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IMMANUEL KANT
(1724-1804)
Prolegomena ...
Hauptfrage - dritter Teil
[6/9]

    Einleitung
Vorerinnerung
Der transzendentalen Hauptfrage - erster Teil
Der transzendentalen Hauptfrage - zweiter Teil
Anhang zur reinen Naturwissenschaft
Der transzendentalen Hauptfrage - dritter Teil
Beschluß
Auflösung der allgemeinen Frage
Anhang von dem geschehen kann, um ...

"Sowie also der Verstand der Kategorien zur Erfahrung bedurfte, so enthält die Vernunft in sich den Grund zu Ideen, worunter ich notwendige Begriffe verstehe , deren Gegenstand gleichwohl in keiner Erfahrung gegeben werden  kann." 

"Die reine Vernunft hat unter ihren Ideen nicht besondere Gegenstände, die über das Feld der Erfahrung hinauslägen, zur Absicht, sondern fordert nur Vollständigkeit des Verstandesgebrauchs im Zusammenhang der Erfahrung. Diese Vollständigkeit aber kann nur eine Vollständigkeit der Prinzipien, aber nicht der Anschauungen und Gegenstände sein."

"Alle Prädikate des inneren Sinnes beziehen sich auf das  Ich,  das Subjekt und dieses kann nicht weiter als Prädikat irgend eines anderen Subjektes gedacht werden. Also scheint hier die Vollständigkeit in der Beziehung der gegebenen Begriffe als Prädikate auf ein Subjekt, nicht bloß Idee, sondern der Gegenstand, nämlich das  absolute Subjekt  selbst, in der Erfahrung gegeben zu sein. Allein diese Erfahrung wird vereitelt. Denn das Ich ist gar kein Begriff , sondern nur Bezeichnung des Gegenstandes des inneren Sinnes, sofern wir es durch kein Prädikat weiter erkennen, mithin kann es zwar an sich kein Prädikat von einem anderen Ding sein, aber ebensowenig auch ein bestimmter Begriff eines absoluten Subjekts, sondern nur, wie in allen andern Fällen, die Beziehung der inneren Erscheinungen auf das unbekannte Subjekt derselben. Wäre die Vorstellung der Apperzeption, das  Ich,  ein Begriff, wodurch irgendetwas gedacht würde, so würde es auch als Prädikat von anderen Dingen gebraucht werden können oder solche Prädikate in sich enthalten. Nun ist es nichts mehr, als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung steht."

"Man kann in der Metaphysik auf mancherlei Weise herumpfuschen, ohne eben zu besorgen, daß man auf Unwahrheit werden betreten werden. Denn wenn man sich nur nicht selbst widerspricht, welches in synthetischen, obgleich gänzlich erdichteten Sätzen gar wohl möglich ist, so können wir in allen solchen Fällen, wo die Begriffe, die wir verknüpfen, bloße Ideen sind, die gar nicht in der Erfahrung gegeben werden können, niemals durch Erfahrung widerlegt werden."

"Obgleich aber ein absolutes Ganzes der Erfahrung unmöglich ist, so ist doch die Idee eines Ganzen der Erkenntnis nach Prinzipien überhaupt dasjenige, was ihr allein eine besondere Art der Einheit, nämlich die von einem System, verschaffen kann, ohne die unsere Erkenntnis nichts als Stückwerk ist und zum höchsten Zweck (der immer nur das System aller Zwecke ist) nicht gebraucht werden kann."


§ 40.

Wie ist Metaphysik überhaupt möglich?

Reine Mathematik und reine Naturwissenschaft hätten  zum Behuf ihrer eigenen Sicherheit  und Gewissheit keiner dergleichen Deduktion bedurft, als wir bisher von beiden zustande gebracht haben; denn die erstere stützt sich auf ihre eigene Evidenz; die zweite aber, obgleich aus reinen Quellen des Verstandes entsprungen, dennoch auf Erfahrung und deren durchgängige Bestätigung, welcher letzteren Zeugnis sie darum nicht gänzlich ausschlagen und entbehren kann, weil sie mit aller ihrer Gewißheit dennoch, als Philosophie es der Mathematik niemals gleich tun kann. Beide Wissenschaften hatten also die gedachte Untersuchung nicht für sich, sondern für eine andere Wissenschaft, nämlich Metaphysik, nötig.

Metaphysik hat es, außer mit Naturbegriffen, die in der Erfahrung jederzeit ihre Anwendung finden, noch mit reinen Vernunftbegriffen zu tun, die niemals in irgendeiner nur immer möglichen Erfahrung gegeben werden, mithin mit Begriffen, deren objektive Realität, (daß sie nicht bloße Hirngespinste sind) und mit Behauptungen, deren Wahrheit oder Falschheit durch keine Erfahrung bestätigt oder aufgedeckt werden kann und dieser Teil der Metaphysik ist überdem gerade derjenige, welcher den wesentlichen Zweck derselben, wozu alles andere nur Mittel ist, ausmacht und so bedarf diese Wissenschaft einer solchen Deduktion  um ihrer selbst willen.  Die uns jetzt vorgelegte dritte Frage betrifft also gleichsam den Kern und das Eigentümliche der Metaphysik, nämlich die Beschäftigung der Vernunft bloß mit sich selbst und, indem sie über ihre eigenen Begriffe brütet, die unmittelbar daraus vermeintlich entspringende Bekanntschaft mit Objekten, ohne dazu die Vermittlung der Erfahrung nötig zu haben, noch überhaupt durch dieselbe dazu gelangen zu können. (1)

Ohne Auflösung dieser Frage tut sich Vernunft niemals selbst genug. Der Erfahrungsgebrauch, auf welchen die Vernunft den reinen Verstand einschränkt, erfüllt nicht ihre eigene ganze Bestimmung. Jede einzelne Erfahrung ist nur ein Teil von der ganzen Sphäre ihres Gebietes, das  absolute Ganze aller möglichen Erfahrung  ist aber selbst keine Erfahrung und dennoch ein notwendiges Problem für die Vernunft, zu dessen bloßer Vorstellung sie ganz anderer Begriffe nötig hat, als jener reinen Verstandesbegriffe, deren Gebrauch nur  immanent  ist, d. i. auf Erfahrung geht, so weit sie gegeben werden kann, indessen daß Vernunftbegriffe auf die Vollständigkeit, d. i. die kollektive Einheit der ganzen möglichen Erfahrung und dadurch über jede gegebene Erfahrung hinausgehen und  transzendent  werden.

Sowie also der Verstand der Kategorien zur Erfahrung bedurfte, so enthält die Vernunft in sich den Grund zu Ideen, worunter ich notwendige Begriffe verstehe , deren Gegenstand gleichwohl in keiner Erfahrung gegeben werden  kann.  Die letzteren sind ebensowohl in der Natur der Vernunft, als die ersteren in der Natur des Verstandes gelegen und wenn jene einen Schein bei sich führen, der leicht verleiten kann, so ist dieser Schein unvermeidlich, obzwar, "daß er nicht verführe", gar wohl verhütet werden kann.

Da aller Schein darin besteht, daß der subjektive Grund des Urteils für objektiv gehalten wird, so wird eine Selbsterkenntnis der reinen Vernunft in ihrem transzendenten (überschwenglichen) Gebrauch das einzige Verwahrungsmittel gegen die Verirrungen sein, in welche die Vernunft gerät, wenn sie ihre Bestimmung mißdeutet und dasjenige transzendenter Weise aufs Objekt selbst bezieht, was nur ihr eigenes Subjekt und die Leitung desselben in allem immanenten Gebrauch angeht.


§ 41.

Die Unterschiede der  Ideen,  d. i. der reinen Vernunftbegriffe, von den Kategorien oder reinen Verstandesbegriffen, als Erkenntnissen von ganz verschiedener Art, Ursprung und Gebrauch, ist ein so wichtiges Stück zur Grundlegung einer Wissenschaft, welche das System aller dieser Erkenntnisse  a priori  enthalten soll, daß ohne eine solche Absonderung Metaphysik schlechterdings unmöglich oder höchstens ein regelloser stümperhafter Versuch ist, ohne Kenntnis der Materialien, womit man sich beschäftigt und ihrer Tauglichkeit, zu dieser oder jener Absicht ein Kartengebäude zusammenzuflicken. Wenn Kritik der reinen Vernunft auch nur das allein geleistet hätte, diesen Unterschied zuerst vor Augen zu legen, so hätte sie dadurch schon mehr zur Aufklärung unseres Begriffes und der Leitung der Nachforschung im Felde der Metaphysik beigetragen, als alle fruchtlosen Bemühungen, den transzendenten Aufgaben der reinen Vernunft ein Genüge zu tun, die man von jeher unternommen hat, ohne jemals zu wähnen, daß man sich in einem ganz anderen Feld befände, als dem des Verstandes und daher Verstandes- und Vernunftbegriffe, gleich als ob sie von einerlei Art wären, in einem Strich hernannte.


