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Neukantianismus, Schopenhauerianismus und Hegelianismus [3/4]
A. Die Philosophie als Wissenschaft 1. Der Kritizismus
Nun sagt er aber selbst auf Seite 19:
Eine einseitige analytische Philosophie ist eben ein Unding. Analyse und Synthese gehörten zusammen wie Ein- und Ausatmen, und wie beim Schluchzen das Einatmen, beim Seufzen das Ausatmen sich in den Vordergrung drängt, so ist in der Kritik die Analyse, in der positiven Systematik die Synthese das Hervorstechende. Die in empiristischen Vorurteilen oder in subjektiv plausiblen Hypothesen enthaltenen Synthesen "vertrauensselig" und "ungeprüft" für wahr zu halten, beweist einen subjektiven Mangel an analytischem Denken, und ist ebenso verkehrt wie die entgegengesetzte Tendenz, jede synthetische Behauptung ohne Unterschied als wahrheitslose subjektive Einbildung zu ächten, bloß weil sie von mehr als analytischem Denken zeugt. Das erstere ist die dogmatische, das letztere die skeptische Einseitigkeit, und die letztere ist unbedingt gefährlicher. Ein Dogmatiker ist niemals aus Prinzip Dogmatiker, sondern nur aus Fahrlässigkeit oder Unachtsamkeit; ein Skeptiker aber ist Skeptiker meist aus prinzipieller Verranntheit. Der Dogmatiker kann die versäumte Kritik nachholen, aber nicht so der Skeptiker die Synthese; denn ersterer erkennt die Berechtigung des analytischen und kritischen Denkens an und findet die Fähigkeit zu demselben als gemeinsame Eigenschaft des menschlichen Verstands auch in sich selbst vor, - letzterer dagegen leugnet die Berechtigung der synthetischen Funktion in objektiver Hinsicht, und entbehrt meistens selbst der Fähigkeit zur schöpferischen Gestaltung. Der Dogmatiker kann allmählich mehr und mehr zum Kritizismus gelangen, wenn er die nötige Energie der Besonnenheit besitzt; der Skeptiker entfernt sich umso weiter vom Kritizismus, je konsequenter er sein pseudokritisches Dogma, daß die synthetische Funktion kein Produkt von transsubjektiver Bedeutung liefern kann, durchführt, und man muß ihm erst zeigen, daß sein Standpunkt konsequent entwickelt ein übergeschnappter ist, um ihn eventuelle zur prinzipiellen Umkehr zu bewegen. Niemand, der meine Schriften kennt, wird VAIHINGER glauben, daß auf mich seine Signatur des Dogmatismus paßt, daß ich es für richtig halte, vertrauensselig und ungeprüft Begriffsdichtungen oder mystische Eingebungen für das Wahre zu halten." (2) Ich habe immer betont, daß die mystische Eingebung oder synthetische Funktion nur ein heuristisches Prinzip und nichts weiter sein darf, und daß das so Gewonnene niemals einen Anspruch auf objektive Gültigkeit erheben darf, wenn es nicht, unabhängig von seiner Gewinnung, deduktiv bewährt oder induktiv begründet ist. Die Methode der Demonstration trenne ich also durch aus von der Methode der Heuristik, wie dies selbst in der Mathematik schon eingesehen werden kann. Es geht niemand etwas an, ob ich eine Wahrheit im Traum gefunden, oder ob sie mir vom heiligen Geist eingegeben worden ist, oder ich sie mir erquält und errechnet habe; wenn ich sie nur nachträglich beweisen kann, so muß sie jedermann als Wahrheit gelten lassen. Die Kritik hat eben die Aufgabe, jeden synthetischen Schritt zu prüfen, und keinen unbesehen durchschlüpfen zu lassen. Sie darf aber auch nicht mit der vorwitzigen Absicht herankommen, sich dadurch in ihrer Virtuosität zu zeigen, daß sie nichts unzersaust und unzerfetzt passieren läßt; denn dann wird sie zur vorlauten Sophistik, die der Wahrheit ebensowenig dient wie der kritiklose Glaube. Die Kritik muß selbstverleugnend und ohne Eitelkeit verfahren; sie muß ihre Beschränkung auf die Negation und den überlegenen Wert der positiven Synthese bescheiden anerkennen. Sie gleicht nicht der zeugenden Natur, sondern dem Gärtner, der die geilen Schößlinge abschneidet, damit die Bäume umso schöner wachsen. Eine von einer festen Basis ausgehende, stets von Kritik begleitete und geschützte synthetische Geistesarbeit ist Wissenschaft, und auf philosophischem Gebiet wird sie im Unterschied von Dogmatismus und Skeptizismus Kritizismus genannt. Was für ein philosophischer Standpunkt bei diesem methodologischen Kritizismus endlich herauskommen wird, kann erst die Geschichte der Zukunft lehren. Wenn ich mich dahin geäußert habe, daß der so durch den Kritizismus zu erringende Inhalt schon heute auf die Standpunkte des Naturalismus und des spiritualistischen Monismus einzuschränken ist, so ist das natürlich bloß eine subjektive Ansicht, die Andersdenkende bekämpfen mögen; wenn aber VAIHINGER dieselbe als "ein Symptom einer vollständigen Verkennung der Situation und eine geradezu antiquierte Anschauung" herunterkanzelt, weil dabei der einzig mögliche dritte Standpunkt, der Kritizismus, vergessen wird (Seite 235), so beweist das nichts weiter, als daß er derselben Konfusion methodologischer und inhaltlicher Standpunktsbezeichnungen verfallen ist, vor welcher er an derselben Stelle zu warnen sich gedrungen fühlt. als Erklärung der Wirklichkeit Die Aufgabe der Philosophie präzisiert VAIHINGER mit LANGE dahin, erstens als negative Philosophie "zu zeigen, daß sie selbst als Wissenschaft unmöglich