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(1770 - 1842) Briefe über die Wissenschaftslehre
Vorerinnerung Der Verfasser gegenwärtiger Briefe hat sich eben dieses Rechtes in Beziehung auf das neueste philosophische System, die "Wissenschaftslehre" genannt, bedient, und er hofft, daß ihm dasselbe von ihr, so sehr sie auch ihrer unbezweifelbaren Gültigkeit versichert sein mag, nicht werde streitig gemacht werden. Die Wissenschaftslehre hat zwar bisher ziemlich spröde getan, und ihre Gegner größtenteils in einem etwas unsanften Ton zurecht gewiesen. Indessen ist auch nicht zu leugnen, daß sie in manchen Fällen bloß das Widervergeltungsrecht gebraucht hat, und, wenn sie dabei die Grenzen desselben hin und wieder überschritten hat, dies vielleicht mehr von der Kraftfülle, womit sie den Kampfplatz betreten hat, als von einer feindseligen Gesinnung herrühren mag. Der Verfasser hat bisher an diesem Streit keinen Anteil genommen, weil er es für seine Pflicht hielt, ein System erst genauer für sich selbst zu prüfen, ehe er mit einer öffentlichen Prüfung desselben hervortritt. Er hat in dieser Prüfung die Wissenschaftslehre mit der ihr gebührenden Achtung behandelt, hat ihr nicht gehässige Folgerungen, sondern Gründe entgegengesetzt, und hat diese Gründe nicht aus dem System seiner eigenen Überzeugungen, welches darzulegen und geltend zu machen hier gar nicht seine Absicht war, sondern wie es der echten Skepsis ziemt, aus dem geprüften System selbst, der Wissenschaftslehre, hergenommen. Er darf also wohl auch auf eine gleiche Behandlung von Seiten der Gegner Anspruch erheben, und wenn er sich in denselben nicht ganz irrt, so fürchtet er gar nicht einmal eine entgegengesetzte Behandlung. Denn er hat vom Unterscheidungsvermögen derselben eine zu vorteilhafte Meinung, als daß er nicht hoffen sollte, auf einen anderen Fuß von ihnen behandelt zu werden, als geistlose Possenreißer und herzlose Sykophanten [Denunzianten - wp]. Sollte er sich gleichwohl in dieser Hoffnung getäuscht finden, so wird er eine Untersuchung, die durch diese Briefe bloß eingeleitet werden sollte, gänzlich aufgeben, weil aus einer literarischen Fehde, die mit leidenschaftlicher Hitze geführt wird, selten etwas Kluges herauskommt, und am Ende den Zuschauern nur ein Skandal gegeben wird, das die Wissenschaft samt ihren Pflegern in öffentlichen Mißkredit bringt. Was die Abhandlung über die philosophische Bestimmung des religiösen Glaubens betrifft, so war dieselbe eigentlich zu einem Journalaufsatz bestimmt, so wie sie sich auch zwei solcher Aufsätze bezieht. Da sie indessen mit den Briefen in einer sehr natürlichen Verwandtschaft steht und durch dieselben einiges Licht gewinnen kann, so hat sie der Verfasser in ihrer ursprünglichen Form den Briefen folgen lassen, obgleich jene späteren Ursprungs sind, als die Abhandlung. Diese war nämlich schon entworfen, ehe noch gegen die in der Abhandlung geprüften Aufsätze politische Maßregeln ergriffen waren, und bereits zum Druck völlig ausgearbeitet, als eine Appellation an das Publikum gegen diese Maßregeln erschienen ist. Der Verfasser wurde durch eine solche Einleitung des Streits über den Glauben an Gott unschlüssig gemacht, ob er sich einmischen sollte, indem er fürchtete, daß seine Teilnahme leicht mißdeutet werden könnte, ob er sich gleich bewußt war, aus bloßem Interesse für die Sache selbst die Feder ergriffen zu haben. Indessen hat er sich, aufgemuntert durch seine Freunde und durch den Gedanken, daß vielleicht jetzt die in Frage