cr-2 1. Einleitung2. EinleitungNeue DarstellungGrundrißP. Hensel    
 
JOHANN GOTTLIEB FICHTE
(1762 - 1814)
Über den Begriff
der Wissenschaftslehre

[1794]

"Der Grundsatz der Wissenschaftslehre - und mittels ihrer aller Wissenschaften und allen Wissens - ist schlechterdings keines Beweises fähig, d. h. er ist auf keinen höheren Satz zurückzuführen, aus dessen Verhältnis zu ihm sich seine Gewißheit erhellt. Dennoch soll er die Grundlage aller Gewißheit abgeben; er muß daher doch gewiß und zwar in sich selbst, und um seiner selbst willen, und durch sich selbst gewiß sein. Alle anderen Sätze werden gewiß sein, weil sich zeigen läßt, daß sie ihm in irgendeiner Hinsicht gleich sind; dieser Satz muß gewiß sein, bloß darum, weil er sich selbst gleich ist. Alle anderen Sätze werden nur eine mittelbare und von ihm abgeleitete Gewißheit haben; er muß unmittelbar gewiß sein. Auf ihn gründet sich alles Wissen, und ohne ihn wäre überhaupt kein Wissen möglich; er aber gründet sich auf kein anderes Wissen, sondern er ist der Satz des Wissens schlechthin. - - Dieser Satz ist schlechthin gewiß, d. h. er ist gewiß,  weil  er gewiß ist. Er ist der Grund aller Gewißheit, d. h. alles was gewiß ist, ist gewiß, weil  er  gewiß ist; und es ist nichts gewiß, wenn  er  nicht gewiß ist. Er ist der Grund allen Wissens, d. h. man weiß, was er aussagt, weil man überhaupt weiß. Er begleitet alles Wissen, ist in allem Wissen enthalten, und alles Wissen setzt ihn voraus."

Vorrede zur ersten Ausgabe

Der Verfasser dieser Abhandlung wurde durch das Lesen neuer Skeptiker, besonders des AENESIDEMUS und der vortrefflichen MAIMONschen Schriften völlig von dem überzeugt, was ihm schon vorher höchst wahrscheinlich gewesen war: daß die Philosophie, selbst durch die neuesten Bemühungen der scharfsinnigsten Männer, noch nicht zum Rang einer evidenten Wissenschaft erhoben ist. Er glaubte den Grund davon gefunden, und einen leichten Weg entdeckt zu haben, alle jene gar sehr gegründeten Anforderungen der Skeptiker an die kritische Philosophie vollkommen zu befriedigen; und das dogmatische und kritische System überhaupt in ihren streitenden Ansprüchen so zu vereinigen, wie durch die kritische Philosophie die streitenden Ansprüche der verschiedenen dogmatischen Systeme vereinigt sind. (1) Nicht gewohnt von Dingen zu reden, die er noch zu tun hat, würde er seinen Plan ausgeführt, oder auf immer von ihm geschwiegen haben; wenn nicht die gegenwärtige Veranlassung ihm eine Aufforderung zu sein scheine, von der bisherigen Anwendung seiner Muße, und von den Arbeiten, denen er die Zukunft zu widmen gedenkt, Rechenschaft abzulegen.

Die folgende Untersuchung hat auf keine andere Gültigkeit Anspruch zu machen, als auf ein hypothetische. Daraus aber folgt gar nicht, daß der Verfasser seinen Behauptungen überhaupt nichts anderes, als unerwiesene Voraussetzungen zugrunde zu legen vermag; und daß sie nicht dennoch die Resultate eines tiefer gehenden und festen Systems sein sollten. Freilich verspricht er sich erst nach Jahren es dem Publikum in einer desselben würdigen Gestalt vorlegen zu können; aber die Billigkeit, daß man nicht absprechen wird, ehe man das Ganze geprüft hat, erwartet er schon jetzt.

Die erste Absicht dieser Blätter war die, die studierenden Jünglinge der hohen Schule, auf welche der Verfasser gerufen ist, in den Stand zu setzen, zu urteilen, ob sie sich seiner Führung auf dem Weg der ersten unter den Wissenschaften anvertrauen, und ob sie hoffen dürften, daß er so viel Licht über dieselbe zu verbreiten vermag, als sie bedürfen, um ihn ohne ein gefährliches Straucheln zu gehen: die zweite, die Urteile seiner Gönner und Freunde über sein Unternehmen einzuholen.

Für denjenigen, die weder unter die ersten noch unter die zweiten gehören, wenn ihnen diese Schrift in die Hände kommen sollte, sind folgende Anmerkungen.

Der Verfasser ist bis jetzt innig überzeugt, daß kein menschlicher Verstand weiter als bis zu der Grenze vordringen könnte, an der KANT, besonders in seiner Kritik der Urteilskraft, gestanden, die er uns aber nie bestimmt, und als die letzte Grenze des endlichen Wissens angegeben hat. Er weiß es, daß er nie etwas wird sagen können, worauf nicht schon KANT unmittelbar oder mittelbar, deutlicher oder dunkler gedeutet hat. Er überläßt es den zukünftigen Zeitaltern das Genie des Mannes zu ergründen, der von dem Standpunkt aus, auf welchem er die philosophierende Urteilskraft fand, oft wie durch eine höhere Eingebung geleitet, sie so gewaltig gegen ihr letztes Ziel hinriß. - Er ist eben so innig überzeugt, daß nach dem genialischen Geist KANTs der Philosophie kein höheres Geschenk gemacht werden konnte, als durch den systematischen Geist REINHOLDs; und er glaubt den ehrenvollen Platz zu kennen, welchem die Elementarphilosophie des letzteren bei den weiteren Vorschriften, die die Philosophie, an wessen Hand es auch sei, notwendig machen muß, dennoch immer behaupten wird. Es ist nicht in seiner Denkungsart irgendein Verdienst mutwillig zu verkennen, oder es verkleinern zu wollen; er glaubt einzusehen, daß jede Stufe, die die Wissenschaft je bestiegen hat, erst bestiegen sein mußte, ehe sie eine höhere betreten konnte; er hält es wahrhaftig nicht für persönliches Verdienst, durch einen glücklichen Zufall nach vortrefflichen Arbeitern an die Arbeit gerufen zu werden; und er weiß, daß alles Verdienst, das etwa hierin stattfinden könnte, nicht auf dem Glück des Findens, sondern auf der Redlichkeit des Suchens beruth, über welche jeder sich nur selbst und belohnen kann. Er sagte das nicht um jener großen Männer und um derer Willen, die ihnen gleichen; sondern für andere nicht ganz so große Männer. Wer überflüssig findet, daß er es sagte, der gehört nicht unter diejenigen, für welche er es sagte.

Außer jenen ernsthaften gibt es auch noch scherzhafte Männer, die den Philosophen warnen, sich durch übertriebene Erwartungen von seiner Wissenschaft doch nicht lächerlich zu machen. Ich will nicht entscheiden, ob alle recht aus Herzensgrund lachen, weil ihnen die Jovialität einmal angeboren ist; oder ob es nicht welche unter ihnen gibt, die sich bloß zum Lachen zwingen, um dem weltunklugen Forscher ein Unternehmen zu verleiden, das sie aus begreiflichen Gründen nicht gern sehen (2). Da ich, so viel mir bewußt ist, bis jetzt durch Äußerung solcher hohen Erwartungen ihrer Laune noch keine Nahrung gegeben hat: so ist es mir vielleicht am ersten erlaubt, sie, nicht um der Philosophen, und noch weniger um der Philosophie, sondern um ihrer selbst Willen, zu bitten, das Lachen so lange zu verhalten, bis das Unternehmen förmlich mißlungen, und aufgegeben ist. Mögen sie dann unseres Glaubens an die Menschheit, zu der sie selbst gehören, und unserer Hoffnungen von den großen Anlagen derselben spotten; mögen sie dann ihren Trostspruch: Es ist der Menschheit einmal nicht zu helfen; so war es, und so wird es immer sein, - wiederholen, so oft sie des Trostes bedürfen!