§ 42.

Alle reinen Verstandeserkenntnisse haben das ansich, daß sich ihre Begriffe in der Erfahrung geben und ihre Grundsätze durch Erfahrung bestätigen lassen; dagegen die transzendenten Vernunfterkenntnisse sich, weder was ihre  Ideen  betrifft, in der Erfahrung geben, noch ihre  Sätze  jemals durch Erfahrung bestätigen noch widerlegen lassen; daher der dabei vielleicht einschleichende Irrtum durch nichts anderes, als reine Vernunft selbst, aufgedeckt werden kann, welches aber sehr schwer ist, weil eben diese Vernunft vermittels ihrer Ideen natürlicherweise dialektisch wird und dieser unvermeidliche Schein durch keine objektiven und dogmatischen Untersuchungen der Sachen, sondern bloß durch subjektive der Vernunft selbst, als einen Quell der Ideen, in Schranken gehalten werden kann.


§ 43.

Es ist jederzeit in der Kritik mein größtes Augenmerk gewesen, wie ich nicht allein die Erkenntnisarten sorgfältig unterscheiden, sondern auch alle zu jeder derselben gehörigen Begriffe aus ihrem gemeinschaftlichen Quell ableiten könnte, damit ich nicht allein dadurch, daß ich unterrichtet wäre, woher sie abstammen, ihren Gebrauch mit Sicherheit bestimmen könnte, sondern auch den noch vermuteten, aber unschätzbaren Vorteil hätte, die Vollständigkeit in der Aufzählung, Klassifizierung und Spezifizierung der Begriffe  a priori,  mithin nach Prinzipien zu erkennen. Ohne dieses ist in der Metaphysik alles lauter Rhapsodie, wo man niemals weiß, ob dessen, was man besitzt, genug ist, oder ob und wo noch etwas fehlen möge. Freilich kann man diesen Vorteil auch nur in der reinen Philosophie haben, von dieser aber macht derselbe auch das Wesen aus.

Da ich den Ursprung der Kategorien in den vier logischen Funktionen aller Urteile des Verstandes gefunden hatte, so war es ganz natürlich, den Ursprung der Ideen in den drei Funktionen der Vernunftschlüsse zu suchen; denn wenn einmal solche reine Vernunftbegriffe (transzendentale Ideen) gegeben sind, so könnten sie, wenn man sie nicht etwa für angeboren halten will, wohl nirgends anders, als in derselben Vernunfthandlung angetroffen werden, welche, sofern sie bloß die Form betrifft, das Logische der Vernunftschlüsse, sofern sie aber die Verstandesurteile in Ansehung einer oder der anderen Form  a priori  als bestimmt vorstellt, transzendentale Begriffe der reinen Vernunft ausmacht.

Der formale Unterschied der Vernunftschlüsse macht die Einteilung derselben in kategorische, hypothetische und disjunktive notwendig. Die darauf gegründeten Vernunftbegriffe enthalten also erstlich die Idee des vollständigen Subjekts (Substantiale), zweitens die Idee der vollständigen Reihe der Bedingungen, drittens die Bestimmung aller Begriffe in der Idee eines vollständigen Inbegriffs des Möglichen (2) Die erste Idee war psychologisch, die zweite kosmologisch, die dritte theologisch und da alle drei zu einer Dialektik Anlaß geben, doch jede auf ihre eigene Art, so gründete sich darauf die Einteilung der ganzen Dialektik der reinen Vernunft: in den Paralogismus, die Antinomie und endlich das Ideal derselben; durch welche Ableitung man völlig sicher gestellt wird, daß alle Ansprüche der reinen Vernunft hier ganz vollständig vorgestellt sind und kein einziger fehlen kann, weil das Vernunftvermögen selbst, als woraus sie allen ihren Ursprung nehmen, dadurch gänzlich ausgemessen wird.


§ 44.

Es ist bei dieser Betrachtung im Allgemeinen noch merkwürdig, daß die Vernunftideen nicht etwa so, wie die Kategorien, uns zum Gebrauch des Verstandes in Ansehung desselben völlig entbehrlich, ja wohl gar den Maximen der Verstandeserkenntnis der Natur entgegen und hinderlich, gleichwohl aber doch in anderer noch zu bestimmender Absicht notwendig sind. Ob die Seele einfach eine Substanz sei oder nicht, das kann uns zur Erklärung der Erscheinungen derselben ganz gleichgültig sein; denn wir können den Begriff eines einfachen Wesens durch keine mögliche Erfahrung sinnlich, mithin  in concreto  verständlich machen und so ist er in Ansehung aller verhofften Einsicht in die Ursache der Erscheinungen ganz leer und kann zu keinem Prinzip der Erklärung dessen, was innere oder äußere Erfahrung an die Hand gibt, dienen. Ebensowenig können uns die kosmologischen Ideen vom Weltanfang oder der Weltewigkeit ( a parte ante  [von Anfang an - wp]) dazu nutzen, um irgendeine Begebenheit in der Welt selbst daraus zu erklären. Endlich müssen wir nach einer richtigen Maxime der Naturphilosophie uns aller Erklärung der Natureinrichtung, die aus dem Willen eines höchsten Wesens gezogen worden, enthalten, weil dieses nicht mehr Naturphilosophie ist, sondern ein Geständnis, daß es damit bei uns zu Ende gehe. Es haben also diese Ideen eine ganz andere Bestimmung ihres Gebrauchs, als jene Kategorien, durch die und die darauf gebauten Grundsätze Erfahrung selbst allererst möglich ward. Indessen würde doch unsere mühsame Analytik des Verstandes, wenn unsere Absicht auf nichts anderes, als bloße Naturerkenntnis, so wie sie in der Erfahrung gegeben werden kann, gerichtet wäre, auch ganz überflüssig sein; denn Vernunft verrichtet ihr Geschäft sowohl in der Mathematik, als Naturwissenschaft, auch ohne alle diese subtile Deduktion ganz sicher und gut; also vereinigt sich unsere Kritik des Verstandes mit den Ideen der reinen Vernunft zu einer Absicht, welche über den Erfahrungsgebrauch des Verstandes hinausgesetzt ist, von welcher wir doch oben gesagt haben, daß er in diesem Betracht gänzlich unmöglich und ohne Gegenstand oder Bedeutung sei. Es muß aber dennoch zwischen dem, was zur Natur der Vernunft und des Verstandes gehört, Einstimmung sein und jene muß zur Vollkommenheit der letzteren beitragen und kann sie unmöglich verwirren.

Die Auflösung dieser Frage ist folgende: die reine Vernunft hat unter ihren Ideen nicht besondere Gegenstände, die über das Feld der Erfahrung hinauslägen, zur Absicht, sondern fordert nur Vollständigkeit des Verstandesgebrauchs im Zusammenhang der Erfahrung. Diese Vollständigkeit aber kann nur eine Vollständigkeit der Prinzipien, aber nicht der Anschauungen und Gegenstände sein. Gleichwohl, um sich jene bestimmt vorzustellen, denkt sie sich solche, als die Erkenntnis eines Objekts, dessen Erkenntnis in Ansehung jener Regeln vollständig bestimmt ist, welches Objekt aber nur eine Idee ist, um die Verstandeserkenntnis der Vollständigkeit, die jene Idee bezeichnet, so nahe wie möglich zu bringen.


§ 45.

Vorläufige Bemerkung zur
Dialektik der reinen Vernunft

Wir haben oben §§ 33, 34 gezeigt, daß die Reinigkeit der Kategorien von aller Beimischung sinnlicher Bestimmungen die Vernunft verleiten könne, ihren Gebrauch gänzlich über alle Erfahrung hinaus auf Dinge an sich selbst auszudehnen, wiewohl, da sie selbst keine Anschauung finden, welchen ihnen Bedeutung und Sinn  in concreto  verschaffen könnte, sie als bloß logische Funktionen, zwar ein Ding überhaupt vorstellen, aber für sich allein keinen bestimmten Begriff von irgend einem Ding geben können. Dergleichen hyperbolische [hyperbelige, wp ;-)] Objekte sind nun die, so man  Noumena  oder reine Verstandeswesen (besser Gedankenwesen) nennt, als z. B.  Substanz,  welche aber  ohne  Beharrlichkeit in der Zeit gedacht wird oder eine  Ursache,  die aber  nicht in der Zeit  wirkte usw., da man ihnen denn Prädikate beilegt, die bloß dazu dienen, die Gesetzmäßigkeit der Erfahrung möglich zu machen und gleichwohl alle Bedingungen der Anschauung, unter denen allein Erfahrung möglich ist, von ihnen wegnimmt, wodurch jene Begriffe wiederum alle Bedeutung verlieren.

