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PAUL JULIUS MÖBIUS
Die Hoffnungslosigkeit aller Psychologie
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"Wenn ein junger Mensch sich der Psychologie nähert, so hofft er einen befriedigenden Aufschluß über das Seelenleben zu erhalten, diese Hoffnung aber kann die empirische Psychologie niemals erfüllen. Sie lehrt dies, sie lehrt jenes, ihre Lehren sind zum Teil auch praktisch wertvoll, aber man wird nicht satt dabei. Scheinbar steht alles herrlich, überall wird mit dem größten Eifer gearbeitet, auf der ganzen Erde entstehen psychologische Laboratorien und die Literatur ist zu einem kaum mehr übersehbaren Strom angeschwollen. Aber alles, was herauskommt, ist, derb gesagt, Kleinkram."

"Es ist uns sozusagen natürlich, den Blick auf die Außenwelt zu richten, es ist unnatürlich, den Blick nach innen zu richten. Wir können uns einem Menschen vergleichen, der von einem dunklen Zimmer aus durch ein kleines Fenster die sonnenbeschienene Welt betrachtet: Draußen ist alles leicht unterscheidbar, kehrt er sich aber um, so findet er sich schwer in seiner dunklen Behausung zurecht. Im Innern finden wir einen Strom nur zeitlich geordneter Erlebnisse, die nicht nur des Maßes spotten, sondern auch wie ziehende Wolken zerfließen, wenn wir sie festhalten wollen."

"Eine Psychologie, die den Anspruch der Allgemeingültigkeit erhebt, ist Metaphysik."


Vorbemerkung

Wenn ich von Psychologie rede, so gebrauche ich das Wort in dem jetzt allgemein üblichen Sinn, in dem es eine sich nur auf Erfahrung gründende Wissenschaft bedeutet, und diese empirische Psychologie nenne ich hoffnungslos. Ich will damit natürlich nicht sagen, daß sie wertlos ist. Vielmehr soll der große Wert ihrer Leistungen durchaus nicht angetastet werden, nur ihrer Selbstgenügsamkeit trete ich entgegen. Wenn sie von der Philosophie nichts mehr wissen will, sich als selbständige Naturwissenschaft ansieht und ungefähr das zu leisten beansprucht, was die Physik auf ihrem Feld leistet, so vergißt sie, daß wir der äußeren Erfahrung ganz anders gegenüberstehen als der inneren, daß die Ergebnisse dieser immer dürftig und lückenhaft bleiben. Wenn ein junger Mensch sich der Psychologie nähert, so hofft er einen befriedigenden Aufschluß über das Seelenleben zu erhalten, diese Hoffnung aber kann die empirische Psychologie niemals erfüllen. Sie lehrt dies, sie lehrt jenes, ihre Lehren sind zum Teil auch praktisch wertvoll, aber man wird nicht satt dabei. Scheinbar steht alles herrlich, überall wird mit dem größten Eifer gearbeitet, auf der ganzen Erde entstehen psychologische Laboratorien und die Literatur ist zu einem kaum mehr übersehbaren Strom angeschwollen. Aber alles, was herauskommt, ist, derb gesagt, Kleinkram. Wäre es so, daß die Häufung der Erörterungen und Versuche nur die notwendige Vorarbeit wäre, daß man es mit der Masse zwingen könnte, so wäre ja alles gut, aber in Wirklichkeit gelangt man auf dem jetzt eingeschlagenen Weg nie zum Ziel, weil die Lücken unserer Einsicht auch durch eine bis ins Unendliche vermehrte Kleinarbeit nicht ausgefüllt werden können. Entweder muß die Psychologie dürr und oberflächlich bleiben, oder sie muß die Metaphysik zu Hilfe rufen. Das ist es, worauf ich hinaus will. Aber, heißt es, wir sind streng wissenschaftlich, und Metaphysik ist doch keine Wissenschaft! Will jemand von einem Schluß, der über die Möglichkeit der Erfahrung hinausgeht, nichts wissen, so ist das seine Sache, aber er hat kein Recht, den anderen unwissenschaftlich zu nennen. Wissenschaftlich und gewissenhaft sind doch miteinander verwandt. Wenn jemand gewissenhaft prüft, wie weit die Erfahrung trägt, und dann mit dem Hinweis auf die Grenze und im Sinn der Erfahrung gewissenhaft Vermutungen über das Unerfahrbare bildet, so verfährt er ebenso wissenschaftlich wie einer, der Statistik treibt oder im Laboratorium Experimente macht. Nicht wenige von Denen, die von der Philosophie geringschätzig reden, tun es deshalb, weil sie das Denken zu sehr anstrengt, und prüft man ihre Sachen, so findet man überall versteckte Metaphysik, weil ihnen die Klarheit abgeht, zwischen Urteil und Vorurteil zu unterscheiden.

