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Kant und das Ding ansich [2/4]
Zweiter Abschnitt Dinge ansich und Erscheinungen in ihrem Verhältnis zueinander. 6. Nach dem bisher Gesagten würde ein großes Mißverständnis sein, wollte man Ding-ansich und Erscheinung als zwei verschiedene Wesen betrachten, beide gleich wirklich, wenn auch jedes in anderer Weise, einander gegenüberstehend gleichsam wie Urbild und Abbild. Sondern im Gegenteil: es ist jedesmal nur ein Etwas, das einerseits uns erfahrungsmäßig gegeben ist, aber nur als Erscheinung in unseren Anschauungs- und Auffassungsformen, andererseits aber auch ganz unabhängig davon ein Dasein an und für sich hat, als solches zwar für uns in keiner Weise erkennbar, wohl aber vielleicht für einen anders gearteten, intuitiven Verstand. Das sollte aber nicht etwa heißen, das Ding-ansich ist gleichbedeutend mit dem Inneren oder dem Wesen der Erscheinungsgegenstände. Auch wenn wir bis zu diesem vordringen, würden wir doch nur zeit-räumliche Eigenschaften an ihm, also es selbst bloß als Erscheinung erkennen. Nur wenn man sich von allen menschlichen Auffassungsformen und Zutaten frei machen könnte, drängt man zum Ansich vor. Und selbst das würde zu einer Erkenntnis noch nicht genügen: es müßte noch die Fähigkeit intellektueller Anschauung hinzutreten, um Stoff für die Erkenntnis zu liefern. Trotzdem aber bleibt es dabei, daß ein und derselbe Gegenstand zugleich Ding-ansich und Erscheinung ist, das Ding-ansich in ihm zwar unerkennbar, aber doch eben in ihm erscheinend, in ihm sich manifestierend (1). In diesem Sinne heißt es RV2 55 (RV1 38), daß die Erscheinung jederzeit zwei Seiten hat, die eine, da das Objekt ansich betrachtet, die andere, da auf die nur subjektive Form der Anschauung gesehen wird (2), RV2 69: daß der Gegenstand als Erscheinung von ihm selber als Objekt ansich unterschieden wird, RV2 566 (RV1 537f): daß dasjenige an einem Gegenstand der Sinne, was selbst nicht Erscheinung ist, intelligibel genannt wird. RV2 44 (RV1 28) wird der Realität, d. h. der objektiven Gültigkeit des Raums in Anbetracht aller äußeren Gegenstände seine Idealität
MENDELSSOHN gegenüber führt KANT Werke VIII 153f aus, man könne bei einem körperlichen Ding, da man an ihm nichts kennt als Beziehungen von Etwas auf etwas Anderes, davon man gleichfalls nur äußere Beziehungen wissen kann, ohne daß einem irgendetwas Inneres gegeben ist oder gegeben werden kann, nicht sagen, man habe einen Begriff vom Ding-ansich, es sei vielmehr die Frage ganz rechtmäßig: was denn das Ding, das in allen diesen Verhältnissen das Subjekt ist, ansich sein soll; nach allen Kenntnissen, die wir immer nur durch die Erfahrung von Sachen haben mögen, kann also die Frage: was denn ihre Objekte als Dinge-ansich sein mögen, ganz und gar nicht für sinnleer gehalten werden. 7. Auch im Opp wehrt KANT sich verschiedentlich gegen die irrtümliche Auffassung, als ob das Ding-ansich und die Erscheinung einander als zwei getrennte, besondere Gegenstände gegenüberstünden, jedes von ihnen einen Wirklichkeit für sich, auch das Ding-ansich ein Gegebenes oder zumindest ein dabile [Mögliches - wp] sein soll. Gegen diese Mißdeutung seiner Lehre macht er mit Recht geltend, daß das Ding-ansich kein anderes Objekt ist als die Erscheinung, "sondern eine andere Beziehung (respectus) der Vorstellung auf dasselbe Objekt" Reicke (C 551), es sei "das Sinnenobjekt ansich, aber nicht als ein anderes Objekt, sondern eine andere Vorstellungsart" Reicke (A 573). Nach C 563f