Es hat aber keine Gefahr, daß der Verstand von selbst, ohne durch fremde Gesetze gedrungen zu sein, über seine Grenzen so ganz mutwillig in das Feld von bloßen Gedankenwesen ausschweifen werde. Wenn aber die Vernunft, die mit keinem Erfahrungsgebrauch der Verstandesregeln, als der immer noch bedingt ist, völlig befriedigt sein kann, Vollendung dieser Kette von Bedingungen fordert, so wird der Verstand aus seinem Kreis getrieben, um teils Gegenstände der Erfahrung in einer so weit erstreckten Reihe vorzustellen, dergleichen gar keine Erfahrung fassen kann, teils sogar (um sie zu vollenden) gänzlich außerhalb derselben  Noumena  zu suchen, an welche sie jene Kette knüpfen und dadurch von Erfahrungsbedingungen endlich einmal unabhängig, ihre Haltung gleichwohl vollständig machen könne. Das sind nun die transzendentalen Ideen, welche, sie mögen nun nach dem wahren, aber verborgenen Zweck der Naturbestimmung unserer Vernunft, nicht auf überschwengliche Begriffe, sondern bloß auf unbegrenzte Erweiterung des Erfahrungsgebrauchs angelegt sein, dennoch durch einen unvermeidlichen Schein dem Verstand einen  transzendenten  Gebrauch ablocken, der, obzwar betrüglich, dennoch durch keinen Vorsatz innerhalb der Grenzen der Erfahrung zu bleiben, sondern bloß auf unbegrenzete Erweiterung des Erfahrungsgebrauchs angelegt sein, dennoch durch einen unvermeidlichen Schein dem Verstand einen  transzendenten  Gebrauch ablocken, der, obzwar betrüglich, dennoch durch keinen Vorsatz innerhalb der Grenzen der Erfahrung zu bleiben, sondern nur durch wissenschaftliche Belehrung und mit Mühe in Schranken gebracht werden kann.


§ 46.

I. Psychologische Idee
(Kritik Seite 323f) (3)

Man hat schon längst angemerkt, daß uns an allen Substanzen das eigentliche Subjekt, nämlich das, was übrig bleibt, nachdem alle Akzidenzien (als Prädikate) abgesondert worden, mithin das  Substantiale  selbst, unbekannt sei und über diese Schranken unserer Einsicht vielfältig Klagen geführt. Es ist aber hierbei wohl zu merken, daß der menschliche Verstand darüber nicht in Anspruch zu nehmen sei, daß er das Substantiale der Dinge nicht kennt, d. i. für sich allein bestimmen kann, sondern vielmehr darüber, daß er es, als eine bloße Idee, gleich einem gegebenen Gegenstand, bestimmt zu erkennen verlangt. Die reine Vernunft fordert, daß wir zu jedem Prädikat eines Dinges sein ihm zugehöriges Subjekt, zu diesem aber, welches notwendigerweise wiederum nur Prädikat ist, fernerhin sein Subjekt und so forthin in's Unendlich (oder so weit wir reichen) suchen sollen. Allein hieraus folgt, daß wir nichts, wozu wir gelangen können, für ein letztes Subjekt halten sollen und daß das Substantiale selbst niemals von unserem noch so tief eindringenden Verstand, selbst wenn ihm die ganze Natur aufgedeckt wäre, gedacht werden könne; weil die spezifische Natur unseres Verstandes darin besteht, alles diskursiv, d. i. durch Begriffe, mithin auch durch lauter Prädikate zu denken, wozu also das absolute Subjekt jederzeit fehlen muß. Daher sind alle realen Eigenschaften, dadurch wir Körper erkennen, lauter Akzidenzien, sogar die Undurchdringlichkeit, die man sich immer nur als die Wirkung einer Kraft vorstellen muß, dazu uns das Subjekt fehlt.

Nun scheint es, als ob wir im Bewußtsein unserer selbst (dem denkenden Subjekt) dieses Substantiale haben und zwar in einer unmittelbaren Anschauung; denn alle Prädikate des inneren Sinnes beziehen sich auf das  Ich,  das Subjekt und dieses kann nicht weiter als Prädikat irgend eines anderen Subjektes gedacht werden. Also scheint hier die Vollständigkeit in der Beziehung der gegebenen Begriffe als Prädikate auf ein Subjekt, nicht bloß Idee, sondern der Gegenstand, nämlich das  absolute Subjekt  selbst, in der Erfahrung gegeben zu sein. Allein diese Erfahrung wird vereitelt. Denn das Ich ist gar kein Begriff (4), sondern nur Bezeichnung des Gegenstandes des inneren Sinnes, sofern wir es durch kein Prädikat weiter erkennen, mithin kann es zwar an sich kein Prädikat von einem anderen Ding sein, aber ebensowenig auch ein bestimmter Begriff eines absoluten Subjekts, sondern nur, wie in allen andern Fällen, die Beziehung der inneren Erscheinungen auf das unbekannte Subjekt derselben. Gleichwohl veranlaßt diese Idee (die gar wohl dazu dient, als regulatives Prinzip als materialistischen Erklärungen der inneren Erscheinungen unserer Seele gänzlich zu vernichten) durch einen ganz natürlichen Mißverstand ein sehr scheinbares Argument, um aus dieser vermeinten Erkenntnis vom Substantial unseres denkenden Wesens, seine Natur, sofern die Kenntnis desselben ganz aus dem Inbegriff der Erfahrung hinausfällt, zu schließen.


§ 47.

Dieses denkende Selbst (die Seele) mag nun aber auch als das letzte Subjkt des Denkens, was selbst nicht weiter als Prädikat eines anderen Dinges vorgestellt werden kann, Substanz heißen; so bleibt dieser Begriff doch gänzlich leer und ohne alle Folgen, wenn nicht von ihm die Beharrlichkeit, als das, was den Begriff der Substanzen in der Erfahrung fruchtbar macht, bewiesen werden kann.

Die Beharrlichkeit kann aber niemals aus dem Begriff einer Substanz, als eines Dinges an sich, sondern nur zum Behuf der Erfahrung bewiesen werden. Dieses ist bei der ersten Analogie der Erfahrung hinreichend dargetan worden (Kritik Seite 197) (5) und will man sich diesem Beweis nicht ergeben, so darf man nur den Versuch selbst anstellen, ob es gelingen werde, aus dem Begriff eines Subjekts, was selbst nicht als Prädikat eines anderen Dinges existiert, zu beweisen, daß sein Dasein durchaus beharrlich sei und daß es weder an sich selbst, noch durch irgendeine Natursache entstehen oder vergehen könne. Dergleichen synthetische Sätze  a priori  können niemals an sich selbst, sondern jederzeit nur in Beziehung auf Dinge, als Gegenstände einer möglichen Erfahrung, bewiesen werden.

§ 48.

Wenn wir also aus dem Begriff der Seele als Substanz auf Beharrlichkeit derselben schließen wollen, so kann dieses nur von ihr doch nur zum Behuf möglicher Erfahrung und nicht von ihr, als einem Ding an sich selbst und über alle mögliche Erfahrung hinaus gelten. Nun ist die subjektive Bedingung aller unserer möglichen Erfahrung das Leben; folglich kann nur auf die Beharrlichkeit der Seele im Leben geschlossen werden, denn der Tod des Menschen ist das Ende aller Erfahrung, was die Seele als einen Gegenstand derselben betrifft, wofern nicht das Gegenteil dargetan wird, als wovon eben die Frage ist. Also kann die Beharrlichkeit der Seele nur im Leben des Menschen (deren Beweis man uns wohl schenken wird), aber nicht nach dem Tode (als woran uns eigentlich gelegen ist) dargetan werden und zwar aus dem allgemeinen Grunde, weil der Begriff der Substanz, sofern er mit dem Begriff der Beharrlichkeit als notwendig verbunden angesehen werden soll, dieses nur nach einem Grundsatz möglicher Erfahrung und also auch nur zum Behuf derselben sein kann. (6)


§ 49.