Es versteht sich von selbst, daß ich im folgenden Aufsatz nichts Abgeschlossenes, nur Anregungen bieten kann. Auch wende ich mich nicht an die gelehrten Herren, die schon alles wissen, sondern ich habe beim Schreiben hauptsächlich an Die gedacht, die von der Naturwissenschaft herkommen und noch das Bedürfnis haben, sich auf psychologischem Gebiet zurecht zu finden. Daß die Leser mir ohne Weiteres zustimmen, erwarte ich nicht; ich will zufrieden sein, wenn sie mich auf dem Weg mit seinen Biegungen begleiten und meine Ansichten zumindest für zulässig halten.


Natur oder Physis ist die Gesamtheit des sinnlich Wahrnehmbaren, und Naturwissenschaft das System unserer Kenntnisse davon. Zur Natur gehört nicht nur alles, was unsere Sinne wahrnehmen, sondern auch das, was wir aus den Wahrnehmungen erschließen. Denn die Wissenschaft gibt nicht nur eine Übersicht über das, was die Natur uns bietet, was Gegenstand der beschreibenden Naturwissenschaft ist, sondern sie will auch als erklärende Naturwissenschaft Einsicht in den Zusammenhang der Erscheinungen gewinnen, deren Gesetze erkennen. Dabei aber ist sie genötigt, zu den wahrnehmbaren andere, nichtwahrnehmbare Vorgänge hinzuzudenken (z. B. die magnetischen und die elektrischen Vorgänge). Immer müssen die erschlossenen Vorgänge als den wahrnehmbaren gleichartig gedacht werden, da sie doch sozusagen mit ihnen eine Kette bilden. Wären unsere Sinne anders beschaffen, so würden wir auch die magnetischen Vorgänge fühlen können, wir sind jedoch auch so davon überzeugt, daß diese von den Vorgängen, die das Auge als Licht, und von denen, die das Gefühl als Wärme wahrnimmt, grundsätzlich nicht verschieden sind. Wie Natur und Physis gleiche Bedeutung haben, so ist auch naturwissenschaftlich soviel wie physikalisch. Alles, was wir nur in unserem Inneren finden, was uns nur durch innere Erfahrung bekannt wird, gehört nach dieser Auffassung, die der Einteilung der Wissenschaft zugrunde gelegt wurde, nicht zur Natur, ist nicht Gegenstand der Naturwissenschaft.

Begriff der Psychologie. Die nur innerlich erfaßbaren Erscheinungen werden Seele, Psyche genannt, und die Lehre von ihnen, die Psychologie, kann nicht ein Teil der Naturwissenschaft sein. In einem ähnlichen Sinn setzt man ja auch Natur und Mensch einander gegenüber, d. h. man bezweifelt nicht, daß der Mensch soweit, wie er wahrnehmbar ist, zur Natur gehört, aber man will sagen, daß der Mensch, indem er denkt und fühlt, etwas anderes ist als Natur.

Will man die Psychologie an die Naturwissenschaft anknüpfen, wie es in der neueren Zeit auf gute Gründe hin erstrebt wird, so ist dagegen nichts zu sagen, nur wird dadurch nicht die Psychologie zu einer Naturwissenschaft im eigentlichen Sinn des Wortes. Es bleibt dabei, daß die Naturwissenschaft alle Erscheinungen von ihrem Standpunkt aus, d. h. physikalisch aufzufassen hat, und daß es in ihr keine anderen als physikalische Erklärungen gibt. Die Physik kann auf eine Erklärung verzichten, sie kann aber nicht an die Stelle einer physikalischen eine psychologische Erklärung setzen. Umgekehrt gelten physikalische Erklärungen in der Psychologie nichts.

Begriff der Physiologie. Die Gefahr, die Trennung beider Gebiete zu verkennen, tritt hervor, wenn sich die Physik den lebenden Wesen zuwendet, Physiologie wird. Es ist jedoch ersichtlich, daß auch hier die Physis physikalisch zu erfassen ist. Bereitete man eine physiologische Psychologie durch Vermischen von Physik und Psychologie, so würde eine abscheuliche Mißgeburt entstehen. Man kann fragen, in welchen Beziehungen physikalische und psychische Erscheinungen stehen, wie es in der Psychophysik und weiterhin in der Metaphysik geschieht, aber der Zusammenhang der physikalischen Erscheinungen, den wir als Kausalzusammenhang denken, darf nicht gesprengt werden.

Nun hat sich freilich die Wissenschaft aus der Denkweise des täglichen Lebens heraus entwickelt, und manches erinnert auch heute noch an ihre "vulgäre" Herkunft. Unsere Vorfahren, deren Denken in der Sprache aufbewahrt ist, waren, wie man es nicht anders erwarten kann, ganz unbedenkliche Anthropomorphist [auf das Menschliche fixiert - wp]. Sie glaubten ihr Inneres draussen zu wiederzufinden, und sahen überall menschliche Art, menschliches Fühlen. Es hat daher die Sprache die Entwicklung der wissenschaftlichen Auffassung sehr erschwert, und erst allmählich ist die Physik zu so gereinigten Begriffen gelangt, daß Jeder die naiv anthropomorphistischen Wendungen als bloße facon de parler [Sprachgewohnheiten - wp] erkennt. Man sagt z. B. noch, ein Körper strebe zu fallen, oder die Massen drängen zueinander, aber Jeder weiß, ees gibt da nichts als Gesetze der Bewegung. Jedoch nur die Physik in einem engeren Sinn des Wortes ist soweit, die Physik der lebenden Wesen oder die Physiologie durchaus nicht. Ja, vielfach ist man sich noch nicht einmal klar darüber, daß die Physiologie, die doch Naturwissenschaft sein will, nur mit naturwissenschaftlichen Begriffen arbeiten darf.