gekommene Sache mit mehr Unbefangenheit als früher beurteilt werden möchte, über alle kleinlichen Rücksichten hinweg gesetzt, und gibt daher seine Arbeit dem Publikum mit freudiger Zustimmung seines Herzens und mit dem Wunsch hin, daß auch sie etwas zur genaueren und gründlicheren Erörterung des höchst wichtigen Gegenstandes, den sie betrifft, beitragen möge. Geschrieben zu Wittenberg, im Mai 1799. Sie sind also, lieber Freund, durch den Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehr (1) für dieses System ebenfalls gewonnen worden und sind geneigt zu glauben, daß es das einzige philosophische System ist, bei welchem ein denkender Kopf volle Beruhigung zu finden hoffen kann? - Ich bewundere mit Ihnen die originelle und konsequente Denkart seines Erfinders. Aber noch liegen im Innersten meiner Seele einige Zweifel an der Richtigkeit seiner Prinzipien verbrorgen. Solange Sie mir diese Zweifel nicht lösen können, solange kann ich diesem System auch nicht meine Zustimmung geben. Zuvörderst will ich ihnen aber gern bekennen, daß ich das Ich, von welchem die Wissenschaftslehre ausgeht und anhebt, weder so lächerlich, noch so undenkbar finde, als es so Viele zu finden scheinen. Warum sollte ich nicht mich selbst, abgesondert von Allem, was nicht zu mir selbst gehört, denken können? Und was liegt denn Ungereimtes darin, was einem verständigen Menschen ein Lachen oder auch nur ein Lächeln abnötigen könnte, wenn das, was ich durch diese Abstraktion denke, schlechthin Ich oder das absolute, das reine Ich genannt wird, zum Unterschied vom relativen, empirischen Ich, in dessen Gedanken gar Vieles enthalten ist, was nicht zu mir selbst unmittelbar gehört, weil es mir erst in der Zeit entstanden ist, und nur in einer außerwesentlichen Beziehung zu mir selbst steht? Auch finde ich die Forderung, welche die Wissenschaftslehre gleich zu Anfang (2) an jeden, der philosophieren will, tut, sehr gegründet: "Merke auf dich selbst: kehre deinen Blick von Allem, was dich umgibt, ab, und in dein Inneres!" Ohne jenes Einkehren in sich selbst, ohne jenes Abstrahieren von Allem, was nicht zu uns selbst gehört, ohne jenes Reflektieren auf sich selbst, kann schlechterdings keine wahre Philosophie zustande kommen. Ohne diesen freien und ersten Akt des Gemüts schwebt und schwankt die Spekulation immer nur auf der Oberfläche der Gegenstände herum, und hascht nach leeren Schattenbildern, die ihr die Phantasie vorgaukelt, statt daß sie mit nüchterner Besonnenheit und festem Tritt dem Leitstern der Vernunft folgen sollte. Wovon soll denn die Philosophie sonst anfangen, als von demjenigen, was philosophiert? Wie kann man denn über etwas Anderes gründlich philosophieren, wenn man nicht zuvor über sich selbst philosophiert hat, mit sich selbst vertraut und einig geworden ist? Wie kann man aber über sich selbst gründlich philosophieren, und mit sich selbst vertraut und einig werden, ohne jene Einkehrung, Abstraktion und Reflexion? (3) Hierüber also bin ich mit Ihnen und dem Verfasser der Wissenschaftslehre völlig einverstanden. Mit Recht charakterisiert daher diese ihre eigene und aller gründlichen Philosophie Methode durch folgende Worte (4):
Endlich kann ich auch den Idealismus der Wissenschaftslehre, wenn er auch, sobald er ins Handeln überginge, höchst schädlich wäre, dennoch als philosophische Theorie nicht für so gefährlich halten, als er von Vielen scheint gehalten zu werden; und zwar aus dem sehr einfachen Grund, weil es nicht möglich ist, daß er jemals ins Handeln übergeht."
