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IMMANUEL KANT
(1724-1804)
Prolegomena ...
Beschluß
[7/9]

    Einleitung
Vorerinnerung
Der transzendentalen Hauptfrage - erster Teil
Der transzendentalen Hauptfrage - zweiter Teil
Anhang zur reinen Naturwissenschaft
Der transzendentalen Hauptfrage - dritter Teil
Beschluß
Auflösung der allgemeinen Frage
Anhang von dem geschehen kann, um ...

"Denn ich habe diesen Begriff (des höchsten Wesens) nur, indem ich ihn aus meiner inneren Erfahrung ziehe, dabei aber Abhängigkeit meiner Zufriedenheit von Gegenständen, deren Existenz wir bedürfen und also Sinnlichkeit zum Grunde liegt, welches dem reinen Begriff des höchsten Wesens gänzlich widerspricht."

§ 57.

Von der Grenzbestimmung der reinen Vernunft

Nach den allerklarsten Beweisen, die wir oben gegeben haben, würde es Ungereimtheit sein, wenn wir von irgendeinem Gegenstand mehr zu erkennen hofften, als zur möglichen Erfahrung desselben gehört, oder auch von irgendeinem Ding, wovon wir annehmen, es sei nicht ein Gegenstand möglicher Erfahrung, nur auf die mindeste Erkenntnis Anspruch machten, es nach seiner Beschaffenheit, wie es an sich selbst ist, zu bestimmen; denn wodurch wollen wir diese Bestimmung verrichten, da Zeit, Raum und alle Verstandesbegriffe, vielmehr aber noch die durch empirische Anschauung oder  Wahrnehmung  in der Sinnenwelt gezogenen Begriffe keinen anderen Gebrauch machen, noch haben können, als bloß Erfahrung möglich zu machen und lassen wir selbst von den reinen Verstandesbegriffen diese Bedingung weg, sie alsdenn ganz und gar kein Objekt bestimmen und überall keine Bedeutung haben.

Es würde aber andererseits eine noch größere Ungereimtheit sein, wenn wir gar keine Dinge an sich selbst einräumen oder unsere Erfahrung für die einzig mögliche Erkenntnisart der Dinge, mithin unsere Anschauun in Raum und Zeit für die allein mögliche Anschauung, unseren diskursiven Verstand aber für das Urbild von jedem möglichen Verstand ausgeben wollten, mithin Prinzipien der Möglichkeit der Erfahrung für allgemeine Bedingungen der Dinge an sich selbst wollten gehalten wissen.

Unsere Prinzipien, welche den Gebrauch der Vernunft bloß auf mögliche Erfahrung einschränken, könnten demnach selbst  transzendent  werden und die Schranken unserer Vernunft für Schranken der Möglichkeit der Dinge selbst ausgeben, wie davon HUMEs Dialoge zum Beispiel dienen können, wenn nicht eine sorgfältige Kritik die Grenzen unserer Vernunft auch in Ansehung ihres empirischen Gebrauchs bewachte und ihren Anmaßungen ihr Ziel setzte. Der Skeptizismus ist uranfänglich aus der Metaphysik und ihrer polizeilosen Dialektik entsprungen. Anfangs mochte er wohl bloß zugunsten des Erfahrungsgebrauches der Vernunft alles, was diesen übersteigt, für nichtig und betrüglich ausgeben; nach und nach aber, da man inne ward, daß es doch eben dieselben Gegenstände  a priori  sind, deren man sich bei der Erfahrung bedient, die unvermerkt und wie es schien, mit eben demselben Recht noch weiter führten, als Erfahrung reicht, so fing man an, selbst in Erfahrungssätze einen Zweifel zu setzen. Hiermit hat es nun wohl keine Not; denn der gesunde Verstand wird hierin wohl jederzeit seine Rechte behaupten, allein es entsprang doch eine besondere Verwirrung in der Wissenschaft, die nicht bestimmen kann, wie weit und warum nur bis dahin und nicht weiter der Vernunft zu trauen sei, dieser Verwirrung aber kann nur durch förmliche und aus Grundsätzen gezogene Grenzbestimmung unseres Verstandesgebrauchs abgeholfen und allem Rückfall auf künftige Zeit vorgebeugt werden.

Es ist wahr: wir können über alle mögliche Erfahrung hinaus von dem, was Dinge an sich selbst sein mögen, keinen bestimmten Begriff geben. Wir sind aber dennoch nicht frei vor der Nachfrage nach diesen, uns gänzlich derselben zu enthalten; denn Erfahrung tut der Vernunft niemals völlig Genüge; sie weist uns in Beantwortung der Fragen immer weiter zurück und läßt uns in Ansehung des völligen Aufschlusses derselben unbefriedigt, wie jedermann dieses aus der Dialektik der reinen Vernunft, die eben darum ihren guten subjektiven Grund hat, hinreichend ersehen kann. Wer kann es wohl ertragen, daß wir von der Natur unserer Seele bis zum klaren Bewußtsein des Subjekts und zugleich zu der Überzeugung gelangen, daß seine Erscheinungen nicht  materialistisch  erklärt werden können, ohne zu fragen, was denn die Seele eigentlich sei und, wenn kein Erfahrungsbegriff hierzu zureicht, allenfalls einen Vernunftbegriff (eines einfachen materiellen Wesens) bloß zu diesem Behuf anzunehmen, ob wir gleich seine objektive Realität gar nicht dartun können? Wer kann sich bei der bloßen Erfahrungserkenntnis in allen kosmologischen Fragen von der Weltdauer und Größe, der Freiheit oder Naturnotwendigkeit befriedigen, da, wir mögen es anfangen, wie wir wollen, eine jede nach Erfahrungsgrundgesetzen gegebene Antwort immer eine neue Frage gebiert, die eben sowohl beantwortet sein will und dadurch die Unzulänglichkeit aller physischen Erklärungsarten zur Befriedigung der Vernunft deutlich dartut? Endlich, wer sieht nicht bei der durchgängigen Zufälligkeit und Abhängigkeit alles dessen, was er nur nach Erfahrungsprinzipien denken und annehmen mag, die Unmöglichkeit, bei diesen stehen zu bleiben und fühlt sich nicht notgedrungen, ungeachtet allen Verbots, sich nicht in transzendente Ideen zu verlieren, dennoch über alle Begriffe, die er durch Erfahrung rechtfertigen kann, noch im Begriff eines Wesens Ruhe und Befriedigung zu suchen, davon die Idee zwar an sich selbst der Möglichkeit nach nicht eingesehen, obgleich auch nicht widerlegt werden kann, weil sie ein bloßes Verstandeswesen betrifft, ohne die aber die Vernunft auf immer unbefriedigt bleiben müßte?

