cr-4ra-2C. StumpfR. HönigswaldA. StadlerE. BarthelsB. ErdmannW. Wundt    
 
FRIEDRICH HEINRICH JACOBI
Über gelehrte Gesellschaften
[ihren Geist und Zweck]
[1/2]

"Vollkommenheit zu denken, ist das Glück des Geistes, und der Ursprung des besseren Lebens. - Wahrheit, Schönheit, Güte, - diese Ideen sind so geboren. Das Wirkliche, sagt  Platon, will ihnen gleichen, aber es kann nicht. - Das aber ist es, was ein edler Enthusiasmus nicht ruhig duldet, was ihn treibt und treiben soll, durch angestrengtes Tun dem Wirklichen zu helfen, damit es der Idee engegen gehe." - Herbart.

Die ältesten der in Europa berühmt gewordenen Akademien sind aus freiwilligen Verbindungen wissenschaftlicher Männer, die eine gleiche Begierde nach Erkenntnissen gegenseitig anzog, entstanden. Wachstum der Wissenschaft, dessen Beförderung durch gegenseitige Hilfeleistung, durch Gesamtfleiß und freundschaftlichen Wetteifer, war der Zweck ihres Bundes.

Einen solchen reinen und kräftigen Ursprung mußte der Erfolg zusagen. Er übertraf jede Erwartung; wurde ruchbar; war einen überraschenden Glanz weit in die Ferne.

Dieser Glanz reizte und erweckte die Nachahmungssucht. Sie wollte Ähnliches erschaffen daheim; wollte aus heimischem Gewässer sich einen alles befruchtenden, jeden fremden Zuwachs entbehrlich machenden Strom bilden; nicht achtend des Mangels an aüber die Eben genug hervorragenden Höhen, die, was strömen sollte, zuvor in sich gesammelt hätten; an Gipfeln, die aus den Lüften des Himmels schöpften und in die Tiefe hinabsenkten, was der Ebene gebrach: lebendige Quellen. Erkünsteln wollte sie, was sich am wenigsten erkünsteln läßt, den Geist der Nachforschung, zumal der  Erfindung;  und dabei wohl entraten jener heiligen Flamme, welche die Gemüter entzündet, daß sie nach der Erkenntnis des Wahren und nach Tugend, nach Wissenschaft und Weisheit, als nach letzten und höchsten Zwecken, die sich keinem anderen Zweck unterordnen lassen, feurig streben, unabläßig ringen. Die Nachahmungssucht hatte andere Zwecke, die ihr die höheren waren, und denen Wissenschaft und Weisheit nur  dienlich  werden, ihnen einzig zu gefallen leben sollten. Dieses hieß die Weisheit in Torheit verwandeln und der Wissenschaft das eigene Leben rauben - sie von ihrer Wurzel trennen wollen, damit sie auf einer fremden beliebige Früchte treibt.

Es erfolgte, was erfolgen mußte. Doch gelang hie und da die Nachahmung noch täuschend genug, und brachte sogar, mitunter, Löbliches zum Vorschein. Nur keinen wahrhaften Baum der Erkenntnis und des Lebens. Was entstand, waren dem chemischen Silber- oder Dianenbaum ähnliche Gewächse, wundersam genug, oft auch lieblich anzuschauen; nur daß inneres Leben gebrach und Fortpflanzungskraft.

Die Bayerische Akademie der Wissenschaften, obgleich eine der später entstandenen, ja die jüngste von allen, darf sich dennoch rühmen, an Reinheit des Ursprungs jenen älteren gleich zu sein. Sie wurde gegründet in der Stille von zwei edlen Männern, den Herren von LINBRUN und LORI. Diese faßten den Entschluß, in München eine gelehrte Gesellschaft zu errichten, zu welcher nicht nur in Bayern, sondern auch im ganzen Süddeutschland, die besten Köpfe gezogen werden sollten. Sie waren angetrieben worden zu diesem Entschluß durch ernsthafte Betrachtungen über den unverhältnismäßigen Zustand der Wissenschaften, der Künste, der Geisteskultur überhaupt im nördlichen und südlichen Deutschland, und über die Wirkungen der sich hier offenbarenden Verschiedenheit: wie nämlich das Fortrücken der einen, und das Zurückbleiben der anderen sich im ganzen gesellschaftlichen Zustand der jene und diese Gegend bewohnenden Völker auffallend abbilde, und mit jedem Tag sichtbarer und fühlbarer werde. Wie diese Verschiedenheit beschaffen war, findet sich im ersten Teil der Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von LORENZ WESTENRIEDER, Seite 3 bis 9, mit Treue und Wahrheit geschildert. (1)

Der verdienstvolle Geschichtsschreiber fügt dieser Schilderung folgene wichtige Bemerkung bei:
    "Länger konnte und sollte es nicht mehr so bleiben. Wenn benachbarte Nationen an nützlichen und bildenden Kenntnissen, an Geschicklichkeiten und Anstalten, welche geistreich, wohlhabend, stark und in der Folge reich an inneren Hilfsmitteln, und sicher in allen Lagen und Vorfällen machen, mächtig vorrücken, so können andere, welche mit jenen in Verhältnissen stehen, oder in solche kommen können, nicht zurückbleiben, ohne aus dem Gleichgewicht zu sinken, und gegen die Aufnahme des Wohlstandes, welcher sich in einem wohlgeordneten Staat notwendig einfinden muß, mit Unehre zu verlieren. Einzelnen Männern Süddeutschlands hatte, was im nördlichen vorging, nicht verborgen bleiben können, und es kam nur darauf an, welches von den Ländern Süddeutschlands, und welche Männer in diesem, der verewigenden Ehre sich bemächtigen würden, das Beginnen wissenschaftlicher Fortschritte zuerst zu verkünden, und ihre Landsleute zur Nachahmung derselben aufzurufen. Diese Ehre gebührt hauptsächlich unserem Vaterland Bayern, und in diesem einigen wenigen Männern, welche den schönen Bestrebungen unserer norddeutschen Brüder seit geraumer Zeit mit einer rühmlichen Eifersucht zusahen, und aus innerem Trieb sich berufen und sozusagen beauftragt fühlten, etwas ähnliches zu veranlassen."
Die vorhin schon genannten zwei trefflichen Männer, LINBRUN und LORI, vertrauten den edlen Wunsch, der ihnen die eigene Brust zu eng machte, einigen Freunden, die ihnen beifielen und sich mit ihnen vereinigten. Am 12. Oktober 1758 wurde, in der Wohnung des Herrn von LINBRUN, die erste Versammlung gehalten.

