ra-2SchmeidlerWindelbandOtto Hintzevon RümelinGeorg von Belowvon Sybel    
 
KARL LAMPRECHT
(1856 - 1915)
Was ist Kulturgeschichte?
[2/2]

"Nun erfolgt ein längeres Hin und Her von Vergleichen zwischen den Dingen und den Begriffen und eine Ummodelung dieser im Sinne der Dinge, bis eine Identität beider erreicht zu sein scheint. Ist aber diese Identität nun wirklich errungen? Die Begriffe spiegeln in Wirklichkeit niemals die Dinge absolut objektiv wieder; ihr Zusammenhang bleibt immer eine subjektive Nachbildung der Erscheinungen, soweit unsere Denkgesetze das zulassen. Werden nun die Begriffe und ihre Verbindungen bei diesem Charakter den Erscheinungen ganz gerecht?"

II.

Mit den letzten Worten sind wir dem Problem von Freiheit und Notwendigkeit in der Geschichte näher getreten. Es ist unumgänglich, ihm in diesem Zusammenhang einige weitere Worte zu widmen: denn es muß im Verlaufe der Geschichte selbst das Gegenbild und damit die Legitimation des Nebeneinanders der beiden Methoden aufgesucht werden, von denen bisher die Rede war.

Man kann zunächst eine spekulative Behandlung des Problems unterscheiden und eine praktische. Die spekulative hat der Regel nach zum Determinismus, zur Anerkennung einer absoluten Kausalität geführt. Ist nun einer solcher Determinismus religiöse gewandt, sieht er mithin im Willen des Menschen nichts anderes als den Ausfluß einer göttlichen Weltordnung, so kann dieser Wille an sich nicht unsittlich sein: und das Aufgeben er Antinomie zwischen Freiheit und Notwendigkeit erregt von dieser Seite her keine praktischen Bedenken. Darum hat sich ein solcher Determinismus, namentlich wenn er wie bei AUGUSTIN oder LUTHER dogmatisch gefärbt war, geschichtlich außerordentlich lange erhalten. Ist dagegen mit der Annahme einer absoluten Kausalität das religiöse Element nicht unmittelbar verbunden, so entstehen Schwierigkeiten, gleichviel ob man mit KANT die Apriorität des Kausalbegriffs oder mit dem humeschen Empirismus seine Entwicklung aus der Assoziation der Vorstellungen annimmt. Denn immer erscheint das moralische Bedenken, da neben einer solchen Kausalität eine Freiheit des menschlichen Willens, eine Selbstverantwortung, ja eigentlich ein Selbstbewußtsein nicht gedacht werden könne. KANT hat diese Schwierigkeiten bekanntlich dadurch zu beseitigen gesucht, daß er den Willen nicht als eine der Kausalität unterworfene Erscheinung, sondern als ein "Ding ansich" betrachtete und demgemäß jede Willenshandlung, soweit sie eine Äußerung eines intelligiblen Vermögens sei, unter den Gesichtspunkt der reinen Selbstbestimmung brachte. Es ist nicht meines Amtes und Vermögens, diese Auffassung zu kritisieren. Daß sie nur als inhärenter Bestandteil des KANTschen Systems, ja auch nicht einmal als solcher haltbar sei, scheint festzustehen. (1) Für uns wichtig ist sie aber immerhin, weil sie, wenn auch in vielfach modifizierter, gesteigerter oder abgeblaßter Form, in das System der individualistischen Geschichtsauffassung übergegangen ist. So bei RANKE (2), so auch bei DROYSEN, der mit FICHTE von der königlichen Vollfreiheit des sittlichen Menschen redet. (3)

Demgegenüber scheint mir für die Geschichtswissenschaft als eine empirische Disziplin der richtigte Standpunkt damit gegeben, daß man die Antinomie zwischen Notwendigkeit und Freiheit, wie sie praktisch offenbar besteht, auch einfach anerkennt.

