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CHRISTOPH SIGWART
Logische Fragen
[Ein Versuch der Verständigung]
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"Nehmen wir ein einfaches Beispiel, etwa den Satz: das Schloß brennt. Ausgangspunkt meines Urteils ist gewiß das Bild des brennenden Schlosses; die Gestalt des Gebäudes und die Flammen, die herausschlagen, bilden für meine Anschauung ein einheitliches Ganzes. Aber wie komme ich dazu diese Anschauung, statt sie sprachlos anzustarren, in die Worte zu fassen: »das Schloß brennt?« Wundt sagt: durch Zerlegung. Ganz richtigt; ich zerlege das Bild in den einen Bestandteil, den ich mit Schloss bezeichne, und in den andern, der seinen augenblicklichen Zustand ausdrückt, den ich brennen nenne. Aber wie komme ich zu dieser Zerlegung? Doch nur dadurch, daß ich in meiner Anschauung das mir bekannte Gebäude finde, das Schloss heißt und ferner an ihm die Lichterscheinung, die ich mit brennen zu bezeichnen gewöhnt bin. Hätte ich nicht die beiden Vorstellung vorher getrennt gehabt, so könnte ich sie jetzt nicht beide in einem Bild finden und die Zerlegung vornehmen."


Erster Artikel

Das Bedürfnis eines Neubaus der logischen Wissenschaft ist schon lange empfunden worden, und hat nun in den letzten Jahren zu einer Reihe von umfassenderen Bearbeitungen der Logik geführt, deren übereinstimmender Zweck ist, von den ungenügenden Traditionen der Schullogik sich zum direkten Studium der Denkprozesse zu wenden, um auf diese Weise den wissenschaftlichen Methoden, die tatsächlich befolgt werden, eine umfassende Grundlage zu geben. Die Richtung freilich, in der das geschehen sollte, stand nicht ebenso fest; und wie nicht anders zu erwarten war, ist nicht nur Ziel und Ausgangspunkt der Logik verschieden bestimmt worden, sondern es haben sich auch im Einzelnen mancherlei Differenzen ergeben. Es ist nicht meine Absicht, die allgemeineren oder spezielleren Streitfragen ausführlich zu besprechen oder gar über die eine oder die andere der neueren Bearbeitungen der Logik ein allgemeines Urteil abzugeben. Wer ein Werk über denselben Gegenstand, über den er selbst geschrieben hat, zu beurteilen unternimmt, kann, zumindest wo er bloß tadelt und nicht widerlegt, dem Verdacht kaum entgehen, ein Richter in eigener Sache sein zu wollen, und darum ein befangener Richter zu sein; und ich hätte darum lebhaft gewünscht, das Urteil über die Punkte, in denen ich von meinen Mitarbeitern abweiche, dem sachkundigen Leser überlassen und ohne weiter hervorzutreten von ihnen lernen zu können. Allein die Einwände, die von verschiedenen Seiten ausdrücklich und direkt gegen meine Sätze erhoben worden sind, nötigen mich nun doch, das Wort zu ergreifen, da sie zum Teil auf einer Auffassung meiner Ansicht beruhen, die ich nicht zugeben kann; ich glaube der Sache, meinen Mitarbeitern und mir selbst schuldig zu sein, auf die von ihnen eröffnete Diskussion einzugehen, und eine Verständigung über die strittigen Punkte zu versuchen. Die Einwände, denen ich hier zu antworten wünsche, sind die von BERGMANN und WUNDT erhobenen (1).

1. WUNDT, zu dessen "Logik" ich mich zunächst wende, erwähnt meine von der seinigen abweichende Auffassung zuerst hinsichtlich der Frage, welche Stelle der Lehre von den Begriffen anzuweisen ist. Die Frage betrifft nicht bloß die didaktische Zweckmäßigkeit, sondern sie hängt mit der Aufgabe der Logik überhaupt zusammen. Setzt sich die Logik nur zum Ziel, die von bestimmten Naturgesetzen beherrschte Entwicklung des Denkens überhaupt, also auch speziell der Begriffe, analysierend zu beschreiben, so ist es ihr natürlich die Lehre vom Begriff als Schilderung einer allmählichen Entwicklung hinzustellen. Soll aber die Logik eine normative Wissenschaft, eine Ethik des Denkens sein, wofür sie WUNDT Seite 1 erklärt, so ist damit auch der Unterschied einer psychologischen und einer logischen Betrachtung der Begriffe gefordert. Sobald man nämlich festhält, daß die Begriffe, welche den Normalgesetzen des Denkens entsprechen, erst durch eine bewußte Anwendung logischer Normen gebildet werden, während die sogenannten Begriffe, deren Zeichen die Wörter der gewöhnlichen Sprache sind, diese Vollendung nicht besitzen, sobald man den Unterschied einer strengen Terminologie vom populären Sprachgebrauch zugibt und anerkennt, daß z. B. der geometrische Begriff der Ebene etwas anderes ist, als was im gemeinen Sprachgebrauch "eben" heißt - sobald scheiden sich auch die Fragen, wie die Vorstellungen, mit denen das Denken wirklich beginnt, und welche als erste Elemente in unser bewußtes Urteilen eingehen, tatsächlich beschaffen sind, und wie sie beschaffen sein sollen. Aus diesem Grund habe ich die psychologische Betrachtung der verschiedenen Gattungen von Vorstellungen, die überall die Voraussetzung des wirklichen Denkens und Redens bilden, von der Aufstellung der idealen Normen der vollkommenen Konstanz und Bestimmtheit der Vorstellung, sowie der Eindeutigkeit und Allgemeingültigkeit ihrer Wortbezeichnung, welche den logisch vollkommenen Begriff konstituieren, auch äußerlich getrennt (2), übrigens wiederholt dabei hervorgehoben, daß die kunstmäßige Begriffsbildung nur den Prozeß vollendet, der überall schon begonnen hat.

Gegen eine solche Trennung wendet sich WUNDT Seite 86f, um zu rechtfertigen, daß er den Terminus "Begriff" schon auf die ersten Vorstellungen, die in den Bezeichnungen der Sprache ihre Verkörperung gefunden haben, anwendet, und die Lehre vom Begriff in Sätzen entwickelt, welch die allen Entwicklungsstufen gemeinsamen Eigenschaften darstellen sollen.