ist", und zweitens als positive Philosophie, "zwar Spekulation zu sein, aber mit dem Bewußtsein, nur Dichtung, nicht Wahrheit zu geben". (Seite 18) Sehen wir von der später zu erörternden zweiten Bestimmung hier ab, da dieselbe keinenfalls mehr philosophisch oder wissenschaftlich genannt werden kann, so fällt sofort in die Augen, daß die Unmöglichkeit der Philosophie als Wissenschaft sich wohl hintennach als Resultat mißglückter Versuche zum wissenschaftlichen Philosophieren herausstellen kann, daß es aber nimmermehr von vornherein als Aufgabe der Philosophie bezeichnet werden kann, ihre Unmöglichkeit zu erweisen. Wer mit der Absicht zu philosophieren anfängt, die Philosophie als Verirrung darzustellen, der beginnt nicht unbefangen, sondern vorurteilsvoll, nicht kritisch, sondern dogmatisch. Es ist ja möglich, daß alle Philosophie mit ihrer Selbstzersetzung endet, wer aber dieses eventuelle Resultat schon in die Aufgabe der Philosophie, wo man doch das Ende noch nicht wissen kann, hineinlegt, der zeigt eben damit, daß er sich in einem Dogmatismus befindet, der darum nicht weniger dogmatisch ist, weil er zufällig einen negativen Glaubensinhalt hat. Selbst wenn VAIHINGERs Bestimmung der Philosophie im Resultat richtig wäre, so müßte doch die Bestimmung ihrer Aufgabe anders gefaßt werden. Dies liegt auch sogar in seinem Wortlaut. Wäre die Aufgabe der Philosophie nichts weiter als der Nachweis ihrer Unmöglichkeit, so wäre sie ja wirklich vollendet, also nicht unmöglich; daß sie die Unmöglichkeit der Erfüllung ihrer Aufgabe zum Resultat haben soll, darin liegt schon, daß ihre Aufgabe eine andere sein muß als der Nachweis ihrer Unmöglichkeit, den sie ja tatsächlich geliefert haben soll (3). VAIHINGERs Definition der Philosophie als Leistung fordert eine solche Bestimmung ihrer Aufgabe, welche zu erfüllen nach seiner Ansicht nicht möglich sein soll. Was aber nach seiner Ansicht unmöglich ist, das ist die Erlangung der Wahrheit (Seite 68), das Hindurchdringen zur wahren und eigentlichen Realität (Seite 55) und die Erklärung unserer empirisch gegebenen Wirklichkeit aus jener Sphäre einer höheren Realität. Dies also müßte auch VAIHINGER als die Aufgabe der Philosophie betrachten, und damit die von mir gegebene Bestimmung über dieselbe sanktionieren. Diese Bestimmung ist nur der Ausdruck eines in unserer Organisation tatsächlich gegebenen Bedürfnisses, und sie enthält nichts Dogmatisches in sich, da sie die Frage, ob die so gestellte Aufgabe unlösbar oder lösbar, bzw. in welchem Grad sie lösbar ist, völlig offen läßt (4). Eine gebieterische Notwendigkeit, die aus der Einrichtung unseres Intellekts stammt, zwingt uns unablässig, uns um eine Erklärung der Wirklichkeit zu bemühen. Dieses Erklären oder klar Machen des Gegebenen hat aber drei Stufen: auf der ersten Stufe wird die Masse der uns überstürzenden Erfahrungen gesichtet und nach den Kategorien der Ähnlichkeit und Verschiedenheit geordnet; auf der zweiten werden die kausalen, teleologischen und sonstigen Beziehungen zwischen den geordneten Erfahrungsobjekten aufgesucht; auf der dritten Stufe endlich werden die Beziehungen des gesamten Erfahrungsinhaltes zu supponierten transzendenten Ursachen in Erwägung gezogen. Auf der ersten Stufe streben wir nach der Klassifikation, auf der zweiten nach dem phänomenalen Zusammenhang der Erscheinung, auf der dritten nach ihrem Wesen; die erste Stufe heißt Kunde, die zweite Wissenschaft, die dritte Philosophie. Das Erklären auf der ersten Stufe ist noch Information, auf der zweiten wird es Orientierung, auf der dritten Verständnis. Wir können der "Kunde" nicht völlig Herr werden, die Klassifikation der Dinge nach einem natürlichen System nicht durchführen, ohne die Wissenschaft ihrer kausalen und teleologischen Beziehungen zu Hilfe zu nehmen; wir können die Orientierung über die phänomenalen Zusammenhänge gar nicht ermöglichen, ohne auf die koordinierte transzendente Bedingtheit der Einzelerscheinungen zu rekurrieren. So fordert jede niedere Stufe des Erklärens die nächsthöhere, und das Erklären vollendet sich erst in der Philosophie. "Begreifen", sagt VAIHINGER (Seite 63), "heißt zurückführen auf die Ursachen", und die Aufgabe der exakten Wissenschaften ist, diese Ursachen innerhalb der Erfahrungswelt zu suchen (5); nur das unbegründete Dogma von der transzendenten Ungültigkeit und Bedeutungslosigkeit der Kategorien hindert ihn, anzunehmen, daß die Aufgabe der Philosophie ist, die Ursachen außerhalb der Erfahrungswelt zu suchen. Hypothetisch und unwahrnehmbar ist auch in den exakten Wissenschaften ein großer Teil der Ursachen, und gerade der wichtigste Teil derselben ist es durchweg; die hypothetische Beschaffenheit der transzendenten Erklärungen der Philosophie kann also keinenfalls ein Einwand gegen deren Wissenschaftlichkeit und Wahrheit sein. Ob "die letzten Tatsachen der Wirklichkeit nicht mehr erklärbar sind" (Seite 24) oder doch, hängt davon ab, was man unter Wirklichkeit versteht; VAIHINGER, der jede Möglichkeit eines Hinausgehens über die Welt der subjektiven Erscheinung leugnet, kann mit Wirklichkeit selbstverständlich nur die unmittelbare empirische Realität des