ra-2ra-2W. WindelbandR. EuckenF. J. NeumannW. A. JöhrW. Wundt    
 
FRANZ EULENBURG
Naturgesetze und soziale Gesetze
[Logische Untersuchungen]
[2/4]

"Der logische Prozeß, der zur Aufstellung des Gesetzes führt, ähnelt durchaus dem Prozeß der Begriffsbildung überhaupt. Die Begriffe - alle Begriffe, nicht etwa nur die naturwissenschaftlichen - werden dadurch gebildet, daß gemeinsame Merkmale herausgehoben und als wesentlich für den Gegenstand festgehalten werden. Dasselbe geschieht auch bei der Aufstellung von Gesetzen."

"Man übersah lange Zeit, daß Kraft nur ein Abstraktum, nur eine begriffliche Zusammenfassung von Elementen ist, daß man es aber dabei durchaus nicht mit realen Wesenheiten zu tun hat. Offenbar hatten hier ehedem anthropomorphische Gesichtspunkte mitgespielt, Realkräfte als Ursachen bestimmter Wirkungen aufzufassen. Man erkannte die Wirkung, schloß daraus auf eine Ursache und nannte diese Kraft"- die erschlossene Ursache galt dann als reale Kraft."

"Auch die Annahme einer besonderen Lebenskraft würde zunächst nur ein Wort sein, wenn nicht ganz bestimmte Wirkungsweisen von Lebensvorgängen im Einzelnen aufgezeigt werden. Die Aufgabe, uns zu den Kräften der Natur zu führen und uns damit die Ursachen der Erscheinungen zu erschließen, können mithin die Naturgesetze nicht erfüllen: jene bedeuten gar keine Realitäten, sondern sind selbst nur Abstraktionen für Vorgänge."

"Es ist die kombinierte Methode der isolierenden Abstraktion, die zur Konstituierung der Naturgesetze führt. Sie sind niemals aus der Wirklichkeit unmittelbar beobachtet. Die Gesetze der Physik und Chemie bedürfen sogar zu ihrer Durchführung eines sehr künstlichen Apparates. Die reine Beobachtung gibt immer nur mittelbar den Anlaß zur Formulierung, bedarf aber ihrerseits einer methodischen Korrektur. Erst durch diese isolierende Abstraktion wird die funktionale Abhängigkeit bloßgelegt und die Eindeutigkeit der Beziehungen hergestellt."


II. Die verschiedenen Arten der Naturgesetze

a) Allgemeiner Begriff

Daß man in den Naturwissenschaften von Gesetzen spricht, kommt offenbar von jener elementaren Beobachtung der Wiederholung von Naturvorgängen, die sich schon dem naiven Menschen aufdrängt. Sie äußert sich lange vor der systematischen Forschung in zahlreichen "Regeln" (Bauernregeln), die eine Zusammenfassung roh empirischer, wiederholter Wahrnehmungen enthalten. Sie führt unmittelbar auch zur Formulierung des sprachlichen Ausdruckes Gesetz. Die Nominaldefinitionen des Wortes sind nicht immer gleich. Man findet öfter das Wort Satz oder Prinzip für gewisse Formen gebraucht, und eine wichtige Unterscheidung, die zwischen Gesetz und Regelmäßigkeit, wollen auch wir später festhalten. Der Sache nach aber kommen diese Bestimmungen aber doch auf dasselbe hinaus. Als allgemeinste Fassung würde sich etwa die folgende Realdefinition geben lassen: "Gesetz ist danach der Ausdruck für die gleichartige Wiederkehr von Erscheinungen." Der Zusatz gleichartig besagt, daß die Eigenschaften (Merkmale), die untersucht und betrachtet werden, derselben Klasse von Erscheinungen angehören (37). Es ist also zunächst ein Wahrnehmungsurteil, das wir mit dem Gesetz aussprechen. Es faßt unsere "Erfahrungen" in einem kurzen Ausdruck zusammen. Das Gesetz bezieht sich demnach immer auf den Zusammenhang von mehreren Erscheinungen, mag dieser Zusammenhang nun eine Aufeinanderfolge bezüglich einer Änderung in der Zeit oder eine Koexistenz im Raum bedeuten. Das Urteil ist darum ein hypothetisches, ein Beziehungsurteil. Es besagt, wenn wir die eine Erscheinung (Ding, Vorgang, Zustand) finden, so finden wir auch die andere. Über die Art des Zusammenhangs selbst wird damit noch nichts ausgesagt. Es ähnelt also der logische Prozeß, der zur Aufstellung des Gesetzes führt, durchaus dem Prozeß der Begriffsbildung überhaupt. Die Begriffe - alle Begriffe, nicht etwa nur die naturwissenschaftlichen - werden dadurch gebildet, daß gemeinsame Merkmale herausgehoben und als "wesentlich" für den Gegenstand festgehalten werden. Dasselbe geschieht auch bei der Aufstellung von Gesetzen. Richtig deutet diesen Sachverhalt HELMHOLTZ an einer oft zitierten Stelle (38):
    "Das Gesetz ist der allgemeine Begriff, unter den sich eine Reihe von gleichartig ablaufenden Naturvorgängen zusammenfassen lassen."
Aber bei dieser begrifflichen Feststellung ist nun zweierlei noch näher zu präzisieren. Einmal, welcher Art jener Zusammenhang und damit auch die Art der Wiederkehr ist? Sodann, ob denn diese Naturgesetze nach Tragweite und Bedeutung selbst gleichartig sind? Wir werden unter ihnen Unterschiede machen, je nachdem sie sich auf willkürlich (experimentell) vorgehende oder auf rein beobachtende Wissenschaften beziehen. Aber vordem ist eine Auseinandersetzung über die Art des Zusammenhanges nötig, der durch die Gesetze hergestellt wird. 1. Der Zusammenhang zwischen den Naturerscheinungen scheint sich zunächst als eine kausale Verknüpfung, als Verhältnis von Ursache und Wirkung darzustellen. Man sprach darum oft von kausalen Zusammenhängen und von kausalen Naturgesetzen. Nehmen wir ein paar Beispiele. Das Gravitationsgesetz lautet: zwei Körper ziehen sich im umgekehrten Verhältnis ihrer Massen an. Oder das BOYLE-MARIOTT'sche Gesetz besagt, daß der Druck zweier Gase im umgekehrten Verhältnis zu ihrem Volumen steht. Oder das Pendelgesetz zeigt, daß die Schwingungsweiten zweier Pendel sich verhalten wie die Quadrate aus ihren Längen. Am nächsten lag es nun, die Wirkung jedesmal als Folge einer Kraft anzusehen und die Gesetze als kausale zu betrachten, weil unmittelbar das Verhältnis von Ursache und Wirkung aus ihnen abgelesen werden könnte. Kraft bedeutet ursprünglich zweifellos "menschliche Kraft" und sollte darum eine ganz klare Vorstellung vergegenwärtigen. Auch der Wortgebrauch mancher Physiker schien das zu unterstützen. Die Kräfte spielten ehedem eine nicht geringe Rolle (39). Vor allem auch im Kreis der Nichtnaturforscher galt es gewiß, daß es die Aufgabe der Naturgesetze ist, uns die Wirkung substantieller Naturkräfte näher zu bringen. Gleichwohl hatte schon NEWTON selbst sich der Annahme von Kräften widersetzt und insbesondere FARADAY die Kräfte bekämpft. Vor allem übersah man lange Zeit, daß Kraft nur ein Abstraktum, nur eine begriffliche Zusammenfassung von Elementen ist, daß man es aber dabei durchaus nicht mit realen Wesenheiten zu tun hat. Offenbar hatten hier ehedem anthropomorphische Gesichtspunkte mitgespielt, Realkräfte als Ursachen bestimmter Wirkungen aufzufassen. Man erkannte die Wirkung, schloß daraus auf eine Ursache und nannte diese "Kraft" - die erschlossene Ursache galt dann als reale Kraft. Wenn man dagegen jetzt von Kräften spricht, so meint man damit nur den Sammelnamen für einen Komplex von Erscheinungen (Vorgängen, Zuständen). Kraft ist nur der kurze Ausdruck für die Wirkung selbst. Man denkt dabei immer an ganz genau definierte Größenbegriff. "Kraft" stellt sich danach als Produkt aus Masse und Beschleunigung dar und wird durch die bekannte Dimensionsformel (p = m · l · t -2) ausgedrückt. Elektromotorische Kraft ist nur der Ausdruck für die Potentialdifferenz. Kapillarkraft nichts anderes als der Ausdruck für die Wirkungsweise von Oberflächendruck einer Flüssigkeit. Es handelt sich also nie darum, mit der "Kraft" die Ursache einer physikalischen Wirkung zu bezeichnen. Sie ist so wenig etwa mit der Ursache zu identifizieren, daß sie vielmehr nur den Ausdruck für die Erscheinungen selbst darstellt, die bestimmt werden sollen (40). Es bleiben höchstenfalls vorläufige Bezeichnungen für noch unbekantte Vorgänge, die erst aufzudecken sind. Auch die Annahme einer besonderen "Lebenskraft" würde zunächst nur ein Wort sein, wenn nicht ganz bestimmte Wirkungsweisen von Lebensvorgängen im Einzelnen aufgezeigt werden. Die Aufgabe, uns zu den "Kräften der Natur" zu führen und uns damit die Ursachen der Erscheinungen zu erschließen, können mithin die Naturgesetze nicht erfüllen: jene bedeuten gar keine Realitäten, sondern sind selbst nur Abstraktionen für Vorgänge.