Unreine physiologische Begriffe. ENGELMANN z. B. sagt, lebendiges Protoplasma (1) bewegt sich selbständig, und die Bewegungen sind zurückzuführen auf die aktive Formveränderung der kleinsten Teilchen. In der Naturwissenschaft bewegt nichts sich selbst, und Aktivität ist ein Begriff, der ganz der inneren Erfahrung angehört. Die Erklärung ENGELMANNs ist also eigentlich metaphysikalisch. Der Physiologe kann nur sagen, er glaube zwar, daß die Bewegungen lebender Wesen in den allgemeinen Kausalzusammenhang einzufügen sind, aber sie sind doch durchaus eigenartig und geheimnisvoll. Überhaupt dürfte die Beschränkung auf naturwissenschaftliche Begriffe erst darlegen, wie arm tatsächlich die Physiologie ist. Ihre Begriffe sind zum großen Teil Verneinungen und durchaus nicht alle klar. Die lebenden Wesen kann man leidlich kennzeichnen, wenn man sagt, sie entstehen durch die Teilung von Zellen, haben einen Stoffwechsel, können wachsen und sterben (d. h. in die Klasse der anderen Körper zurückkehren). Nimmt sich nun die Physik der lebendigen Zellen an, so findet sie, daß in ihnen alle Gesetze gelten, die ihr bekannt sind, daß aber außerdem noch etwas da ist, eben das, was beim Sterben verschwindet. Es zeigt sich, daß bei Einwirkungen vielfach andere Wirkungen zutage treten, als die aus der engeren Physik bekannten, und dann spricht man nicht mehr von Ursache schlechthin, sondern von Reiz. Dieser Begriff, der gewöhnlich sehr unbefangen angewendet wird, ist also recht leer: Veränderung, die die den lebenden Wesen eigentümlichen Veränderungen bewirkt. Der Erfolg des Reizes heißt Reaktion (anthropomorphistisches Wort!), wobei man auch weiter nichts erfährt. Die meisten Reaktioinen sind Bewegungen, und die werden nun in Klassen geteilt. Da wird der Begriff des Reflexes wichtig. Ich weiß nicht, wer zuerst das Wort Reflex gebraucht hat, aber es ist ersichtlich, daß ein Vergleich aus der Optik vorliegt. Wie ein auf eine spiegelnde Fläche auffallender Lichtstrahl in einem bestimmten Winkel zurückgeworfen wird, so folgt auf einen Reiz sofort eine bestimmte Bewegung. Weiterhin ist der Begriff verschieden abgegrenzt worden gegen die willkürlichen Bewegungen, gegen die instinktiven Bewegungen, gegen die sogenannten automatischen Bewegungen. Der Eine hat betont, daß die reflektorische Bewegung unserem Willen entzogen ist, der Andere, daß sie "ohne Bewußtsein", oder, wie der physiologische Metaphysiker sagt, "rein mechanisch" vor sich geht. Welche Anstrengung eine Definition kostet, möge man aus der ECKHARDs entnehmen:
    "Der Begriff der reflektorischen Erscheinungen ist jetzt dahin fixiert, daß uner diesen vom Willen unabhängige Tätigkeiten im Bereich peripherischer Nerven bestimmter physiologischer Funktion verstanden werden, welche durch primäre Erregung von anderen Nerven dergestalt hervorgerufen werden, daß dabei ein Zwischenglied zu unterstellen und auch bis zu einem gewissen Grad nachzuweisen ist, welches einen anderen Bau und damit auch eine andere Wirkungsart besitzt, welche wir aus den uns bekannten Eigenschaften peripherischer Nerven nicht ableiten können."
Man könnte Verschiedenes dazu bemerken, auf jeden Fall aber ist auch hier der ganz und gar nicht physiologische Begriff des Willens eingeführt. Unter den Jüngeren haben manche das Unzulässige aller bisherigen Reflexdefinitionen eingesehen, haben unter Reflex alle Reaktionen oder Antworten eines lebenden Wesens auf Reize verstanden. Dadurch ist der Anstoß beseitigt, aber freilich mit der Dehnung des Umfangs der Inhalt des Begriffs sehr vermindert worden. Naturwissenschaftlich aber ist es korrekt.

