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FRITZ MAUTHNER
Beiträge zu einer Kritik der Sprache
(Band III)
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"Die komplizierte Handlung (z. B. das Satteln oder, um bei Homer zu bleiben, das Anschirren der Pferde) ist dem hörenden Menschen entweder geläufig oder sie ist ihm fremd. Ist sie ihm fremd, so wird die Beschreibung, die Aufzählung der Teilhandlungen ihm von Seiten des sprechenden Menschen nicht eigentlich eine sprachliche Mitteilung, sondern eine Neuigkeit sein; er wird wünschen den ganzen Vorgang lieber praktisch vor sich zu sehen, weil er der Beschreibung kaum zu folgen vermag. Ist dem hörenden Menschen der Handlungskomplex jedoch geläufig, so wird die Beschreibung, die Aufzählung der Teilhandlungen, ihm bis zur Lächerlichkeit langweilig erscheinen." "Unser Interesse ist es, unter Umständen statt der Adjektive rot, weich, süß, saftig, die gemeinsame Ursache dieser Adjektive zu beachten, das sogenannte Ding, und es Apfel zu nennen. Unser Interesse ist es wiederum, was uns veranlaßt, die durch einen Zweckbegriff vereinigten Wahrnehmungen ebenso durch ein Verbum zusammenzufassen."

"Jener erste Lehrer, der den Baumbegriff gebildet hat, hat nichts entdeckt, sondern nur etwas erfunden; er hat schwankender Ähnlichkeiten wegen es sich bequem gemacht und begonnen, sich so und so viele Pflanzenarten an dem Wort Baum zusammenzumerken."

"Und so ist es auch am Ende eine Wortfolge und kein Sachurteil, wenn ich sage: «Meine Eiche ist jetzt rotblättrig.» Sie heißt rotblättrig. Die wahre Kopula aller Urteile oder Sätze ist also nicht das Wort sein, sondern das Hilfszeitwort heißen. Man mag die Worte fügen, wie kunstvoll man will, was herauskommt, wird niemals etwas anderes sein als - Sprache."


II. Das Verbum

Zu der Einsicht, daß den Kategorien der Logik oder Grammatik, daß den Redeteilen in der Wirklichkeitswelt nichts entspricht, daß insbesondere das Tätigkeits- oder Zeitwort keine einfache Wahrnehmung wiedergibt, konnte LESSING, abhängig von der Psychologie seiner Zeit, unmöglich gelangen. Starb er doch in dem Jahr, in welchem KANTs "Kritik der reinen Vernunft" erschien; und die grundlegenden Untersuchungen LOCKEs hatte er trotz eingehender Beschäftigung mit LEIBNIZ nicht weiter geführt. Umso überraschender ist es, wie LESSING durch eine seiner entscheidenden Ideen, durch die Grenzbestimmung zwischen Poesie und Malerei, zu einer Definition der Handlung geführt wird, die mit einer psychologischen Auffassung des Tätigkeitsbegriffs fast wörtlich zusammenfällt. Diese Definition, welche eigentlich schon seinen Laokoon vorausnimmt, findet sich in seiner Abhandlung über die Fabel aus dem Jahr 1759.
    "Eine Handlung nenne ich eine Folge von Veränderungen, die zusammen ein Ganzes ausmachen. Diese Einheit des Ganzen beruth auf der Übereinstimmung aller Teile zu einem Endzweck."
Diesen Endzweck sieht LESSING allerdings in dem moralischen Lehrsatz, für den die Fabel erfunden worden ist; aber der erkenntnistheoretische Wert der Definition geht weit über diese moralische Nutzanwendung hinaus. LESSING spricht es unmittelbar darauf aus: er könne es für eine untrügliche Probe ausgeben, daß eine Fabel schlecht ist, daß sie den Namen der Fabel gar nicht verdient, "wenn ihre vermeinte Handlung sich ganz malen läßt." In diesen wenigen Worten liegt, wie gesagt, der leitende Gedanke des Laokoon, in welchem Lessing nur wenig später mit all seiner Scharfsichtigkeit schon die sprachphilosophische Seite der Sache bemerkt.

Er kommt auf diese philosophische Seite der Frage im 16. Kapitel des Laokoon und ist sich der Bedeutung gar wohl bewußt; denn er beginnt die Auseinandersetzung mit den Worten: "Doch ich will versuchen, die Sache aus ihren ersten Gründen herzuleiten." LESSING ist so sehr auf die ersten Gründe seiner ästhetischen Fragen eingegangen, daß der Laokoon über seine Absicht hinaus ein Beitrag zur Sprachphilosophie geworden ist.

Schon in den einleitenden Sätzen des Werkes, in denen er stolz bescheiden die zufällige Entstehung und den Mangel an Ordnung im Werk beklagt, sagt er beiläufig etwas, was ich zu einem der Motti meiner Sprachkritik machen möchte.
    "An systematischen Büchern haben wir Deutschen überhaupt keinen Mangel. Aus ein paar angenommenen Worterklärungen in der schönsten Ordnung alles, was wir wollen, herzuleiten, darauf verstehen wir uns, trotz einer Nation in der Welt."
Diese Verachtung aller Wortmacherei (die sich in dem herrlichen 10. Kapitel des Laokoon bis zu der Einsicht steigert, daß auch die Zeichensprache der antikisierenden Malerei eine hohle Maskerade, ein Spiel mit toten Symbolen sein kann) mußte dem Verfasser des Laokoon so nahe liegen, weil die ersten Gründe der ganzen Untersuchung auf dem Gebiet der Ausdrucksmittel lagen. Wo er zu dieser Frage gelangt, da staunen wir zugleich über den Scharfsinn des außerordentlichen Mannes und beklagen die geringe Psychologie seiner Zeit. Er sagt:
    "Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebraucht als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben im Raum, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein Bequemes Verhältnis zum Bezeichneten haben müssen: So können nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teile nebeneinander existieren, aufeinander folgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen."
LESSING sagt dann weiter, daß Gegenstände, die aufeinander, oder deren Teile aufeinander folgen, Handlungen heißen; daß folglich Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie sind. Er leitet daraus die berühmte Schlußfolgerung her, daß die Malerei also nur einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen kann und daher den prägnantesten wählen muß, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird. Es versteht sich von selbst, daß LESSING bei all diesen Darlegungen nur an solche Darstellungen der bildenden Kunst denkt, welche eben Handlungen darstellen wollen, daß LESSINGs Laokoon darum auf die homerischen Gedichte und auf Gemälde nach HOMER weit besser paßt, als auf moderne Stimmungsbilder und moderne Stimmungspoesie. Wie LESSING aber immer mit seinen Gedankenblitzen weit voraus leuchtet, so hat er auch schon das Wort ausgesprochen, mit welchem ich seinen Standpunkt kritisieren möchte.

Vielleicht kam er zu dem Gedankenblitz, den ich meine, dadurch, daß die Theorie des Laokoon sich kaum gegen ein anderes berühmtes Werk seiner Zeit so sehr zu richten schien, wie gegen den "Frühling" seines lieben Freundes KLEIST. Von Herrn von KLEIST versichert er eifrig, daß er, hätte er länger gelebt, dieser malenden Poesie eine andere Gestalt gegeben hätte;
    "er würde (es sind Worte von Marmontel) aus einer mit Empfindungen nur sparsam durchwebten Reihe von Bildern eine mit Bildern nur sparsam durchflochtene Folge von Empfindungen gemacht haben."
In diesem Zusammenhang zitiert LESSING eine Stelle aus einem nicht minder berühmten malenden Gedicht, aus HALLERs "Alpen". LESSING will den Einwurf machen, daß HALLERs Beschreibung demjenigen keine Vorstellung gibt, der all diese Kräuter und Blumen noch nie gesehen hat. Und hier steigt LESSING plötzlich zu den ersten Gründen herab, wenn er, mit einer seiner bewunderungswürdigen Selbstunterbrechungen, ausruft:
    "Es mag sein, daß alle poetischen Gemälde eine vorläufige Bekanntschaft mit ihren Gegenständen erfordern. Ich will auch nicht leugnen, daß demjenigen, dem eine solche Bekanntschaft hier zustatten kommt, der Dichter nicht von einigen Teilen eine lebhaftere Idee erwecken könnte."
Hier, an diesem Punkt müßte die neue Psychologie einsetzen, wollte sie über LESSING hinaus die Grenzen zwischen Malerei und Poesie abzustecken wagen. Was LESSING da wir mit einem ihn blendenden Blitz beleuchtet hat, das läßt uns heute den Zusammenhang zwischen den Ausdrucksmitteln der Malerei und der Poesie einerseits, den Zusammenhang zwischen der Handlung und ihrem sprachlichen Zeichen, zwischen der Wirklichkeitswelt und dem Verbum, zwischen dem Mitteilungsinhalt und der Sprache begreifen. Denn wir wissen ja, daß nicht nur alle poetischen Gemälde eine vorläufige Bekanntschaft mit ihren Gegenständen erfordern, sondern daß alle Mitteilung (vollzieht sie sich nun durch sichtbare Sprache oder Malerei oder durch die Lautsprache) nur Erinnerung ist, also immer und unter allen Umständen eine vorläufige Bekanntschaft voraussetzt. Der Sprachkritiker zumindest hat gelernt, daß in einem artikulierten Wort der Lautsprache niemals etwas anderes liegt als die Erinnerung an Sinneseindrücke, und daß auch die Malerei oder Zeichnung eine künstliche und bis zu einem gewissen Grad konventionelle Artikulation ist, was das Auge so ganz anders in der Wirklichkeit erblickt. (vgl. "Beiträge", Bd. 1, Seite 46).

