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REINHARD KYNAST
Das Problem der Phänomenologie
[eine wissenschaftstheoretische Untersuchung]
[4/4]

"Der einseitigen Auflösung des Wissens in bloße Relationen stellt die Phänomenologie die Begriffsinhalte als Fixpunkte entgegen, in denen die Relationen verankert sind, die Herrschaft des Urteils in der Erkenntnistheorie im weiteren Sinne muß einen Teil ihres Gebietes abtreten an die des Begriffs in seiner evidenten Gegebenheit."

"Indem die Phänomenologie das, was als evident an ihren Inhalten herausstellbar ist, zum Vorschein bringt, versucht sie stets den Charaker eines immer unvollendeten und unvollendbaren Prozesses tragen, mittels der Beschreibung des im Bewußtsein Gegebenen diese Evidenzen darzustellen, losgelöst von den Relationen, in die sie durch die Wissenschaften hineingestellt werden."


VIII. Phänomenologie und Psychologie

Mehrfach haben wir bereits hervorgehoben, daß die Deskriptionen der Phänomenologie sich in Gattungsbegriffen vollziehen, die das im Einzelbewußtsein in bestimmte Zeitmomente stattfindende Erlebnis über seine individuelle Bestimmtheit hinausheben und zu einem typischen machen, das zu allen Zeiten das Bewußtsein der Gattung Mensch charakterisiert. Aber auch der Psychologe beschreibt nicht das hic et nunc [hier und jetzt - wp] gegebene Erlebnis im einzelnen Menschen, sondern es dient ihm nur als Ausgangspunt. Seine Beschreibung ist auf die Gattung Wahrnehmung überhaupt, Einbildung usw. gerichtet. Der Begriff, an dem diese Beschreibungen in der Phänomenologie orientiert sind, ist, wie wir sahen, die Beziehung des Bewußtseinserlebnisses zum Gegenstand, auf den es gerichtet ist, der gemeint ist. Gerade der Umstand, daß die Beschreibung es keineswegs nur auf diejenigen Erlebnisse abgesehen hat, deren Gegenstände den Charakter der Geltung besitzen, war der deutlichste Beweis dafür, daß die Phänomenologie keine Logik ist. Umsomehr wird nun aber jetzt der Gedanke nahe gelegt, daß sie ein Zweig der Psychologie ist. Es kann nach dem Vorangehen in der Tat keinem Zweifel mehr unterliegen, daß sie als empirische Wissenschaft, die Bewußtseinserlebenisse beschreibend, zumindest in Bezug auf eines ihrer Teilgebiete mit der deskriptiven Psychologie zusammenfällt. (1) Sie ist also zum Teil ihrer Methode und ihrem Gebiet nach deskriptive Psychologie, die unter strengen methodischen Gesichtspunkten die Erlebnisse der Gattung Bewußtsein in ihrem Abstand vom Objekt charakterisiert und zwar mit einer bisher nicht erreichten Kunst der feinen Unterscheidungen.

Die Beschreibungen werden geleitet von einigen Grundbegriffen, die in Bezug auf die Geltung der intendierten Sachverhalte völlig indifferent sind; wegen ihrer systematischen Durchführung, die nicht ganz um die Orientierung an kantischen Einteilungen herumkommt, wie die theoretischen, praktischen und axiologischen [in Bezug auf Werte - wp] Wahrheiten zeigen, ergreifen sie in der Tat das ganze Gebiet, das jene Grundbegriffe vordeutend umspannen. Die Phänomenologie leistet daher z. B. der Logik eine unerläßliche Vorarbeit, indem sie erst gestattet, aus dem Chaos der Bewußtseinserlebnisse diejenigen streng herauszusondern, die das Logische realisieren. So psychologisch Begriffe wie Bedeutungserfüllung auch sein mögen, so notwendig sind sie für die Erfassung der Bedeutung als ideelles Gebilde, als rein-logischer Begriff von Seiten des Bewußtseins.

So sehr aber der Schichtungscharakter als Leitmotiv der phänomenologischen Beschreibung die Wissenschaft unenmpfindlich macht gegenüber den besonderen Sachhaltigkeiten der anderen Wissenschaften, so sehr auf der einen Seite die "Streifung" parallel vorbeigeht am besonderen Inhalt des vorgestellten Gegenstandes, in so tiefgreifendem Maß treiben auf der anderen Seite die sachhaltigen Konstitutionen der objektiven Gegenstände selber ihre Geltungsbeziehungen hinein in diese Beschreibungen vermöge ihres noematischen, auf die objektive Einheit des Gegenstandes konzentrisch hinstrahlenden Charakters. Der Streifungscharakater stellte die Phänomenologie zur deskriptiven Psychologie, ihre dazu gleichsam senkrechte objektsbezogene Eigentümlichkeit trennt sie jedoch von ihr. Sie geht daher in der deskriptiven Psychologie nicht auf. Sie greift stärker in das Feld der Objekte der anderen Wissenschaften hinein als die deskriptive Psychologie. Nicht bloß Bewußtseinserlebnisse, sofern sie einem Subjekt zugehören, sondern sofern sie ein Objekt darstellen, analysiert sie und zwar nicht nur vorwissenschaftliche Objekte, sondern auch die Gegenstände irgendwelcher Spezialwissenschaften. Eben darum bedarf die Phänomenologie in höherem Maß zur Voraussetzung der anderen Wissenschaften als die beschreibende Psychologie. Nicht bloß im Wie, sondern auch im Was des Gegebensein werden die Erlebnisse entfaltet. Nicht nur die Formen des Bewußtseins, sondern auch der Inhalt des Bewußten [aber immer nur als Gattung - wp] tritt heraus. Die Phänomenologie analysiert also keineswegs nur die unmittelbar gegebenen Inhalte, vielmehr mach sie die Inhalte erst zu unmittelbar gegebenen. Die Wissenschaften gegeben der konstitutiven Phänomenologie die Gegenstände, deren sich das Bewußtsein bemächtigt. Und den Bemächtigungsakt hat sie zu analysieren, aber nicht bloß als Form des Bewußtwerdens, sondern auch als Inhalt des gedachten Gegenstandes. Sofern ihr also z. B. auch die Logik Gegenstände gibt, ist diese in einem zweiten Sinn Voraussetzung für die Phänomenologie; nämlich sie gibt ihr das empirische Material zur Bearbeitung. Der Phänomenologie werden die Sätze der Logik, wie überhaupt jeder anderen Wissenschaft, als Tatbestände (2) des empirischen Zustandes der Logik oder überhaupt der betreffenden Wissenschaft gegeben; genauer, als Gegenstände werden der phänomenologischen Beschreibung die Akte der Erfassung des Sinnes dieser Sätze gegeben, sodaß die Phänomenologie diesen empirischen Zustand ihrerseits wieder in bestimmter Weise idealisieren kann. (Vgl. hierzu das nächste Kapitel.)


IX. Die systematische Stellung
der Phänomenologie.

Wenn es also nicht bei der Beschreibung der Noesen und Noemen, die formal sind in Bezug auf die in ihnen erfaßten Sachhaltigkeiten, verbleibt und verbleiben kann, so hat die Methode der Phänomenologie damit auch ihre reflektive Art im Prinzip umgewendet in eine objektive, vom Subjekt weggerichtete. Sie beschreibt jetzt eben nicht mehr die Form, sondern den Inhalt der Bewußtseinserlebnisse, der gegenständlich gerichtete ist. Die Phänomenologie schließt die Sachhaltigkeiten selber auf in der konstitutiven Analyse der Regionen. Sie ist Bewußtseinsanalyse nur noch der äußeren, empirischen Form nach, aber nicht mehr der Sache nach.