Grenzen (bei ausgedehnten Wesen) setzen immer einen Raum voraus, der außerhalb einem gewissen bestimmten Platz angetroffen wird und ihn einschließt; Schranken bedürfen dergleichen nicht, sondern sind bloße Verneinungen, die eine Größe affiziern, sofern sie nicht absolute Vollständigkeit hat. Unsere Vernunft aber sieht gleichsam um sich einen Raum für die Erkenntnis der Dinge an sich selbst, ob sie gleich von ihnen niemals bestimmte Begriffe haben kann und nur auf Erscheinungen eingeschränkt ist.

Solange die Erkenntnis der Vernunft gleichartig ist, lassen sich von ihr keine bestimmten Grenzen denken. In der Mathematik und Naturwissenschaft erkennt die menschliche Vernunft zwar Schranken, aber keine Grenzen, d. i. zwar, daß etwas außer ihr liege, wohin sie niemals gelangen kann, abe rnicht, daß sie selbst in ihrem inneren Fortgang irgendwo vollendet sein werde. Die Erweiterung der Einsichten in der Mathematik und die Möglichkeit immer neuer Erfindungen geht ins Unendliche; ebenso die Entdeckung neuer Natureigenschaften, neuer Kräfte und Gesetze, durch fortgesetzte Erfahrung und Vereinigung derselben durch die Vernunft. Aber Schranken sind hier gleichwohl nicht zu verkennen, denn Mathematik geht nur auf  Erscheinungen  und was nicht ein Gegenstand der sinnlichen Anschauung sein kann. als die Begriffe der Metaphysik und Moral, das liegt außerhalb ihrer Sphäre und dahin kann sie niemals führen; sie bedarf aber derselben auch gar nicht. Es ist also ein kontinuierlicher Fortgang und Annäherung zu diesen Wissenschaften und gleichsam ein Punkt oder Linie der Berührung. Naturwissenschaft wird uns niemals das Innere der Dinge, d. i. dasjenige, was nicht Erscheinung ist, aber doch zum obersten Erklärungsgrund der Erscheinungen dienen kann, entdecken; aber sie braucht dieses auch nicht zu ihren physischen Erklärungen; ja, wenn ihr auch dergleichen anderweitig angeboten würde (z. B. Einfluß immaterieller Wesen), so soll sie es doch ausschlagen und gar nicht in den Fortgang ihrer Erklärungen bringen, sondern diese jederzeit nur auf das gründen, was als Gegenstand der Sinne zur Erfahrung gehören und mit unseren wirklichen Wahrnehmungen und Erfahrungsgesetzen in Zusammenhang gebracht werden kann.

Allein Metaphysik führt uns in den dialektischen Versuchen der reinen Vernunft (die nicht willkürlich oder mutwilliger Weise angefangen werden, sondern dazu die Natur der Vernunft selbst treibt) auf Grenzen und die transzendentalen Ideen, eben dadurch, daß man ihrer nicht Umgang haben kann, daß sie sich gleichwohl niemals wollen realisieren lassen, dienen dazu, nicht allein uns wirklich die Grenzen des reinen Vernunftgebrauches zu zeigen, sondern auch die Art, solche zu bestimmen; und das ist auch der Zweck und Nutzen dieser Naturanlage unserer Vernunft, welche Metaphysik als ihr Lieblingskind, ausgeboren hat, dessen Erzeugung, so wie jede andere in der Welt, nicht dem ungefähren Zufall, sondern einem ursprünglichen Keim zuzuschreiben ist, welcher zu großen Zwecken weislich organisiert ist. Denn Metaphysik ist vielleicht mehr, wie irgendeine andere Wissenschaft, durch die Natur selbst ihren Grundzügen nach in uns gelegt und kann gar nicht als das Produkt einer beliebigen Wahl oder als zufällige Erweiterung beim Fortgang der Erfahrungen (von denen sie sich gänzlich abtrennt) angesehen werden.