Von diesen Seiten aus betrachtet wüßte ich also, Ihnen und Ihrem transzendentalen Idealismus, in welchem Sie Sich jetzt so wohl zu gefallen scheinen, nichts entgegenzusetzen. Ob dieses System, von anderen Seiten betrachtet, nicht auch seine Blößen hat, wird sich in der Folge zeigen. Ehe wir zur Sache selbst fortgehen, so erlauben Sie mir eine allgemeine vorläufige Bemerkung über die Benennung, welche die Wissenschaftslehre ihrem eigenen und dem entgegengesetzten philosophischen System gibt. Sie nennt nämlich (8) jenes Idealismus und dieses Dogmatismus. Nun kommt zwar auf die Namen in der Hauptsache nichts an; allein hier scheint doch selbst in der Bezeichnung dieser Systeme durch jene Ausdrücke eine Unbilligkeit gegen alle diejenigen enthalten zu sein, welchen es etwa beifallen möchte, an der Allgemeingültigkeit des transzendenten Idealismus zu zweifeln, und auf die Prinzipien der Wissenschaftslehre kein unbedingtes Vertrauen zu setzen, indem durch die Entgegensetzung eines Dogmatismus gewissermaßen schon vor der Untersuchung vorher der Stab über alle und jede Gegner der Wissenschaftslehre gebrochen, und eben dadurch dem Geist der unparteiischen Prüfung, wozu das philosophische Publikum doch so oft und so nachdrücklich von ihr aufgefordert worden ist, aller Zugang, wo nicht verwehrt, so doch erschwert wird. Der Dogmatismus ist seit einiger Zeit in einem so üblen Ruf, daß man glaubt, einem System keinen härteren Vorwurf machen zu können, als den, daß es dogmatisiert. Eines solchen Vorwurfs müßte man sich also, wie mir dünkt, solange enthalten, bis derselbe nach vollständig dargelegter Untersuchung gehörig begründet ist. Nun steht nach dem allgemeinen philosophischen Sprachgebrauch dem Idealismus nicht der Dogmatismus, sondern der Realismus, der Dogmatismus aber dem Skeptizismus entgegen. Hierbei hätte es die Wissenschaftslehre im Anfang ihrer Untersuchung wohl bewenden lassen sollen, um auf ihre Gegner nicht gleich von vornherein ein nachteiliges Licht zu werfen, und dadurch selbst in den Verdacht der Parteilichkeit zu fallen. Nach meiner Einsicht müßte die allgemeine Einteilung der philosophischen Systeme auf folgende Art eingerichtet sein. Zu oberst stände der Unterschied zwischen Skeptizismus und Dogmatismus (das letzte Wort in einer weiteren Bedeutung genommen). Wer die Zuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis leugnet, ist ein Skeptiker, wer sie zugibt und behauptet, ein Dogmatiker. Der Dogmatismus (in einem weiteren Sinn) ist nun in formaler Hinsicht entweder ein Dogmatismus im engeren Sinne (den man auch, um die Unterscheidung des weiteren und engeren Sinnes zu vermeiden, mit einem von einigen Neueren, obgleich in anderer Beziehung, in Vorschlag gebrachten Wort, Dogmatizismus nennen könnte) oder Kritizismus. Wer ohne vorausgegangene Prüfung des Erkenntnisvermögens selbst und Untersuchung seiner Schranken philosophiert, und, dadurch verleitet, eine Kenntnis der Gegenstände, als Dinge-ansich, sich anmaßt, heißt ein dogmatischer Philosoph im engeren Sinne oder ein Dogmatizist; wer jene Prüfung und Untersuchung angestellt hat, und, durch dieselbe belehrt, sich bescheidet, daß er die Gegenstände nur insoweit erkennt, als es den ursprünglichsten Bedingungen des Erkenntnisvermögens gemäß ist, heißt ein kritischer Philosoph. Der Dogmatismus (im weiteren Sinn) in materialer Hinsicht aber ist entweder ein Idealismus oder ein Realismus. Wer die Realität der Außenwelt leugnet, ist ein Idealist, wer sie zugibt und behauptet, ein Realist. Zufolge dieser Einteilung, welche, wie ich glaube, vielen Mißverständnissen vorbeugen würde, wenn sie durchgänging annehmen wollte, werden Sie mir also erlauben, daß ich in der Folge dem Idealismus der Wissenschaftslehre nicht den Dogmatismus, sondern den Realismus entegensetze. - So viel über die Namen. Im nächsten Brief werde ich zu Sache selbst übergehen. Das System des transzendentalen Idealismus ist erbaut auf der Behauptung der absoluten Selbständigkeit des Ich oder der Vernunft (9) und eben darum hat es Ihren Beifall gewonnen; eben darum meinen Sie, es behaupte der Erbauer desselben mit Recht (10),