Gewiß gilt ja für die Wissenschaften überhaupt grundsätzlich die Annahme der absoluten Kausalität in dem Sinne, daß für sie das Bedürfnis vorhanden ist, überall da, wo die ständige Verbindung zweier Erscheinungen notorisch ist, aus dieser Verbindung auf ihre Notwendigkeit zu schließen und diese Notwendigkeit in Grund und Folge auszudrücken. Ja, es besteht auch weiter die Forderung, alle Erscheinungen, bis zur Herstellung völlig widerspruchsloser Zusammenhänge, einem solchen Verfahren des Schlusses zu unterwerfen. Aber andererseits ist ebenso klar, daß noch längst nicht alle Erscheinungen diesem Schluß unterworfen worden sind, noch auch unterworfen werden können, geschweige denn, daß man aus untergeordneteren Schlüssen schon immer höhere abgeleitet und somit zunächst einmal wenigstens die Erscheinungen  einer  Disziplin einer einzigen obersten Kausalität unterworfen hätte. Selbst für die fortgeschrittenste vielleicht aller Wissenschaften, für die Mechanik, ist das nicht der Fall; am allerwenigsten aber für die Geisteswissenschaften. Und hier wieder ist die Anwendung einer absoluten obersten Kausalität gerade für die Geschichtswissenschaft noch in weitester Ferne. Ihre heutigen Vertreter brauchen sich deshalb noch nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, ob diese weiteste Ferne tatsächlich Unendlichkeit ist oder nicht, sie können sehr wohl mit einer relativen Kausalität rechnen: vorausgesetzt nur, daß sie fort und und fort das eifrigste Bestreben bezeigen, die historischen Erscheinungen soweit als möglich kausalen Schlüssen unterzurordnen.

Damit bleibt dann der Freiheit, d. h. der nicht erweisbaren oder wenigstens nicht völlig erweisbaren Kausalität, für die Geschichtswissenschaft praktisch noch ein sehr weiter Spielraum. Das aber freilich muß bei dieser Anerkenntnis vorausgesetzt werden, daß sie historisch als nichts anderes betrachtet werde, denn als eine Weise des Handelns unter nicht völlig ins Evidente zu setzenden kausalen Anstößen: mögen diese Anstöße nun außerhalb des Handelnden liegen oder mögen sie in der Art seiner Persönlichkeit, seines Verantwortungsbewußtseins usw. ihre Erklärung finden. In diesem Sinne wird der Historiker den Worten WINDELBANDs (4) zustimmen müssen: "Wenn Freiheit die Selbstbestimmung des vernünftigen Charakters ist, so ist sie eben darum keine willkürliche, ursachlose und zufällige, sondern eine gesetzmäßige und notwendige Entscheidung. Wenn wir einen Menschen wüßten, der das Ideal der inneren Freiheit vollkommen erreicht hätte, so würden wir gerade seine Entscheidung für jeden gegebenen Fall mit absoluter Sicherheit voraussagen können."

Mit dieser Auffassung wird sich die Geschichtswissenschaft und gerade der individualistische Zweig derselben, umso mehr zu befreunden haben, als der ihm zugrunde liegende innere Determinismus im Gegensatz zur absoluten Freiheit der reinen Willkür, d. h. also die Auslese aus den dem Individuum zuströmenden kausalen Motivationen, insofern sie durch das Bewußtsein vermöge der für dieses Bewußtsein geltenden Eigenschaften geregelt ist, eine zentrale Lehre der neueren Psychologie ist. Schon SCHOPENHAUER hat das Motiv die durch das Erkennen hindurchgegangene Kausalität genannt (5), denselben Standpunkt mit Rücksicht auf die hier zur Erörterung stehende Frage hat z. B. DROBISCH in seinem Buch über die moralische Statistik und die menschliche Willensfreiheit eingenommen; und die neuere Psychologie als exakte Wissenschaft von den Gesetzen des Seelenlebens führt erst recht auf diese Anschauungen. Seitdem nicht bloß die äußeren Willenshandlungen, sondern vor allem auch die inneren Willenshandlungen und die die äußere Handlung vorbereitenden Bestandteile des Willensvorgangs genauer untersucht worden sind, seitdem man ferner den engen genetischen Zusammenhang der Trieb- und der Willkürhandlungen beobachtet hat, kann vom früher angenommenen Willensvermögen im Sinne eines willkürlichen Wahlvermögens der Seele nicht mehr die Rede sein (6): der Begriff der Freiheit hat dementsprechend keine Verwandtschaft mehr mit dem der Zufälligkeit; er bedeutet nur noch die Freiheit der Überlegung, d. h. die Fähigkeit, die in einem bestimmten Augenblick vorhandenen Motivationen zu erkennen und unter ihnen gemäß dem Charakter des eigenen Bewußtseins, also in einer durch die innere Kausalität gegebenen Richtung, die Entscheidung zu treffen. (7)