Die Vernunft, durch alle ihre Begriffe und Gesetze des Verstandes, die ihr zum empirischen Gebrauch, mithin innerhalb der Sinnenwelt, hinreichend sind, findet doch für sich dabei keine Befriedigung; denn durch ins Unendliche immer wiederkommende Fragen wird ihr alle Hoffnung zur vollendeten Auflösung derselben benommen. Die transzendentalen Ideen, welche diese Vollendung zur Absicht haben, sind solche Probleme der Vernunft. Nun sieht sie klärlich, daß die Sinnenwelt diese Vollendung nicht enthalten könne, mithin ebensowenig auch alle jene Begriffe, die lediglich zum Verständnis derselben dienen: Raum und Zeit und alles, was wir unter dem Namen der reinen Verstandesbegriffe angeführt haben. Die Sinnenwelt ist nichts, als eine Kette nach allgemeinen Gesetzen verknüpfter Erscheinungen, sie hat also kein Bestehen für sich, sie ist eigentlich nicht das Ding an sich selbst und bezieht sich also notwendig auf das, was den Grund dieser Erscheinung enthält, auf Wesen, die nicht bloß als Erscheinung, sondern als Dinge an sich selbst erkannt werden können. In der Erkenntnis derselben kann Vernunft allein hoffen, ihr Verlangen nach Vollständigkeit im Fortgang vom Bedingten zu dessen Bedingungen einmal befriedigt zu sehen.

Oben (§ 33, 34) haben wir Schranken der Vernunft in Ansehung aller Erkenntnis bloßer Gedankenwesen angezeigt; jetzt, da uns die transzendentalen Ideen dennoch den Fortgang bis zu ihnen notwendig machen und uns also gleichsam bis zur Berührung des vollen Raumes (der Erfahrung) mit dem leeren (wovon wir nichts wissen können, den  Noumenis)  geführt haben, können wir auch die Grenzen der reinen Vernunft bestimmen; denn in allen Grenzen ist auch etwas Positives, (z. B. Fläche ist die Grenze des körperlichen Raumes, indessen doch selbst ein Raum, Linie ein Raum, der die Grenze der Fläche ist, Punkt die Grenze der Linie, aber doch noch immer ein Ort im Raum) dahingegen Schranken bloße Negationen enthalten. Die im angeführten Paragraphen angezeigten Schranken sind noch nicht genug, nachdem wir gefunden haben, daß noch über dieselben etwas (ob wir es gleih, was es an sich selbst sei, niemals erkennen werden) hinausliege. Denn nun fragt sich, wie verhält sich unsere Vernunft bei dieser Verknüpfung dessen, was wir kennen, mit dem, was wir nicht kennen und auch niemals kennen werden? Hier ist eine wirkliche Verknüpfung des Bekannten mit einem völlig Unbekannten (was es auch jederzeit bleiben wird), und wenn dabei das Unbekannte auch nicht im mindesten bekannter werden sollte, - wie denn das in der Tat auch nicht zu hoffen ist, - so muß doch der Begriff von dieser Verknüpfung bestimmt und zur Deutlichkeit gebracht werden können.

Wir sollen uns denn also ein immaterielles Wesen, eine Verstandeswelt und ein höchstes aller Wesen (lauter Noumena) denken, weil die Vernunft nur in diesen, als Dingen an sich selbst, Vollendung und Befriedigung antrifft, die sie in der Ableitung der Erscheinungen aus ihren gleichartigen Gründen niemals hoffen kann und weil diese sich wirklich auf etwas von Ihnen Unterschiedenes (mithin gänzlich Ungleichartiges) beziehen, indem Erscheinungen doch jederzeit eine Sache an sich selbst voraussetzen und also darauf Anzeige tun, man mag sie nun näher erkennen oder nicht.

Da wir nun aber diese Verstandeswesen nach dem, was sie an sich selbst sein mögen, d. i. bestimmt, niemals erkennen können, gleichwohl aber solche im Verhältnis auf die Sinnenwelt dennoch annehmen und durcht die Vernunft damit verknüpfen müssen, so werden wir doch wenigsten diese Verknüpfung vermittels solcher Begriffe denken können, die ihr Verhältnis zur Sinnenwelt ausdrücken. Denn denken wir das Verstandeswesen durch nichts, als reine Verstandesbegriffe, so denken wir uns dadurch wirklich nichts Bestimmtes, mithin ist unser Begriff ohne Bedeutung; denken wir es uns durch Eigenschaften, die von der Sinnenwelt entlehnt sind, so ist es nicht mehr Verstandeswesen, es wird als eines von den Phänomenen gedacht und gehört zur Sinnenwelt. Wir wollen ein Beispiel vom Begriff des höchsten Wesens hernehmen.

Der  deistische  Begriff ist ein ganz reiner Vernunftbegriff, welcher aber nur ein Ding, das alle Realität enthält, vorstellt, ohne deren eine einzige bestimmen zu können, weil dazu das Beispiel aus der Sinnenwelt entlehnt werden müßte, in welchem Fall ich es immer nur mit einem Gegenstand der Sinne, nicht aber mit etwas ganz Ungleichartigem, was gar nicht ein Gegenstand der Sinne sein kann, zu tun haben würde. Denn ich würde ihm z. B. Verstand beilegen; ich habe aber gar keinen Begriff von einem Verstand, als dem, der so ist, wie der meinige, nämlich ein solcher, dem durch Sinne Anschauungen müssen gegeben werden und der sich damit beschäftigt, sie unter Regeln der Einheit des Bewußtseins zu bringen. Aber alsdenn würden die Elemente meines Begriffs immer in der Erscheinung liegen; ich wurde aber eben durch die Unzulänglichkeit der Erscheinungen genötigt, über dieselben hinaus, zum Begriff eines Wesens zu gehen, was gar nicht von Erscheinungen abhängig oder damit, als Bedingungen seiner Bestimmung, verflochten ist. Sondere ich aber den Verstand von der Sinnlichkeit ab, um einen reinen Verstand zu haben; so bleibt nichts, als die bloße Form des Denkens ohne Anschauung übrig, wodurch allein ich nichts Bestimmtes, also keinen Gegenstand erkennen kann. Ich müßte mir zu dem Ende einen anderen Verstand denken, der die Gegenstände anschaute, wovon ich aber nicht den mindesten Begriff habe, weil der menschliche diskursiv ist und nur durch allgemeine Begriffe erkennen kann. Eben das widerfährt mir auch, wenn ich dem höchsten Wesen einen Willen beilege. Denn ich habe diesen Begriff nur, indem ich ihn aus meiner inneren Erfahrung ziehe, dabei aber Abhängigkeit meiner Zufriedenheit von Gegenständen, deren Existenz wir bedürfen und also Sinnlichkeit zum Grunde liegt, welches dem reinen Begriff des höchsten Wesens gänzlich widerspricht.