Daher ist sie jetzt, von der objektiven Seite gesehen, die systematische Entfaltung aller dem Bewußtsein gegebenen Inhalte im weitesten Sinne. Sie überspannt aber bei HUSSERL diese objektive Richtung. Sie will die subjektiven Gegebenheiten mit eigener Kraft von den Objekten losblättern, weil sie der inneren, wenn auch verfeinerten Erfahrung größere, ja fälschlich absolute Gewißheit zuschreibt gegenüber der äußeren, um dadurch Bedingungen der Möglichkeit nicht bloß für die Erfassung der Bewußtseinsinhalte, sondern für die Inhalte der Erfahrung selber zu gewinnen. Sie sicht auf diese Weise die Inhalte des Bewußtseins zu objektivieren, sie will die Objektivität der Inhalte der Erfahrung begründen, wie die transzendentale Logik die Objektivität der Form der Erfahrung in der Tat begründete, während die Psychologie die Subjektivität der Inhalte begründet.

Die Phänomenologie will aus dem bunten Glanz der vielgestaltigen Erscheinungen, aus dem wirren Durcheinander des Ringens um Werte, des Glaubens an Werte, die Inhalte hinüberretten ins Reich der strengen Theorie. Aber immer noch hat es die strenge Wissenschaft mit ihrer Geltung bezahlen müssen, wenn sie einen Widerschein von der heißen Glut des Lebens in sich aufnehmen wollte.

Die Phänomenologie kann dieses Ziel nicht erreichen, weil die Inhalte des Bewußtseins immer nur gegeben sind, d. h. in ihrem Sosein außerhalb aller Begründung stehen. Die Objektivität dieser Inhalte im Sinne einer allen Subjekten gemeinsam gegenüberstehenden, in sich einheitlichen Wirklichkeit ist eine notwendige Voraussetzung der transzendenten Logik, die überhaupt nicht bewiesen werden kann, die höchstens, um den subjektiven Erkenntnistrieb nach einem Abschluß des Wissens zu befriedigen, auf eine metaphysische, also jenseits aller Erfahrung liegende Realität zurückgeführt werden kann. Wir lassen damit ausdrücklich, in Übereinstimmung mit den Ausführungen des ersten Kapitels, die allgemeinen Prinzipien der Wahrheit, aber auch nur diesem, unterworfen denken, weil jede Existenz, sinnvoll gedacht, zumindest den Gesetzen der formalen Logik untersteht.

So zweifellos daher für die Begründung der Objektivität der Bewußtseinsinhalte der Begriff einer metaphysischen Realität einspringen muß, so sicher ist es auf der anderen Seite, daß die Phänomenologie die Objektivität der empirischen Inhalte begründen, so fiele der Begriff der metaphysischen Wirklichkeit als Grenzbegriff aus dem Reich der Erkenntnis fort. Dann käme der Phänomenologie die Aufgabe zu, die Metaphysik zu begründen, dann stände die Metaphysik innerhalb der Erkenntnis, nicht bloß innerhalb der Wahrheit; dann wäre sie eine explizit herzustellende Wissenschaft strenger Geltung.

Wir sind bei diese Umrandung des Feldes der Phänomenologie von ihrem subjektiven Teil, dem deskriptiv-psychologischen, ausgegangen, gerieten dann in den konstitutiven Phänomenologien in ein Gebiet von objektiv gerichteten Beschreibungen, denen wir auch nur eine empirische Geltung zursprechen konnten, sodaß wir, die objektivierende Richtung weiter verfolgend, ihren höchsten Anspruch, die Objektivität der Inhalte der Erfahrung begründen zu wollen in Urteilen strenger Geltung, ablehnen mußten.

Über die wissenschaftliche Bedeutung des psychologischen Teils der Phänomenologie braucht kein Wort verloren zu werden. Ihre auf äußerst feinen Unterscheidungen und scharf begrenzten Begriffen beruhenden Beschreibungen der Bewußtseinserlebnisse werden immer ihren grundlegenden Wert behalten, grundlegend deshalb, weil hier wohl zum erstenmal der Versuch unternommen wird, das Reich der Gebilde des Bewußtseins nach dem Grad ihrer Objektivität anzuordnen mittels der Zerlegung in Schichten und von jeder Schicht den Anteil festzustellen, den sie an den Objekten hat, die sie dem Bewußtsein präsentiert.

Aber wie steht es nun mit der neuen Wissenschaft, die von den konstitutiven Problemen der Bewußtseinserfassung von Sätzen irgendwelcher Wissenschaften handelt? (3) Ist das etwa nur eine bloße Verdoppelung der betreffenden positiven Wissenschaft? Daß die Analyse des Denkaktes eines Begriffs wie Recht, nicht auf Psychologie beschränkt bleibt, hatten wir bereits festgestellt. Aber ist sie darum schon eine Theorie, eine logische Analyse des Rechtsbegriffs?

Die Betrachtungen der letzten Kapitel zwingen uns, diese Frage zu verneinen. Hier ist in der Tat ein bisher zu wenig bepflügtes Feld wissenschaftlicher Bearbeitung erschlossen. Denn was immer man unter der logischen Analyse eines Begriffs verstanden hat, wird hier nach manchen Richtungen hin doch stark verändert. Zwar kann, wie immer wieder betont sein mag, die Beschreibung der Bewußtseinsvorgänge beim Denken eines solchen Begriffs, die nach der objektiven Seite hin gerichtet ist, nicht ohne Zuhilfenahme von Sätzen aus dem Gebiet der Wissenschaft geschehen, der jener Begriff angehört, aber trotzdem wird die bloß beschreibende, nicht erklärende Tendenz der Phänomenologie den Analysen die Konstruktionen aus theoretischen Gesichtspunkten heraus ziemlich fernhalten. Das heißt: so sicher hier nicht eine Bewußtseinsanalyse, sondern eine Begriffsanalyse, ja Gegenstandsanalyse getrieben wird, so sehr wird diese letztere doch bemüht sein, nur die bloßen Gegebenheiten des Begriffs zu analysieren, d. h. aber den "gegebenen" Inhalt des Begriffs herauszustellen.

Aber wie sind die bloßen Gegebenheiten bei solchen abstrakten Begriffen wie Mensch, Staat, Kirche usw. zu erfassen? Durch Wahrnehmungen ist hier nicht viel zu geben. Nur in Urteilen sind solche Begriffe "gegeben". Also sind sie durch die betreffenden Spezialwissenschaften, genauer durch deren empirische Zustände als Tatsächlichkeiten gegeben. Aber die der Fixierung dieser Begriffe vorausgehende Zusammenfassung und Vergleichung all der Urteile, in denen ein solcher Begriff vorkommt, würde eine äußerst umfängliche und so widerspruchsvolle Aufgabe sein, daß sie praktisch nicht ausführbar ist. Außerdem verlangt die Lösung dieser Aufgabe nichts anderes als die betreffende Spezialwissenschaft zum guten Teil selbst zu betreiben. Also muß eine Auswahl der in Frage kommenden Urteile vorgenommen werden, wenn die Aufweisung des Begriffsinhalts nicht beinahe auf die Ausübung der Spezialwissenschaft hinauslaufen soll.