Es ist ein äußerst wichtiges Zusammentreffen und bedeutet meines Erachtens die tiefere psychologische Grundlegung der individualistischen Richtung der Geschichtswissenschaft, daß diese Lehren mit dem übereinstimmen, was bei Historikern über die innere Motivation persönlicher Handlungen eigentlich schon immer, wenn auch nicht mit der Klarheit der heutigen experimentellen Psychologie, als herrschende Anschauung vorgetragen worden ist. In der Tat ließ hier die empirische Praxis von jeher kaum eine andere Wahl, als die Annahme eines inneren Determinismus, wollte man überhaupt den Zusammenhang des geschichtlichen Geschehens herstellen. Das hat selbst KANT anerkannt, sobald er historisch zu denken versuchte, indem er in seiner "Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht" (1784) trotz seiner sonstigen Lehren über Willensfreiheit ausführt, daß man bei geschichtlichen Untersuchungen einer praktischen Auffassung folgen müsse, "was man sich auch in metaphysischer Hinsicht für einen Begriff von der Freiheit des Willens machen möge." Und ebenso tritt bei RANKE, trotz einiger Hinneigung zu den metaphysischen Lehren der Idealphilosophie (8), im ganzen dennoch die praktische Auffassung im schon erörterten Sinne hervor. (9)

Dieses Ergebnis, daß die historische Praxis einen, wenn auch roh umschriebenen Begriff des inneren Determinismus viel früher besaß, als die Psychologie ihn im einzelnen feststellte und ausarbeitete, ist nicht ohne allgemeines Interesse. Es zeigt, daß bei aller Fühlungnahme mit den allgemeinen erkenntnistheoretischen und psychologischen Lehren die Einzelwissenschaften doch gut tun, ihre Grundbegriffe zunächst aus sich selbst heraus zu entwickeln. Gewiß werden diese Begriffe dann zunächst etwas logisch Rohes behalten und nicht frei sein von zufälligen Ingredienzien [Zutaten - wp]. Aber das kann die Einzelwissenschaften von der Aufgabe, sie zunächst zu entwickeln, nicht entbinden. Erst danach, nachdem hier die gröbste Arbeit getan ist, wird es Aufgabe der höheren Integration der (nicht spekulativen) Philosophie sein, diese Begriffe mit denen verwandter Wissenschaften zu vergleichen und auch sonst mit besonderen Hilfsmitteln zu raffinieren: worauf dann deren präzisere Benützung durch die Einzelwissenschaften wiederum weitere Fortschritt bringen mag. Nicht einseitige Beeinflussung also, sondern ständige Wechselwirkung erscheint hiernach als das richtige Verhältnis der Philosophie zu den einzelnen Wissenschaften.