Das Unternehmen dieser Wenigen, zu den edelsten Zwecken Verbündeten, wurde Anfangs mit der größten Sorgfalt geheim gehalten. Erst nachdem sie in der Stille, und mit der äußersten Behutsamkeit zu Werke gehend, sich Männer im In- und Ausland von entschiedenem Ruf oder großem Ansehen beigesellt hatten, wagten sie es sichtbar zu werden. Sie wußten, welche große Hindernisse sich auch jetzt noch der Erfüllung ihres Wunsches, ihr Unternehmen in eine öffentliche Anstalt verwandelt zu sehen, in den Weg stellen würden, und überwanden sie durch Klugheit. Sie hüteten sich ihre höheren Zwecke auszusprechen, und machten nur diejenigen Vorteile einer solchen Stiftung auffallend, welche auch gemeinere Seelen zu ergreifen und zu gewinnen pflegen.
    "Man enthielt sich (steht wörtlich in der Geschichte in der "Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften) solcher Dinge, bei denen sich Anstände und Schwierigkeiten vorbringen ließen, zu erwähnen, und sprach nur stets vom  Nutzen  und  Ruhm  der Sache."
Eine solche Knechtsgestalt hat von jeher das Beste, Höchste und Ehrwürdigste überall annehmen müssen, um sich Eingang zu verschaffen und in der bürgerlichen Gesellschaft geachtet zu werden. Die Unwissenheit, sagt FONTENELLE in seiner unsterblichen Geschichte der Pariser Akademie der Wissenschaften, - behandelt gern als etwas Unnützes, was sie nicht kennt, und rächt sich auf diese Weise. Sie spricht:
    "Haben wir nicht um unsere Nächte zu erleuchten unseren eigenen Mond; was liegt daran zu wissen, daß der Planet Jupiter solcher viere hat; wozu so viele Beobachtungen, so viele mühsame Berechnungen, um ihren Lauf genau zu erfahren. Wir werden davon nicht heller sehen; und die Natur, welche diese kleinen Gestirne uns so weit aus den Augen rückte, scheint sie für uns gar nicht gemacht zu haben (2) - gleichwohl sind jene vier, dem bloßen Auge unsichtbaren Monde des Jupiter, uns viel nützlicher geworden, als der uns so hell leuchtende eigene. Erst seit unserer Bekanntschaft mit jenen haben Geographie und Schiffahrt sich verbessern, ohne alle Vergleichung vollkommenere Land- und Seekarten entstehen, und vornehmlich durch die Genauigkeit der letzteren das Leben unzähliger Seefahrer gerettet werden können. Dieses Beispiel von den Trabanten des Jupiter ist nur eines von vielen, die für den Nutzen astronomischer Arbeiten, und zur Rechtfertigung des großen Aufwandes aller Art, welchen diese Wissenschaft erfordert, gemacht werden können. Die Menge der Vornehmen und Geringen aber weiß nichts von den Trabanten des Jupiters, erinnert sich ihrer höchstens nur auf eine dunkle und verworrene Weise, kennt noch weniger ihre Verbindung mit der Schiffahrt, ja sie hat wohl kaum ein Gerücht davon vernommen, daß diese seit kurzem sich so sehr vervollkommnet hat."
FONTENELLE führt hierauf noch eine Menge Beispiele an, von den Vorteilen, welche der Fleiß weniger den Wissenschaften geweihter Männer allen Klassen der Menschlichen Gesellschaft zuwege gebracht hat. Man genießt diese wirklich unzähligen Vorteile uneingedenk ihres Ursprungs, uneingedenk des Weges, auf welchem sie zu uns gelangten. Niemand erwägt, wie mancherley hier zu erfinden nötig war; und wenige möchten fähig sein die Geisteskraft auch nur zu ahnen, welche bei einer jeden dieser Erfindungen, um sie zu beginnen oder zu vollenden, in Anwendung kommen mußte. Es ist aber der Erinnerung wert, daß die unzähligen Verrichtungen, die uns jetzt allgemein mit einer gedankenlosen Fertigkeit vonstatten gehen, auf diese Weise nicht geschehen könnten, wäre der  Gedanke,  das angestrengteste Nachsinnen nicht vorausgegangen. Dieses frühere lebendige Wirken offenbart sich nun verkörpert in dienstbaren Handgriffen, in bloß angelernten mechanischen Fertigkeiten, in leblosen Werkzeugen und Maschinen. Mit diesen letzteren verschaffte sich der Geist, erzeugte er sich freitätig, aus geistloser Materie, gefühllose, stumm und taube  Knechte;  die  vollkommensten,  weil sie ganz willenlos sind, und nie weder fehlen noch irren. So verkündigt jede Werkstätte von Handwerkern und Künstlern, dem darauf Achtenden, einen unsichtbar gewordenen Geist, der hier wirkte und hinterließ, und davon ging, nachdem er vollendet hatte; verkündet ohne Rede, stellt schweigend jene ins Unendliche sich vermannigfaltigende Erfindungskraft dar, welche jedweden, der Bewunderungswürdiges zu fassen weiß, in gedankenvolles Erstaunen setzen muß.

Indessen, wie sehr auch über allen Widerspruch erhaben die soeben aufgestellte Wahrheit sein mag: daß der mannigfaltige Nutzen, welchen das menschliche Geschlecht aus dem Fortschreiten der Wissenschaft, auch für das gemeine Leben, gezogen hat, unendlich, wenigstens unübersehbar ist; so ist doch eben so unleugbar und gewiß daneben, daß die Wissenschaft, bei ihrer Entstehung, und bei ihren Fortschritten, jenen Nutzen nicht unmittelbar vor Augen hatte, sondern einzig und allein sich selbst und ihre Erweiterung. Der Trieb nach Erkenntnis und Einsicht hat das mit dem Trieb zum Vergnügen, zum Wohlsein, zur Lebenserhaltung gemein, daß er seinen Gegenstand bloß um des Gegenstandes willen sucht, als letzten Zweck, nicht als ein Mittel nur zu anderen Zwecken; er entspringt unmittelbar aus dem Geist des Menschen, und ist eine eigentümliche Kraft und Tugend desselben, ähnlich jener anderen heiligen Kraft unseres Geistes, welche diejenigen menschlichen Eigenschaften hervorbringt, die wir vorzugsweise  tugendhafte  Eigenschaften, und, wegen ihrer unmittelbaren Abstammung, selbst Tugenden nennen, wie  Tapferkeit, Großmut, Gerechtigkeit, allgemeines Wohlwollen. 

Was das Leben und die Glückseligkeit betrifft, so zweifelt niemand, daß sie um ihrer selbst willen begehrt werden; und wer die Frage aufwürfe: wozu sie  gut  wären? würde nur Gelächter erregen. Von der Wissenschaft hingegen und von der Tugend nimmt man fast allgemein an, daß sie außer sich selbst noch eine Ursache, einen Zweck und Nutzen haben müssen, wodurch sie erst begehrungswürdig werden. Um der Willkür zu dienen, sollen sie willkürlich ausgedacht worden sein. Daß Tugend und Erkenntnis zum  Wesen  des Menschen gehören; daß sie sich aus diesem Wesen und mit ihm notwendig mit ihm entwickeln, wie die  Sprache ohne welche keine Menschen sind, noch jemals waren; daß, wo Tugend, Erkenntnis, und ihr Anfang, das bedeutende Wort, die verständliche Rede durchaus fehlen würden, zugleich auch alle Menschheit fehlen, und die bloße Tierheit sich darstellen würde: - Dieses scheint der  Eindeutigkeit  allzu zweideutig, und lange nicht ausgemacht genug. Sie will es zwar nicht geradezu leugnen, aber noch weniger gestatten. Also bleibt sie dabei, als dem  Eindeutigsten  und darum  Wahrscheinlichsten,  daß die Menschenherde Tugend und Wissenschaft, bloß ihrer Zuträglichkeit wegen von freyen Stücken ausersonnen; von freien Stücken die Gefühle der Achtung und Verachtung, der Selbstbilligung und Scham unter sich eingeführt habe, aus bloß tierischem Interesse.

Fern war eine solche Denkungsart und Meinung von jenen hohen Alten, die, bis dahin, daß Verderbnis die volle Überhand gewinnt, und alles in sich wird verschlungen haben, uns die  Weisen  im ausnehmenden Verstand heißen müssen.

Den ARCHIMEDES ermahnte HIERON, König zu Syrakus, sich von den Höhen seiner Wissenschaft zu den Bedürfnissen des sinnlichen Lebens herab zu lassen, und durch nützliche Erfindungen den Wert seiner Weisheit auch denjenigen fühlbar zu machen, die solchen auf eine andere Weise zu erkennen nicht imstande sind. Vornehmlich aber gab er demselben zu betrachten, wie sehr er durch dergleichen auffallende Darstellung des in der Wissenschaft Verschlossenen, den Zugang zu ihr selbst erleichtern würde, indem es der Schwäche des menschlichen Verstandes viel angemessener ist, vom Körperlichen zum Unkörperlichen, von der sinnlichen Erscheinung zum übersinnlichen Begriff hinaufzusteigen, als diesen unmittelbar zu fassen, mit ihm anzuheben, und aus ihm die Erfahrung gebietend zu erschaffen.

Diesen Vorstellungen gab ARCHIMEDES Gehör. Spielend mit seiner Geometrie erfand er verschiedene Arten von Belagerungsmaschinen, sowohl zum Angriff wie zur Verteidigung, welche, nachdem man sie, durch mit ihnen angestellte öffentliche Versuche, hinlänglich erprobt hatte, in den Zeughäusern von Syrakus sorgfältig aufbewahrt, aber während der friedlichen Regierung HIERONs nicht gebraucht wurden.

Welchen Nutzen sie nachher, bei den Angriffen auf diese Stadt durch den römischen MARCELLUS geleistet haben, und wie bewunderungswürdig sich die unerschöpfliche Erfindungskraft des ARCHIMEDES, und  das Vermögen der Wissenschaft  bei dieser Gelegenheit von neuem bewiesen, ist auch den Unwissendsten bekannt.