Ich bin vollkommen einverstanden, daß es solche Eigenschaften gibt, die den unvollendeten wie den vollendeten Begriffen zukommen, und streite auch nicht darüber, ob man den Terminus "Begriff" in einem weiteren oder engeren Sinn faßt. Aber ich habe Bedenken gegen die Sätze, in denen nun diese allgemeinen Eigenschaften der Begriffe, oder wie ich sage, der Vorstellungen, aufgestellt werden. Bei jedem Begriff, den die Sprache bezeichnet, muß erstens die Bedingung erfüllt sein, daß die "Vorstellung" sich vom übrigen Inhalt des Bewußtseins durch bestimmte, der Bezeichnung fähige und konstant wiederkehrende Merkmale unterscheidet, zweitens vorausgesetzt sein, daß das bezeichnende Wort in Anderen annähernd dieselbe Vorstellung erweckt. Weder die Sprache noch irgendein anderes Zeichensystem würde möglich sein ohne die Voraussetzung einer gewissen Allgemeingültigkeit. Doch darf das nicht so aufgefaßt werden, als wenn sich die Allgemeingültigkeit auf einen fest bestimmten Inhalt des Begriffs beziehen müßte. Das Einzige, was dem letzteren zukommt, ist, daß Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit vorausgesetzt werden; sie sind im Begriff als Forderungen, als Postulate enthalten, die im vollendeten Begriff zu ihrer Erfüllung gelangen.

Ich verlange nicht weiter, um zu rechtfertigen, daß ich den Terminus "Begriff" für den logisch vollkommenen Begriff reservieren und die früheren Entwicklungsstadien mit dem allgemeineren Wort "Vorstellung" bezeichnen wollte, und daß ich psychologische und logische Betrachtungsweise getrennt habe. Denn wenn Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit im Begriff zuerst nur als Forderungen enthalten sind, so sind sie eben noch nicht verwirklicht; die "Begriffe" haben ja zuerst nur eine gewisse, eine annähernde als streng genommen keine Allgemeingültigkeit, und diese muß sich nicht auf einen fest bestimmten Inhalt beziehen. Also kommt ihnen nicht zu, was den vollendeten Begriffen zukommt, und jene Merkmale taugen nicht dazu, das Wesen der werdenden Begriffe sicher zu bestimmen. Daß der Zweck der Sprache jene Forderungen einschließt, habe ich (Logik I, Seite 42) ausdrücklich anerkannt; für den Logiker aber scheint mir die Kardinalfrage, ob und wie dieser Zweck erreicht wird, da sie doch eine normative Wissenschaft sein soll.

Darum habe ich "Bestimmtheit" und "Allgemeingültigkeit" als Merkmale des vollendeten Begriffs, den ich "logischen Begriff" nenne, hingestellt, eben diese Merkmale aber der natürlichen Vorstellung, weil sie schwankend und individuell different ist, abgesprochen; und ich kann keine glüchliche Korrektur meiner Terminologie (3) darin sehen, wenn nun logische Begriffe bei WUNDT diejenigen sein sollen, in denen die Merkmale der Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit zunächst nur als Postulate gedacht werden (dann wären entsprechend moralische Menschen diejenigen, in welchen die von der Moral geforderten Eigenschaften nur als Postulate gedacht werden), die Begriffe aber, in denen die Postulate "mehr oder weniger vollkommen erfüllt" sind, wissenschaftliche Begriffe. Dieses "mehr oder weniger vollkommen" hebt den Unterschied wieder auf, wenn nicht gesagt wird, auf welcher Stufe der Vollkommenheit der logische Begriff in den wissenschaftlichen übergeht; und der Begriff des "wissenschaftlichen Begriffs" droth selbst nur ein logischer Begriff zu werden.

WUNDT glaubt auf diesem Weg zu vermeiden, daß man einzelne Stufe in der Entwicklung des Begriffs zur Vollkommenheit als völlig voneinander verschiedene Gebilde herausgreift, was nicht zu rechtfertigen ist. Darin bin ich vollkommen mit ihm einverstanden; aber ich kann nicht um der Entwicklungsfähigkeit der Begriffe willen den Unterschied zwischen Anfang und Ziel der Entwicklung soweit aufheben, daß ich Bestimmtheit und Allgemeingültigkeit, die nur den vollendeten Begriffen wirklich zukommen, in den früheren Entwicklungsstadien nur als Postulate gedacht werden sollen, als allgemeine, allen Entwicklungsstufen gemeinsame Eigenschaften zu bezeichnen vermochte; gerade so wenig als ich auf sittlichem Gebiet alle Tugenden, die das sittliche Ideal fordert, als Eigenschaften allen Menschen darum beilegen kann, weil sie bestimmt sind dieses Ideal zu verwirklichen und es nur in allmählicher Entwicklung verwirklichen können.

2. Ein weiterer Differenzpunkt betrifft das Wesen und die Entstehung des Urteils. WUNDT führt (Seite 135f) aus, daß es wenigstens in Bezug auf die ursprünglichen Äußerungen der Urteilsfunktion ein nicht völlig zutreffender Ausdruck ist, wenn gesagt wird, daß das Urteil Begriffe und Vorstellungen verbindet. Das Urteil bringe nicht Begriffe zusammen, die getrennt entstanden waren, sondern scheide aus einer einheitlichen Vorstellung Begriffe aus. Es sei also zu definieren als Zerlegung einer zusammengesetzten Vorstellung in ihre Bestandteile.
    "In solchen primitiven Urteilsakten wie ich gehe, ich gebe usw., die vielfach auch in der Sprache noch in einer Worteinheit ihren Ausdruck finden, sind nicht die Begriffe des Ich und des Gehens usw. voneinander unabhängig entstanden, und erst nachträglich aneinander herangebracht worden, sondern die Verbindung in eine Vorstellung ist Frühere, die Trennung das Spätere; auch in jenen Urteilen aber, in denen das Subjekt ein selbständiger Gegenstandsbegriff ist, wird die Zerlegung einer einzigen Gesamtvorstellung in ihre Bestandteile der Ausgangspunkt des Urteilens sein."
Ich muß mich der auch von mir vertretenen Ansicht, daß der Urteilsakt, der dem gesprochenen Satz als Inneres entspricht, eine Verknüpfung von Vorstellungen sein soll, hier annehmen. Der Auffassung WUNDTs liegt ein richtiger Gedanke zugrunde, aber sie wird getrübt durch die Verwechslung des Ausgangspunkts des Urteils mit dem Urteil selbst, durch eine Verwechslung der einheitlichen Anschauung mit dem durch allgemein Vorstellungen hindurchgehenden Urteil.