Es wird von der Wissenschaftslehre (11) eingestanden, daß der transzendentale Idealist seinen Gegner nicht (zumindest nicht direkt) widerlegen kann, so wie auch dieser jenen nicht zu widerlegen imstande ist. Dasjenige also, was den Philosophen bestimmt, sich für das eine oder das andere System zu entscheiden, sei bloß die verschiedene Beziehung derselben auf den Charakter. Da nämlich der Streit zwischen beiden eigentlich der ist (12), ob der Selbständigkeit des Ich die des Dings oder umgekehrt der Selbständigkeit des Dings die des Ich aufgeopfert werden soll: so muß den Philosophen das Interesse für sich selbst oder die Behauptung seiner eigenen Selbständigkeit bestimmen, sich für den transzendentalen Idealismus zu entscheiden (13). - Nun frage ich Sie: Wird durch den transzendentalen Idealismus wirklich dem Interesse der Selbständigkeit in dem Maße Genüge getan, als es der Erfinder dieses Systems fordert und glaubt? Dies ist es, was ich sehr bezweifle. Die Wissenschaftslehre deduziert alles aus dem eigenen inneren Handeln des Ich oder der bloßen Intelligenz, aber nicht aus ihrem freien oder willkürlichen Handeln, sondern aus ihrem Handeln innerhalb gewisser Schranken, in die wir nun einmal eingeschlossen sind. Sie fragt (14):
Hieraus erhellt sich also wohl auch zur Genüge, daß es mit der obigen Pflichtgemäßheit der idealistischen Denkart so ernsthaft nicht gemeint sein kann. Ohnehin scheint diese Behauptung im Widerspruch mit derjenigen zu stehen, welche bereits in meinem ersten Brief an Sie über diesen Gegenstand angeführt worden ist. "Der Idealismus kann ja nie Denkart sein, sondern er ist nur Spekulation." (17) Wie soll er denn noch obendrein eine pflichtgemäße Denkart - wäre es auch nur für den Philosophen - sein? Alles, was durch den Begriff der Pflicht bestimmt sein soll, ist einzig und allein praktisch, nicht theoretisch, kann nur die Handlungen des Willens, nicht die Spekulationen der Vernunft betreffen. Der Philosoph, als solcher, hat keine Pflicht, sondern nur als Mensch. Als Philosoph sucht er lediglich Wahrheit, sie ist für ihn das Höchste und Letzte, deren Interesse alles Übrige weichen muß; Wahrheit aber ist ihm nur das, wovon er sich überzeugen kann. Nähme er die idealistische Denkungs- oder vielmehr Spekulationsart an, ohne von ihrer Gültigkeit überzeugt zu sein, so würde er eben dadurch als Mensch pflichtwidrig handeln, d. h. seine Menschenwürde verletzen, indem er sich in seiner Überzeugung der Autorität eines Andern unterwirft, der vor dem Richterstuhl der Vernunft nicht mehr und nicht weniger gilt, als er selbst. Wäre die idealistische Denkart wirklich Pflicht, so müßte sie sich jedem vordemonstrieren lassen, wovon die Unmöglichkeit der Wissenschaftslehre selbst eingesteht; denn was Pflicht ist, muß sich mit allgemeinfaßlicher Evidenz darlegen lassen, so daß nur ein sittlich verdorbenes Gemüt sich gegen die Pflicht empören kann. So müßte also aller Widerspruch gegen den transzendentalen Idealismus zuletzt aus einem bösen Herzen abgeleitet werden. Unmöglich kann aber die Wissenschaftslehre so etwas behaupten, sie, die sich selbst so nachdrücklich gegen dieses Art zu argumentieren erklärt hat (18). Oder hat die Wissenschaftslehre im Eifer für ihre Sache das Sprüchlein: "Was ihr nicht wollt usw" einen Augenblick lang vergessen? - Mit jeder philosophischen Theorie kann in der Praxis ein guter Wille, eine moralische Gesinnung bestehen, weil das sittliche Gefühl oder das Gewissen den guten Menschen, der einer schlechten vielleicht alle Moralität und Religiosität zerstörenden Theorie im Spekulieren folgt, gewöhnlich inkonsequent oder seiner Theorie untreu im Handeln macht. Wenn selbst der entschiedenste Idealist nach dem eigenen Geständnis der Wissenschaftslehre, sobald es zum Handeln kommt, Realist ist, wie könnte es der Pflicht entgegen sein, auch im Denken Realist zu bleiben? Warum sollte der, welcher an die theoretische oder physische Selbständigkeit des Ichs nicht glaubt, nicht gleichwohl an die praktische oder moralische glauben, und sie zur Richtschnur seines Handelns machen können? Lassen wir also, lieber Freund, den Begriff des Pflichtgemäßen bei dieser und allen künftigen Untersuchungen über die Annehmbarkeit einer spekulativen Theorie ganz aus dem Spiel! Wenn auch, sagen Sie, das Interesse der Selbständigkeit, sofern