Vorrede zur zweiten Ausgabe

Diese kleine Schrift hatte sich vergriffen. Ich bedarf derselben, um in meinen Vorlesungen mich darauf zu beziehen; auch ist sie, einige Aufsätze im  Philosophischen Journal einer Gesellschaft deutscher Gelehrten  abgerechnet, bis jetzt die einzige Schrift, in welcher über das Philosophieren in der Wissenschaftslehre - selbst philosophiert wird, und die daher zu einer Einleitung in dieses System dient. Diese Gründe haben mich bewogen, eine neue Ausgabe derselben zu veranstalten.

Sogar den Zweck und das Wesen dieser Schrift hat man, ungeachtet ihres bestimmten Titels und ihres Inhalts, häufig verkannt, und es wird bei der zweiten Ausgabe nötig, was ich bei der ersten für völlig unnötig hielt, sich über diese Punkte in einer Vorrede bestimmt zu erklären.

Es kann nämlich über die Metaphysik, die nur nicht eine Lehre von den vorgeblichen Dingen ansich sein muß, sondern eine genetische Ableitung dessen, was in unserem Bewußtsein vorkommt, selbst wiederum philosophiert, - es können Untersuchungen angestellt werden über die Möglichkeit, die eigentliche Bedeutung, die Regeln einer solchen Wissenschaft; und es ist sehr vorteilhaft für die Bearbeitung der Wissenschaft selbst, daß das geschieht. Ein System von dergleichen Untersuchungen heißt in philosophischer Hinsicht Kritik; wenigstens sollte man nur das angegebene mit diesem Namen bezeichnen. Die Kritik ist nicht selbst die Metaphysik, sondern liegt über sie hinaus: sie verhält sich zur Metaphysik gerade so, wie diese sich zur gewöhnlichen Ansicht des natürlichen Verstandes verhält. Die Metaphysik erklärt diese Ansicht, und sie selbst wird erklärt in der Kritik. Die eigentliche Kritik kritisiert das philosophische Denken: soll die Philosophie selbst auch kritisch heißen, so kann man von ihr nur sagen, daß sie das natürliche Denken kritisiere. Eine reine Kritik - die Kantische z. B., die sich als  Kritik  ankündigte, ist nichts weniger als rein, sondern großenteils selbst Metaphysik; sie kritisiert bald das philosophische, bald das natürliche Denken: welches ihr ansich gar nicht zum Tadel gereichen würde, wenn sie nur die soeben gemachte Unterscheidung teils überhaupt bestimmt angegeben, teils bei einzelnen Untersuchungen angedeutet hätte, auf welchem Gebiete dieselben liegen: - eine reine Kritik, sage ich, enthält keine metaphysischen Untersuchungen beigemischt; eine reine Metaphysik - die bisherigen Bearbeitungen der Wissenschaftslehre, die sich als Metaphysik ankündigte, sind in dieser Absicht nicht rein, noch konnten sie es sein, indem nur durch die Hilfe der beigefügten kritischen Winke diese ungewöhnliche Denkart sich einigen Eingang versprechen durfte - eine reine Metaphysik, sage ich, enthält keine fernere Kritik, als mit welcher man schon vor ihr ins Reine gekommen sein soll.

Das Gesagte bestimmt genau das Wesen der folgenden Schrift. Sie ist ein Teil der Kritik der Wissenschaftslehre, keineswegs aber die Wissenschaftslehre selbst, oder von ihr ein Teil.

Sie ist ein Teil dieser Kritik, sagte ich. Sie beschäftigt sich besonders damit, das Verhältnis der Wissenschaftslehre zum gemeinen Wissen, und zu den auf dem Standpunkt desselben möglichen Wissenschaften, der Materie des Wissens nach, darzustellen. Aber es gibt noch eine andere Betrachtung, welche sehr viel beitragen kann, einen richtigen Begriff unseres Systems zu erzeugen, dasselbe gegen Mißverständnisse zu schützen, und ihm Eingang zu verschaffen; die - über das Verhältnis des transzendentalen Denkens zum gemeinen der Form nach, d. h. die Beschreibung des Gesichtspunktes, aus welchem der transzendentale Philosoph alles Wissen erblickt, und seiner Gemütsstimmung in der Spekulation. Der Verfasser glaubt über diese Punkte in seinen zwei Einleitungen zu einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre (im unten genannten Journal, im Jahrgang 1797), besonders in der zweiten, sich mit einiger Deutlichkeit erklärt zu haben. - Eine Wissenschaft, und die Kritik derselben, unterstützen und erklären sich wechselseitig. Erst wenn die reine Darstellung der Wissenschaftslehre selbst möglich sein wird, wird es leicht sein, systematisch und vollständig über das Verfahren derselben Rechenschaft abzulegen. Verzeihe das Publikum dem Verfasser vorläufige und unvollständige Arbeiten, bis einst er selbst, oder ein anderer, vollenden kann!

In diesem neuen Abdruck sind bloß mehrere Wendungen und Ausdrücke, die nicht bestimmt genug waren, geändert, einige Anmerkungen unter dem Text, welche das System in Streitigkeiten verwickelten, deren es sich bis jetzt noch entheben kann, und der ganze dritte Abschnitt (hypothetische Einteilung der Wissenschaftslehre), der gleich bei seiner Abfassung nur einen temporären Zweck hatte, und dessen Inhalt seitdem in der Grundlage der gesamten WL ausführlicher und deutlicher vorgetragen ist, weggelassen worden.

Indem ich eine Schrift, in welcher ich mein System zu allererst ankündigte, wieder herausgebe, ist es vielleicht nicht unschicklich, einiges zur Geschichte der Aufnahme beizubringen, welche dieses System bisher gefunden hat. Wenige ergriffen die vernünftigere Maßregel, vorläufig still zu schweigen und sich erst ein wenig zu bedenken; die mehreren ließen ihr dummes Staunen über die neue Erscheinung unverhohlen erblicken, und empfingen sie mit blödsinnigem Gelache und abgeschmacktem Spott; die gutmütigeren unter diesen wollten zur Entschuldigung des Verfassers glauben, daß die ganze Sache bloß ein übel ausgedachter Spaß sei, während andere im Ernst nachsannen, wie man ihn bald "im Innern gewisser milder Stiftungen" versorgen könne. - Es würde den lehrreichsten Beitrag zur Geschichte des menschlichen Geistes abgeben, wenn man erzählen könnte, wie gewisse Philosopheme bei ihrer ersten Erscheinung aufgenommen wurden; es ist ein wahrer Verlust, daß man die im ersten Erstauen gefällten Urteile der Zeitgenossen über einige ältere Systeme nicht mehr besitzt. Im Hinblick auf das Kantische System ist es noch Zeit, eine Sammlung der ersten Rezensionen desselben, - die in der wohlberühmten Göttingische Gelehrten-Zeitung an der Spitze - zu veranstalten, und für die künftigen Zeitalter als Seltenheiten aufzubewahren. Für die Wissenschaftslehre will ich selbst dieses Geschäft übernehmen; und um einen Anfang zu machen, lege ich dieser Schrift zwei der merkwürdigsten dahin einschlagenden Rezensionen bei - es versteht sich, ohne Bemerkung dazu zu setzen. Es bedarf für das philosophische Publikum, welches gegenwärtig mit meinem System besser bekannt ist, solcher Bemerkungen nicht, und für die Urheber jener Rezensionen ist es Unglück genug, gesagt zu haben, was sie in denselben sagen. (3)

