tb-1ra-2Neue Kritik der VernunftA. Kastil    
 
KARL MORITZ POESCHMANN
Das Wertproblem bei Fries
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I. Die psychologische Grundlage
II. Wert und Wertbeurteilung
III. Die Verwendung des Wertbegriffs in der Ethik
IV. Fries und Ritschl

"Analog den allgemeinen Verstandesbegriffen bestimmt sich für die geistige Gemeinschaft freiwollender Intelligenzen das Moment der Qualität als das des Interesses. Anstelle der Realität tritt der Wert der Dinge, wie Gemüt und Trieb ihn ansetzen, der Kategorie der Verneinung entspricht die des Unwertes der Dinge, der Beschränkung die Unterordnung der Werte als  Marktpreis des Genusses  (Wohl und Übel), als  Kunstwert der persönlichen Vollkommenheit  (Edel und Unedel) und als  absoluter Wert freier Handlungen  (Gutes und Böses). Aus dem Moment der Beschaffenheit eines gegebenen Gegenstandes entwickelt sich so die Lehre von den Gütern. - Die Vorstellung vom Wert der Dinge bewirkt ein Handeln zur Hervorbringung ihrer Gegenstände, der Wert wird zum Zweck."

"Ansich gut ist der Wille, der sich's zum unverbrüchlichen Gesetz gemacht hat, zu tun, was getan werden soll, wobei auf den Inhalt des Gesetzes noch gar nichts ankommt; daher das Gebot nicht nur pflichtmäßig, sondern aus Pflicht zu handeln, die Tugend um ihrer selbst willen zu üben. Daher der Unterschied in der Beurteilung fremder Handlungen, oder überhaupt jeder sittlichen Handlung, ob wir ihre Legalität oder ihre Moralität beurteilen. Der wahre Wert liegt darin, daß jemand tut, was seiner Überzeugung nach Recht ist, nur weil er es für Recht hält, und nur derjenige, dessen Überzeugung hinlänglich gebildet ist, kann dann noch dazu setzen, und diese Überzeugung fordert, daß jedes vernünftige Wesen seiner Würde gemäß behandelt wird."

"Dem unbedingten Wert der Person als Würde ist der relative Wert alles anderen als Sache untergeordnet; die Personen selbst, durch ihre Würde untereinander völlig gleichwertig, stehen als eine geistige Gemeinschaft unter den Gesetzen der Gerechtigkeit. Damit aber wird der  Persönlichkeit eine überragene Stellung  eingeräumt; sie ist  Träger des absoluten Wertes  und daher Zweck ansich, sie ist die  Menschheit  im Menschen. die in jedem als  Zweck ansich  behandelt werden soll, niemals aber als Mittel und  ihrer Würde zuwider;  sie ist zurechnungsfähig und verantwortlich für ihr Handeln, denn sie setzt sich autonom zu den zufälligen Vorschriften des Wollens ein notwendiges Sollen hiinzu, welches für alles Wollen die Regel gibt."

III. Die Verwendung des Wertbegrifs
in der Ethik

Im Folgenden haben wir die Stellung des Wertbegriffs in der FRIESischen  Ethik  zu bestimmen, wie sie sich auf der Grundlage der anthropologischen Untersuchungen aufbaut als eine Lehre vom Wert und Zweck der Handlungen der Menschen zu ihrer Geistesbildung und Selbsterziehung; denn "... Zweck und Wert gibt es nur für den selbsttätigen Willen, es kann also nur in Beziehung auf jene Selbsterziehung eigentlich von Wert und Zweck menschlicher Handlungen die Rede sein." (78) Der wahre, innere Wert aber des Menschenlebens besteht allein in der "rein geistigen Gestaltung" desselben. Nur das Leben des Geistes hat einen Wert in sich selbst. Seinen freien Taten kann ein unbedingter Wert beigemessen werden. In dem, was der Mensch tut, liegt der Wert seines Lebens, seine wahren Zwecke in dem, was er "mit seinem Leben selbst als einem in sich guten will." Von diesem inneren Wert des Lebens sind zu unterscheiden die nur relativen Werte des Brauchbaren und Angenehmen, denen eine untergeordnete Bedeutung zukommt als "äußere Beförderungsmittel", sofern sie jenem Leben dienen.