Die Einwürfe des HUME wider den Deismus sind schwach und treffen niemals etwas mehr, als die Beweistümer, niemals aber den Satz der deistischen Behauptung selbst. Aber in Ansehung des Theismus, der durch eine nähere Bestimmung unseres dort bloß transzendenten Begriffs vom höchsten Wesen zustande kommen soll, sind sie sehr stark und je nachdem man diesen Begriff einrichtet, in gewissen (in der Tat, allen gewöhnlichen) Fällen unwiderleglich. HUME hält sich immer daran, daß durch den bloßen Begriff eines Urwesen, dem wir keine anderen, als ontologische Prädikate (Ewigkeit, Allgegenwart, Allmacht) beilegen, wir wirklich gar nichts Bestimmtes Denken, sondern es müßten Eigenschaften hinzukommen, die einen Begriff  in concreto  abgeben können; es sei nicht genug, zu sagen: er sei Ursache, sondern wie seine Kausalität beschaffen sei, etwa durch Verstand und Willen; und da fangen seine Angriffe der Sache selbst, nämlich des Theismus an, da er vorher nur die Beweisgründe des Deismus gestürmt hatte, welches keine sonderliche Gefahr nach sich zieht. Seine gefährlichen Argumente beziehen sich ingesamt auf den Anthropomorphismus, von dem er dafür hält, er sei vom Theismus unabtrennlich und mache ihn in sich selbst widersprechend, ließe man ihn aber weg, so fiele dieser hiermit auch und es bliebe nichts, als ein Deismus übrig, aus dem man nichts machen, der uns zu nichts nützen und zu gar keinen Fundamenten der Religion und Sitten dienen kann. Wenn diese Unvermeidlichkeit des Anthropomorphismus gewiß wäre, so möchten die Beweise vom Dasein eines höchsten Wesens sein, welche sie wollen und alle eingeräumt werden, der Begriff von diesem Wesen würde doch niemals von uns bestimmt werden können, ohne uns in Widersprüche zu verwickeln.

Wenn wir mit dem Verbot, alle transzendenten Urteile der reinen Vernunft zu vermeiden, das damit dem Anschein nach streitende Gebot, bis zu Begriffen, die außerhalb des Feldes des immanenten (empirischen) Gebrauchs liegen, hinauszugehen, verknüpfen, so werden wir inne, daß beide zusammen bestehen können, aber nur gerade auf der  Grenze  alles erlaubten Vernunftgebrauchs; denn diese gehört ebensowohl zum Feld der Erfahrung, als dem der Gedankenwesen und wir werden dadurch zugleich belehrt, wie jene so merkwürdigen Ideen lediglich zur Grenzbestimmung der menschlichen Vernunft dienen, nämlich einerseits Erfahrungserkenntnis nicht unbegrenzt ausdehnen, so daß gar nichts mehr, als bloß Welt von uns zu erkennen übrig bliebe und andererseits dennoch nicht über die Grenze der Erfahrung hinauszugehen und von Dingen außerhalb derselben, als Dingen an sich selbst, urteilen zu wollen.

Wir halten uns aber auf dieser Grenze, wenn wir unser Urteil bloß auf das Verhältnis einschränken, welches die Welt zu einem Wesen haben mag, dessen Begriff selbst außer aller Erkenntnis liegt, deren wir innerhalb der Welt fähig sind. Denn alsdenn eigenen wir dem höchsten Wesen keine von den Eigenschaften  an sich selbst  zu, durch die wir uns Gegenstände der Erfahrung denken und vermeiden dadurch den  dogmatischen  Anthropomorphismus, der in der Tat nur die Sprache und nicht das Objekt selbst angeht.

Wenn ich sage, wir sind genötigt, die Welt so anzusehen,  als ob  sie das Werk eines höchsten Verstandes und Willens sei, so sage ich wirklich nichts mehr, als: wie sich eine Uhr verhält, ein Schiff, ein Regiment, zum Künstler, Baumeister, Befehlshaber, so die Sinnenwelt (oder alles das, was die Grundlage dieses Inbegriffs von Erscheinungen ausmacht) zum Unbekannten, das ich also hierdurch zwar nicht nach dem, was es an sich selbst ist, aber doch nach dem, was es für mich ist, nämlich in Ansehung der Welt, davon ich ein Teil bin, erkenne.


§ 58.