Ungeachtet dieses abschreckenden Empfangs hat dennoch bald darauf dieses System glücklichere Schicksale gehabt, als wohl irgendeinem anderen zuteil geworden sein dürften. Mehrere junge geistreiche Köpfe haben es mit Feuer ergriffen, und ein verdienstvoller Veteran in der philosophischen Literatur hat ihm nach langer und reifer Prüfung seinen Beifall gegeben. Es läßt sich von den vereinten Bemühungen so vieler vortrefflicher Köpfe erwarten, daß es bald recht vielseitig dargestellt und ausgebreitet angewendet, die Umstimmung des Philosophierens, und mittels desselben, des wissenschaftlichen Verfahrens überhaupt bewirken wird, welche es beabsichtigt. Ungeachtet der Ähnlichkeit seiner ersten Aufnahme mit der Aufnahme des zunächst vorhergegangenen - anderen Systems, wie gute Kenner glauben - anderen Darstellungen eben desselben Systems, wie ich gleichfalls nicht ohne gute Gründe annehme (über welchen Punkt jedoch weiter zu streiten ich feierlich aufgebe), ungeachtet dieser Ähnlichkeit, sage ich, - obschon, wie sich das von Kantianern versteht, die Aufnahme der Wissenschaftslehre viel gröber und pöbelhafter ausfiel, als die der Kantischen Schriften - werden doch hoffentlich beide - Systeme oder Darstellungen, nicht den gleichen Erfolg haben, einen Haufen sklavischer und brutaler Nachbeter zu bilden. Teils sollte man glauben, daß sich die Deutschen durch die zunächst vorhergegangene traurige Begebenheit abschrecken lassen, und nicht kurz hintereinander zweimal das Joch der Nachbeterei aufladen werden; teils scheint sowohl der bis jetzt gewählte, einen festen Buchstaben vermeidende Vortrag, als der innere Geist dieser Lehre sie gegen gedankenlose Nachsprecher zu schützen; auch ist es von den Freunden derselben nicht zu erwarten, daß sie eine solche Huldigung wohl aufnehmen werden.

Für die Vollendung des Systems ist noch unbeschreiblich viel zu tun. Es ist jetzt kaum der Grund gelegt, kaum ein Anfang des Baus gemacht; und der Verfasser will alle seine bisherigen Arbeiten nur für vorläufige gehalten wissen. Die feste Hoffnung, die er nunmehr fassen kann, nicht, wie er vorher befürchtete, auf gut Glück, in der individuellen Form, in der es sich ihm zuerst darbot, für irgendein künftiges Zeitalter, das ihn verstehen dürfte, in toten Buchstaben, sein System niederlegen zu müssen, sondern schon mit seinen Zeitgenossen sich darüber zu verständigen und zu beraten, dasselbe durch eine gemeinschaftliche Bearbeitung mehrerer eine allgemeinere Form gewinnen zu sehen, und es lebendig im Geiste und der Denkart des Zeitalters zu hinterlassen, ändert den Plan, den er sich bei der ersten Ankündigung desselben vorschrieb. Er wird nämlich in der systematischen Ausführung des Systems für den Moment nicht weiter fortschreiten, sondern erst das bis jetzt Erfundene vielseitiger darstellen, und vollkommen klar und jedem Unbefangenen evident zu machen suchen. Ein Anfang dieser Arbeit ist schon im oben genannten Journal gemacht worden, und sie wird fortgesetzt werden, so wie meine nächsten Geschäfte, als akademischer Dozent, es verstatten. Mehreren mir bekannt gewordenen Äußerungen zufolge ist durch jene Aufsätze manchem ein Licht aufgegangen; und wenn die Denkart des Publikums über die neue Lehre nicht allgemeiner umgestimmt wurde, so kommt dies wohl mit daher, daß jenes Journal nicht sehr verbreitet zu sein scheint. Zu demselben Zweck werde ich, sobald es meine Zeit erlaubt, einen neuen Versuch einer streng- und rein-systematischen Darstellung der Grundlage der Wissenschaftslehre erscheinen lassen.



Erster Abschnitt
Über den Begriff
der Wissenschaftslehre überhaupt


§ 1. Hypothetisch aufgestellter
Begriff der Wissenschaftslehre

Um geteilte Parteien zu vereinigen, geht man am sichersten von dem aus, worüber sie einig sind.

Die Philosophie ist  eine Wissenschaft;  - darüber sind alle Beschreibungen der Philosophie so übereinstimmend, als sie in der Bestimmung des  Objekts  dieser Wissenschaft geteilt sind. Und wie, wenn diese Uneinigkeit daher gekommen wäre, daß der Begriff der Wissenschaft selbst, für welche sie einmütig die Philosophie anerkennen, nicht ganz entwickelt war? Wie wenn die Bestimmung dieses einzigen von allen zugestandenen Merkmals völlig hinreichte, den Begriff der Philosophie selbst zu bestimmen?

Eine Wissenschaft hat systematische Form; alles Sätze in ihr hängen in einem einzigen Grundsatz zusammen, und vereinigen sich in ihm zu einem Ganzen - auch dieses gesteht man allgemein zu. Aber ist nun der Begriff der Wissenschaft erschöpft?

Wenn jemand auf einem grundlosen und unerweislichen Satz, z. B. auf dem, daß es in der Luft Geschöpfe mit menschlichen Neigungen, Leidenschaften und Begriffen, aber ätherischen Körpern gebe, eine noch so systematische Naturgeschichte dieser Luftgeister aufbaute, welches ansich recht wohl möglich ist - würden wir ein solches System, so streng auch in demselben gefolgert würde, und so innig auch die einzelnen Teile desselben untereinander verkettet sein mögen, als eine Wissenschaft anerkennen? Wenn jedoch jemand einen einzelnen Lehrsatz anführt - etwa der mechanische Handwerker den Satz: daß eine auf einer horizontalen Fläche in einem rechten Winkel aufgestellte Säule perpendikular steht, und ins Unbedingte verlängert, nach keiner von beiden Seiten hängen wird; welches er ehemals gehört und in vielfältiger Erfahrung als wahr befunden hat (4); - wird jedermann zugestehen, derselbe habe Wissenschaft vom Gesagten; obgleich er nicht den geometrischen Beweis seines Satzes vom ersten Grundsatz dieser Wissenschaft an systematisch führen kann. Warum nennen wir die Kenntnis des zweiten, die in seinem Verstand mit keinem System zusammenhängt, Wissenschaft?

Ohne Zweifel darum, weil das erstere in all seiner schulgerechten Form doch nichts enthält, das man wissen kann; und der letztere, ohne alle schulgerechte Form, etwas sagt, das er wirklich  weiß,  und  wissen kann. 

Das Wesen der Wissenschaft bestünde demnach, wie es scheint in der Beschaffenheit ihres Inhalts und dem Verhältnis desselben zum Bewußtsein desjenigen, von welchem gesagt wird, daß er weiß: und die systematische Form wäre der Wissenschaft bloß zufällig; sie wäre nicht der Zweck derselben, sondern bloß etwa das Mittel zum Zweck.