Von jenem unbedingten Wert des Geisteslebens nun hat alle sittliche Wertbeurteilng auszugehen. Die Phänomene aber des Geisteslebens erhalten ihre Bedeutung aus der Idee des selbständigen Geistes selbst. Aus den Ideen einer notwendigen Wertgesetzgebung ergibt sich uns das moralische Werturteil. "... Die eigentümlichen Gesetze dieser Welt (d. h. der Geisteswelt als der Wechselwirkung der Personen in der Geistesgemeinschaft durch den Willen) sind ... die der willkürlichen Tätigkeit, d. h. die, welche Wert und Zweck der Dinge bestimmen. Durch das notwendige Wert- und Zweckgesetz, d. h. durch das Pflichtgebot oder Sittengesetz wird uns die Anwendung der Ideen gegeben. Nämlich der Gegenstand dieser Ideen eines notwendigen Wertes ist die persönliche Würde des selbständigen Geistes, die Unverderblichkeit des unvergänglichen Geistes. Diese ist von ewiger Wahrheit, Gegenstand unseres Glaubens und kann nicht in Erscheinung treten. Allein, der Glaube an die persönliche Würde, dieser Grundgedanke unserer sittlichen Überzeugung, ist eine Vorstellung unseres Geistes und dies kann nach Naturgesetzen auf unseren Willen wirken" (79). In der Idee der persönlichen Würde liegt also das Prinzip der Ethik. Das als Person bestimmte Ich erhält den absoluten Wert der persönlichen Würde, den Zuständen seiner Lebensäußerung aber gehören "abmeßbare, innere Werte", alles andere fällt unter das Urteil einer "zu beliebigen Gebrauch stehenden, in sich würdelosen Sache".

Indem nun aus dem Grundsatz vom absoluten Wert der Vernunft als Würde ein Gesetz resultiert sowohl für den einzelnen Willen, als allgemeingültig für alle Vernunft, wird die Gemeinschaft der Intelligenzen zu einem Reich unter Gesetzen aus jener Idee der persönlichen Würde. Es sind dies "Gesetze der Willensgemeinschaft", welche die Handlungen nach der Vorstellung vom Wert und Zweck der Dinge bestimmen, "notwendige Zweckgesetze", denen sich alle Intelligenzen gemeinschaftlich unterordnen. "Jede vernünftige Gemeinschaft ist eine Wechselwirkung nach Zwecken, denn jeder Wille hat Zweck und Wert zum Bestimmungsgrund seiner Handlungen ... Durch das Gesetz der Würde der Person, als eines absoluten Zwecks, entsteht uns ... eine eigene notwendige Gesetzgebung nur für die Vernunft und eine Welt vernünftiger Wesen wird uns in der Idee zu einem Reich der Zwecke, welches durch ein ihm eigenes notwendiges Gesetz konstituiert wird." (80) Dasselbe ist ein Gesetz der "Gleichheit der Personen": Jede Intelligenz hat die gleiche persönliche Würde, den gleichen absoluten Wert mit jeder anderen. Im übrigen gibt es im Reich der Zwecke untergeordnete (niedere), größere oder kleinere Werte des Genusses (des Angenehmen) und der Vollkommenheit, "... Preise, die ich einem solchen Wert gleichsetzen, oder womit ich ihn überbieten kann. Der sittliche Wert bestimmt hingegen einen notwendigen Zweck schlechthin ohne allen Größenunterschied" (81), daher vermag der "reine sittliche Trieb" allein dem Willen der Vernunft notwendige Gesetze für sein Handeln zu bestimmen. "So ist also die Zweckgesetzgebung die der Sittengesetze, und deren einfacher Grundgedanke: Vertrauen auf die Selbständigkeit des vernünftigen Geistes." Da nun aber zur Entwicklung unserer sittlichen Ansicht der Dinge, unserer moralischen Überzeugungen die Idee vom absoluten Wert der Intelligenz nicht ausreicht, vielmehr dazu noch die Kenntnis aller "physischen Bedingungen der Subsumtion des Lebens unter jene Idee aus der Naturlehre vom Menschenleben" erforderlich ist, gelangt FRIES unter Zugrundelegung der allgemeinen Naturbegriffe zu der folgenden Tafel der ethischen Kategorien (82):

QUANTITÄT HANDLUNG QUALITÄT INTERESSE RELATION
Einheit ZweckRealitätWert Wesen und
Eigenschaft
VielheitMittelVerneinungUnwert Ursache und
Wirkung
AllheitEndzweckBeschränkungUnterordnung
der Werte
Gemeinschaft

GESETZGEBUNG MODALITÄT ENTSCHLUSS
Person und
ihr Zustand
Möglich und
unmöglich
Dürfen und
Nichtdürfen
Person und
Sache
Dasein und
Nichtdasein
Können und
Nichtkönnen
Recht und
Verbindlichkeit
Notwendig
und zufällig
Pflicht
und Wahl