Gleichwohl (erzählt PLUTARCH) hat der erhabene Mann es nicht der Mühe wert geachtet, in seinen Schriften irgendetwas über diese bewunderungswerten Erfindungen aufzuzeichnen, die ihm doch so viel Ruhm erwarben und einen solchen Namen, daß man ihn für einen Mann von mehr als menschlicher Weisheit, für einen  ganz göttlichen  Mann hielt.

Diesen Ruhm, eine solche Vergötterung verschmähte seine große Seele, weil er das, wodurch sie ihm geworden war:  seine mechanischen Wunderwerke - als entsprungen aus Bedürfnis und Notdurft, und daher zu nahe verwandt mit den Werken jener bloß dienstbaren Künste, die von der  Hand  ihren allgemeinen Namen empfangen haben - selbst geringschätzte. Eine solche Beschäftigung, wieviel Geistesgewandtheit und Erfindungskraft auch dabei zum Vorschein kommen mochten, hieß ihm, ihres dienstbaren Ursprunges und Zweckes wegen, eine unedle Beschäftigung. Ihn erfreuten allein diejenigen Erkenntnisse, deren Schönheit und Vortrefflichkeit einzig und ganz in ihnen selbst wohnt; die nichts gemein haben mit irdischer Notdurft, sich auf keine Art damit vermischen, sondern ihr höchstens nur zufällig und vorübergehend leihen; Erkenntnisse,
    "die keinen Vergleich mit andern zulassen, und zwischen der Materie und der Demonstration eine Art von Wettstreit erregen, da jene die Größe und Schönheit, diese die Gründlichkeit und überzeugende Stärke aufweist." (3)
Fast zwei Jahrhunderte zuvor lebten ARCHYTAS und EUDOX, welche für die ersten Erfinder der von ARCHIMEDES nachher zu einem so hohen Grad der Vollkommenheit gebrachten Maschinenkunst gehalten werden. Die Erfindungen jener Männer hatten doch hauptsächlich nur zur Absicht, gewissen Aufgaben der Geometrie, die sie rein theoretisch nicht zu lösen wußten, praktisch abzuhelfen, durch überführende Beispiele und von außen beweisende sinnliche Darstellungen und mechanische Mittel.
    "Da aber  Platon (der Zeitgenosse beider) sich darüber ereiferte, und ihnen vorwarf, daß sie die Würde der Geometrie ganz vernichteten, wenn diese vom Unkörperlichen und Intellektuellen zum Sinnlichen herabsinken und sich wieder an einen Körper halten sollte, der so viele lästige, handwerksmäßige Arbeit erforderte; so wurde nun die Mechanik von der Geometrie gänzlich ausgeschlossen, auch eine geraume Zeit von der Philosophie verachtet, und bloß als eine für das Kriegswesen gehörige Kunst angesehen." (4)
Diese Ansicht und Denkungsart,  vorherrschend  im Altertum, muß den gemeinen Seelen aller Zeiten, welche nur Bedürfnisse des Körpers, keine des Geistes kennen, nicht bloß als übertrieben und mit Mißverständnissen behaftet, sondern geradezu als fanatisch und durchaus wahnwitzig erscheinen. Da sich diese  Ganzirdischen  keines  unmittelbaren  Triebes außer jenem bewußt sein, den der Mensch mit den Tieren gemein hat; des Triebes nämlich zur Lust, zum Vergnügen, zum sinnlichen Lebensgenuß: so steht ihnen, was dieser Trieb bezweckt, auch notwendig als letzter und höchster Zweck allein und unvoränderlich vor Augen. Nur dasjenige in Anbetracht des Menschen scheint ihnen wahrhaft, bewährt und gut, was sich bestätigt findet im  gründlicheren  Tier, und sich aus ihm nachweisen läßt, als aus einem die unverfälschte reine Wahrheit allein Offenbarenden. Ihnen ist, was darüber ist, von Übel. - Dennoch dulden sie die Wissenschaft, und gestehen sogar ein, daß sie eine Unterstützung von Seiten des Staates und Aufmunterung verdient; wenn sie sich nämlich danach verhält, und nicht über ihren Stand der Dienstbarkeit, für welchen sie geboren ist, hinausstrebt. Eine andere, die sich selbst Zweck sein will, und für  freigeboren  ausgiebt, erkennen sie nicht an; sie verachten diese Närrin, hassen sie, ihres Stolzes wegen, und verfolgen sie. Keine Geistesanstrengung und Beschäftigung soll gehegt, befördert und belohnt werden, die nicht ihre unmittelbare Nützlichkeit für das gemeine Leben dartun kann. Es soll jede Wissenschaft und schöne Kunst ein ehrliches Handwerk, wo nicht selbst treiben, doch zumindest treiben helfen, und von dieser Tüchtigkeit zum Handwerk oder zur Handlangerei allen Wert und alle Würde nehmen. Jede soll erklären, welcher Zunft oder Gewerkschaft sie angehöre, und diese Angehörigkeit auch darzutun imstande sein. Sie behaupten, diejenige Wissenschaft oder Kunst, welche dieses nicht vermöge, müsse,  als brotlose Kunst,  des Landes verwiesen werden. - Nicht  zum Nährstand zu gehören, was sonst adelt, soll die Wissenschaft entadeln, und ihr den Schimpfnamen der Müßiggängerei zuziehen.

Diese Grundsätze und Forderungen der gemeinen Denkungsart müssen all denen als lächerlich und im höchsten Grad ungereimt erscheinen, welche mit der Geschichte der menschlichen Erfindungen einigermaßen bekannt sind, gesetzt auch, sie wären übrigens der gemeinen Denkungsart nicht abgeneigt. Die Geschichte der Erfindungen beweist, daß die wichtigsten und nützlichsten derselben sich erst hinterher und unvermutet aus solchen Anstrengungen des Geistes ergeben haben, von denen gerade dieser Gewinn sich auf keine Weise ahnen ließ. -
    "Da im 17. Jahrhundert die größten Geometer eine neue Kurve, welche sie Zykloide nannten, zum Gegenstand ihrer Untersuchungen machten, hatten sie dabei kein anderes Interesse als jenes der bloßen Spekulation, und das des Ehrgeizes  Theoreme,  eines immer schwerer als das andere, zu entdecken. Keinem dieser Männer fiel es auch nur von weitem ein, daß er sich für das allgemeine Beste anstrengt. Hinterher aber hat es sich gefunden, nachdem die Natur der Zykloide ergründet war, daß man jetzt erst, aus dieser Erkenntnis, den Pendeluhren die möglichste Vollkommenheit geben, und in das Zeitmaß die äußerste Präzision bringen konnte." (5)
Es wäre überflüssig, Beispiele dieser Art zu häufen, da es die Natur der Sache mit sich bringt, daß die praktische Anwendung sich der Wissenschaftlichen Entdeckung immer nur hat anfügen können. Jede nützliche Erfindung hat sich gleichsam selbst zusammengesetzt aus mehreren Wahrnehmungen, Beobachtungen, Lehrsätzen, welche kein wahrscheinliches Verhältnis zueinander hatten; mehrenteils, der Zeit nach, sehr weit auseinander lagen; und Männern von der verschiedensten Art, Absicht und Geschäftigkeit zugehörten. Der Zusammenfluß mehrerer Wahrheiten, bemerkt der scharfsinnige FONTENELLE, auch der abstraktesten, erzeugt fast immer einen nützlichen Gebrauch, welcher nicht im Voraus zu sehen war, weil zur Erzeugung die Vereinigung erforderlich war. Schon die Alten kannten den Magnet; sie hatten aber bloß seine Kraft das Eisen anzuziehen beobachtet. Es bedurfte nur einer einzigen Erfahrung mehr, so entdeckten sie seine Richtung nach den Polen, und der unschätzbare Gewinn des Kompasses war in ihrer Hand. Hätten sie einer dem Anschein nach leeren und unnützen Merkwürdigkeit etwas mehr Aufmerksamkeit und Zeit gegönnt, so hätte sich ihnen die versteckte Nützlichkeit offenbart. - Keine menschliche Einbildungskraft war imstande, sich die Erfindung des Tubus und des Mikroskops vorzustellen, mit welchen dem Menschen gleichsam ein neues Auge für zwei neue Welten erschaffen wurde; für die erhabene  Welt  des unermeßlich Großen, und die vielleicht noch wundervollere des unermeßlich Kleinen. Es mußte die Mathematik sich eine Reihe von Jahrhunderten durch mit immer größeren Entdeckungen bereichern, ehe ein JOHANNES KEPLER mit seiner Dioptrik auftreten und die Erfindung des astronomischen Sehrohrs ans Licht bringen konnte. -