immanenten Bewußtseinsinhaltes meinen. Nun ist aber eine immanente Kausalität der subjektiven Erscheinungen untereinander ganz außer Stande, eine orientierende Erklärung derselben zu liefern, die auch nur für die einfachsten praktischen Bedürfnisse ausreicht (6) und deshalb ist das Erklärungsbedürfnis schlechterdings genötigt, die Sukzession der subjektiven Erscheinungen aus der transzendenten Kausalität von hypothetischen Dingen-ansich zu erklären, welche einerseits unsere Sinne affizieren, und deren Veränderungen andererseits durch eine transzendente Kausalität untereinander verknüpft sind. Diese für alle Subjekte gemeinsame Welt der raumzeitlichen kausal verknüpften Dinge-ansich ist in der Tat erst das Objekt der exakten (historischen und Natur-) Wissenschaften; aber die kausalen Beziehungen dieser Dinge-ansich würden samt ihren sie beherrschenden Gesetzen wiederum als endlose Kette in der Luft schweben, wenn sie nicht auf transzendent-metaphysische Ursachen gegründet wären. Versteht man die letzten Hypothesen, zu denen so das Erklärungsbedürfnis führt, unter dem Ausdruck: "letzte Tatsachen" der Wirklichkeit", dann sind dieselben in der Tat für mich ebenso wie für VAIHINGER "nicht mehr erklärbar". Weil VAIHINGER die Sphäre der subjektiven Erscheinung hypothetisch zu überschreiten sich weigert, darum verschlägt er sich den einzigen Weg, sich in der Welt zu orientieren, darum muß er notwendig bei dem Resultat anlangen, daß die empirisch gegebene Welt uns nicht nur schlechthin unerklärlich ist, sondern daß sogar die Beschaffenheit dieser Welt, oder unserer Organisation (von der jene abhängt), ein solche ist, daß wir bei jedem Versuch, un in derselben zu orientieren, uns notwendig in unlösbare Antinomien und allerwärts (auch in den Fundamentalbegriffen der exakten Wissenschaften) verborgende Widersprüche verfangen. Überwindung durch den transzendentalen Realismus Fragen wir nun nach dem Grund, warum VAIHINGER die Erklärung der Erscheinungswelt durch transzendente Ursachen, welche die gewünschte Orientierung und Befreiung aus den Widersprüchen liefert, so entschieden perhorresziert [ablehnt - wp], so kommen wir wiederum auf ein dogmatisches Urteil von gleichfalls negativem Inhalt. Dieses Dogma ist der Glaube an das kantische Verbot eines transzendentalen Gebrauchs der Kategorien, oder anders ausgedrückt: die eingebildete Unmöglichkeit einer transsubjektiven Gültigkeit, Herrschaft und Bedeutung derselben. Wenn dieses Dogma in die Behauptung der nur oder bloß subjektiven Bedeutung der Kategorien eingekleidet wird (Seite 58), so verliert es nur scheinbar seine Negativität, denn diese steckt eben in dem Wörtchen "bloß", auf dem der ganze Schwerpunkt der Behauptung ruht. Diese Behauptung ist in einem negativen Sinn ganz ebenso dogmatisch, als der positive Glaube es ist, daß die Kategorien und Anschauungsformen eo ipso, unmittelbar und selbstverständlich eine keines Beweises bedürftige transzendentale Bedeutung hätten oder haben müßten. Der eine negiert, der andere poniert [als wahr annehmen - wp] vom Standpunkt der Bewußtseinsimmanenz aus etwas, was jenseits derselben liegt, worüber also von diesem Standpunkt aus unmittelbar gar nichts ausgemacht werden kann. Sowohl KANT wie die moderne Sinnesphysiologie haben durchaus nur für die subjektive Natur und Entstehung unserer Anschauungs- und Denkformen argumentiert, aber über die "bloße" Subjektivität derselben haben beide mit den Mitteln, mit denen sie operierten, gar nichts ausmachen können. Jede entgegengesetzte Auffassung involviert nicht nur ein tatsächliches und historisches Mißverständnis, sondern dokumentiert auch eine wissenschaftliche Unklarheit über das Problem selbst. Alle Argumentationen der Idealisten führen nicht weiter als bis zur Zerstörung des oben genannten positiven Dogmas als unmittelbarer Wahrheit, und zur Konstatierung, daß demjenigen, der über eine transzendente Gültigkeit der subjektiven Formen eine mittelbar begründete Behauptung aufstellen will, die Beweislast obliegt. Der Idealismus kann nur sagen: bis zum erbrachten Beweis ist niemand berechtigt, die transzendentale Gültigkeit der subjektiven Formen zu behaupten, und deshalb müssen wir bis zum erbrachten Beweis des Gegenteils eine solche Annahme als unlegitimiert bekämpfen; aber niemals kann der Idealismus beweisen, daß eine solche transzendentale Gültigkeit überhaupt nicht bewiesen werden kann, oder daß dieselbe begrifflich oder faktisch unmöglich ist. Dergleichen zu beweisen ist nicht nur niemals versucht worden, es wäre auch ein solcher Versuch in sich widersinnig, weil eben der Standpunkt der reinen Immanenz, auf den sich der Idealismus zurückgezogen hat, gleich unfähig zu negativen wie zu positiven Behauptungen über die transzendente Sphäre sein muß. Wer sich von jedem unkritischen Dogmatismus freilhalten will, darf nur sagen: die einzige uns unmittelbar gewisse Bedeutung der fraglichen Formen ist die subjektive, und wir wissen nicht, ob dieselben außerdem eine transsubjektive Bedeutung haben oder nicht, oder ob wir darüber jemals mittelbar etwas erkennen werden oder nicht. Dies allein ist kritisch gedacht, und nur diese Stellung durfte VAIHINGER