Insbesondere die Handlung, welche LESSING in seiner Abhandlung über die Fabel so prachtvoll definiert hat, und welche er sich so einfach durch das Verbum darstellbar denkt, haben wir als etwas kennen gelernt, was durch Worte gar nicht zu beschreiben ist. Wir wissen, daß wir z. B. mit dem Wort "graben" eine Unzahl minimaler Körperbewegungen unter einem menschlichen Gesichtspunkt eines Zwecks zusammenfassen. Was im Gehirn beim Anblick eines Bildes und beim Anhören des entsprechenden Verbums (des Ausdrucksmittels für die Handlung, für das Objekt der Poesie) vorgeht, ist also gar nicht so verschieden. Aus dem Augenblicksbild z. B. in einem Gemälde von J. F. MILLET kommt uns die Erinnerung, daß ein grabender Mensch einmal auch diesen Anblick gewährt; hören wir das Wort graben, so bezeichnet es allerdings nicht einen einzelnen Augenblick, sondern den ganzen Komplex der zweckmäßigen Bewegungen, aber es gibt doch zur Beschreibung der Tätigkeit nicht mehr, sondern weniger als das Gemälde. Es gibt den unsichtbaren Zweck des Bewegungskomplexes als Mittelpunkt der Erinnerung an die unzähligen Teilbewegungen. Und wollte der sprechende Mensch, der Dichter nun mehr tun als der Maler und, wie die Theorie LESSINGs es verlangen würde, anstelle des unsichtbaren Zweckbegriffs die Teilhandlungen aufzählen und so die Gesamthandlung zu beschreiben suchen, so würde sich bald herausstellen, daß Handlungen durch die Sprache nicht zu beschreiben sind, daß die Vorstellung von einer Handlung durch eine solche genaue Beschreibung nur immer undeutlicher würde. Oder vielmehr: Die komplizierte Handlung (z. B. das Satteln oder, um bei HOMER zu bleiben, das Anschirren der Pferde) ist dem hörenden Menschen entweder geläufig oder sie ist ihm fremd. Ist sie ihm fremd, so wird die Beschreibung, die Aufzählung der Teilhandlungen ihm von Seiten des sprechenden Menschen nicht eigentlich eine sprachliche Mitteilung, sondern eine Neuigkeit sein; er wird wünschen den ganzen Vorgang lieber praktisch vor sich zu sehen, weil er der Beschreibung kaum zu folgen vermag. Ist dem hörenden Menschen der Handlungskomplex jedoch geläufig, so wird die Beschreibung, die Aufzählung der Teilhandlungen, ihm bis zur Lächerlichkeit langweilig erscheinen. Man stelle sich einmal vor, ein epischer Dichter wäre auf den verrückten Einfall gekommen, das Verbum "er ging", weil es doch nur den Zweckmittelpunkt angibt und nur die Jllusion eines wirklichen Bildes erzeugt, durch eine Beschreibung des Gehens zu ersetzen, wie sie etwa durch die Brüder WEBER anatomische, durch ANSCHÜTZ photographische Kenntnis geworden ist. Der Dichter könnte nun eine Reihe von Seiten an die Stelle des einfachen "er ging" setzen; jede Einzelbewegung des Apparates von Knochen, Sehnen, Nerven und Muskeln könnte er, mit oder ohne Mathematik, aufeinander folgen lassen. Unsere Wissenschaftler würden das eine Erklärung des Gehens nennen. In Wahrheit aber wäre es natürlich keine Erklärung, sondern nur eine Beschreibung, eine Beschreibung aber auch wieder nur für die Vorstellung des Anatomen oder Physiologen, der eine "vorläufige Bekanntschaft" mit den Teilhandlungen besäße; für den unvorbereiteten Zuhörer wäre es das Gegenteil von einer Beschreibung. Er würde nach dem Lesen der ganzen Aufzählung von Teilhandlungen viel eher glauben, die Person hätte geturnt als sie wäre gegangen. Denn nicht nur die Poesie als die Wortkunst, sondern die Sprache überhaupt setzt, wie wir wissen, den Gegenstand der Mitteilung als bekannt voraus - um diesen Gedanken endlich einmal so scharf wie möglich auszudrücken. Gerade das Verbum als das Ausdrucksmittel der Handlung ist für diese Erkenntnis sehr wichtig. Die Adjektive grün, süß usw. lassen freilich keinen Zweifel darüber, daß keine Beschreibung eine Vorstellung des Grünen, Süßen usw. demjenigen liefern könnte, dessen Gesichtsnerven, bzw. Geschmacksnerven usw. nicht funktionieren. Das scheint uns aber gar nicht mehr bemerkenswert, weil es vor aller Psychologie klar sein mußte, weil - wie ich hinzufüge - die unmittelbaren Sinneseindrücke immer adjektivisch sind und darum niemals durch Beschreibungen ersetzt werden können. Bei den Substantiven ist ein Irrtum schon eher möglich; man glaubte die Vorstellung von einem Elefanten in der Schule durch adjektivische Beschreibungen erzeugen zu können, bis die neuere Pädagogik in allen solchen Fällen den Anschauungsunterricht für notwendig erklärte. Der Anschauungsunterricht versucht durch hübsch kolorierte Bilder auch die Tätigkeit der Handwerker den Kindern beizubringen. Ein fruchtloses Bemühen! Niemals wird sich das Kind von der Tätigkeit des Handwerkers eine Vorstellung machen können, wenn es seine Werkstatt nicht besucht hat. Durch die bloße Beschreibung der Tätigkeit kann man weder einen Schuhmacher noch einen Schwimmer ausbilden; man kann aber auch dem Nicht-Schuhmacher und Nicht-Schwimmer von der Tätigkeit durch bloße Beschreibung keine Vorstellung geben. Handlungen können nicht der eigentliche Gegenstand der Poesie sein, der Wortkunst, weil Tätigkeiten sich durch Worte am allerschlechtesten beschreiben lassen. Poesie kann schon aus diesem Grund immer nur Seelenstimmungen darstellen, weil der Dichter (untätig, handelnd oder anderen handelnden Personen gegenüber - lyrisch, dramatisch oder episch) empfindet und die er beim Leser wieder erzeugen will.

Die letzte Entwicklung der europäischen Poesie hat sich revolutionär vollzogen, ohne daß irgendeiner der Dichter oder der Theoretiker vermutet hätte, daß der Umschwung in irgendeinem Zusammenhang stände mit den erkenntnistheoretischen Fragen unserer Zeit. Ich möchte die Aufgabe, diesem Zusammenhang nachzuforschen, einem Leser dieser Sprachkritik stellen. Die begabtesten unter den modernen Dichtern verzichten auf die allein selig machende Handlung sogar im Drama, geschweige denn im Roman, und lassen die Handlung mehr aus der Stimmung ihrer Personen erraten, welche sie doch allein kennen; und wieder die Charaktere dieser Personen schildern sie nur indirekt, weil die Sprache nicht mehr vermag; und sie haben es aufgegeben, Musterbilder von Menschengruppen aufzustellen, weil sie doch nur Individuen kennen und weil es eine typische Sprache für Typen gar nicht gibt, sondern nur Individualsprachen. Es wäre traurig, wenn die Probe auf das Exempel nicht gestimmt hätte, wenn die neueste Entwicklung der Wortkunst der Sprachkritik widerspräche.