Dies ließe sich vorläufig so denken. Wenn etwa aus irgendeiner Ursache der menschliche Geist nur sehr wenig gewiß wissen, alles andere aber nur meinen, mutmaßen, ahnen, willkürlich annehmen könnte, aber doch, gleichfalls aus irgendeiner Ursache, mit dieser eingeschränkten oder unsicheren Kenntnis sich nicht wohl begnügen könnte, so würde ihm kein anderes Mittel übrig bleiben, dieselbe auszubreiten und zu sichern, als daß er die ungewissen Kenntnisse mit den gewissen vergleicht, und aus der Gleichheit oder Ungleichheit - man verstatte mir vorläufig diese Ausdrücke, bis ich Zeit erhalte, sie zu erklären - aus der Gleichheit oder Ungleichheit der ersteren mit den letzteren, auf die Gewißheit oder Ungewißheit derselben folgerte. Wären sie einem  gewissen  Satz gleich, so könnte er sicher annehmen, daß sie auch gewiß sind; wären sie ihm entgegengesetzt, so wüßte er nunmehr, daß sie falsch sind und er wäre vor längerer Täuschung durch sie gesichert. Er hätte, nicht Wahrheit, doch Befreiung vom Irrtum gewonnen. -

Ich mache mich deutlicher. - Eine Wissenschaft soll Eins, ein Ganzes sein. Der Satz, daß eine auf einer horizontalen Fläche in einem rechten Winkel aufgestellte Säule perpendikular steht (5), ist für den, der keine zusammenhängende Kenntnis von der Geometrie [oder der Geschichte, 1ste Ausg.] hat, ohne Zweifel ein Ganzes, und insofern eine Wissenschaft.

Aber wir betrachten auch die gesamte Geometrie [und Geschichte] als eine Wissenschaft, da sie doch noch gar manches andere enthält, als jenen Satz. - Wie und wodurch werden nun eine Menge ansich höchst verschiedener Sätze zu  einer  Wissenschaft, zu  einem  und eben demselben Ganzen?

Ohne Zweifel dadurch, daß die einzelnen Sätze überhaupt nicht Wissenschaft wären, sondern daß sie erst im Ganzen, durch ihre Stelle im Ganzen, und durch ihr Verhältnis zum Ganzen werden. Nie aber kann durch eine bloße Zusammensetzung von Teilen etwas entstehen, das nicht in einem Teil des Ganzen anzutreffen ist. Wenn gar kein Satz unter den verbundenen Sätzen Gewißheit hätte, so würde auch das durch die Verbindung entstandene Ganze keine haben.

Mithin müßte wenigstens  ein  Satz gewiß sein, der etwa den übrigen seine Gewißheit mitteilt; so daß, wenn, und insofern dieser Eine gewiss sein soll, auch ein Zweiter, und wenn, und insofern dieser Zweite gewiß sein soll, auch ein Dritter usw. gewiß sein muß. Und so würden mehrere, und ansich vielleich sehr verschiedene Sätze, eben dadurch, daß sie  alle  - Gewißheit, und  die gleiche  Gewißheit hätten, nur  eine  Gewißheit gemein haben, und dadurch nur  eine  Wissenschaft werden. -

Der von uns soeben schlechthin  gewiß  genannte Satz - wir haben nur einen solchen angenommen - kann seine Gewißheit nicht erst durch die Verbindung mit den übrigen erhalten, sondern muß sie  vor  derselben haben; denn aus Vereinigung mehrerer Teile kann nichts entstehen, was in keinem Teil ist. Alle übrigen aber müßten die ihrige von ihm erhalten.  Er  müßte vor aller Verbindung vorher gewiß und ausgemacht sein. Kein einziger von den übrigen aber müßte es vor der Verbindung sein, sondern es erst durch sie werden.

Hieraus erhellt sich zugleich, daß unsere obige Annahme die einzig Richtige ist, und daß in einer Wissenschaft nur  ein  Satz sein kann, der vor der Verbindung gewiß und ausgemacht ist. Gäbe es mehrere dergleichen Sätze, so wären sie entweder mit dem anderen gar nicht verbunden, und dann gehörten sie nicht zu dem gleichen Ganzen, sondern machten ein oder mehrere abgesonderte Ganze aus; oder sie wären damit verbunden. Die Sätze sollen aber nicht anders verbunden werden, als durch die  eine  und gleiche Gewißheit: - wenn  ein  Satz gewiß ist, so soll auch ein anderer gewiß sein, und wenn der  eine  nicht gewiß ist, so soll auch der andere nicht gewiß sein; und lediglich dieses Verhältnis ihrer Gewißheit zueinander soll ihren Zusammenhang bestimmen. Das könnte von einem Satz, der eine von den übrigen Sätzen unabhängige Gewißheit hätte, nicht gelten, wenn seine Gewißheit unabhängig sein soll, so ist er gewiß, wenn auch die anderen nicht gewiß sind. Mithin wäre er überhaupt nicht mit ihnen durch Gewißheit verbunden. - Ein solcher  vor  der Verbindung und unabhängig von ihr gewisser Satz heißt  Grundsatz.  Jede Wissenschaft muß einen Grundsatz haben; ja sie könnte ihrem inneren Charakter nach wohl gar aus einem einzigen, ansich gewissen Satz bestehen, - der aber dann freilich nicht Grundsatz heißen könnte, weil er nichts begründete. Sie kann aber auch nicht mehr als  einen  Grundsatz haben, weil sie sonst nicht  eine,  sondern mehrere Wissenschaften ausmachen würde.

Eine Wissenschaft kann außer dem  vor  einer Verbindung gewissen Satz noch mehrere Sätze enthalten, die erst durch die Verbindung mit jenem überhaupt als gewiß, und auf dieselbe Art und in demselben Grad gewiß wie jener erkannt werden. Die Verbindung besteht, wie eben erinnert wurde, darin, daß gezeigt wird: wenn der Satz  A  gewiß ist, muß auch der Satz  B  - und wenn dieser gewiß ist, muß auch der Satz  C  usw. gewiß sein; und diese Verbindung heißt die systematische Form des Ganzen, das aus den einzelnen Teilen entsteht. - Wozu nun diese Verbindung? Ohne Zweifel nicht um ein Kunststück des Verbindens zu machen, sondern um Sätzen Gewißheit zu geben, die ansich keine hätten: und so ist die systematische Form nicht Zweck der Wissenschaft, sondern sie ist das zufällige, nur unter der Bedingung, daß die Wissenschaft aus mehreren Sätzen bestehen soll, anwendbare Mittel zur Erreichung ihres Zwecks. Sie ist nicht das Wesen der Wissenschaft, sondern eine zufällige Eigenschaft derselben. - Die Wissenschaft ist ein Gebäude; der Hauptzweck dieses Gebäudes ist Festigkeit. Der Grund ist fest, und so wie dieser gelegt ist, wäre der Zweck erreicht. Weil man aber im bloßen Grund nicht wohnen, durch ihn allein sich weder gegen den willkürlichen Anfall des Feindes, noch gegen die unwillkürlichen Anfälle der Witterung schützen kann, so führt man auf denselben Seitenwände, und über diesen ein Dach auf. Alle Teile des Gebäudes werden mit dem Grund, und unter sich selbst zusammengefügt, und dadurch wird das Ganze fest; aber man baut nicht ein festes Gebäude, damit man zusammenfügen kann, sondern man fügt zusammen, damit das Gebäude fest wird; und es ist fest, insofern alle Teile desselben auf einem festen Grund ruhen.

Der Grund ist fest, und er ist auf keinen neuen Grund, sondern er ist auf den festen Erdboden gegründet. - Worauf wollen wir denn den Grund unserer wissenschaftlichen Gebäude aufführen? Die Grundsätze unserer Systeme sollen und müssen  vor  dem System gewiß sein. Ihre Gewißheit kann nicht im Umfang derselben erwiesen werden, sondern jeder in ihnen mögliche Beweis setzt dieselbe schon voraus. Sind  sie  gewiß, so ist freilich alles, was aus ihnen folgt, auch gewiß:  aber aus was folgt denn ihre eigene Gewißheit? 