einnehmen, anstatt, wie LANGE, mit den negativem Dogmatikern des subjektiven Idealismus einen Strang zu ziehen (vgl. Seite 61). Nun habe ich aber den verlangten mittelbaren Beweis erbracht. Er liegt mit zwei Worten darin, daß eine Orientierung in der Erscheinungswelt vom Standpunkt des subjektiven Idealismus unmöglich, vom Standpunkt des transzendentalen Realismus aber sehr wohl möglich ist, daß die innere Widersinnigkeit des ersteren (die VAIHINGER vollständig zugibt) zu einer Hypothese drängt, welche diesen Widersinn beseitigt und eine allseitig befriedigende Erklärung liefert. Diese bereits von KANT akzeptierte Hypothese besteht in der Annahme positiver Dinge-ansich, die unseren Erscheinungsobjekten korrespondieren, und die Beschaffenheit der letzteren dadurch bedingen, daß sie unsere Sinnlichkeit mit einer transzendenten Kausalität affizieren. Diese Hypothese findet ihre wissenschaftliche Legitimation darin, daß sie alles erklärt, worum es sich in der Erkenntnistheorie handelt. Sie ist nicht nur von allen sonst denkbaren Hypothesen (MALEBRANCHEs und BERKELEYs unmittelbare Einwirkung Gottes auf die Seele, FICHTEs Selbstbestimmung des Ich, LEIBNIZ' prästabilierte Harmonie im Vorstellungsablauf der Monaden) die relativ brauchbarste, sondern sie ist von allen die einzig annehmbare, weil eben alle andern das zu Erklärende nicht durch natürliche Ursachen begreiflich machen. Diese Annahme ist kein Dogmatismus, kein unbegründetes Vorurteil, kein naiver Glaube, sondern sie ist ein kritisch vermitteltes und wohlbegründetes Resultat. Sie ist keine apodiktische Behauptung, wie der dogmatische naive Realismus sie aufstellt, sondern ein hypothetische; sie leugnet nicht die Möglichkeit, daß es sich anders verhalten könnte, sondern nur die Wissenschaftlichkeit und kritische Haltbarkeit einer anderweitigen Annahme beim gegenwärtigen Stand unserer Kenntnisse; sie prätendiert nicht eine gewisse, sondern nur eine wahrscheinliche Erkenntnis zu sein. Sie hat den Skeptizismus nicht mehr zu fürchten, weil der Skeptizismus nur dem Dogmatismus gegenüber eine Macht ist, aber nicht dem Kritizismus gegenüber. Sie geht eben aus der wissenschaftlichen Überwindung des Skeptizismus hervor und hat diesen ebenso hinter sich gelassen wie den Dogmatismus. VAIHINGER, der da meint, daß der Kritizismus eigentlich Skeptizismus heißen sollte, hat natürlich für den von KANT angestrebten und von mir ausgeführten wahren Kritizismus kein Verständnis. Wenn ich im Angesicht der dargelegten Möglichkeit einer befriedigenden und widerspruchslosen Erklärung der Wirklichkeit durch obige Hypothese es für unkritisch erachte, auf dem Standpunkt der "theoretischen Resignation", d. h. der Verzweiflung an einer Erklärbarkeit und Verständlichmachung der Welt, eigensinnig zu verharren, so sieht VAIHINGER in einer solchen echt kritischen Überwindung des unfruchtbaren Skeptizismus verkehrterweise einen neuen Dogmatismus, den er unkritisch schelten zu dürfen glaubt; wenn ich dagegen meinen ganz positiven systematischen Aufbau in kritischer Besonnenheit für bloß hypothetisch oder problematisch erkläre, wenn ich insbesondere betone, daß alle Begründung des transzendenten Realismus nur eine problematische Bedeutung hat, so liest VAIHINGER darin das ehrenwerte Geständnis, daß mein System nur ein "metaphysischer Roman" (Seite 76) und daß meine erkenntnistheoretische Beweisführung "ungenügende" ist (Seite 223). Wenn ich überhaupt etwas Positives zu bieten wage, so genügt ihm dies, mich als Dogmatiker zu verschreien; wenn ich aber auch apodiktische [sicher beweisbare - wp] Gewißheit verzichte, so verdreht er mir dies zu einem Geständnis der Unerwiesenheit meiner Positionen. So haut er rechts und links an meiner wahren Stellung vorbei, weil er nichts davon weiß, daß der Kritizismus im Sinne seines Begründers wie im Geist der Wissenschaft die höhere Synthese von Dogmatismus und Skeptizismus ist. Nirgends habe ich gesagt, was VAIHINGER mir (Seite 76) in den Mund legt, "daß eigentlich für Idealismus und Realismus in der Erkenntnistheorie gleich viele Gründe sprechen"; nirgends habe ich den transzendentalen Realismus auf den "Glauben" gestützt, daß die gütige Natur uns wohl nicht prellen wird, sondern allein auf den oben angeführten Gedankengang, wenngleich ich darauf aufmerksam gemacht habe, daß es als anderweitige Bestätigung und Bewährung des erhaltenen Resultats gelten kann, wenn in einer durchweg vernünftiig und zweckmäßig eingerichteten Natur auch unsere Erkenntnisinstinkte sich als vernünftig und zweckmäßig herausstellen. Da nun der Intellekt die Erkenntnis zum Zweck hat, so würde es niemand für vernünftig und zweckmäßig halten, wenn unsere theoretischen oder intellektuellen Instinkte darauf angelegt wären, unsere Erkenntnistrieb durch unentrinnbare Jllusonen zu prellen, ihm jede Wahrheit unerreichbar zu machen, und ihn stattdessen in unlösbare Widersprüche zu verstricken; in den praktischen Trieben dagegen werden alle instinktiven Jllusionen als vernünftig und zweckmäßig zu bezeichnen sein, welche dazu dienen, den Egoismus zu prellen und den Eigenwillen mit dem ihm zu Gebote stehenden Maß an Energie und Leistungsfähigkeit der universellen Vernunft und ihren Zwecken dienstbar machen. VAIHINGER macht also einen sehr oberflächlichen und voreiligen Schluß, wenn er aus dem tatsächlichen Bestehen praktischer Jllusionen die Wahrscheinlichkeit theoretischer oder intellektueller Jllusionen folgern will (Seite 38, 133). durch den Kritizismus VAIHINGER gesteht zu, daß auch der nach seiner Meinung echte Kritizismus, d. h. der Skeptizismus, sich der Tatsache nicht entziehen kann, daß wir