Eine solche Erkenntnis ist die  nach der Analogie welche nicht etwa, wie man das Wort gemeiniglich nimmt, eine unvollkommene Ähnlichkeit zweier Dinge, sondern eine vollkommene Ähnlichkeit zweier Verhältnisse zwischen ganz unähnlichen Dingen bedeutet. (1)

Vermittels dieser Analogie bleibt doch ein  für uns  hinlänglich bestimmter Begriff vom höchsten Wesen übrig, ob wir gleich alles weggelassen haben, was ihn schlechthin und  an sich selbst bestimmen  könnte; denn wir bestimmen ihn doch respektiv auf die Welt und mithin auf uns und mehr ist uns auch nicht nötig. Die Angriffe, welche HUME auf diejenigen tut, welche diesen Begriff absolut bestimmen wollen, indem sie die Materialien dazu von sich selbst und der Welt entlehnen, treffen uns nicht; auch kann er uns nicht vorwerfen, es bleibe uns gar nichts übrig, wenn man uns den objektiven Anthropomorphismus vom Begriff des höchsten Wesens wegnähme.

Denn wenn man uns nur anfangs (wie es auch HUME in der Person des Philo gegen den Kleanth in seinen Dialogen tut), als eine notwendige Hypothese, den  deistischen  Begriff des Urwesens einräumt, in welchem man sich das Urwesen durch lauter ontologische Prädikate, der Substanz, Ursache etc. denkt  (welches man tun muß,  weil die Vernunft in der Sinnenwelt durch lauter Bedingungen, die immer wiederum bedingt sind, getrieben, ohne das gar keine Befriedigung haben kann und  welches man auch füglich tun kann,  ohne in den Anthropomorphismus zu geraten, der Prädikate aus der Sinnenwelt auf ein von der Welt ganz unterschiedenes Wesen überträgt, indem jene Prädikate bloße Kategorien sind, die zwar keinen bestimmten, aber auch eben dadurch keinen auf Bedingungen der Sinnlichkeit eingeschränkten Begriff desselben geben); so kann uns nichts hindern, von diesem Wesen eine  Kausalität durch Vernunft  in Ansehung der Welt zu prädizieren und so zum Theismus überzuschreiten, ohne eben genötigt zu sein, ihm diese Vernunft an ihm selbst, als eine ihm anklebende Eigenschaft, beizulegen. Denn was das  Erste  betrifft, so ist es der einzig mögliche Weg, den Gebrauch der Vernunft, in Ansehung aller möglichen Erfahrung, in der Sinnenwelt durchgängig mit sich einstimmig auf den höchsten Grad zu treiben, wenn man selbst wiederum eine höchste Vernunft als eine Ursache aller Verknüpfungen in der Welt annimmt; ein solches Prinzip muß ihr durchgängig vorteilhaft sein, kann ihr aber nirgends in ihrem Naturgebrauch schaden;  zweitens  aber wird dadurch doch die Vernunft nicht als Eigenschaft auf das Urwesen an sich selbst übertragen, sondern nur  auf das Verhältnis  desselben zur Sinnenwelt und also der Anthropomorphismus gänzlich vermieden. Denn hier wird nur die  Ursache  der Vernunftform betrachtet, die in der Welt allenthalben angetroffen wird und dem höchsten Wesen, sofern es den Grund dieser Vernunftform der Welt entgegenhält, zwar Vernunft beigelegt, aber nur nach der Analogie, d. i. sofern dieser Ausdruck nur das Verhältnis anzeigt, was die uns unbekannte oberste Ursache zur Welt hat, um darin alles im höchsten Grad vernunftmäßig zu bestimmen. Dadurch wird nun verhütet, daß wir uns der Eigenschaft der Vernunft nicht bedienen, um Gott, sondern um die Welt vermittels derselben so zu denken, als es notwendig ist, um den größtmöglichen Vernunftgebrauch in Ansehung dieser nach einem Prinzip zu haben. Wir gestehen dadurch, daß uns das höchste Wesen nach demjenigen, was es an sich selbst sei, gänzlich unerforschlich und  auf bestimmte  Weise sogar undenkbar sei und werden dadurch abgehalten, nach unseren begriffen, die wir von der Vernunft als einer wirkenden Ursache (vermittels des Willens) haben, keinen transzendenten Gebrauch zu machen, um die göttliche Natur durch Eigenschaften, die doch immer nur von der menschlichen Natur entlehnt sind, zu bestimmen und uns in grobe oder schwärmerische Begriffe zu verlieren, andererseits aber auch nicht die Weltbetrachtung nach unseren, auf Gott übertragenen Begriffe von der menschlichen Vernunft, mit hyperphysischen Erklärungsarten zu überschwemmen und von irer eigentlichen Bestimmung abzubringen, nach der sie ein Studium der bloßen Natur durch die Vernunft und nicht eine vermessene Ableitung ihrer Erscheinungen von einer höchsten Vernunft sein soll. Der unseren schwachen Begriffen angemessene Ausdruck wird sein: daß wir uns die Welt so denken,  als ob  sie von einer höchsten Vernunft ihrem Dasein und inneren Bestimmung nach abstamme, wodurch wir teils die Beschaffenheit, die ihr, der Welt, selbst zukommt, erkennen, ohne uns doch anzumaßen, die ihrer Ursache an sich selbst bestimmen zu wollen, teils andererseits  in das Verhältnis  der obersten Ursache zur Welt den Grund dieser Beschaffenheit (der Vernunftform in der Welt) legen, ohne die Welt dazu für sich selbst zureichend zu finden. (2)