Ob der Versuch, die Physiologie rein naturwissenschaftlich zu fassen, schon jemals, etwa im Lehrbuch, durchgeführt worden ist, das weiß ich nicht. Wahrscheinlich ist es nicht geschehen, aber es wäre sehr lehrreich. Überall wird in der Lehre von den Sinnesorganen Psychologie und Metaphysik getrieben, und es geht ja aus praktischen Gründen nicht anders. Aber die Physiologen sollten sich doch darüber klar sein, daß sie nicht das mindeste Recht haben, zu sagen, ein Lichtstrahl oder ein anderer Reiz bewirke eine Empfindung. Ein Lichtstrahl bewirkt Veränderungen in der Netzhaut, in den von ihr ausgehenden Nervenfasern und im Gehirn. Aus der inneren Erfahrung wissen wir, daß auf die Beleuchtung des Auges das Sehen folgt, unter welchen Bedingungen wir eine Farbempfindung haben, usw., aber die Naturwissenschaft geht das eigentlich nichts an. Umgekehrt: es wird überall unbedenklich gelehrt, der Wille bewirke Bewegungen, hebe die Hand usw. Die zureichende Ursache der Zusammenziehung der Muskeln sind Veränderungen in den Nerven und im Gehirn; daß zwischen ihr und einem "Willen" ein ursächlicher Zusammenhang besteht, das ist eine zumindest unbeweisbare metaphysikalische Behauptung, die ein gewissenhafter Physiologe verabscheuen muß. Man bedenke nur, daß mit der Annahme eines Bewegung bewirkenden Willens und eines Empfindung bewirkenden Reizes ein Wunder verlangt wird. Manche reden sich darauf hinaus, daß die gesetzliche Verknüpfung materieller und innerlich wahrnehmbarer Veränderungen als kausale aufgefaßt werden kann, da wir doch auch sonst in der Natur nur durch regelmäßige Aufeinanderfolgen zur Annahme kausaler Zusammenhänge geführt werden, und von vornherein der influxus physicus [physischer Einfluß des Leibes auf die Seele - wp] keinen Widerspruch enthält. Den Einwurf, daß die materiellen Veränderungen im Gehirn und die ihnen zugeordneten seelischen Vorgänge nicht nacheinander, sondern gleichzeitig sind, weisen sie damit zurück, daß im Grunde darüber nichts bekannt ist. Jedoch die Verteidiger des influxus physicus vergessen, daß die vom Reiz im Organismus hervorgerufenen Veränderungen eine Kette bilden, die keine Lücke läßt. Der Erregungsvorgang setzt sich vom Sinnesorgan bis zum Bewegungsorgan fort, welcher Physiologe wird das leugnen? Und doch soll irgendwo außer der natürlichen Wirkung noch eine unerhörte Wirkung in das Seelische hinein oder aus dem Seelischen heraus stattfinden. Also eine zauberhafte Doppelwirkung! Wer kann das glauben? Man kann kurz sagen, daß die Physiologie sich bis jetzt ihren Charakter als Naturwissenschaft nicht klargemacht hat, daß sie vielmehr unbedenklich von den naiven Voraussetzungen des Alltagslebens ausgegangen ist und mit den Redewendungen auch die populären Gedanken übernommen hat.

Jedoch soll und kann die begriffliche Trennung nicht eine tatsächliche sein. Vielmehr wird es dem Physiologen nicht zu verargen sein, wenn er auch die Erfahrungen seines Inneren in Betracht zieht und auch als Psychologe spricht. Nur muß dann das Populäre aufhören, es müssen die Begriffe mit derselben Sorgfalt behandelt werden, mit der der Physiker seine Begriffe behandelt.

Behandlung psychologischer Begriffe. Ja, wegen der Schwierigkeit der psychologischen Begriffe müßte die Vorsicht verdreifacht werden. Vor allem muß daran festgehalten werden, daß wir dem Psychologischen ganz anders gegenüberstehen als dem Physikalischen. In der Physik handelt es sich um Größen, die gemessen werden können, Alle können die räumlich-zeitlichen Verhältnisse klar und ruhig betrachten, und wenn auch nicht Jeder alles selbst erfahren kann, so ist doch immer die Möglichkeit der eigenen Erfahrung gegeben. Nicht nur die Formen der Anschauung, sondern auch die Begriffe, die unserem ganzen Denken zugrunde liegen, sind offenbar zur Bearbeitung der Sinnenwelt hergestellt. Es ist uns sozusagen natürlich, den Blick auf die Außenwelt zu richten, es ist unnatürlich, den Blick nach innen zu richten. Wir können uns einem Menschen vergleichen, der von einem dunklen Zimmer aus durch ein kleines Fenster die sonnenbeschienene Welt betrachtet: Draußen ist alles leicht unterscheidbar, kehrt er sich aber um, so findet er sich schwer in seiner dunklen Behausung zurecht. Im Innern finden wir einen Strom nur zeitlich geordneter Erlebnisse, die nicht nur des Maßes spotten, sondern auch wie ziehende Wolken zerfließen, wenn wir sie festhalten wollen. Während sich das Ereignis vollzieht, können wir es nicht betrachten, und ist es vorüber, so verändert es sich sofort in der Erinnerung. Es liegt daher im Wesen der Sache, ist nicht zufällig, daß alle Psychologie etwas Verschwommenes hat, der Bestimmtheit der Naturwissenschaft durchaus ermangelt, daß in ihr eine Übereinstimmung vielfach ein frommer Wunsch ist und die Willkür der Lehrer Regel. Jeder kann nur an einer einzigen Stelle in das Innere sehen, nämlich in sich selbst. Er schreibt seinen Mitmenschen Ähnliches zu, wie er es in sich findet, aber er schließt nur darauf aus Analogie, egomorphistisch [ichzentriert - wp] sozusagen. Empirische Psychologie kann daher nur Selbstbeobachtung mit denkender Bearbeitung sein. Alles, was über die Möglichkeit der Erfahrung hinausgeht, nennen wir Metaphysik, eine Psychologie daher, die den Anspruch der Allgemeingültigkeit erhebt, ist Metaphysik.