Das Resultat all dieser Betrachtungen ist: daß die Regierungen, bei der förmlichen Errichtung von gelehrten Gesellschaften, zwar die Vorteile, welche sie dem gemeinen Wesen bringen werden, vor Augen und zur Absicht haben dürfen; aber nie darum die Wissenschaft nur auf Nützlichkeit bedingen und ihr diese allein zum Augenmerk geben sollen. Eine Regierung, welche dieses täte, würde einen Mangel an Einsicht in die Natur der Wissenschaft verraten, und das Unmögliche verlangen. Noch mehr würde es der Natur der Wissenschaft widersprechen, wenn man diese irgendwo  national  oder gar  provinzial  machen wollte.  Ökonomische  Gesellschaften solcher Art kann es geben, die sich dann auch jedesmal nach dem materiellen Bedürfnis, welches zu ihrer Errichtung den Anlaß gab, nennen mögen: Fruchtbringende, Holzsparende, Kohlen - oder Torfauffindende, Mooraustrocknende Gesellschaften. Aber Akademien der Wissenschaft, die bloß national, oder provinzial und hauswirtschaftlich wären, kann es nicht geben.

Mitnichten aber soll hiermit gesagt sein, daß wissenschaftliche Männer, welche einen besonderen Trieb fühlen, sich mit unmittelbar nützlichen Gegenständen zu beschäftigen und ihre wissenschaftlichen Kenntnisse vorzüglich darauf anzuwenden, wie ein DUHAMEL du MONCEAU, ein DAUBENTON, und ähnliche um die Wissenschaft und ihr Vaterland gleich verdiente Männer, von einer Akademie der Wissenschaften auszuschließen wären, oder daß sie nicht, als Mitglieder derselben, auch Abhandlungen über nationale und provinziale Gegenstände einliefern, und der Gesellschaft zur Prüfung vorlegen dürften. Wieviele unschätzbare Abhandlungen dieser Art finden sich nicht in den Jahrbüchern der französischen und anderer Akademien der Wissenschaften. Es müssen aber solche Arbeiten jedesmal den Stempel der Wissenschaft an sich tragen, von ihrem Geist ausgegangen und davon erfüllt sein.

Schon COLBERT stellte sich, da er vor mehr als hundert Jahren die Pariser Akademie der Wissenschaften gründete, auf jenen höheren Standpunkt, von welchem aus, zugleich mit der  unmittelbaren Würde  der Wissenschaft, ihr  mittelbarer  Wert, ich meine ihre  Nutzbarkeit dem ganzen Umfang nach, erkannt wird, und es würde unrühmlich sein, jetzt noch einen niedrigeren zu wählen.
    "Dem durchdringenden Geist  Colberts", sagt ein einsichtsvoller neuerer Geschichtsschreiber (6), "war die enge Verbindung nicht entgangen, worin die Wissenschaften mit den Künsten, die schönen Künste mit den mechanischen stehen; er fühlte die Notwendigkeit, die Theorien der Mathematik, der Astronomie und Physik zu vervollkommnen, um eine Vervielfältigung der Anwendung ihrer Prinzipien herbeizuführen ... Er hatte eingesehen, daß der Fortgang der mechanischen Künste die Entwicklung des guten Geschmacks voraussetzt, daß der Geschmack Vorbilder und zu verleichende Muster erfordert. ... Die Akademien der Malerei, der Bildhauer-, Bau- und Tonkunst entstanden, und gewährten den Meistern der Kunst schmeichelhafte Belohnungen; den Zöglingen Aufmunterung; allen Staatsbürgern Belehrung und Beispiele. Das Schöne hatte seinen Tempel, seinen Gottesdienst, seine Priester, wie die  Wahrheit die ihrigen hatte.  Colberts Administration war weise; er brauchte den Fortgang und die Verbreitung der Einsichten nicht zu fürchten. Weit davon entfernt Männer von Gelehrsamkeit und Geist zu scheuen, zog er sie an und versammelte sie um sich, indem er sie von Nahrungssorgen befreite. Auch die Ausländer erfuhren seine Gunst, und mehrere von diesen wurden in ihrem eigenen Land erst durch die Auszeichnung bekannt, die ihnen von Frankreich aus so unerwartet zuteil wurde."
Obgleich Frankreich zu der Zeit, da die den mathematischen und physikalischen Wissenschaften ausschließlich gewidmete Akademi errichtet wurde, schon eine ansehnliche Zahl bedeutender Männer aufzuweisen hatte, welche als Mitglieder dieser Gesellschaft auftreten und ihr ein Ansehen geben konnten; so sparte doch COLBERT keine Kosten, um Gelehrte des Auslands, die imstande waren dem neuen Institut mehr Kräfte und Glanz zu erteilen, nach Paris zu ziehen. Aus Dänemark wurde RÖMER, aus Italien CASSINI, aus Holland HUYGHENS gerufen, welche, durch starke Besoldungen angezogen, ihr Vaterland mit Frankreich vertauschten. Andere berühmte Männer aus allen Gegenden des gebildeten Europa wurden bewogen, wenigstens als auswärtige Mitglieder am neuen Institut teilzunehmen. Noch andere Männer des In- und Auslandes, die in den Fächern der Pariser Akademie der Wissenschaften als Mitarbeiter nicht auftreten konnten, aber sich sonst als Gelehrte Verdienste erworben und einen Namen gemacht hatten, erhielten Jahresgehalte, Auszeichnungen, Geschenke, ohne daß dafür irgendeine Anforderung an sie gemacht wurde. Man bemerkte durchaus die erhabene Sorge des Ministers, und seines in mancher Absicht wirklich und wahrhaft großgesinnten Königs, eine weise Uneigennützigkeit an den Tag zu legen und sie recht auffallend zu machen. Sie wollten ermuntern und belohnen, und indem sie dies taten, erreichten sie auch alle übrigen Zwecke, welchen auf eine andere Art nachzujagen, immer vergeblich sein wird.

Eine weise und großdenkende Regierung stiftet Akademien, damit entstehe, was  allein  vermöge solcher Anstalten entstehen kann. Es soll eine Gesamtkraft werden, die bewirkt und hervorbringt, was zerstreute einzelne Kräfte, nähme man jede derselben auch als die möglichst größte an, nie zu bewirken und hervorzubringen imstande sein würden. Zu diesem Ende versammelt sie eine Anzahl gelehrter, einsichtsvoller, kunstverständiger Männer, fügt sie in eine Gesellschaft zusammen, und stattet diese aus mit allen zu ihren verschiedenen Geschäften nötigen Hilfsmitteln, Vorräten und Werkzeugen. Durch die Vereinigung der Glieder dieser Gesellschaft an  einem  Ort wird die schnellste und mannigfaltigste Mitteilung unter ihnen möglich; und damit diese gegenseitige Mitteilung desto gewisser erfolgt, werden regelmäßige Zusammenkünfte angeordnet. Wissenschaften, die sich fremd schienen, erfahren ihr nahe und nähere Verwandtschaft, die Einseitigkeit verliert sich, es entsteht eine Wechselwirkung, gegenseitiger Einfluß, wissenschaftlicher Gemeingeist (7).

Ist der Sitz einer solchen gelehrten Gesellschaft zugleich der Sitz der Regierung und die Hauptstadt des Landes; so wachsen die Vorteile. Wissenschaftliche- und Erfahrungs-Einsicht teilen sich einander gegenseitig mit, durchdringen sich; das Licht gewinnt an Leben, das Leben an Licht; jeder Gesichtskreis erweitert sich; jede Kraft wird gesteigert.