Doch nach welchen Gesichtspunkten soll ausgewählt werden? Im Begriff selbst dürfen und können sie nicht liegen, denn derartige Gesichtspunkte müssen in Bezug auf den Begriffsinhalt formaler Natur sein. Hier bleibt nichts anderes übrig, als eine empirische Methode zur Anwendung zu bringen. Es müssen diejenigen Urteile ausgewählt werden, denen am meisten zugestimmt wird. Es ist dies immerhin ein objektiveres Verfahren, als wenn man durch "Intuition", "dadurch, daß man die Gesetzmäßigkeit sich anhand des Einzelfalls einsichtig vor Augen stellt (4), zu dem zu ermittelnden Sachverhalt gelangt, weil im letzteren Fall der Vollzug des Urteilsaktes nur ain eine einzige Person gebunden ist, und man steht nun einmal in dieser Frage auf empirischen Boden. Auf diese beschränkte Zahl von Urteilen, die freilich nicht genau fixierbar sind nach Art und Zahl, hat sich dann die Entfaltung der Merkmale des Begriffs aufzubauen, sodaß damit eine erste festere Grundlage für seine ideelle Bedeutung geschaffen wird. Es hat diese Methode, die auf den ersten Anblick von roher Äußerlichkeit nicht frei zu sein scheint, ihre tiefere Begründung in der objektiven Richtung alles wissenschaftlichen Forschens überhaupt. Die einzelnen Begriffe haben ja geradezu die Funktion, in allgemein gültiger Weise die Wirklichkeit zu begreifen. Aber die Erfüllung dieser objektiven Funktion wird eben durch den im eigenen Bewußtsein sich vollziehenden Akt der "Intuition" nur in sehr mangelhafter Weise gewährleistet, besser jedenfalls durch die in ausgedrückten Urteilen niedergelegten intersubjektiven Intuitionen. Die Symbole dieser Begriffe müssen mit Rücksich auf den praktischen Forschungstrieb allgemein verständlich sein. Die Bedeutungen, die die Ausdrücke repräsentieren, müssen in möglichst identischer Weise von den einzelnen denkenden Individuen erfaßt werden, um den objektiven Charakter des empirischen Zustandes der Wissenschaften zu wahren. Dieser ihrer idealen Erscheinungsweise der Begriffe möglichst anzunähern, ist daher eine Aufgabe der Phänomenologie. Das klingt freilich alles selbstverständlich; das Neue daran ist aber eben, daß es vermöge der Schichtung des im Bewußtsein gegebenen Gegenstandes möglich ist, ihm diejenigen Strukturen fernzuhalten, die ihm als einem Gegenstand besonderer Wissenschaft anhaften und die ihm bisher oft unvermerkt angehängt worden sind. Mit anderen Worten: zu dem oben skizzierten Verfahren, das längst geübt wird, hat die Phänomenologie die wissenschaftliche Methode hinzugefunden, die es von aller anderen Art der Analyse gegebener Gegenstäde unterscheidet.

Ist nun einmal auf dem angedeuteten Weg eine Fixierung der Bedeutung des Begriffs vorgenommen worden, die natürlich nichts mit einer Definition, geschweige Nominaldefinition zu tun hat, so wird man mittels dieser Bedeutung nun wieder die einzelnen gegebenen Urteile und darüber hinaus andere Urteile korrigieren und untereinander zur Einstimmigkeit zu bringen suchen. Der Begriff wird also wieder an der Erfahrung gemessen und bestimmt umgekehrt diese. Aber freilich wird die Bedeutung dabei nicht in absoluter Konstanz festgehalten werden dürfen wie ein Wesen, sondern durch diesen Prozeß der Vergleichung mit der Wirklichkeit, d. h. hier meist mit dem empirischen Zustand der Spezialwissenschaft, wird die Bedeutung selber modifiziert und weiter geklärt. Indem HUSSERL in seinen "Logischen Untersuchungen" die Unabhängigkeit der Bedeutungen im ideellen Sinn von jedweden Denkakten im psychologischen Sinn erweist, sind sie damit nicht auch als unabhängig anzusehen vom logischen und wie wir jetzt wohl sagen dürfen, vom phänomenologischen Prozeß der wissenschaftlichen Erkenntnis.

Dieses ganz allgemeine, im tatsächlichen Forschungsbetrieb in allen Wissenschaften, zum Teil unbewußt, ausgeübte Verfahren, das wir also weder der Induktion noch der Deduktion noch sonstigen logischen Prozessen, noch auch der Intuition gleichsetzen dürfen, das eben vielmehr nur als die von all dem wohlunterschiedene phänomenologische Begriffsaufweisung angesehen werden kann, kommt bei HUSSERL in seinen konstitutiven Phänomenologien und den entsprechenden Ontologien zu einem systematischen Niederschlag, wobei es freilich eine scharfe Wendung in der Richtung auf die absolute Herrschaft des Begriffs über die Wirklichkeit genommen hat.

Da die Synthesen in den Urteilen der Einzelwissenschaften liegen, so enthalten die hier geschilderten Begriffsanalysen in der Tat wesentlich analytische Urteile, die übrigens für den praktischen Forschungsbetrieb keineswegs so wertlos sind, wie die Theorie sie für die Erkenntnis hinzustellen pflegt. Werden jedoch die nunmehr fixierten Bedeutungen wieder auf die Erfahrung angewendet, so haben die dann entstehenden Urteile synthetischen Charakter. Der vorher fixierte Begriff wird mit einem empirischen Moment eben durch die Erfahrung in eine Beziehung gesetzt, und der Träger dieser Relation ist die empirische Synthesis.

Darum ist also die Phänomenologie nicht bloß Psychologie, sondern sie ist in der Tat eine prima philosophia, aber nicht hinsichtlich der Begründungfähigkeit, der Objektivierung sondern pros hemas [das Frühere - wp]. Sie liefert in bewußter Methode nicht begründende Geltungen, sondern die Begriffseinheiten, aus denen dann die jeweilige Einzelwissenschaft, sei es Logik, sei es Ethik oder positive Wissenschaft, ihre Urteile schmiedet, ihre Geltungen herstellt, die transzendentale Logik also z. B. das proteron te physei [das natürliche Erste - wp]. Die Logik und die transzendentale Methode schaffen die Beziehungen, Phänomenologie erzeugt die Beziehungspunkte, bringt sie zur Gegebenheit, im Idealfall zur Evidenz. Der einseitigen Auflösung des Wissens in bloße Relationen stellt die Phänomenologie die Begriffsinhalte als Fixpunkte entgegen, in denen die Relationen verankert sind, die Herrschaft des Urteils in der Erkenntnistheorie im weiteren Sinne muß einen Teil ihres Gebietes abtreten an die des Begriffs in seiner evidenten Gegebenheit. Indem die Phänomenologie das, was als evident an ihren Inhalten herausstellbar ist, zum Vorschein bringt (5), versucht sie, und das muß, wie gezeigt, stets den Charaker eines immer unvollendeten und unvollendbaren Prozesses tragen, mittels der Beschreibung des im Bewußtsein Gegebenen diese Evidenzen darzustellen, losgelöst von den Relationen, in die sie durch die Wissenschaften hineingestellt werden. Es ist dies ein zur Realisierung des idealen Systems der Wissenschaften notwendig zu fordernder Anfang des empirischen Forschungsprozesses. Es wird damit die enge Beziehung der phänomenologischen Methode zum empirischen Zustand einer Wissenschaft ans Licht gezogen. Die phänomenologische Methode trägt so zur Realisierung des empirischen Zustandes einer Wissenschaft bei; sie realisiert ihn, indem sie dem in ihm waltenden praktischen Forschungstrieb die Gegenstände gibt, im eigentlichen Sinn gibt, d. h. zur Bearbeitung übergibt.