Zusammenhang mit der Metaphysik. Erst recht Metaphysik ist jede Psychologie, die über den Menschen hinausgreift. Es ist daher nicht zulässig, Psychologie im herkömmlichen Sinn des Wortes zu treiben und die Metaphysik zu verspotten oder doch abzulehnen. Tritt der Physiologe auf das psychologische Gebiet, so ist er unrettbar der Metaphysik verfallen, so schrecklich das auch klingen mag, und es ist dann nicht vernünftig zu sagen, ein Stückchen gehe ich mit, aber weiter nicht. Indessen, allzu schlimm ist die Sache nicht, denn es gibt außer der schlechten auch gute Metaphysik. Ihre Kennzeichen sind, daß sie jederzeit von der Erfahrung ausgeht und nur im Sinne des Erfahrenen auf das jenseits der Möglichkeit der Erfahrung liegende schließt, und daß sie mit ihren Schlüssen zu Vermutungen gelangt, deren Gehalt an Wahrscheinlichkeit verschieden ist, die aber alle auf den Rang erwiesener Wahrheiten verzichten.

Es kann für die Psychologie keinen anderen Ausgangspunkt geben, als daß der Mensch sich auf die Vorgänge in seinem Inneren besinnt und sich mit Seinesgleichen über deren innere Erfahrungen bespricht. Auf diese Weise ist es jeder Zeit zugegangen, so ist auch die älteste und größte psychologische Leistung, die Bezeichnung der inneren Zustände mit Worten zustande gekommen. Ich wenigstens kann nicht anders, wenn ich die in der Sprache niedergelegte Psychologie mit der der Professoren vergleiche, als für jene Leistung des Sprachtriebes die innigste Verehrung zu fühlen. Leider ist durch die elende Sprachmengerei der Gelehrten und ihre abgegriffenen Kunstausdrücke die Arbeit der Vorfahren verhunzt worden. Aber auch heutzutage muß jeder von seinen eigenen Erfahrungen ausgehen, und er muß bei jedem Schritt seine Schlüsse mit der Wirklichkeit vergleichen, die er einzig und allein in sich findet. Außer den unvermeidlichen Schwierigkeiten der Selbstbeobachtung, die oft genug geschildert worden sind, und die den wunderlichen AUGUSTE COMTE dahin brachten, daß er von der Selbstbeobachtung überhaupt nichts wissen wollte, entstehen Schwierigkeiten durch die individuellen Umstände: Mangel an Urteilskraft, an Besonnenheit, an Übung einerseits, Voreingenommenheit durch Lehrmeinungen andererseits. Wollen verschiedene Beobachter ihre Beobachtungen vergleichen, so können sie es natürlich nicht direkt tun, sondern Jeder muß seine Erfahrungen in Worte fassen, und man ist selten darüber sicher, ob Zwei mit denselben Worten dasselbe meinen. Gelingt es durch Hin- und Herreden nicht, zu einer Übereinstimmung zu kommen, so ist eigentlich eine Widerlegung nicht möglich. Behauptet Einer, etwas in sich gefunden zu haben, was die anderen nicht gefunden haben, so kann ihn zwar die Majorität unterdrücken, aber widerlegen kann sie ihn nicht. Im Hinblick auf feinere Abweichungen stehen tatsächlich nicht selten Behauptungen gegen Behauptungen.

Die Hauptpflichten eines Psychologen scheinen mir die zu sein, daß er sich der schlichtesten Worte bedient, Schulausdrücke wie Gift meidet und daß er streng unterscheidet zwischen Erfahrenen und dem Erschlossenen. Schlichte Forderungen, die selten genug erfüllt werden.