Man muß sich das vergegenwärtigen, will man auch den Charakter der Notwendigkeit, des Kausalen, in der historischen Wissenschaft völlig verstehen. Das abstrakte Kausale muß natürlich begrifflich von reinster und präzisester Wirkung sein. Wirkungen der Art kommen nun aber in den Einzelwissenschaften fast gar nicht vor. Fast stets ist hier zunächst die eine ursächliche Wirkung durch andere konkurrierende Wirkungen so kompliziert, daß man sie nicht völlig isolieren kann. Außerdem ist aber die Summe der Bedingungen für irgendeine Wirkung ja im Grunde identisch mit dem unendlichen Kausalzusammenhang aller Dinge überhaupt, "da nicht bloß alle Nebenumstände, unter denen eine Ursache wirksam wurde, sondern auch die weiter zurückliegenden Ursachen, aus denen sie entsprang, zu dieser Summe gehören." (10) Wer will also die Wirkung völlig richtig bestimmen, da es unmöglich bleibt, alle ihre Ursachen vollständig aufzuzählen? Die Darstellung eines lückenlosen Kausalzusammenhangs ist beinahe eine Unmöglichkeit. Mit Recht hat daher HELMHOLTZ einmal geäußert, daß der Beweis des Kausalnexus ein sehr schwacher sein würde, wenn er aus der Erfahrung gezogen werden sollte. Aus dieser Lage ergibt sich nun zunächst ganz allgemein für alle Einzelwissenschaften die Notwendigkeit, den Begriff der Ursache auf die nächstliegenden Verursachungen zu begrenzen. Die ferneren Ursachen erscheinen dann als nur noch allgemeine Bedingungen, die fernsten endlich werden in der Aufzählung ganz übergangen. Das damit eingeschlagene Verfahren ist natürlich willkürlich. Aber es ist bei der unendlichen Verflechtung der Kausalzusammenhänge kaum vermeidlich. Höheren Anforderungen, die auf die Aufhellung wenn nicht aller, so doch möglichst vieler Gründe Aufhellung wenn nicht aller, so doch möglichst vieler Gründe hinauslaufen, kann aber gerade hier die historische Disziplin noch am allerehesten genügen: freilich nicht insofern sie Wissenschaft, sondern insofern sie Kunst ist. Der künstlerischen Darstellung des Geschehenen kann es durch geschickte Anordnung und Auswahl des zu Erzählenden gelingen, der unendlichen Komplikation der Ursachen und der wiederum verursachenden Wirkungen so nahe zu kommen, wie es keinerlei Art rein wissenschaftlicher Erörterung vermag: und eben darum ist sie in einem solchen Fall wissenschaftlicher als die Wissenschaft selbst. Sie kann das unter Umständen sogar unter positiven Fehlern sein, unter notorischem und beabsichtigtem Abweichen von gewissen positiv feststehenden Details des Geschehenen.

Es ist hier zu bedenken, daß der Gegensatz zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Reproduktion der Erscheinungen überhaupt nicht ein so absoluter ist, wie man sich das gewöhnlich vorstellt. Zwar ist es jetzt ein Vulgärsatz geworden, daß für das wissenschaftliche Erkennen Phantasie ebenso nötig sei, wie für die künstlerische Wiedergabe. Aber worin besteht nun die Tätigkeit gerade der wissenschaftlichen Phantasie? Sie bringt an die Erscheinungen gewisse Begriffe heran, von denen sie annimmt, daß sie ihrem Zusammenhang adäquat sein müßten. Nun erfolgt ein längeres Hin und Her von Vergleichen zwischen den Dingen und den Begriffen und eine Ummodelung dieser im Sinne der Dinge, bis eine Identität beider erreicht zu sein scheint. (11) Ist aber diese Identität nun wirklich errungen? Die Begriffe spiegeln in Wirklichkeit niemals die Dinge absolut objektiv wieder; ihr Zusammenhang bleibt immer eine subjektive Nachbildung der Erscheinungen, soweit unsere Denkgesetze das zulassen. Werden nun die Begriffe und ihre Verbindungen bei diesem Charakter den Erscheinungen ganz gerecht? Das wäre eben jetzt in Beziehung auf die Kausalität zu untersuchen.

Da ist es dann zunächst bekannt, daß sich innerhalb der physikalischen und chemischen Welt in der Praxis stets eine Abweichung des tatsächlichen Verlaufs irgendeines Erscheinungszusammenhangs vom mathematischen Kalkül ergibt. Das gilt sogar von der Mechanik; auch hier besteht z. B. eine qualitative Differenz der Wirkung bestimmter Ursachen je nach der von LOTZE sogenannten Spontaneität der Elemente (12). Diese Differenz drückt sich darin aus, daß die vereinte Wirkung verschiedener Ursachen nicht völlig identisch ist mit der Summe der einzelnen Wirkungen, sondern etwas Neues, über diese Summe hinausgehendes Verschiedenartiges darstellt. (13) Dieser Rest kann bei Aufrechterhaltung des Postulats einer absoluten Kausalität nur durch unsere ungenügende Bekanntschaft mit allen Ursachen, mithin durch eine Unzulänglichkeit unseres bisherigen kausalen Denkens gegenüber den Erscheinungen erklärt werden. (14)