Analog den allgemeinen Verstandesbegriffen bestimmt sich für die geistige Gemeinschaft freiwollender Intelligenzen das Moment der Qualität als das des Interesses. Anstelle der Realität tritt der Wert der Dinge, wie Gemüt und Trieb ihn ansetzen, der Kategorie der Verneinung entspricht die des Unwertes der Dinge, der Beschränkung die Unterordnung der Werte als "Marktpreis des Genusses" (Wohl und Übel), als "Kunstwert der persönlichen Vollkommenheit" (Edel und Unedel) und als "absoluter Wert freier Handlungen" (Gutes und Böses). Aus dem Moment der Beschaffenheit eines gegebenen Gegenstandes entwickelt sich so die Lehre von den Gütern. - Die Vorstellung vom Wert der Dinge bewirkt ein Handeln zur Hervorbringung ihrer Gegenstände, der Wert wird zum Zweck. Damit wird im quantitativen Moment der Handlung die Kategorie der Einheit als die des Zwecks bestimmt. Diese bildet den Maßstab für die Vielheit der Mittel zum Zweck, um in deren Allheit endlich einen Endzweck zu erreichen. Aus diesem Moment der "Größenbestimmungen" ergibt sich die Lehre von den Handlungen. Ihr Gegenstand wäre "der mögliche Wirkungskreis menschlicher Tätigkeiten, welcher den Gesetzen der Lehre vom Wert als Regeln seines Endzwecks untergeordnet werden muß". - Dem Moment der Relation entspricht das der Gesetzgebung für freiwollende Intelligenzen im Reich der Zwecke. Die Kategorie des Wesens ist hier die Person als selbständiger Geist, "welcher aber nur in wechselnden Zuständen erscheint". Die Ursache zur Wirkung von etwas anderem ist die vernünftig handelnde Person als Zweck ansich; jede Sache ist "schlechthin abhängig" und gilt nur als Mittel für etwas anderes. Die Wechselwirkung in der Gemeinschaft der Intelligenzen ist die von Person zu Person, ihre Kategorien sind Verbindlichkeit und Recht. Hieraus ergeben sich folgende "drei Grundgesetze der Sittengesetzgebung:
    1) Praktischer Grundsatz der Substantialität oder Grundsatz der persönlichen Selbständigkeit (in Analogie mit der Grundsatz der Beharrlichkeit der Substanz): Jede Intelligenz hat einen absoluten Wert der persönlichen Würde; ihre Zustände in der Natur hingegen haben einen endlichen Wert, der größer oder kleiner sein kann.

    2) Praktischer Grundsatz der Kausalität oder Grundsatz der persönlichen Unabhängigkeit und äußerer Freiheit: Jede Intelligenz existiert als Zweck ansich; jede Sache aber als bloßes Mittel.

    3) Grundsatz der menschlichen vernünftigen Wechselwirkung oder Grundsatz der Gerechtigkeit und persönlichen Gleichheit: Jede Person hat mit jeder anderen die gleiche Würde, so daß zwar jede Sache als Mittel zu beliebigen Zwecken verbraucht werden darf, niemals aber eine Person."
Das modalische Moment der "praktischen Gesetzlehre" endlich bestimmt diese als "Autonomie" des vernünftigen Willens, insofern diese "Gesetzgebung des Triebes" auf dem Grund der Wertbegriffe dem Willen die Regeln für sein Handeln gibt. "Alles kommt hier psychologisch auf die Natur unserer Willenskraft an, darauf, daß diese ein Vermögen ist nach der Vorstellung von Regeln zu handeln, indem eine solche Vorstellung (als Gesinnung) Wirksamkeit zur Hervorbringung ihres Gegenstandes hat, somit als Antrieb zwischen mehreren Antrieben zur Bestimmung des Entschlusses wirkt." (83) Die praktische Möglichkeit - Unmöglichkeit wird hier zum Dürfen - Nichtdürfen für den Willen, die praktische Wirklichkeit - Nichtwirklichkeit zum Können - Nichtkönnen unseres Willens, die praktische Notwendigkeit zum Gebot für den Willen, zum Sollen, zur Pflicht. Die Willenskraft wird hier nicht "nach den Gesetzen ihrer Natur, sondern ihre ausführende Tat im zurechnenden und im würdigenden Urteil nach den ihr angegebenen Zwecken beurteilt". Aus diesem Moment der Modalität ersteht die Lehre von der Zurechnung, deren zwei Grundsätze sind:
    1) "Tugendgebot oder Gesetz des Charakters: Du sollst deiner Überzeugung vom notwendigen Wert der Handlungen gemäß handeln.