sie absolut oder total sein soll, durch den transzendentalen Idealismus nicht hinlänglich befriedigt wird: so ist doch durch denselben für das spekulative Interesse der Vernunft ungemein viel gewonnen. Alles ist hier Licht und Klarheit; das Ich läßt und sieht alles vor seinen Augen entstehen; während man im System des Realismus auf eine Dunkelheit und Unbegreiflichkeit nach der andern stößt. Wie ein wirklicher Zusammenhang zwischen den Vorstellungen in mir, und den nach dem gemeinen Bewußtsein als reell angenommenen Dingen außerhalb von mir stattfinden kann; wie die Gegenstände auf das Gemüt einwirken, und in demselben mit dem Bewußtsein der Notwendigkeit verknüpfte Vorstellungen veranlassen, oder wie die mit dem Bewußtsein der Freiheit verknüpften Vorstellungen des Gemüts die Außendinge modifizieren können, ist nach dem realistischen System freilich durchaus unbegreiflich. Der Realist kann weiter nichts darauf antworten, als: Es ist nun einmal so: ich gehe von dieser Voraussetzung aus, und kann im Erklären derselben nicht weiter gehen; das Gefühl der Notwendigkeit gewisser Vorstellungen und ihrer Beziehung auf gewisse Gegenstände nötigt mich zu dieser Voraussetzung, und dieses Gefühl ist für meine Erkenntnis das Höchste und Letzte, über das ich nicht hinausgehen kann. Den transzendentalen Idealisten drückt diese Unbegreiflichkeit freilich nicht; denn da er die Gegenstände Produkte seines Ich sein läßt, so hebt er allen reellen Zusammenhang zwischen den Vorstellungen und den vorgestellten Gegenständen schlechthin auf; folglich kann auch nicht nach der Art und Weise oder dem Grund dieses Zusammenhangs gefragt werden. Aber wird denn dadurch die Sache selbst, ich meine, die Notwendigkeit gewisser Vorstellungen und ihrer Beziehung auf bestimmte Gegenstände, und das Gefühl dieser Notwendigkeit, auch nur um ein Haar begreiflicher? - Unsere Vorstellung von der Außenwelt und deren Bestimmtheit wird in der Wissenschaftslehre (19) abgeleitet aus den ursprünglichen Schranken des Gemüts und deren Bestimmtheit. Zugleich wird aber auch (20) eingestanden, daß diese Bestimmtheit unserer Beschränktheit nicht weiter abgeleitet werden kann und folglich hat hier alle Deduktion ein Ende; daher nennt sie selbst (21) die Schranken, in welche das Ich nun einmal eingeschlossen ist, unbegreifliche Schranken, und sagt (22) gerade heraus:
Können Sie also wohl einem Realisten billigerweise ansinnen, daß er um einer gewissen Unbegreiflichkeit willen, den natürlichen Standpunkt des gemeinen Bewußtseins verläßt, und sich in einen anderen Standpunkt versetzt, wo ihm beim ersten Anblick alles so widernatürlich erscheinen muß, und dennoch die Unbegreiflichkeit nicht aufgehoben, sondern nur um einen Schritt weiter hinausgeschoben wird, am Ende aber die Hauptsache ebenso unerklärt, als zuvor, bleibt? Wenn der neuere Astronom den Standpunkt der gemeinen Anschauung, auf welchem TYCHO stehen blieb, verläßt, und sich auf den höheren des KOPERNIKUS erhebt, so scheint zwar auch dem gemeinen Sinn, selbst des Astronomen, etwas Widernatürliches in dieser Ansicht der Sache enthalten zu sein; aber es verschwinden doch auf diesem letzten Standpunkt alle Schwierigkeiten, die den Astronomen auf dem ersten drücken; die Ordnung und der Zusammenhang der Weltkörper wird ihm begreiflicher; und darum entscheidet er sich für das System des KOPERNIKUS. Ist dies aber nach dem Obigen wohl auch der Fall beim transzendentalen Standpunkt der Wissenschaftslehre? Was nach dem mystischen Idealismus des BERKELEY Gott vermöge seiner Willkür in Beziehung auf das menschliche Gemüt tut, das tut nach dem transzendentalen Idealismus der Wissenschaftslehre das Gemüt selbst vermöge seiner inneren Naturnotwendigkeit. Diese Ansicht ist freilich philosophischer als jene; aber beide Voraussetzungen haben dies miteinander gemein, daß sie die Sache um nichts begreiflicher machen, als die gemeine Voraussetzung, daß Gemüt und Gegenstand sich wechselseitig affizieren [beeinflussen - wp] und modifizieren. Das Interesse der Spekulation bleibt also auf der einen Seite ebenso unbefriedigt, als auf der anderen. Soll ich Ihnen denn nach dem, was ich Ihnen bisher über den transzendentalen Idealismus geschrieben habe, noch besonders