Und wenn wir auch diese Frage beantwortet hätten, drückt uns nicht eine neue, von jener ersten ganz unterschiedene? - Wir wollen beim Aufbauen unserer Lehrgebäude so folgern:  Wenn  der Grundsatz gewiß ist, dann ist auch ein bestimmter anderer Satz gewiß. Worauf gründet sich aber jenes  Dann?  Was ist es, das den notwendigen Zusammenhang zwischen beiden begründet, vermöge dessen dem einen eben die Gewißheit zukommen soll, die dem anderen zukommt? Welches sind die Bedingungen dieses Zusammenhangs; und woher wissen wir,  daß  sie die Bedingungen und die  ausschließenden  Bedingungen und die  einzigen  Bedingungen desselben sind? und wie kommen wir überhaupt dazu, einen notwendigen Zusammenhang zwischen verschiedenen Sätzen, und ausschließende, aber erschöpfte Bedingungen dieses Zusammenhangs anzunehmen?

Kurz, wie läßt sich  die Gewißheit des Grundsatzes ansich;  wie läßt sich  die Befugnis, auf eine bestimmte Art aus ihm die Gewißheit anderer Sätze zu folgern,  begründen?

Dasjenige, was der Grundsatz selbst haben, und allen übrigen Sätzen, die in der Wissenschaft vorkommen, mitteilen soll, nenne ich den  inneren Gehalt  des Grundsatzes und der Wissenschaft überhaupt; die Art, wie er dasselbe den anderen Sätzen mitteilen soll, nenne ich den  inneren Gehalt  des Grundsatzes und der Wissenschaft überhaupt; die Art, wie er dasselbe den anderen Sätzen mitteilen soll, nenne ich die  Form  der Wissenschaft. Die aufgegebene Frage ist mithin die: Wie ist Gehalt und Form einer Wissenschaft überhaupt, d. h. wie ist die Wissenschaft selbst möglich?

Etwas, worin diese Frage beantwortet würde, wäre selbst eine Wissenschaft,  und zwar die Wissenschaft von der Wissenschaft überhaupt. 

Es läßt sich vor der Untersuchung nicht bestimmen, ob die Beantwortung jener Frage möglich sein wird oder nicht, d. h. ob unser gesamtes Wissen einen erkennbaren festen Grund hat, oder ob es, so innig unter sich verkettet auch die einzelnen Teil desselben sein mögen, doch zuletzt auf Nichts, wenigstens  für uns  auf Nichts beruth. Soll aber unser Wissen für uns einen Grund haben, so muß sich jene Frage beantworten lassen, und es muß eine Wissenschaft geben, in der sie beantwortet wird; und gibt es eine solche Wissenschaft, so hat unser Wissen einen erkennbaren Grund. Es läßt sich demnach über die Gründlichkeit oder Grundlosigkeit unseres Wissens vor der Untersuchung nichts sagen; und die Möglichkeit der geforderten Wissenschaft läßt sich nur durch ihre Wirklichkeit dartun.

Die Benennung einer solchen Wissenschaft, deren Möglichkeit bis jetzt bloß problematisch ist, ist willkürlich. Wenn sich jedoch zeigen sollte, daß der Boden, der nach aller bisherigen Erfahrung für den Anbau der Wissenschaften brauchbar ist, durch die ihm zugehörigen bereits besitzt ist, und daß sich nur noch ein unangebautes Stück Land zeigt, nämlich das für die Wissenschaft der Wissenschaften überhaupt; - wenn sich ferner unter einem bekannten Namen (dem der Philosophie) die Idee einer Wissenschaft vorfände, welche doch auch Wissenschaft sein oder werden will, und welche über den Platz, wo sie sich anbauen soll, mit sich nicht einig werden kann: so wäre es nicht unschicklich, ihr den aufgefundenen leeren Platz anzuweisen. Ob man sich bisher beim Wort  Philosophie  eben das gedacht hat oder nicht, tut überhaupt nichts zur Sache; und dann würde diese Wissenschaft, wenn sie nur einmal Wissenschaft geworden wäre, nicht ohn Fug einen Namen ablegen, den sie aus einer keineswegs übertriebenen Bescheidenheit bisher geführt hat - den Namen einer Kennerei, einer Liebhaberei, eines Dilettantismus. Die Nation, welche diese Wissenschaft erfinden wird, wäre es wohl wert, ihr aus ihrer Sprache einen Namen zu geben (6); und sie könnte dann schlechthin  die  Wissenschaft, oder  die Wissenschaftslehre  heißen. Die bisher sogenannte Philosophie wäre demnach  die Wissenschaft von einer Wissenschaft überhaupt. 


§ 2. Entwicklung des Begriffs
der Wissenschaftslehre

Man soll aus Definitionen nicht folgern: das heißt entweder, man soll daraus, daß man sich ohne Widerspruch in die Beschreibung eines Dings, welches ganz unabhängig von unserer Beschreibung existiert, ein gewisses Merkmal hat denken können, nicht ohne weiteren Grund schließen, daß dasselbe darum im wirklichen Ding anzutreffen sein muß; oder man soll bei einem Ding, das selbst erst durch uns, nach einem davon gebildeten Begriff, der den Zweck desselben ausdrückt, hervorgebracht werden soll, aus der Denkbarkeit dieses Zwecks noch nicht auf die Ausführbarkeit desselben in der Wirklichkeit schließen: aber nimmermehr kann es heißen, man soll sich bei seinen geistigen oder körperlichen Arbeiten keinen Zweck aufgeben, und sich denselben, noch ehe man an die Arbeit geht, ja nicht deutlich zu machen suchen, sondern es dem Spiel seiner Einbildungskraft oder seiner Finger überlassen, was etwa herauskommen möge. Der Erfinder der aerostatischen Bälle durfte wohl die Größe derselben, und das Verhältnis der darin eingeschlossenen Luft gegen die atmosphärische, und daraus die Schnelligkeit der Bewegung seiner Maschine berechnen; auch noch ehe er wußte, ob er eine Luftart finden würde, die um den erforderlichen Grad leichter ist, als die atmosphärische: und ARCHIMEDES konnte die Maschine, durch welche er den Erdball aus seiner Stelle bewegen wollte, berechnen, obgleich er sicher wußte, daß er keinen Platz außerhalb der Anziehungskraft derselben finden würde, von welchem aus er sie wirken lassen kann. - So unsere eben beschriebene Wissenschaft: Sie ist, als solche, nicht etwas, das unabhängig von uns, und ohne unser Zutun existiert, sondern vielmehr etwas, das erst durch die Freiheit unseres nach einer bestimmten Richtung hin wirkenden Geistes hervorgebracht werden soll; - wenn es eine solche Freiheit unseres Geistes gibt, wie wir gleichfalls noch nicht wissen können. Bestimmen wir diese Richtung vorher; machen wir uns einen deutlichen Begriff davon,  was  unser Werk werden soll. Ob wir es hervorbringen können oder nicht, das wird sich erst daraus ergeben, ob wir es wirklich hervorbringen. Jetzt ist nicht davon die Frage, sondern davon,  was  unser Werk werden soll. Ob wir es hervorbringen können oder nicht, das wird sich erst daraus ergeben, ob wir es wirklich hervorbringen. Jetzt ist nicht davon die Frage, sondern davon, was wir eigentlich machen wollen; und das bestimmt unsere Definition.

1) Die beschriebene Wissenschaft soll zuerst einmal eine Wissenschaft  der Wissenschaft überhaupt  sein. Jede mögliche Wissenschaft hat  einen Grundsatz,  der in ihr nicht erwiesen werden kann, sondern ihr vorher gewiß sein muß. Wo soll nun dieser Grundsatz erwiesen werden? Ohne Zweifel in derjenigen Wissenschaft, welche alle möglichen Wissenschaften zu begründen hat. - Die Wissenschaftslehre hätte in dieser Hinsicht zweierlei zu tun. Zuallererst die Möglichkeit der Grundsätze überhaupt zu begründen; zu zeigen, wie, inwiefern, unter welchen Bedingungen, und vielleicht in welchen Graden etwas gewiß sein kann, und überhaupt, was es heißt - gewiß sein; dann hätte sie insbesondere die Grundsätze aller möglichen Wissenschaften zu erweisen, die in ihnen selbst nicht erwiesen werden können.