Selbst die Weltleute im  ausnehmenden  Verstand - ich meine jene, die es ausschließlich sein wollen, und sich damit für etwas halten, wo nicht darüber ist, selbst diese werden einzeln mitergriffen, verändert, durch Unterricht veredelt. Sie fühlen, daß sie vom Gesetz einer reinen Unwissenheit und eines feierlichen Müßigganges, dessen strenge und emsige Befolgung sie zu der sonderbarsten Gattung von  Pedanten  macht, etwas nachlassen müssen, indem die vorrechtliche Maxime:  je untüchtiger, desto tauglicher,  an ihrem eigenen Inhalt stirbt, sobald er einmal deutlich ausgesprochen ist. Möge die Maxime immer so nicht lauten und verstanden sein wollen, und Beschönigungen und Vorwände suchen; sie macht sich durch all diese Mühe nur noch verhaßter und beschleunigt ihren Untergang, in welchen ihre ganze vornehme Verwandtschaft unausbleiblich mitgezogen wird.

Zu dieser Verwandtschaft gehören zumal folgende Behauptungen:

Die Behauptung - daß lebendige, umfassende, in das Große und Allgemeine wirkende Einsicht sich nicht verträgt mit gründlicher Erkenntnis und vollkommen deutlichen Begriffen; durchaus nicht mit wahrer und eigentlicher Gelehrsamkeit und  Wissenschaft;  sondern nur mit recht weiten und freien Verstandes-Umrissen, wie der bloße  Augenschein  sie gibt.

Die Behauptung - daß man sich der Prinzipien erwehren muß, weil diese zu  Systemen  führen; alle Systeme aber falsch sind.

Die Behauptung - daß nur die alte Weise (Routine), welche sich den Ehrentitel der Erfahrung anmaßt, den rechten Weg leitet, und daß man ihr, um nicht vom rechten Weg abzukommen, überall nur blindlings folgen, nie, um sich auf ihm zu erhalten, die eigenen Augen gebrauchen muß.

Die Zwillingsbehauptung - man müsse der Vernunft, die nur irrige  Theorien  ausbrütet, mißtrauen, und sich überall an das  Positive  halten; - Unter diesem Positiven aber ist zu verstehen: entweder ein durch die Veränderung der Zeiten sinnlos und ungereimt gewordenes Hergebrachtes; oder neue Anordnungen der bloßen Willkür. (8) -

Endlich die Behauptung - welche mit einem Mal alles sagt:  Theoretische Seichtigkeit sei die Bedingung praktischer Vortrefflichkeit. 

Nicht also behaupteten die  wirklich großen Weltmänner  der alten, mittleren und neueren Zeit. Diese, indem sie den Dank und die Bewunderung mehr noch der Nachwelt als der Zeitgenossen sich erwarben, blieben wohl eingedenk der Quelle, aus der ihnen jene Kräfte, welche sie so mächtig, so hervorragende, so herrlich werden ließ, geflossen waren, und nicht nur fuhren sie fort aus ihr zu schöpfen, sondern sie suchten auch sie zugänglicher, zumal ergiebiger zu machen, damit sie in Kanälen und Röhren nach allen Seiten hin geleitet werden könnte, zum Nutzen der Menge.  Alle  liebten die Wissenschaften, suchten den Umgang von Gelehrten, und führten nach ihrem Rat und mit ihrer Hilfe die größten und schwersten Dinge aus. Mehrere dieser Staatsmänner und Weltleute waren im eigentlichen und strengeren Verstand wissenschaftlicher Männer, Gelehrte im umfassendsten Sinn des Wortes.

Als zu diesen letzten gehörend nennt uns die Geschichte, unter den älteren Griechen, einen CHARONDAS, ZALEUKUS, ARCHYTAS; einen DION, EPAMINONDAS, PERIKLES und XENOPHON; einen PHOCION und DEMETRIUS von PHALERA, nebst noch vielen anderen. Selbst der mazedonische ALEXANDER dürfte hier mitgezählt werden; nach ihm die ersten Ptolemäer,. und die ihnen nacheifernde Pergamischen Könige.

Unter den Römern - (ich übergehe die ersten Könige, einen NUMA, SERVIUS TULLIUS, TARQUINIUS PRISCUS; wie ich bei den Griechen ihre ältesten Weisen, die insgesamt Regenten, Könige, Fürsten und Staatsmänner waren, übergangen habe) - nennt uns die Geschichte, während der Zeit der Republik, als tätige Freunde und Beförderer der Wissenschaften, einen SCIPIO, LÄLIUS, LUKULLUS, ASINIUS POLLIO (Stifter der ersten öffentlichen Bibliothek zu Rom) CATO, BRUTUS, CICERO, JULIUS CAESAR.

Der letzte in dieser Reihe, unstreitig von allen der größte Staatsmann und Kriegsheld, war von allen auch der gründlichste Gelehrte, der tiefste und umfassendste Denker, obgleich er selbst hierin dem CICERO den Vorzug zuerkannte, von dem er sagte: er habe sich einen Lorbeerkranz erworben, der rühmlicher sei, als alle Triumphe, indem es mehr Lob verdient, die Grenzen der römischen Gelehrsamkeit erweitert zu haben, als die Grenzen des römischen Gebiets. Allgemein bekannt ist die Verbesserung des römischen Kalenders, welche er mit dem alexandrinischen Astronomen SOSIGENES unternahm; seine Bestimmung und Einteilung des Jahres, die, mit einigen hinzugekommenen Berichtigungen noch jetzt besteht, und den Namen ihres Urhebers zu tragen fortfährt. Ein immer geschäftiges, kriegerisches, Gefahr- und Tatenvolles Leben verhinderte ihn nicht, außer seiner unübertrefflichen Geschichte des gallischen Krieges, auch noch philosophische,  grammatische  und politische Werke zu schreiben. Weil er mit philosophischem Blick den Zusammenhang der Zeiten zu erfassen und zu durchschauen verstand, wußte er die seine zu beherrschen. Wem das erste, die Sehkraft und die  Sehübung  zu einem solchen Blick mangelt, dem wird das letzte zuverlässig nie gelingen; seine Zeit wird ihn übermannen, und ihn zu Spott machen mit allen seinen Anschlägen und Bemühungen. Nicht sehend was ist, wird er mit größter Klarheit zu sehen glauben, was nicht ist; überall wird er irren, wie in seinem Bangen, so in seinem Hoffen und Vertrauen. Ein solcher kann alle Geschichtsbücher, vom Anfang der Welt an, gelesen haben und sie auswendig wissen; das große Buch der Welt blieb ihm unaufgetan. Er hat nicht erfahren, was jede Zeit eintreten ließ an der Stelle, wo sie eintrat; auch die gegenwärtige. Diese Einsicht, die das, was mit  Notwendigkeit und das, was mit  Freiheit  wirkt, mit klarer Unterscheidung zugleich umfaßt, ist der philosophische Geist selbst, der als ein Göttliches, allein wahrhaft Gewalt hat. Was  bloß  als eine Folge der Zeiten da ist, wirkt fort notwendig und blind; sein Handeln ist ganz irdisch und lauter Knechtschaft. Was mit Freiheit wirkt, unterbricht die Zeiten, verändert sie auf Jahrhunderte hinaus, erleuchtet, veredelt, befreit.

Anschaulich auch dem stumpfen Sinn zeigt die Geschichte Roms unter den Kaisern die enge Verbindung des Glücks der Wissenschaften mit dem Staatsglück. Die ganze Reihe der Kaiser hinab finden wir das eine und das andere immer auf derselben höheren oder niedrigeren Stufe nebeneinander. Wer kennt nicht die Geschichte der vier ersten Nachfolger des AUGUSTUS? Genau in demselben Maß wie einer dieser Herrscher vor dem andern sich überhaupt des Thrones unwürdiger, wie er sich unmenschlicher, törichter, blöd - und wahnsinnig erwies, wurden die Wissenschaften zu Rom vernachlässigt, verfolgt, aus dem Reich verjagt. - Unter der eben so wohltätigen als glorreichen Regierung VESPASIANs lebten Kunst und Wissenschaft wieder auf, wurden unterstützt, befördert, belohnt, zuweilen sogar mit Verschwendung. In großer Gunst standen bei diesem Kaiser, QUINTILIAN, FLAVIUS JOSEPHUS, vornehmlich der ältere PLINIUS, der von ihm besonders ausgezeichnet wurde, und sein ganzes Vertrauen besaß. (9)

Von dem erhabeneren Geist und dem edleren Herzen seines Nachfolgers ließ sich für die eigentliche Wissenschaft, die, mit sich, wahre Weisheit zugleich lehrt und einflößt, noch mehr erwarten; aber TITUS regierte nur zwei Jahre.