Daß unseren äußeren Wahrnehmungen etwas Wirkliches außer uns nicht bloß korrespondiere, sondern auch korrespondieren müsse, kann gleichfalls niemals als Verknüpfung der Dinge an sich selbst, wohl aber zum Behuf der Erfahrung bewiesen werden. Dieses will soviel sagen: daß etwas auf empirische Art, mithin als Erscheinung im Raum außer uns sei, kann man wohl beweisen; denn mit anderen Gegenständen, als denen, die zu einer möglichen Erfahrung gehören, haben wir es nicht zu tun, eben darum, weil sie uns in keiner Erfahrung gegeben werden können und also für uns nichts sind. Empirisch außer mit ist das, was im Raum angeschaut wird und da dieser samt allen Erscheinungen, die er enthält, zu den Vorstellungen gehört, deren Verknüpfung nach Erfahrungsgesetzen ebensowohl ihre objektive Wahrheit beweist, als die Verknüpfung der Erscheinungen des inneren Sinnes die Wirklichkeit meiner Seele (als eines Gegenstandes des inneren Sinnes), so bin ich mir vermittels der inneren Erfahrung des Daseins meiner Seele in der Zeit bewußt, die ich auch nur, als einen Gegenstand des inneren Sinnes, durch Erscheinungen, die einen inneren Zustand ausmachen, erkenne und wovon mir das Wesen an sich selbst, das diesen Erscheinungen zum Grunde liegt, unbekannt ist. Der Cartesianische Idealismus unterscheidet also nur äußere Erfahrung vom Traum und die Gesetzmäßigkeit, als ein Kriterium der Wahrheit der ersteren, von der Regellosigkeit und dem falschen Schein der letzteren. Er setzt in beiden Raum und Zeit als Bedingungen des Daseins der Gegenstände voraus und fragt nur, ob die Gegenstände äußerer Sinne wirklich im Raum anzutreffen seien, die wir darin im Wachen setzen, so wie der Gegenstand des inneren Sinnes, die Seele, wirklich in der Zeit ist, d. i. ob Erfahrung sichere Kriterien der Unterscheidung von Einbildung bei sich führe. Hier läßt sich der Zweifel nun leicht heben und wir heben ihn auch jederzeit im gemeinen Leben dadurch, daß wir die Verknüpfung der Erscheinungen in beiden nach allgemeinen Gesetzen der Erfahrung untersuchen und können, wenn die Vorstellung äußerer Dinge damit durchgehends übereinstimmt, nicht zweifeln, daß sie nicht wahrhafte Erfahrung ausmachen sollten. Der materiale Idealismus, da Erscheinungen als Erscheinungen nur nach ihrer Verknüpfung in der Erfahrung betrachtet werden, läßt sich also sehr leicht heben und es ist eine ebenso sichere Erfahrung, daß Körper außer uns (im Raum) existieren, als das Ich selbst, nach der Vorstellung des inneren Sinnes (in der Zeit) da ist; denn der Begriff:  außer uns,  bedeutet nur die Existenz im Raum. Da aber das Ich im Satz:  Ich bin,  nicht bloß den Gegenstand der inneren Anschauung (in der Zeit), sondern das Subjekt des Bewußtseins, so wie Körper nicht bloß die äußere Anschauung (im Raum), sondern auch das Ding  an sich selbst  bedeutet, was dieser Erscheinung zum Grunde liegt, so kann die Frage: ob die Körper (als Erscheinungen des äußeren Sinnes)  außer meinen Gedanken  als Körper existieren, ohne alles Bedenken in der Natur verneint werden; aber darin verhält es sich gar nicht anders mit der Frage: ob ich selbst als  Erscheinung des inneren Sinnes  (Seele nach der empirischen Psychologie) außer meiner Vorstellungskraft in der Zeit existiere, denn diese muß ebensowohl verneint werden. Auf solche Weise ist alles, wenn es auf seine wahre Bedeutung gebracht wird, entschieden und gewiß. Der formale Idealismus (sonst von mir der transzendentale genannt) hebt wirklich den materiellen oder Cartesianischen auf. Denn wenn der Raum nichts, als eine Form meiner Sinnlichkeit ist, so ist er als Vorstellung in mir eben so wirklich, als ich selbst und es kommt nur noch auf die empirische Wahrheit der Erscheinungen in demselben an. Ist das aber nicht, sondern der Raum und Erscheinungen in ihm sind etwas außer uns Existierendes, so können alle Kriterien der Erfahrung außer unserer Wahrnehmung niemals die Wirklichkeit dieser Gegenstände außer uns beweisen.


§ 49.

II. Kosmologische Idee
(Kritik Seite 347f) (7)


Dieses Produkt der reinen Vernunft in ihrem transzendenten Gebrauch ist das merkwürdigste Phänomen derselben, welches auch unter allen am kräftigsten wirkt, die Philosophie aus ihrem dogmatischen Schlummer zu erwecken und sie zum schweren Geschäft der Kritik der Vernunft zu bewegen.

Ich nenne diese Idee deswegen kosmologisch, weil sie ihr Objekt jederzeit nur in der Sinnenwelt nimmt, auch keine andere, als die, deren Gegenstand ein Objekt der Sinne ist, braucht, mithin sofern einheimisch und nicht transzendent, folglich bis dahin noch keine Idee ist, dahingegen die Seele sich als eine einfache Substanz denken, schon so viel heißt, als sich einen Gegenstand denken (das Einfache), dergleichen den Sinnen gar nicht vorgestellt werden können. Demungeachtet erweitert doch die kosmologische Idee die Verknüpfung des Bedingten mit seiner Bedingung (diese mag mathematisch oder dynamisch sein) so sehr, daß Erfahrung ihr niemals gleichkommen kann und ist also in Ansehung dieses Punktes immer eine Idee, deren Gegenstand niemals adäquat in irgendeiner Erfahrung gegeben werden kann.


§ 51.

Zuerst zeigt sich hier der Nutzen eines Systems der Kategorien so deutlich und unverkennbar, daß, wenn es auch nicht mehrere Beweistümer desselben gäbe, dieser allein ihre Unentbehrlichkeit im System der reinen Vernunft hinreichend dartun würde. Es sind solcher transzendenten Ideen nicht mehr, als vier, so viel als Klassen der Kategorien; in jeder derselben aber gehen sie nur auf die absolute Vollständigkeit der Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten. Diesen kosmologischen Ideen gemäß gibt es auch nur viererlei dialektische Behauptungen der reinen Vernunft, die, da sie dialektisch sind, dadurch selbst beweisen, daß einer jeden nach eben so scheinbaren Grundsätzen der reinen Vernunft ein ihm widersprechender entgegensteht, welchen Widerstreit keine metaphysische Kunst der subtilsten Distinktion verhüten kann, sondern die den Philosophen nötigt, zu den ersten Quellen der reinen Vernunft selbst zurück zu gehen. Diese nicht etwa beliebig erdachte, sondern in der Natur der menschlichen Vernunft gegründete, mithin unvermeidlich und niemals ein Ende nehmende Antinomie enthält nun folgende vier Sätze samt ihren Gegensätzen.

 
1.
SATZ:
Die Welt hat der Zeit und dem Raum nach einen  Anfang  (Grenze)

GEGENSATZ:
Die Welt ist der Zeit und dem Raum nach  unendlich.
 
2.
SATZ:
Alles in der Welt besteht aus dem Einfachen.

GEGENSATZ:
Es ist nichts Einfaches, sondern alles ist zusammengesetzt.
mori kante
3.
SATZ:
Es gibt in der Welt Ursachen durch Freiheit.

GEGENSATZ:
Es ist keine Freiheit, sondern alles ist Natur.
 
4.
SATZ:
In der Reihe der Weltursachen ist irgendein notwendiges Wesen.

GEGENSATZ:
Es ist in ihr nichts notwendig, sondern in dieser Reihe  ist alles zufällig.
 


§ 52.