Jede Wissenschaft, wenn sie nicht ein einzelner abgerissener Satz, sondern ein aus mehreren Sätzen bestehendes Ganzes sein soll, hat eine  systematische Form.  Diese Form, die Bedingung des Zusammenhangs der abgeleiteten Sätze mit dem Grundsatz, und der Rechtsgrund, aus diesem Zusammenhang zu folgern, daß die ersteren notwendig ebenso gewiß sein müssen, wie der letztere, läßt in der besonderen Wissenschaft, wenn sie eine Einheit haben und sich nicht mit fremden, in sie nicht gehörigen Dingen beschäftigen soll, sich ebensowenig dartun, als in ihr die Wahrheit ihres Grundsatzes dargetan werden kann, sondern wird zur Möglichkeit ihrer Form schon vorausgesetzt. Eine allgemeine Wissenschaftslehre hat also die Verbindlichkeit auf sich, für alle möglichen Wissenschaften die systematische Form zu begründen.

2) Die Wissenschaftslehre ist selbst  eine Wissenschaft.  Auch sie muß daher zuallererst  einen Grundsatz  haben, der in ihr nicht erwiesen werden kann, sondern zum Zweck ihrer Möglichkeit als Wissenschaft vorausgesetzt wird. Aber dieser Grundsatz kann auch in keiner anderen höheren Wissenschaft erwiesen werden; denn dann wäre diese höhere Wissenschaft selbst die Wissenschaftslehre, und diejenige, deren Grundsatz erst erwiesen werden müßte, wäre es nicht. Dieser Grundsatz - der Wissenschaftslehre, und mittels ihrer aller Wissenschaften und allen Wissens - ist daher schlechterdings keines Beweises fähig, d. h. er ist auf keinen höheren Satz zurückzuführen, aus dessen Verhältnis zu ihm sich seine Gewißheit erhellt. Dennoch soll er die Grundlage aller Gewißheit abgeben; er muß daher doch gewiß und zwar in sich selbst, und um seiner selbst willen, und durch sich selbst gewiß sein. Alle anderen Sätze werden gewiß sein, weil sich zeigen läßt, daß sie ihm in irgendeiner Hinsicht gleich sind; dieser Satz muß gewiß sein, bloß darum, weil er sich selbst gleich ist. Alle anderen Sätze werden nur eine mittelbare und von ihm abgeleitete Gewißheit haben; er muß unmittelbar gewiß sein. Auf ihn gründet sich alles Wissen, und ohne ihn wäre überhaupt kein Wissen möglich; er aber gründet sich auf kein anderes Wissen, sondern er ist der Satz des Wissens schlechthin. - - Dieser Satz ist schlechthin gewiß, d. h. er ist gewiß,  weil  er gewiß ist (7). Er ist der Grund aller Gewißheit, d. h. alles was gewiß ist, ist gewiß, weil  er  gewiß ist; und es ist nichts gewiß, wenn  er  nicht gewiß ist. er ist der Grund allen Wissens, d. h. man weiß, was er aussagt, weil man überhaupt weiß. Er begleitet alles Wissen, ist in allem Wissen enthalten, und alles Wisen setzt ihn voraus.

Die Wissenschaftslehre muß, sofern sie selbst eine Wissenschaft ist, - wenn sie nur nicht aus ihrem bloßen Grundsatz, sondern aus mehreren Sätzen bestehen soll, (und daß es so sein wird, läßt sich darum voraussehen, weil sie für andere Wissenschaften Grundsätze aufzustellen hat) - sie muß, sage ich, eine  systematische Form  haben. Nun kann sie diese systematische Form von keiner anderen Wissenschaft  der Bestimmung  nach entlehnen, oder  der Gültigkeit  nach sich auf den Erweis derselben in einer anderen Wissenschaft berufen, weil sie selbst für alle anderen Wissenschaften nicht nur Grundsätze und dadurch ihren inneren Gehalt, sondern auch die Form, und dadurch die Möglichkeit der Verbindung mehrerer Sätze in ihnen, aufzustellen hat. Sie muß mithin diese Form in sich selbst haben, und sie durch sich selbst begründen.

Wir müssen das nur ein wenig zergliedern, um zu sehen, was dadurch eigentlich gesagt sein soll. - Dasjenige, von dem man etwas weiß, heiße nun der Gehalt, und das, was man davon weiß, die Form des Satzes. (In dem Satz: Gold ist ein Körper, ist dasjenige, wovon man etwas weiß, das Gold und der Körper; das, was man von ihnen weiß, ist, daß sie in einer gewissen Hinsicht gleich sind und deshalb eins stat des anderen gesetzt werden kann. Es ist ein bejahender Satz, und diese Beziehung ist seine Form.)

Kein Satz ist ohne Gehalt oder ohne Form möglich. Es muß etwas sein, wovon man weiß, und etwas, das man davon weiß. Der erste Satz aller Wissenschaftslehre muß demnach beides, Gehalt und Form haben. Nun soll er unmittelbar und durch sich selbst gewiß sen, und das kann nichts anderes heißen, als daß der Gehalt desselben seine Form, und umgekehrt die Form desselben seinen Gehalt bestimmt. Diese Form kann nur zu jenem Gehalt, und dieser Gehalt kann nur zu jener Form passen; jede andere Form zu diesem Gehalt hebt den Satz selbst und mit ihm alles Wissen, und jeder andere Gehalt zu dieser Form hebt gleichfalls den Satz selbst und mit ihm alles Wissen auf. Die Form des absoluten ersten Grundsatzes der Wissenschaftslehre ist also durch ihn, den Satz selbst, nicht nur gegeben, sondern auch als schlechthin gültig für den Gehalt desselben aufgestellt. Sollte es außer diesem einen absolut ersten noch mehrere Grundsätze der Wissenschaftslehre geben, die nur zum Teil absolut, zum Teil aber durch den ersten und höchsten bedingt sein müßten, weil sie im ersten Fall nicht Grund, sondern abgeleitete Sätze, weil es im zweiten Fall sonst nur entweder der Gehalt oder die Form, und das Bedingte gleichfalls nur entweder der Gehalt oder die Form ist. Gesetzt: der  Gehalt  ist das Unbedingte, so wird der absolut-erste Grundsatz - der etwas im zweiten bedingen muß, weil er sonst nicht absolut-erster Grundsatz wäre, - die  Form  desselben bedingen; und demnach würde seine Form in der Wissenschaftslehre selbst, und durch sie und durch ihren ersten Grundsatz bestimmt: oder setzt umgekehrt, die  Form  sei das Unbedingte, so wird durch den ersten Grundsatz notwendig der  Gehalt  dieser Form bestimmt, mithin mittelbar auch die Form, insofern sie Form eines Gehalt sein soll; also auch in diesem Fall würde die Form durch die Wissenschaftslehre, und zwar durch ihren Grundsatz bestimmt. - Einen Grundsatz aber, der weder seiner Form, noch seinem Gehalt nach, durch den absolut-ersten Grundsatz bestimmt würde, kann es nicht geben, wenn es einen absolut-ersten Grundsatz, und eine Wissenschaftslehre, und ein System des menschlichen Wissens überhaupt geben soll. Mithin könnte es auch nicht mehrere Grundsätze geben, als drei; einen absolut und schlechthin durch sich selbst, sowohl der Form, als auch dem Gehalt nach bestimmten; einen der Form nach durch sich selbst bestimmten, und einen dem Gehalt nach durch sich selbst bestimmten.