Erkenntnistheoretische Untersuchungen haben mich zu der Einsicht geführt, daß die altberühmten Kategorien des Seins doch nur die aus unseren indoeuropäischen Sprachen abstrahierten Redeteile der Grammatik sind, und daß diese Redeteile weder der Wirklichkeitswelt noch unseren Sinneseindrücken von ihr kongruent sind. Wir haben gesehen, daß unsere Wahrnehmungen von den Dingen weit eher adjektivischer als substantivischer Natur sind, und daß das Verbum Beziehungen in Raum und in der Zeit auszudrücken versucht, etwa Veränderungen, also Vergleiche, daß wir aber von Tätigkeiten und Zuständen unmittelbar gar nichts wissen. Nun führen uns psychologische Untersuchungen auf ganz anderem Weg dazu, das Verbum auch sprachlich überflüssig zu finden zur Auffassung oder Mitteilung einer Handlung. Bei elliptischen Formen wie "Heraus!" "Zu Pferde!" "Schnell!" und dgl. ist es ja bekannt, daß das Verbum aus der Situation ergänzt wird. Das ist aber nicht mit den Sprachpedankten so zu verstehen, als verschweige der Sprecher und ergänze der Hörer ein bestimmtes Verbum z. B. der Schauspieler soll heraus "kommen", der lästige Besucher solle heraus "gehen". Man könnte, wenn man schon einen ordentlichen Satz formulieren will, in jedem solchen Fall das Verbum "machen" eintreten lassen, welches ja so häufig als allgemeinste Bezeichnung irgendeiner Tätigkeit fast wie eine Flexionssilbe gebraucht wird. Der Sprachgebrauch gestattet die allerdings für unfein geltenden Redewendungen wie "nach der Schweiz machen, das Schreckhorn machen". Vermutlich ist auch das lateinische proficisci (reisen) aus facio (machen) entstanden. "Machen" heißt dann nicht mehr als die verbale Endsilbe, welche z. B. im Deutschen aus Sattel "satteln" - macht. Weder das machen im Sinne von reisen, besichtigen, besteigen usw. noch die verbale Endsilbe drückt eine bestimmte Tätigkeit aus in der Umgrenzung, wie etwa die Adjektive grün, groß, laut, einen bestimmten Sinneseindruck bezeichnen. Unsere Beispiele umfassen gleich dreierlei sogenannte Tätigkeiten. "Satteln" ist von einem Dingwort abgeleitet, welches Objekt einer Veränderung wird; "entzweien" von einem Wort, welches Ziel einer Tätigkeit wird; "schriftstellern" vergleicht eine Lebensweise mit der eines bestimmten Berufs, und enthält die Nuance, daß die Ähnlichkeit nicht ganz zutrifft. (Hierfür und für das Folgende: WEGENER, Untersuchungen über die Grundfragen des Sprachlebens, Seite 138-150).

Die besten, ich möchte sagen, die echten Verben, die Zeitwörter (weil man mit ihnen eine Veränderung in der Zeit ausdrücken will), lassen sich durch die Kunstmittel des Malers nicht mitteilen. Das Satteln dauert vielleicht einige Minuten lang und der Maler kann bekanntlich nur einen einzigen Augenblick wiedergeben. Dennoch wird ein Reiter einer guten Zeichnung von einem Kavalleristen neben seinem Pferd sofort ansehen, ob der Kavallerist aufsteigen will oder abgestiegen ist oder ob er eben die Handlung des Sattelns vornimmt. Seine Sachkenntnis deutet ihm die Situation des Augenblicks. Nun sagte man gewöhnlich, daß die in der Zeit verlaufende Sprache die Handlung darstellen kann, ja daß sie nichts als Handlung (in der Poesie) darstellen darf. LESSING hat in einem Laokoon die Grenzen zwischen Malerei und Poesie auf diesen Unterschied von Raum und Zeit begründet. Theoretisch konnte die Psychologie des vorigen Jahrhunderts nichts dagegen einwenden; LESSINGs Theorie war ein bedeutungsvoller Fortschritt gegen die dichtenden Malereien seiner Zeit. Die neuere Psychologie aber läßt uns erkennen, daß auch das Verbum, in welchem LESSING das Hauptwort der poetischen Darstellung hätte sehen müssen, nur ein Situationsbild wachruft, aus welchem sich unsere Sachkenntnis eine Veränderung im Raum oder in der Zeit, eine Tätigkeit konstruiert. Die von Substantiven abgeleiteten Verben sind dafür besonders lehrreich. "Satteln" enthält zwei Bestandteile, das Substantiv Sattel und die Endsilbe, welche eine sogenannte verbale Vorstellung erweckt; das Wort heißt etwa: Etwas mit dem Sattel machen, etwas mit dem Sattel vornehmen, die Lage des Sattels anders werden lassen als sie vorher war.

Ich habe schon gezeigt, wie unsere Wahrnehmung die unzähligen Finger- und Handbewegungen oder gar die Muskelreizungen und Innervationen z. B. beim Graben oder Stricken gar nicht sondert, wie unsere Wahrnehmung aus einem augenblicklichen Situationsbild oder aus mehreren solchen die Handlung erst kombiniert, wie erst der Zweckbegriff, den wir in eine unendliche Reihe von minimalen Bewegungen hineinlegen, den wir bei ihnen voraussetzen, als Handlung einen sprachlichen Ausdruck erhält. Was wir mit den Sinnen wahrnehmen beim Satteln, beim Ackern, beim Graben oder Stricken, das ist in keinem Augenblick etwas, was einer Handlung irgendwie ähnlich sieht. Unsere Wahrnehmungen sind - wie gesagt - immer adjektivischer Art. Unser Interesse ist es, unter Umständen statt der Adjektive rot, weich, süß, saftig, die gemeinsame Ursache dieser Adjektive zu beachten, das sogenannte Ding, und es Apfel zu nennen. Unser Interesse ist es wiederum, was uns veranlaßt, die durch einen Zweckbegriff vereinigten Wahrnehmungen ebenso durch ein Verbum zusammenzufassen. Beim Substantiv setzen wir in der Wirklichkeitswelt wenigstens eine Substanz voraus, die die vorausgegangene gemeinsame Ursache der Adjektive ist. Beim Verbum ist das Gemeinsame, der Zweck der minimalen Veränderungen, der Sinn des Verbums also, in der Gegenwartswelt ganz gewiß nicht vorhanden. Das Verbale in den Vorgängen kann schon aus diesem Grund nicht eigentlich mitgeteilt werden, ein eigentliches Verbum ist gar nicht möglich; die verbalen Formen fordern uns nur auf, eine Tätigkeit und dgl. aus den Worten herauszuhören oder in sie hineinzulegen, das heißt unsere Aufmerksamkeit mehr auf die Veränderung der Situation als auf die Situation selbst zu richten.

Etwas von einer wirklichen oder möglichen Änderung der Situation meinen wir auch bei den Verben, die keine Tätigkeiten ausdrücken. Der unveränderte Zustand eines grünen Waldes heißt in der Sprache "der Wald ist grün"; sage ich "der Wald grünt", so vergleiche ich den jetzigen Zustand mit der graubraunen Färbung im Winter. (Daß wir, hätte sich der Sprachgebrauch dem Fortschritt der Wissenschaft angeschlossen, auch den Zustand mit "der Wald grünt mich" bezeichnen müßten, gehört nicht hierher.) Das Verbum in "das Buch liegt auf dem Tisch" sagt nicht genau dasselbe wie etwa in "das Buch ist dick"; im Liegen wird die Möglichkeit angedeutet (unter Umständen ganz fühlbar), daß das Buch sicher ruht und nicht herunter gefallen ist.