    2) Gesetz der Wahl: Du darfs jeden beliebigen Zweck im Leben verfolgen, der nicht deiner Überzeugung von der Pflicht zuwider ist."
Die Voraussetzung aber zu diesem "Du sollst" des Tugendgebotes ist die absolute Freiheit der menschlichen Willenskraft. Allein die Erkenntnis von Gut und Böse wirkt hier entscheidend und bestimmend auf den Willen, dessen absolute Freiheit und Selbstbestimmung vorausgesetzt wird. "Der Wille nämlich, der solchen Gesetzen (d. h. der Zweckgesetzgebung) folgt, erliegt darin, daß er ihnen folgt, doch nicht einem Schicksal, sondern er kann ihnen durch eine selbständige und unabhängige Tat folgen, indem hier die Wirklichkeit der Tat durch die Notwendigkeit des Gesetzes noch nicht bestimmt ist. So ergibt sich die sittliche Zurechnung, welche jeden verständigen Willen als selbständigen Urheber seiner Taten mit Lob oder Tadel beurteilt." (84) Den Begriff der Zurechnung will FRIES nur für die menschliche Willkür angewandt wissen, von der er sehr fein eine heilige und tierische Willkür unterscheidet. Jene wird ohne jede sinnliche Anregung direkt durch die Idee des Gesetzes zur Tat bestimmt, diese unmittelbar durch sinnliche Anregungen allein, während der menschlichen Willkür, die wohl sinnlich angeregt werden kann, aber dadurch noch nicht notwendig bestimmt werden muß, eine "innere freiere Kraft der Selbstbestimmung" (85) eignet. "Für den Menschen allein gibt es einen Kampf des Guten und Bösen, einen Widerstreit sinnlicher Antriebe gegen die sittlichen der Pflicht. In diesem Kampf muß entschieden werden; daher bedarf die Pflicht in uns neben der Idee des Gesetzes eine Kraft, durch welche diese Idee erst geltend gemacht wird." (86) Diese Kraft, welche dem Gesetz für's Leben Geltung verschafft, ist entweder eine äußere Macht oder die innere Kraft der Tugend. Uns handelt es sich jedoch nur um Pflichten, die durch die Idee des Tugend- und Sittengesetzes bestimmt werden. Diese sind Tugend- und Rechtspflichten. Tugendpflicht, auch Gewissenspflicht genannt, ist jede vom Sittengesetz gebotene Gesinnung, wohl unterschieden von der kantischen Tugendpflicht als einer nur als Gesinnung gebotenen Pflicht; die Übereinstimmung der inneren Tat der Gesinnung mit dem Sittengesetz heißt Gesetzlichkeit, Legalität. Die Gesinnung steht demnach im Vordergrund aller Pflichtgebote, sie ist ausschlaggebend. In der Gesinnung des Gehorsams gegen das Gebot aller Gebote, "der eigenen Überzeugung von der Pflicht umd der Pflicht willen zu folgen", liegt der wahre Wert von unserem Tun und Lassen. Und die Übung der Tugend ist es, welche dem Einzelnen den persönlichen Wert verleiht. Diesen Gedanken gibt FRIES in  "Wissen, Glauben und Ahnung"  (Seite 168f) folgende zusammenfassende Ausführung, deren Wiedergabe hier zur Erläuterung dienen mag: "Das reine Gesetz für die Tugend wird ... abgesehen von allem Inhalt des Gebotes bloß darin ausgesprochen, daß ich mich dem Gebot, welches es auch sei, unterwerfen soll, und meine Tugend, oder die Moralität meiner Handlung besteht einzig in dieser Gesinnung gegen die Idee eines Gebotes vor allen wirklichen Geboten. Ansich gut ist also der Wille, der sich's zum unverbrüchlichen Gesetz gemacht hat, zu tun, was getan werden soll, wobei auf den Inhalt des Gesetzes noch gar nichts ankommt; daher das Gebot nicht nur pflichtmäßig, sondern aus Pflicht zu handeln, die Tugend um ihrer selbst willen zu üben. Daher der Unterschied in der Beurteilung fremder Handlungen, oder überhaupt jeder sittlichen Handlung, ob wir ihre Legalität oder ihre Moralität beurteilen. Der wahre Wert liegt darin, daß jemand tut, was seiner Überzeugung nach Recht ist, nur weil er es für Recht hält, und nur derjenige, dessen Überzeugung hinlänglich gebildet ist, kann dann noch dazu setzen, und diese Überzeugung fordert, daß jedes vernünftige Wesen seiner Würde gemäß behandelt wird."