Gibt es noch mehrere Sätze in der Wissenschaftslehre, so müssen alle sowohl der Forma als dem Gehalt nach, durch den Grundsatz bestimmt sein. Eine Wissenschaftslehre muß demnach die Form aller ihrer Sätze, insofern sie einzeln betrachtet werden, bestimmen. Eine solche Bestimmung der einzelnen Sätze aber ist nicht anders, als so möglich, daß sie sich selbst wechselseitig bestimmen. Nun aber muß jeder Satz  vollkommen  bestimmt sein, d. h. seine Form muß nur zu seinem Gehalt, und zu keinem anderen, und dieser Gehalt muß nur zur Form, in der er ist, und zu keiner anderen passen; denn sonst würde der Satz dem Grundsatz, sofern er gewiß ist, (man erinnere sich an das soeben Gesagte) nicht gleich, und mithin nicht gewiß sein. - Wenn nun alle Sätze einer Wissenschaftslehre ansich verschieden sein sollen - wie sie es dann auch sein müssen, denn sonst wären es nicht mehrere Sätze, sondern ein und ebenderselbe Satz mehrere Male: - so kann kein Satz seine vollkommene Bestimmung anders, als durch einen einzigen unter allen erhalten; und hierdurch wird dann die ganze Reihe der Sätze vollkommen bestimmt, und es kann keiner an einer anderen Stelle der Reihe stehen, als an der er steht. Jeder Satz in der Wissenschaftslehre bekommt durch einen bestimmten anderen seine Stelle bestimmt, und bestimmt sie selbst einem bestimmten dritten. Die Wissenschaftslehre bestimmt sich mithin durch sich selbst die Form ihres Ganzen.

Diese Form der Wissenschaftslehre hat notwendige Gültigkeit für den Gehalt derselben. Denn wenn der absolut-erste Grundsatz unmittelbar gewiß war, d. h. wenn seine Form nur für seinen Gehalt, und sein Gehalt nur für seine Form paßt, - durch ihn aber alle möglichen folgenden Sätze, unmittelbar oder mittelbar, dem Gehalt oder der Form nach, bestimmt werden; - wenn sie gleichsam schon in ihm enthalten liegen - so muß eben das von diesen gelten, was von jenem gilt, daß ihre Form nur zu ihrem Gehalt, und ihr Gehalt nur zu ihrer Form paßt. Das betrifft die einzelnen Sätze; die Form des Ganzen aber ist nichts anderes, als die Form der einzelnen Sätze in  einem  gedacht, und was von jedem einzelnen gilt, muß von allen, als Eins gedacht, auch gelten.

Die Wissenschaftslehre soll aber nicht nur  sich selbst,  sondern auch  allen möglichen übrigen Wissenschaften  ihre Form geben, und die Gültigkeit dieser Form für alle sicherstellen. Dieses läßt sich nun nicht anders denken, als unter der Bedingung, daß alles, was Satz irgendeiner Wissenschaft sein soll, schon in irgendeinem Satz der Wissenschaftslehre enthalten, und also schon in ihr in seiner gehörigen Form aufgestellt ist. Und dies eröffnet uns einen leichten Weg, zum Gehalt des absolut-ersten Grundsatzes der Wissenschaftslehre zurückzugehen, von dem wir jetzt etwas mehr sagen können, als wir vorhin konnten.

Man nehme an,  gewiß wissen  heißt nichts anderes, als Einsicht in die Unzertrennlichkeit eines bestimmten Gehalts von einer bestimmten Form haben, (welches nichts weiter als eine Namenserklärung sein soll, indem eine Realerklärung des Wissens schlechterdings unmöglich ist): so ließe sich schon jetzt ungefähr einsehen, wie dadurch, daß der absolut-erste Grundsatz allen Wissens seine Form schlechthin durch seinen Gehalt, und seinen Gehalt schlechthin durch seine Form bestimmt, allem Gehalt des Wissens seine Form bestimmt werden kann; wenn nämlich aller möglicher Gehalt in dem seinigen läge. Mithin müßte, wenn unsere Voraussetzung richtig sind, und es einen absolut-ersten Grundsatz allen Wissens geben sollte, der Gehalt dieses Grundsatzes derjenige sein, der allen möglichen Gehalt dieses Grundsatzes derjenige sein, der allen möglichen Gehalt in sich enthielte, selbst aber in keinem anderen enthalten wäre. Es wäre der Gehalt schlechthin, der absolute Gehalt.

Es ist leicht zu bemerken, daß bei Voraussetzung der Möglichkeit einer solchen Wissenschaftslehre überhaupt, so wie insbesondere der Möglichkeit ihres Grundsatzes, immer vorausgesetzt wird, daß im menschlichen Wissen wirklich ein System ist. Soll ein solches System darin sein, so läßt sich auch, unabhängig von unserer Beschreibung der Wissenschaftslehre, erweisen, daß es einen solchen absolut-ersten Grundsatz geben muß.

Soll es kein solches System geben, so lassen sich nur zwei Fälle denken. Entweder, es gibt überhaupt nichts unmittelbar Gewisses; unser Wissen bildet also mehrere oder  eine  unendliche Reihe, in der jeder Satz durch einen höheren, und dieser wird durch einen höheren usw. begründet wird. Wir bauen unsere Wohnhäuser auf den Erdboden, dieser ruht auf einem Elephanten, dieser auf einer Schildkröte, diese - wer weiß auf was, und so ins Unendliche fort. - Wenn es mit unserem Wissen einmal so beschaffen ist, so können wir es freilich nicht ändern, aber wir haben dann auch kein festes Wissen: wir sind vielleicht bis auf ein gewisses Glied in der Reihe zurückgegangen, und bis auf dieses haben wir alles fest gefunden; aber wer kann uns dafür einstehen, daß wir nicht, wenn wir etwa noch tiefer gehen sollten, den Ungrund desselben finden, und es werden aufgeben müssen? Unsere Gewißheit ist erbeten, und wir können ihrer nie auf den folgenden Tag sicher sein.

Oder - der zweite Fall - unser Wissen besteht aus endlichen Reihen, aber aus mehreren, jede Reihe schließ sich in einem Grundsatz, der durch keinen anderen, sondern bloß durch sich selbst begründet wird; aber es gibt solcher Grundsätze mehrere, welche, da sie sich alle durch sich selbst, und schlechthin unabhängig von allen übrigen begründen, keinen Zusammenhang unter sich haben, sondern völlig isoliert sind. Es gibt etwa mehrere angeborene Wahrheiten in uns, die alle gleich angeboren sind, und in deren Zusammenhang wir keine weitere Einsicht erwarten können, da derselbe über die angeborenen Wahrheiten hinaus liegt; oder es gibt ein mannigfaltiges Einfaches in den Dingen außer uns, das uns durch den Eindruck den dieselben auf uns machen, mitgeteilt wird, in dessen Zusammenhang wir aber nicht eindringen können, da es über das einfachste im Eindruck noch kein einfacheres geben kann. - Wenn es sich so verhält; wenn das menschliche Wissen ansich und seiner Natur nach ein solches Stückwerk ist, wie das wirkliche Wissen so vieler Menschen; wenn ursprünglich eine Menge Fäden in unserem Geist liegen, die unter sich in keinem Punkt zusammenhängen, noch zusammengehängt werden können: so vermögen wir abermals nicht gegen unsere Natur zu streiten; unser Wissen ist, so weit es sich erstreckt, zwar sicher; aber es ist kein  einiges  Wissen, sondern es sind  viele  Wissenschaften. - Unsere Wohnung stünde dann zwar fest, aber es wäre nicht ein einiges zusammenhängendes Gebäude, sondern ein Aggregat von Kammern, aus deren keiner wir in die andere übergehen könnten; es wäre eine Wohnung, in der wir uns immer verirren, und nie heimisch werden würden. Es wäre kein Licht darin, und wir blieben bei allen unseren Reichtümern arm, weil wir dieselben nie überschlagen, nie als ein Ganzes betrachten, und nie wissen könnten, was wir eigentlich besäßen; wir könnten nie einen Teil derselben zur Verbesserung des übrigen anwenden, weil kein Teil sich auf das übrige bezöge. Noch mehr, unser Wissen wäre nie vollendet; wir müßten täglich erwarten, daß eine neue angeborene Wahrheit sich in uns äußert, oder die Erfahrung uns ein neues Einfaches geben würde. Wir müßten immer bereit sein, uns irgendwo ein neues Häuschen anzubauen. - Dann wäre keine allgemeine Wissenschaftslehre nötig, um andere Wissenschaften zu begründen. Jede wäre auf sich selbst gegründet. Es würde so viele Wissenschaften geben, als es einzelne unmittelbar gewisse Grundsätze gibt.