Hier ist nun das seltsamste Phänomen der menschlichen Vernunft, wovon sonst kein Beispiel in irgendeinem anderen Gebrauch derselben gezeigt werden kann. Wenn wir, wie es gewöhnlich geschieht, uns die Erscheinungen der Sinnenwelt als Dinge an sich selbst denken, wenn wir die Grundsätze ihrer Verbindung als allgemein von Dingen an sich selbst und nicht bloß von der Erfahrung geltende Grundsätze annehmen, wie denn dieses ebenso gewöhlich, ja ohne unsere Kritik unvermeidlich ist; so tut sich ein nicht vermuteter Widerstreit hervor, der niemals auf dem gewöhnlichen dogmatischen Weg beigelegt werden kann, weil sowohl Satz, als Gegensatz durch gleich einleuchtende klare und unwiderstehliche Beweise dargetan werden können, - denn für die Richtigkeit aller dieser Beweise verbürge ich mich, - und die Vernunft sich also mit sich selbst entzweit sieht, ein Zustand, über den der Skeptiker frohlock, der kritische Philosoph aber in Nachdenken und Unruhe versetzt werden muß.


§ 52b.

Man kann in der Metaphysik auf mancherlei Weise herumpfuschen, ohne eben zu besorgen, daß man auf Unwahrheit werden betreten werden. Denn wenn man sich nur nicht selbst widerspricht, welches in synthetischen, obgleich gänzlich erdichteten Sätzen gar wohl möglich ist, so können wir in allen solchen Fällen, wo die Begriffe, die wir verknüpfen, bloße Ideen sind, die gar nicht (ihrem ganzen Inhalt nach) in der Erfahrung gegeben werden können, niemals durch Erfahrung widerlegt werden. Denn wie wollten wir es durch Erfahrung ausmachen: ob die Welt von Ewigkeit her sei oder einen Anfang habe? ob Materie ins Unendlich teilbar sei oder aus einfachen Teilen bestehe? Dergleichen Begriffe lassen sich in keiner, auch der größtmöglichsten Erfahrung geben, mithin die Unrichtigkeit des behauptenden oder verneinenden Satzes durch diesen Probierstein nicht entdecken.

Der einzige mögliche Fall, da die Vernunft ihre geheime Dialektik, die sie fälschlich für Dogmatik ausgibt, wider ihren Willen offenbarte, wäre der, wenn sie auf einen allgemein zugestandenen Grundsatz eine Behauptung gründete und aus einem anderen, ebenso beglaubigten, mit der größten Richtigkeit der Schlußart gerade das Gegenteil folgerte. Dieser Fall ist hier nun wirklich und zwar in Ansehung vier natürlicher Vernunftideen, woraus vier Behauptungen einerseits und ebensoviel Gegenbehauptungen andererseits, jede mit richtiger Konsequenz aus allgemein zugestandenen Grundsätzen, entspringen und dadurch den dialektischen Schein der reinen Vernunft im Gebrauch dieser Grundsätze offenbaren, der sonst auf ewig verborgen sein müßte.

Hier ist also ein entschiedener Versuch, der uns notwendig eine Unrichtigkeit entdecken muß, die in den Voraussetzungen der Vernunft verborgen liegt. (8) Von zwei einander widersprechenden Sätzen können nicht alle beide falsch sein, außer wenn der Begriff selbst widersprechend ist, der beiden zum Grunde liegt; z. B. zwei Sätze: ein viereckiger Zirkel ist rund und ein viereckiger Zirkel ist nicht rund, sind beide falsch. Denn was den ersten betrifft, so ist es falsch, daß der genannte rund sei, weil er viereckig ist; es ist daher auch falsch, daß er nicht rund d. i. eckig sei, weil er ein Zirkel ist. Denn darin besteht eben das logische Merkmal der Unmöglichkeit eines Begriffs, daß unter desselben Voraussetzung zwei widersprechende Sätze zugleich falsch sein würden, mithin, weil kein Drittes zwischen ihnen gedacht werden kann, durch jenen Begriff  gar nichts  gedacht wird.


§ 52c.

Nun liegt den zwei ersteren Antinomien, die ich mathematische nenne, weil sie sich mit der Hinzusetzung oder Teilung des Gleichartigen beschäftigen, ein solcher widersprechender Begriff zum Grunde; und daraus erkläre ich, wie es zugehe, daß Thesis sowohl, als Antithesis bei beiden falsch sind.

Wenn ich von Gegenständen in Zeit und Raum rede, so rede ich nicht von Dingen an sich selbst, darum, weil ich von diesen nichts weiß, sondern nur von Dingen in der Erscheinung, d. i. von der Erfahrung, als einer besonderen Erkenntnisart der Objekte, die dem Menschen allein vergönnt ist. Was ich nun im Raum oder in der Zeit denke, von dem muß ich nicht sagen, daß es an sich selbst, auch ohne diesen meinen Gedanken, im Raum und der Zeit sei; denn da würde ich mir selbst widersprechen, weil Raum und Zeit, samt den Erscheinungen in ihnen, nichts an sich selbst und außer meinen Vorstellungen Existierendes, sondern selbst nur Vorstellungsarten sind und es offenbar widersprechend ist, zu sagen, daß eine bloße Vorstellungsart auch außer unserer Vorstellungen existiere. Die Gegenstände also der Sinne existieren nur in der Erfahrung; dagegen auch ohne dieselbe oder vor ihr ihnen eine eigene für sich bestehende Existenz zu geben, heißt soviel, als sich vorstellen, Erfahrung sei auch ohne Erfahrung oder vor derselben wirklich.

Wenn ich nun nach der Weltgröße, dem Raum und der Zeit nach, frage, so ist es für alle meine Begriffe ebenso unmöglich zu sagen, sie sei unendlich, als, sie sei endlich. Denn keines von beiden kann in der Erfahrung enthalten sein, weil weder von einem  unendlichen  Raum oder unendlich verflossener Zeit, noch der  Begrenzung  der Welt durch einen leeren Raum oder eine vorhergehende leere Zeit Erfahrung möglich ist; das sind nur Ideen. Also müßte diese, auf die eine oder die andere Art bestimmte Größe der Welt in ihr selbst liegen, abgesondert von aller Erfahrung. Dieses widerspricht aber dem Begriff einer Sinnenwelt, die nur ein Inbegriff der Erscheinung ist, deren Dasein und Verknüpfung nur in der Vorstellung, nämlich der Erfahrung stattfindet, weil sie nicht Sache an sich, sondern selbst nichts, als Vorstellungsart ist. Hieraus folgt, daß, da der Begriff einer für sich existierenden Sinnenwelt in sich selbst widersprechen ist, die Auflösung des Problems wegen ihrer Größe auch jederzeit falsch sein werde, man mag sie nun bejahend oder verneinend versuchen.

Eben dieses gilt von der zweiten Antinomie, die die Teilung der Erscheinungen betrifft. Denn diese sind bloße Vorstellungen und die Teile existieren bloß in der Vorstellung derselben, mithin in der Teilung, d. i. in einer möglichen Erfahrung, darin sie gegeben werden und jene geht nur so weit, als diese reicht. Anzunehmen, daß eine Erscheinung, z. B. die des Körpers, alle Teile vor aller Erfahrung an sich selbst enthalte, zu denen nur immer mögliche Erfahrung gelangen kann, heißt: einer bloßen Erscheinung, die nur in der Erfahrung existieren kann, doch zugleich eine eigene vor Erfahrung vorhergehende Existenz geben, oder zu sagen, daß bloße Vorstellungen da sind, ehe sie in der Vorstellungskraft angetroffen werden, welches sich widerspricht und mithin auch jede Auflösung der mißverstandenen Aufgabe, man mag darin behaupten, die Körper bestehen an sich aus unendlich vielen Teilen oder einer endlichen Zahl einfacher Teile.


§ 53.

In der ersten Klasse der Antinomie (der mathematischen) bestand die Falschheit der Voraussetzung darin, daß, was sich widerspricht (nämlich Erscheinung als Sache an sich selbst), als vereinbar in einem Begriff vorgestellt wurde. Was aber die zweite, nämlich dynamische Klasse der Antinomie betrifft, so besteht die Falschheit der Voraussetzung darin: daß, was vereinbar ist, als widersprechend vorgestellt wird, folglich, da im ersteren Fall alle beide einander entgegengesetzten Behauptungen falsch waren, hier wiederum solche, die durch bloßen Mißverstand einander entgegengesetzt werden, alle beide wahr sein können.

Die mathematische Verknüpfung nämlich setzt notwendig Gleichartigkeit des Verknüpften (im Begriff der Größe) voraus, die dynamische erfordert dieses keineswegs. Wenn es auf die Größe des Ausgedehnten ankommt, so müssen alle Teile unter sich und mit dem Ganzen gleichartig sein; dagegen in der Verknüpfung von Ursache und Wirkung kann zwar auch Gleichartigkeit angetroffen werden, aber sie ist nicht notwendig; denn der Begriff der Kausalität (vermittels dessen durch Etwas etwas ganz davon Verschiedenes gesetzt wird) erfordert sie wenigstens nicht.