2. Man könnte nun versuchen, dadurch den kausalen Zusammenhang des Gesetzes zu erschließen, daß man die vereinte Methode der Übereinstimmung und des Unterschiedes anwendet (41). Als Ursache würde man das Glied bezeichnen, das sich entweder gemeinsam in der Wirkung oder dessen Fehlen auch im Fehlen der Wirkung zeigt. Also nach dem Schema:
    Wenn AEFG, dann aefg
    Wenn ABFD, denn abfd
    wenn AHFK, dann ahfk
    wenn .OFQ, dann .ofq
    wenn .RFT, dann .rft
    wenn .UFW, dann .ufw
    etc.
Aus diesem Zusammenhang scheint dann a als die Wirkung von A eindeutig bestimmt zu sein. In Wirklichkeit aber ist die Beziehung weit komplizierter und durchaus nicht so durchsichtig, wie in diesem, bereits zurechtgemachten Schema. Denn es kann die Wirkung ganz aufgehoben, zumindest aber geändert und modifiziert werden, wenn eines oder mehrere der übrigen Elemente variiert werden. Also nach unserem Beispiel: Nicht nur das Element A, sondern auch F oder ein beliebiges anderes hier nicht nachgewiesenes Element ist gleichfalls am Effekt beteiligt. Man hat, um dieser Schwierigkeit zu entgehen, jene anderen Elemente als "Bedingungen" oder "Umstände" der eigentlichen Ursache gegenübergestellt. Auf diese Weise will man zum Begriff der wirkenden Ursache (causa efficiens) gelangen. Für manche populäre Zwecke wird das auch genügen. Man trifft dann den Ausweg meist so, daß man die ruhenden Elemente (Partialursache) als Bedingungen und Umstände, das bewegende und hinzukommende als Ursache bezeichnet. So sagt SIGWART, der diesen Betrachtungen besonders nachgegangen ist (42):
    "Ursache ist der Körper, dessen wahrnehmbare Veränderung eine Veränderung der Wirkung im Gefolge hat, Bedingung diejenigen Zustände von Körper, deren Verschiedenheit den Erfolg verschieden macht, ohne daß sich durch sie selbst eine wahrnehmbare Veränderung hervorbringen."
Abgesehen von der viel zu engen Verfassung des Antezedens [Vorhergehendes - wp] als Körper oder Körperzustand gewährt diese Bestimmung keinen Ausweg aus der Schwierigkeit. Das Wasser z. B. siedet in der Niederung bei höherer Temperatur als im Hochgebirge, wo der Luftdruck geringer ist. Der Luftdruck gilt dann als Umstand (Bedingung), die Erwärmung durch das Feuer als Ursache und ähnliches. (43) Aber schon dieses Beispiel zeigt, daß es rein zufällig ist, welches Moment als variabel und welches als ruhend angenommen wird. Es könnte bei einer konstant gehaltenen Erwärmung auch der Luftdruck geändert werden: dann müßte offenbar dieser als Ursache bezeichnet werden, da er die "wahrnehmbare Veränderung des Siedpunktes" herbeiführte. Und wirklich wird sehr oft in der Weise vorgegangen, daß die Umstände (Bedingungen) bei gleich fortwirkender "Ursache" geändert werden. Der Effekt ist natürlich genau derselbe, wie bei der entgegengesetzten Annahme. Nur die causa efficiens [wirkende Ursache - wp] erscheint beidemale als eine andere. Die Konsequenz dieser Betrachtung müßte aber natürlich sein, daß auch schon ein bloßes Vorhandensein von Umständen ansich den Erfolg abändern könnte. Das wären dann aber Ursachen, die wirken, ohne selbst eine wahrnehmbare Veränderung zu zeigen, d. h. Ursachen, die keine Ursachen im obigen Sinn sind. Damit wäre der Begriff der Ursache geradezu aufgehoben.

Nun gibt es außerdem zahlreiche Gesetze, die gar keine Berufung auf die Folge oder auf die Ursache enthalten. Der dritte Satz NEWTONs (Reaktionsprinzip) enthält z. B. nur den Ausdruck für die reine Wechselwirkung (44). Zahlreiche Gesetze wie etwas das von AMPÉRE oder das Gesetz der Inkompressibilität oder das der multiplen Proportionen gehen uns zwar an, wie sie wirken, ihre Ursache aber sind uns ganz unbekannt. Auf diese Weise können wir also den ursächlichen Zusammenhang der Erscheinungen, den das Gesetz ausdrücken soll, nicht aufdecken. Die obige (SIGWARTs) Fassung ist jedenfalls zu verwerfen. Übrigens mag beiläufig bemerkt werden, daß dieselbe Schwierigkeit des Ursachenbegriffs sich auch sonst ergibt: vor allem dort, wo es sich um komplexe Erscheinungen handelt, die auf scharfe Begriffe gebracht werden müssen. So besonders im Strafrecht, wo Schuld und Ursache eine sehr große Rolle spielen und eine kasuistische Entscheidung herbeigeführt werden muß, obgleich ihre logische Herausarbeitung nicht eindeutig erfolgen kann. Die Naturwissenschaften bilden in dieser Beziehung keine Besonderheit, sondern sind nur ein Spezialfall der allgemeinen Logik, die sich ursprünglich im bürgerlichen Leben entwickelte (45).

3. So liegt es dann nahe, eine dritte Lösung bezüglich der sogenannten "kausalen Naturgesetze" zu versuchen. Man betrachtet nämlich die einzelnen Glieder jenes Komplexes als Teilursachen oder Bedingungen und das zuletzt eintretende Glied als die eigentliche Ursache, als die Ursache im letzten Sinn. Es könnte das Ganze dann als Auslösungsprozeß bezeichnet werden und sich dahin bestimmen lassen (46):
    "letzte Ursache heißt derjenige Vorgang, der durch den Zeitpunkt seines Hinzutritts zu den übrigen den Zeitpunkt des Eintrittes der Wirkung bestimmt."
Hiermit scheint ja durch die zeitliche Koinzidenz beider Vorgänge eine eindeutige Bestimmtheit des Zusammenhangs gegeben, zumindest soweit es sich um Gesetze der Sukzession [Aufeinanderfolge - wp] handelt. In Wirklichkeit ist das aber wiederum nicht der Fall. Denn auch jene (schon als vorhanden angenommenen) "Umstände" haben ebenfalls eine zeitliche Dauer. Wenn sie aufhörten oder intermittierten [zeitweilig aussetzen - wp], würde auch der Erfolg ausbleiben. Und erst das zeitliche Zusammenfallen sämtlicher Partialursachen mit dem Auslösungsvorgang selbst ist wiederum die Bedingung des Vorganges. Es sind eben zusammengesetzte Prozesse, bei denen es willkürlich ist, welchen man als "zeitlich hinzutretend" ansieht. Für den populären Gebrauch der Sprache wird die obige Charakterisierung übrigens oft genügen. Vor allem für die physiologischen Vorgänge, aber auch für viele psychologischen Erscheinungen betrachtet man die Auslösung, d. h. das letzte hinzutretende Glied tatsächlich oft als "unmittelbare" Ursache eines Vorganges (47). Es wäre das, was man ehedem die Gelegenheitsursache, causa occasionalis, im Gegensatz zur bewirkenden Ursache, causa efficiens, genannt hat. Die Redensart "kleine Ursachen, große Wirkungen" soll offenbar dasselbe besagen. Aber eben diese Erwägungen zeigen deutlich, daß für den Begriff des Naturgesetzes mit jener rein zeitlichen Normierung der Ursache gar nichts anzufangen ist. Gerade die quantitativen Beziehungen und Veränderungen werden durch diese "letzte Ursache" ganz unkenntlich gemacht. Darum kann man diese Formulierung für den Zusammenhang der Naturgesetze nicht gebrauchen.