Wir kennen schon die dominierende Bedeutung, welche die Metapher für die Entwicklung, also für die Entstehung der Sprache besitzt. An nichts erkennt man das Schwanken der Wortbedeutungen, ihr á-peu-prés [ungefähr - wp], so genau, wie daran, daß die Worte sich vergleichsweise den Umfang ihres Sinnes erobern. Bei der metaphorischen Anwendung der Worte, aus der schließlich der ganze Sprachschatz entstanden ist, muß im menschlichen Gehirn ein unsicheres, pendelndes Tappen zwischen den beiden verglichenen Gegenständen vorhanden sein, ein Tappen, das auch im schließlichen Gebrauch der Worte versteckt bleibt, nachdem die Vergleichung aus dem Sprachbewußtsein verschwunden ist; immerhin weist das Substantiv, nachdem seine metaphorische Entstehung unbewußt geworden ist, auf eine mehr oder weniger sinnliche Vorstellung hin. Beim Verbum hört dieses Vergleichen niemals auf, dieses pendelnde Tappen, dieses Wandern des Blickpunktes, weil wir nie eine Tätigkeit wahrnehmen oder vorstellen können, weil es immer etwas wie der Zweckbegriff ist (beim Substantiv eine Ursache), der unsere Aufmerksamkeit rasch über die unzähligen minimalen Teilhandlungen hingleiten läßt und erst aus der Vergleichung der Anfangs- und der Endsituation zum Begriff der Tätigkeit gelangt. Uns ist von diesem ewigen Vergleichen nichts bewußt. Bedenken wir aber, daß nur die Sachkenntnis uns den Tätigkeitsbegriff auffassen läßt, daß die Vergleichungspunkte dem Hörer genau so gegenwärtig sein müssen, wie dem Sprecher, wenn er den gleichen Tätigkeitsbegriff in das gehörte Wort hineinlegen will, so wird uns die Bedeutung dieses Umstandes klar werden. Denken sich die Menschen schon unter den Substantiven niemals mathematisch genau dasselbe, so wird die Verschiedenheit noch größer bei den Verben, weil da mehrere Situationsbilder zu vergleichen sind und jedes einzelne Situationsbild schon in jedem Kopf ein anderes ist. Eine Folge davon ist, daß zeitliche und räumliche Entfernung die Vorstellung des gleichen Verbums verändert. Ein deutscher Kavallerist sattelt anders als ein Kosak, ein Amerikaner pflügt anders als ein alter Ägypter. Man nehme einmal das Wort Zahn. Ein Schwarzafrikaner wird eine etwas andere Vorstellung damit verbinden als ein Chinese; ein Haifisch (wenn er sprechen könnte) eine andere Vorstellung als ein Mensch. Nun ist Zahn wahrscheinlich durch Lautwandel aus dem Wort "der Essende" entstanden. Die Vorstellung des Essens ist aber noch viel ungleicher bei den verschiedenen Völkern. Es hat gewiß eine Zeit gegeben, wo die Menschen wie die Tiere "gefressen" haben, etwa mit Zuhilfenahme ihrer Hände, wie die Affen. Essen bedeutete damals hauptsächlich "mit den Zähnen zerreißen und kauen"; "der Essende" war damals wirklich der Zahn. Wer heute in der Stadt zum "Essen" eingeladen ist, dem zerfällt das Verbum in eine Menge Teilhandlungen, von denen ich nur einige hervorheben will: Toilette machen, in großer Zahl zusammenkommen, niedersitzen (vor dem reich gedeckten Tisch), Serviette öffnen, Löffel und Gabel benutzen (dazu vielleicht noch Austernmesser, Käsemesser, Obstmesser usw.), verschiedene Teller benützen, verschieden Gläser usw.; das alles kann das Verbum essen ausdrücken. Aber auch der einfache Mann stellt sich essen nicht anders vor, als mit Löffel und Gabel. Hört er nun vom Essen der homerischen Helden oder vom Essen chinesischer Mandarine, so schiebt er den Griechen und den Chinesen das ihm bekannte Situationsbild unter, weil er nicht weiß, daß die Griechen weder Löffel noch Gabel gekannt haben und daß die Chinesen beim Essen Stäbchen gebrauchen. Die den einfachen Mann umgebende Wirklichkeit ist zu einem automatischen Gebrauch von Löffel und Gabel geworden; in seinen Muskeln und Nerven, also auch in seinem Gehirn, spiegelt sich dieses Wirklichkeitsbild als Einübung. Hört er das Wort essen, so verlegt er dieses Nervenbild seiner Tätigkeit in den Satz hinein.


Es gilt selbstverständlich, daß das Zeitverhältnis eines Satzes zunächst durch die Zeitformen des Verbums ausgedrückt wird; und zwar bezieht sich das Zeitverhältnis immer auf das Subjekt, entweder auf das Subjekt des Satzes oder auf das den Satz aussprechende Subjekt. Dieses Subjekt vertritt die Gegenwart. Der Sprecher ist immer gegenwärtig gedacht oder mit der Gegenwart des Sprechers verglichen. So hat jeder mögliche Satz einerseits eine zeitliche Mitbedeutung; andererseits wird immer nur eine Beziehung zur Gegenwart, also Vergangenheit oder Zukunft, direkt ausgedrückt. Für die eigentliche Gegenwart, abgesehen von der (Beiträge, Bd. III, Seite 43) erwähnten Zeitlosigkeit, hat das Verbum so wenig einen unmittelbaren Ausdruck, wie das Substantiv für den Fall der Beziehungslosigkeit. Was wir Nominativ und Präsens nennen, das ist wahrscheinlich eine höhere spätere Bildung als Dativ und Akkusativ, als Perfektum und Futurum.

Wir haben eben gesehen, wie die Unbestimmtheit des grammatischen Sinns auch im zeitlosen Präsens sichtbar wird.

SIGWART (Logik, Bd. 1, Seite 90) macht darauf aufmerksam, daß das Präsens etwas Verschiedenes bedeutet, je nachdem es dasselbe Prädikat von einem Begriff oder von einem Ding aussagt. Ganz richtig. "Die Sterne leuchten" (das heißt man erkennt die Sterne gerade daran, daß sie leuchtende Punkte sind) bedeutet etwas ganz anderes als "die Sterne leuchten" (das heißt jetzt, wie ich eben sehe, leuchten sie, der Himmel ist also nicht bewölkt). Das Erste kann man auch bei Tag sagen, das Zweite nicht. Das Erste ist eine völlig leere Tautologie, weil wir das Leuchten mitvorstellen, wenn wir "Sterne" hören; das Zweite ist eine Tautologie anderer Art, weil wir auf die zweifelnde Frage, ob der Himmel etwa bewölkt ist, bloß "Sterne" zu antworten brauchen oder "Es sind Sterne am Himmel". Das Leuchten gehört dazu oder ist vielmehr die Voraussetzung unseres Sehens.

Das Präsens bezeichnet also (vgl. weiter oben) das eine Mal die Gegenwärt, also eigentlich den flüchtigen Augenblick, das andere Mal die ewige Dauer in Vergangenheit und Zukunft. Oder sollte etwa die Sprache so witzig gewesen sein, d und dort mit dem Präsens die Zeitlosigkeit bezeichnen zu wollen? Schwerlich. Der Witz der Sprache ist niemals Wortwitz; so dumm wie wortwitzige Menschen ist sie dann doch nicht.

Die Eigentümlichkeit des Verbums, einerseits immer das Zeitverhältnis anzugeben, andererseits nicht die Gegenwart selbst, sondern stets nur eine Beziehung zur Gegenwart, entspricht den subtilsten Ergebnissen der Erkenntnistheorie. Jeder Satz muß eine zeitliche Bestimmung in sich tragen, weil wir die Welt nicht anders als auf dem Kanevas [gitterartiges Leinengewebe für Stickereien - wp] der Zeit (und des Raums) zu erkennen vermögen. Aber wir kennen keine Gegenwart im buchstäblichen Sinn, weil die Gegenwart immer nur der mathematische Punkt zwischen Vergangenheit und Zukunft ist, niemals ein Besitz, sondern im Augenblick des Erfassens auch schon ein verlorener Besitz. Psychophysische Experimente haben zur Genüge nachgewiesen, daß die einfachste Empfindung Zeit braucht, um uns zu Bewußtsein zu kommen. Wie wir nach den Lehren der gegenwärtigen Optik das Licht der Fixsterne sehen, das vor Jahren den Weg zu uns angetreten hat, so fühlen wir einen Nadelstich als gegenwärtig erst, wenn er der Vergangenheit angehört. Die Gegenwart ist also nur in unserem Gehirn oder unserem Bewußtsein, nicht in unserer Wirklichkeit. Pedantisch müßten wir sagen "es blitzte" und nicht "es blitzt", so wie die Römer, indem sie sich in den Geist des Adressaten hineindachten, die Ereignisse, die sie brieflich meldeten, zurückdatierten.