darlegen, daß die Wissenschaftslehre durch die Annahme des eigentümlichen Standpunkts, auf welchen sie die Philosophie stellen will, ihr Problem nicht gelöst hat? Dieses Problem war: "Welches ist der Grund des Systems der vom Gefühl der Notwendigkeit begleiteten Vorstellungen, und dieses Gefühls der Notwendigkeit selbst?" - oder, welches ebensoviel heißt: "Wie kommen wir dazu, dem, was doch nur subjekt ist, objektive Gültigkeit beizumessen?" Ich gestehe Ihnen nochmals, daß ich ebensosehr, wie Sie, den mühsamen und eigentümlichen Scharfsinn bewundere, welcher in der "Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre", wie auch in der neuen Darstellung derselben aufgewendet worden nist, um jene Aufgabe zu lösen; aber daß sie wirklich und befriedigend gelöst worden ist, davon konnte ich mich bis jetzt noch nicht überzeugen. Ich sehe zwei Menschen, einen Europäer und einen Schwarzafrikaner und fühle mich genötigt, mir den Einen mit weißer, den Anderen mit schwarzer Hautfarbe vorzustellen. Oder ich setze mir einen Zweck, fühle mich aber durch gewisse Objekte, die ich mir ihrem Dasein und ihrer Beschaffenheit nach als von mir völlig unabhängig vorzustellen genötigt bin, in der Ausführung jenes, vielleicht durch die Vernunft selbst gebotenen Zwecks, so behindert, daß ich denselben schlechterdings nicht realisieren kann. Ich möchte z. B. gern einen Menschen, der sich in Lebensgefahr befindet, retten, aber die Fluten toben oder die Flammen wüten so gewaltig, daß es durchaus unmöglich ist, dem Unglücklichen beizukommen. Oder es schmachtet jemand in einem unterirdischen Gefängnis, des Lichts, der freien Luft und des Umgangs mit Menschen beraubt; er möchte gern entfliehen, aber eiserne Ketten und Türen und undurchdringliche Mauern vereiteln jeden Versuch dazu. - Nun frage ich Sie, wie ist dieses alles aus der ursprünglichen Beschränktheit des Ich erklärbar? Warum setzt sich denn das Ich gerade so und auf keine andere Weise beschränkt, da doch diese Art der Beschränktheit sogarf seinen Zwecken widerstreitet, und es bei allem Gefühl der Notwendigkeit, sich die Gegenstände und deren Verhältnisse zu sich selbst auf diese bestimmte Weise vorzustellen, doch sich des Gedankens nicht entschlagen kann, die Beschaffenheit der Außendinge und sein eigener äußerlicher Zustand könnte auch anders sein, folglich ist beides nur zufällig? Durch das einfache Geständnis der Unbegreiflichkeit jener Schranken und ihrer Bestimmtheit kann doch wahrhaftig das Problem nicht als aufgelöst angesehen werden. Dies erhellt sich noch mehr, wenn wir das Problem der Wissenschaftslehre in seiner zweiten Formel erwägen. Nach derselben wird gefragt, wie wir dazu kommen, ein Äußeres, Objektives anzunehmen, da wir unmittelbar uns doch nur eines Inneren, Subjektiven bewußt sind? Ist denn nun diese Frage dadurch beantwortet, daß alles Äußere, alle reelle Objektivität aufgehoben, und zu einem lediglich Subjektiven, schlechthin Inneren, einer Anschauung der eigenen Tätigkeit des Ich gemacht wird? Und wenn er dann nur noch zerhauen wäre oder bliebe! denn in demselben Moment, wo er auf der einen Seite zerhauen wird, schürzt man ihn auf der anderen wieder, indem es weiter heißt: das Gefühl der Notwendigkeit gewisser Vorstellungen, welches uns zur Annahme eines Äußeren oder Objektiven verleitet, entspringt aus den unbegreiflichen Schranken, denen das Ich nun einmal unterworfen ist, innerhalb welchen es also seine Tätigkeit anschauen muß. Weiß man denn nun mehr, als wenn ein anderer, den ich um den Grund des Objektiven in meinen Vorstellungen befrage, sagt: Es sind unabhängig vom Gemüt Gegenstände da, die einmal so beschaffen sind, und das Gemüt unbegreiflicherweise affizieren? Die Wissenschaftslehre also in der Auflösung ihres Problems gerade da stecken, wo alle Philosophie, die sich die wirkliche Auflösung dieses Problems zum Zweck machte, bisher auch stecken geblieben ist, und allem Vermuten nach ewig stecken bleiben wird, sie mag idealisch oder realistische spekulieren. Sie verweisen mich von der neuen Darstellung zur alten, vom "Philosophischen Journal" zur Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre, wo in der Seite 195 anhebenden Deduktion der Vorstellung meine Zweifel bereits gelöst, wo die vollständige Auflösung des philosophischen Problems enthalten ist. Mir war diese Deduktion sehr wohl bekannt, als ich Ihnen meine Zweifel vorlegte. Allein ich muß Ihnen aufrichtig auch nach wiederholter Durchsicht dieser Deduktion bekennen, daß wenn die neue Darstellung keinen näheren Aufschluß über die Sache gibt, als die alte, Sie mich durch die Verweisung auf die letzte in meinen Zweifeln nur noch mehr bestärkt haben. Da heißt es gleich im Anfang:
1.) Die Kritik hebt mit dem Satz an, daß alle unsere Erkenntnis mit der Erfahrung anfängt, weil das Erkenntnisvermögen nicht zur Ausübung erweckt werden kann, wenn es nicht durch Gegenstände geschieht, die unsere Sinne rühren und teils von selbst Vorstellungen bewirken, teils unsere Verstandestätigkeit in Bewegung bringen, diese zu vergleichen, sie zu verknüpfen oder zu trennen, und so den rohen Stoff sinnlicher Eindrücke zu einer Erkenntnis der Gegenstände zu verarbeiten, die Erfahrung heißt. - Die Kritik schließt sich also vorerst genau an die gemeine Vorstellungsart an; sie läßt aber auch im Fortgang ihrer Untersuchung die Frage, woher der Stoff der empirischen Erkenntnis kommt, ganz zur Seite liegen, und indem sie die Voraussetzung annimt, daß derselbe von den Gegenständen gegeben wird, so beschäftigt sie sich bloß mit der Untersuchung der formalen Bedingungen oder der in der urprünglichen Einrichtung des Gemüts bestimmten Gesetze der Erkenntnis, um die Grenzen der Anwendung derselben zu bestimmen. 2.) Die Kritik beweist das Dasein der Gegenstände im Raum außerhalb des Ich durch das bloße, aber empirisch bestimmte, Bewußtsein seines eigenen Daseins (26). Hier nimmt sie ein Beharrliches in der Wahrnehmung als Bedingung der Zeitbestimmung des Ich an, unterscheidet aber dieses Beharrliche von der Anschauung im Gemüt, als bloßer Vorstellung, als welche selbst ein von ihr unterschiedenes Beharrliches bedarf, um in Beziehung darauf den Wechsel der Vorstellungen und durch denselben das Dasein des Ich in der Zeit zu bestimmen."
Die Folgerungen hieraus (und besonders aus dem Umstand, daß die Kritik das Problem der Wissenschaftslehre, so nahe sie auch an demselben wegstreift, dennoch gar nicht auflösen zu wollen scheint), zu ziehen, überlasse ich billig Ihrem eigenen Ermessen. Was es aber auch mit der Einstimmung oder Nichteinstimmung der Kritik und der Wissenschaftslehre immer für eine Bewandtnis haben mag, so macht das Geständnis der Letzten, daß sie ihre eigene Einsicht der Hauptsache nach der Ersten zu verdanken hat, der Gerechtigkeitsliebe ihres Urhebers weit mehr Ehre, als Manchen ihrer Freunde ein anderes Geständnis derselben, als welche durch die Wissenschaftslehre auf einmal so klug geworden sein wollen, daß sie in der Kritik nichts als tote Begriffe und Formeln, in jener hingegen nichts als Geist und Leben finden können. Glauben sie wohl, lieber Freund, daß dieser erstickende Weihrauchdampf dem Urheber der Wissenschaftslehre ein lieblicher Geruch sein wird? - Schade, daß die Alten der Philosophie keine eigene Muße, als Schutzpatronin, geweiht haben, damit man sie, so oft ein neues System aufkommt, allemal anrufen könnte: "Ignavum, fucos, pecus a praespibus arcent!" [Die Bienen halten die Drohnen, dieses faule Pack, vom Futter fern. - Virgil] ![]()
1) siehe "Philosophisches Journal", hg. von Fichte und Niethammer, Heft 1 und folgende. 2) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 1, Seite 6. 3) "Lasset uns" - sagt vortrefflich ein neuerer philosophischer Schriftsteller - "lasset uns den Jüngling, statt ihn in die äußeren Dinge zu zerstreuen, in sich selbst hineinführen! hier wird er die ersten Gründe aller Wahrheit entdecken, hier die Wunder beider Welten vereinigt antreffen, hier eine oberste Gesetzgebung erkennen, die ihn zur wahren Tugend, zur wahren Religion, zur wahren Seelengröße und Zufriedenheit hinaufgleiten, die ihn auf jeder Stufe, wozu er berufen werden wird, zum wahrhaftig brauchbaren Mitglied der Menschheit und des Staates bilden kann." - Johann Ith, Versuch einer Anthropologie oder Philosophie des Menschen, Teil 1, Vorrede, Seite 12f. 4) "Philosophisches Journal, Bd. 5, Heft 4, Seite 320 5) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 1, Seite 8 6) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 4, Seite 323 7) "Philosophisches Journal, Bd. 5, Heft 4, Anm. zu Seite 322. 