4. Die letzten Erwägungen führen zu einer neuen Möglichkeit, den Kausalbegriff beim Naturgesetz festzulegen. Man nimmt das Maß der Wirkung zum Maß der Ursache. Dort wo eine äquivalente Änderung durch eine äquivalente Änderung des Antezedens hervorgerufen ist, habe man es mit der Ursache zu tun. Die Äquivalenz sei das Charakteristikum der Kausalität. Der Gedanke hat in der Geschichte der Wissenschaften keine kleine Rolle gespielt. Der Satz causa aequat effectum [Ursache gleich Wirkung - wp] hat zweifellos nicht nur mächtig zum Aufschwung des Energieprinzips beigetragen, sondern sich auch sonst sehr fruchtbar für die Formulierung der Naturgesetze erwiesen (48). Aber wiederum führen die Konsequenzen dieses Gedankens zu großen Schwierigkeiten. Es ist nämlich keineswegs gesagt, daß das als Ursache bezeichnete Glied allein eine äquivalente Änderung hervorzurufen vermag. Das wird nicht nur auf dem Gebiet der Physiologie von Bedeutung, wo gleiche Änderungen durchaus verschiedene Wirkungen auslösen können, es sei an das FECHNER-WEBERsche Gesetz erinnert. Sondern auch ein großer Teil der anderen Naturgesetze hat nur innerhalb bestimmter Grenzen Geltung. Das BOYLE-MARIOTTE'sche Gesetz z. B. gilt für nicht zu stark komprimierte Gase, während die WAALS'sche Gleichung umgekehrt auf stark komprimierte Gase Anwendung findet. Die Gesetze der Gase gelten eben nur innerhalb der Temperaturgrenzen, zwischen denen die spezifische Wärme konstant ist. Auch die Ausdehnung der Flüssigkeiten geht nicht proportional der Wärmezuführung vor sich, sondern erleidet z. B. beim Wasser von 4° ein Minimum, das sich sowohl bei Erhöhung, wie bei Erniedrigung der Temperatur ausdehnt (49). Es lassen diese Grenzen zugleich auf eine Änderung des inneren Strukturzusammenhangs der Körper schließen. Auch auf dem Gebiet der Chemie ist die Äquivalenz von Ursache und Wirkung nur innerhalb bestimmter Grenzen der Temperatur, des Drucks u. a. vorhanden - es sei hier an das GULDBERG-WAAGsche Gesetz der Zuckerinversion u. a. erinnert (50). Die Meinung also, daß in der Gleichung immer die Änderung eines Elements die proportionale Änderung des Ganzen enthalten muß, wäre durchaus irrig. Man wird daraus den Schluß ziehen, daß das hervorgehobene Moment eben nicht die ganze "Ursache" ausdrückt, sondern, daß auch die "Umstände" hinzukomen müssen, um den Effekt hervorzurufen. Oder daß umgekehrt ein Teil der "Ursache" nicht zur Bewirkung der Änderung notwendig ist, sondern latent bleibt. Die moderne Energetik folgert aus letzterem Umstand die Anschauung einer potentiellen Energieaufspeicherung. Bei jeder Energieumwandlung ist allerdings die Quantität der einen Energieform der Quantität der anderen Energieform im Ganzen äquivalent (51). Aber eben die einzelne Beziehung des Gesetzes zeigt dies noch nicht, sondern nur die Umwandlung des Gesamtprozesses. Auch dieses Moment der Äquivalenz genügt demnach im allgemeinen nicht, um den logischen Zusammenhang von Ursache und Wirkung im Naturgesetz zur vollen Deutlichkeit zu bringen. Der heuristische Wert braucht darum dem Gedanken nicht abgesprochen zu werden.

5. So bleibt noch die letzte Möglichkeit übrig, um diese tatsächlich vorhandene Schwierigkeit zu überwinden, die im Begriff des Zusammenhangs der Naturerscheinungen steckt. Man läßt den speziellen Kausalbegriff aus dem Gesetz gänzlich fallen und ersetzt ihn durch den Funktionsbegriff. Damit ist gesagt, daß ein Komplex von Erscheinungen überhaupt abhängig ist von einer Reihe von Bedingungen. Es wird also nur die gesamte Abhängigkeit der Merkmale der Erscheinungen voneinander behauptet. Die Bedingungen in ihrer Gesamtheit sind notwendig und hinreichend, damit sich die Folge erfüllt. Der ganze Komplex von Bedingungen kann man dann als Ursache und die abhängigen als Wirkungen bezeichnen. Das Kausalprinzip besagt ja nur ganz allgemein, daß Erscheinungen voneinander abhängig sind. Es ist oberstes Prinzip der Forschung überhaupt, enthält aber über die einzelnen Beziehungen noch nichts. Die allgemeine Formel solcher Abhängigkeitsbeziehungen, die das Naturgesetz ausdrückt, wäre demnach W = f (U): die Gesamtheit der Variablen ist von Einfluß auf das Ergebnis. Sowohl die Hervorhebung der letzten Ursache, wie das ausschließliche Äquivalenzmoment, wie das Variationsprinzip oder gar die Kräfteannahme werden damit gleichmäßig beseitigt. Eine Erscheinung ist eindeutig bestimmt, wenn die Bedingungen der Reihe nach erfüllt sind. Es wird für den besonderen Fall immer möglich sein, jede der Variablen einzeln als konstant anzunehmen. Dadurch kann man unter den konkurrierenden Elementen jedesmal dem einen den Charakter des ausgezeichneten Gliedes geben (52). Dadurch wird dann auch die Wertigkeit der einzelnen Komponenten für die Gleichung bestimmt. Ein weiterer Vorteil in der Annahme des Funktionsbegriffs besteht darin, daß die Fälle der gegenseitigen Abhängigkeit der Körper bezüglich deren Eigenschaften voneinander, also ihre Wechselwirkung gleichfalls darunter begriffen werden können. Der Druck der Körper aufeinander ist ein solcher gegenseitiger, auch die Lage der Körper im Raum ist voneinander abhängig und dgl. Hier haben wir es, wie schon oben gesagt, überhaupt nicht mit Ursachbeziehungen zu tun: es handelt sich vielmehr um Simultangesetze. Auch ihnen vermag der Funktionsbegriff gerecht zu werden.


b) Die reinen oder abstrakten
Naturgesetze erster Ordnung

Für die begriffliche Feststellung des Naturgesetzes in der jetzigen Form (wonach es also der Ausdruck für den tatsächlichen Funktionszusammenhang von Erscheinungen ist) bleibt allerdings noch einiges übrig. Wir haben uns über die Art der Bedingungen zu verständigen, durch die jener Zusammenhang überhaupt geschaffen wird. Diese Bedingungen müssen selbst noch einer Bedingung unterworfen werden, damit sich der Funktionsbegriff anwenden läßt. Sie müssen selbst eindeutig bestimmt sein. Das geschieht in doppelter Weise. Einmal durch Isolation, d. h. durch die Heraustrennung einer Erscheinung, bzw. einer einzelnen Eigenschaft aus dem Komplex, mit dem sie sich zunächst immer verbunden befindet. Das ist in unseren Beispielen immer stillschweigend vorausgesetzt worden. Diese Isolierung kann von uns zum Teil willkürlich vorgenommen werden. Es ist der besondere Vorzug der experimentellen Wissenschaften und der auf sie aufgebauten Theorie, daß sie jene Isolation in fast idealer Weise wirklich durchführen können, indem sie die Bedingungen eben willkürlich festlegen. Die Elemente sind dann für diesen bestimmten Zweck so einfacher Art, daß unbemerkbare Störungen ausgeschlossen sind. Die beschreibenden Naturwissenschaften (die Biologie u. a.), die wesentlich mit dem gegebenen Befund als solchem hantieren müssen, können die Isolation entweder garnicht willkürlich ausführen oder doch nur in unvollendeter Weise. Das hat natürlich auch seine Folgen für die Fassung der Naturgesetze. Die Methode muß sich dann in der Hauptsache auf die begriffliche Isolation in Gedanken beschränken. Darüber ist hier nicht im Einzelnen zu handeln, da es in die allgemeine Theorie der Induktion gehört. (53)

Zu zweit muß aber für die Fassung des Naturgesetzes von sämtlichen unwesentlichen Merkmalen wie von den Besonderheiten des speziellen Falles abstrahiert werden. Abstraktion ist die Abtrennung der einem Individuum einer Gruppe wesentlichen Eigenschaften von den Eigentümlichkeiten eines jeden einzelnen Individuums. "Wesentlich" sind die gemeinsamen Merkmale, ohne die auch das Exemplar der Gattung nicht sein kann. Abstraktion ist sonach ein logischer Vorgang, der ganz analog der allgemeinen Bildung der Begriffe geschieht (54). Diese Abstraktion können wiederum die experimentellen Wissenschaften in sehr weitgehender Weise vornehmen. Sie haben es ansich schon mit idealen Fällen zu tun. Die beschreibenden Teile der Naturwissenschaften sind weniger glücklich darin, obwohl hier ebenfalls beständig von den unwesentlichen Merkmalen abstrahiert werden muß.

Es ist mit anderen Worten die kombinierte Methode der isolierenden Abstraktion, die zur Konstituierung der Naturgesetze führt. Sie sind niemals aus der Wirklichkeit unmittelbar beobachtet. Die Gesetze der Physik und Chemie bedürfen sogar zu ihrer Durchführung eines sehr künstlichen Apparates. Die reine Beobachtung gibt vielmehr immer nur mittelbar den Anlaß zur Formulierung, bedarf aber ihrerseits einer methodischen Korrektur. Erst durch diese isolierende Abstraktion wird die funktionale Abhängigkeit bloßgelegt und die Eindeutigkeit der Beziehungen hergestellt. Die Wissenschaften, die durch die willkürliche Feststellung der Bedingungen die Methode der isolierenden Abstraktion rein anzuwenden vermögen, können demnach auch die Naturgesetze rein zum Ausdruck bringen.