Aus der hier gegebenen Darstellung der Hauptmomente der ethischen Untersuchungen von FRIES hebt sich als das Eigentümliche seiner Ethik die Aufnahme der Tatsache des  Wertes und der Wertgebung  heraus, von dera us alle übrigen Bestimmungen getroffen werden. Vom Gedankene eines notwendigen geistigen Wertes, der  absoluten Würde  der menschlichen Vernunft - so sahen wir - hatte die Erörterung auszugehen, um dann von ihm aus eine allgemeine  Wertgesetzgebung  zu entwickeln, eine Gesetzgebung für freiwollende Wesen, welche durch die Erkenntnis vom Wert der Dinge zur willkürliche Tat gedrängt werden. Dem unbedingten Wert der Person als Würde ist der relative Wert alles anderen als Sache untergeordnet; die Personen selbst, durch ihre Würde untereinander völlig gleichwertig, stehen als eine geistige Gemeinschaft unter den Gesetzen der Gerechtigkeit. Damit aber wird der  Persönlichkeit eine überragene Stellung  eingeräumt; sie ist  Träger des absoluten Wertes  und daher Zweck ansich, sie ist die "Menschheit" im Menschen. die in jedem als "Zweck ansich" behandelt werden soll, niemals aber als Mittel und "ihrer Würde zuwider"; sie ist zurechnungsfähig und verantwortlich für ihr Handeln, denn sie setzt sich autonom "zu den zufälligen Vorschriften des Wollens ein notwendiges Sollen hiinzu, welches für alles Wollen die Regel gibt". So liegt in dieser  persönlichen Würde  des sittlichen Charakters der oberste Wert, an dem alle anderen einen Maßstab finden, der höchste Wert, welcher der Idee des höchsten Gutes entspricht.


IV. Fries und Ritschl

Nachdem bisher das Wertproblem in seiner Entstehung und Entwicklung bei FRIES der Gegenstand unserer Erörterung war, soll nun zum Schluß noch nachdrücklich darauf hingewiesen werden, von wie weitgehender Bedeutung die Aufnahme und reiche Bewertung der Begriffe von Wert und würdigendem Urteil gewesen ist. Denn damit hat FRIES nur den Unterbau errichtet, auf dem sich in der Folge und namentlich in der Gegenwart das Gebäude der Lehre vom Wert und Werturteil erheben konnte. Er hat zumindest gutes Material zu diesem Neubau geliefert, dessen sich die Baumeister der folgenden Perioden bewußt oder unbewußt stets gern bedient haben. Wir haben schon oben erwähnt, daß FRIESens Zeitgenosse, der Theologe de WETTE, den Wertbegriff von seinem Freund übernommen hat; an dieser Stelle sei noch darauf aufmerksam gemacht, daß der Theologe ihn auch in demselben Umfang anwendet wie der Philosoph, und daß die ganze Theologie von de WETTE undenkbar ist ohne die FRIESische philosophische Grundlage. Von der Wahrheit des Gesagten gibt schon jede Seite der Erläuterungen de WETTEs zu seinem Lehrbuch der Dogmatik  "Über Religion und Theologie",  Berlin 1821, zur Genüge Zeugnis, wo die Übereinstimmung mit FRIESens Philosophie sich fast bis auf den Wortlaut erstreckt. Den näheren Nachweis über diese Beziehungen zu führen, wäre Sache einer besonderen Abhandlung.

Indessen lassen sich die Spuren der FRIESischen Philosophie gerade in Bezug auf den Wertbegriff noch viel weiter, sogar bis in die Gegenwart hinein verfolgen und auffinden. Ein auffallendes Beispiel dafür gibt ALBERT RITSCHL, der bekanntlich alles religiöse Erkennen auf Werturteile zurückführt. Eine Vergleichung der Anwendung des Wertbegriffs bei ihm und FRIES soll hier anhangsweise und darum in aller Kürze unternommen werden. Dabei knüpfen wir, was jenen betrifft, an die eingehende und erschöpfende Untersuchung von MAX REISCHLE über  "Werturteil und Glaubensurteile (Halle 1900) an, in deren erstem Kapitel der Gelehrte den Wertbegriff in der ersten und zweiten Auflage von RITSCHLs Rechtfertigung und Versöhnung genau behandelt.