Für die Einsicht in die Mängel der Sprache ist es besonders lehrreich, daß sie auch auf ihrem eigensten Gebiet irre führt. Die Grammatik ist nichts als der Sprachgebrauch, der auf abstrakte Regeln gebracht worden ist; und nicht einmal für die Regeln von der Sprache reicht die Sprache aus. Wir haben eben erfahren, daß es eine eigentliche Gegenwart nicht gibt; wir müssen annehmen, daß das undifferenzierte Verbum, das uns heute die sogenannte Gegenwart bezeichnet, zu dieser Bedeutung erst auf einer höheren Entwicklung des menschlichen Geistes gelangt ist. Dagegen habe ich mehr als einmal den Satz wiederholt, daß die Tiere wenig oder gar nichts von Vergangenheit und Zukunft wissen und ganz in die Gegenwart gebannt sind. Es ist offenbar, daß wir da und dort den Gegenwartsbegriff in einem verschiedenen, ja in einem entgegengesetzten Sinn gebrauchen. Denn sonst müßte ja das Tier der Wirklichkeitswelt mit einer besseren Orientierung gegenüberstehen als der Mensch. Wir können den Unterschied im Gebrauch des Gegenwartsbegriffs jedoch nicht deutlich fassen, weil uns die Worte dafür fehlen. Die Sache liegt ungefähr so. Die Gegenwart, in welche die Tiere gebannt sind, ist die Wirklichkeit, welche immer gegenwärtig ist. So müssen auch die Pflanzen die Wirklichkeit als gegenwärtig empfinden. Die andere Gegenwart, die grammatikalische oder logische Gegenwart, als der mathematische Treffpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft, ist nicht wirklich, ist nur in unserem Bewußtsein, ist nur in unserer Sprache. In der Wirklichkeitsgegenwart der Tiere und Pflanzen erzeugt der Vergangenheitsmoment immer den Zukunftsmoment; diese Gegenwart ist fließend. In der grammatikalischen oder logischen Gegenwart ist der Versuch gemacht, den Fluß der Zeit aufzuhalten, die Hypothese eines starren Augenblicks der Unveränderlichkeit aufzustellen. Ob der Raum der Wirklichkeitswelt, zeitlich immer Gegenwart, zum Material der Sinne gehört, das wissen wir nicht; wir wissen nur, daß die allzeit materialistische Sprache den Raum als in der Gegenwart starr auffassen muß. Diese Vorstellung von einer in der Welt nicht existierenden, für unsere Begriffswelt notwendigen starren Unveränderlichkeit ist das Wesentliche an der grammatikalischen Gegenwart; sie kann daneben einen möglichst mathematischen Moment ausdrücken, wie wenn der Experimentator im psychophysischen Laboratorium sprachlich oder durch ein anderes Zeichen mitteilt, er fühle jetzt den elektrischen Schlag, sie kann etwas wie zeitlose Dauer bezeichnen, wie in unzähligen Begriffsdefinitionen: "Die Erde ist ein Planet". Dazwischen wird jede mögliche Zeitdauer, wenn man nur die in ihr sich verändernde Wirklichkeit als eine relativ unveränderte Einheit auffaßt, durch die Gegenwart bezeichnet werden: Es ist zehn Uhr, es ist Tag, es ist der dritte Mai, es ist Mai, es ist Frühling, es ist das Jahr 1899 usw.

Die menschliche Sprache oder das Denken ist also höchst wahrscheinlich von einer vorsprachlichen Wirklichkeitsgegenwart ausgegangen und hat erst nach einem langen Weg der Abstraktion einen Ausdruck für die sprachliche Gegenwart, für die grammatikalische Gegenwart gefunden. In der Sprache war also die Form für Vergangenheit und Zukunft früher da als eine klare und bewußte Form für die Gegenwart. Die Tatsachen der Sprachgeschichte scheinen diese Einsicht bald zu bestätigen, bald zu widerlegen, sind aber mit Vorsicht zu benützen. So haben die semitischen und altslawischen Sprachen nur für die Gegenwart und für die Vergangenheit eine bestimmte Form und man sagt, daß sie die Zukunft durch die Gegenwart ausdrücken. Was heißt das: eine Sprache drückt die Zukunft durch die Gegenwart aus? Das ist doch nur eitle Wortmacherei. Selbst in unserer Zeit hat das Präsens unendlich oft, in der Umgangssprache wie auch im Gebrauch der Dichter, den Sinn des Futurums. "Ich komme gleich". - "Wer weiß, wer morgen über uns befiehlt", sagt der Dichter, anstatt "morgen über uns befehlen wird". In diesem "anstatt" liegt dieselbe Wortmacherei, derselbe grammatikalische Hochmut verborgen, wie in dem Satz, es drückt eine Sprache die Zukunft durch die Gegenwart aus. Es versteckt sich darin die ewige Vermessenheit der Abstraktion, welche über die Wirklichkeit herrschen will, die Unverschämtheit der Regel, welche mehr sein will als die Einzelfälle, auf welche sie sich ordnend bezieht. Die Regel ist nichts als ein kurzer Ausdruck für den Sprachgebrauch; nachdem sie jedoch in eine Formel gefaßt ist, will sie den Sprachgebrauch, den sie nur aussprechen sollte, ändern. Es ist wie auf allen Gebieten des Handelns. Hat man durch ein Wort ausgedrückt, was ist, so möchte das Wort sofort ein Sollen sein. Das ist immer eine Willkür, auch bei der Fixierung der Zeitformen. Durch den Gebrauch der "richtigen" Zeitformen kommt in die Schriftsprache eine Nüchternheit, ohne daß die Deutlichkeit der Umgangssprache erhöht wird. Ein Beispiel für die Willkür der Grammatiker ist es, daß die gleiche Form, welche in der arabischen Grammatik Präsens heißt, im Hebräischen Futurum genannt wird.

Man hat die drei Zeiten der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft die absoluten Zeitverhältnisse genannt und sie so von den relativen Zeitverhältnissen, wie z. B. dem Plusquamperfekt unterschieden. Natürlich sind diese Bezeichnungen nicht streng zu nehmen. Gegenwart und Zukunft beziehen sich immer auf die Gegenwart, sind immer relativ, und Plusquamperfektum, Futurum exaktum usw. sind nur relativ in zweiter Potenz; irgendeine Vergangenheit oder Zukunft wird gewissermaßen als eine Koordinatenachse angenommen, auf welche sich wiederum eine andere Zeit als Vergangenheit oder Zukunft bezieht. Es gab und gibt Sprachen (wie das Althochdeutsche und trotz großen Reichtums in anderer Beziehung das Slawische), welche für die Relativität in zweiter Potenz keine grammatische Form besitzen, ohne daß Sprecher und Hörer über die Zeitverhältnisse im Unklaren blieben.

Durch die Zeitformen des Verbums wurden und werden oft andere Beziehungen des Satzes ausgedrückt, welche in der Darstellung der Grammatik mit den Zeitunterschieden keine Ähnlichkeit haben. Es sind das die sogenannten Modi; der Ausdruck, dessen Geschichte für Logik und Grammatik gleich lehrreich ist, sagt uns nichts mehr. Später werden wir im Zusammenhang (mit anderen sprachlichen Andeutungsmitteln für Zeit und Raum) zu zeigen haben, wie weit die Anwendung des Tempus auf den Modus metaphorisch ist oder nicht.

Der Indikativ ist in demselben Stand der Indifferenz wie der Nominativ unter den Fällen, das Präsens unter den Zeiten. Wie das Präsens unter Umständen jeden anderen Modus. Wie die sichere Erwartung der Zukunft sich durch das Präsens ausspricht, und oft besonders nachdrücklich, selbst drohend. "Du kommst!"