Hiermit räumt er ein, daß das menschliche Denken, wenn es zum Verständnis seiner selbst gelangt ist (also die Konfusion des naiven Realismus und die Verblendung des subjektiven Idealismus überwunden hat), durch seine Organisation darauf angelegt ist, die Welt vom Standpunkt des transzendentalen Realismus aus zu betrachten. In dieser Behauptung stimmter er mit mir ganz ebenso überein, wie in der einschränkenden Bemerkung, daß wir keineswegs wissen können, ob diese Annahmen, zu denen unser Verstand, d. h. unser vernunftgemäßes Denken uns nötigt, auch richtig sind, d. h. uns beiden bleibt die Möglichkeit offen, daß unser transzendentaler Instinkt eine Jllusion ist. Es handelt sich folglich bei der Frage nach der objektiven Wahrheit oder Unwahrheit unseres intellektuellen Instinkts schlechterdings um eine einfache Alternative: entweder transzendentaler Realismus oder absoluter Jllusionismus, - entweder ist unsere Erscheinungswelt das subjektive Abbild einer transzendenten Welt, oder sie ist schlechthin bloße Jllusion, da sie uns eine solche doch vorspiegelt. Die Entscheidung kann eine dreifache sein: entweder der Realismus oder der Jllusionismus wird als absolute Gewißheit in Anspruch genommen, oder es wird jeder von beiden als möglich zugestanden. Die ersteren beiden Fälle wären bei der Unbegründbarkeit einer solchen absoluten Gewißheit ein Rückfall in den Dogmatismus, die letztere Entscheidung ist der Übergang zum Kritizismus. VAIHINGER tritt mit mir der Entscheidung im letzteren Sinne bei, aber er fällt in den Skeptizismus zurück, indem er bei der bloßen abstrakten Möglichkeit beider Seiten der Alternative stehen bleibt und auf eine Entscheidung über die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit derselben durch eigensinnige Wahlenthaltung verzichtet. Er geht aber noch weiter: er tadelt jeden der seinen Standpunkt willkürlicher Verzichtleistung auf eine weitere Untersuchung nicht teilen mag und verfällt in einen negativen Dogmatismus, wenn er jede Ermittlung über die größere oder geringere Wahrscheinlichkeit der beiden Seiten der Alternative a priori für unmöglich erklärt. Nun ist aber seine Ablehnung einer Wahl selbst ein ganz unhaltbarer Standpunkt; auf Orientierung in der empirisch gegebenen Welt freiwillig verzichten, heißt aufhören, Mensch zu sein. Ob der Mensch unter Umständen fähig ist, auf das Handeln zu verzichten, mag hier dahingestellt bleiben, daß er aber auf das Denken gar nicht verzichten kann, solange er lebt, das kann keinem Zweifel unterliegen. Auf die nähere Untersuchung der Alternative verzichten, deren Entscheidung uns erst die Grundlage bieten kann zu einer Orientierung in der Welt, heißt aber: auf das Denken selber verzichten. Darum ist der Skeptizismus in seiner Reinheit nur eine künstliche Fiktion, die auf der unstatthaften Voraussetzung ruht, daß es dem Menschen möglich ist, vom Denken selber willkürlich zu abstrahieren; der Gedanke im Stadium des Denkverzichts ist eine abstrakte Fiktion ohne allen tatsächlichen Boden und ohne philosophischen Wert. Es hat noch keinen Skeptiker gegeben, der diesem abstrakten Ideal des Skeptizismus entsprochen hätte, und wird auch nie einen geben, weil es keinen geben kann. Auch VAIHINGER ist ebenso wie LANGE tatsächlich ein transzendentaler Realist, hat also seine Entscheidung trotz seiner proklamierten Wahlenthaltung ebenso wie ich getroffen, was ich bald näher darlegen werde. Daß außerdem alle Skeptiker und subjektiven Idealisten ihr praktisches Verhalten so einrichten, als ob die Hypothese des transzendentalen Realismus eine objektive Wahrheit wäre, braucht ebenso wenig besonders erwähnt zu werden, als daß sie bei den Folgen dieses Verhaltens die Voraussetzung, auf welche dasselbe gebaut war, noch niemals desavouiert gesehen haben. Ist VAIHINGERs Wahlenthaltung ebenso unausführbar wie unwissenschaftlich, so haben wir festzustellen, daß die Alternative lautet: transzendenter Realismus oder absoluter Jllusionismus. Da VAIHINGER diese Alternative einräumt, so gibt er damit eo ipso [schlechthin - wp] zu, daß, wenn die Wahrscheinlichkeit der einen Seite derselben = 1/x gesetzt wird, die der anderen = 1 - 1/x ist, oder mit anderen Worten, daß die Wahrscheinlichkeit 1 auf beide Seiten zu repartieren ist; - denn das ist der logische Sinn des Ausdrucks Alternative. Je geringer die Wahrscheinlichkeit der einen Seite wird, umso größer wir die der anderen. Gesetzt also, die Wahrscheinlichkeit, daß die subjektive Erscheinungswelt ein Schein ohne Wesen, eine absolute Jllusion ist, wäre der Null sehr nahe, so würde die Wahrscheinlichkeit des transzendentalen Realismus der Eins (oder Gewißheit) sehr nahe sein. Dies ist der Sinn von VAIHINGERs Bemerkung, daß