Nun wiederholen sich aber diese Tatsachen der unterpsychischen Welt, die uns hier ja nur vergleichsweise interessieren können, in der Welt der Geisteswissenschaften im allerverstärktesten Maße. Hier werden im Laufe jeder psychischen Entwicklung, mag sie nun individueller oder genereller Art sein, logische, ästhetische, ethische, wirtschaftliche Werte erzeugt, die in der ihnen zukommenden spezifischen Qualität in der Gesamtsumme der übersehbaren Wirkungen ansich nicht enthalten sind, (15) mithin nicht als Wirkungen im Sinne des gewöhnlichen, einseitig vom Standpunkt quantitativer Betrachtung des gewöhnlichen, einseitig vom Standpunkt quantitativer Betrachtung aus formulierten Kausalitätsgesetzes aufgefaßt werden können. WUNDT hat diese Erscheinung speziell für die Geschichtswissenschaft unter dem Gesetz der historischen Resultanten zusammengefaßt. (16) Nach ihm ist jeder einzelne, in einem engeren oder umfassenderen Begriff zu verbindende Inhalt der Geschichte die resultierende Wirkung aus einer Mehrheit geschichtlicher Bedingungen, mit denen er derart zusammenhängt, daß in ihm die qualitative Natur jeder einzelnen Bedingungen nachwirkt, während er doch zugleich einen neuen und einheitlichen Charakter besitzt, der zwar durch die historische Analyse aus der Verbindung jener geschichtlichen Faktoren abgeleitet, niemals aber aus ihnen durch eine a priori ausgeführte Synthese konstruiert werden kann. Hiermit hängt es zusammen, wenn die Kausalverbindung geschichtlicher Ereignisse niemals in dem Sinne, wie das auf dem Gebiet der Naturwissenschaftenzu geschehen pflegt, durch ein progressives Verfahren mit Sicherheit hergestellt werden kann, sondern nur durch einen Schluß von der Wirkung her. Freilich ist aber damit nun absich noch keinerlei teleologische Charakterisierung verbunden, wie man auf den ersten Blick wohl meinen möchte. Diese kommt erst hinzu durch die eventuelle Aufnahme einer Wertbestimmung. "Denn Zweck ist nur derjenige Erfolg aus vorhergegangenen Bedingungen, dem irgendein Wert zugeschrieben wird, so daß der Erfolg eben dieses Wertes wegen als der bezweckte anzusehen ist". (17) Gewiß aber ist, daß das Gesetz der historischen Resultanten ganz besonders stark auch für bewußt umgekehrte subjektive Kausalitäts-, d. h. Zweckverbindungen und hier vor allem wieder für historisch besonders eminente, große Zwecke gilt. In dieser teleologischen Umgestaltung hat es WUNDT schon früher einmal (18) besonders scharf als "Prinzip der Heterogonie der Zwecke" [Zwecke aus sich verändernden Motiven - wp] formuliert. (19)

Sieht man aber auch ganz von den Übergängen der psychischen Kausalität in psychische Teleologie ab, so bleibt für die Geschichtswissenschaft bestehen, daß in ihrer spezifischen Kausalität ständig mit der Heterogonie der Wirkungen gegenüber den Ursachen gerechnet werden muß und daß mithin in ihr nur der Schluß von der Wirkung auf die Ursache mit allen seinen Unsicherheiten zulässig ist. Das ist ein Satz, von dem wir später für die Charakteristik zulässig ist. Das ist ein Satz, von dem wir später für die Charakteristik der kulturgeschichtlich möglichen Methoden und Ergebnisse wiederholt werden Gebrauch zu machen haben. (20)


III.

Es ist oben ausgeführt worden, daß die individualistische Anschauungsweise in der Geschichtswissenschaft als konstituierende Begriffe eigentlich und ursprünglich nur die Einzelpersonen und die Gesamtheit aller Menschen kennt. Dazwischen unterscheidet sie wohl noch die Staaten, diese ergeben sich aber als einfache, vermöge der Vertragstheorie gewonnene Summationen der Einzelpersonen.

Für die kollektivistische Anschauung dagegen in der reinsten grundsätzlichen Form sind die Menschen, abgesehen von den eminent historischen Personen, deren individuale Leistungen weit über die generischen ihrer Genossen hinausragen, nur Gattungsbegriffe und als das eigentlich und vornehmlich Lebendige an ihnen erscheinen ihre natürlichen Verbindugnen in Familie, Geschlecht, Genossenschaft, nationalem Staat.