Die Form des Konjunktivs ist in vielen Sprachen der Form der Zukunft nahe verwandt. Auch kann, wie im Lateinischen und im Hebräischen, der Imperativ durch das Futurum ausgedrückt werden. Und es gehört gar nicht viel Phantasie dazu, um einen Sprachgeist zu verstehen, der nicht etwa die Zukunft "anstatt" des Konjunktis, "anstatt" des Imperativs setzte, der vielmehr Konjunktiv oder Imperativ klar als Zukunft sah. Der Konjunktiv, welcher in unseren Sprachen von Begriffen des Wünschens, Bittens, Befehlens usw. "abhängig" ist, geht immer auf einen künftigen Zustand und hat dennoch Vergangenheitsformen. Wer weiß, ob Konjunktive, die nicht auf die Zukunft gehen, nicht mißverständliche Analogiebildungen sind. Der regelrechte Konjunktiv unserer Schriftsprache, wie er von Schulmeistern durchgeführt wird, hat für ein süddeutsches Ohr oft etwas Unnatürliches.

Nicht so einleuchtend ist es und doch charakteristisch, daß die relativen Zeiten in zweiter Potenz, weil sie sich nicht auf die unmittelbare Gegenwart des Sprechenden beziehen, also keine greifbare Wirklichkeit bezeichnen, leichter zum Ausdruck der Möglichkeit werden können. Unter die Modi müßte auch der Begriff der Unbestimmtheit gerechnet werden, der - auf die Zeit bezogen - eine Unbestimmtheit der Dauer oder Unbestimmtheit der Wiederholung sein kann. Hier mischen sich in den Sprachen, welche eine besondere Form des Iterativs [wiederholtes Ereignis - wp] haben, Modus und Zeit. Im Deutschen, wo wir das Iterativum schwerfällig durch "ich pflege" oder "ich pflegte" das und das zu tun, ausdrücken müssen, wird der Zeitumstand in das Hilfswort verlegt und dadurch das Zeitmoment der eigentlichen Tätigkeit verwischt; und die Modalität, welche sich im Hilfswort ausdrückt, geht wieder dadurch verloren, daß das Wort die Bedeutung der zeitlichen Wiederholung angenommen hat. Wir denken beim Sprechen nicht mehr daran, daß "pflegen" ursprünglich und noch im vorigen Jahrhundert den lebhaften Anteil an einer Person oder an einem Tun bedeutete und daß es erst in jüngster Zeit den Begriff der Gewohnheit ausdrückt. Die Durchdringung, man kann wohl sagen: das Durcheinander von Zeit und von Interesse, wie die Form des Iterativums es vereinigt, ist also in der deutschen Umschreibung des Iterativums deutlich sichtbar. Manche Sprachen, wie die einiger in der Kultur sehr tief stehenden schwarzafrikanischen Stämme, besitzen für den Anfang einer Handlung, für die Intensität der Handlung und für das Geschehenlassen einer Handlung besondere Verbalformen, die uns fehlen; sie hätten längst lehren können, daß es nicht im Wesen dieses Redeteils liegt, sondern in einem bequemen Sprachgebrauch, wenn das Verbum in unseren Sprachen Zeitwort geworden ist, das heißt durch seine Formen mit an die subjektive oder objektive, an die in erster oder zweiter Potenz relative Zeit erinnert.

Und daß uns die Verbindung der Zeitverhältnisse mit den Tätigkeitsbegriffen Sprachgebrauch oder bequem geworden ist, das ist wohl wieder nur ein sprachgeschichtlicher Zufall. Es war nicht notwendig, den Satz aus Subjekt und Prädikat oder z. B. aus Substantiv, Kopula und Adjektiv zusammenzustellen; es war darum auch nicht notwendig, den Zeitbegriff an das Prädikat (das Verbum oder die Kopula) zu knüpfen. Nach STEINTHAL herrscht im Jakutischen der substantivische, vom Subjekt ausgehende Satzbau vor, im Grönländischen tritt Subjekt und Prädikat hinter das Objekt zurück. Mit der Tatsache, daß die Sonne leuchtet, muß also auch das Zeitverhältnis des Leuchtens im Jakutischen an die leuchtende Sonne, im Grönländischen an die beleuchtete Erde geknüpft werden. Und gäbe es solche Sprachen nicht, so läge doch kein Grund vor, sich solche Sprachen nicht vorzustellen.

Es war nicht notwendig, daß die Zeitverhältnisse gerade am Prädikat bezeichnet wurden; es war nicht notwendig, daß die Zeitverhältnisse gerade am Prädikat bezeichnet wurden; es war nicht notwendig, daß gerade das Verbum, also der Redeteil für Tätigkeiten, sich zum Zeitwort entwickelt hat. Nun hatte aber das Verbum schon den Dienst übernommen, die subjektiven Verhältnisse mit auszudrücken, ob nämlich der Sprechende oder der Angesprochene oder ein Dritter etwas getan hat. Das Verbum besaß gewissermaßen schon einen Zapfen, um welchen sich ein Zeiger herumdrehte und auf persönliche Beziehungen hinwies; da konnte leicht ein zweiter Zeiger angegliedert werden, der bald nach vorn, bald nach hinten weist und so Zukunft und Vergangenheit bezeichnet. Alle Zeiten sind, wie wir gesehen haben, relativ in Bezug auf eine Gegenwart, welche es nicht gibt, welche wir uns nur als einen starren Punkt vorstellen. Der Zapfen, um welchen der Zeiger sich dreht, wäre ein unschönes, aber richtiges Bild für diese Gegenwart; er gibt für den Zeiger den ruhenden Punkt ab, mag die Uhr dabei im Raum umhergetrieben werden oder in der Zeit fortbestehen.


Ich glaube nicht, daß die Kopula im Denken überhaupt vorhanden ist. Und der ganze Unterschied zwischen Sprechen und Denken läßt sich wieder an der Kopula aufzeigen.

Diejenigen Wilden und die Kinder, die "Raben schwarz" sagen, denken doch absolut nichts anderes als wir, wenn wir grammatikalisch richtig sagen "die Raben sind schwarz" oder gar corvi sunt nigri (wo die Endung des Adjektivs wohl mit zur Kopula gehört.) Die grammatischen Formen sind eben Zierrate, Kleider, welche sich den Gedanken anschmiegen und je nach der Mode die Gliederformen bald hervorheben bald verstecken, wie die weibliche Brust oder der Steiß nach der Mode bald unterstrichen bald durchgestrichen wird. Unter den Kleidern aber sind wir alle nackt und unter der Sprache denken wir eigentlich mit bloßen Worten ohne Flexionssilben und andere ästhetische Gleichmachungssilben.

Doch die Unbestimmtheit der Kopula und ihres Seinsbegriffs kann schon hier, vor der Kritik der Logik, weiter verfolgt werden; wobei vorläufig übersehen werden soll, daß dieser Seinsbegriff etymologisch oft (in germanischen wie in semitischen Sprachen) auf konkretere Begriffe führt (vgl. de la GRASSERIE: "Du verbe être etc.").

Man kann die Urteile in zwei große Gruppen einteilen, je nachdem von einer Art ausgesagt wird, daß sie zu einer Gattung gehört, oder von einem Individuum einer Gattung, welcher Art es ist. Alle Urteile laufen schließlich auf die beiden Formen hinaus:
    1. Die Eiche ist ein Baum.
    2. Dieser Baum ist eine Eiche.
Das erste Urteil sagt begreiflicherweise niemals etwas Neues, wie auch aus diesem Urteil niemals etwas Neues erschlossen werden kann. Es ist zunächst ein Sprachzuwachs, wenn es vom Lehrer etwa dem Schüler beigebracht wird: "Die Eiche fällt unter den Begriff (das Wort) Baum." Oder noch deutlicher: "Die Eiche (außer anderen Baumarten) heißt ein Baum." Auch der Lehrer (jener erste Lehrer, der den Baumbegriff gebildet hat) hat nichts entdeckt, sondern nur etwas erfunden; er hat schwankender Ähnlichkeiten wegen es sich bequem gemacht und begonnen, sich so und so viele Pflanzenarten an dem Wort "Baum" zusammenzumerken. In dieser Urteilsgruppe konnte man also für die Kopula "ist" auch sagen "heißt".

Noch deutlicher liegt der Fall, wenn vom Individuum einer Gattung ausgesagt wird, welcher Art sie zugehört, das heißt, welchen Unternamen sie trägt. Dieses Lebewesen heißt eine Pflanze, diese Pflanze heißt ein Baum, dieser Baum heißt eine Eiche, diese Eiche heißt eine Sumpfeiche, diese Sumpfeiche heißt eine amerikanische Sumpfeiche, diese amerikanische Sumpfeiche ist zwanzigjährig, diese zwanzigjährige amerikanische Sumpfeiche ist mein.