8. Auch den Gegensatz zwischen dem Ich ansich (dem intelligiblen Ich oder transzendentalem Subjekt (8) und dem empirischen Ich (dem Ich als Erscheinung) will KANT natürlich nicht so aufgefaßt wissen, als handle es sich dabei um zwei verschiedene Subjekte. Sondern es kommt nur ein Ich in Frage, das einmal an und für sich ist, zeitlos und darum unerkennbar, andererseits in meinem empirischen Bewußtsein und dessen in der Zeit verlaufenden Veränderungen erscheinungsweise von mir, d. h. also von ihm selbst, erlebt und erkannt wird. Nur an zwei Punkten ragt das Ich ansich in die Erscheinungswelt hinein (RV2 574f; Werke IV 452): in der Einheit der transzendentalen Apperzeption, die mit ihrem "Ich denke" alle meine Vorstellungen muß begleiten können (RV2 131), und in der transzendentalen Freiheit, die mit dem kategorischen Imperativ als Faktum gegeben ist (9). Aber nur das Sein des Ich-ansich verrät sich auf diese Weise; zu einer Erkenntnis kommt es auch hier nicht mangels jeglicher Anschauung. Daß ein Ich-ansich den Erscheinungen unseres Bewußtseinslebens zugrunde liegt, ist für KANT ebenso selbstverständlich oder, wenn möglich, noch selbstverständlicher, als daß jeder äußeren Erscheinung ein Ding-ansich korrespondiert. Die Wirklichkeit des Ich-ansich ist die conditio sine qua non [Grundvoraussetzung - wp] für die Lehre von der doppelten Selbstaffektion in RV2 67-69, 153f und in der Anthropologie § 7 (Werke VII 140-142 (10), sowie für die ganze Freiheitslehre KANTs (vgl. die Zitate aus RV2 XXVIf sowie RV2 566-569, Werke IV 343-347, V 6, 42, 97). Der innere Sinn stellt uns selbst dem Bewußtsein in der Zeit nur dar, wie wir uns erscheinen, nicht wie wir ansich sind (RV2 152, 156); könnten wir selbst dagegen oder ein anderes Wesen uns ohne sinnliche Bedingung der Zeit anschauen, so würden eben dieselben Bestimmungen, die wir uns jetzt als Veränderungen vorstellen, eine Erkenntnis geben, in der die Vorstellung der Zeit, folglich auch der Veränderung, gar nicht vorkäme (RV2 54). Eine solche intellektuelle Anschauung steht uns aber nicht zu Gebote, und so erkenne "ich als Intelligenz und denkend Subjekt mich selbst als gedachtes Objekt, sofern ich mir noch über das in der Anschauung gegeben bin", gleich anderen Phänomenen, nicht wie ich vor dem Verstand bin, sondern nur wie ich mir erscheine (RV2 155) (11). Wiederholt betont KANT, daß damit nicht etwa eine Zweiheit verschiedener Subjekte gemeint ist. Kurz vor den letztzitierten Worten stellt er fest, daß das Ich, der ich denke, zwar von dem Ich, das sich selbst anschaut, unterschieden, aber "doch mit diesem letzteren als dasselbe Subjekt einerlei sei". Ähnlich in § 7 der Anthropologie (Werke VII 142):
Auch im Opp verwahrt KANT sich gegen die Auffassung, als ob zwei verschiedene Ich als zwei getrennte Wesen in Betracht kämen (vgl. Reicke A 573, C 557, 561f und 651, 673, 689 meiner Schrift über das Opp). Es handelt sich vielmehr immer nur um eine zweifache Auffassungsweise ein und desselben Ich: entweder unter der Bedingung der Zeit oder ohne sie; im letzteren Fall bleibt die Existenz des Ich ansich zwar über allen Zweifel erhaben, aber es entfällt (zumindest für die theoretische Philosophie) mit der Anschauung auch jede Erkenntnismöglichkeit. Beim Ich ist es ja eigentlich selbstverständlich, daß ein und dasselbe Wesen zugleich Ding-ansich und Erscheinung ist. Was hier gilt, muß aber auch auf die anderen Dinge ansich