Daraus ergibt sich nun die wichtige Konsequenz: die reinen Naturgesetze gelten nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen und Bedingungen. Sind diese Bedingungen nicht erfüllt, so kann auch das Naturgesetz zumindest nicht in dieser Form eintreffen. Solange aber die Elemente eindeutig feststellbar sind, solange gilt auch jenes. Es ist also durchaus hypothetischen Charakters. Es sind keine Gesetze der unmittelbaren Wirklichkeit, da hier jene isolierten Phänomene stets mit komplexen Erscheinungen zusammen auftreten. Sie gelten nur weil und solange die Bedingungen gewahrt sind. Selbst das mechanische Äquivalenz hat nur einen konditionalen Sinn. Wenn aus irgendeinem Anlaß diese Energie in eine kinetische umgewandelt wird: dann entsprechen der üblichen Einheit von ihr bestimmt viele Einheiten des Arbeitsmaßes. Über das Eintreten selbst macht aber das Gesetz nichts aus. Diese reinen Gesetze sind allgemeingültig, d. h. sie gelten von derselben Klasse von Erscheinungen in all den Fällen, wo dieselben Voraussetzungen wie die angenommenen vorliegen. Nur unter diesen Momenten treffen sie ausnahmslos zu. So wie aber die isolierende Abstraktion beseitigt ist, oder auch nur dort, wo die Elemente zu komplex sind, als daß sie sich rein und eindeutig bestimmen lassen, kann die Bewährung nicht mehr eintreffen. Die Voraussetzungen z. B., unter denen das Trägheitsgesetz gilt, lassen sich nicht in voller Reinheit und Isolation realisieren. Die Wirklichkeit zeigt Komplikationen, die uns hindern, das Trägheitsprinzip für sich durch die Erfahrung zu betätigen. Ebensowenig gibt es in der Wirklichkeit einen einzigen reversiblen Prozeß; dieser bleibt vielmehr wegen Reibung und Wärmeleitung nur ein Idealfall der Theorie, eine ideale Abstraktion (55). Darum stimmt die beobachtete Wirklichkeit nie ganz mit den reinen Gesetzen überein, da dort eben stets mehrere Gesetze aufeinander wirken. Auch das Energiegesetz ist schon darum ein hypothetisches, weil ja gar kein isoliertes endliches System existiert außer in der Theorie. Die Gesetze bewähren sich also nicht ausnahmslos: die Wirklichkeit bedeutet demnach stets nur eine gewisse "Annäherung" an das Gesetz. Man hat das so ausgedrückt, daß die Wirklichkeit immer nur die "Tendenz" ausdrückt. Die konkreten Fallgesetze, die Regeln des physischen Pendels stimmen mit den reinen Fallgesetzen und denen des mathematischen Pendels nur in der "Tendenz" überein. Die Wirklichkeit kennt gar keine reinen Gesetze. Übrigens sei gleich hier bemerkt, daß z. B. von den Lautgesetzen dasselbe gilt. Nicht die empirischen, sondern die reinen Lautgesetze sind allgemeingültig, während die wirklichen Lautänderungen meist viel komplexer sind (56).

Also nicht die ausnahmslose Bewährung in der Wirklichkeit, sondern ihr Allgemeingültigkeit unter der Annahme selbstgeschaffener Bedingungen gehört zu den konstitutiven Merkmalen des Begriffs der Naturgesetze. Man hat nun diese Naturgesetze, die wir bisher untersucht haben, seit MILL und SIGWART meist als die kausalen bezeichnet - in der Meinung, daß sie die spezifischen Ursachbeziehungen aufzudecken vermöchten. Aber wie wir gesehen haben, ist der Ausdruck mißverständlich und führt zu inneren Schwierigkeiten. Das Kausalitätsprinzip ist oberster Grundsatz wissenschaftlicher Forschung überhaupt. Es liegt allem Erkennen gleichmäßig zugrunde und ist bereits im Moment des Zusammenhangs anerkannt. Zu einer speziellen Erkenntnis der Ursachen reichen aber die Naturgesetze nicht aus. Wir wollen sie darum besser die reinen (idealen) nennen, weil sie unter reinen (idealen) Bedingungen stehen. Man kann sie zweckmäßig als abstrakte Naturgesetze bezeichnen, womit zugleich die Methode ihrer Auffindung wie die Tragweite ihrer Geltung ausgedrückt ist. Wenn wir den Grad ihrer logischen Bedeutung bezeichnen wollen, sind es dem Rang nach Gesetze erster Ordnung.


c) Folgerungen daraus.

Vergegenwärtigen wir uns nochmals die Konsequenzen, die sich aus den Erörterungen ergeben.

1. Die abstrakten Naturgesetze können nicht unter allen Umständen Geltung haben, sondern eben nur unter ganz bestimmten strengen Bedingungen. Sie gelten rein, d. h. unter Annahme einer fingierten Einfachheit, die in der konkreten Wirklichkeit nur ausnahmsweise ganz so rein erfüllt ist, wie die Theorie sie vorschreibt. Sie gelten ferner nur für ein "isoliertes System" von Erscheinungen, zwischen denen sie einen Zusammenhang aufzeigen. Nicht anders wie auch die Begriffe nur Gedankendinge, nur Schemata darstellen, die in der konkreten Wirklichkeit nie rein anzutreffen sind. Es gibt keine Begriffe der Wirklichkeit, sondern nur solche der Abstraktion. Daß diese selbst nur durch Begriffe für uns erfaßbar und mitteilbar ist, ändert nichts an der Tatsache der Gültigkeit der Begriffe im Abstrakten. Darin gleichen sich wiederum Begriff und Gesetz.

2. Für diese bestimmten Bedingungen sind die Gesetze allgemeingültig, d. h. sie gelten für alle Erscheinungen derselben Klasse und der gleichen Art. Damit ist eben implizit auch gesagt, daß die Erfordernisse ihres Eintretens mit den konkreten Verhältnissen im Ganzen selten übereinstimmen. Man kann das in der Sprache der Mathematik auch so ausdrücken, daß die Gesetze nur im Unendlich-Kleinen zu erwarten sind, also nur dann, wenn man sie auf unendlich kleine Zeit- und Raumelemente beschränkt. Denn nur dort sind die Bedingungen wirklich ganz rein erfüllt (57). Es sind also eigentlich Differentialgesetze, während sich die Integralfälle zu speziell und individuell verhalten, als daß sie schon durch Gesetze erklärt werden könnten. Hier handelt es sich vielmehr um Summationsphänomene, die nur selten eine eindeutige Lösung bieten. Die Abweichungen der Wirklichkeit von den Naturgesetzen sind aber ihrerseits wieder ganz bestimmte. Die Naturgesetze enthalten also nicht unbedingte allgemeine Urteile über die Wirklichkeit, wie man gemeint hat (58). Sie bedeuten im Gegenteil nach der Sprache der Schullogik allgemeine hypothetische assertorische Urteile über eine Abstraktion, über ein Gedankending (59). Anders steht es freilich mit der Phoronomie (Kinematik = Bewegungslehre). Sie ist ein Zweig der Mathematik, angewendet auf den Begriff der Bewegung. Die Gesetze der Phoronomie sind wie die der Mathematik von apodiktischer Gewißheit; aber sie sind dafür auch wie diese selbst rein formal und darum nicht eigentliche, reale Naturgesetze, mit denen wir es hier zu tun haben.

3. Diese abstrakten Gesetze erster Ordnung sagen sodann über die Ursachen im letzten Sinn noch gar nichts aus. Wir können wohl den ganzen Komplex von Bedingungen als Ursache bezeichnen, aber nicht das eine Glied als besondere Ursache den anderen Partial-Ursachen gegenüberstellen. Insofern ist die Bezeichnung von Kausalgesetzen spezifischer Art irreführend, wie die vergeblichen Versuche sie zu verdeutlichen wohl gezeigt haben. Ob diese Gesetze die besondere Eigenschaft als "erklärende" besitzen, wird noch auszumachen sein. Aber soweit man dies etwa aus dem Moment der spezifischen Ursachen gefolgert hat, ist die Meinung bereits hier zu verneinen. Daß trotzdem das Erklären auch für die Naturwissenschaften seinen guten Sinn behält, wird sich später nachweisen lassen.