In den beiden letzten Urteilen habe ich für "heißt" noch "ist" belassen, weil es ungewohnt klingen mag, Ziffern und Eigentumsbezeichnungen als Wortfragen zu behandeln. Und doch ist es keine direkt haftende Eigenschaft dieser Sumpfeiche, daß seit ihrer Entstehung die Erde zwanzig Umdrehungen um die Sonne gemacht hat; es ist ein völlig äußerliches, hervorragend sprachliches Merkzeichen. Und noch weniger ist es eine Eigenschaft dieses Baums, "mein" zu sein; der Eigentumsbegriff gehört durchaus zu meiner Begriffswelt, zu meinem Sprachschatz. Wir sagen also weiter: diese amerikanische Sumpfeiche heißt zwanzigjährig, diese zwanzigjährige amerikanische Sumpfeiche heißt mein.

So dürfte es auch nicht mehr paradox erscheinen, wenn auch die sogenannten Eigenschaften schließlich als Wortfragen erkannt werden. Die rote Farbe des Blattes ist freilich meine Empfindung; aber sowie ich diese Empfindung merken will, sowie ich sie als Prädikat in Bereitschaft haben will, muß ich eine Anzahl ähnlicher Empfindungen oberflächlich zusammenfassen, muß für das á-peu-prés ihrer Ähnlichkeit ein Wort erfinden, das Wort "rot" eben muß aus der Gegenwartswelt in die meines Sprachschatzes eintreten. Ganz ebenso mit dem Wort "Blatt". Und so ist es auch am Ende eine Wortfolge und kein Sachurteil, wenn ich sage: "Meine Eiche ist jetzt rotblättrig." Sie heißt rotblättrig.

Die wahre Kopula aller Urteile oder Sätze ist also nicht das Wort "sein", sondern das Hilfszeitwort "heißen".

Man mag die Worte demnach fügen, wie kunstvoll man will, was herauskommt, wird demnach niemals etwas anderes sein als - Sprache.


Wie falsch der Gebrauch transitiver oder aktiver Verben für das ist, was wir ebenso falsch die Tätigkeit unserer Sinnesorgane nennen, das erhellt sich auch daraus, daß wir nur je ein Wort für sehen, hören, riechen usw. haben, und daß wir die Unterschiede durch hundert verschiedene Worte für die verschiedenen Wirkungen in die Dinge zurückverlegen. Bei wirklich transitiven Verben wie essen, trinken, liegt die Handlung in unserem Willen oder scheint wenigstens darin zu liegen. Bei den Wahrnehmungen aber, das heißt bei den Wirkungen der Außenwelt auf uns ist allmählich auch der Schein der Freiheit verloren gegangen. Und so liegt zwischen der transitiven Sprache unserer Sinnesbezeichnungen und unserem Wissen schließlich dieselbe Diskrepanz wie zwischen der wissenschaftlichen Überzeugung von der Unfreiheit des Willens und unserer Unfähigkeit, ohne den Schein der Freiheit zu handeln. Wie jede Fingerbewegung des Menschen unter dem alten Glauben an die Freiheit geschieht, so erhält unsere Sprache auch den Schein der Freiheit, der Aktion bei allem Reden von Sinneseindrücken.

Was die Vorstellung von diesen Dingen so erschwert, das ist der Umstand, daß das Sehen, Schmecken usw. (sprachwidrig ausgedrückt: das Begrüntwerden, das Beblaut-, Besüßt-, Bebittertwerden) nicht in den anerkanntermaßen passiven Sinnesorganen, sondern irgendwo hinter ihnen im Zentralnervensystem vor sich geht. Merkwürdigerweise geht in derselben Dunkelkammer auch dasjenige vor sich, was unfrei mit dem Schein der Freiheit die motorischen Nerven arbeiten läßt. Und unsere Sprache ist ebenso unfähig, die Passivität unserer Sinne auszudrücken, wie die Passivität unserer Willensakte. Selbst der theoretischen Überzeugung dieser beiden Passivitäten kann sie sich nur im Dunkeln tastend nähern.

SIGWART, welcher (Logik, Bd. 2, Seite 166) den Gegensatz zwischen den aktiven Verben unserer Wahrnehmungsbezeichnungen und der wissenschaftlichen Deutung wohl bemerkt hat, ist doch so sehr ein Sklave der Sprache, daß er aufgrund dieses sprachlichen Scheins sogar von einer Willensfreiheit unserer Sinne oder ihres Zentrums, gleichzeitig jedoch von Imperativen des Sehens und Hörens spricht, kategorischen Imperativen wahrscheinlich. Gleichzeitig weist er auf die Aufmerksamkeit als eine Bedingung des deutlichen Sehens usw. hin, als ob die Aufmerksamkeit von einem freien Willen abhängen würde.

So berührt sich die Wahrnehmungstheorie mit der Ethik durch die Sprache; diese hat unterirdische Fehlerquellen und Fehlerströmungen, die dahin und dorthin führen. Man hat oft im Scherz von einer katholischen Mathematik usw. gesprochen. Der Begriff ist aber nicht nur möglich, sondern eine Tatsache. Auch die Erkenntnistheorie war im Mittelalter katholisch. Drei Glaubenssätze standen als Ausgangspunkte voran, um hintennach als Ergebnisse logisch wieder herauszukommen: Unsterblichkeit der Seele, Gott und Willensfreiheit. Auf das erste Ergebnis fängt man an zu verzichten, weil die Sprache in diesem Begriff ad absurdum geführt worden ist. Den zweiten Glaubensgrundsatz versuchen alle nicht materialistischen Forscher zu konservieren, indem sie ihn verschämt langsam seines ganzen Glaubensinhalts berauben. Der dritte und eigentlich allein moralische Begriff, der der Willensfreiheit, treibt sich aber noch ziemlich unverändert, als ein nächtlicher Schmuggler, auf den Grenzgebieten der Physiologie umher und macht die jüngste und stolzeste der naturwissenschaftlichen Disziplinen gegen ihren Willen zu einer moralisch-physikalischen Physiologie.

Die Unbestimmtheit des transitiven Verbs "wollen" mag viel dazu beigetragen haben, die Lehre von der Willensfreiheit zu verwirren. Was sich allein auf ein Objekt bezieht, die transitive Tätigkeit der unbekannten Seele, das Begehren, müßte sprachlich genau vom Wollen unterschieden werden. Den letzten Zweck, einen Apfel oder ein Weib begehre ich, das heißt wünsche ich mein zu machen. Mein Gehirn erfindet zur Erreichung dieses Zwecks eine schlaue Maschinerie, zu der sich Knochen, Muskeln, Sehnen, vielleicht auch projizierte Organe, wie Leitern, Scheren und dgl. verbinden müssen. Auslösend steht zu Beginn dieser Maschinerie irgendwo im Nervenbereich das Wollen, welches gar kein Transitivum ist, sondern ein Zustand wie sehen und hören. Man könnte auch sagen, daß die transitiven Verben dieser Art den Schein der Aktion dadurch erhalten, daß ihnen das Zentralnervensystem dient, die Küche des Bewußtseins oder Selbstbewußtseins. Die Wirkungen der sympathischen Nerven erzeugen diesen Schein, dieses Bewußtsein der Aktion nicht. Darum sind schwitzen, atmen, frieren intransitive Verben geworden; sehen, hören usw. transitive. Der Mensch ist da wie ein Fürst gewesen, dem das große Netz seiner engverknüpften Diener das unzerstörbare Selbstbewußtsein der eigenen Aktion gegeben hat, während die verborgenen Freunde, die sein Leben schützen, ihm sagen könnten, wie auch er nichts von sich weiß, wie auch er passiv, ohne Freiheit, gebunden wie die sklavische Pflanze dahin lebt.


Die gebildeten Leute, die Schullehrer und andere Pedanten nennen es einen Sprachfehler, wenn das Kind seine lebendige Sprache anders spricht, als die tote Grammatik es vorschreibt. Der Berliner Junge soll nach ihnen mir und mich "verwechseln". Ebenso gut könnte man von einer Rosenvarietät sagen, daß sie gelb und rot verwechselt hat.