übertragen werden und dient so dem zur Bestätigung, was oben über die räumlichen Erscheinungsgegenstände gesagt wurde: daß auch in jedem von ihnen sich ein Ding-ansich manifestiert und in ihm gleichsam enthalten ist, wenngleich für uns durchaus unerkennbar, oder daß das Ding-ansich nichts Anderes ist als die Erscheinung, nur befreit von allen subjektiven Auffassungen und Zutaten. Die Dinge ansich als affizierene Ursachen 9. Neben den weiter oben zusammengestellten Wendungen betreffend das Verhältnis zwischen Dingen-ansich und Erscheinungen gibt es noch andere, die sich um den Begriff der Kausalität gruppieren. RV1 380 wird das transzendentale Objekt (hier ganz gleichbedeutend mit "Ding-ansich") als "ein uns unbekannter Grund der Erscheinungen" bezeichnet, Werke VIII 203 wird von dem "ganz über alles Sinnliche hinausliegenden, uns völlig unerkennbaren Grund der Erscheingung, die wir Materie nennen", gesprochen. VIII 207 setzt KANT zu EBERHARDs Feststellung, daß die letzten objektiven Gründe von Raum und Zeit keine Erscheinungen, sondern Dinge ansich, wahre, erkennbare Dinge sind, hinzu, das alles habe die Kritik buchstäblich und wiederholentlich gleichfalls behauptet; nur seien diese objektiven Gründe, nämlich die Dinge ansich, nicht im Raum und der Zeit zu suchen,m sondern in demjenigen, was die Kritik das außer- oder übersinnliche Substrat derselben (Noumenon) nennt. (vgl. auch die Zitate aus Werke IV 354 und RV2 564f) Die Begriffe Ursache, causa, Kausalität werden in Verbindung mit der Freiheitslehre häufig auch auf die Dinge ansich angewandt. So heißt es RV2 566:
Für unsere Zwecke bei weitem am wichtigsten aber sind die Stellen, die geradezu eine Affektion unseres Ich durch die Dinge ansich behaupten. Ich führe hier nur solche Äußerungen an, bei denen diese Affektion ganz unzweifelhaft als von den Dingen-ansich ausgehend gedacht sind, übergehe aber die schon oben gestreifte Lehre von den beiden Arten der Selbstaffektion, bei der das Ich-ansich das Affizierende, das empirische Ich das Affizierte ist. Nach RV2 61 (RV1 44
"durch sie bloß Erscheinungen, nicht die Sachen selbst dem Verstand zur Reflexion gegeben werden".
"Mittels der Beschaffenheit unserer Sinnlichkeit, nach welcher sie auf die ihr eigentümliche Art von Gegenständen (16), die ihr ansich unbekannt und von jenen Erscheinungen ganz unterschieden sind, gerührt (= affiziert) wird."
Die Frage, worauf die Redewendung von der Affektion antwortet, ist das Problem: warum geben sich die Dinge-ansich nicht als solche zu erkennen? warum nur als Erscheinungen? Und die Lösung lautet: nicht sie selbst legen gleichsam Wert darauf, sich nur in Form von Erscheinungen zu zeigen, sie hüllen sich nicht absichtlich in Schleier, als ob sie es liebten, sich zu verkleiden; sondern die Schuld liegt beim Ich-ansich, das sie affizieren und das daraufhin und ihre rein innerlichen Verhältnisse in den Form räumlich-zeitlicher Ordnung sich als bewewegte Kraftkomplexe gegenüberstellt. Nicht also von gegebenen Wirkungen tastet KANT sich zu den Dingen-ansich als erschlossenen Ursachen zurück; er beginnt vielmehr bei den letzteren als unzweifelhaft Gegebenem und leitet von ihnen die Erscheinungen ab, indem er sie für von den Dingen-ansich bewirkte Vorstellungen erklärt (19). Auch in den Zitaten des § 9 bedarf KANT also nicht etwa der Kausalität als vermittelnden Begriffs, um an seiner Hand rückschließend den Überschritt ins Transzendente zu wagen. Sondern der Begriff "affizieren" soll nur zum Ausdruck bringen, daß KANT in den Erscheinungen den Einfluß des ansich Seienden unmittelbar zu empfinden meint, und zu fühlen glaubt, wie dieser Einfluß ihn zwingt, Vorstellungen hier dieser, dort jener Art zu haben. Sein Erleben ist auch hier noch dasselbe wie an den früheren Stellen: im aposteriorischen Stoff spürt er die ihm fremde, transzendente, ihn beeinflussende (affizierende) Macht des einzelnen Dings-ansich. Also eine ganz andere Art der Reaktion als etwa die BERKELEYs, der in den Körpern rings um ihn her nur Gottes Macht, oder die FICHTEs, der in ihnen nur die Macht des absoluten Ich hätte erleben können! Nur wenn man ein solches eigenartiges Erleben KANTs als Grundlage annimmt, läßt sich die Selbstsicherheit und Vorbehaltlosigkeit erklären, womit er, wie früher das Dasein der Dinge ansich, so in den letzten Zitaten ihr Affizieren als eine selbstverständliche Tatsache hinstellt. Dieses Erleben ist so stark, daß er an den angeführten Stellen gar kein Bewußtsein dafür hat, daß doch immerhin ein Problem vorliegt und eine gewisse Skepsis laut werden könnte, oder daß wenigstens die Berechtigung, von einer solchen Affektion zu reden, erst erwiesen werden müßte. Er kennt weder Bedenken noch Zweifel, schlägt sie auch nicht etwa mit Gewalt oder Gründen nieder; dessen bedarf es gar nicht, weil es ihnen überhaupt nicht gelingt, sich über die Bewußtseinsschwelle zu erheben. Aus der Eigenart dieses Erlebens erklärt sich ferner auch, daß, obschon KANT die Affektion durch Dinge-ansich von der durch Erscheinungen prinzipiell sondert, doch im Einzelfall beide manchmal ineinander zu verschwimmen drohen. Durch die Dinge ansich kann ja streng genommen nur unser Ich-ansich affiziert werden, und es reagiert darauf in der Weise, daß es die raum- und zeitlosen Dinge-ansich als im Raum so und so verteilte Kraftkomplexe und die gegenseitigen inneren Beziehungen jener als Bewegungen dieser darstellt. Das alles aber ist für das empirische Ich ein rein unbewußtes Tun, das es also in keinem Akt je mit Bewußtsein erfassen noch in seinen Empfindungen je unmittelbar erleben kann. Die letzteren sind vielmehr seine Antwort auf die von den Kraftkomplexen ausgehenden Bewegungen, die als Reize seine Sinnesorgane treffen. Die Kraftkomplexe und ihre Bewegungen stehen dem empirischen Ich als selbständige Faktoren gegenüber, fähig es zu beeinflussen und in ihm Empfindungen zu erregen, aber nur deshalb, weil beide (Kraftkomplexe wie empirisches Ich) nichts als Erscheinungen des Ich-ansich sind und unser Affiziertwerden durch die Kraftkomplexe demgemäß nichts als eine Erscheinung des allein wahrhaft Seienden: des Affiziertwerdens unseres Ich-ansich durch die Dinge-ansich. Indem KANT nun aber in den Erscheinungen die Affektion seitens der Dinge-ansich und in dieser das Transzendente selbst als eine transsubjektive Macht unmittelbar erlebt, gerät er mitunter in Gefahr, die Dinge-ansich mit den Empfindungen (und folglich den sekundären Qualitäten der Körper) in eine direkte ursächliche Beziehung zu bringen und so die beiden prinzipiell getrennten Affektionen ineinander zu verwirren. Dinge-ansich können nur wieder mit anderen Dingen-ansich (wie unserem Ich-ansich) durch den reinen, zeitlosen Begriff der Kausalität verbunden gedacht werden, nicht mit Erscheinungen, wie die Empfindungen sind (20). Letztere können vielmehr nur Wirkungen von anderen Erscheinungen (Bewegungen der Kraftkomplexe) sein, und beide Arten