Nehmen wir ein einfaches Beispiel, etwa den Satz: "das Schloß brennt". Ausgangspunkt meines Urteils ist gewiß das Bild des brennenden Schlosses; die Gestalt des Gebäudes und die Flammen, die herausschlagen, bilden für meine Anschauung ein einheitliches Ganzes. Aber wie komme ich dazu diese Anschauung, statt sie sprachlos anzustarren, in die Worte zu fassen: das Schloß brennt? WUNDT sagt: durch Zerlegung. Ganz richtigt; ich zerlege das Bild in den einen Bestandteil, den ich mit Schloss bezeichne, und in den andern, der seinen augenblicklichen Zustand ausdrückt, den ich "brennen" nenne. Aber wie komme ich zu dieser Zerlegung? Doch nur dadurch, daß ich in meiner Anschauung das mir bekannte Gebäude finde, das "Schloss" heißt und ferner an ihm die Lichterscheinung, die ich mit "brennen" zu bezeichnen gewöhnt bin. Hätte ich nicht die beiden Vorstellung vorher getrennt gehabt, so könnte ich sie jetzt nicht beide in einem Bild finden und die Zerlegung vornehmen. Aber nun ist das Wesentliche des Urteilsaktes, daß ich nicht bei der Zerlegung stehen bleibe, sondern in Bezug auf meinen Gegenstand die Einheit dieser Bestandteile vollziehe, und dadurch den Inhalt der Wahrnehmung mir zum deutlichen Bewußtsein bringe; die Zerlegung ist die Bedingung des Urteils, das Urteil selbst stellt aus den zerlegten Elementen die Einheit her, welche der Anschauung entspricht. Die einheitliche Anschauung als solche hat kein Wort in der Sprache; erst durch die Verbindung jener Wörter und der ihnen entsprechenden Vorstellungen wird sie ausgedrückt. Diese Vorstellungen aber, wie sie die Bedeutung der Wörter ausmachen, waren unabhängig voneinander entstanden; ich hatte längst die Vorstellung des Schlosses, ehe ich es brennen sah, die Vorstellung des Brennens, ehe ich das Schloß brennen sah; sonst hätte ich die Anschauung nicht zerlegen und in Worten ausdrücken können. Es bleibt also dabei, daß, was im Urteil eigentlich geschieht, eine Vereinigung ist.

Dasselbe gilt von den Beispielen WUNDTs. Wenn ich das momentane Bewußtsein ins Auge fasse, das sich in dem Satz: "Ich gehe" ausspricht, so ist allerdings die Anschauung meiner selbst im Akt des Gehens da; ich habe jetzt nicht das gegenwärtige Bewußtsein meiner selbst abgesehen vom Gehen, noch auf der anderen Seite das Bewußtsein des Gehens abgesehen von mir; der momentanen Anschauung bin Ich, der Gehende, einheitlich gegeben. Aber wie komme ich zu dem Satz: "Ich gehe"? Doch nur dadurch, daß ich vorher schon ein mir bekanntes Bild meines leiblichen Selbst hatte, in dem das Gehen nicht notwendig enthalten ist, und daß ich gelernt hatte, dieses Selbst als "Ich" zu bezeichnen; ferner dadurch, daß ich die allgemeine Vorstellung einer Bewegung mittels abwechselndem Aufsetzen der Füße hatte, die ich ebenso gut vom Gehen anderer, und wahrscheinlich von diesem früher als von meinem eigenen Gehen gewonnen hatte. Wäre das nicht, so hätte ich kein Wort, das michh abgesehen vom Gehen, und keines, das das Gehen abgesehen von mir bezeichnet. Jetzt beziehe ich diese beiden Vorstellungen aufeinander, drücke meine Anschauung aus, indem ich sie in einer Weise bezeichne, die die Einheit eines Dings mit seiner Tätigkeit enthält.

Und die Sprache zeigt auch hier nicht die Zerlegung, sondern die Zusammensetzung; denn eimi [sein, haben, werden - wp] ist bekanntlich keine ursprüngliche Worteinheit, ist keine Wurzel, sondern ein Kompositum aus der Wurzel "gehen" und dem Pronomen Personale.

Somit ist es vollkommen gerechtfertigt, wenn die Logik nach dem Voranschreiten des ARISTOTELES das Urteil als synthesis noematon hosper hen onton [Vereinigung der Bedeutung von "hüpfen" und "Henne" - wp]. Diese Synthese ist überall, ob ich aus der Wahrnehmung heraus urteile, also durch eine vorangehende Zerlegung zu meinem Satz gelange, oder ob ich einen gehörten Satz verstehe, und zu einer vorher nicht anschaulich gegebenen Einheit erst durch die Vereinigung von Vorstellungen gelange. Wer das Urteil hört: "das Schloß brennt", dem werden zunächst die beiden Bestandteile gegeben, mit der Aufforderung sie zu vereinigen. Die Theorie, welche das Urteil als Zerlegung definiert, müßte zwei toto genere [völlig - wp] verschiedene Klassen von Urteilen aufstellen, und nachweisen wie doch ein übereinstimmender sprachlicher Ausdruck für beide erklärbar ist.

Mit Rücksicht auf den oben beschriebenen Prozeß, der bei dem Urteil: "das Schloß brennt" oder einem ähnlichen vollzogen wird, habe ich gelehrt, daß der ursprünglichste Akt des Urteilens, der allen weiteren Entwicklungen vorausgeht, das Benennen ist. WUNDT sagt (Seite 138): die ursprüngliche Form des Urteilens ist zweifellos die, daß ein wirklicher Gegenstandsbegriff, dem zuweilen noch eine bestimmte Eigenschaft als Attribut beigelegt wird, als Subjekt auftritt, und daß das Prädikat ein Geschehen oder einen vorübergehenden Zustand schildert.

Wie soll ich aber aus einer Wahrnehmung heraus zu dem Urteil: "der Hund bellt" kommen, wenn ich nicht erst den Gegenstand als "Hund" benannt, das von mir Wahrgenommene mit der bekannten Vorstellung zusammengebracht habe? wie soll ich den gehörten Teil meiner Wahrnehmung als "Bellen" bezeichnen, wenn ich den Laut nicht als einen mir bekannten von anderen unterschieden und mit dem als "Bellen" bezeichneten gleich gefunden habe? Dieses Benennen ist die Bedingung, daß ich meine Wahrnehmung in Worte fassen kann; es würde sich getrennt zunächst in Sätzen ausdrücken, wie: "das ist ein Hund", "was ich höre, ist ein Bellen". Wenn ich aber sage: "das ist ein Hund" - wo ist dann die Zerlegung, die das Wesen des Urteils ausmachen soll? in was wird der Hund zerlegt, wenn ich ihn Hund, in was wird Hans zerlegt, wenn ich ihn Hans nenne? findet hier etwas anderes statt, als daß die gegebene Anschauung als unzerlegtes Ganzes für eins mit der bekannten Vorstellung erklärt wird? und zwar so, daß die individuelle Differenz, die das Subjekt neben seiner im Prädikat ausgesprochenen Bestimmtheit etwa hat, gar nicht zu Bewußtsein kommen muß? Dieser Akt des Benennens steckt in allen gesprochenen Wahrnehmungsurteilen vermöge der Wortbezeichnung; und wenn WUNDT (Seite 140) sagt: Die Form des Urteils, in der ein speziellerer Begriff einem umfassenderen Gattungsbegriff subsumiert wird - er nennt auch Einzelvorstellungen Begriffe - sei in der wirklichen Entwicklung der Urteilsfunktion die späteste, so hat er Recht, wo es sich um Urteile handelt, die eine systematische Klassifikation voraussetzen; aber daß alle Urteile, deren Prädikate Gegenstandsbegriffe, d. h. Substantive sind, zu diesen spätesten gehören, ist eine Behauptung, die buchstäblich jedes Kind widerlegen kann, denn das Subsumieren der einzelnen Dinge unter Gattungsvorstellungen von Gegenständen findet ja schon im ersten Anfang des Sprechens statt, und vollzieht sich eben in der Benennung der einzelnen Dinge oder Bilder.