Ihm folgte der grausame DOMITIAN. Dieser hoffte mit den Wissenschaften und Künsten alles, was die menschliche Seele veredelt und erhebt, von Grund auf vertilgen zu können. Nicht mit Unrecht, wenn es ihm gelangt! - Männer von hohem Sinn sollten nicht mehr sein. Die vortrefflichsten seiner Zeit, einen HELVIDIUS, SENECION, ARULENUS ließ er zum Tod verurteilen; darauf alle Lehrer der Philosophie und Beredtsamkeit aus Rom und ganz Italien verbannen: nichts achtungswürdiges, sagt TACITUS, sollte irgendwo mehr aufkommen und sich blicken lassen (10). Unter den von DOMITIAN ins Elend verwiesenen Lehrern des Wahren und Schönen verdienen vorzüglich genannt zu werden, DION CHRYSOSTOMUS und EPIKTET. Beide erduldeten während ihrer Verbannung alle Drangsale des äußersten Mangels. Dennoch erlitten sie und ihre Brüder nicht mehr als was ihre Taten wert waren - nach Tyrannenrecht.  Hatten sie nicht öffentlich gelehrt, es gebühre allein den Gesetzen der Gerechtigkeit, der Tugend und Ehre  unbedingter  Gehorsam, keineswegs aber dem gesetzlosen Willen irgendeines Menschen, wie groß auch seine Macht geworden ist? Geböte der Herrscher, der Gewaltige etwas durch die Gesetze der Gerechtigkeit, der Tugend und Ehre Untersagtes; so müsse man ihm nicht gehorchen, sondern lieber den Tod leiden und jede Qual. Wer solchen Mut hat, wird frei leben; wer ihn nicht hat, in schändlicher Knechtschaft. - Dies alles, lehrten es nicht jene Männer täglich; und war es ihnen nicht vielfältig gelungen diesen Lehren Eingang zu verschaffen, sie  gewaltig  zu machen in den Gemütern ihrer Zuhörer; gewaltig auch wider den, der in sich  allein  durchaus  alle Gewalt  besitzen wollte? Offenbar säeten sie Widerspenstigkeit, Empörung, indem sie leugneten, daß es irgendeine Autorität geben könnte, die auch Schändliches gebieten mag. Mit dieser bloßen Meinung wurden sie schon Majestätsverbrecher; denn sie setzten damit etwas über den Tyrannen, das in bestimmten Fällen Ungehorsam gegen ihn gebot und zur Pflicht machte; Etwas, das ihn selbst des Majestätsverbrechens in Absicht eines  wahrhaft Allerhöchsten  schuldig erklären durfte.


Beilage A (1)

Aus der Vorrede der Geschichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Herrn LORENZ WESTENRIEDER, Seite 3-9. - "Wenn wir die Wichtigkeit des Dienstes, welchen der erste Veranlasser, und Stifter der Akademie unserem Vaterland leistete, gehörig beurteilen wollen, müssen wir den Zustand der damaligen Gelehrsamkeit, und, wenn sich für diese nichts vorteilhaftes sagen läßt, die Beschaffenheit dessen, was zur Einführung des Besseren aufgestellt wurde, betrachten. Wir wollen hier nicht wiederholen, was seit einem Menschenalter über diesen Gegenstand, manchmal mit großem Unglimpf und einem bitteren Mutwillen, ohne Rücksicht auf Zeit und Umstände, manchmal, ja sehr oft von Leuten, welche sich einbildeten, daß man sie für Gelehrte halten würde, wenn sie die Pedanterie der vor fünfzig Jahren vorhandenen Gelehrsamkeit recht tief herabsetzten, bis zum Ekel aufgetischt worden ist. Es ist bekannt, daß, als im 16. Jahrhundert der, durch die damals beginnende Wiederauflebung einer bessernden klassischen Literatur der alten Griechen und Römer erweckte, und durch die zu gleicher Zeit eingetretene Glaubensreformation gereizte Forschergeist manchmal freier und willkürlicher, als es sich geziemt, um sich gegriffen und nun mancher gute Literator, nicht weil er ein solcher, sondern weil er ein unbescheidener, unkluger, und von ungebändigten Leidenschaften erhitzter Mann war, in Religionssachen Meinungen und Systeme aufstellte, welche alles, was stand, umzustürzen drohten, und mittels seiner Anhänger die kirchliche, und nicht selten die bürgerliche Ruhe störte, daß hierauf bald aller Forschergeist verdächtig, verhaßt, beschränkt geworden, und, weil man, wiewohl mit Unrecht, die wechselseitige Mitteilung von Begriffen für die Quelle der lästigen Unruhe hielt, aller wissenschaftliche Verkehr aufgehoben worden ist. Die katholischen Regierungen der südlichen deutschen Länder duldeten einige Zeit beinahe kein Buch der protestantischen, nördlichen Länder, und in diesen hielt man sich an gleiche Maßregeln, welche durch die zwischen den verschiedenen Religionsparteien unaufhörlich vorgefallenen Neckereien immer mehr befestigt wurden. Der dreißigjährige Krieg zog eine neue Scheidewand, und vertilgte beinahe alle Spuren von wissenschaftlicher Kultur, doch in den protestantischen Ländern vereinigten sich viele Umstände, welche ein früheres Wiederaufwachen begünstigten. Schon der echte Geist der protestantischen Grundsätze spornt zum Nachdenken, und reizt die Forschbegierde. Die Freiheit zu denken, konnte in jenen Ländern eher wieder aufgeweckt, und zur Neigung für bildende Wissenschaften hingelenkt werden. Der deutsche Geist rückt kühn vor, wenn er einmal aufwacht. Der im Jahr 1728 zu Halle, als Direktor der von ihm veranlaßten Universität daselbst verstorbene, CHRISTIAN THOMASIUS, weckte durch seine Lehren und Schriften eine Menge kühner Denker, von denen es von Zeit zu Zeit einer wagte, der gelehrten Welt sich bemerkbar zu machen, und man konnte bereits hoffen, daß es diesmal mit der Gelehrsamkeit nicht wieder zurückgehen würde. Endlich, um die Mitte des 18. Jahrhunderts, erschienen die wahren Verkünder und Vorläufer der besseren Literatur. Man fühlte lebhaft das Bedürfnis, die Muttersprache auszubilden, die Alten mit Verstand und Geschmack zu studieren, und auf allen Seiten traten gute Köpfe in kleine Bündnisse zusammen, die schönere Literatur, welche der Philosophie stets den Weg bahnt, zu verbreiten, und durch glückliche Versuche in der deutschen Sprache das vaterländische Publikum zur Nachahmung und zum Wetteifer zu reizen. Die Belustigungen des Verstandes und Witzes, die Briefe, die neueste Literatur betreffend, der nordische Aufseher, die Bibliothek der schönen Wissenschaften und der freien Künste, u. a. wozu die besten Köpfe des nördlichen Deutschland Beiträge lieferten, stifteten unsäglich viel Gutes, und beseelten alle fähigen Gemüter mit einer, bis dahin ganz unbekannten, Lust und Kraft. Alles was GELLERT, RABENER, LICHTWEHR, LESSING, HAGEDORN, BAUMGARTEN, HALLER, KLEIST, GLEIM u. a. schrieben, wurde mit unendlicher Liebe und Achtung aufgenommen, und wie ein Geschenk von Oben, mit Bewunderung betrachtet und verehrt. Mit einem Wort, im nördlichen Deutschland näherte sich alles auf Straßen, und auf Fußstapfen, zur Ansicht eines literarisch goldenden Jahrhunderts.