Es versteht sich, daß ich bei dieser Darlegung des Wesentlichen der beiden Auffassungsweisen von keinerlei konkreter Geschichtsschreibung rede, sondern nur von Strömungen innerhalb der Geschichtswissenschaft, welche ihren  grundsätzlichen  Exponenten nach die angeführten Eigenschaften besitzen.

Nun war die individualistische Strömung zuerst auf dem Platz und so wurden ihrem Charakter entsprechend die großen historischen Konzeptionen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschaffen: Personengeschichte, Staatengeschichte, Menschheitsgeschichte. Von der Personengeschichte ist hier nicht weiter zu reden; ich habe früher gelegentlich angedeutet, inwiefern sich in der Biographie ein Umschwung ins Evolutionistische vollzogen hat (21): freilich immer noch unter der Voraussetzung, daß das persönliche Selbstbewußtsein der Hauptsache nach bei weitem mehr sei, als der bloße kontinuierliche Zusammenhang einer Reihe psychischer Aktualitäten.

Was aber ist aus der Staaten- und Menschheitsgeschichte geworden? In der vollen Verurteilung der Menschheitsgeschichte geworden? In der vollen Verurteilung der Menschheitsgeschichte sind die neueren Historiker einig. SCHÄFER meint (22), die Vorstellung, daß es eine Geschichte der Menschheit in zusammenhängender Entwicklung gäbe, stehe mit den überlieferten Tatsachen in unlösbarem Widerspruch. LORENZ spricht von einer "sonst sogenannten Weltgeschichte" und läßt "die Menschheitsgeschichte in den Kreisen der Gelehrten längst ausgerungen haben". (23) Das Erscheinen von RANKEs Weltgeschichte hat an diesen Urteilen nichts geändert.

Bei LORENZ erfahren wir auch, warum es der Menschheitsgeschichte so schlecht gegangen ist. Ihm geht die innere Geschichte einer Staatsentwicklung auf in die äußere. Er findet, die auf das Diplomatische gerichtete moderne historische Forschung bringe immer mehr zur Evidenz, "daß die inneren Staatsvorgänge Exponenten der äußeren Machtentwicklung sind und daß Verfassungsfragen (andere innere Frage kennt er an dieser Stelle nicht) ähnlichen Gesetzen folgen, wie die Reflexerscheinungen in der Natur" (24). Indem nun so das staatliche Geschehen in die singulären Handlungen der Staatsmänner nach außen hin als in ihr Wesentliches aufgeht, kann natürlich die Menschheitsgeschichte nur auf der inneren Verflechtung dieser äußeren Aktionen beruhen. Aber ebenso ergeben sich dann Schwierigkeiten. (25) Ansich ist freilich an der Möglichkeit einer grenzenlosen Weltgeschichte in diesem Sinne nicht zu zweifeln. Aber die staatlichen Aktionen nach außen tragen dafür tatsächlich nicht weit genug. "Je mehr die Grenzen erweitert werden, desto geringer wird der Zusammenhang der Begebenheiten, welche aufeinander Einfluß gewonnen haben. Schließlich findet man immer einen Punkt, wo die auf den Staat bezüglichen Handlungen gewisser Gruppen von Menschen gar keine kausale Beziehung zu anderer Menschen Tun und Lassen mehr haben": und mit der Menschheitsgeschichte hat's ein Ende.

Man sieht: die Menschheitsgeschichte ist auch nach LORENZ ansich ein ganz vernünftiges Postulat. Aber sie kann vom Standpunkt einer individualistischen Staatengeschichte, die als Wesentliches der Geschichte nur die singulären äußeren Staatsaktionen anerkennt, nicht entwickelt werden. So liegt der Fehler nicht in der Menschheitsgeschichte, sondern im Charakter der Staatengeschichte.