4. Endlich gelten die Naturgesetze auch nur für Erscheinungen gleicher Art, die derselben Klasse angehören, aber nicht auch für solche anderer Art. Andernfalls ist diese Erweiterung ihrer Anwendung besonders nachzuweisen. Allgemeingültig heißt nur "in Anwendung auf die Eigenschaften derselben Klasse". Denn da der Umkreis der Bedingungen, den wir festgelegt haben, ein eng umgrenzter ist, so ist damt auch das Gültigkeitsgebiet festgelegt. Allerdings sind nach dem Charakter der Eigenschaften Unterschiede vorhanden. Es gibt Gesetze von größerer Allgemeinheit und solche von geringerer. Das Brechungsgesetz z. B., wonach sich der Brechungsindex wie die Sinusse der Einfalls- und Brechungswinkel verhalten, gilt ebenso für Licht und Wärme, wie für Schall und Elektrizität in gleicher Weise. Andere Gesetze dagegen gelten nur für einen ganz bestimmten Anwendungskreis. Darüber ist wegen der Wichtigkeit der Sache nachher noch zu handeln (vgl. IIIa). Die Gesetze verhalten sich in dieser Beziehung wie die Begriffe. Je spezieller sie sind, umso enger ihr Umfang, aber umso inhaltsvoller und umso zahlreicher die Merkmale. Umgekehrt sind die Gesetze mit dem weitesten Umfang und dem größten Anwendungsgebiet auch die inhaltsärmsten.

Jedoch ist die Frage nun, ob wir es nur mit dieser einen Art von abstrakten Naturgesetzen zu tun haben oder ob es nicht noch andere gibt und geben kann? Ob nicht auch die konkrete Wirklichkeit, die wir doch zunächst zu betrachten haben, solche Gesetze kennt? Denn in einem großen Teil der beschreibenden Naturwissenschaften lassen sich nicht einmal in der Theorie die Bedingungen so isolieren und die Merkmale so abstrahieren, wie wir bisher angenommen haben. Gibt es auch dort Gesetze und welcher Art sind sie?


d) Komplexe Gesetze und Regelmäßigkeiten

1. Alle bisher betrachteten Naturgesetze galten dort, wo wir es von vornherein mit den allgemeinsten Eigenschaften von Naturgegenständen zu tun haben, oder wo wir uns über die Elemente der Bedingungen vollständig Rechenschaft zu geben vermögen. Das entscheidende Merkmal der Isolation und Abstraktion war dies, daß sich die Bedingungen wie die einzelnen Elemente streng genau und eindeutig angeben ließen. Die Wissenschaften, in denen dies vorzugsweise geschieht, heißen darum die "exakten". Nicht auf die mathematische Formulierung ansich kommt es hierbei an, wie noch zu zeigen sein wird (vgl. IIIb). Die ist vielmehr nur Akzidenz [Merkmal - wp] und Folge, nur eine Konnotation, wenn man in der Sprache der Logik so sagen will (60); sondern eben auf die Genauigkeit der Bestimmungselemente. Aber nur ein ganz beschränkter Teil der Naturwissenschaften ist dieser Bestimmtheit und Streng zugänglich. Wesentlich anders liegen der Natur der Sache nach die Dinge dann, wenn diese Voraussetzungen nicht mehr zutreffen. Wer werden mehrere Fälle unterscheiden können. Das ist einmal dort, wo die Eigenschaften der Gegenstände ansich so wenig eindeutig sind, daß eine genaue Analyse der Elemente auf Schwierigkeiten stößt (unvollkommene Abstraktion). Sodann dort, wo die Bedingungen so kompliziert werden, daß sie sich nicht mehr deutlich isolieren lassen (unvollkomene Isolation). Und endlich kann die willkürliche Beeinflussung der Bedingungen überhaupt ganz ausgeschlossen oder zumindest beschränkt sein (unvollkommene Isolation und Abstraktion). Darum sind die "Naturgesetze erster Ordnung" vor allem der physikalischen Forschung entnommen, wo jene Bedingungen besonders glücklich erfüllt sind. Es werden also logischerweise jene drei Fälle zu unterscheiden sein, die das eine gemeinsam haben, daß eine reinliche Loslösung aus dem Zusammenhang und eine Abtrennung von den Bestandteilen nicht völlig durgeführt werden kann. Dazu noch einige Worte der näheren Erläuterung.

Der erste Fall trifft bei jenem Teil der experimentellen, also willkürlich beeinflußbaren Wissenschaften zu, wo die Bedingungen sich nur unvollkommen abtrennen lassen. Dann dürfte zwar noch völlige Isolation, aber nicht mehr gänzliche Abstraktion vorliegen. Das ist der Fall vor allem bei der Physiologie und dem experimentellen Teil der Biologie. So etwa beim MENDEL'schen Gesetz, wonach die Eigenschaften der Eltern sich in ganz bestimmter Weise auf die Nachkommen vererben. Oder bei den Erscheinungen des Heliotropismus [Hinwendung zur Sonne - wp]. Doch ist es hierbei immer noch möglich, die Bedingungen überhaupt zumindest bis zu einem bestimmten Grad willkürlich zu beeinflussen.

Der zweite Fall liegt dort vor, wo bereits die zu untersuchenden Eigenschaften so kompliziert sind, daß wir die Analyse nicht bis zu Ende führen können. Das wird von einem Teil der psychischen, aber auch der physiologischen und pathologischen Vorgänge gelten. Dann vermögen die Naturgesetze selbst immer nur eine Annäherung an den Idealfall darzustellen.

Anders ist es endlich dort, wo die Bedingungen überhaupt nicht mehr getrennt werden können, sondern stets mit fremden Elementen zusammen auftreten. Dieser Fall liegt bei der Mehrzahl der beschreibenden und systematischen Naturwissenschaften tatsächlich vor. Hier wird es nur indirekt möglich sein, durch die Methode der Vergleichungen und der Unterscheide oder deren Kombination gedanklich die gemeinsamen Bedingungen herauszuarbeiten. So geht zum guten Teil die Biologie vor, so auch Geologie und Meteorologie, so Ozeanographie und systematische Botanik, Anthropologie und anderes mehr (61). Sie finden zwar ebenfalls Gesetze (z. B. Barisches Windgesetz von BOYS-BALLOT). Diese müssen jedoch in höherem Maße der unmittelbaren Wirklichkeit selbst entnommen werden, und die Trennung der Teilfaktoren wird vor allem durch logisches Schließen bewerkstelligt.

2. Auch in diesen Fällen wird sich noch ein Funktionalzusammenhang der Erscheinungen aufzeigen lassen. Aber der Parameter ist hier so groß, daß das Resultat rein kaum gefunden werden kann. Allgemeingültig im strengen sinn sind diese Gesetze ebenfalls, wenn auch die Bedingungen nicht ganz so leicht angebbar sind, wie in den ersteren Fällen. Man hat (nach dem Vorgang JOHN STUART MILLs) diese Gesetze nicht sehr glücklich "empirische Gesetze" genannt. Das will nur besagen, daß sie in stärkerem Maße als die zuerst behandelten der emprischen Wirklichkeit entnommen sind und sich eben nicht abstrakt aufstellen lassen. Ihre Kontrolle muß darum mehr durch ein logisches Verfahren an dieser empirischen Wirklichkeit geprüft werden. Man hat sie dann öfters in einen Gegensatz zu den sogenannten "kausalen Gesetzen" gestellt - offenbar weil man in den letzteren eine unmittelbare Fassung der bewirkenden Ursache zu haben vermeinte. Nach der früheren Auseinandersetzung kann jedoch darin nur ein Gradunterschied erblickt werden, der auf der verschiedenen Analyse der Bedingungen beruth. Bei den ersteren Gesetzen kann diese vollständig durchgeführt werden, bei der letzteren nur annähernd. Daraus ergeben sich dann sachliche und formelle Abweichungen. Es ist gewiß nötig, diese beiden Gruppen von Naturgesetzen zu unterscheiden. Aber der Unterschied beruth weit mehr in der verschiedenen Komplexität der vorhandenen Umstände, als in einem Wesensunterschied der gestellten Aufgabe. Das Wesentliche besteht beidemale in der Durchführung der isolierenden Abstraktion: nur daß diese in der zweiten Klasse von Gesetzen keine völlige sein kann. Auch diese Gesetze gelten nicht in der unmittelbaren Wirklichkeit, sondern nur annähernd im idealen Fall, unter der vereinfachten Annahme idealer Bedingungen, die sich so niemals darstellen lassen. Wir wollen sie als abstrakte Gesetze zweiter Ordnung bezeichnen. Man kann sie zweckmäßig auch die komplexen (bezüglich die nicht-idealen) nennen, im Gegensatz zu den abstrakten der ersten Ordnung. Dagegen wäre es irreführend, sie etwa als abgeleitet zu erklären (62). Es sind eben Gesetze unter "komplexen Bedingungen".