3. Im Abschnitt über "Analytische und synthetische Urteile" (Seite 149f) der zum vorigen in enger Beziehung steht, finden sich Einwände gegen den § 18 meiner "Logik", die auf einem unerklärlichen Mißverständnis meiner Sätze ruhen.

Ich hatte zunächst hinsichtlich der Entstehung des Urteils zwei Fälle unterschieden. Entweder genügen für den Vollzug des Urteils die durch das Subjekts- und das Prädikatswort bezeichneten Vorstellungen, um die eine von der anderen zu prädizieren, wie bei jedem Wahrnehmungsurteil; sage ich: "dies ist gelb", so steht vor mir als Subjekt der Gegenstand der Wahrnehmung, in mir ist die bekannte Vorstellung der gelben Farbe, diese erkenne ich in meinem Gegenstand, und es bedarf keiner weiteren Vermittlung. Solche Urteile nenne ich unmittelbare. Mittelbare dagegen diejenigen, in denen die Beziehung des Prädikats auf das Subjekt nicht durch die beiden gegebenen Vorstellungen allein ermöglicht wird; wo es irgendeiner Vermittlung, z. B. eines Schlusses bedarf, um beide zu vereinigen. Sage ich z. B.: "diese Blume wird welken", so ist mein Urteil nicht allein durch den gegenwärtigen Anblick begründet, sondern durch einen Schluß aus früheren Erfahrungen. WUNDT unterscheidet Seite 85 ganz übereinstimmend unmittelbare und mittelbare Evidenz.

Ich hatte weiter gesagt, wenn analytische Urteile solche sind, in denen das Prädikat schon im Subjekt mit vorgestellt ist, dann sind alle unmittelbaren Urteile analytisch, während synthetisch die erschlossenen oder sonst vermittelten heißen müßten. Jener analytische Charakter verbirgt sich allerdings in den unmittelbaren Aussagen über Relationen; hier kann in dem, was grammatisch als Subjekt steht, seiner Wortbedeutung nach das Prädikat nicht enthalten sein; aber wirklicher Ausgangspunkt meines Urteilens ist nicht der für sich gedachte Gegenstand, sondern der Gegenstand in seiner gegenwärtigen Relation zu anderen; diese Gesamtanschauung wird analysiert und führt zum Urteil. Wenn ich sage: "Sokrates ist hier", so ist der Ausgangspunkt meines Urteils nicht Sokrates isoliert gedacht, sondern Sokrates zusammen mit seiner gegenwärtigen Umgebung.

Diese Unterscheidung unmittelbarer (analytischer) und mittelbarer (synthetischer) Urteile, sagte ich Seite 103, stehe auf wesentlich anderem Boden, als die kantische. Denn KANT sieht nicht auf die Genesis des Urteilsaktes im urteilenden Subjekt, sondern hält sich nur an die begriffliche Bedeutung der Wörter im fertigen Urteil, die er als eine von allen übereinstimmend gedachte voraussetzt. Die Subjekte seiner analytischen Urteile sind allgemeine Begrife, nicht einzelne Dinge; lediglich danach, was in dem durch das Subjektwort bezeichneten Begriff schon gedacht ist, richtet sich für ihn der Unterschied; darum sind für ihn alle Erfahrungsurteile synthetisch, weil er nur auf den Begriffswert des Wortes sieht, durch das das wahrgenommene Ding unvollständig bezeichnet wird, nicht auf dieses als Gegenstand der Anschauung. Die Beispiele aber, die er für synthetische Urteile a priori anführt, sind Sätze mit Relationsprädikaten; daher der Schein, als ob es unmittelbare Urteile gäbe, die synthetisch sind, weil das Prädikat allerdings in dem isoliert gedachten Subjekt nicht enthalten ist, sondern nur in der Gesamtanschauung, die vom Urteil analysiert wird.

Dieser letzteren Bemerkung scheint WUNDT Seite 149 zuzustimmen, obgleich mit ungenauer Wiedergabe derselben (4); aber Seite 150 schreibt er TRENDELENBURG und mir den Satz zu, daß jedes Urteil ebensogut als ein analytisches wie als ein synthetisches betrachtet werden kann; und dieser Satz soll aus der Erwägung hervorgegangen sein, daß der Unterschied analytischer und synthetischer Urteile ein fließender ist. Das ist schon in Bezug auf TRENDELENBURG ungenau; dieser führt aus, daß jedes vollständige Urteil von der einen Seite als analytisch, von der anderen als synthetisch erscheint; in Bezug auf mich aber vollkommen falsch. Auf der zitierten Seite 111 steht kein Wort, das so gedeutet werden könnte; Seite 101 dagegen steht, und ist Seite 106f weiter ausgeführt, daß man einem Urteil nicht am Wortlaut ansehen kann, ob es für den, der es ausspriht analytisch oder synthetisch ist, derselbe Satz kann für den einen Ausdruck für ein analytisches, für den andern Ausdruck für ein synthetisches Urteil sein, weil mit dem Subjektswort beide verschiedene Begriffe verbinden; aber nie habe ich gesagt, jedes Urteil könne ebensogut als ein analytisches wie ein synthetisches betrachtet werden.

Diese Ansicht, die ich nicht habe, soll weiter auf einer Vermengung des kantischen Einteilungsgrundes mit dem Entstehungsgrund des Urteils beruhen. "Vermengung" ist ein hartes Wort; ich würde dafür, daß WUNDT z. B. Seite 121 negative Zahlen (wie -3) unter die negativen Begriffe (wie non-A) stellt, einen milderen Ausdruck gebraucht haben. Aber der Vorwurf trifft nicht; denn die vermißte Unterscheidung ist mit dürren Worten Seite 103 aufgestellt und - ich glaube richtiger als es von WUNDT (auf Seite 103-113) geschehen ist - durchgeführt worden. Denn WUNDT scheint mir auch KANT nicht genau gefaßt zu haben, wenn er sagt:
    "Kant hat sicherlich nicht übersehen, daß gelegentlich ein Merkmal wie die Schwere im Begriff des Körpers ebenfalls mitgedacht werden kann."
Hätte er dann das Urteil "alle Körper sind schwer" schlechthin als ein synthetisches bezeichnet, hätte er gesagt, daß auf die Erfahrung sich die Möglichkeit der Synthesis des Prädikats der Schwere mit dem Begriff des Körpers gründet, hätte er gesagt, daß ein synthetisches Urteil zum Begriff des Subjekts ein Prädikat hinzutut, das durch keine Zergliederung desselben hätte können herausgezogen werden? Darum hatte ich Seite 107 gesagt, es sei von KANT vorausgesetzt, daß mit dem Wort Körper immer Jedermann das Merkmal ausgedehnt verbindet, aber niemals je das Merkmal schwer in den dadurch bezeichneten Begriff einschließt (5).