ich den absoluten Jllusionismus "den philosophischen Kindern als Popanz vorzuhalten pflege" (Seite 38). Tatsächlich hat noch niemand gewagt, den absoluten Jllusionismus zu verteidigen, ebensowenig wie Jemand versucht hat, meine Behauptung zu widerlegen, daß der transzendentale Realismus die gegebene Welt der subjektiven Erscheinung erklärt, d. h. verständlich macht und von Widersprüchen befreit, - eine Behauptung, der VAIHINGER "höchstens ein Lächeln abgewinnen kann" (Seite 224). Ist die Aufgabe der Philosophie die "Erklärung des Gegebenen", so ist der Jllusionismus ebenso wie der Skeptizismus Unphilosophie, und nur der Kritizismus ist wirklich Philosophie, insofern er als transzendentaler Realismus die Aufgabe der Philosophie für das Gebiet der Erkenntnistheorie löst und erfüllt, und dadurch zumindest den Boden bereitet, auf dem die weiteren Aufgaben der Wissenschaft, und speziell der Philosophie, in Angriff genommen werden können. Wenn dieses Resultat noch einer Bestätigung bedarf, so ist die Betrachtung der exakten Wissenschaften in ihren Beziehungen zur Philosophie geeignet, dieselbe zu liefern. transzendenter Realismus Die ganze moderne Naturwissenschaft - ja überhaupt die ganze moderne Wissenschaft - ist Wissenschaft nur unter der Bedingung, daß der transzendentale Realismus, unter dessen Schablone die Naturforscher die Welt denken, Wahrheit ist; daß dieselben zwar genötigt sind, sie auf diese Weise zu denken, daß aber dies gar nichts damit zu tun hat, ob dem wirklich so ist, dieser Gedanke würde vermutlich den Naturforschern höchstens - ein Lächeln abgewinnen. Die gesamten historischen und Naturwissenschaften fußen auf der Wahrheit des transzendentalen Realismus, und hören mit der objektiven Gültigkeit desselben auf, Wissenschaften zu sein, indem sie zu subjektiven Begriffsdichtungen ohen alle objektive Bedeutung herabsinken, an denen nur unphilosophische Kinder sich ergötzen können. Deshalb muß ich mit voller Schärfe aufrecht erhalten, was ich anderwärts gesagt habe (7), daß überhaupt nur die transzendentalen Realisten unter den Philosophen mit der Naturwissenschaft im Einklang sein können, aber niemals subjektive Idealisten wie LANGE, oder subjektivistische Skeptiker, wie VAIHINGER einer sein will. Der transzendentale Realismus ist der unerläßliche gemeinsame Boden, um überhaupt von irgendeiner Übereinstimmung mit der Naturwissenschaft reden zu können, mag dieselbe nun eine größere oder geringere sein. Ohne diesen gemeinsamen Boden können alle sonstigen wörtlichen Übereinstimmungen nur den falschen Schein einer sachlichen Übereinstimmung erwecken, insofern dieselben Worte von den Philosophen idealistisch, von den Naturforscher realistisch verstanden werden. Darum beruth LANGEs ganze Prätension einer Übereinstimmung mit der Naturwissenschaft auf reiner Erschleichung, durch die leider auf viele Naturforscher sich haben täuschen lassen. So gewiß die moderne Naturwissenschaft LANGEs und meine Ansicht unterstützt, daß die Anschauungs- (und Denk-) Formen subjektiven Ursprungs sind, so gewiß perhorresziert [ablehnen - ab] sie mit mir die Annahme LANGEs, daß durch den subjektiven Ursprung dieser Formen ihre Gültigkeit und Bedeutung auf die "bloß" subjektive Sphäre des Bewußtseinsinhalts eingeschränkt würden, weil dieses negative Dogma jeder Begründung entbehrt und dem kritischen oder transzendentalen Realismus widerspricht (8). Die Naturwissenschaft gibt also eine "Rechtfertigung des Kantianismus" (Seite 56) gerade nur insofern, als auch ich Kantianer bin, d. h. als die Wahrheit des subjektiven Idealismus zum aufgehobenen Moment im transzedentalen Realismus herabgesetzt ist, aber keineswegs der einseitig idealistischen Schule des Kantianismus, die sich völlig von der Naturwissenschaft, überhaupt von den Realwissenschaften und dem ganze realistischen modernen Bewußtsein entfernt. Die Naturwissenschaft ist nur deshalb Wissenschaft, weil sie das Wirkliche, die gegebenen Erscheinungen erklärt; ihre Erklärungen aber betreffen ausschließlich transzendente Ursachen, deren Beziehungen untereinander und auf unsere Sinne. Wer der Naturwissenschaft die transzendente Kausalität abschneidet, macht ihr das Erklären der gegebenen Wirklichkeit unmöglich; wer das Erklären der Wirklichkeit für unmöglich erklärt, hebt damit nicht nur die Möglichkeit der Philosophie, sondern auch der Naturwissenschaft als Wissenschaft auf. Wer dem menschlichen Erkennen nicht bloß die Fähigkeit abspricht, zur Wahrheit, sondern auch diejenige, zur Wahrscheinlichkeit zu gelangen (Seite 68), der negiert damit nicht bloß die Philosophie, sondern die Wissenschaft schlechthin. Ursachen innerhalb der subjektiven Erscheinungswelt, d. h. innerhalb des Bewußtseinsinhalts aufzusuchen (Seite 63), ist lediglich Aufgabe der Psychologie, nicht der Physik; da aber ohne vorherige Orientierung in der objektiven Welt auch keine Psychologie möglich ist, so ist auch hier jeder Faden abgeschnitten. Es ist nicht mehr ersichtlich, inwiefern Ursachen, die innerhalb der Erfahrung liegen, einen Vorzug haben sollen vor solchen außerhalb derselben (Seite 63), wenn doch die ganze Erfahrung nur ein phenomenon ist, das man