Als eigentümlich und neu bei RITSCHL hebt REISCHLE die besondere Methode hervor, auf die er zur Feststellung des Unterschieds zwischen religiösem und wissenschaftlichem Erkennen gelangte. Dieses richte sich, unter Ausschluß der Vorstellung von der Welt als einer Einheit, eines Weltganzen, lediglich auf die "allgemeinen Gesetze des Erkennens und des Daseins von Natur und Geist" und könne sein Ziel nur erreichen "mit seinen Mitteln der Erfahrung und Beobachtung und mit der gesetzlichen Ordnung der Beobachtungen unter unbedingter Einhaltung seiner eigenen logischen Bedingungen" (a. a. O. Seite 4). Das Charakteristische der religiösen Gottes- und Welterkenntnis dagegen läge darin, daß sie auf die Vorstellung von einem Ganzen, von der Welt als einer Einheit angelegt sei; sie stelle sich als ein "Objekt der anschauenden Phantasie" dar, ohne jedoch eine leere Einbildung oder regellose Phantasietätigkeit zu sein, und gehe aus einem "praktischen Gesetz des menschlichen Geistes" hervor (a. a. O. Seite 4). - Fragen wir nun bei FRIES nach einer solchen Unterscheidung von theoretischem und religiösen Erkennen, so erhalten wir aus einem  Handbuch der Religionsphilosophie und philosophischen Ästhetik"  (Heidelberg, 1832) folgenden Aufschluß: Auch FRIES nimmt eine scharfe Sonderung vor zwischen wissenschaftlichem und religiösem Erkennen. Jenes bezeichnet er als einen Teil unserer Erkenntnis, "in welchem wir das Wirkliche in Natur und Menschenleben allgemeinen und notwendigen, nach bestimmten Begriffe erkannten Regeln unterordnen, und die Verknüpfung seiner Veränderungen aus diesen Regeln bestimmen. Dieses Wissen wendet immer bestimmte Begriffe auf die Anschauung an, ihm gehört das ganze Kunstgerät der Begriffsbestimmungen und Beweisführungen und besonders alle Nachhilfe durch die mathematische Erkenntnis" (a. a. O. Seite 29). Die Scheidung der wissenschaftlichen Erkenntnis - so konstatiert FRIES (Seite 49, 53) - vom Gebiet der religiösen Überzeugungen, "welche nicht auf Begriffserklärungen und Beweise zurückgeführt werden können", sei nicht dunkel und rätselhaft, sondern vollkommen klar. Zum Wissen in schroffem Gegensatz steht die religiöse Erkenntnis mit ihren beiden logischen Formen des Glaubens und der Ahnung. In dieser, also "über alle Wissenschaft hinaus" liegt "der Mittelpunkt unserer Überzeugungen von der notwendigen Einheit in den Dingen" (a. a. O. Seite 29 und 48). Die religiöse Überzeugung ist "nicht durch sinnliche Berührungen unseres Geistes entsprungen", sie ist "weder eine Sache der Erfahrung, noch eine Sache der mathematischen Einsicht", sondern nur "Sache des denkenden Bewußtseins des Menschen", "absolutes Eigentum der Vernunft", "der Idee", und muß darum, "mit gleicher Wahrheit in jedem menschlichen Geist leben" (a. a. O. Seite 5, 7, 17). - Worauf führt uns nun die bisher angestellte Vergleichung zwischen FRIES und RITSCHL? Sie ergibt nicht nur eine äußerliche Ähnlichkeit in der Methode zur Bestimmung des Unterschiedes zwischen theoretischem und religiösem Erkennen, sondern eine überraschende Geistesverwandtschaft, eine völlige Übereinstimmung beider der Sache, dem Inhalt nach; sie weist einen gemeinsamen Ausgangspunkt auf, vom dem aus beide Forscher ihre Untersuchungen anstellen. Möglich, daß sie im Verlauf ihrer Arbeit auch zu einem gleichen Resultat gelangten? Wir wollen sehen.