Eine Meinung ging nun dahin, daß man es bei diesen Gesetzen lediglich mit einer "Beschreibung" zu tun hat, d. h. sie enthielten nur einen Komplex von Erscheinungen, die miteinander verbunden sind, ohne daß wir die Ursachen kennen, während die "kausalen Gesetze" die Erklärungen für die Erscheinungen selbst gäben. So sind dann die KEPLERschen Gesetz nur solche empirisch-beschreibende gegenüber dem NEWTON'schen Gravitationsgesetz, das die Erklärung enthält (63). So hätten auch die Fallgesetze nur beschreibenden Inhalt, auch das Gesetz der multiplen Proportionen und überhaupt die meisten Naturgesetze wären danach "beschreibend-empirische". Sie enthalten alle nur "Beschreibungen der Art und Weise, wie sich bestimmte Vorgänge an einzelnen Dinge vollziehen. Aber nach dem vorhin Dargelegten ist es keineswegs richtig, daß wir in den abstrakten Gesetzen, etwa dem Gravitationsgesetz oder einem anderen reinen Naturgesetz, schon über die Ursache etwas erfahren. Auch das sind immer nur Ausdrücke für tatsächlich bestehende Beziehungen. Und dasselbe geben diese komplexen Gesetze zweiter Ordnung wieder, wenn auch in logisch unvollkommener Weise. Sonach ist diese Art der Scheidung nicht haltbar. Sie geht von einer unrichtigen Prämisse aus und sucht in jenen ersteren Gesetzen etwas, was sie gar nicht aussagen können. Richtig ist, daß manche dieser komplexen Gesetze sich als ein modifizierter Spezialfall einer allgemeineren Beziehung darstellt. Damit wird aber keineswegs bei diesen Gesetzen zweiter Ordnung auf die Feststellung des Funktionalzusammenhangs überhaupt verzichtet. Er ist nur eben nicht so einfach verifizierbar.

Auch diese Gesetze enthalten allgemeine Urteile über die ganze Klasse der Erscheinungen d. h. über die Eigenschaften der gleichen Art. Vorausgesetzt, daß richtig beobachtet ist, erwarten wir, daß sie auf die reinen Fälle immer zutreffen. Die Bewährung in der Wirklichkeit hängt wesentlich davon ab, wie weit jene Bedingungen rein erfüllt sein, wie weit unkontrollierbare Faktoren mitsprechen. Wir nennen sie "Gesetze zweiter Ordnung" nach dem Grad der Abstraktion und der Verallgemeinerung, deren sie fähig sind. Das Moment der fingierten Einfachheit läßt sich nur beim Experiment annähernd oder völlig verwirklichen. Bei den komplexen Gesetzen, die weit mehr der Wirklichkeit unmittelbar entnommen sind, wird es meist nur in der Idee darstellbar sein, weil wir eben die Bedingungen nicht mehr völlig beherrschen. Wir nehmen aber an, daß bei gelungener Trennung der Komponenten sich auch der Funktionalzusammenhang ganz rein und eindeutig herstellen würde. Diese Annahme ist eine hypothetische, die nur ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit für sich hat, weil es ja noch nicht gelungen ist, die Elemente wirklich rein darzustellen.

4. Schließlich bleibt auch noch eine dritte Art von Gesetzen übrig, es sind die konkreten Gesetze, die tatsächlich beobachteten Regelmäßigkeiten. Wir müssen ihnen in diesem Zusammenhang einige Wort widmen, weil sie logisch bisher nicht ganz nach ihrer Bedeutung gewürdigt sind. Daß die Physik von besonderem Einfluß auf die Begriffe der Naturwissenschaften wurde, liegt vor allem daran, daß sie die älteste und darum am besten ausgebaut ist: sie hat es relativ mit den einfachsten Problemen zu tun und kann deshalb die weitesten Verallgemeinerungen vornehmen. Darum wurde an ihr gerade die Methodik auch für die übrigen Naturwissenschaften aufgezeigt. Gleichwohl kann die Einseitigkeit dieses Standpunktes nicht gut verkannt werden (64). Denn große Gebiet der Naturwissenschaften weisen doch mit innerer Notwendigkeit andere Wege. Und ein Urteil über das Ganze kann auch selbst aus dem vollendetsten Teil nicht abgeleitet werden. Nun ist es aber sicher, daß in weiten Bezirken des Naturerkennens wir uns nur auf eine Aufzeigung konkreter Gesetzmäßigkeiten und Regelmäßigkeiten beschränken müssen und können. Davon ging ja die positivistische Naturbetrachtung überhaupt ursprünglich aus, daß man Regeln des Geschehens aufstellt, die sich aus der täglichen Erfahrung und aus wiederholten Beobachtungen ergeben hatten (65). Und in der Folge ist es zum guten Teil so geblieben. Es sei an weite Gebiete der Meteorologie, an die Ozeanographie, an die Geologie, vor allem auch an die medizinischen und anthropologischen Disziplinen erinnert. Ein Teil dieser Wissenschaften ist durch die Natur des Objekts darauf angewiesen, abgesehen von der Beschreibung des Seienden, zunächst solche äußeren Regelmäßigkeiten vorzuführen. Diese Art von Betrachtung gilt für alle konkreten Erscheinungen, die den gleichzeitigen Wirkungen mehrerer Gesetze ausgesetzt sind. Dafür einige Beispiel, um die Methode zu verdeutlichen.

Wenn es sich um die Darstellung des Ganges des physischen Pendels handelt, so genügt von vornherein die Theorie des mathematischen Pendels allein nicht: es kommt uns ja gerade auf die Erfassung der vorhandenen Superpositionen (außer Anziehung und Trägheit auch Luftwiderstand und Reibung) an. Man hat auf diese Weise die regelmäßige Abnahme der wirklichen Schwerkraft vom Pol zum Äquator und die entsprechende Abnahme der Länge des wirklichen Sekundenpendels gefunden (66). Oder man untersuchte die Zunahme der Erdtemperatur an verschiedenen Stellen (die sogenannte "geodätische Tiefenstufe") und stellte dabei gewisse Regelmäßigkeiten fest, die auf eine Superposition mehrerer Faktoren schließen lassen (67). Zahlreich sind solche Regelmäßigkeiten auch im Darwinismus behandelt worden. Ja der ganze Beweis Darwins läuft auf die Sammlung von Beobachtungen hinaus, die sich bei der Züchtung von Rassen oder beim Vorkommen von gewissen Tierarten regelmäßig einstellen. Ähnlicher Art waren z. B. die ursprünglichen Beobachtungen ROBERT MAYERs über die intensive Röte des venösen Blutes in den Tropen. In der Meteorologie, vor allem auch in der Klimatologie, spielt die Aufstellung solcher Regelmäßigkeiten eine nicht geringe Rolle. Bekannt ist ferner die TITIUS-BODE'sche Regel über die Abstände der einzelnen Planeten, die sich nach einem ganz bestimmten Zahlenschema ordnen (68). Neuerdings hat man in der Anthropologie gewisse Regelmäßigkeiten im Zusammentreffen einzelner somatischer Eigenschaften mit bestimmten Kulturerscheinungen entdecken wollen und dgl. mehr. Die Zahl solcher Regelmäßigkeiten wirklichen Naturgeschehens ist Legion. Und die wiederholt beobachtete Koexistenz oder Sukzession von Erscheinungen spielte nicht nur in der Geschichte der Naturwissenschaften eine bedeutende Rolle, sondern macht auch jetzt noch einen nicht geringen Teil naturwissenschaftlicher Arbeit aus. Sogar das sogenannte "biogenetische Grundgesetz" bedeutet nur eine solche Regelmäßigkeit, deren häufiges Vorkommen beobachtet ist. Es weist aber durchaus noch keinen direkten Kausal- bzw. Funktionalzusammenhang auf; es sollte darum auch schon äußerlich als "Regel" gekennzeichnet werden (69).

Wir können wohl sagen, daß wir es in allen diesen Fällen mit einer ersten Annäherung an den idealen Fall zu tun haben. Gerade darin beruth aber der logische Wert jener Aufstellungen: vorausgesetzt, daß sie mit hinreichender kritischer Vorsicht geschehen. Sie weisen auf einen entfernten Funktionalzusammenhang und damit auf das Vorhandensein von Naturgesetzen hin. Man ist hier eben nur aus äußeren Gründen noch nicht weiter gelangt, obwohl das Ziel es ist, zur Feststellung des Zusammenhangs vorzugehen. Diesen selbst aufzuzeigen bleibt Sache einer weiteren Analyse. Wir werden dann von Gesetzmäßigkeiten sprechen, wenn solche Regelmäßigkeiten einen statistischen Ausdruck zulassen. Die statistische Methode kann ja ebenfalls, wenn auch nur indirekt, zur Aufstellung von Gesetzen führen. Denn da sie es mit großen Mengen von Untersuchungsgegenständen zu tun hat, so vermag sie dadurch Beziehungen zwischen Merkmalen (bzw. Eigenschaften) aufzudecken, die sonst der Einzelbeobachtung entgehen (70). So etwa bei den Korrelationserscheinungen in der Biologie, wonach die individuellen Variationen eines Merkmals in den meisten Fällen abhängig sind von denjenigen anderer. Man gebraucht wohl öfters schon für solche Regelmäßigkeiten das Wort "Gesetz". Doch es es durchaus nötig, den Sprachgebrauch auch äußerlich scharf zu trennen. Jene Gesetz-, bzw. Regelmäßigkeiten lassen tatsächlich erst indirekt darauf schließen, daß hier nähere Beziehungen vorhanden sind, die das Eintreffen bewirken: diese sind dann in den Spezialgesetzen zu suchen.