Ein Sprachfehler aber ist es und ein vernichtender Sprachfehler, daß unsere Muttersprache, unsere Volkssprache der Erkenntnis der besten Köpfe immer um Jahrzehnte, in manchen Dingen um Jahrhunderte hinterher hinkt. Und es ist eine viel erklärende Lächerlichkeit, daß es immer Schriftsteller gibt, die zu unserer Zeit für modern gelten, die aber mit den tieferen Begriffen ihrer Sprache bei CICERO, bei LUTHER, bei KANT oder bei HEGEL stehen geblieben sind. Es hat an die tausend Jahre gebraucht, bevor die Einsichten des ARISTOTELES aufhörten, technische Ausdrücke zu sein, und in die neuen Volkssprachen aufgenommen wurden. Es wird vielleicht wieder so lange brauchen, bevor die Einsichten von NEWTON - über die wir ja im Großen und Ganzen noch nicht hinausgekommen sind - ein lebendiges Wissen der Muttersprache sein werden.

Ich bin natürlich nicht imstande aus der Sprache hinauszuspringen. Ich kann aber von fern auf einige Beispiele hinweisen, in denen unser Sprachbau unserer Erkenntnis so wenig mehr dient, wie das Gasröhrennetz einer Stadt mit elekrischer Beleuchtung.

Offenkundig ist das Beispiel von der Sonne, die unsere Sprache sich noch immer um die Erde drehen läßt. Man sagt immer noch "die Sonne geht auf" anstatt "die Sonne ist erreicht". Nun sieht man sofort, daß der Ausdruck, der bis auf KOPERNIKUS den geglaubten Tatsachen entsprochen hat, seitdem ein bildlicher geworden ist. Und man könnte mir einwerfen, daß solche Sprachbilder alltäglich sind. Wenn wir auf einem Boot den Rhein abwärts fahren, so scheinen sich die Ufer gegen uns zu bewegen, und wir können ebenso gut sagen "Rüdesheim ist erreicht" wie "Rüdesheim erscheint". Aber es gibt unzählige Fälle, in denen der Gebrauch des intransiven Verbs anstatt des transitiven nicht ein Bild ist, sondern ein Unvermögen der Sprache, sich auf der Höhe unserer ahnenden Erkenntnis zu erhalten.

Wir nehmen z. B. seit LOCKE und KANT, noch allgemeiner seit HELMHOLTZ an, daß die Eigenschaften der Körper (z. B. Farben, Gerüche usw.) nicht dinglich an ihnen haften, sondern Bewegungserscheinungen sind, die erst in unseren Organen durch die berühmten spezifischen Sinnesenergien, also subjektiv, zu Tönen, zu Farben, zu Gerüchen usw. werden. Wir dürften also seit LOCKE oder doch seit HELMHOLTZ nicht mehr sagen "der Baum ist grün", sondern "der Baum grünt mich". Ich schlage die Änderung nicht vor. Doch mag man ruhig seine Witze darüber reißen und lachen. Der Vorgang, daß die Baumkrone meine Netzhaut grün affiziert [nervlich reizt - wp], ist derselbe, wie wenn das Feuer meine Haut wärmt. Was ich sagen wollte, ist das, daß die Eigenschaften der Körper, die nach der alten Sprache durch die Kopula mit einem Subjekt verbunden werden oder (was dasselbe ist) von ihnen in intransitiven Verben ausgesagt werden, (der Baum grünt, die Blume duftet), daß diese Eigenschaften, sage ich, nach der neueren Einsicht transitive Verben sein müssen. Der Baum grünt mich, die Roses duftet mich, wie mich das Feuer wärmt und wie mich der Esel lächert, der darüber lacht.

Vielleicht noch seltsamer mag es erscheinen, wenn ich auch in unseren gewohnten transitiven Verben einen uralten, für das Denken verhängnisvollen Sprachfehler entdecke. Wir glauben gar nicht anders sagen und denken zu können als: das Wasser treibt das Mühlrad, der Magnet zieht Eisen an, der Regen befruchtet die Pflanzen. Hier vermag ich nicht einmal die Sprache künstlich zu einem anderen Ausdruck zu zwingen. Und doch liegt in all diesen transitiven Verben der Begriff des Bewirkens, der Kausalität und ist in diese Verben zu einer Urzeit hineingekommen, als die Kausalität noch ein ganz mythologischer Begriff war. Man sagte damals: "Apollo schießt die Pestpfeile, Poseidon regt das Meer auf, die Parze hat diesen Menschen getötet, das Wasser treibt das Mühlrad." Heute sucht man hinter den transitiven Verben keine Gottheit mehr, wohl aber einen nackteren Fetisch, den Kraftbegriff. Und solange kein Gelehrter weiß, was Kraft ist, solange steckt die Mythologie im Transitiven. Und weil wir dies wissen, darum haben wir kein Recht mehr, es zu gebrauchen.

So steht als Dämmerung einer künftigen Revolution der Sprache vor uns die Möglichkeit, daß sich einst alle Eigenschaftswörter in transitive Verben, alle transitiven Verben in irgendwelche Zustandsbezeichnungen auflösen werden. Vorher werden zahlreiche Aussagen zu bildlichen Ausdrücken werden müssen, und hunderte von abstrakten Worten aus dem vermoderten Sprachschatz des Mittelalters werden verschwinden und vergehen, - wenn nur nicht "verschwinden" wieder ein Wort wäre, das nach unserer gegenwärtigen Kenntnis sinnlos ist.

Diese künftige Revolution der menschlichen Sprache wird den angeblich unzerstörbaren Bau des Aristoteles endlich zusammenwerfen. Unsere sauber präparierte Grammatik, mit der anfangs alle begabteren und reicheren Kinder, und schließlich in unserem gesegneten Jahrhundert gleichmäßig alle Kinder verdummt worden sind, wird auseinanderfallen wie ein Gerippe, dessen Gewebe verfault sind, unsere Logik, von deren Höhen zwei Jahrtausende auf uns herunterschauen, wird sich als die beschreibende Anatomie dieses verfallenden Gerippes herausstellen, und dann erst wird man mit dem alten ARISTOTELES fertig zu sein glauben. Dann wird man freilich in seinen Schriften den Gegensatz von Möglichkeit und Wirklichkeit wieder entdecken und wird stutzig werden, und wird an einem Materialismus zweifeln lernen, der wiederum allein zu jener Revolution des Sprechens und Denkens führen konnte. Denn die Sprache ist die Erzmaterialistin.

Und ich glaube das Entsetzen des Mannes zu fühlen, der mitsamt den Werken des ARISTOTELES die alte Sprache in die Flammen wirft und der bei ihrem letzten Aufflackern den Dualismus von Möglichkeit und Wirklichkeit schwarz auf weiß erblickt, schwarz auf weiß, das Dunkel auf der Blendung. An das Wirkliche kann die Sprache nicht heran, weil sich nur wahrnehmen, nicht aber aussprechen läßt, was nur irgendwie ist. An das Mögliche kann die Sprache nicht heran, weil das Mögliche noch nicht wirklich ist, für uns also noch gar nicht wirklich ist, weil das Mögliche nur für sich wirklich ist. Und so weiß der ehrliche Prophet der großen Sprachrevolution nicht, was nach der Zertrümmerung kommen wird, wofür er dann auch nach Gebühr von allen lächernden Eseln ausgelacht zu werden verdient.

Wir stellen uns den eben befruchteten Keim eines Hundes vor und daneben den eben befruchteten Keim eines Menschen. Durch keines unserer Sinnesorgane können wir die beiden Dinge unterscheiden, kein Mikroskop unterscheidet sie, sie sind für jede Beobachtung identisch. In ihrer Wirklichkeit für uns sind sie dasselbe, sind sie gleich, sind sie Eins, und unsere Sprache hat keinen Ton, um da zweierlei Wirkliches zu bezeichnen. Und doch wird der eine ein Hund werden, der andere ein Mensch, zur Gewißheit wird uns die Möglichkeit, nur unterscheiden können wir die Keime nicht.

So stehen wir sprachlos vor dem, was werden wir, und nennen es mit dem geheimnisvollsten Wort unserer Sprache: das Leben.
LITERATUR, Fritz Mauthner, Beiträge zu einer Kritik der Sprache, Bd. 3, Zur Grammatik und Logik, Stuttgart und Berlin 1913