Im südlichen Deutschland vereinigten sich gerade so viel Umstände, alles Verbessern der Gelehrsamkeit zurückzuhalten. Hier hatten ganz Orden und Gesellschaften den Unterricht der Jugend unternommen, und beinahe noch nicht weiter getrachtet, als jene in der katholischen Religion zu befestigen und alles was hierin einer Gefahr ähnlich sah, zu entfernen. Man erinnert sich noch immer lebhaft an die gräßlichen Auftritte und Unruhen, welche im 16. und 17. Jahrhundert durch Neuerungen im Religionswesen veranlaßt wurden, und wollte schlechterdings, daß alles in einem Zustand von Ruhe beharren sollte, in welchem von dieser Seite das Vaterland seit einigen Menschenaltern erhalten worden war. Jede auch noch so kleine Verbesserung hieß man eine Neuerung, und mit jeder Neuerung verband man den Begriff einer Gefahr. Man fürchtete sich vor jedem ungewöhnlichen Laut, und argwöhnte überall ein verborgenes Gift. Man dachte nur immer an die Ausartung der Dinge, und hatte die Überlegung nicht mehr zu denken, daß, wenn der Mißbrauch des Forschergeistes und der Gelehrsamkeit Schaden anrichten, der Mangel an Forschen, und an den ersten unentbehrlichen Kenntnissen noch weit mehr Unheil nach sich zieht; allein diese eingeschränkte Denk- und Vorstellungsart überlieferten sich nun einmal die öffentlichen Lehrer von Jahr zu Jahr, und sie selbst wußten zuletzt kaum mehr als ihre Schüler, welchen sie wahrlich nichts geflissentlich vorenthielten, sondern das, was sie wußten, gerade so, wie sie es von ihren Lehrern erhalten hatten, (was freilich wenig war) mitteilten. Die Kultur der deutschen Sprache hatte sich sogar bis auf die Schön- und Rechtschreibekunst verloren. Die Sprachen der Römer und Griechen wurden zwar gelehrt, aber ohne alle Kritik, ohne alle Hinweisung auf die Sachen und den Geist der in den Schriften der Griechen und der Römer lebt, und zum Scharfsinn und zur Größe führt. Das, was man humanistische Literatur nannte, weckte und bildete keine Dichter, Redner, oder nur erträgliche Schriftsteller. Die Metaphysik lehrte durch unbegreifliche Worte, daß viele Dinge, die wir (weil sie zur Zeit nicht zu unserer Glückseligkeit gehören) nicht begreifen, unbegreiflich sind, und die Physik, welche ohne vorgängige Mathematik gelehrt wurde, beschränkte sich auf einige Versuche mit der Luftpumpe oder der Elektrisiermaschine, welche Dinge damals noch unter die größen Seltenheiten gehörten. Die Naturgeschichte, die Erdbeschreibung und Staatengeschichte wurden ganz verkannt. Auf die Theologie und Rechtsgelehrsamkeit wurde, aber ohne Geschichte und Kritik, die größte Mühe verwendet, und wer einmal die drei bis vier Jahre, welche man dazu anwenden mußte, um die Universität jener Wissenschaften in sich aufzunehmen, überstand, der glaubte, alles überstanden, und das Ende alles Wissenswürdigen erreicht zu ahben. So war es um das Jahr 1750, mehr oder weniger in ganz Süddeutschland.


Beilage B (7)

Während des Abdrucks der vorstehenden Abhandlung, die bis zu dieser Stelle schon im November des vorigen Jahres geschrieben war, ist der Verfasser auf eine am Stiftungstag des französischen National-Instituts (An. IV, 15. Germinal) gehaltene Rede, von DANOU, voll der trefflichsten Gedanken, aufmerksam gemacht worden. Sie erscheint, ihres durchauspassenden und höchst gemeinnützigen Inhalts wegen hier in einem deutschen Auszug:

Bürger! die Konstitution hat neben den höchsten Autoritäten, eine gelehrte Gesellschaft errichtet, deren Bestimmung es ist, die Fortschritte aller menschlichen Kenntnisse zu befördern, und dadurch daß sie unablässig auf dem weiten Gebiet der Wissenschaften, der Philosophie und der Künste arbeitet, die Tätigkeit des Gemeingeistes zu unterstützen.

Dem National-Institut kommt keine unmittelbar leitende Aufsicht über die anderen Unterrichtsanstalten zu; auch wird in demselben kein Unterricht auf die gewöhnliche Weise erteilt. Damit dasselbe nicht Gefahr läuft, sich jemals als irgendeine Art öffentlicher Autorität anzusehen, haben ihm die Gesetze alles unmittelbare Eingreifen in den Staat verwehrt, und ihm nur jenen stillen und immer nützlichen Einfluß gestattet, welchen die Verbreitung des Lichts gewährt und der keineswegs daraus entspringt, daß man irgendeine Meinung oder irgendeinen Beschluß plötzlich zur öffentlichen Sache macht, sondern vielmehr das Resultat der ruhig fortschreitenden Entwicklung irgendeiner Wissenschaft, oder der allmählichen Vervollkommnung irgendeiner Kunst ist.

So beschränkt aber dieser Beruf des National-Instituts ist, so kann es doch denselben in seinem vollen Umfang mit der ganzen Fülle von Freiheit, die ein edles Gemüt fordert, ausüben. Die das Recht besitzen, demselben Arbeiten aufzuerlegen, würden keineswegs die Macht haben ihm Meinungen aufzuzwingen; und gleichwie jenes völlig außerstande ist mit einer Autorität zu rivalisieren, so kann es auch nimmermehr der Sklave oder das Werkzeug irgendeiner Tyrannei werden.

Einrichtung und Bestimmung unterscheiden das Institut zur Genüge von all jenen Korporationen, mit denen so oft die Throne umgeben sind, und welche beinahe immer einen zweifachen, dem Schein nach unvereinbaren Charakter annehmen, die Sicherheit der bürgerlichen Rechte gefährden, und zu gleicher Zeit die Macht der Regierungen bedrohen.

Das Interesse der Wissenschaften und des Staates macht die Vereinigung aller Arten von Kenntnissen zum Bedürfnis. Wirklich, nur in demjenigen Zeitpunkt, wo die Künste noch auf der ersten Stufe stehen, scheinen sie voneinander unabhängig zu sein; je mehr sie fortschreiten, desto klarer wird es, wie nahe sie sich verwandt sind, und wie eine die Unterstützung der anderen ohne großen Nachteil nicht entbehren kann. Von nun an durchkreuzen sich die Richtungen, die Anwendungen werden vervielfacht, die entferntesten Familien knüpfen kaum geahnte Bande; die Geschlechter identifizieren sich gleichsam in eben dem Maße, in welchem sie sich vervollkommnen, so daß eine genaue Klassifikation mit jedem Tag schwerer wird.

Auch wollte man durch die Teilung des National-Instituts in verschiedene Klassen und Sektionen ohne Zweifel kein streng analytisches System der menschlichen Kenntnisse vorlegen, sondern dadurch bloß solche Männer näher miteinander verbinden, die, so wie die Wissenschaften und Künste jetzt stehen, eine größere Anzahl von Kenntnissen und Ideen miteinander gemein haben, und gleichsam dieselbe Sprache reden, eben daher aber auch mit mehr Leichtigkeit und auf eine unmittelbar nützliche Weise sich einander mitteilen können. Bei all dem bleibt jedoch dem Institut die Einheit, welche seinen Charakter ausmacht; seine Arbeiten sind mehr geteilt, als seine Mitglieder; und jene Einteilung, welche teilt ohne zu trennen, welche alles ordnet, und nichts isoliert, ist nur ein Prinzip der Harmonie und ein Mittel der Tätigkeit.

Der Redner wendet sich nun zur besonderen Geschichte der Wissenschaften, und zeigt in einem großen Überblick ihrer Schicksale, wie sie unter Druck und Begünstigung immer eine gleich unwiderstehliche Kraft in den wohltätigsten Wirkungen offenbarten. Er bemerkt: "wie die mathematischen und physikalischen Wissenschaften, schon frühzeitig über Vorurteile und unterdrückende Gewalt triumphierend, vom Geist der Analyse geleitet, mit dessen Hilfe sie ihre Ideen und ihre Sprache wiederfanden, umgeben von Künsten, welche erleuchtet und befruchtet durch sie, sie selbst hinwiederum unterstützten, mit vervielfachten Hilfsmitteln auf ihrem allmählich erweiterten Gebiet zu den glücklichsten Entdeckungen vorangeschritten; und wie sie dann selbst den wütendsten Stürmen der letzteren Zeit nicht erlagen, ja sogar, der empfindlichsten noch nicht verschmerzten Verluste ungeachtet, in der Periode der allgemeinen Zerstörung und Wiedergeburt Gelegenheit fanden, zu neuem Schwung belebt, sich in ihrem vollen Glanz zu zeigen.