Ist einmal durch Selbstbeobachtung und sprachliche Mitteilungen eine Art "Normalpsychologie" entstanden, so tritt der Schluß aus dem Verhalten auf die inneren Zustände als weitere Erkenntnisquelle hinzu. Dieses Verfahren ist da, wo eine sprachliche Mitteilung nicht möglich ist, das einzige Mittel. Es versteht sich von selbst, daß seine Zuverlässigkeit der Ähnlichkeit proportional ist. Bei jedem Analogieschluß wird ja von Gleichen auf Gleiches, von Ungleichem auf Ungleiches geschlossen. Vollkommene Gleichheit kommt überhaupt nicht vor. Die geringste Ungleichheit mag etwa bei manchen Zwillingen gefunden werden. Schon innerhalb der gleichen Familie sind durch den individuellen Charakter, durch Geschlecht und Alter Verschiedenheiten gegeben, die den Analogieschluß sehr erschweren. Dazu kommt im weiteren Kreis die Verschiedenheit der Stammesart, der Rasse, der Sprache. Die Normalpsychologie erweitert sich mehr und mehr zur vergleichenden Psychologie. Innerhalb des menschlichen Kreises bilden die schwierigsten Fälle der sogenannte Wilde, das junge Kind und der geistig veränderte Kranke. In einem engeren Sinn aber spricht man von vergleichender Psychologie erst dann, wenn der Analogieschluß über die menschliche Art hinausgreift, und gewöhnlich soll der Ausdruck soviel bedeuten wie Tierpsychologie.

Tierpsychologie. Die große Schwierigkeit, die dem Eindringen in die Tierseele entgegensteht, ist nicht das Fehlen der sprachlichen Verständigung, sondern die Verschiedenheit der Organisation. Der naive Mensch denkt freilich anders. Soweit wie er das Tier ihm selbst einigermaßen ähnlich findet, denkt er sich in das Tier hinein und nimmt etwa nur den Unterschied an, daß das Tier noch etwas dümmer ist als er. Sobald wie ihm aber die Unähnlichkeit zu groß wird, so verfährt er wie mancher moderne Gelehrte, d. h. er will dann überhaupt nichts mehr von Seele wissen, er ignoriert sie zumindest gänzlich im Gewürm und Ungeziefer. Diese Anschauung ist in manchen Sagen anmutig ausgedrückt, wie in der vom Ring des Königs SALOMO, dessen Träger die Sprache der Tiere (d. h. der Wirbeltiere) versteht und mit ihnen verkehren kann wie mit Seinesgleichen. Der wissenschaftliche Fortschritt besteht darin, daß an die Stelle des naiven der besonnene oder kritische Anthropomorphismus gesetzt wird. Grundsätzlich jedoch können wir den Tieren nicht anders gegenübertreten als Menschen fremder Zunge. Immer handelt es sich um Analogieschlüsse aus der Körperform, dem Gesichtsausdruck, den Ausdrucksbewegungen überhaupt und den Handlungen. Die Kritik lehrt die Vermeidung voreiliger Schlüsse, die peinlich genaue Vergleichung durch genügend lange Zeit und die Anwendung des Versuchs, der zweckmäßigen Fragestellung. Eine zwar sekundäre, aber doch wichtige Hilfe gewährt die Gehirnanatomie. Bei der menschlichen Psychologie hat die Anatomie bisher noch nicht viel geholfen, weil man noch nicht gelernt hatte, feinere Unterschiede zu verwerten. Bei Vergleich aber zwischen Menschen- und Tiergehirn sind die Unterschiede so groß, daß, wenn man nur einigermaßen über den Bau und die Bedeutung der einzelnen Teile orientiert ist, das Fehlen oder die starke Entwicklung bestimmter Teile der psychologischen Prüfung gewisse Fingerzeig geben kann, oder vor bestimmten psychologischen Annahmen warnen kann.

Die Tierpsychologie ist wegen ihrer Schwierigkeit, die oft zu Irrtümern, selten zu Gewißheit führt, oft scheel angesehen worden. Jedoch wäre ohne sie nicht nur unsere Kenntnis des irdischen Lebens sehr dürftig, sondern auch die menschliche Psychologie einer wichtigen Hilfe beraubt. Wir gewinnen nämlich am Tier wegen der größeren Einfachheit der Verhältnisse und der schärferen Ausprägung mancher Züge Einsichten, die Licht auf unser eigenes Seelenleben zurückwerfen. Insbesondere aber mußte bei den Tieren dem Beobachter einleuchten, daß das seelische Leben auf dem Grund von Trieben ruht, daß diese das eigentlich Wesentliche sind.