keineswegs mit LEIBNIZ bene fundatum nennen kann (Seite 59), wenn die ganze Welt der Erfahrung nur ein Produkt der subjektiven Geistestätigkeit, des Geistes ureigene Schöpfung ist, und nur durch Jllusion für ein von außen gegebenes Resultat gehalten wird. (Seite 59) Als intellektueller Instinkt ist die Kausalität durchaus nur in ihrer transzendenten Bedeutung unserer Organisation eingepflanzt, und VAIHINGER selbst gibt dies zu (Seite 67 oben). Zu behaupten, daß wir einen Instinkt hätten, unsere immanenten Vorstellungen kausal aufeinander zu beziehen, ist eine idealistische Verdrehung der Tatsachen, welche sich durch den Unsinn, der bei jedem Versuch einer Durchführung dieser immanenten Kausalität zutage kommt, bestraft; nur die instinktiv supponierten Dinge-ansich, welche uns durch unsere Vorstellungsobjekte für das Bewußtsein repräsentiert werden, sind wir durch unsere Organisation instinktiv genötigt, in ihren Veränderungen kausal aufeinander zu beziehen. Wenn aber dieser Instinkt uns keine Wahrheit bietet, wenn die Kausalität die transzendentale Bedeutung, die sie uns instinktiv vorspiegelt, nicht besitzt, wenn sie mit anderen Worten eine Jllusion ist, dann ist auch der ganze vermeintlich wahre Wissenschaftsbau, das ganze Weltbild, das die Naturwissenschaft auf dem Fundament dieses trügerischen Instinkts aufführt, ein wahrheitsloses Phantasiegebilde, eine Begriffsdichtung ohne objektive Bedeutung, genau in demselben Sinn, wie die Philosophie nach LANGE eine solche ist, - dann hat es aber auch keinen Sinn mehr, die Naturwissenschaft als exakte Wissenschaft der Philosophie gegenüberzustellen, und aus dem Vorzug der Exaktheit der Erfahrungswissenschaft Rückschlüsse auf den Vorzug der innerhalb der Erfahrung aufgesuchten Ursachen zu machen (Seite 63). und Naturwissenschaft Vom Standpunkt des subjektiven Idealismus verschwindet jeder Vorzug der Wissenschaftlichkeit, den LANGE und VAIHINGER ganz mit Unrecht der Kausalität vor der Teleologie zuschreiben. Ist ihnen gleich die Teleologie "eine rein subjektive Kategorie" (Seite 115), so gilt genau dasselbe auch für die Kausalität; entbehrt die Zweckvorstellung der transzendenten Bedeutung, so ist das bei der Vorstellung einer realen Ursache nicht weniger der Fall; duldet die Kategorie der Kausalität nichts anderes neben sich, und will sie Alleinherrscherin sein (Seite 64), so läßt sich dasselbe von der Teleologie mit gleichem Recht behaupten. VAIHINGER kann daraus nur das folgern, daß Kausalität und Teleologie einer der ursprünglichen, unlösbaren Antinomien unserer Organisation bilden, deren beide Seiten gleiches Recht an uns haben, und deren keine gegen die andere zurückgesetzt werden darf, die uns aber beide mit der Vorspiegelung, uns Wahrheit zu vermitteln, in gleicher Weise täuschen. Eine kausale Erklärung läßt die teleologische Beziehung unbegriffen, und eine teleologische Erklärung läßt die kausale Vermittlung unverstanden; eine kausale Erklärung ist keine teleologische Erklärung und eine teleologische Erklärung ist keine kausale Erklärung, aber beide sind Erklärungen, insofern sie uns über Beziehungen orientieren, welche anzuerkennen wir durch unsere Organisation genötigt sind. Beschränkt sich nun eine Spezialwissenschaft, wie z. B. die Naturwissenschaft, auf die Untersuchung kausaler Beziehungen, so muß sie natürlich über eine teleologische Erklärung das Urteil abgeben, daß das keine naturwissenschaftliche Erklärung ist; mit demselben Recht wird aber eine andere Wissenschaft, z. B. die Philosophie, welche sich die Aufgabe stellt, die Welt nach allen Richtungen zu verstehen, über eine kausale Erklärung der Naturwissenschaft das Urteil abgeben, daß damit für das philosophische Verständnis der fraglichen Erscheinung noch wenig oder gar nichts gewonnen ist. Wenn es eine Philosophie gäbe, welche jede kausale Erklärung als wissenschaftlich völlig wertlos, also als keine Erklärung, zurückweist, dann würde nach LANGEs Prinzipien das Recht zwischen einer solchen Philosophie und der anti-teleologischen Naturwissenschaft gleich verteilt sein; sie würden als wissenschaftliche Disziplinen die angebliche Antinomie unserer geistigen Organisation getreu widerspiegeln. Eine solche Philosophie gibt es aber nicht. Nur die Naturwissenschaft hat sich in einem Teil ihrer Vertreter zu der unbesonnenen Einseitigkeit hinreißen lassen, der teleologischen Erklärung jedes Recht abzusprechen; die Philosophie dagegen hat sich stets soviel kritische Besonnenheit bewahrt, die relative Bedeutung, ja sogar die Unentbehrlichkeit der kausalen Erklärung zuzugeben, wenn sie auch meist ihre Unzulänglichkeit und Ergänzungsbedürftigkeit betont hat. Wenn LANGE und VAIHINGER sich zu Schleppenträgern jenes unbesonnenen Teils der Vertreter der Naturwissenschaft hergeben, so schlagen sie damit nicht nur, wie gezeigt, ihren eigenen Prinzipien ins Gesicht, sondern sie fördern auch nicht einmal die Versöhnung von Naturwissenschaft und Philosophie, wie ihre Absicht ist. Wenn die Philosophie zum Selbstmord schreitet, um ihren Thron für die Naturwissenschaft vakant zu machen, so ist das eben keine Versöhnung zweier Streitender mehr; wenn aber die Naturwissenschaft