Es geht aus dieser Betrachtung hervor, daß der Evidenzbegriff, der ja in der Psychologie sehr bedeutsam ist, auch auf die Phänomenologie und zwar vornehmlich auf ihre Methode von Einfluß ist. Er zeigt gleichsam ein ideales Moment an ihr an, er ist einer der Zielbegriffe, die die phänomenologische Beschreibung bestimmen. Um dies deutlicher zu machen, gehen wir von der Stellung des Evidenzbegriffes zur Logik aus, und diese ist kurz dadurch gekennzeichnet, daß Evidenz schlechthin und unmittelbare wie mittelbare Evidenz in der reinen Logik, in der formalen wie in der Gegenstandslogik, keinen Platz findet. Die sogenannte logische Evidenz, die z. B. von den logischen Axiomen ausgesagt wird, ist nichts, was dem Sinn der Axiome oder dem darin ausgedrückten Sachverhalt zukommt. Der Sinn gilt schlechthin ebenso wie der Sachverhalt schlechthin besteht. Irgendwelche Abstufungen oder Schattierungen gibt es dabei nicht. Meint man jedoch mit der logischen Evidenz den Umstand, daß ein solcher Sachverhalt nicht weiter zu begründen ist, die Wahrheit in sich selbst trägt, so würde der Begriff des Axiomatischen zu seiner Kennzeichnung ausreichen. Man hat daher auch nicht von der logischen Evidenz von Sätzen wie 2+ 2 = 4 zu sprechen, weil sie keineswegs axiomatisch sind. Wenn man ferner als logische Evidenz die Beweisbarkeit eines Satzes allein mit den Mitteln der Logik bezeichnet, dann ist dieser Satz nichts als ein Satz der Logik selbst, mithin wird dann nur seine Deduzierbarkeit allein aus den Axiomen der Logik behauptet. Auch sonst spricht man von Evidenz, namentlich von unmittelbarer Evidenz, wenn die Deduktion des Satzes irgendeiner Wissenschaft sei es aus Axiomen, sei es aus Wahrnehmungsgegebenheiten feststeht. Das betrifft aber auch hier immer nur den Geltungszusammenhang von Sinn- bzw. Sachverhaltskomplexen. Daher ist die Bedeutung der logischen Evidenz schwankend, ja es werden damit Momente bezeichnet, die scharfe Unterschiede aufweisen. Und sie bezeichnet außerdem etwas am Logischen, was durch andere Begriffsbildungen viel eindeutiger charakterisiert wird, schon darum eindeutiger, weil jenen jeder Nebensinn, der ans Phänomenologische oder Psychologische streift, fernliegt. Es ist aber gerade die große Gefahr bei der Verwendung des Begriffs der logischen Evidenz, daß phänomenologische und psychologische Schattierungen nur schwer aus ihm fortzuwischen sind. Es ist dieser Begriff sogar ein psychologischer und - wie wir uns analog ausdrücken dürfen - ein phänomenologistischer. Mit anderen Worten: Der Evidenzbegriff gehört nur in die phänomenologische Beschreibung und in die Psychologie und wird durch unzulässige Bedeutungsverschiebung in die Logik übertragen. Nämlich, was allein evident sein kann, das ist die Erfassung eines Gegenständlichen, niemals aber das Gegenständliche selbst. Nur in ungenauer Ausdrucksweise läßt sich sagen, daß es evident ist, indem nur seiner Erfassung die Evidenz zukommt. Das gilt entsprechend auch für den Begriff der mittelbaren Evidenz.

Unter dieser Erfassung kann nun der psychologische Akt im Einzelbewußtsein verstanden werden; Evidenz tritt dann ein, wenn das Bewußtsein den Gegenstand oder den Sachverhalt gleichsam in seiner vollen Ganzheit "hat". Es kommt hier nicht darauf an, diese Eigentümlichkeit deutlicher zu entfalten. Den dabei zu erfüllenden Bedingungen subjektiver evidenter Erfassung stehen nun aber solche mehr objektiven Charakters, eben die phänomenologischen, gegenüber. Es sind diejenigen, die in der intersubjektiven Schicht, also gleichsam außerhalb der Einzelbewußtseine, aber noch nicht in der "absolut" objektiven Sphäre des idealen Systems der Wissenschaft stehend, die Gegenstände zur Erfassung ihrer vollen Ganzheit zu bringen gestatten, also recht eigentlich ihre "Erscheinung" zu einer vollständigen machen, indem die Erscheinung das ist, was allen Einzelbewußtseinen in identischer Weise gegenübersteht, ohne jedoch die Beziehung zum Bewußtsein, also das Gegebensein soweit aufzugeben, wie es der wissenschaftliche Gegenstand tut. Es gilt also, die Gegenstände nur von der Subjektivität des eigenen Bewußtseins zu befreien, sie nur in die relativ-objektive Schicht der intersubjektiven Gegebenheit, also der vorwissenschaftlichen Wirklichkeit, hineinzuheben.

Nur dann können diese Inhalt wirkliche Ansatzpunkte für die einzelwissenschaftliche Forschung werden, wenn ihre evidente Vergegenständlichung bereits vollzogen ist. Es ist jedoch immer daran festzuhalten, daß dieser Prozeß der Objektivierung durchaus innerhalb der Erfahrung selber liegt.

Mit dieser Hinausweisung des Evidenzbegriffs aus der Logik ist zugleich ein wesentlicher Unterschied der phänomenologischen von der logischen Analyse eines Begriffs erleuchtet. Die logische Analyse setzt die Inhalte ihrer Gegenstände bereits als evident gegeben, zumindest der Idee nach, voraus, sie fordert die phänomenologische Analyse als bereits vollzogen. Sie sucht ferner den Gegenstand ihrer Betrachtung gerade in derjenigen Wissenschaft heimisch zu machen, in die er hineingehört, indem sie ihm eine strenge Objektivität verleiht, eben diejenige Objektivität, deren er bedarf, um Gegenstand in seiner Wissenschaft zu sein.

Überblicken wir die Ausführungen dieses Kapitels, so erweist sich die Phänomenologie als eine notwendige Ergänzung der Methode des Kritizismus. Notwendig ist diese Ergänzung dadurch, daß sie die kritische Methode erst zu ihrer vollen praktischen Auswirkung gelangen läßt im wirklichen Forschungsbetrieb. Erst müssen die Gegenstände als Material gegeben sein, dann erst kann der Hebel der logischen Analyse ansetzen. Sie ist eine Ergänzung der transzendentalen Methode, insofern ihr das Objekt, an das sie ihre Fragen richtet, das sie auflöst, in systematisch-wissenschaftlicher Weise vorgelegt werden soll. In diesem Sinne des realen Zustandekommens der kritizistischen Wissenschaft geht das Gegebenwerden des Gegenstandes dieser Methode selber und damit auch den Geltungszusammenhängen aller Einzelwissenschaften voran. Im theoretischen, Geltungen herstellenden Sinn aber, also im eigentlichen wissenschaftlichen Sinn, bereitet als erste Wissenschaft die Logik bzw. die die transzendentale Methode die Begründungszusammenhänge, auf denen alle weitere Wissenschaft, auch die Phänomenologie aufbauen muß, weil aller Aufbau notwendig nach Begründungen verlangt (6).


X. Kritisches zur Diskussion über
die Phänomenologie

Unter den Stimmen, die für und wider die Ansprüche der Phänomenologie laut geworden sind, heben wir als die bedeutsamsten die Arbeit von THEODOR ELSENHANS und die Erwiderung hierauf von PAUL F. LINKE (7), zumal in beiden Untersuchungen scharf ausgeprägte in der Hauptfrage genau entgegengesetzte Standpunkte vertreten werden.