Auf solche Weise verschwinden die Schwierigkeiten, die dem Theismus zu widerstehen scheinen, dadurch, daß man mit dem Grundsatz des HUME, den Gebrauch der Vernunft nicht über das Feld aller möglichen Erfahrung dogmatisch hinaus zu treiben, einen anderen Grundsatz verbindet, den HUME gänzlich übersah, nämlich: das Feld möglicher Erfahrung nicht für das jenige, was in den Augen unserer Vernunft sich selbst begrenzte, anzusehen. Kritik der Vernunft bezeichnet hier den wahren Mittelweg zwischen dem Dogmatismus, den HUME bekämpfte und dem Skeptizismus, den er dagegen einführen wollte, einen Mittelweg, der nicht, wie andere Mittelwege, die man gleichsam mechanisch (etwas von einem und etwas vom andern) sich selbst zu bestimmen anrät und wodurch kein Mensch eines Besseren belehrt wird, sondern einen solchen, den man nach Prinzipien genau bestimmen kann.


§ 59.

Ich habe mich zu Anfang dieser Anmerkung des Sinnbildes einer  Grenze  bedient, um die Schranken der Vernunft in Ansehung ihres ihr angemessenen Gebrauches festzusetzen. Die Sinnenwelt enthält bloß Erscheinungen, die noch nicht Dinge an sich selbst sind, welche letztere (Noumena) also der Verstand, eben darum weil er die Gegenstände der Erfahrung für bloße Erscheinungen erkennt, annehmen muß. In unserer Vernunft sind beide zusammen befaßt und es fragt sich: wie verfährt Vernunft, den Verstand in Ansehung beider Felder zu begrenzen? Erfahrung, welche alles, was zur Sinnenwelt gehört, enthält, begrenzt sich nicht selbst; sie gelangt von jedem Bedingten immer nur auf ein anderes Bedingtes. Das, was sie begrenzen soll, muß gänzlich außer ihr liegen und dieses ist das Feld der reinen Verstandeswesen. Dieses aber ist für uns ein leerer Raum, sofern es auf die  Bestimmung  der Natur dieser Verstandeswesen ankommt und sofern können wir, wenn es auf dogmatisch-bestimmte Begriffe angesehen ist, nicht über das Feld möglicher Erfahrung hinaus kommen. Da aber eine Grenze selbst etwas Positives ist, welches sowohl zu dem gehört, was innerhalb derselben, als zum Raum, der außer einem gegebenen Inbegriff liegt, so ist es doch eine wirkliche positive Erkenntnis, deren die Vernunft bloß dadurch teilhaftig wird, daß sie sich bis zu dieser Grenze erweitert, so doch, daß sie nicht über diese Grenze hinaus zu gehen versucht, weil sie daselbst einen leeren Raum vor sich findet, in welchem sie zwar Formen zu Dingen, aber keine Dinge selbst denken kann. Aber die  Begrenzung  des Erfahrungsfeldes durch etwas, was ihr sonst unbekannt ist, ist doch eine Erkenntnis, die der Vernunft in diesem Standpunkt noch übrig bleibt, dadurch sie nicht innerhalb der Sinnenwelt beschlossen, auch nicht außer derselben schwärmend, sondern so, wie es einer Kenntnis der Grenze zukommt, sich bloß auf das Verhältnis desjenigen, was außerhalb derselben liegt, zu dem, was innerhalb enthalten ist, einschränkt.

Die natürliche Theologie ist ein solcher Begriff auf der Grenze der menschlichen Vernunft, da sie sich genötigt sieht, zur Idee des höchsten Wesens (und, in praktischer Beziehung, auch auf die einer intelligiblen Welt) hinauszusehen, nicht um in Ansehung dieses bloßen Verstandeswesens, mithin außerhalb der Sinnenwelt etwas zu bestimmen, sondern nur um ihren eigenen Gebrauch innerhalb derselben nach Prinzipien der größtmöglichen (theoretischen sowohl, als praktischen) Einheit zu leiten und zu diesem Behuf sich der Beziehung derselben auf eine selbständige Vernunft, als der Ursache aller dieser Verknüpfungen, zu bedienen, hierdurch aber nicht etwa sich bloße ein Wesen zu  erdichten,  sondern, da außer der Sinnenwelt notwendig etwas, was nur der reine Verstand denkt, anzutreffen sein muß, dieses nur auf solche Weise, obwohl freilich bloß nach der Analogie zu  bestimmen. 

Auf solche Weise bleibt unser obiger Satz, der das Resultat der ganzen Kritik ist: "daß uns Vernunft durch alle ihre Prinzipien  a priori  niemals etwas mehr, als lediglich Gegenstände möglicher Erfahrung und auch von diesen nichts mehr, als was in der Erfahrung erkannt werden kann, lehre"; aber diese Einschränkung hindert nicht, daß sie uns nicht bis zur objektiven  Grenze  der Erfahrung, nämlich der  Beziehung  auf etwas, was selbst nicht Gegenstand der Erfahrung, aber doch der oberste Grund aller derselben sein muß, führe, ohne uns doch von demselben etwa an sich, sondern nur in Beziehung auf ihren eigenen vollständigen und auf die höchsten Zwecke gerichteten Gebrauch im Feld möglicher Erfahrung zu lehren. Dieses ist aber auch aller Nutzen, den man vernünftigerweise hierbei auch nur wünschen kann und mit welchem man Ursache hat, zufrieden zu sein.
§ 60.