Noch nicht genug. WUNDT fährt fort:
    "Wollte man also nach Sigwarts Vorschlag solche Urteile analytische nennen, in denen das Prädikat den Inhalt des Subjektbegriffs expliziert, solche dagegen synthetische, in denen verschiedene Objekte der Anschauung in Relation zueinander gebracht werden, so würde sich diese Unterscheidung mit der kantischen jedenfalls nicht decken."
Dieser "Vorschlag" soll Seite 112 meiner Logik stehen. Ich mühe mich vergeblich ab zu begreifen, wie ein Leser in meinen Worten einen solchen "Vorschlag" finden konnte. Wenn ich einen Vorschlag gemacht habe, so ist es der, die Termini analytisch und synthetisch auf die Entstehung des Urteils zu beziehen, und nicht auf die kantische Unterscheidung; ich würde ihn nicht mehr machen, da ich den Einwänden, die Windelband (Philosophische Monatshefte, Bd. X, Seite 85) erhoben hat, Recht geben muß, daß die Bedeutung einer hergebrachten Terminologie zu alterieren unzweckmäßig ist.

An der angeführten Stelle aber habe ich gesagt, die kantische Unterscheidung trifft Urteile mit verschiedenen Subjekten - KANTs analytische Urteile sind solche, die ohne Rücksicht auf das in der Anschauung Gegebene den Inhalt eines in einem Wort fixierten Begriffs explizieren, KANTs synthetische Urteile "setzen die Anschauung voraus und die synthetische Verbindung der Anschauungen in der Erfahrung" (WUNDTs Zitat ist auch hier ganz ungenau); - ihre Subjekte seien (natürlich soweit es sich um synthetische Urteile a posteriori handelt) Dinge, welche nur unvollständig durch das Wort ausgedrückt werden. Daß das nicht der Sinn der kantischen Unterscheidung ist, hat mich WUNDT nicht überzeugt.

Weiterhin hatte ich ausgeführt, daß, was KANT als Beispiele synthetischer Urteile a priori anführt, Urteile mit Relationsprädikaten sind, und daß darum selbstverständlich das Prädikat nicht in dem für sich gedachten Subjekt liegen kann, weil man zum Urteil erst gelangt, wenn man das Subjekt zu anderen Objekten in Beziehung setzt. "Die gerade Linie ist der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten" - kann nur sagen, wer dei Gerade mit anderen Linien vergleicht. Dem Urteil liegt also in der Tat die Gesamtanschauung eines Raumes zugrunde, in welchem zwischen zwei Punkten verschiedene Linien gezogen werden; und von dieser Gesamtanschauung aus ist das Urteil in Wahrheit analytisch, wenn es unmittelbar ist. Nicht Ich nenne also diejenigen Urteile synthetisch, in denen verschiedene Objekte der Anschauung in Relation zueinander gebracht werden, sondern ich behaupte, daß KANT dadurch veranlaßt worden ist, bestimmte Urteile synthetische zu nennen, daß in ihnen die Aussage nicht das Subjekt für sich betrifft, so daß das Prädikat aus seinem Begriff entnommen werden könnte, sondern die Relation des Subjekts zu anderen in Wahrheit sind auch diese analytisch, wo sie unmittelbar sind.

Nach diesen Ausführungen darf ich wohl dem Leser und mir die Verteidigung gegen einen weiteren Seite 151 erhobenen Einwand ersparen; sie würde mir darum schwer, weil ich ihn gar nicht verstehe.

4. In der Auffassung der Verneinung hoffe ich zeigen zu können, daß WUNDT, obgleich er mich bestreitet, doch in fundamentalen Punkten mit mir einverstanden ist.

Die allgemeinen Sätze, mit denen er Seite 187 die Behandlung des verneinenden Urteils einleitet, stimmen fast wörtlich mit den meinigen überein. Er behauptet, wie ich, daß alles Urteilen ursprünglich und seiner Natur nach affirmierend ist; die Verneinung ist eine sekundäre Funktion des Denkens, welche die Existenz positiver Urteile voraussetzt. Er meint zwar, es sei zu weit gegangen, wenn man die verneinenden Urteile überhaupt nicht als eine besondere, den übrigen gleichgeordnete Urteilsform gelten läßt. In dem Sinne, in welchem WUNDT den Ausdruck "Urteilsform" gebraucht (wobei ich aber ein einheitliches Prinzip der Einteilung der Urteilsformen vermisse), habe ich nichts dagegen, daß man die Verneinung eine besondere Urteilsform nennt; wie sie aber den übrigen, positiven gleichgeordnet sein kann, wenn sie doch eine sekundäre Funktion ist, welche die Existenz positiver Urteile voraussetzt, bekenne ich nicht einzusehen.

Ich suchte nun den Satz durchzuführen, daß Sinn und Ursprung der Verneinung den - irgendwoher veranlaßten - Gedanken oder Versuch eines positiven Urteils voraussetzt; ihre Bedeutung sei, einem solchen Versuch zu wehren, ein versuchtes oder wirklich ausgesprochenes positives Urteil aufzuheben oder für falsch zu erklären. Um zu sagen: A ist nicht B, muß erst der Gedanke gedacht sein, A ist B oder könnte B sein, die Frage vorliegen, ob A wohl B ist; die Verneinung verwehrt jenen Gedanken und erklärt die positive Aussage für unmöglich.

Gegen diese § 20 meiner Logik entwickelte Ansicht erhebt WUNDT Einwendungen, welche wiederum zum Teil auf einem Mißverständnis beruhen. Er sagt Seite 190:
    "Sieht man die Bedeutung der Verneinung allein in der Abwehr eines möglichen Irrtums, so liegt es freilich nahe, sich vorzustellen, daß zunächst der Irrtum selbst als positives Urteil vorliegen muß, zu dem nun die Verneinung als ein besonderer Denkakt hinzutritt, der ihn wieder aufhebt. Aber diese Schilderung entspricht für die Mehrzahl der Fälle nicht einmal dem psychologischen Vorgang, welcher dem verneinenden Urteil vorangeht. Nach seiner wichtigsten Richtung hat letzteres gar nicht die Funktion, einen Irrtum abzuwehren, sondern es verfolgt den positiven Zweck, einen Begriff, wenn von ihm ein bestimmtes Verhältnis zu einem anderen Begriff nicht ausgesagt werden kann, soweit zu bestimmen, als dies auf dem Weg der Ausschließung möglich ist. Wenn ich z. B. urteile: der grüne Pflanzenfarbstoff kommt in den Pilzen nicht vor, so wehre ich dabei freilich nebenbei auch den Irrtum desjenigen ab, der etwa das Gegenteil vermuten möchte; aber der eigentliche Zweck jenes Urteils besteht in der Feststellung eines unterscheidenden Merkmals usw."
Bleiben wir bei dem Beispiel. Ich behaupte: Wer den Satz aufstellt: "der grüne Pflanzenfarbstoff kommt in den Pilzen nicht vor", für den muß irgendeine Veranlassung vorhanden gewesen sein, den Gedanken zu fassen, daß Chlorophyll in den Pilzen vorkommt; wenn ihm gar nicht eingefallen wäre, das Vorkommen des Chlorophylls mit den Pilzen in Verbindung zu bringen, wenn er kein Motiv gehabt hätte, zu fragen, ob die Pilze Chlorophyll enthalten, so wäre er nicht zu seiner Verneinung gekommen; ihr unmittelbarer Sinn ist, die Frage: "enthalten Pilze Chlorophyll"? zu verneinen. Die Veranlassung zu dieser Frage liegt auf der Hand; die Pilze sind Pflanzen; die meisten Pflanzen enthalten Chlorophyll; dem Gedanken, Pilze und Chlorophyll in Verbindung zu bringen, läßt sich gar nicht ausweichen, sobald man sie als Pflanzen erkannt hat. Niemand wird sagen: die Pilze verstehen keine Logik; weil die Veranlassung zu fragen, ob sie Logik verstehen, durch keine Analogie und keine Assoziation entstehen kann. Was also der Verneinung als psychologische Veranlassung direkt und unmittelbar vorangehen muß, ist der Gedanke, daß die Pilze Chlorophyll enthalten könnten, die Verneinung hebt diesen Gedanken auf. Das ist der psychologische Vorgang, der direkt zu dem Urteil führt, ohne den es nicht stattfinden könnte. (6)