von Vorgängen spiegeln dann in ihrer Gesamtheit die inneren zeitlosen Kausalbeziehungen der Dinge-ansich erscheinungsweise wieder. KANT aber wird durch die Besonderheit seines Erlebens manchmal verführt, die Ursache auf Seiten des ansich Seienden mit der Wirkung auf Seiten des Erscheinenden zu verknüpfen, und die dadurch in sein Denken einziehende Unklarheit ist wohl ein Hauptgrund dafür gewesen, daß er die Lehre von der doppelten Affektion, obwohl sie eine unentbehrliche Grundlage für seine ganze Erkenntnistheorie bildet, doch so stiefmütterlich behandelt hat und sie samt ihren Voraussetzungen und Folgerungen (abgesehen vom Opp) niemals zum Thema einer selbständigen, eingehenderen Darstellung gemacht hat. - KANTs Erleben ist also, wie wir sehen, in der Zitatengruppe des § 9 noch dasselbe wie in der des § 2. ![]()
1) Man muß bei der ganzen Frage berücksichtigen, daß die Gegenstgände, in denen das Ding-ansich unmittelbar erscheint, gemäßt der Lehre von der doppelten Affektion nicht die farbigen, tönenden, harten oder weichen Dinge sind, daß man vielmehr von ihnen alle sekundären Qualitäten als bloße Reaktionen unseres empirischen Ich abziehen muß. Was übrig bleibt als Erscheinung des Ich-ansich, kann der dynamischen Theorie der Materie gemäß nur in der Form raumerfüllender Kraftkomplexe gedacht werden. In ihnen manifestieren sich die zeit- und raumlosen Dinge-ansich, die Kant sich in seinen metaphysischen Privatansichten, wie Benno Erdmann und sein Schüler O. Riedel (1884) nachgewiesen haben, als eine Art von Monaden vorstellte, also gleichsam als in nur inneren Beziehungen stehende geistige Kraftzentren. 2) vgl. auch noch die in § 2 aus RV1 251f, C 581f, Werke IV 354 abgedruckten Zitate. 3) Nicht speziell die Seele, sondern das Objekt ganz im Allgemeinen. 4) von mir gesperrt. 5) Besser wäre: "wenn man das Subjekt in ein und derselben Bedeutung nimmt." 6) "ansich" gehört wohl zu "Korrespondierende" und mit "Dingen" sind die Erscheinungen gemeint. Die Worte "Dingen ansich" dürfen nicht zusammengenommen werden, oder sie müßten, wie die gleich folgende Klammer beweist, verschrieben sein statt "Erscheinungen". 7) Näheres in meiner Schrift über das "Opus postumum", Seite 683f. 8) Die Begriffe Ich-ansich und transzendentales Subjekt fallen zwar nicht ganz zusammen: sie unterscheiden sich sowohl in ihrer Konstitution als in der Richtung, nach der sie orientiert sind; doch kann hier von diesen Verschiedenheiten abgesehen werden. 9) Wenigstens in der "Kritik der praktischen Vernunft" und der "Kritik der Urteilskraft" (vgl. meinen Aufsatz über "Die bewegenden Kräfte in Kants philosophischer Entwicklung" in den Kant-Studien, Bd. 1, Seite 394f). In der "Kr. d. r. V." und der "Metaphysik der Sitten" drückt Kant sich noch vorsichtiger aus. Aber der Sache nach ist seine Stellung auch hier schon ganz dieselbe. Der Konsequenz seines Systems gemäß dürfte er zwar eigentlich nur davon sprechen, daß das Faktum des kategorischen Imperativs zwingt, die Freiheit als seine unentbehrliche Voraussetzung zu erschließen (wie die Dinge-ansich als Voraussetzung der Erscheinungen). Aber sein Erleben ist auch hier stärker als die Denkkonsequenz (siehe oben): seiner ganze Willensstellung entsprechend sind ihm Spontaneität und Sittlichkeit, Schuldgefühl und Reue ohne transzendentale Freiheit nichts als leere Worte, und so erlebt er im "Du sollst" unmittelbar das "Du kannst", in dem damit verbundenen (meiner Ansicht nach illusorischem) Freiheitsgefühl zugleich die Freiheit selbst als unzweifelhafte Tatsache. - Gegen die Behauptung, daß Kant den Begriff der Freiheit als bewußte Fiktion betrachtet und verwendet, werde ich in meiner Schrift: "Vaihingers Kant-Auffassung in seiner Als-Ob-Philosophie" Stellung nehmen. 