So haben wir Metaphysik, wie sie wirklich  in der Naturanlage  der menschlichen Vernunft gegeben ist und zwar in demjenigen, was den wesentlichen Zweck ihrer Bearbeitung ausmacht, nach ihrer subjektiven Möglichkeit ausführlich dargestellt. Da wir indessen doch fanden, daß dieser  bloß natürliche  Gebrauch einer solchen Anlage unserer Vernunft, wenn keine Disziplin derselben, welche nur durch wissenschaftliche Kritik möglich ist, sie zügelt und in Schranken setzt, sie in übersteigende, teils bloß scheinbare, teils unter sich sogar strittige,  dialektische  Schlüsse verwickelt und überdem diese vernünftelnde Metaphysik ja zur Beförderung der Naturerkenntnis entbehrlich, ja wohl gar ihr nachteilig ist, so bleibt es noch immer eine der Nachforschung würdige Aufgabe, die  Naturzwecke,  worauf diese Anlage zu transzendenten Begriffen in unserer Vernunft abgezielt sein mag, auszufinden, weil alles, was in der Natur liegt, doch auf irgend eine nützliche Absicht ursprünglich angelegt sein muß.

Eine solche Untersuchung ist in der Tat mißlich; auch gestehe ich, daß es nur Mutmaßung sei, wie alles, was die ersten Zwecke der Natur betrifft, was ich hiervon zu sagen weiß, welches mir auch in diesem Fall allein erlaubt sein mag, da die Frage nicht die objektive Gültigkeit metaphysischer Urteile, sondern die Naturanlage zu demselben angeht und also außer dem System der Metaphysik in der Anthropologie liegt.

Wenn ich alle transzendentalen Ideen vergleiche, deren Inbegriff die eigentliche Aufgabe der natürlichen reinen Vernunft ausmacht, welche sie nötigt, die bloße Naturbetrachtung zu verlassen und über alle mögliche Erfahrung hinauszugehen und in dieser Bestrebung das Ding (es sei Wissen oder Vernünfteln), was Metaphysik heißt, zustande zu bringen, so glaube ich gewahr zu werden, daß diese Naturanlage dahin abgezielt sei, unseren Begriff von den Fesseln der Erfahrung und den Schranken der bloßen Naturbetrachtung so weit loszumachen, daß er wenigstens ein Feld vor sich eröffnet sehe, was bloß Gegenstände für den reinen Verstand enthält, die keine Sinnlichkeit erreichen kann, zwar nicht in der Absicht, um uns mit diesen spekulativ zu beschäftigen (weil wir keinen Boden finden, worauf wir Fuß fassen können), sondern weil praktische Prinzipien, ohne einen solchen Raum für ihre notwendige Erwartung und Hoffnung vor sich zu finden, sich nicht zu der Allgemeinheit ausbreiten könnten, deren die Vernunft in moralischer Absicht unumgänglich bedarf.

Da finde ich nun, daß die  psychologische  Idee, ich mag dadurch auch noch so wenig von der reinen und über alle Erfahrungsbegriffe erhabenen Natur der menschlichen Seele einsehen, doch wenigstens die Unzulänglichkeit der letzteren deutlich genug zeige und mich dadurch vom Materialismus, als einem zu keiner Naturerklärung tauglichen und überdem die Vernunft in praktischer Absicht verengenden psychologischen Begriff abführe. So dienen die  kosmologischen  Ideen durch die sichtbare Unzulänglichkeit aller möglichen Naturerkenntnis, die Vernunft in ihrer rechtmäßigen Nachfrage zu befriedigen, uns vom Naturalismus, der die Natur für sich selbst genugsam ausgeben will, abzuhalten. Endlich, da alle Naturnotwendigkeit in der Sinnenwelt jederzeit bedingt ist, indem sie immer Abhängigkeit der Dinge von anderen voraussetzt und die unbedingte Notwendigkeit nur in der Einheit einer von der Sinnenwelt unterschiedenen Ursache gesucht werden muß, die Kausalität derselben aber wiederum, wenn sie bloß Natur wäre, niemals das Dasein des Zufälligen als seine Folge begreiflich machen könnte, so macht sich die Vernunft vermittels der  theologischen  Idee vom Fatalismus los, sowohl einer blinden Naturnotwendigkeit im Zusammenhang der Natur selbst, ohne ersteres Prinzip, als auch in der Kausalität dieses Prinzips selbst und führt auf den Begriff einer Ursache durch Freiheit, mithin einer obersten Intelligenz. So dienen die transzendentalen Ideen, wenngleich nicht dazu, uns positiv zu belehren, doch die frechen und das Feld der Vernunft verengenden Behauptungen des  Materialismus,  Naturalismus und Fatalismus' aufzuheben und dadurch den moralischen Ideen außer dem Felde der Spekulation Raum zu verschaffen; und dieses würde, dünkt mich, jene Naturanlage einigermaßen erklären.

Der praktische Nutzen, den eine bloße spekulative Wissenschaft haben mag, liegt außerhalb der Grenzen dieser Wissenschaft, kann also bloß als ein Scholion [kleine Vorlesung, kurzer Kommentar - wp] angesehen werden und gehört, wie alle Scholien, nicht als ein Teil zur Wissenschaft selbst. Gleichwohl liegt diese Beziehung doch wenigstens innerhalb der Grenzen der Philosophie, vornehmlich derjenigen, welche aus reinen Vernunftquellen schöpft, wo der spekulative Gebrauch der Vernunft in der Metaphysik mit dem praktischen in der Moral notwendig Einheit haben muß. Daher die unvermeidliche Dialektik der reinen Vernunft, in einer Metaphysik als Naturanlage betrachtet, nicht bloß als ein Schein, der aufgelöst zu werden bedarf, sondern auch als  Naturanstalt  seinem Zweck nach, wenn man kann, erklärt zu werden verdient, wiewohl dieses Geschäft, als überverdienstlich, der eigentlichen Metaphysik mit Recht nicht zugemutet werden darf.