Daß nun die Verneinung keinen weiteren Zweck hat, als den Irrtum abzuwehren, - wie WUNDT beharrlich mir zuschreibt - habe ich nicht nur nirgends behauptet, sondern umgekehrt deutlich und ausdrücklich hervorgehoben (Seite 317f), daß die Verneinung der Unterscheidung und Einteilung und damit der Bestimmung der Begriffe dient. Aber indem die Verneinung diesem Zweck dient, der dann eine weiter zurückliegende psychologische Bedingung ist, zeigt sie eben ihre ursprüngliche Funktion; denn wenn sie (WUNDT, Seite 187 die Verallgemeinerungen auf das ihnen zukommende Gebiet einschränkt, Begriffe auf dem Weg der Ausschließung bestimmt, so liegt eben im Begriff der Schranke, der Ausschließung, daß sie einer unbefugten Ausdehung wehren will; wo die Gefahr einer solchen nicht da ist, fällt es Niemandem ein, eine Schranke zu ziehen; wer nicht eindringen könnte, gegen den ist Ausschließung überflüssig. Dieser Zweck schließt also die Abwehr versuchter positiver Urteile geradezu in sich.

WUNDT sagt ferner Seite 191:
    "Sigwart hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß die Verneinung zwei verschiedene Bedeutung besitzt, je nachdem sie die Aberkennung eines Prädikats oder eine Entgegensetzung zweier Begriffe bezweckt."
Ich erschrecke, ob ich wirklich den Unsinn gesagt habe, daß es eine Verneinung gibt, die nicht die Aberkennung eines Prädikats bezweckt; was sollte denn sonst ihr Sinn sein? Aber ich habe ausgeführt, daß der Grund, auf den hin eine Verneinung vollzogen und Prädikat aberkannt wird, entweder darin liegt, daß ein Prädikat an einem Subjekt einfach fehlt, das nach irgendeiner Analogie an ihm erwartet werden kann (diese Blume riecht nicht) oder daß es, sei es durch die Subjektvorstellung als Ganzes, sei es durch ein positives Prädikat des Subjekts, ausgeschlossen ist (diese Rose ist nicht rot - weil sie gelb ist); die Verneinung selbst aber hat als solche immer denselben Sinn, die Möglichkeit der positiven Prädizierung aufzuheben. Wie nun aber nur in dem Fall, wo es sich um eine Entgegensetzung handelt, die Abwehr eines Irrtums Zweck der Verneinung sein kann, und warum dieser Fall der weniger wichtige sein soll (Seite 191), verstehe ich nicht. Wenn ich sage: "der Mond hat keinen Einfluß auf das Wetter", so spreche ich nur aus, daß eine Beziehung fehlt; es steht dem "Einfluß haben" kein positiver Gegensatz gegenüber; soll darum nicht mein Zweck sein können einen Irrtum abzuwehren? Die Negationen aber, die auf Gegensätzen ruhen, sind weitaus die zahlreicheren, warum sollen sie die weniger wichtigen sein?

Daß WUNDT, nachdem er in den ersten Sätzen (Seite 187) die fundamentale Erkenntnis ausgesprochen hat, daß wir bei der Verneinung stets und notwendig an das negierte positive Urteil denken, doch sich gegen die einfachen Konsequenzen dieses Satzes verschließt, ruht zuletzt darauf, daß er sich nicht von der Vorstellung losgemacht hat, daß es eine Negation ursprünglich auf dem Gebiet der bloßen Begriffe gibt, und das negative Urteil als Ausdruck von Begriffsverhältnissen faßt. Das negative Urteil soll als negativ prädizierendes dem Verhältnis eines Begriffs zu seiner Negation (seinem kontradiktorischen Gegenteil) als verneinendes Trenungungsurteil dem Verhältnis disparater [nicht zueinander passender - wp] Begriffe entsprechen.

Zunächst möchte ich in Frage stellen, ob das verneinende Trennungsurteil in der Tat disparate Begriffe auseinanderhält. WUNDT erkennt selbst an (Seite 187), daß die disparate Beschaffenheit der Begriffe nur selten zu bestimmten Urteilen Veranlassung bietet, da unser Denken kaum jemals in Gefahr gerät, Begriffe zu verwechseln, die verschiedenen Begriffsgebieten angehören - erkennt damit auch an, daß die Gefahr der Verwechslung, also die Gefahr des positiven Urteils der Identifizierung, die Bedingung der Negation ist; das Beispiel für ein solches Trennungsurteil "Blei ist nicht Silber" (Seite 195) betrifft nicht disparate, sondern disjunkt-koordinierte Begriffef; und so gesteht WUNDT Seite 196 zu, daß die ungeheure Mehrzahl der Trennungsurteile Fälle betrifft, in denen die Begriffe "durch unser Denken erst gewissermaßen zu disparaten gestempelt werden." Nicht eigentlich durch unser Denken, sondern nur durch einen gezwungenen Versuch, dem Verhältnis disparater Begriffe eine besondere Art des Urteils zuzuweisen, statt daß in den "Trennungsurteilen" (wie WUNDT selbst gelegentlich tut) nur die Funktion der einfachen Unterscheidung erkannt würde, die gerade bei den nächstverwandten Begriffen am nötigsten ist, und ihrer Verwechslung wehrt.