Das Hauptergebnis der ELSENHANSschen Kritik ist, daß die Phänomenologie nach Methode und Gegenstand eine deskriptive Psychologie ist. Die wesentliche Rechtsquelle ihrer Erkenntnis ist daher die Erfahrung; sodaß die Phänomenologie nicht die Erkenntnistheorie begründet, vielmehr umgekehrt letzter die logische Voraussetzung für die erstere ist. Wie namentlich die Ausführungen des vorangegangenen Kapitels zeigen, können wir dieser Auffassung nicht voll zustimmen. Die Phänomenologie ist allerdings eine empirische Wissenschaft, sodaß die Erkenntnistheorie ihr in der Tat logisch vorausgeht. Sie ist auch deskriptive Psychologie, aber sie bedeutet darüber hinaus noch eine Wissenschaft von besonderem Gegenstand; die deskriptive Psychologie bearbeitet nur einen Teilgegenstand der Phänomenologie.

Mit vollem Recht stellt ELSENHANS den Begriff der Wesenserschauung in den Mittelpunkt der Phänomenologie. Auch er hebt scharf den Umstand hervor, daß die Wesenserschauung die Wesen gibt, daß sie vom Bewußtsein vorgefunden werden müssen, um schauend erfaßt zu werden, daß sie aber andererseits von aller Erfahrung losgelöst sein sollen. So sehr auch wir diesen Zwiespalt benützt haben (8), um daraus den Beweis der empirischen Geltung der Phänomenologie zu erbringen, so können wir seinen Ausführungen doch nicht bis zum Ende folgen. Wir meinen, daß gerade die Schichtstrukturen HUSSERLs gezeigt haben, daß es "zwischen der Rezeptivität der Eindrücke" und der "Spontaneität der Begriffe" noch ein Mittleres (9) geben muß. Die Wesen sind nicht Gegenstände der Erfahrung im schlichten Sinne des hic et nunc, ihr zeitlich-räumliches und kausales Gefüge wird bei diesen Erfahrungsgegenständen weggestellt [wie ich mich weiter oben ausdrückte]. Insofern ist es auch richtig, wenn HUSSERL behauptet, die Phänomenologie lasse die "Individuation" fallen. Aber - und das ist das Moment, das die Wesen doch wieder in den Kreis der gewöhnlichen Erfahrung zurückzieht, - auch diese reduzierten Phänomene werden einem Bewußtsein gegeben und sind darum Bestandteil der Erfahrung (10). Daher gelten die Wesensgesetze nur zwischen Bestandteilen der Erfahrung und sind von empirischer Valenz.

Allein der wesentliche Unterschied zwischen ELSENHANS und mir liegt in der Frage, ob die Phänomenologie mit der deskriptiven Psychologie zusammenfällt oder noch darüber hinausgeht. Ich behaupte, sie muß zumindest dem Gegenstand nach darüber hinausgehen. Das "Bewußtseinsäquivalent" von Ding, Mensch, Staat, Kirche usw., das die Phänomenologie verständlich zu machen die Aufgabe hat, gehört nicht in die deskriptive Psychologie. Will man der Phänomenologie die Aufgabe zuweisen, die Bewußtseinsäquivalente sämtlicher wissenschaftlicher Begriffe zur Gegebenheit zu bringen, - und das verlangt HUSSERL von der Phänomenologie, - dann kommen zwar auch Gesetze des Bewußtseins zum Vorschein, aber dazu tritt eine Reihe von Gesetzen über das, was von den betreffenden Gegenständen evident gegeben werden kann, und diese Gegenstände können der Physik, der Geschichte, kurz, jeder Wissenschaft angehören. Nicht, was beim Denken des Gegenstandes "Recht" gedacht wird, sondern wie er gedacht wird, interessiert die deskriptive Psychologie. Gerade die gemeinsamen Momente beim Denken von "Staat", "Kirche" usw. macht die Psychologie zu ihrem Gegenstand. Umgekehrt nimmt sich die Phänomenologie der Verschiedenheiten an, die im Inhalt der Gegenstände liegen und bringt sie zu evidenter Gegebenheit. Nun können diese Inhalte der Gegenstände auch diejenigen Bewußtseinserlebnisse sein, denen als Gemeinsames die Bezogenheit auf das empirische Ich anhaftet. Da fallen bewußtseinsmäßiger, evident zu gebender Inhalt und gedachter Gegenstand gleichsam zusammen. Diese besondere Art von Gegenständen gehört der deskriptiven Psychologie an. Insofern also ist sie ihrem Gegenstand nach ein Teil der Phänomenologie. Ihrer Methode nach fällt sie mit der Phänomenologie zusammen. Denn auch die beschreibende Psychologie hat zum Zielbegriff ihrer Methode die Evidenz, sie sucht eine bestimmte Schicht an den Erlebnissen zu evidenter Gegebenheit zu bringen, sie ist die Phänomenologie der Ichbezogenheiten der Erlebnisse.

Indem aber die Phänomenologie die Evidenzen an den Gegenständen bzw. Sachverhalten, den vorwissenschaftlichen und den wissenschaftlichen, zur Gegebenheit bringt, ist sie Voraussetzung für die Darstellung der Wissenschaft, ja ein zur Realisierung des idealen Systems der Wissenschaften notwendig zu forderner Prozeß. Und damit kommen wir zu ELSENHANS' Gegenüberstellung von Phänomenologie und Erkenntnistheorie. Indem ELSENHANS die Evidenz als Kriterium für die Geltung der phänomenologischen Urteile, wie überhaupt aller Urteile, verneint, befinden wir uns auf seiner Seite, da wir den Evidenzbegriff aus der Logik völlig hinausgewiesen wissen wollen. Wir lassen aber außer dem psychologischen Evidenzbegriff, den ELSENHANS allein kennt, noch einen phänomenologischen bestehen, der die Erscheinung der Wissenschaft in ihrer Darstellung betriff und den wir als einen für die phänomenologische Methode fundamentalen Begriff charakterisiert haben. Zwar gestattet auch dieser Evidenzbegriff nicht, die Phänomenologie im logischen Sinn voraussetzungslos zu machen, so daß sie in der Begründung der Geltung ihrer Urteile von der Erfahrung und jeder Wissenschaft unabhängig wäre, aber er erwirbt ihr in einem anderen Sinn doch eine Voraussetzungslosigkeit, nämlich eben in Bezug darauf, daß er daran mitarbeitet, jeder Wissenschaft das zu ihrer Realisierung, zu ihrer Darstellung notwendige Material zu geben. Den empirischen wie den nichtempirischen Wissenschaften muß, damit sie wirklich eine Erscheinung werden können, ihr Material gegeben werden. Da aber der Evidenzbegriff indifferent ist gegenüber den logischen Strukturen der einzelnen Wissenschaften, tastet er die Geltungen in ihnen nicht an und in diesem Sinn kann man mit ELSENHANS sagen, daß es für die Phänomenologie keine objektiven Kriterien gibt (Seite 262). Eben darum aber muß die Phänomenologie und kann sie auch den einzelnen Wissenschaften in Bezug auf deren Darstellung vorausgehen. Ihre Beschreibungen spannen daher auch kein psychologisierendes Netz von vornherein über das unmittelbar Gegebene aus, wie ELSENHANS meint (Seite 271). Denn ebensowenig wie der Evidenzbegriff, wie wir schon bemerkten, bloß auf psychologische Phänomene eingeschränkt ist, vielmehr ihn gerade auf psychologische Phänomene eingeschränkt ist, vielmehr ihn gerade seine Indifferenz gegenüber den besonderen Geltungsszusammenhängen in den einzelnen Wissenschaften befähigt, sein Feld ohne Voreingenommenheit über die Gegenstände aller Wissenschaften auszudehnen, so geht auch der Begriff der Intentionalität über die Psychologie hinaus und läßt sich in gleichmäßiger Weise an die Gegenstände aller Wissenschaften herantragen. Da er an den Bewußtseinserlebnissen die Beziehung auf die Gegenstände hervorhebt, erhält er mittels der von ihm nicht zu trennenden, ja ihn in seiner Bedeutsamkeit erst erkennen lassenden Erfüllung der Intention, eine objektive Beigabe, die ihn mit den Inhalten der Gegenstände verknüpft. Indem ich mir den Gegenstand "Recht" zur Gegebenheit zu bringen suche, erfüllt sich mir die Intention bis zur Evidenz. Wie sich diese Erfüllung vollzieht, ist Gegenstand der beschreibenden Psychologie, was sich aber erfüllt, welches die Inhalte sind, die da erfüllt werden, ist Gegenstand der allgemeinen Phänomenologie. Im Gegenteil schützt die bloße Intention geradezu davor, in die phänomenologische Beschreibung zuviel von den Geltungen derjenigen Wissenschaft hineinzunehmen, der der zu beschreibende Gegenstand angehört. Denn der intentionale Gegenstand ist nicht identisch mit dem objektiven. Mag auch der intentionale Gegenstand mit einem "Setzungscharakter" behaftet gedacht werden, so ist damit noch nicht objektiv entschieden, daß er existiert. Die Geltungskriterien kommen eben von der Logik her und ihrer bedienen sich die außerphänomenologischen Wissenschaften, aber nicht die Phänomenologie. Diese scheinbare Schwäche der Phänomenologie befähigt sie gerade, Voraussetzung im oben definierten Sinn zu werden für die anderen Wissenschaften, also auch für die Logik und Erkenntnistheorie. Gerade deshalb ist der Ausgangspunkt als Material für die Phänomenologie nicht bloß die "gemeine" Erfahrung, sondern ganz besonders auch die wissenschaftliche. "Wie sich dazu der apriorische Charakter der Erkenntnisprinzipien verhält" (Seite 273), ist nunmehr geklärt, nachdem wir zwischen der Voraussetzung im Sinne logischer Begründung und der Voraussetzung für die Darstellung einer Wissenschaft scharf unterschieden und den letzteren Begriff zur Abhebung mittels des idealen Systems gebracht haben. -