Würden die Gegenstände der Sinnenwelt für Dinge an sich selbst genommen und die oben angeführten Naturgesetze für Gesetze der Dinge an sich selbst, so wäre der Widerspruch unvermeidlich. Ebenso, wenn das Subjekt der Freiheit gleich den übrigen Gegenständen als bloße Erscheinung vorgestellt würde, so könnte ebensowohl der Widerspruch nicht vermieden werden; denn es würde ebendasselbe von einerlei Gegenstand in derselben Bedeutung zugleich bejaht und verneint werden. Ist aber Naturnotwendigkeit bloß auf Erscheinungen bezogen und Freiheit bloß auf Dinge an sich selbst, so entspringt kein Widerspruch, wenn man gleich beide Arten von Kausalität annimmt oder zugibt, so schwer oder unmöglich es auch sein möchte, die von der letzteren Art begreiflich zu machen.

In der Erscheinung ist jede Wirkung eine Begebenheit oder etwas, das in der Zeit geschieht; vor ihr muß, nach dem allgemeinen Naturgesetz, eine Bestimmung der Kausalität ihrer Ursache (ein Zustand derselben) vorhergehen, worauf sie nach einem beständigen Gesetz folgt. Aber diese Bestimmung der Ursache zur Kausalität muß auch etwas sein, was sich ereignet oder  geschieht;  die Ursache muß  angefangen  haben zu  handeln;  denn sonst ließe sich zwischen ihr und der Wirkung keine Zeitfolge denken. Die Wirkung wäre immer gewesen, so wie die Kausalität der Ursache. Also muß unter Erscheinungen die  Bestimmung  der Ursache  zum Wirken  auch entstanden und mithin ebensowohl, als ihre Wirkung, eine Begebenheit sein, die wiederum ihre Ursache haben muß usw., und folglich Naturnotwendigkeit die Bedingung sein, nach welcher die wirkenden Ursachen bestimmt werden. Soll dagegen Freiheit eine Eigenschaft gewisser Ursachen der Erscheinungen sein, so muß sie, respektive auf die letzteren als Begebenheiten, ein Vermögen sein, sie  von selbst  (sponte) anzufangen, d. i. ohne daß die Kausalität der Ursachen selbst anfangen dürfte und daher eines anderen, ihren Anfang bestimmenden Grundes benötigt wäre. Alsdenn aber müßte die  Ursache,  ihrer Kausalität nach, nicht unter Zeitbestimmungen ihres Zustandes stehen, d. i. gar  nicht Erscheinung  sein, d. i. sie müßte als ein Ding an sich selbst, die  Wirkungen  aber allein als  Erscheinungen  angenommen werden. (9) Kann man einen solchen Einfluß der Verstandeswesen auf Erscheinungen ohne Widerspruch denken, so wird zwar aller Verknüpfung von Ursache und Wirkung in der Sinnenwelt Naturnotwendigkeit anhangen, dagegen doch derjenigen Ursache, die selbst keine Erscheinung ist (obzwar ihr zum Grunde liegt), Freiheit zugestanden, Natur also und Freiheit eben demselben Ding, aber in verschiedener Beziehung, einmal als Erscheinung, das anderemal als einem Ding an sich selbst, ohne Widerspruch beigelegt werden können.

Wir haben in uns ein Vermögen, welches nicht bloß mit seinen subjektiv bestimmenden Gründen, welche die Naturursachen seiner Handlungen sind, in Verknüpfung steht und sofern das Vermögen eines Wesens ist, das selbst zu den Erscheinungen gehört, sondern auch auf objektive Gründe, die bloß Ideen sind, bezogen wird, sofern sie dieses Vermögen bestimmen können; welche Verknüpfung durch  Sollen  ausgedrückt wird. Dieses Vermögen heißt  Vernunft  und sofern wir ein Wesen (den Menschen) lediglich nach dieser objektiv bestimmbaren Vernunft betrachten, kann es nicht als ein Sinnenwesen betrachtet werden, sondern die gedachte Eigenschaft ist die Eigenschaft eines Dinges an sich selbst, deren Möglichkeit, wie nämlich das  Sollen,  was doch nie geschehen ist, die Tätigkeit desselben bestimme und Ursache von Handlungen sein könne, deren Wirkung Erscheinung in der Sinnenwelt ist, wir gar nicht begreifen können. Indessen würde doch die Kausalität der Vernunft in Ansehung der Wirkungen in der Sinnenwelt Freiheit sein, sofern  objektive Gründe,  die selbst Ideen sind, in Ansehung ihrer als bestimmend angesehen werden. Denn ihre Handlung hinge alsdann nicht an subjektiven, mithin auch keinen Zeitbedingungen und also auch nicht vom Naturgesetz ab, das diese zu bestimmen dient, weil Gründe der Vernunft allgemein, aus Prinzipien, ohne Einfluß der Umstände, der Zeit oder des Orts, Handlungen die Regel geben.

Was ich hier anführe, gilt nur als Beispiel zur Verständlichkeit und gehört nicht notwendig zu unserer Frage, welche, unabhängig von Eigenschaften, die wir in der wirklichen Welt antreffen, aus bloßen Begriffen entschieden werden muß.

Nun kann ich ohne Widerspruch sagen: alle Handlungen vernünftiger Wesen, sofern sie Erscheinungen sind (in irgendeiner Erfahrung angetroffen werden), stehen unter der Naturnotwendigkeit; ebendieselben Handlungen aber, bloß respektive auf das vernünftige Subjekt und dessen Vermögen, nach bloßer Vernunft zu handeln, sind frei. Denn was wird zur Naturnotwendigkeit erfordert? Nichts weiter, als die Bestimmbarkeit jeder Begebenheit der Sinnenwelt nach beständigen Gesetzen, mithin eine Beziehung auf Ursache in der Erscheinung, wobei das Ding an sich selbst, was zum Grunde liegt und dessen Kausalität unbekannt bleibt. Ich sage aber:  das Naturgesetz bleibt,  es mag nun das vernünftige Wesen aus Vernunft, mithin durch Freiheit, Ursache der Wirkungen der Sinnenwelt sein oder es mag diese auch nicht aus Vernunftgründen bestimmen. Denn ist das Erste, so geschieht die Handlung nach Maximen, deren Wirkung in der Erscheinung jederzeit beständigen Gesetzen gemäß sein wird; ist das Zweite und die Handlung geschieht nicht nach Prinzipien der Vernunft, so ist sie den empirischen Gesetzen der Sinnlichkeit unterworfen und in beiden Fällen hängen die Wirkungen nach beständigen Gesetzen zusammen; mehr verlangen wir aber nicht zur Naturnotwendigkeit, ja mehr kennen wir an ihr auch nicht. Aber im ersten Falle ist Vernunft die Ursache dieser Naturgesetze und ist also frei, im zweiten Falle laufen die Wirkungen nach bloßen Naturgesetzen der Sinnlichkeit, darum, weil die Vernunft keinen Einfluß auf sie ausübt; sie, die Vernunft, wird aber darum nicht selbst durch die Sinnlichkeit bestimmt (welches unmöglich ist) und ist daher auch in diesem Fall frei. Die Freiheit hindert also nicht das Naturgesetz der Erscheinungen, so wenig, wie dieses der Freiheit des praktischen Vernunftgebrauchs, der mit Dingen an sich selbst, als bestimmenden Gründen, in Verbindung steht, Abbruch tut.