Aber die Aufstellung der Regelmäßigkeiten hat unabhängig davon noch eine zweite, nicht weniger wichtige Aufgabe. Weite Strecken der Naturwissenschaften, vor allem diejenigen Teile, die es vorwiegend mit der Beschreibung der Wirklichkeit oder mit deren systematischer Erfassung zu tun haben, werden sich, dem Wesen ihrer Aufgabe entsprechend überhaupt mit diesen Feststellungen begnügen. Sie wollen vor allem die Regelmäßigkeiten selbst darlegen und deuten nur auf die zugrunde liegenden Gesetze als deren Ursache hin. Besonders auch die Gebiete, die sich der statistischen Methode bedienen, machen davon Gebrauch. Denn diese Methode dient ja zunächst wirklich nur der Beschreibung: sie will z. B. die Kenntnis der wirklich existierenden Gleichheit und Verschiedenheit in der For der Spezies ermitteln und dgl. Daneben gibt es aber noch andere Gebiete und Methoden, denen es auf die Darlegung des Tatsächlichen ankommt. Denn da auch die Erfassung der Wirklichkeit ein Geschäft naturwissenschaftlicher Erkenntnis ausmacht, so hat schon darum die Aufzeigung von solchen konkreten Regelmäßigkeiten eine nicht geringe Bedeutung. Die Wirklichkeit als solche zeigt keineswegs nur einmalige individuelle Erscheinungen, sondern ebenso oft Wiederholungen und gesetzmäßiges Verhalten, Typen und Regelmäßigkeiten. Ihnen kommt folglich auch logisch und methodologisch neben den eigentlichen Naturgesetzen ein besonderer Platz zu. -