LINKE konzentriert seine Erwiderung auf ELSENHANS in der Behauptung, "daß die Phänomenologie nach Aufgabenbereich und Methode als nicht-empirische Disziplin zu gelten hat, und daß "... evidente Einsichten von apodiktischer Gewißheit möglich sind". (Seite 167) Um eine Erkenntnisschicht isolieren zu können, die nichtempirische Gegenstände geben soll, schränkt er den Begriff der Erfahrung auf das hic et nunc Gegebene ein (Seite 171). Ich will gern zugeben, daß der Begriff der Erfahrung keineswegs eindeutig ist. Ich habe daher im ersten Kapitel mich seiner näheren Bestimmung zu versichern gesucht, indem ich die Erfahrung als die Wirklichkeit nachwies, die der Gegenstand der transzendentalen Logik ist. Es ist eben deren Aufgabe, den Begriff des wirklichen Gegenstandes, d. h. die Erfahrung, zu analysieren und damit wissenschaftlich zu bestimmen. Aus diesem Begriff der Erfahrung, der sich allen Wirklichkeitswissenschaften in gleicher Weise zur Bearbeitung darbietet, erwachsen nun aber kraft der besonderen wissenschaftlichen Methoden neue Erfahrungsbegriffe, die zwar jenen den besonderen Disziplinen gegenüber indifferenten Erfahrungsbegriff voraussetzen, aber keineswegs in ihm aufgehen. Die physikalische Erfahrung ist ganz wesentlich verschieden von der geschichtlichen, indem die Wirklichkeit schlechthin von den physikalischen Methoden in anderer Weise umkleidet wird als von den historischen. Beiden Wissenschaftsgruppen ist dieselbe eine Wirklichkeit gegeben, aber sie lösen aus ihr ganz verschiedene Erkenntnisschichten heraus kraft der ihnen eigentümlichen Methoden. Daher gibt dem Historiker die eine Wirklichkeit ganz andere Gegenstände als dem Physiker. Der Wert einer physikalischen Konstanten wie etwa das Atomgewicht eines bestimmten Elementes kann immer nur durch Erfahrung gegeben werden, jedoch nicht durch die vorwissenschaftliche. Sofern man also unter empirischer Gegebenheit nur die "gemeine" Erfahrung verstehen will, kann man den Begriff der Gegebenheit darüber hinaus erweitern, indem uns auch solche Dinge wie Atomgewichtszahlen gegeben werden müssen. Das ist dann eine Gegebenheit, die wir auch immer noch als empirisch bezeichnen müssen, obgleich die Atomgewichtszahl ein Gegenstand ist, der vom Hier und Jetzt losgelöst ist.

Wir können jedoch hinsichtlich der Ausweitung des Gegebenheitsbegriffs LINKE noch weiter entgegenkommen: "Auch das Moment, das den nicht-empirischen Charaker der Mathematik ausmacht" (Seite 175) hat als gegeben zu gelten. Wir haben uns im ersten Kapitel mit den erkenntnistheoretischen Grundlagen der Mathematik beschäftigt, weil das Phänomenologieproblem nur im Zusammenhang mit dem Geltungsproblem der Mathematik zu lösen ist trotz oder vielmehr wegen der verschiedenen Methode beider Wissenschaften. Wir zeigten dort, daß in der Tat den geometrischen Axiomen ein Zufälligkeitsmoment anhaftet, daß an der allgemeinen Raumgesetzlichkeit Gegebenheitsmomente auffindbar sind, da ihnen eine logische Notwendigkeit fehlt. Ja, wir dürfen noch einen Schritt weitergehen; auch der Wahrheitsbegriff, der Gegenstand der doch gewiß nicht-empirischen formalen Logik, muß ebenfalls gegeben sein. Aber - und nun machen wir einen scharfen Schnitt zwischen den Gegebenheitsbegriffen, - was empirisch gegeben ist, sei es wissenschaftlich oder vorwissenschaftlich, dient zur Begründung der Geltung der Urteile, indem die Erfahrung selbst als objektiv vorausgesetzt werden muß. Was der Mathematik und der Logik in dem hier gemeinten Sinn gegeben ist, dient jedoch nicht der Begründung der Geltung ihrer Sachverhalte, sondern nur dazu, um die Erscheinung dieser Wissenschaften möglich zu machen, wie oben näher ausgeführt.