Sollen aber nicht etwa bloß ein oder mehrere Fragmente eines Systems, wie im ersten Fall, oder mehrere Systeme, wie im zweiten, sondern soll ein vollendetes und einiges System im menschlichen Geist sein, so muß es einen solchen höchsten und absolut-ersten Grundsatz geben. Verbreitet sich auch von ihm aus unser Wissen in noch so viele Reihen, von deren jeder wieder Reihen usw. ausgehen, so müssen doch alle in einem einzigen Ring festhängen, der an nichts befestigt ist, sondern sich durch seine eigene Kraft und das ganze System hält. - Wir haben nun einen durch seine eigene Schwerkraft sich haltenden Erdball, dessen Mittelpunkt alles, was wir nur wirklich auf dem Umkreis desselben, und nicht etwa in die Luft, und nur perpendikulär, und nicht etwa schiefwinklig angebaut haben, allmächtig anzieht, und kein Stäubchen aus seiner Sphäre sich entreißen läßt.

Ob es ein solches System, und - was die Bedingung desselben ist - einen solchen Grundsatz gibt, darüber können wir vor der Untersuchung nichts entscheiden. Der Grundsatz läßt sich nicht nur als bloßer Satz, er läßt sich auch als Grundsatz allen Wissens nicht erweisen. Es kommt auf den Versuch an. Finden wir einen Satz, der die inneren Bedingungen des Grundsatzes allen menschlichen Wissens hat, so versuchen wir, ob er auch die äußeren habe; ob alles, was wir wissen, oder zu wissen glauben, sich auf ihn zurückführen läßt. Gelingt es uns, so haben wir durch die wirkliche Aufstellung der Wissenschaft bewiesen, daß sie möglich war, und daß es ein System des menschlichen Wissens gebe, dessen Darstellung sie ist. Gelingt es uns nicht, so ist entweder überhaupt kein solches System, oder wir haben es nur nicht entdeckt, und müssen die Entdeckung desselben glücklicheren Nachfolgern überlassen. Geradezu behaupten, daß es überhaupt keines gibt, weil  wir  es nicht gefunden haben, ist eine Anmaßung, deren Widerlegung unter der Würde einer ernsthaften Betrachtung ist.
LITERATUR - Johann Gottlieb Fichte, Über den Begriff der Wissenschaftslehre oder der sogenannten Philosophie, Jena und Leipzig 1794
    Anmerkungen
    1) Hier folgt in der  ersten  Ausgabe nachstehende Anmerkung: Der eigentliche Streit, der zwischen beiden obwaltet, und in welchem die Skeptiker sich mit Recht auf die Seite der Dogmatiker, und mit ihnen des gesunden Menschenverstandes, der zwar nicht als Richter, aber als ein nach Artikeln zu vernehmender Zeuge gar sehr in Betrachtung kommt, geschlagen haben, dürfte wohl der über  den Zusammenhang unserer Erkenntnis mit einem Ding ansich  sein; und der Streit dürfte durch eine künftige Wissenschaftslehre wohl dahin entschieden werden, daß unsere Erkenntnis zwar nicht unmittelbar durch die Vorstellung, aber wohl mittelbar durch das  Gefühl  mit dem Ding ansich zusammenhängt; daß die Dinge allerdings bloß  als Erscheinungen vorgestellt,  daß sie aber als  Ding ansich gefühlt  werden; daß ohne Gefühl gar keine Vorstellung möglich sein würde; daß aber die Dinge ansich nur  subjektiv,  d. h. nur insofern sie auf unser Gefühl wirken, erkannt werden.
    2) Malis rident alienis. [mit einer fremden Backe lachen - wp]
    3) Die in der erwähnten Beilage angeführten zwei Rezensionen betrafen SCHELLINGs Schrift "Über die Möglichkeit der Form einer Philosophie überhaupt" und FICHTEs "Über den Begriff der WL," beide aus JACOBIs philosophischen Annalen, Bd. 4, 16. bis 18. Stück abgedruckt. Hier sind sie weggelassen worden.
    4) Oder der unstudierte Bauer das Faktum, daß der jüdische Geschichtsschreiber JOSEPHUS zur Zeit der Zerstörung Jerusalems gelebt habe: - (Zusatz der  ersten  Ausgabe)
    5) Oder daß JOSEPHUS zur Zeit der Zerstörung Jerusalems gelebt habe [erste Ausgabe].
    6) Sie wäre wohl auch wert, ihr die übrigen Kunstausdrücke aus ihrer Sprache zu geben; und die Sprache selbst, so wie die Nation, welche dieselbe redete, würde dadurch ein entschiedenes Übergewicht über alle anderen Sprachen und Nationen erhalten. (Anm. zur  ersten  Ausgabe) - - - Es gibt sogar ein nach allen seinen abgeleiteten Teilen notwendiges, und als notwendig zu erweisendes System der philosophischen Terminologie, mittels des regelmäßigen Fortschreitens nach den Gesetzen der metaphorischen Bezeichnung transzendentaler Begriffe; bloß  ein  Grundzeichen als willkürlich vorausgesetzt, da ja notwendig jede Sprache von Willkür ausgeht. Dadurch wird dann die Philosophie, die ihrem Inhalt nach für alle Vernunft gilt, ihrer Bezeichnung nach ganz national; aus dem Innersten der Nation, die diese Sprache redet, herausgegriffen, und wiederum die Sprache derselben bis zur höchsten Bestimmtheit vervollkommnend. Diese systematische National-Terminologie aber ist nicht eher aufzustellen, ehe nicht das Vernunftsystem selbst, sowohl nach seinem Umfang, als in der gänzlichen Ausbildung aller seiner Teile, vollendet dasteht. Mit der Bestimmung dieser Terminologie endet die philosophierende Urteilskraft ihr Geschäft; ein Geschäft, das in seinem ganzen Umfang für  ein  Menschenleben leicht zu groß sein dürfte. - - - Dies ist der Grund, warum der Verfasser bis jetzt noch nicht ausgeführt hat, was er in der obenstehenden Anmerkung zu versprechen scheint; sondern sich der Kunstwörter bedient, wie er sie eben vorgefunden hat, ob sie nun deutsch waren, oder lateinisch, oder griechisch. Ihm ist alle Terminologie nur provisorisch, bis sie einst, möge nun ihm dieses Geschäft beschieden sein, oder einem anderen - allgemein, und auf immer gültig, festgesetzt werden kann. Auch mit um dieser Sache willen hat er auf seine Terminologie überhaupt weniger Sorgfalt gewendet, und eine feste Bestimmung derselben vermieden; auch von einigen treffenden Bemerkungen anderer über diesen Punkt (z. B. von einer vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen Dogmatismus und Dogmatizismus); die dann doch nur für den gegenwärtigen Zustand der Wissenschaft treffend sind, für seine Person keinen Gebrauch gemacht. Er wird fortfahren, seinem Vortrag die jedesmal für seine Absicht erforderliche Klarheit und Bestimmtheit durch Umschreibungen und durch Mannigfaltigkeit der Wendungen zu geben. (Anm. zur  zweiten  Ausgabe).
    7) Man kann ohne Widerspruch nach keinem Grund seiner Gewißheit fragen.