10) vgl. des Näheren meine Schrift über das "Opus postumum", Seite 294f. 11) Vgl. RV2 520, wonach die innere und sinnliche Anschauung unseres Gemüts nicht das eigentliche Selbst, so wie es ansich existiert, oder das transzendentale Subjekt ist, sondern nur eine Erscheinung, die der Sinnlichkeit dieses uns unbekannten Wesens gegeben wurde. - Sogar sich selbst darf der Mensch nach IV 451 sich nicht anmaßen zu erkennen, wie er ansich ist; er kann von sich nur durch den inneren Sinn und folglich nur durch die Erscheinung seiner Natur und die Art, wie sein Bewußtsein affiziert wird, Kundschaft einziehen, "indessen er doch notwendigerweise über diese aus lauter Erscheinungen zusammengesetzte Beschaffenheit seines eigenen Subjekts noch etwas anders zugrunde Liegendes, nämlich sein Ich, so wie es ansich beschaffen sein mag, annehmen und ... in Anbetracht dessen, was in ihm reine Tätigkeit sein mag, ... sich zur intellektuellen Welt zählen muß, die er doch nicht weiter kennt." - Nach den "Fortschritten in der Metaphysik etc.", Seite 108f ist in der Theorie der Sinnesgegenstände als bloßer Erscheinungen "nichts, was befremdlich-auffallender ist, als daß ich als der Gegenstand des inneren Sinns, d. h. als Seele betrachtet, mir selbst bloß als Erscheinung bekannt werden kann, nicht nach demjenigen, was ich als Ding-ansich bin." 12) Wie auch Vaihinger (Kommentar II 459) gegen Laas bemerkt, kann das "dadurch" dem ganzen Zusammenhang nach nur auf "etwas", nicht auf "Erscheinung" bezogen werden. 13) Es handelt sich bei dieser Möglichkeit nicht etwa um die Bedingung der Empfindungen - da würden als affizierende Objekte die Erscheinungsgegenstände (Kraftkomplexe) in Betracht kommen -, sondern um die Bedingung, die allein imstande ist, das räumlich-zeitliche, Anschauen gleichsam auszulösen (die subjektiven Anschauungsformen wirksam werden zu lassen), und das ist die Affektion des Ich-ansich durch die Dinge-ansich. 14) Vgl. RV1 393, wonach "man die äußeren Erscheinungen einem transzendentalen Gegenstand zuschreibt, welcher die Ursache dieser Art Vorstellungen ist, den wir aber gar nicht kennen, noch jemals einen (bestimmten) Begriff von ihm bekommen werden", sowie RV2 566 die Wendung, daß den Erscheinungen, "weil sie ansich keine Dinge sind, ein transzendentaler Gegenstand zum Grunde liegen muß, der sie als bloße Vorstellungen bestimmt." 15) Das, was wirkt und affiziert, sind hier selbstverständlich die Dinge-ansich, nicht, wie Adolf Böhringer (Kants erkenntnistheoretischer Idealismus, 1888, Seite 78) will, die Gegenstände der Sinne, als Dinge-ansich im physischen Verstand betrachtet. Denn andernfalls würde Kant ja von den letzteren die unsinnige Behauptung aufstellen, wir wüßten von ihnen nichts (diesen Einwand erhebt schon Ludwig Busse: Zu Kants Lehre vom Ding ansich, in "Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik", Bd. 102, 1893, Seite 79). Das dreimalige "sie" muß doch jedesmal auf dasselbe Substantiv bezogen werden, und zwar auf "Dinge", aber nicht als "Gegenstände unserer Sinne", sondern nach "dem, was sie ansich selbst sein mögen". Dieses "was" bleibt uns unbekannt, aber daß sie als Dinge ansich dasind und uns