Daß in der Behandlung der Negation der Begriffe WUNDT die Übelstände zu vermeiden sucht, welche sich ergeben, wenn man die Negation eines Begriffes A (Nicht-Mensch, nicht-weiß) rein als solche faßt, erkenne ich vollständig an. Damit diese Formel non A irgendeinen faßbaren Sinn hat, will er sie nicht auf alles überhaupt Mögliche, auf die ganze unendliche Begriffswelt ausdehnen die außerhalb von A liegt, sondern er nimmt einen A übergeordneten Begriff P zu Hilfe, der neben A noch andere mit diesem disjunkte [unterschiedene - wp] Bestimmungen in sich begreift, und gibt der Formel non A die Bedeutung, daß sie jetzt den Begriff P nach Abzug von A repräsentiert (nicht-weiß also die Farben mit Ausschluß von weiß). Jede Negation, sagt er Seite 241, enthält den Begriff, welcher negiert wird, und das Begriffsganze, zu welchem derselbe gehört, als logische Bestandteile in sich.

Daß, wo ein Prädikat non A überhaupt wirklich verwendbar ist, diese Voraussetzungen gemacht werden müssen, gebe ich vollkommen zu (Logik I, Seite 137f, besonders 141). Aber rein dem Wortlaut nach kann der Formel non A diese Bedeutung nicht zukommen, einem dem A übergeordneten Begriff mit einzuschließen; erweckt sie dennoch den Gedanken an denselben so, daß sie ein Zeichen für denselben werden kann, so liegt der Grund darin, daß die Formel non A immer ein Urteil voraussetzt, in welchem A von einem Subjekt verneint wird; will sie überhaupt etwas bezeichnen, so muß sie, da sie für sich und direkt gar keinen positiven Inhalt haben kann, eine indirekte Bezeichnung dessen sein, wovon A verneint wird. Und nun tritt wieder der Sinn der Negation hervor: Ich kann A nur verneinen, wo die Möglichkeit wäre es zu bejahen, d. h. von einem Gegenstand der einen Anknüpfungspunkt für das Prädikat A dadurch bietet, daß er wenigstens ein allgemeineres Prädikat P besitzt, dessen Spezialisierung A ist. Nicht-weiß ist so der indirekte Ausdruck für dasjenige, wovon ich weiß verneine; dieses Urteil ist vorausgesetzt; weiß aber werde ich nicht von einem Ton oder Geruch, nicht von einem Gefühl oder Entschluß, nicht von der Tugend oder dem Laster zu verneinen in die Lage kommen (obgleich das alles zu dem gehört, was nicht weiß ist), sondern nur von dem was eine sichtbare Oberfläche und also irgendeine Farbe hat; und darum nur kann jetzt "nicht-weiß" als Prädikat für die sichtbaren Dinge, die nicht weiß sind, oder als Ausdruck für die Gesamtheit der Farben mit Ausschluß von weiß gelten. Daraus schien mir hervorzugehen, daß die Negation ihren Sitz ursprünglich nur im Urteil hat, und nur durch dieses hindurch non A als indirektes Begriffszeichen möglich ist; daß dagegen negative Begriffe keine ursprüngliche, den übrigen gleichgeordnete Klasse von Begriffen sind. Die Verhältnisse der Begriffe können durch die Negation erst ausgedrückt werden, wenn ihre Verbindung in Urteilen versucht worden ist.

Daß es aber undurchführbar ist, die Verneinungen überhaupt auf bestimmte Begriffsverhältnisse zu gründen, hat nach der einen Seite der obige Versuch gelehrt, das "Trennungsurteil" als Ausdruck eines disparaten Urteils hinzustellen; aber auch der anderen von WUNDT aufgestellten Form, dem negativ prädizierenden Urteil, widerfährt Ähnliches. Es soll (Seite 191) das Verhältniss eines Begriffs zu seiner Negation ausdrücken. Das gäbe die bekannte Formel "A ist nicht non A". Aber WUNDT sieht deutlich, daß diese Formel nicht die Formel ist, durch welche Urteile wie "der Champignon ist nicht giftig, die Wasserkröte ist nicht grün" ihren richtigen Ausdruck finden. Darum sagt er Seite 187: das Verhältnis eines Begriffs zu seiner Negation kommt im verneinenden Urteil in anderer Weise zur Anwendung als die übrigen Begriffsrelationen (Identität, Subsumtion usw.) Während bei diesen die Relation selbst in der Form eines Urteils erscheint, so daß der eine der ins Verhältnis gebrachten Begriffe das Subjekt der andere das Prädikat ist, wird beim negierenden Urteil nicht der negative dem ihm entsprechenden positiven, sondern einem andern Begriff als Prädikat beigefügt. Geht also auch dieses Urteil aus einer Begriffsrelation hervor, so ist diese letztere ausschließlich im Prädikat gelegen. Sie kann darum bei jeder Urteilsform bestehen - auch bei erzählenden und beschreibenden Urteilen usw.

Diese Sätze treffen von WUNDTs Voraussetzungen aus die Eigentümlichkeit der verneinenden Urteile vollkommen richtig. Aber folgt denn nicht daraus unabwendbar, daß die Verneinung eines Prädikats von einem Subjekt eben nicht ursprünglich als Ausdruck einer Begriffsrelation aufgefaßt werden kann, wenn doch die Begriffsrelation nicht zwischen dem Prädikat und dem Subjekt besteht, sondern zwischen dem Prädikat, das das Subjekt hat und dem Prädikat, das es nicht hat? Woher kommt denn zu den entgegengesetzten Prädikaten das Subjekt? Und wie kommt es, daß die Verneinung sich dann über alle möglichen Verhältnisse eines Subjekts zu einem Prädikat, Identität, Subsumtion und Abhängigkeit, auf erzählende, beschreibende, erklärende Prädikate und was WUNDT sonst noch unterscheidet, gleichmäßig erstreckt?