Wie REISCHLE mit Recht hervorhebt, führt RITSCHL die Abhängigkeitsvorstellung des Menschen gegenüber von Gott zurück auf des Menschen "Gefühl von seiner übernatürlichen Bestimmung", ein dem menschlichen Geist wesentliches, "eigentümliches Selbstgefühl", welches ihm kund gibt, daß er zu einer "Erhabenheit oder Freiheit über der Welt und dem gewöhnlichen Verkehr mit ihr" angelegt ist. So ist der Mensch in einen Kontrast hineingestellt, den weder das Erkennen, noch das Wollen, sondern allein die Religion lösen kann; denn nur in seiner "Beziehung auf Gott" und zwar in seiner "Abhängigkeit von Gott" kann er seinen Wert als geistiges Wesen der Welt gegenüber sichern. Darin, daß die Religion dem Menschen zur "qualitativen Erhebung des Geistes über die Welt" und damit zu seinem höchsten persönlichen Wert der Welt gegenüber verhilft ... enthüllt sich zugleich der für das geistige Leben unentbehrliche und unersetzbare Wert der Religion selbst." (REISCHLE, a. a. O. Seite 7 und 5). - Anstelle jenes RITSCHL'schen Selbstgefühls nun steht bei FRIES ein eigentümliches  "Wahrheitsgefühl".  Auf die Frage: woher die ersten Wahrheiten des Glaubens und der ganzen religiösen Überzeugung, durch welche etwa nachher abgeleitete Behauptungen bestimmt werden können? gibt FRIES unter Erinnerung an die JACOBI'sche Gefühlslehre, aber ohne dieselbe zu übernehmen, die Antwort: "Wir haben gesucht, diese Sache weiter aufzuklären mittels unserer Lehre vom Wahrheitsgefühl ... Dies nämlich ist die Denkkraft als Urteilskraft in ihrer unmittelbaren Tätigkeit, in welcher sie nicht eine Wahrheit durch die andere, sondern eine der Vernunft eigene Wahrheit unmittelbar für sich zu Bewußtsein bringt. So steht das Wahrheitsgefühl neben den vermittelnden Begriffen und Beweisen, so muß es die Quelle des Bewußtseins für alle höheren Wahrheiten in unserem Geist sein. Nur durch dieses Wahrheitsgefühl können wir uns die in unserer reinen Vernunft ursprünglich begründeten Grundwahrheiten zu Bewußtsein bringen." (a. a. O. Seite 24). Das Gebiet aller religiösen Erkenntnis ist danach das Gebiet der Wahrheitsgefühle. Und diesem entstammt die Idee der Selbständigkeit des Geistes, der persönlichen Würde, welche das FRIES'ische Analogon bildet zum RITSCHL'schen Gefühl des Menschen von seiner übernatürlichen Bestimmung. Die Idee der unvergänglichen Würde unseres Geistes, welche die allgütige göttlihe Liebe dem Menschen ins Herz geschrieben hat (FRIES, a. a. O. Seite 94), ist für FRIES der alle Welt "überragende Wert", in der persönlichen Würde erblick er des Menschen "überweltliche Bestimmung." "Diese Ideen der persönlichen Würde" - sagt er a. a. O. Seite 108 - "führen uns in die selbständige Geisteswelt ein und vollenden sich im Gebiet der logischen Ideen zur religiösöen Idee der höheren Bestimmung des Menschen, indem wir uns in der frommen Gefühlsstimmung reiner Begeisterung zur unmittelbaren Auffassung der Geistesschönheit erheben." Eine solche Wertschätzung aber führt FRIES zu einer besonders hohen Wertung der Religion überhaupt: "Aufgabe der ganzen religiösen Ausbildung ist, den Menschen zur höchsten Selbstverständigung über sein Schicksal und somit durch Zufriedenheit zur Seelenruhe zu führen. Diese Aufgabe trifft den Mittelpunkt unseres ganzen geistigen Wesens; darum erscheint die Religion als das Höchste in der Geschichte der Menschheit, als die geistigste und mächtigste Führerin in der Völkerausbildung" (a. a. O. Seite 9). -

So treffen wir auch hier wieder in Bezug auf die Verwendung des Wertbegriffs im religiösen Erkennen RITSCHL und FRIES in auffallender sachlicher Übereinstimmung, zugleich ein Beweis dafür, von wie weittragender Bedeutung die FRIES'ischen Aufstellungen doch tatsächlich gewesen sind; freilich eine Tatsache, die erst noch Anerkennung finden soll. Denn bei der Erörterung des Wertproblems pflegt man mit Vorliebe auf KANT, bei dem doch nur embryonische Anfänge zur Entwicklung des Wertbegriffs zu finden sind, auf HERBART und LOTZE zurückzugreifen, während man an FRIES achtlos vorübergeht, obgleich er zur Ausbildung jenes Problems reiches Material gesammelt hat und darum gerade die höchste Beachtung verdient. - Doch zurück zu unserer Vergleichung. Wir kommen zu ihrem letzten Punkt.

REISCHLE hebt (a. a. O. Seite 10/12) hervor, daß RITSCHL in der 2. Auflage von  "Rechtfertigung und Versöhnung"  dem Unterschied zwischen religiösem und wissenschaftlichen Erkennen einen noch schärferenn Ausdruck in dem Satz verliehen hat: "Das religiöse Erkennen (im Unterschied zum theoretischen) bewegt sich in selbständigen Werturteilen", d. h. in solchen, "in denen wir die vorgestellten Gegenstände selbst in ihrem Wert für unser persönliches Leben bestimmen" und welche, "darin wirksam sind, daß sie Lust und Unlust erregen, bzw. den Willen zur Aneignung von Gütern oder zur Abwehr des Gegenteils in Bewegung setzen". Diese RITSCHL eigene wissenschaftliche Errungenschaft, welche eine so stürmische Bewegung in der theologischen Welt erregte, aber auch zu ernster Forschung über das Wertproblem im theologischen wie im philosophischen Lage aufrief und diese recht eigentlich erst in Schwung brachte, vermag natürlich eine Analogie bei FRIES nicht zu finden. Wir müssen uns damit begnügen, Was RITSCHL uns als reife Frucht bietet, bei FRIES im Keimzustand nachzuweisen. Dieser Keim ist sein  "ästhetisches   über welches zu dem oben Gesagten hier nur noch Weniges hinzuzufügen ist. Ihm schreibt FRIES drei Eigentümlichkeiten zu:
    1) Es gehört dem Wahrheitsgefühl und muß unmittelbar erlebt werden, - und eben darin zeigt es schon eine gewisse Verwandtschaft mit RITSCHLs selbständigem Urteil;