Wir haben damit aber immer noch nicht denjenigen Gegebenheitsbegriff getroffen, den LINKE als den phänomenologischen beanspruchen zu müssen glaubt. Er behauptet aufgrund seiner Darstellung der HUSSERLschen Begriffstheorie: "das eigentlich unmittelbar Vorfindliche ist gerade der Hauptsache nach nur das Ideelle". (Seite 189) Gewiß gibt es eine Idee "dieser Rotnuance"; so sinnvoll diese Bedeutung ist, so wenig kann bestritten werden, daß der mit dieser Bedeutung gemeinte Gegenstand, also das Wesen, ein Gegenstand ist, der wissenschaftlichen, also Geltungscharakter nur dann hat, wenn er in Beziehung zu wirklichen Gegenständen steht. Genauer: wenn ich sage, der Kentaur hat das Wesen "diese Rotnuance", so erhebt dieses Urteil allerdings Anspruch auf Geltung, aber es gilt nur innerhalb des Reiches des Mythos. Es hat keine Geltung innerhalb der Wissenschaft. Niemand kann ein solches Urteil widerlegen, weil man sich nicht gegen einen Sachverhalt wenden kann, der nicht im Rahmen einer wissenschaftlichen Diskussion als bestehender existieren kann. Erst die Erfahrungsbezogenheit verleiht den Wesen Geltungscharakter. Darum haben wir die Erfahrungsbezogenheit der Geometrie betont durch den Hinweis auf die Zufälligkeit der Raumgesetzlichkeit und auf ihr Gegründetsein in der transzendentalen Logik als der Wissenschaft vom Wirklichkeitsbegriff. Nimmt man den Wesen die Erfahrungsbezogenheit, so gerät man in spekulative Metaphysik, weil der Geltungsbegriff als sein Korrelat die Wirklichkeit fordert. Sehr instruktiv ist in dieser Hinsicht das Beispiel LINKEs von der untergehenden Sonne. Gewiß kann man dieses Erlebnis vom Hier und Jetzt ablösen, indem man etwa im Urteil: "die untergehende Sonne ist rot", nicht mehr die damals so erscheinende Sonne der Astronomie meint, auch nicht das damalige Bewußtseinserlebnis. Aber, was auch immer sonst damit gemeint ist, die Begründung für den gemeinten Sachverhalt stammt jedenfalls aus der Erfahrung, aus dem gerade so und nicht anders beschaffenen Erlebnis. Mit welchem Recht und in welchem Sinn könnte sonst der Anspruch auf Geltung erhoben werden? Denn ich könnte ja auch eine grüne Sonne vorfinden als Wesen. Warum ist es wissenschaftlich wertlos und unmöglich, ja widersinnig, die Wesenseigenschaften eines Kentauren zu beschreiben, wohlgemerkt die Wesenseigenschaften, nicht das, was die Sage um ihn herumgesponnen hat? Denn das wären ja keine strenggültigen Urteile. Eben weil der Gegenstand Kentaur kein wirklicher Gegenstand ist; weil er und damit sein Wesen niemals durch die Erfahrung gegeben ist. Nur als Gegenstand der Sage ist er gegeben und in diesem Sinne ist er uns allerdings durch Erfahrung bekannt geworden. Aber eben darum können die Urteile, die über seine Farbe, Gestalt usw. gefällt werden, keine objektive Geltung haben. Nur wie er als Gegenstand der Sage erscheint, darüber kann geurteilt werden; das sind dann aber immer Urteile empirischer Geltung innerhalb des Problems einer sagenhaften Gestalt. Natürlich kann man - und ich habe es weiter oben zugelassen und sogar hervorgehoben - zwischen die beiden Gebiete der physischen und psychischen Wirklichkeit noch eine Schicht sinnvoller Erkenntnis dazwischenschieben, aber die Erkenntnisse über diese Schicht stützen sich in ihrer Begründung auf das Sosein von wirklichen Erlebnissen. Die Behauptung, daß der gestiefelte Kater des Märchens Pfoten, Fell usw. hat, gründet sich doch nur darauf, daß der wirkliche Kater ein Tier mit diesen Eigenschaften ist. Warum bildet man sich nicht die Idee eines Katers mit Fischflossen? Das ist ein sinnvoller, nichtrealer Gegenstand, ein Wesen, und es kann als Fiktion in der Tat gegeben werden. Man kann es sich deutlich vorstellen, sich zur Gegebenheit bringen. Von diesem Wesen kann man zwar mit dem Anspruch auf strenge Geltung aussagen, daß es Fischflossen (die ebenfalls nichtreale Wesen sind), hat. Man kann diesem Sachverhalt faktisch aber nur Geltung zugestehen, wenn man damit ein psychisches Erlebnis oder den Gegenstand eines Märchens oder dgl. beschreiben will. Will man das aber nicht, dann hat man eine ganz willkürliche, rein subjektive Synthesis vorgenommen, die jeder andere anders ausführen kann; dann kommt es wirklich dazu, wie ELSENHANS bemerkt, daß der eine dies, der andere jenes erschaut. Nur diejenigen Fiktionen führen zu geltendem Wissen, denen die Bezogenheit entweder auf die Gesetze der Logik und Mathematik oder auf die Wirklichkeit innewohnt. Darum sind Wesensgesetzt und empirische Gesetze keineswegs heterogen; ja die Wesensgesetze sind den empirischen beizuzählen. Das bloß Sinnvolle reicht keineswegs für die wissenschaftliche Objektivität eines Gegenstandes aus. Der Kater mit den Fischflossen ist sinnvoll. Was hier und überhaupt an derartigen Wesen die Objektivität vortäuscht, ist der Umstand, daß den Bedeutungen solcher wie überhaupt aller Gegenstände in der Tat das Moment einer ideellen Konstanz eigen ist, aber nur insofern es sich um die Bedeutung als Bedeutung schlechthin handelt. Von ideeller Konstanz sind in der Tat die Bedeutungen ihrer Form nach, die die Rotnuance und die Zahl π meinen. Aber die Sachverhalte, die von den entsprechenden Gegenständen ausgesagt werden, sind im ersteren Fall von empirischer, im letzteren von strenger Geltung.

Doch nehmen wir noch ein anderes Beispiel, das mehrfach von den Phänomenologen angeführt worden ist. "Jeder Ton hat Höhe". Daß dieses Urteil jemals durch Erfahrung umgestoßen werden könnte, wird niemand annehmen. Töne ohne Höhe "gibt" es nicht, wird man sagen. Also liegt hier ein Urteil von überempirischer, von strenger Geltung vor. Also kann die Erfahrung nicht die begründende Funktion ausüben. Andererseits aber ist dieser Sachverhalt doch keine bloß formale Erkenntnis. Und ferner, der Begriff "Höhe" ist keineswegs im Begriff "Ton" enthalten; daher ist das Urteil nicht analytisch. Da hätten wir also das schönste Beispiel einer Wesenserschauung! Hier muß doch die Wesenserschauung die Begründung übernehmen. Aber sehen wir genauer zu. Zunächst ist klar, daß die empirische Möglichkeit, diesen Sachverhalt einzusehen, nur durch Erfahrung herbeigeführt werden kann. Soll jemand dieses Urteil einsehen, dann muß er mindestens einmal zwei verschiedene Töne nacheinander gehört haben. Ein einziger Ton genügt nicht, weil er dann das Moment der Höhe nicht ablösen kann aus der Empfindung. Ein anderer aber, der so viele Tonlücken in der Basilarmembran hat, daß er nur einen Ton von bestimmter Höhe hören kann, gelangt niemals zur Einsicht in unseren Sachverhalt. Das Wesen "Ton" ist durch einen einzigen Akt beiden Menschen in gleicher Weise gegeben, dennoch kann die Wesenserschauung dem Einen den Sachverhalt begründen, dem andern nicht. Sobald wir aber der Erfahrung die gebende und zugleich begründende Funktion erteilen, ist die Schwierigkeit gelöst. Gerade der Umstand, daß es der Erfahrung zweier verschiedener Töne bedarf, zeigt, daß das Höhemoment am Ton erst durch Erfahrung und nur durch Erfahrung gewonnen wird. Wer nur einen Ton erfährt, dem ist das Wesen Ton mitgegeben; nach LINKEs Auffassung bedarf es sogar nicht einmal einer falschen Einzelerfahrung; aber er kann niemals dazu gelangen, das Höhemoment daran herauszuheben. Wenn aber dem so ist, dann kann der Sachverhalt nur eine Wahrscheinlichkeitsgeltung haben. Also besteht die Möglichkeit, daß es Töne geben könnte, an denen das Höhemoment nicht zur Abhebung kommen kann? Zweifellos, sofern man nur vorurteilslos festeingewurzelte Assoziationen als veränderlich anzusehen vermag. Töne sind Empfundenes und daher durch Erfahrung gegeben. Immer ist man geneigt, dem Gegenstand die Bedeutung unterzuschieben und diese von allem Erfahrbaren loszulösen. Worauf gründet sich unser Sachverhalt als Wesensverhalt gefaßt? Doch nur auf die vielberufene Evidenz; darauf, daß die Gegenstände "leibhaftig" vor mir stehen. Das schaltet aber weder die Möglichkeit eines subjektiven Irrens noch die des objektiven Irrtums aus. Die erstere Möglichkeit ist natürlich niemals auszuschalten. Auch bei der Aufstellung mathematischer oder logischer Sachverhalte kann man sich irren und hat sich geirrt. Dennoch behauptet man mit Recht deren strenge Geltung. Dies aber wird bewiesen nicht durch die Berufung auf irgendeine Evidenz. Mag der Sachverhalt, daß 2 x 2 = 4 ist, noch so evident sein. Dadurch allein würde niemals die Möglichkeit eines objektiven Irrtums ausgeschlossen seisn, wenngleich die Wahrscheinlichkeit eines subjektiven Irrens wegen der logischen Einfachheit der Gegenstände sehr gering ist. Das Gleiche gilt für den Sachverhalt über den Ton. Auch hier folgt aus der Evidenz und logischen Einfachheit (auch die phänomenologischen Fundierungsverhältnisse mögen mitwirken) der Gegenstände nur die geringe Wahrscheinlichkeit subjektiven Irrens und daraus wird fälschlich auf die Unmöglichkeit eines objektiven Irrtums geschlossen. Nun wird man einwenden: Das als Ton Empfundene meinen wir gar nicht in unserem Wesensverhältnis. Aber auch wenn "Ton" etwas von Zeit und Raum und Kausalität Losgelöstes bedeutet, so muß doch immer zugegeben werden, daß er sich auf Erfahrung muß "anwenden" lassen. Streift man diese Erfahrungsbezogenheit von ihm ab, dann steht man im Reich der Phantasie und des Märchens.