Der Instinkt.Wenn von vergleichender Psychologie die Rede ist, so heißt das ort der Reaktion "Instinkt", und tatsächlich ist der Begriff des Triebes oder Instinktes (instinguere = antreiben) das Zentrum der Tierpsychologie. Ich weiß nicht, wer zuerst das Wort gebraucht hat, aber man darf wohl annehmen, daß damit nur der Gegensatz gegen das menschliche Handeln als ein vernünftiges ausgedrückt werden sollte. Wir nennen instinktiv jede Bewegung, die gewollt wird, ohne daß der Bewegende weiß, warum, wie er dazu kommt, ohne Kenntnis des Zwecks oder ohne Vernunft. Was Zweck, Überlegung, Vernunft ist, das wissen wir natürlich nur aus der inneren Erfahrung, und die Menschen wollen von ihrer Vernünftigkeit ausgehend durch den Begriff des Instinktes deren Negation ausdrücken. Im Anfang also hieß es, daß das, was beim Menschen die Vernunft leistet, beim Tier der Instinkt leistet. Es war aber unumgänglich, daß der durch die Tierbeobachtung erworbene Begriff des Triebes mit der Zeit an Bedeutung gewann, daß er schließlich auch in die menschliche Psychologie eingeführt wurde und diese umwandelte. Auch mußte sich bei ernsthafter Betrachtung des Trieblebens der Begriff des Unbewußten aufdrängen. Ich weiß, daß sich die kleinen oder unbewußten Vorstellungen zuerst bei LEIBNIZ finden, aber sein Begriff konnte nicht weit führen; eine Ahnung dessen, was eigentlich das Unbewußte bedeutet, kann den Menschen nur gegenüber den Trieben aufgegangen sein, mag es sich historisch nachweisen lassen oder nicht. Die Begriffe des Triebes und des Unbewußten als Erwerb der vergleichenden Psychologie beweisen diesen Wert. Sie aber führen auch zur Zerstörung der anspruchsvollen Menschenpsychologie.

Es ist für die Menschen und ihre psychologische Begabung nicht ehren voll, daß das menschliche Triebleben so spät und nach langen Umwegen erkannt worden ist, aber es ist lehrreich. Will man sich eine rechte Vorstellung von der Sache machen, so ist es geraten, sich einmal direkt an die echten Rationalisten zu wenden, an die Lehrer der Kirche und an DESCARTES, den "Vater der neuen Philosophie".

Der psychologische Rationalismus. Was sich bei den zaghaften Rationalisten unserer Tage nicht mehr recht herauswagt, das wird dort naiv und mit deutlichen Worten ausgesprochen. Man hat, glaube ich, dem DESCARTES Unrecht getan, wenn man ihm nachsagte, er habe in den Tieren schlechthin nur Maschinen gesehen und ihnen die Seele schlechtweg abgesprochen. Man lese folgende Stelle, sie lautet in KIRCHMANNs Übersetzung:
    "Ich hatte hier gezeigt, daß, wenn es solche Maschinen gäbe mit den Organen und der äußeren Gestalt eines Affen oder anderer unvernünftiger Tiere, wir kein Mittel haben würden, sie ihrer Natur nach von den Tieren zu unterscheiden. Hätten dagegen solche Maschinen Ähnlichkeit mit unserem Körper und ahmten sie seine Bewegungen soweit wie möglich nach, so würden wir zwei untrügliche Mittel haben, um sie von wirklichen Menschen zu unterscheiden. Das erste wäre, daß diese Maschinen sich nie der Worte oder Zeichen bedienen können, durch deren Verbindung wir unsere Gedanken einem Andern ausdrücken. Man kann sich zwar eine Maschine in der Art denken, daß sie Worte äußert, und selbst Worte auf Anlaß von körperlichen Vorgängen, welche eine Veränderung in ihren Organen hervorbringen; z. B. daß auf eine Berührung an einer Stelle sie fragte, was man wolle, oder schrie, daß man ihr weh tut, und Ähnliches; aber niemals wird sie diese Worte so stellen können, daß sie auf das in ihrer Gegenwart Gesagte verständig antwortet; wie es doch selbst die stumpfsinnigsten Menschen vermögen.

    Zweitens würden diese Maschinen, wenn sie auch Einzelnes ebenso gut oder besser wie wir verrichteten, doch in anderen Dingen zurückstehen, woraus man entnehmen könnte, daß sie nicht mit Bewußtsein, sondern bloß mechanisch nach der Einrichtung ihrer Organe handelten. Während die Vernunft ein allgemeines Instrument ist, das sich auf alle Arten von Erregungszuständen äußern kann, bedürfen diese Organe für jede besondere Handlung auch eine besondere Vorrichtung, und deshalb ist es moralisch unmöglich, daß es deren so viele in einer Maschine gibt, um in allen Vorkommnissen des Lebens so zu handeln, wie wir es durch die Vernunft können. Durch diese Mittel kann man auch den Unterschied zwischen Mensch und Tier erkennen. Denn es ist sehr merkwürdig, daß selbst der stumpfsinnigste und der dümmste Mensch, ja sogar die Verrückten, einzelne Worte verbinden und daraus eine Rede herstellen können, wodurch sie ihre Gedanken mitteilen, während selbst das vollkommenste und besterzeugte Tier dies nicht vermag. Dies liegt nicht an einem Mangel der Organe, denn die Elstern und Papageien können Worte wie wir aussprechen und können doch nicht reden wie wir, d. h. ihre Gedanken äußern, während die Taubstummen, die der Organe des Sprechens ebenso oder mehr als die Tiere beraubt sind, aus sich selbst Zeichen erfinden, durch die sie sich denen verständlich machen, welche Muße haben, ihre Sprache zu lernen.