Hierdurch wird also die praktische Freiheit, nämlich diejenige, in welcher die Vernunft nach objektiv-bestimmenden Gründen Kausalität hat, gerettet, ohne daß der Naturnotwendigkeit in Ansehung ebenderselben Wirkungen, als Erscheinungen, der mindeste Eintrag geschieht. Eben dieses kann auch zur Erläuterung desjenigen, was wir wegen der transzendentalen Freiheit und deren Vereinbarung mit Naturnotwendigkeit (in demselben Subjekt, aber nicht in einer und derselben Beziehung genommen) zu sagen hatten, dienlich sein. Denn was diese betrifft, so ist ein jeder Anfang der Handlung eines Wesens aus objektiven Ursachen, respektive auf diese bestimmenden Gründe immer ein  erster Anfang,  obgleich dieselbe Handlung in der Reihe der Erscheinungen nur ein  subalterner Anfang  ist, vor welchem ein Zustand der Ursache vorhergehen muß, der sie bestimmt und selbst ebenso von einer nah vorhergehenden bestimmt wird; so daß man sich an vernünftigen Wesen oder überhaupt an Wesen, sofern ihre Kausalität in ihnen als Dingen an sich selbst bestimmt wird, ohne in Widerspruch mit Naturgesetzen zu geraten, ein Vermögen denken kann, eine Reihe von Zuständen von selbst anzufangen. Denn das Verhältnis der Handlung zu objektiven Vernunftgrüngen ist kein Zeitverhältnis; hier geht das, was die Kausalität bestimmt, nicht der Zeit nach vor der Handlung vorher, weil solche bestimmenden Gründe nicht Beziehung der Gegenstände auf Sinne, mithin nicht auf Ursachen in der Erscheinung, sondern bestimmende Ursachen, als Dinge an sich selbst, die nicht unter Zeitbedingungen stehen, vorstellen. So kann die Handlung in Ansehung der Kausalität der Vernunft als ein erster Anfang, in Ansehung der Reihe der Erscheinungen aber doch zugleich als ein bloß subordinierter Anfang angesehen und ohne Widerspruch in jenem Betracht als fei, in diesem (da sie bloß Erscheinung ist) als der Naturnotwendigkeit unterworfen angesehen werden.

Was die  vierte  Antinomie betrifft, so wird sie auf die ähnliche Art gehoben, wie der Widerstreit der Vernunft mit sich selbst in der dritten. Denn wenn die  Ursache in der Erscheinung  nur von der  Ursache der Erscheinungen,  sofern sie als  Ding an sich selbst  gedacht werden kann, unterschieden wird, so können beide Sätze wohl nebeneinander bestehen, nämlich daß von der Sinnenwelt überall keine Ursache (nach ähnlichen Gesetzen der Kausalität) stattfinde, deren Existenz schlechthin notwendig sei, imgleichen andererseits, daß diese Welt dennoch mit einem notwendigen Wesen als ihrer Ursache (aber von anderer Art und nach einem anderen Gesetz) verbunden sei; welcher zwei Sätze Unverträglichkeit lediglich auf dem Mißverstande beruht, das, was bloß von Erscheinungen gilt, über Dinge an sich selbst auszudehnen und überhaupt beide in einem Begriff zu vermengen.


§ 54.

Dies ist nun die Aufstellung und Auflösung der ganzen Antinomie, darin sich die Vernunft bei der Anwendung ihrer Prinzipien auf die Sinnenwelt verwickelt findet und wovon auch jede (die bloße Aufstellung) sogar allein schon ein beträchtliches Verdienst um die Kenntnis der menschlichen Vernunft sein würde, wenngleich die Auflösung dieses Widerstreits den Leser, der hier einen natürlichen Schein zu bekämpfen hat, welcher ihm nur neuerlich als ein solcher vorgestellt worden, nachdem er ihn bisher immer für wahr gehalten, noch nicht völlig befriedigen sollte. Denn eine Folge hiervon ist doch unausbleiblich, nämlich daß, weil es ganz unmöglich ist, aus diesem Widerstreit der Vernunft mit sich selbst herauszukommen, so lange man die Gegenstände der Sinnenwelt für Sachen an sich selbst nimmt und nicht für das, was sie in der Tat sind, nämlich bloße Erscheinungen, der Leser dadurch genötigt werde, die Deduktion aller unserer Erkenntnis  a priori  und die Prüfung derjenigen, die ich davon gegeben habe, nochmals vorzunehmen, um darüber zur Entscheidung zu kommen. Mehr verlange ich jetzt nicht; denn wenn er sich bei dieser Beschäftigung nur allererst tief genug in die Natur der reinen Vernunft hinein gedacht hat, so werden die Begriffe, durch welche die Auflösung des Widerstreits der Vernunft allein möglich ist, ihm schon geläufig sein, ohne welchen Umstand ich selbst vom aufmerksamsten Leser völligen Beifall nicht erwarten kann.


§ 55.

III. Theologische Idee
(Kritik Seite 462f) (10)

Die dritte transzendentale Idee, die zum allerwichtigsten, aber, wenn er bloß spekulativ betrieben wird, überschwenglichen (transzendenten) und eben dadurch dialektischen Gebrauch der Vernunft Stoff gibt, ist das Ideal der reinen Vernunft. Da die Vernunft hier nicht, wie bei der psychologischen und kosmologischen Idee, von der Erfahrung anhebt und durch Steigerung der Gründe, womöglich, zur absoluten Vollständigkeit ihrer Reihe zu betrachten verleitet wird, sondern gänzlich abbricht und aus bloßen Begriffen von dem, was die absolute Vollständigkeit eines Dinges überhaupt ausmachen würde, mithin vermittels der Idee eines höchst vollkommenen Urwesen zur Bestimmung der Möglichkeit, mithin auch der Wirklichkeit aller anderen Dinge herabgeht; so ist hier die bloße Voraussetzung eines Wesens, welches, obzwar nicht in der Erfahrungsreihe, dennoch zum Behuf der Erfahrung, um der Begreiflichkeit der Verknüpfung, Ordnung und Einheit der letzteren willen gedacht wird, d. i. die  Idee  vom Verstandesbegriff leichter, wie in den vorigen Fällen, zu unterscheiden. Daher konnte hier der dialektische Schein, welcher daraus entspringt, daß wir die subjektiven Bedingungen unseres Denkens für objektive Bedingungen der Sachen selbst und eine notwendige Hypothese zur Befriedigung unserer Vernunft für ein Dogma halten, leicht vor Augen gestellt werden und ich habe daher nichts weiter über die Anmassungen der transzendentalen Theologie zu erinnern, da das, was die Kritik hierüber sagt, faßlich, einleuchtend und entscheidend ist.


§ 56.

Allgemeine Anmerkung
zu den transzendentalen Ideen.

Die Gegenstände, welche uns durch Erfahrung gegeben werden, sind uns in vielerlei Absicht unbegreiflich und können viele Fragen, auf die uns das Naturgesetz führt, wenn sie bis zu einer gewissen Höhe, aber immer diesen Gesetzen gemäß getrieben werden, gar nicht aufgelöst werden, z. B. woher Materien einander anziehen? Allein, wenn wir die Natur ganz und gar verlassen oder im Fortgang ihrer Verknüpfung alle mögliche Erfahrung übersteigen, mithin uns in bloße Ideen vertiefen, alsdenn können wir nicht sagen, daß uns der Gegenstand unbegreiflich sei und die Natur der Dinge uns unauflösliche Aufgaben vorlege; denn wir haben es alsdenn gar nicht mit der Natur oder überhaupt mit gegebenen Objekten, sondern bloß mit Begriffen zu tun, die in unserer Vernunft lediglich ihren Ursprung haben und mit bloßen Gedankenwesen, in Ansehung deren alle Aufgaben, die aus dem Begriff derselben entspringen müssen, aufgelöst werden können, weil die Vernunft von ihrem eigenen Verfahren allerdings vollständige Rechenschaft geben kann und muß. (11) Da die psychologischen, kosmologischen und theologischen Ideen lauter reine Vernunftbegriffe sind, die in keiner Erfahrung gegeben werden können, so sind uns die Fragen, die uns die Vernunft in Ansehung ihrer vorgelegt, nicht durch die Gegenstände, sondern durch bloße Maximen der Vernunft um ihrer Selbstbefriedigung willen aufgegeben und müssen ingesamt hinreichend beantwortet werden können, welches auch dadurch geschieht, daß man zeigt, daß sie Grundsätze sind, unseren Verstandesgebrauch zur durchgängigen Einhelligkeit, Vollständigkeit und synthetischen Einheit zu bringen und sofern bloß von der Erfahrung, aber im  Ganzen  derselben gelten.

Obgleich aber ein absolutes Ganzes der Erfahrung unmöglich ist, so ist doch die Idee eines Ganzen der Erkenntnis nach Prinzipien überhaupt dasjenige, was ihr allein eine besondere Art der Einheit, nämlich die von einem System, verschaffen kann, ohne die unsere Erkenntnis nichts als Stückwerk ist und zum höchsten Zweck (der immer nur das System aller Zwecke ist) nicht gebraucht werden kann; ich verstehe aber hier nicht bloß den praktischen, sondern auch den höchsten Zweck des spekulativen Gebrauchs der Vernunft.