Die gerade Linie der Mathematik wird in völlig anderer Weise auf die Erfahrung "angewendet" als der Ton. Das logische Verfahren, das mir aufgrund von Empfindungen das Wesen "Ton" gibt. Erst die Verflochtenheit der Geraden mit der die ganze Wirklichkeit überspannenden Raumgesetzlichkeit - ein Netz von Beziehungen, das wegen der endlichen Anzahl von Axiomen und darin vorkommenden Gegenständen übersehbar und abgeschlossen ist - verbürgt die strenge Geltung der Aussagen über die Gerade für alle Wirklichkeit. Erst wenn es gelänge, das Wesen "Ton" in ein analoges Netz von Axiomen hineinzustellen, wäre die strenge Geltung der Wesensaussagen über den Ton für alle Wirklichkeit begründet. Freilich ist die Position, die die Möglichkeit der Änderung jenes Sachverhaltes, die übrigens keineswegs so radikal zu sein braucht, wie wir angenommen haben, behauptet, darum schwer zu verteidigen, weil bis jetzt keine Gegeninstanz vorliegt. Immerhin gibt es Geräusche, denen man keine bestimmte Höhe beilegen kann. (11)

Noch ein weiteres Moment bedarf der Hervorhebung, das auf den zu engen Erfahrungsbegriff LINKEs zurückzuführen ist. Er hat zwar recht, wenn die Beobachtung sozusagen das zeitlich individuelle Moment unterstreicht, aber das tut nicht die Beschreibung empirischer Gegenstände. Wenn die Psychologie die Eigentümlichkeiten der Wahrnehmung beschreibt, so meint sie keineswegs die hic et nunc gemachte Wahrnehmung überhaupt, losgelöst aus allem zeitlich-räumlichen sowie kausalen Zusammenhang. Eben darum haben wir keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Methoden der Phänomenologie und deskriptiven Psychologie finden können.

Mag also auch die phänomenologische Reduktion die empirischen Gegenstände ihrer Individuation berauben, mögen sie als Ideen "gegeben" werden, ihre Erfahrungsbezogenheit können und dürfen sie nicht verlieren. Auch LINKE spricht von der empirischen Vereinzelung der Idee (Seite 212). Die Phänomenologie bringt das Evidente an den Gegenständen zur Gegebenheit und ist insofern Voraussetzung für jede Wissenschaft, auch für die Logik und die experimentelle Psychologie. Nur in diesem Sinne "wurzelt" die Logik in der Phänomenologie. Darum ist die Stellung der Phänomenologie zur experimentellen Psychologie in keiner Weise zu vergleichen mit der Mathematik zur Naturwissenschaft. Diese drei letzteren Wissenschaften sind der Phänomenologie gegenüber koordiniert.

Interessant ist, daß ELSENHANS wie LINKE auf das Moment der Darstellung, auf die Realisierung der Wissenschaft aufgrund des Gegebenen immerhin hinweisen, das wir als Hauptgegenstand der Phänomenologie glauben erkennen zu müssen.

Im Übrigen zeigen bereits diese beiden ersten Schriften einer in der Folgezeit vermutlich breiter werdenden Diskussion des Phänomenologieproblems, wie sehr eine Verständigung über dasselbe von der Stellungnahme zu den Grundfragen der Erkenntnistheorie abhängig ist.
LITERATUR Reinhard Kynast, Das Problem der Phänomenologie, Breslau 1917
    Anmerkungen
    1) Den engen Zusammenhang mit der Psychologie hebt Husserl selbst in den "Ideen" Seite 159 hervor.
    2) Vgl. hierzu die oben zitierte Behauptung Husserls über die Art des Gegebenseins von Sätzen anderer Wissenschaften, die hier und im folgenden Kapitel ihre kritische Beleuchtung erfährt.
    3) Vgl. hierzu die Ausführungen am Ende des vierten Kapitels.
    4) Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung, Bd. I, Seite 571 in der Abhandlung von Moritz Geiger über den ästhetischen Genuß.
    5) Wir sind also der Ansicht, daß "evidente" Inhalte erst eines wissenschaftlichen, nämlich eben phänomenologischen Prozesses bedürfen, um evident faßbar zu werden, wenn man von der Wahrnehmungsevidenz absieht. (vgl. Külpe, Die Realisierung, Bd. 1, Seite 56f)
    6) Bis hierher war die Arbeit abgeschlossen, als die kritischen Untersuchungen von Elsenhans und Linke in den Kant-Studien erschienen. Es sei daher im folgenden Kapitel näher auf diese eingegangen.
    7) Elsenhans, Phänomenologie, Psychologie, Erkenntnistheorie, Kant-Studien, Bd. 20, Seite 224-275. Paul F. Linke, *Das Recht der Phänomenologie, Kant-Studien, Bd. 21, Seite 163-221.
    8) Gleichwohl wäre es irrig, hierin das Hauptargument zu sehen, das wir gegen die strenge Geltung der Phänomenologie ins Feld führen. Was wir in erster Linie betonen, ist die Erfahrungsbezogenheit jeglicher Begriffsbildung, die auf Objektivität Anspruch erhebt, mag sie auch noch so abstrakt sein. Jeder Gegenstand hat eine Wurzel seiner Objektivität in der Wirklichkeit; sonst ist er bloß eine subjektive Einbildung. Darum kann die epoche nicht das leisten, was sie verspricht.
    9) Elsenhans, a. a. O., Seite 237.
    10) Vgl. auch Natorps Auseinandersetzung mit Husserl in seiner "Allgemeinen Psychologie", die allerdings die "Ideen" Husserls noch nicht kennt.
    11) Vgl. hierzu auch Brunswig, "Das Grundproblem Kants", 1914, Seite 131f.