Wir werden also die "komplexen Gesetze" zweiter Ordnung als eine Abart der reinen oder abstrakten Gesetze erster Ordnung betrachten dürfen. Sie sind weniger scharf und weniger zuverlässig, unterscheiden sich aber von jener strengen nicht der Art, sindern nur dem Grad nach. Prinzipiell stehen sie mit ihnen auf einer Stufe. Dagegen sind die konkreten Regelmäßigkeiten wirklich wesensverschieden zu betrachten, wenn ihnen auch ansich eine große Bedeutung zueignet.
LITERATUR Franz Eulenburg, Naturgesetze und soziale Gesetze, Archiv für Sozialwissenschaft und Politik, Bd. 31, Tübingen 1910
    Anmerkungen
    37) d. h. auch "nach denselben Beobachtungsmethoden"; vgl. HELMHOLTZ, Einleitung in die Vorlesungen über theoretische Physik (hg. von KÖNIG und RUNGE, 1903, Seite 27. - Eine dogmenkritische Auseinandersetzung würde freilich zeigen, daß dieselben Forscher öfters an verschiedenen Stellen etwas Begrifflich-Verschiedenes darunter verstehen; so auch HELMHOLTZ, der bald allgemeine Regelmäßigkeit bald einen strengen Zusammenhang der Erscheinungen in Grund und Folge meint. Die Darstellung "Gesetz" bei EISLER, Wörterbuch der philosophischen Begriffe, Bd. I, 1910, Seite 423-28 gibt nur unzusammenhängende Zitate; TÖNNIES, Philosophische Terminologie in psychologisch-soziologischer Ansicht, 1906, behandelt den Begriff nicht. Als Darstellung, außer den Systemen der Logik von SIGWART und WUNDT, kommt vor allem NEUMANN, Naturgesetz und Wirtschaftsgesetz, Tübinger Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1892, Seite 405-475 in Betracht. Dieser verdienstvolle Aufsatz, der auch die naturwissenschaftliche Seite ausführlich behandelt, macht aber eine erneute dogmatische Untersuchung nicht überflüssig. Die Resultate der folgenden Arbeit weichen in wesentlichen Punkten von denen NEUMANNs ab, da eben inzwischen manche Grundauffassung eine andere geworden ist. Das schließt die Anerkennung seiner Leistung nicht aus. Von einer Polemik mit abweichenden Anschauungen wird absichtlich meist Abstand genommen.
    38) HELMHOLTZ, Über das Ziel und die Fortschritte der Naturwissenschaft, in "Vorträge und Reden I", 1896, Seite 375. - Ähnlich B. RIEMANN, Gesammelte Werke, 1876, Seite 489: "Naturwissenschaft ist der Versuch, die Natur durch genaue Begriffe aufzufassen."
    39) Noch ROBERT MAYER identifizierte durchaus Ursache mit Kraft; vgl. die Stelle bei MACH, Die Prinzipien der Wärmelehre, 1896, Seite 247. Sodann auch RÜMELIN in einem viel beachteten Aufsatz "über Soziale Gesetze" (Reden und Aufsätze I, Seite 3f): "Gesetz ist der Ausdruck für die konstante Wirkungsweise von Kräften". Dagegen sieht NEUMANN, a. a. O. Seite 409 schon von den Kräften ganz ab.
    40) Hierzu HELMHOLTZ, Einleitung zu den Vorleseungen über theoretische Physik, Seite 12. HELMHOLTZ, Vorträge und Reden I, Seite 375: "Kraft ist nur das objektivierte Gesetz der Wirkung". - Wie sehr aber auch die modernen Naturforscher dem alten Wortgebrauch unterliegen, zeigt z. B. VOLKMANN, Erkenntnistheoretische Grundzüge der Naturwissenschaften, 1910, der zwar diesen geläuterten Kraftbegriff anerkennt, gleichwohl aber Seite 279 erklärt: "Die Natur, das Naturgeschehen, das Walten natürlicher Kräfte ist ein mit Notwendigkeit ablaufender äußerer Mechanismus". Das ist alte naive Metaphysik und wirft die eigenen erkenntnistheoretischen Darlegungen vollends über den Haufen. Es kann bestenfalls nur eine facon de parler [bloße Redensart - wp] sein. - Übrigens findet sich auch bei HELMHOLTZ selbst eine auffallende Zwiespältigkeit der Auffassung. HELMHOLTZ bleibt im Verlauf seiner Ausführungen keineswegs bei jenem phänomenologischen (nominalistischen) Standpunkt stehen, sondern kommt oft wieder zu einer transzendenten Realität des Kraftbegriffs: er ist ihm doch ein bestimmter Hinweis dafür, daß eine reale Einheit hinter der Kraft steckt. - WILHELM ROUX endlich will den Ausdruck Gesetz ganz vermeiden und durch "beständige Wirkungsweise" ersetzen. Er sagt (Archiv für Entwicklungsmechanik I, Seite 4): "Die aus den Eigenschaften der Komponenten folgenden, also mit Notwendigkeit sich ergebenden beständigen Wirkungsweisen in den Gleichförmigkeiten der Natur werden gewöhnlich Naturgesetze genannt". Also statt "Brechungsgesetz des Lichts" lieber "Wirkungsweise der Lichtbrechung". Diese Betrachtung schein nicht ratsam und wird sich kaum durchsetzen.
    41) JOHN STUART MILL, System der induktiven und deduktiven Logik (in der Übersetzung von SCHIEL), 3. Buch, Kapitel 8-9; JEVONS, Leitfaden der Logik (übersetzt von KLEINPETER), 1906, Seite 258f.
    42) SIGWART, Logik II, Methodenlehre, 1905, Seite 497. Sein Beispiel vom Ton, der durch das Anschlagen des Klöppels (Ursache) an einer ruhenden Glocke (Bedingung) hervorgerufen wird, genügt freilich nicht, um kompliziertere Zusammenhänge aufzustellen.
    43) SIGWART, Logik II, Seite 496. - Auch WILHELM ROUX, a. a. O., Seite 15) will die "Vorbedingungen" und die "spezifischen Ursachen" im Gesetz auseinanderhalten; aber er ist doch im Übrigen sehr kritisch und betrachtet diese Ursachenerklärung nur für eine vorläufige.
    44) vgl. VOLKMANN, Grundzüge, Seite 396; MAXWELL, Substanz und Bewegung, 1881, Seite 45
    45) Darüber KRIES, Über den Begriff der objektiven Möglichkeit, 1888, besonders Seite 20-65 - eine der wenigen Untersuchungen, die den logischen Prozeß des Urteilens und Schließens außerhalb der Naturwissenschaft, vor allem im Rechtsleben behandeln. Gerade diese Untersuchungen zeigen klar, daß es sich um dieselben logischen Operationen handelt. Über die angegebenen Schwierigkeiten des Kausalbegriffs vgl. ENRIQUES, Probleme der Wissenschaft, 1910, Bd. 1, Seite 210-214.
    46) ALOIS HÖFLER, Zur gegenwärtigen Naturphilosophie (Abhandlungen zur Didaktik und Philosophie der Naturwissenschaften, Bd. 1, 1906, Seite 79). Daß Simultangesetze von dieser Bestimmung überhaupt nicht getroffen werden, sei nur nebenbei bemerkt; es zeigt zugleich aber, daß die Bestimmung ansich zu eng ist.
    47) Dazu PETZOLDT, Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung, Bd. 1, 1900, Seite 26
    48) Der Satz findet sich in der modernen Fassung wohl zuerst bei LEIBNIZ; vgl. HAAS, Die Entwicklungsgeschichte des Satzes von der Erhaltung der Kraft, Seite 31-35, wo die Stellen sehr sorgsam aufgezeigt sind. Bekanntlich hat ROBERT MAYER von jenem Grundsatz der Äquivalenz von Ursache und Wirkung aus zum Teil das Prinzip a priori abgeleitet (vgl. die Darstellung bei MACH, Prinzipien der Wärmelehre, Seite 247). Auch OSTWALD sieht gerade darin den Kern des Kausalprinzips; allerdings gibt er ihm sofort einen ganz konkreten, energetischen Inhalt. Er erklärt (OSTWALD, Naturphilosophie, Seite 296): "Es geschieht nichts ohne eine äquivalente Umwandlung eines oder mehrerer Energieformen in andere". - Der Sachverhalt auch richtig bei NATORP, Die logischen Grundlagen der exakten Wissenschaften, 1910, Seite 353, der es freilich zu einem speziellen Zweck, der Apriorität des Kausalgesetzes, benutzt. - Übrigens scheint auch PLANCK, Acht Vorlesungen über theoretische Physik, 1910, Seite 10 einer aprioristischen Fassung des Prinzips zuzuneigen (Näheres unter IIId).
    49) Der Grund ist, daß mit steigender Temperatur nicht immer die Wärmekapazität steigt; vielmehr bleibt sie bei manchen Gasen in weiten Grenzen konstant; bei Wasser nimmt sie erst bei 30° ab, bei Quecksilber dauernd etc. Vgl. EDUARD von HARTMANN, Die Weltanschauung der modernen Physik, 1902, Seite 68.
    50) Wonach die in der Zeiteinheit investierte Zuckermenge der in Lösung befindlichen proportional ist. - Vgl. im Ganzen dazu SIGWART, Logik II, Seite 504, wo allgemein gezeigt wird, daß die Wirkung der Ursache weder gleich noch ähnlich zu sein braucht.
    51) Mit Recht hat DRIESCH darauf hingewiesen, daß logisch betrachtet, "potentielle Energie" nur ein Hilfsbegriff ist, um eben die Äquivalenz rechnerisch durchzuführen; vgl. HANS DRIESCH, Naturbegriffe und Naturureile, 1904, § 82, Seite 54-55.
    52) Dazu im Ganzen ERNST MACH, Analyse der Empfindungen, Seite 74-78; MACH, Prinzipien der Wärmelehre, Seite 433; MACH, Erkenntnis und Irrtum, Seite 278.
    53) VOLKMANN, "Erkenntnistheoretische Grundzüge" hat zwar den Begriff der Isolation gefaßt, aber er hat weder die Konsequenzen gezogen, noch auch hat er ihn ganz durchdacht. Darum ist auch seine Fassung des Naturgesetzes unklar geblieben. Es sagt Seite 79: "Gesetz ist der kürzeste allumfassendste Ausdruck für etwas, was innerhalb eines größeren Erscheinungsgebietes, ja unter allen Umständen geschehen muß". Es ist daraus nicht ersichtlich, daß das Naturgesetzt 1) nicht auf ein größeres Gebiet, sondern auf eine, durch die Eigenschaften begrenzte Klasse von Erscheinungen anwendbar ist; 2) eben nicht unter allen Umständen, sondern nur unter ganz bestimmten gelten kann.
    54) Vgl. JEVONS, Leitfaden der Logik, Seite 298. Die logische Methode der Abstraktion nach Umfang und Tragweite ist gerade für die Naturwissenschaften bisher nicht scharf genug analysiert worden; vgl. die oben gemachten Bemerkungen bei HELMHOLTZ; auch VOLKMANN, Seite 150f.
    55) MAX PLANCK, Acht Vorlesungen über theoretische Physik, 1910, Seite 20 und 105.
    56) DELBRÜCK, Das Wesen der Lautgesetze (Annalen der Naturphilosophie, Bd. 1, Seite 294.
    57) PLANCK macht (Vorlesungen über theoretische Physik, Seite 97) mit Recht auf eine Einschränkung aufmerksam. Die Voraussetzung nämlich für die Methode der Zerlegung der Prozesse in die kleinsten Teile ist natürlich, daß durch die Teilung der Charakter des Ganzen nicht verändert ist. PLANCK zeigt nun, daß bei irreversiblen Prozessen, wegen der Hypothese der elementaren Unordnung, die als Vorbedingung für die Existenz der Entropie gilt, jene Voraussetzung nicht erfüllt ist. - Im Ganzen siehe MACH, Wärmelehre, Seite 466; richtig auch NEUMANN, a. a. O., Seite 414.
    58) RICKERT, Über die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, Seite 67. Auch die Energiekonstanz hat keine Evidenz a priori und keine apodiktische Gewißheit, vgl. von HARTMANN, Weltanschauung der modernen Physik, Seite 13; dazu unter IIId.
    59) Sie können bejahend und verneinend sein, da es mitunter von Wichtigkeit sein muß, auch das Fehlen eines Zusammenhangs nachzuweisen.
    60) Unter "Konnotation" versteht man (seit Mill) Momente und Eigenschaften, die zwar noch nicht selbst in eine Definition hineingehören, aber doch ein wesentliches Stück des Begriffes mitenthalten, und meist schon aus jener unmittelbar folgen. So ist hier die Mathematik erst die Folge der Exaktheit der Bedingungen, unter denen Isolation und Abstraktion vorgenommen werden; vgl. auch IIIb, Anmerkung 85.
    61) Über die Unzulänglichkeit der rein vergleichenden Methode in der Zoologie, aber auch die Schwierigkeiten der experimentellen handelt WILHELM ROUX, a. a. O., Seite 11f. Er betrachtet Mißbildungen, Variationen und pathologisches Geschehen als "Naturexperimente".
    62) Die Scheidung NEUMANNs, a. a. O., Seite 410 in abgeleitete und elementare Gesetze scheint mir nicht durchführbar und mehr verwirrend als klärend zu sein. Erstere hätten es (wie die Fallgesetze, die der Planetenbewegung) mit den Folgen, letztere mit den Ursachen (Anziehung und Trägheit) zu tun. Das aber ist der alte Kraftbegriff, der da mithineinspielt. - Unsere Bezeichnung "komplexe Gesetze" schließt sich auch äußerlich dem Wortgebrauch an und trifft zugleich den Kern der Sache.
    63) So SIGWART, Logik II, Seite 803. - So SIMMEL, Philosophie der Geschichte, 1907, Seite 84f, dessen Ansichten überhaupt von den hier vorgetragenen wesentlich abweichen.
    64) vgl. HELMHOLTZ, Vorträge und Reden II, Seite 168; VOLKMANN, a. a. O., Seite 20. - Die methodologischen Fragen in den anderen naturwissenschaftlichen Disziplinen werden weit seltener unbefangen behandelt; in Betracht kommen etwa NÄGELI, Mechanisch-physiologische Theorie der Abstammungslehre, 1884, Anhang Seite 555-680 ("Die Schranken der naturwisenschaftlichen Erkenntnis"); WILHELM ROUX, a. a. O., Seite 1-38. Sonst geschieht die Erörterung meist zu einem ganz ausgesprochenen, meist vitalistischen Zweck; so PAUL COSSMAN, Elemente der empirischen Teleologie, 1899; HANS DRIESCH, Naturbegriffe und Natururteile, 1904. - SIGWART enthält darüber gar nichts.
    65) Nur beiläufig sei daran erinnert, daß jede "Erfahrung" bereits ein rationales Moment, die verstandesmäßige Bearbeitung von Eindrücken, Erlebnissen Empfindungen enthält.
    66) Auf dieses Beispiel weist auch NEUMANN, a. a. O., wiederholt hin.
    67) Ausgeführt z. B. von VOLKMANN, a. a. O., Seite 158 für Königsberg.
    68) Darüber VICTOR GOLDSCHMIDT, Über Harmonie im Weltraum, in den "Annalen der Naturphilosophie", Bd. V, 1906, Seite 52f. Auch diese nennt man wohl öfters irreführend "Gesetze".
    69) Vgl. hierzu ROUX, Gesammelte Abhandlungen I, 1895, Seite 446, II. Seite 62-72. Weniger genau VERWORN, Allgemeine Physiologie, Seite 211f.
    70) vgl. DUNCKER, Methode der Variationsstatistik, Archiv für Entwicklungsmechanik, Bd. 8, 1899, besonders Seite 162-167.