affizieren, wird von Kant ohne jeden einschränkenden Zusatz behauptet. Nicht ihre Erscheinungen - nichts als das wären ja die Gegenstände der Sinne - wirken auf uns, sie sind vielmehr als Vorstellungen selbst etwas (von den Dingen-ansich) in uns Gewirktes. Auch im folgenden Satz ist der "Einfluß auf unsere Sinnlichkeit" nicht von den "Dingen" als "Körpern" ausgehend zu denken, sondern von den diesen Körpern zugrunde liegenden Dingen ansich; erst durch eine Zusammensetzung der "Vorstellungen, welche ihr Einfluß auf unsere Sinnlichkeit und verschafft", entsteht das, was wir Körper nennen. - Auf den Schluß der Anm. II beruft Böhringer sich mit Recht; dort ist wirklich von einer Affektion durch die Erscheinungen die Rede. Dagegen ist die dritte von Böhringer angeführte Stelle aus § 9 (IV 282), in der Kant von der Form der Sinnlichkeit redet, "die in meinem Subjekt vor allen wirklichen Eindrücken vorhergeht, dadurch ich von Gegenständen affiziert werde", zweideutig; das Nächstliegende aufgrund des Zusammenhanges ist zwar - im Gegensatz zu Böhringer - entschieden, die Affektion als von den Dingen-ansich ausgehend zu denken, doch ist die Beziehung auf die Erscheinungsgegenstände zumindest nicht völlig ausgeschlossen. Böhringer hat die Stelle (wie ich annehme: nur versehentlich und also bona fide [in gutem Glauben - wp] verfälscht, indem er nach "Gegenständen" einschiebt: "der Sinne". 16) Diese Gegenstände können, da sie von den Erscheinungen ganz unterschieden sein sollen, nur die Dinge-ansich sein. Klarer und logischer wäre allerdings, wenn Kant geschrieben hätte: "Gegenständen, die von jenen Erscheinungen ganz unterschieden, wenn auch in diesem ihr Ansich-Sein ihr unbekannt sind." 17) Dieses "bestimmten" ist natürlich dasselbe, was sonst "affizieren" heißt. 18) RV1 235 und IV 289 bezieht sich das "mögen" nur auf die Beschaffenheit, nicht auf das Dasein der Dinge-ansich. - Auch RV2 522f wird das Vorhandensein einer "nichtsinnlichen Ursache" unserer Vorstellungen in keiner Weise angezweifelt, sondern vielmehr als selbstverständlich vorausgesetzt, indem zugleich ihre Unerkennbarkeit behauptet wird. Drobisch (Kants Dinge ansich und sein Erfahrungsbegriff, 1885, Seite 9f) verkennt Kants Geistesart und deutet in diese Stelle Zweifel hinein, die ihr ganz fern liegen, wenn er behauptet, sie gestehe dem transzendentalen Objekt kaum mehr als eine bloß nominale, und höchstens nur die konzeptuale Bedeutung eines Gedankendings zu; es sei nur eine denknotwendige Voraussetzung des Begriffs der Rezeptivität, ohne welche dieser ganz sinnlos sein würde; ein wirkliches Dasein, eine selbständige, von unserem Denken unabhängige Existenz dieses Objekts könne daraus nicht gefolgert werden. Aber Kant erklärt doch mit dürren Worten: "Die nichtsinnliche Ursache dieser Vorstellungen ist uns gänzlich unbekannt!" Damit sagt er klar und deutlich: es gibt eine solche unabhängig von unserem Denken existierende Ursache, nur ist sie uns ihrem Wesen nach völlig unbekannt. Daraus entsteht die schwierige Frage, mit der sich die beiden letzten Sätze des Zitats beschäftigen: sind wir und eventuell inwieweit sind wir berechtigt, eine solche unbekannte Ursache als Faktor in unsere Rechnung einzusetzen? Die Antwort lautet: wir dürfen sie im Sinn eines transzendenten Objekts zulassen, d. h. als "ein bloßes Etwas" (RV2 333), das aber doch - auf uns unerkennbare Art - aller Umfang und Zusammenhang unserer möglichen Wahrnehmungen in zeit- und raumloser