennung ist begrifflich früher als das immanente Sein." (Geg 151) - "Dieses Sollen und seine Anerkennung ist die Bedingung der Existenz des Bewußtseinsinhaltes." (Geg 151) - "Wir sahen, daß das Sollen begrifflich früher ist als jedes Sein, also auch als das Tatsächliche oder Wahrgenommene." (Geg 167) - "Das Denken in Gestalt eines das Sollen anerkennenden Urteils oder die Kategorie geht jeder einzelnen Erfahrung voran. Auch die einzelne Erfahrung oder Wahrnehmung wird erst durch die Anerkennung der Norm, durch die Kategorie der Gegebenheit erzeugt." (Geg 182)
    36) "Das erkenntnistheoretische Subjekt bedeutet also, zumindest vorläufig, gar nichts anderes als das allen immanenten Objekten Gemeinsame, das sich nicht weiter beschreiben läßt. Es ist gewissermaßen nur ein anderer Name für das einzige uns unmittelbar bekannte Sein, und man wird es daher am Besten als den allgemeinen Begriff, oder die Form, oder die Art des Seins der immanenten Objekte verstehen." (Geg 29) - "Man könnte auch sagen, das Bewußtsein überhaupt ist der Begriff des immanenten Seins ..." (Geg 29) - "Gerade weil das erkenntnistheoretische Bewußtsein nichts anderes als das allen immanenten Objekten gemeinsame oder ihre Form bedeutet ..." (Geg 148)
    37) Vgl. Michaltschew, Philosophische Studien
    38) Vgl.: "Denken wir bei dem Wort Form an das vollzogene Urteil und die geformte Wirklichkeit, so haftet die Form schon an etwas Seiendem ..." (Geg 172)