Für ein zweites, aber mehr mit dem Inhalt der Metaphysik verwandtes Scholion, müßte die Auflösung der Fragen gehalten werden, die in der Kritik von Seite 510 bis 529 (3) fortgehen. Denn da werden gewisse Vernunftprinzipen vorgetragen, die die Naturordnung oder vielmehr den Verstand, der ihre Gesetze durch Erfahrung suchen soll,  a priori  bestimmen. Sie scheinen konstitutiv und gesetzgebend in Ansehung der Erfahrung zu sein, da sie doch aus bloßer Vernunft entspringen, welche nicht so, wie Verstand, als ein Prinzip möglicher Erfahrung angesehen werden darf. Ob nun diese Übereinstimmung darauf beruhe, daß, so wie Natur den Erscheinungen oder ihrem Quell, der Sinnlichkeit, nicht an sich selbst anhängt, sondern nur in der Beziehung der letzteren auf den Verstand angetroffen wird, so diesem Verstand die durchgängige Einheit seines Gebrauches, zum Behuf einer gesamten möglichen Erfahrung (in einem System) nur mit Beziehung auf die Vernunft zukommen könne, mithin auch Erfahrung mittelbar unter der Gesetzgebung der Vernunft stehe, mag von denen, welche der Natur der Vernunft, auch außer ihrem Gebrauch in der Metaphysik, sogar in den allgemeinen Prinzipien eine Naturgeschichte überhaupt systematisch zu machen, nachspüren wollen, weiter erwogen werden; denn diese Aufgabe habe ich in der Schrift selbst zwar als wichtig vorgestellt, aber ihre Auflösung nicht versucht. (4)

Und so endige ich die analytische Auflösung der von mir selbst aufgestellten Hauptfrage: wie ist Metaphysik überhaupt möglich? in dem ich von demjenigen, wo ihr Gebrauch wirklich, wenigstens in den Folgen gegeben ist, zu den Gründen ihrer Möglichkeit hinaufstieg.

LITERATUR: Immanuel Kant - Prolegomena einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, J. H. von Kirchmann (Hrsg), Heidelberg 1882
    Anmerkungen
    1) So ist eine Analogie zwischen dem rechtlichen Verhältnis menschlicher Handlungen und dem mechanischen Verhältnis der bewegenden Kräfte; ich kann gegen einen andern niemals etwas tun, ohne ihm ein Recht zu geben, unter den nämlichen Bedingungen eben dasselbe gegen mich zu tun; ebenso wie kein Körper auf einen anderen mit seiner bewegenden Kraft wirken kann, ohne dadurch zu verursachen, daß der andere ihm ebensoviel entgegenwirke. Hier sind Recht und bewegende Kraft ganz unähnliche Dinge, aber in ihrem Verhältnis ist doch völlige Ähnlichkeit. Vermittels einer solchen Analogie kann ich daher einen Verhältnisbegriff von Dingen, die mir absolut unbekannt sind, geben. Zum Beispiel wie sich verhält die Beförderung des Glücks der Kinder =  a  zur Liebe der Eltern =  b,  so die Wohlfahrt des menschlichen Geschlechts =  c  zum Unbekannten in Gott =  X welches wir Liebe nennen; nicht als wenn es die mindeste Ähnlichkeit mit irgendeiner menschlichen Neigung hätte; sondern weil wir das Verhältnis derselben zur Welt untereinander haben. Der Verhältnisbegriff aber ist hier eine bloße Kategorie, nämlich der Begriff der Ursache, der nichts mit Sinnlichkeit zu tun.
    2) Ich werde sagen: die Kausalität der obersten Ursache ist dasjenige in Ansehung der Welt, was menschliche Vernunft in Ansehung ihrer Kunstwerke ist. Dabei bleibt mir die Natur der obersten Ursache selbst unbekannt; ich vergleiche nur ihre mir bekannte Wirkung (die Weltordnung) und deren Vernunftmäßigkeit mit den mir bekannten Wirkungen menschlicher Vernunft und nenne daher jene eine Vernunft, ohne darum eben dasselbe, was ich am Menschen unter diesem Ausdruck verstehe oder sonst etwas mir Bekanntes ihr als ihre Eigenschaft beizulegen.
    3) Im Anhang zur transzendentalen Dialektik: "von dem regulativen Gebrauch der Ideen der reinen Vernunft".
    4) Es ist mein immerwährender Vorsatz durch die Kritik gewesen, nichts zu versäumen, was die Nachforschung der Natur der reinen Vernunft zur Vollständigkeit bringen könnte, ob es gleich noch so tief verborgen liegen möchte. Es steht nachher in jedermanns Belieben, wie weit er seine Untersuchung treiben will, wenn ihm nur angezeigt worden, welche noch anzustellen sein möchten; denn dieses kann man von demjenigen billig erwarten, der es sich zum Geschäft gemacht hat, diese ganze Feld zu übermessen, um es hernach zum künftigen Anbau und beliebigen Austeilung anderen zu überlassen. Dahin gehören auch die beiden Scholien, welche sich durch ihre Trockenheit Liebhabern wohl schwerlich empfehlen dürften und daher nur für Kenner hingestellt worden.