Weise begründet sein muß (zum Begriff des transzendentalen Objekts vgl. weiter unten). Denn nur so kann der Schlußsatz verstanden werden, nicht, wie Cohen die Stelle deutet: daß das transzendentale Objekt "für allen Umfang und Zusammenhang aller möglichen Wahrnehmungen und damit aller möglichen Wirklichkeit steht", bzw. daß "das Ding-ansich diesen Umfang und Zusammenhang enthält und bezeichnet", womit dann weiter die Behauptung identisch sein soll, das Ding-ansich sei der Ausdruck alles Umfangs und Zusammenhangs unserer möglichen Erfahrung und "somit der Inbegriff der wissenschaftlichen Erkenntnisse" (Kommentar zur Kr. d. r. V., Seite 155; Kants Theorie der Erfahrung, Seite 518). Aber in den beiden mittleren Sätzen des Zitats redet Kant von der nichtsinnlichen (intelligiblen) Ursache der Vorstellungen (= Wahrnehmungen) bzw. Erscheinungen und setzt sie mit dem transzendentalen Objekt gleich, kann also unmöglich dieses mit dem "Umfang und Zusammenhang unserer möglichen Wahrnehmungen" zusammenfallen noch es ihn als räumlich-zeitlichen in sich enthalten lassen, sondern nur dem transzendentalen Objekt als Ursache diesen Umfang usw. "zuschreiben". Damit stimmt auch der Gebrauch des Wortes "zuschreiben" RV1 393 (vgl. hier Anm. 14) überein. Kant ist soweit davon entfernt, wie Cohen das transzendentale Objekt mit dem Inbegriff der Erfahrung gleichzustellen, daß er vielmehr beide in klaren Worten streng voneinander scheidet: das transzendentale Objekt ist "vor aller Erfahrung ansich gegeben", "die Erscheinungen aber sind nicht ansich, sondern nur in dieser Erfahrung gegeben, weil sie bloße Vorstellungen sind" (RV2 523). Kurz darauf (RV2 524) wird der Ausdruck, daß Sinnesgegenstände vor aller meiner Erfahrung existieren, dahin erläutert, "daß sie in dem Teil der Erfahrung, zu welchem ich, von der Wahrnehmung anhebend, allererst fortschreiten muß, anzutreffen sind"; im Gegensatz dazu ist "die Ursache der empirischen Bedingungen dieses Fortschritts, folglich auf welche Glieder, oder auch, wie weit ich auf dergleichen im Regressus treffen kann, transzendental (d. h. im transzendentalen Objekt gelegen) und mir daher notwendig unbekannt." Also auch hier umfaßt das transzendentale Objekt nicht das Fortschreiten in der Erfahrung und die in seinem Verlauf gemachten Einzelerfahrungen, sondern nur die (intelligible, raum- und zeitlose) Ursache der Erscheinungen (Glieder), auf die der Regressus stößt und die einen Teil der möglichen Erfahrung bilden. Und wenn Kant RV2 523 sagt: "Die wirklichen Dinge der vergangenen Zeit sind in dem transzendentalen Gegenstand der Erfahrung gegeben", so ist der letztere Ausdruck demgemäß nicht so zu verstehen, daß die Erfahrung selbst dieser transzendentale Gegenstand ist; sondern es kann auch hier nur das der Gesamterfahrung als Ursache der Erscheinungen zugrunde liegende transzendentale Objekt gemeint sein: in ihm sind die wirklichen Dinge der vergangenen Zeit als raum- und zeitlose Dinge-ansich "gegeben", wobei aber selbstverständlich alle Gedanken an die Art des "Gegebenseins" der Erscheinungsgegenstände auszuschließen sind. Ob übrigens nicht vielleicht zwischen "Gegenstand" und "der Erfahrung" das Wort "vor" ausgefallen ist? 19) vgl. besonders RV2 61, RV1 358f, Werke IV 289, 314 und 318. 20) RV1 358f läßt zwar die Dinge-ansich unseren Sinn affizieren, aber doch nur so, daß er die Vorstellungen von Raum, Materie, Gestalt usw. bekommt, nicht etwa die sekundären Empfindungsqualitäten. |