8) "Philosophisches Journal, Bd. 5, Heft 1, Seite 12 9) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 1, Seite 19 und Heft 4, Seite 352. 10) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 4, Seite 340 11) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 1, Seite 17 12) ebd. Seite 21 13) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 1, Seite 23 14) ebd. Seite 35. 15) Seite 124 16) Reinhold in seiner Schrift "Über die Paradoxien der neuesten Philosophie" gibt es als den wesentlichen Unterscheidungscharakter dieser Philosophie von aller bisherigen an, daß jene von der unbedingten Freiheit, diese von der unbedingten Notwendigkeit ausgeht. Wie richtig oder unrichtig diese Behauptung in Anbetracht aller bisherigen Philosophie ist, mag an seinen Ort gestellt bleiben. Was aber die neueste Philosophie betrifft, so frage ich jeden unbefangenen Leser, ob wohl irgendein philosophisches System der älteren und neueren Zeit mit so klaren und dürren Worten die unbedingte Notwendigkeit an die Spitze seiner Untersuchungen gestellt hat, als es vor der Wissenschaftslehre in den oben angeführten Stellen geschehen ist? - Zum Überfluß mögen hier noch folgende zur oben zuletzt angeführten Stelle gehörigen Worte stehen: "Wenn nun diese einzelnen Beschränkungen, die als solche nur in der Zeit vorkommen, zusammengefaßt, und als ursprüngliche Einrichtung vor aller Zeit und außer aller Zeit gedacht werden, so werden absolute Schranken des Urtriebs selbst gedacht. Es ist ein Trieb, der nun einmal nur auf dieses, auf eine Wirksamkeit bestimmt in einer solchen Reihe geht, und auf keine andere gehen kann; und so ist es schlechthin. Unsere ganze, sowohl innere als auch äußere Welt, insofern das Erste nur wirklich Welt ist, ist dadurch auf alle Ewigkeit hinaus für uns prästabiliert [vorgefertigt - wp]." Freilich setzt die Wissenschaftslehre unmittelbar darauf gleich hinzu: "Inwiefern es nur wirklich Welt, d. h. ein Objektives in uns ist, sagte ich. Das bloße Subjektive, die Selbstbestimmung, ist nicht prästabiliert, darum sind wir freihandelnd." Damit sagt sie aber nichts weiter, als daß im Menschen Naturnotwendigkeit und Freiheit auf eine unbegreifliche Weise vereinigt angetroffen wird - eine Wahrheit, die Gottlob! schon lange vor dem Erscheinen der Wissenschaftslehre der philosophischen Welt bekannt war, so daß es zumindest über diese neue Entdeckung des vielen Pochens, Scheltens und Schreiens von beiden Seiten nicht bedurft hätte. 17) Wie mit dieser Äußerung und einer anderen ("Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 4, Seite 365 Anmerkung), wo gesagt wird, die Anmutung der idealistischen Denkart im Leben sei von der Beschaffenheit, daß sie nur dargestellt werden darf, um vernichtet zu sein, die Prophezeiung bestehen kann, welche kurz vorher (Seite 345) zu lesen ist, nämlich: die der Wissenschaftslehre eigentümliche Ansicht der Welt werde sich gewiß allgemein verbreiten, und die wohltätigste Revolution in der Menschheit hervorbringen - ist freilich schwer zu begreifen. 18) "Philosophisches Journal", Bd. 6, Heft 1, Seite 39. 19) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 4, Seite 374 20) ebd. Seite 375 21) "Philosophisches Journal", Bd. 8, Heft 1, Seite 12 22) im "System der Sittenlehre nach Prinzipien der Wissenschaftslehre", Seite 124. 23) Man mag wohl zuweilen etwas wunderliche Fragen an die Wissenschaftslehre gestellt haben; die Wissenschaftslehre aber hat die an sie gerichteten Fragen, so oft als unsinnig von der Hand gewiesen, daß man sich nicht wundern darff, wenn manche auf den Verdacht geraten sind, es gehöre mit zu den Entdeckungen der neuesten Philosophie, Fragen, die ihr lästig sind, mit dem Vorwurf der vAbsurdität zu beantworten. Allerdings die kürzeste und gemächlichste Art, sich aus der Verlegenheit zu ziehen. 24) "Philosophisches Journal", Bd. 5, Heft 1, Seite 35. 25) In der Vorrede zur zweiten Auflage der Schrift "Über den Begriff der Wissenschaftslehre". 26) Seite 375 der dritten Auflage (vgl. mit der Vorrede Seite 39). 27) Prolegomena, Seite 70, 141 und 208 der ersten Auflage. |