Ich glaube die Antwort ist einfach. Das Verhältnis des Subjekts zum verneinten Prädikat stammt aus dem positiven Urteilen, und ist so mannigfaltig wie die Aussage eines positiven Prädikats sein kann, erzählend, beschreibend, erklärend, eine Relation enthaltend usw.; jede Form eines positiven Urteils, die als Behauptung oder Vermutung oder Frage auftritt, hat darum ihr Gegenstück unter den verneinenden Urteilen. Und warum so? Weil diese eben nichts bedeuten, als daß sie eine positive Aussage für falsch erklären, und also natürlich alle Arten von positiven Aussagen treffen können. In den meisten Fällen aber erklären sie dieselben für falsch, weil das Subjekt ein positives Prädikat wirklich hat, das dem versuchten und durch die Verneinung abgewiesenen Prädikat entgegengesetzt ist und es nicht zuläßt. Was WUNDT das Verhältnis eines Begriffs zu seiner Negation nennt, was in der Tat das gegensätzliche Verhältnis von positiven Begriffen zueinander ist, vermöge dessen sie sich als Prädikate desselben Subjekts gedacht ausschließen (die Wasserkröte ist nicht grün, weil sie braun ist), ist also allerdings in den meisten Fällen der Grund, aus dem ein Prädikat von einem Subjekt verneint wird, aber jenes kontradiktorische (genauer konträre) Verhältnis entspricht, wie WUNDT selbst anerkennt, nicht dem Verhältnis von Subjekt und Prädikat im verneinenden Satz, und dieser kann darum nicht direkt als Ausdruck jenes Begriffsverhältnisses gelten.
LITERATUR - Christoph Sigwart, Logische Fragen, Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 4, Leipzig 1880
    Anmerkungen
    1) Die Kritik, welche Herr Professor Schuppe in Greifswald in der Jenaer Literaturzeitung und den philosophischen Monatsheften gegen meine Logik gerichtet hat, reizt mich nicht zu einer Entgegnung. Nur der Zuversicht gegenüber, mit der er behauptet, daß ich sein "Menschliches Denken" gelesen, und zu verstehen gibt, daß ich es benützt habe, ohne ihn zu nennen, will ich, obwohl für die meisten meiner Leser das überflüssig ist, gelegentlich bemerken, daß meine beiden Bände erschienen sind. lange bevor ich eine Zeile jenes Buches gelesen habe.
    2) Wenn Wundt Seite 89 mich zu denjenigen Logikern rechnet, welche als Element des primitiven Urteils die Vorstellung ansehen und den Begriff erst auftreten lassen, sobald es sich um die Verbindung gewisser Erkenntnisresultate handelt, wenn er dann weiter hinzufügt, bei diesen Unterscheidungsversuchen habe der Einfluß der logischen Normen auf die Beurteilung psychologischer Vorgänge eine gewisse Rolle gespielt, so hat er mich mißverstanden, was daraus hervorgeht, daß er der von mir angeblich mit vertretenen Ansicht Gründe entgegenhält, die ich Seite 26 in einem ganz ähnlichen Sinn selbst ausführe.
    3) Wundt findet seinerseits "keine glückliche Bezeichnung" darin, wenn man die Begriffsideale, die das Ziel der wissenschaftlichen Begriffsentwicklung bilden sollen, als metaphysische Begriffe unterscheidet, weil gerade die Begriffe der Metaphysik von einer tatsächlichen Erfüllung des Postulats der Allgemeingültigkeit wegen des allezeit hypothetischen Charakters dieser Wissenschaft am weitesten entfernt bleiben. Ich weiß nicht, ob ich diese Bemerkung auch auf mich beziehen muß; ich unterscheide allerdings den Begriff im metaphysischen Sinn, wonach er der adäquate Ausdruck des Wesens des Seienden sein soll, und das Ideal des Erkenntnisstrebens bezeichnet (wie es z. B. beim Wesensbegriff des Aristoteles der Fall ist) vom Begriff im logischen Sinn, der nur die Forderungen der Konstanz, der festen Bestimmtheit und sicheren Wortbezeichnung erfüllen soll. Jedenfalls sind Begriffe, denen jener metaphysische Wert zukommt, etwas anderes als "die Begriffe der Metaphysik", welche Wundt dafür setzt; und auch abgesehen davon wäre die tatsächliche Beschaffenheit der Begriffe der Metaphsyik kein Grund, warum jenes Begriffsideal nicht als metaphysischer Begriff bezeichnet werden soll. Der "seltsame Irrtum" den Wundt in jener Bezeichnung findet, ist für ihn nur durch eine wunderliche Verwechslung tatsächlicher Beschaffenheit mit idealer Vollkommenheit, der Aufgabe der Metaphysik mit ihrer tatsächlich unvollkommenen Lösung vorhanden.
    4) Ich hatte ausdrücklich nicht von einer Synthese der Begriffe, sondern von einer Synthese bestimmter Objekte der Anschauung gesprochen; Wundt läßt mich sagen, die Synthese der Begriffe sei früher als die Bildung des Urteils.
    5) Wundt sagt Seite 150: "Kant wollte als analytische Urteile nur solche betrachtet wissen, in deren Subjekt der Prädikatbegriff notwendig mitzudenken ist. Einen Körper ohne Ausdehnung vorzustellen ist unmöglich, dagegen brauche ich nicht notwendig bei der Vorstellung eines Körpers an seine Schwere zu denken." Ich fürchte, daß auch hier ein Mißverständnis Kants vorliegt. Die Notwendigkeit im Subjektbegriff ein bestimmtes Prädikat mitzudenken, beruth für Kant im gegebenen Inhalt des Begriffs, sonst in nichts; bei den empirischen Begriffen wie Körper, Gold usw. ist dieser Begriffe dadurch zustande gekommen, daß ich einen Abstraktionsprozeß vollzogen habe, indem ich einen Teil der Merkmale, welche mir die Erfahrung bietet, in diesem Begriff vereinige. Daß in diesem Prozeß irgendeine Notwendigkeit liegt, deutet Kant nirgends an, im Gegenteil muß es nach Kants eigenen Worten willkürlich erscheinennn, Begriffe zu bilden, welche Gegenstände der Erfahrung nur zum Teil ausdrücken, um zu ihnen nachher andere Teile eben derselben Erfahrung hinzuzufügen. Ebensogut wie die Schwere, hätte ich auch das Merkmal der Undurchdringlichkeit, das Kant im Begriff des Körpers einschließt, zuerst weglassen, und nur Ausdehnung und Gestalt zu einem Begriff vereinigen können, um dann die Undurchdringlichkeit synthetisch mit diesem Begriff zu verknüpfen; aber der Begriff des Körpers, den Kant als gegeben und fertig voraussetzt, enthält Ausdehnung, Undurchdringlichkeit, Gestalt als das, was ich jederzeit in ihm denke, - aber das in der Erfahrung damit jederzeit verknüpfte Merkmal der Schwere nicht. Nach Kants eigener Ausführung ist es eine rein tatsächliche Frage, welcher Begriff meinem analytischen Urteil zugrunde liegt; von einer Notwendigkeit, gerade diesen bestimmten Teil der Erfahrung in meinen Begriff zusammenzufassen, ist nirgends eine Spur. - - - Das Richtige, was trotzdem der Bemerkung Wundts schließlich zugrunde liegt, ist nur, daß unter den Merkmalen, die wir zur Begriffsbildung verwenden, die anschaulichen, wie Ausdehnung und Gestalt, naturgemäß die fundamentalen sind, während Schwere streng genommen ein Relationsprädikat ist. Aber dieser Unterschied ist Kant selbst nicht zu Bewußtsein gekommen.
    6) Noch deutlicher leuchtet dieser Vorgang an einem anderen Beispiel ein, das Wundt Seite 192 anführt: "der Champignon ist nicht giftig". Auch hier komme es nur auf die Unterscheidung an. Daß es auch darauf ankommt, wird niemand leugnen; aber ebensowenig kann bestritten werden, daß, wer das Urteil aufstellt: "der Champignon ist nicht giftig", die Vermutung, daß er giftig ist vorausgesetzt oder an die Frage ob er giftig ist gedacht haben muß.