    Dies zeigt nicht bloß einen niederen Grad von Vernunft bei den Tieren an, sondern daß sie ihnen ganz abgeht; denn zum Sprechen gehört nur wenig Vernunft. Da die einzelnen Tiere einer Gattung sich ebenso wie die einzelnen Menschen unterscheiden, und die einen leichter als die anderen zu dressieren sind, so würde der vollkommenste Affe oder Papagei in seiner Art gewiß es dem dümmsten Kind oder einem blödsinnigen Kind gleich tun, wenn ihre Seele nicht von der unsrigen völlig verschieden wäre. Man darf hierbei die Worte nicht mit den natürlichen Bewegungen vermengen, wodurch sich die Gefühle äußern, und welche die Menschen ebenso wie die Tiere nachmachen können, auch nicht mit einigen Alten glauben, daß die Tiere sprechen, und wir nur ihre Sprache nicht verstehen. Denn wäre dies der Fall, so würden bei der Übereinstimmung vieler ihrer Organe mit den unsrigen sie sich uns ebenso wie Ihresgleichen verständlich machen können. Merkwürdig ist es allerdings, daß viele Tiere zwar in einzelnen Verrichtungen mehr Geschicklichkeit wie wir zeigen, dagegen in vielen anderen zurückstehen; aber daraus folgt nicht, daß sie Verstand haben, da sie sonst mehr haben und Alles besser machen würden als wir, vielmehr erhellt sich daraus, daß sie keinen haben und daß nur die Natur in ihnen, je nach der Stellung ihrer Organe, handelt. So kann ja auch eine Uhr mit bloßen Rädern und Federn viel genauer als wir mit all unserer Klugheit die Stunden zählen und die Zeit messen."
Offenbar steht die Sache so, daß DESCARTES unter Seele nicht dasselbe verstand wie wir. Er dachte anima sive ratio [Seele oder Verstand - wp], die Seele bestand nach ihm in der Möglichkeit, in Begriffen zu denken und diese anima rationalis sprach er den Tieren ab. Um das, was wir Gefühl, Triebe, Wahrnehmung usw. nennen, kümmerte er sich einfach nicht, das mochten "die Lebensgeister" besorgen, ihnen fiel anheim, was später "untere Seelenkräfte" oder ähnlich benannt wurde (2). Ist es so, daß DESCARTES nur die vernünftige Seele Seele nannte, so hat er nichts gelehrt, als was die Kirche auch lehrte und heute noch lehrt. Man findet bei WASMANN eine ganze Reihe von Zitaten aus den Kirchenlehren, und WASMANN selbst lehrt natürlich, was die Kirche anerkennt. Er spricht den Tieren die Vernunft ab, gesteht ihnen nur die Verbindung sinnlicher Vorstellungen zu. Die Hauptsache ist, daß der Rationalismus (in dem hier gebrauchten Sinn des Wortes) das innere Leben des Menschen für qualitativ verschieden von dem der Tiere erklärt, und daß er die Seele des Menschen insofern gänzlich verkennt, als er sie für wesentlich vernünftig hält, die logische Form überschätzt und die unbewußte Logik nicht kennt. Dem Rationalisten ist das menschliche Seelenleben eine Kette von logischen Akten, bei der zwar einzelne Glieder scheinbar fehlen können, deren Glieder man aber nachdenkend in das Bewußtsein erheben kann, sodaß der Zusammenhang gewahrt bleibt. Wer eine selbständige empirische Psychologie für möglich hält, muß im Grunde ebenso denken, und deshalb finden wir in der Psychologie immer von Neuem bald naive, bald verschämte rationalistische Bestrebungen; es sei nur an die Lehre von den unbewußten Schlüssen und an die verschiedenen empiristischen Versuche erinnert. Es ist kein Zeichen von Klarheit, wenn die Vertreter naturwissenschaftlichen Denkens zugleich die "Evolution" bekennen und doch Empiristen sind.
LITERATUR Paul Julius Möbius, Die Hoffnungslosigkeit aller Psychologie, Halle/Saale 1907
    Anmerkungen
    1) "Lebende Substanz" ist eigentlich Unsinn. Es gibt nur lebende Individuen.
    2) Hätte DESCARTES die Tiere in unserem Sinne Maschinen genannt, so wäre er einfach ein Narr gewesen. Das war er aber durchaus nicht, sondern er war nicht nur ein Gelehrter, sondern auch ein Mann des Lebens und dabei ein milder freundlicher Charakter. Er hat im Krieg gedient, hat daher Pferde und Hunde recht gut kennen lernen, und sicher hat die kindische Übertreibung, die man ihm zuschreibt, seinem Sinn ferngelegen. Der Vergleich mit den Automaten und die Behauptung, die Tiere passen sich den Umständen nicht an, haben allerdings das Mißverständnis nahegelegt, aber es scheint mir, daß sich der Philosoph nur im Eifer der Beweisführung zu allzu groben Ausdrücken hat verlocken lassen.