    2) es macht Anspruch auf Allgemeingültigkeit und

    3) "Es legt die Prädikate der Schönheit und Erhabenheit dem Gegenstand nicht nur in Bezug auf mich bei, und doch ist schwer zu sagen, was diese Prädikate dem Ding selbst bedeuten." (a. a. O. Seite 87)
Den Grund dieser Eigentümlichkeiten sieht FRIES darin, daß das ästhetische Urteil "die geheimnisvolle Unterordnung der Naturerscheinungen unter die Glaubensideen der Vollendung und der Selbständigkeit des Geistes" ausspricht (a. a. O. Seite 88). So ahnen wir die ewige Wahrheit im Wahrheitsgefühl durch ästhetische Beurteilungen, durch die "lebendige Anerkennung eines Wertes"; mit anderen Worten:  unsere religiösen Überzeugungen kommen in Wertschätzungen, in Werturteilen zum Ausdruck. 

Mit diesem Ergebnis aber ist unsere Untersuchung zu ihrem Ende gelangt. Es war der Zweck derselben, nachzuweisen, daß FRIES, zwar an verschiedenen, durch seine sämtlichen Werke gestreuten Stellen, aber trotzdem gründlich und eingehend, wie es vor ihm in der Geschichte der Philosophie noch nicht geschehen war, sich mit dem  Wertproblem  beschäftigt hat, und daß seine Aufstellungen darüber für die Folgezeit bis in die Gegenwart hinein von weitestgehendem Einfluß gewesen sind. Und damit hat sich FRIES ein Verdienst erworben, welches wir als bedeutend für die Wissenschaft hervorheben und darum der wissenschaftlichen Welt zur Anerkennung empfehlen möchten.
LITERATUR - Karl Moritz Poeschmann, Das Wertproblem bei Fries, Altenburg 1905
    Anmerkungen
    78) FRIES, Handbuch der praktischen Philosophie, Heidelberg 1818, Bd. 1, Seite 24. - Die eigentümlich FRIESische Auffassung der Ethik zeigt sich übrigens schon im Doppeltitel "Handbuch der praktischen Philosophie oder der philosophischen Zwecklehre".
    79) FRIES, System der Metaphysik, Seite 481
    80) FRIES, "Wissen, Glaube und Ahnung", Seite 145/46.
    81) FRIES, Handbuch der praktischen Philosophie, Bd. 1, Seite 151/52. - "Im Verkehr der Menschen untereinander entsteht eine eigene Welt, deren Wechselwirkung nur durch Vernunft und Wille bestimmt wird. Der Wille aber handelt nach Zwecken, Wert und Zweck geben hier also das Gesetz der Wechselwirkung und diese Welt wird zu einem Reich der Zwecke, in welchem der Wert der Dinge, so wie ihne die einzelne Vernunft auf irgendeiner Stufe ihrer Entwicklung ansetzt, den Bestimmungsgrund gibt, wonach ein Ding behandelt wird, welcher dann anfangs nach dem ersten Maßstab des sinnlichen Genusses, dann nach Vollkommenheit, und schließlich nach dem Gebot der Sittlichkeit gemessen wird." (Wissen, Glaube und Ahnung, Seite 113). - "Die höchste Idee in praktischer Philosophie ist also das Gesetz des Zweckes; wir unterwerfen das Wesen der Dinge den Gesetzen des notwendigen Zwecks oder des absoluten Wertes. Diese Anerkennung einer Wert- oder Zweckgesetzgebung für das Wesen der Dinge sehen wir aus dem Innersten unserer handelnden Vernunft mit Notwendigkeit entspringen." (Neue Kritik der Vernunft III, Seite 159)
    82) FRIES, Neue Kritik der Vernunft III, Seite 165f; Metaphysik, Grundr. Seite 77; System der Metaphysik, Seite 487f; Handbuch etc. Seite 152f.
    83) FRIES, System der Metaphysik, Seite 497
    84) FRIES, Handbuch der prakt. Philosophie, Bd. 1, Seite 159/160.
    85) FRIES, Handbuch I, Seite 159/160.
    86) FRIES, Handbuch I, Seite 160.