Die transzendentalen Ideen drücken also die eigentümliche Bestimmung der Vernunft aus, nämlich als eines Prinzips der systematischen Einheit des Verstandesgebrauchs. Wenn man aber diese Einheit der Erkenntnisart dafür ansieht, als ob sie dem Objekt der Erkenntnis anhänge, wenn man sie, die eigentlich bloß  regulativ  ist, für  konstitutiv  hält und sich überredet, man könne vermittels dieser Ideen seine Kenntnis weit über alle mögliche Erfahrung, mithin auf transzendente Art erweitern, da sie doch bloß dazu dient, Erfahrung in ihr selbst der Vollständigkeit so nahe wie möglich zu bringen, d. i. ihren Fortgang durch nichts einzuschränken, was zur Erfahrung nicht gehören kann, so ist dieses ein bloßer Mißverstand in Beurteilung der eigentlichen Bestimmung unserer Vernunft und ihrer Grundsätze und eine Dialektik, die teils den Erfahrungsgebrauch der Vernunft verwirrt, teils die Vernunft mit sich selbst entzweit.

LITERATUR: Immanuel Kant - Prolegomena einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, J. H. von Kirchmann (Hrsg), Heidelberg 1882
    Anmerkungen
    1) Wenn man sagen kann, daß eine Wissenschaft wenigstens in der Idee aller Menschen  wirklich  sei, sobald es ausgemacht ist, daß die Aufgaben, die darauf führen, durch die Natur der menschlichen Vernunft jedermann vorgelegt und daher auch jederzeit darüber viele, obgleich fehlerhafte Versuche unvermeidlich sind, so wird man auch sagen müssen: Metaphysik sei subjektiv (und zwar notwendigerweise) wirklich und da fragen wir also mit Recht, wie sie (objektiv) möglich sei?
    2) Im disjunktiven Urteil betrachten wir alle  Möglichkeit,  respektiv auf einen gewissen Begriff, als eingeteilt. Das ontologische Prinzip der durchgängigen Bestimmung eines Dinges überhaupt (von allen möglichen entgegengesetzten Prädikaten kommt jedem Ding eines zu), welches zugleich das Prinzip aller disjunktiven Urteile ist, legt den Inbegriff aller Möglichkeit zum Grunde, in welchem die Möglichkeit jedes Dinges überhaupt als bestimmte angesehen wird. Dieses dient zu einer kleinen Erläuterung des obigen Satzes: daß die Vernunfthandlung in disjunktiven Vernunftschlüssen der Form nach mit derjenigen einerlei sei, wodurch sie die Idee eines Inbegriffs aller Realität zustande bringt, welche das Positive aller einander entgegengesetzten Prädikate in sich enthält.
    3) Das Hauptstück "von den Paralogismen der reinen Vernunft".
    4) Wäre die Vorstellung der Apperzeption, das  Ich,  ein Begriff, wodurch irgendetwas gedacht würde, so würde es auch als Prädikat von anderen Dingen gebraucht werden können oder solche Prädikate in sich enthalten. Nun ist es nichts mehr, als Gefühl eines Daseins ohne den mindesten Begriff und nur Vorstellung desjenigen, worauf alles Denken in Beziehung  (relatione accidentia)  steht.
    5) Der Abschnitt "von den Analogien der Erfahrung".
    6) Es ist in der Tat sehr merkwürdig, daß die Metaphysiker jederzeit so sorglos über den Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanzen hinweggeschlüpft sind, ohne jemals einen Beweis davon zu versuchen; ohne Zweifel, weil sie sich, sobald sie es mit dem Begriff Substanz anfingen, von allen Beweistümers gänzlich verlassen sahen. Der gemeine Verstand, der gar wohl inne ward, daß ohne diese Voraussetzung keine Vereinigung der Wahrnehmungen in einer Erfahrung möglich sei, ersetzte diesen Mangel durch ein Postulat; denn aus der Erfahrung selbst konnte er diesen Grundsatz nimmermehr ziehen, teils weil sie die Materien (Substanzen) bei allen ihren Veränderungen und Auflösungen nicht so weit verfolgen kann, um den Stoff immer unvermindert anzutreffen, teils weil der Grundsatz  Notwendigkeit  enthält, die jederzeit das Zeichen eines Prinzips  a priori  ist. Nun wandten sie diesen Grundsatz getrost auf den Begriff der Seele an als einer  Substanz  an, und schlossen auf eine notwendige Fortdauer der selben nach dem Tode des Menschen (vornehmlich da die Einfachheit dieser Substanz, welche aus der Unteilbarkeit des Bewußtseins gefolgert ward, sie wegen des Untergangs durch Auflösung sicherte). Hätten sie die echte Quelle dieses Grundsatzes gefunden, welches aber weit tiefere Untersuchungen erforderte, als sie jemals anzufangen Lust hatten, so würden sie gesehen haben, daß jenes Gesetz der Beharrlichkeit der Substanzen nur zum Behuf der Erfahrung stattfinde und daher nur auf Dinge, sofern sie in der Erfahrung erkannt und mit anderen verbunden werden sollen, niemals aber von ihnen auch unangesehen aller möglichen Erfahrung, mithin auch nicht von der Seele nach dem Tode gelten könne.
    7) Das Hauptstück: "Die Antinomie der reinen Vernunft"
    8) Ich wünsche daher, daß der kritische Leser sich mit dieser Antinomie hauptsächlich beschäftigte, weil die Natur selbst sie aufgestellt zu haben scheint, um die Vernunft in ihren dreisten Anmaßungen stutzig zu machen und zur Selbstprüfung zu nötigen. Jeden Beweis, den ich für die Thesis sowohl, als Antithesis gegeben habe, mache ich mich anheischig zu verantworten und dadurch die Gewißheit der unvermeidlichen Antinomie der Vernunft darzutun. Wenn der Leser nun durch diese seltsame Erscheinung dahin gebracht wird, zur Prüfung der dabei zum Grunde liegenden Voraussetzung zurückzugehen, so wird er sich gezwungen fühlen, die erste Grundlage aller Erkenntnis der reinen Vernunft mit mir tiefer zu untersuchen.
    9) Die Idee der Freiheit findet lediglich im Verhältnis des  Intellektuellen,  als Ursache, zur  Erscheinung,  als Wirkung, statt. Daher können wir der Materie in Ansehung ihrer unaufhörlichen Handlung, dadurch die ihren Raum erfüllt, nicht Freiheit beilegen, obschon diese Handlung aus innerem Prinzip geschieht. Ebensowenig können wir für reine Verstandeswesen, z. B. Gott, sofern keine Handlung immanent ist, keinen Begriff von Freiheit angemessen finden. Denn seine Handlung, obzwar unabhängig von äußeren bestimmenden Ursachen, ist dennoch in seiner ewigen Vernunft, mithin der göttlichen Natur, bestimmt. Nur wenn durch eine Handlung  etwas anfangen  soll, mithin die Wirkung in der Zeitreihe, folglich der Sinnenwelt anzutreffen sein soll (z. B. Anfang der Welt), da erhebt sich die Frage, ob die Kausalität der Ursache selbst auch anfangen müsse oder ob die Ursache eine Wirkung anheben könne, ohne daß ihre Kausalität selbst anfängt. Im ersteren Falle ist der Begriff dieser Kausalität ein Begriff der Naturnotwendigkeit, im zweiten der Freiheit. Hieraus wird der Leser ersehen, daß, daß ich Freiheit als das Vermögen eine Begebenheit von selbst anzufangen erklärte, ich genau den Begriff traf, der das Problem der Metaphysik ist.
    10) Der Abschnitt "von dem transzendentalen Ideale".
    11) Herr PLATNER in seinen Aphorismen sagt daher mit Scharfsinnigkeit § 728, 729: "Wenn die Vernunft ein Kriterium ist, so kann kein Begriff möglich sein, welcher der menschlichen Vernunft unbegreiflich ist. - In dem Wirklichen allein findet Unbegreiflichkeit statt. Hier entsteht die Unbegreiflichkeit aus der Unzulänglichkeit der erworbenen Ideen." - Es klingt also nur paradox und ist übrigens nicht befremdlich, zu sagen, in der Natur sei uns Vieles unbegreiflich (z. B. das Zeugungsvermögen), wenn wir aber noch höher steigen und selbst über die Natur hinausgehen, so werde uns wieder alles begreiflich; denn wir verlassen alsdenn ganz die Gegenstände, die uns gegeben werden können und beschäftigen uns bloß mit Ideen, bei denen wir das Gesetz, welches die Vernunft durch sie dem Verstand zu seinem Gebrauch in der Erfahrung vorschreibt, gar wohl begreifen können, weil es ihr eigenes Produkt ist.