eine Philosophie belobigt, die sich freiwillig beerdigt, so triumphiert sie zu früh, da die Prinzipien dieser Philosophie, wie gezeigt, gleich vernichtend für die Naturwissenschaft wie für die Philosophie sind. Vielleicht aber findet VAIHINGER seinen klassischen Begriff der "negativen Versöhnung" gerade an diesem Beispiel in idealer Weise realisiert: die negative Versöhnung zwischen Philosophie und Naturwissenschaft bestände danach darin, beide für gleich unmöglich zu erklären. Ich bezweifle nur, daß die Naturwissenschaft sich für eine solche Versöhnung mit der Philosophie dankbar erweisen wird. Die positive Versöhnung hingegen müßte darin bestehen, daß man erstens die Naturwissenschaft in ihrer Beschränkung auf kausale Zusammenhänge als berechtigtes und unentbehrliches Glied der gesamten Erkenntnis anerkennt, und zweitens die fragliche Antinomie zwischen Kausalität und Teleologie, durch welche die Naturwissenschaft ihrerseits sich von der Anerkennung der Philosophie abhalten lassen würde, als eine bloß scheinbare darstellt, indem man sie durch die Aufstellung ihrer höheren Synthese (der logischen Notwendigkeit) löst. Diesen Weg habe ich eingeschlagen und an verschiedenen Orten zu begründen versuchte. VAIHINGER hat von diesen Bestrebungen in seiner Schrift keine Notiz genommen; vielmehr behauptet er, ohne jede Begründung, was ich anderwärts (9) bereits ausführlich widerlegt habe, daß die transzendente Gültigkeit der Zweckvorstellung eine Durchbrechung (von mir ausdrücklich anerkannten) Gesetzes der Erhaltung der Kraft involvieren würde (Seite 103 und 105), und dekretiert lediglich auf diese unbegründete und unzutreffende Behauptung gestützt, daß meine Teleologie "der Naturwissenschaft inst Gesicht schlägt" (Seite 71). Er behauptet ferner, daß ich das Prinzip der Lebenskraft in optima forma wieder einführe (Seite 82), während ich ausdrücklich erkläre, daß "Lebenskraft" für die organisierende Tätigkeit des Unbewußten eine ganz unpassende Bezeichnung ist, weil keine Kraft im Sinne der Mechanik dabei ausgeübt, also auch keine nach mechanischen Äquivalenten meßbare Arbeit dabei geleistet wird (Seite 115). Er verkennt eben, daß alle mechanische Arbeit bei mir rein von den Atomen geleistet wird, während die organisierenden Funktionen des Unbewußten nur für die Art und Weise, für die Form, in der die mechanischen Atomkräfte kooperieren, mitbestimmend wirken; nur weil er gar nicht versteht, daß alle höheren Funktionen des Unbewußten nichts weniger als mechanische Kraftgrößen repräsentieren, kann er sich darüber wundern, daß diese
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1) Auch ich habe eine solche Grenze angegeben (vgl. "Philosophie des Unbewußten", am Schluß) und nur behauptet, daß die Aufstellung engerer Grenzen diesseits jener von mir bezeichneten irrtümlich und unbegründet ist. (Hiernach ist Vaihingers Bemerkung Seite 41, Zeile 13-9 von unten zu berichtigen.) 2) Wenn nur der ein kritischer Philosoph heißen dürfte, der niemals in der Praxis gegen sein Prinzip verstoßen hätte, dann wäre es überhaupt nicht menschenmöglich, diesen Titel zu verdienen. Es kann der Standpunkt eines Philosophen nicht darum vom Kritizismus ausgeschlossen werden, weil es etwa gelingt, ihm nachzuweisen, daß er einzelne Behauptungen ohne genügende Begründung aufgestellt hat. 3) Man kann den Widersinn von Vaihingers Aufgabenbestimmung durch eine Zusammenstellung folgender Definitionen illustrieren: "Wissenschaftlich ist diejenige Philosophie, welche die Unwissenschaftlichkeit der Philosophie behauptet." Und - "Unwissenschaftlich ist diejenige Philosophie, welche die Wissenschaftlichkeit der Philosophie behauptet." Diese Definitionen geben zugleich einen Anhaltspunkt, um im Sinne des Neukantianismus zu bestimmen, zu welcher von beiden Arten eine Philosophie gehören muß, welche auf dem Titel (z. B. eines Buches oder einer Zeitschrift) von sich behauptet, daß sie wissenschaftlich ist. 4) Dies verkennt Vaihinger auf Seite 10, Zeilen 9-12. 5) Wenn unter "Erfahrungswelt" hier die Welt der subjektiven Erscheinung verstanden werden soll, so ist dieser Satz grundfalsch. 6) Den Beweis hierfür habe ich geliefert in meiner "Kritischen Grundlegung des transzendentalen Realismus": V. "Transzendente und immanente Kausalität", speziell Seite 78-95. Gegen die dort geführte Argumentation hat die gesamte idealistische Schule Kants noch keinen Einspruch zu erheben versucht. 7) "Kritische Grundlegung des transzendentalen Realismus", Seite 90-95; "Philosophie des Unbewußten", siebte Auflage, Bd. 1, Seite 462-465 und 449-451. Wenn Vaihinger die erstere Stelle "logisch das Schwächste in dem sonst so ungemein scharfsinnigen Buch" nennt, so finde ich darin ebensowenig eine Widerlegung, als wenn er meine berechtigte und gebotene Abwehr gegen Langes mehr als "bissige" Angriffe zu einer "Vergeltung" erniedrigt. 8) Vaihinger befindet sich bei der Behandlung dieser Frage mitten in der Konfusion der Idealisten zwischen "Subjektivität" und "bloßer Subjektivität" (Seite 216). 9) "Wahrheit und Irrtum im Darwinismus", Kapitel VII, Seite 166-174 und "Philosophie des Unbewußten", siebte Auflage, Bd. 1, Seite 393-396. |