Die moralischen und politischen Wissenschaften, fährt er fort, hätten unstreitig noch größere Fortschritte unter uns machen können. Aber er findet mit Recht gerade darin die gültigste Beurkundung ihrer erhabenen Bestimmung und den herrlichsten Triumph ihrer Kraft: "daß die Philosophie, trotz des Andrangs so vieler mächtiger Feinde, welche die ungerechte Gewalt, der Aberglaube und die Unsittlichkeit unaufhörlich gegen sie in Tätigkeit gesetzt haben, sie selbst jedoch von ihren natürlichsten Freunden eben nicht sehr lebhaft verteidigt, ja sogar selbst von jenen Gelehrten, welche ihre Wahrheiten gar zu abstrakt, oder in ihrer Lehre mehr Zweifel als Beweise, mehr Hypothesen als Behauptungen finden wollten, herabgewürdigt wurde, dennoch, wiewohl verlassen und beinahe ohne alle Stütze, beraubt fast aller Mittel der Verbreitung und des Einflusses, einzig stark durch sich und den Reiz des Widerstandes, unaufhörlich verfolgt, und nie unterjocht, in ihrem Heiligtum den Menschen immer eine unversiegbare Quelle bewahrte, aus der ihnen das Licht einer besseren Erkenntnis ihrer Rechte und Pflichten, und das Feuer der Begeisterung für eine vernünftige Veredlung ihres Zustandes im reichsten Maße zufloß.

Endlich führt DAUNOU auch die schöpferischen Künste, denen die dritte Klasse des Instituts geweiht ist, mit in den Bund der Wissenschaften ein, und indem er die herrlichen und unausbleiblichen Früchte dieser Vereinigung zu entwickeln sucht, sagt er: "von nun an wird die Philosophie minder undankbar in den schönen Künsten ihre beredtesten Organe und ihre notwendigen Dolmetscher bei den Völkern erkennen; ja sie wird den ganzen Wert des Enthusiasmus fühlen, den sie verbreiten, und ohne den nichts Nützliches und Großes auf Erden ausgerichtet werden kann. - Wenn selbst in den strengsten Wissenschaften keine Wahrheit hervorgebrochen ist aus dem Genius der Archimede und Newtone ohne eine poetische Beweegung, ohne einen gewissen Schauer der geistigen Natur; wie sollten die moralischen Wahrheiten, beraubt dieser belebenden Wärme, im Busen eines Volkes sich umwandeln in Gefühle, Fertigkeiten, Sitten, in einen  Charakter?  Was würde aus so vielen geselligen Maximen, aus so vielen allgemeinen abstrakten Wahrheiten werden, wenn nicht die schönen Künste sich ihrer bemächtigten, um sie wieder einzutauchen in ihre zarte Natur, sie wieder anzuknüpfen an die Gefühle, aus denen sie entsprungen sind, und so ihnen wieder Farbe und Kraft zu geben.

Und - so endet der Redner - einen solchen harmonischen Bund zu schließen unter allen Zweigen des Wissens, hinauszurücken die Grenzen der Kenntnisse, ihre rechten Gründe deutlicher und zugänglicher zu machen, die Anstrengung der Talente hervorzurufen und ihren Erfolg zu belohnen, die Entdeckungen zu sammeln und kund zu machen, zu nehmen, zu geben, zu verbreiten das Licht des Gedankens, die öffentliche Aufmerksamkeit hinzulenken auf die Früchte wissenschaftlicher Untersuchungen, auf die Meisterwerke des Genius, die Tätigkeit des Kunstfleißes zu beleben, und so die allgemeine Eintracht und den inneren Frieden im Schoß der bürgerlichen Gesellschaft zu befestigen; - dies sind die Pflichten, welche das Gesetz dem National-Institut auferlegt, und zu deren vollständigen Erfüllung dasselbe bald auf allen Punkten der Erde alle die Männer mit sich vereinigen wird, welche durch die Nützlichkeit und den Ruhm ihrer Arbeiten allen Ländern und allen Zeiten angehören.
LITERATUR: Friedrich Heinrich Jacobi, Über gelehrte Gesellschaften,München 1807
    Anmerkungen
    2) Noch auffallender ist ein anderes ähnliches Beispiel. Eine vornehme Pariserin begriff vollkommen das Gute des Mondes, weil er unsere Nächte erhellt. Aber wozu, am hellem Tag, die Sonne  am Himmel steht, konnte sie nicht begreifen.
    3) Plutarchs Lebensbeschreibung, im MARCELLUS (Übersetzung von KALTWASSER, Teil III, Seite 259).
    4) Plutarchs Lebensbeschreibung, im MARCELLUS (Übersetzung von KALTWASSER, Teil III, Seite 253).
    5) Préf. de l'hist. de l'academie Royale des sciences.
    6) Tableau des revolutions du Systeme politique de l'Europe depuis la fin du XV. Siécle par Frédéric Ancillon, Teil IV, Seite 115, 204.
    8) Die Erinnerung TERTULLIANs: Das Hergebrachte habe Gott selbst ans Kreuz geschlagen, ist schon anderswo vom Verfasser dieser Abhandlung angeführt worden. Der Kirchenvater macht dabei folgende wichtige Bemerkung: Dominus noster Jesus Christus veritatem se, non consuetudinem cognominativ. [Unser Herr Jesus Christus ist die Wahrheit selbst uns nicht lediglich eine Namensbezeichnung. - wp]
    9) Ein unaustilgbarer Flecken im Leben des VESPASIAN ist die Ermordung des HELVIDIUS PRISCUS. Zwar bereute er schnell den dazu von ihm erpreßten Befehl, und sandte eilends einen Widerruf, aber die Hinrichtung war schon vollbracht. Soviel ist gewiß, daß der strenge Stoiker den Kaiser seit langer Zeit her ununterbrochen gereizt hatte. Leichter ist VESPASIAN über die ihm schuld gegebene Verbannung der Philosophen aus Rom zu rechtfertigen, von der er nur den einzigen MUSONIUS ausgenommen haben soll. DION CHRYSOSTOMUS blieb doch auch, obgleich er den VESPASIAN wiederholt, auf das nachdrücklichste ermahnt hatte, den Thron zu verlassen, und Rom seine alte Verfassung wieder zu geben; mit diesem gewiß noch viele andere, welche nachher DOMITIAN, mit dem DION und EPIKTET, in die Wüste sandte. Die schreckliche, immer höher steigende Tyrannei der Nachfolger des AUGUSTUS hatte die Gemüter mit Unwillen und Bitterkeit erfüll. Jetzt, unter der milderen Regierung VESPASIANs, machten sich die hitzigeren Köpfe Luft, und hielten aufwieglerische Reden gegen die kaiserliche Gewalt. Ihre Kühnheit stieg mit jedem Tag und war nicht zu bändigen, zumal nicht die Wut der Zyniker. Dies verursachte das Verbannungsurteil, worin VESPASIAN nur auf MUCIANs dringende Vorstellung, ungern und widerstrebend einwilligte. Wäre die Verbannung allgemein gewesen, so hätte nicht erfolgen können, was unter DOMITIAN geschehen ist.
    10) DION CHRYSTOMOS schaffte sich während seiner Verbannung Unterhalt, indem er die härteste Tagelöhnerarbeit verrichtete. Zu der Zeit, da DOMITIAN umkam, befand er sich, als Bettler, in einem der entferntesten römischen Lager, das im Begriff war, sich zu empören. Er entdeck sich und stillt den Aufruhr. Unter TRAJAN kehrte er nach Rom zurück. Dieser große Kaiser liebte den Philosophen, nahm ihn oft, um sich mit ihm zu unterhalten, in seine Sänfte, und gab ihm einen Platz neben sich in seinem Triumphwagen. - Auch EPIKTET kehrte nach Rom zurück. HADRIAN liebte und achtete ihn sehr. Noch höher wurde er von MARC AUREL geschätzt.