Das ist dann auch schon früh dunkel empfunden worden. Die Geschichtsphilosophie schon des vorigen Jahrhunderts hat von der äußeren Staateneinwirkung grundsätzlich bereits abstrahiert und vom Gesichtspunkt des damaligen noch sehr engen geschichtlichen Horizonts die Weltgeschichte vielmehr als eine Aufeinanderfolge kultureller Auswirkungen konstruiert, wobei Germanen, Römern, Griechen, Orientalen usw. jeweils eine besondere historische Funktion nach irgendeiner Seite des Zivilisationsbereichs hin beigelegt wurde, die Griechen etwa als Künstler, die Römer als Juristen, die Germanen als Denker par excellence auftraten. Und LORENZ ist einer solchen Auffassung, die die Auswirkung des Menschheitsideals nach seinen verschiedenen Seite hin sukzessiv im Verlauf der Abfolge der Nationen annimmt, trotz seiner harten Kritik der Weltgeschichte nicht gänzlich abgeneigt. (26) "Kann man sich von der Vorstellung einer genetischen Entwicklung der Menschheit nicht lieber ganz befreien, so mag man zu einem System von Stufen und Vorstufen gelangen, in welchem die Griechen und Römer irgendwo ihr universalhistorisches Unterkommen gefunden zu haben pflegen. Aber schließlich muß auch diese Auffassung der Dinge dazu führen, die Vervollkommnung, die Vollendung der staatlichen Verhältnisse des Altertums in die moderne Zeit zu verlegen" (27). Und man kann LORENZ diese Stellung nicht verargen, sieht man alle wichtigen Kompilaoren auch unter den kollektivistischen Empirikern, von WACHSMUTH bis auf HENNE AM RHYN, dieselben Wege wandeln, (28) findet man sogar bei älteren kollektivistischen Theoretikern wie COMTE und BUCKLE im wesentlichen die gleiche Grundanschauung.

Nun ist aber klar, daß, indem man die Weltgeschichte in einer Reihe von Kulturzeitaltern anschaut, man den individualgeschichtlichen Standpunkt eines weltgeschichtlichen Zusammenhangs durch rein äußere staatliche Machtwirkungen hindurch schon verlassen hat. Das Kriterium der Kultur, das hier in den Mittelpunkte der Anschauung tritt, ist grundsätzlich nicht von äußeren staatlichen Machtwirkungen abhängig, auch nicht als deren innere "Reflexerscheinung". Es erwächst vielmehr außerhalb des Staates; es ist ein Produkt der menschlichen Vergesellschaftung überhaupt, vor allem der natürlichsten, der nationalen. Hat etwa die griechische Kultur der griechischen Staatswesen, noch dazu in ihrer bloß äußeren Auswirkung, hat sie gar etwa des nationalen Staates als Einheit bedurft, um zu einem außerordentlichen geschichtlichen Agens zu werden, das sie noch heute ist?

Konnte man trotzdem dergleichen Kulturauswirkungen sich noch lange an den Staat geknüpft denken und nicht an die menschliche Vergesellschaftung überhaupt und damit vor allem an die Nation, so liegt der Grund in folgendem. Die Nation ist, weil auf natürlicher Abstammung aller ihrer Angehörigen beruhend oder beruhend gedacht, die oberste soziale Vereinigung von Natur wegen. Der Staat seinerseits ist diejenige soziale Organisation, der sich in einem großen Bereich alle anderen gesellschaftlichen Organisationen ein- und unterordnen: er ist die oberste soziale Vereinigung von Kultur wegen. Da nun so Staat und Nation von verschiedenen Gesichtspunkten aus die obersten sozialen Vereinigungen sind, so besteht da, wo sie zusammenfallen, die eigentlich organische, reguläre Entwicklung. Dies ist in der Tat auch das Gewöhnlich: und so können Staat und Nation, bald zu Recht, bald zu Unrecht, leicht miteinander verwechselt werden. Im oben betrachteten Fall liegt eine Verwechslung zu Unrecht vor.

Für uns aber ergibt sich aus alledem positiv: die weltgeschichtliche Entwicklung, die nun einmal ein absolutes Postulat unseres Denkens bleibt wie der Begriff der Menschheit selbst, ist alsbald auf das einfachste vorstellbar, sobald man nicht individualistisch die Staaten, sondern kollektivistisch die Nationen zu ihren Trägern macht. In der Tat ist das bereits in den Anfängen kollektivistisch-historischen Denkens, von HERDER z. B., gefühlt worden. Dementsprechend war es auch schon früh möglich, die Geschichte einer Nation nicht bloß auf dem Weg der Darstellung der äußeren Politik, sondern auch auf dem Weg vergleichender Darstellung mit korrelaten nationalen Entwicklungen universalgeschichtlich zu bearbeiten: mit Rech sagt in dieser Hinsicht GIESEBRECHT von NIEBUHR, daß er und die Leser mit ihm, in seiner Geschichte Roms die Weltgeschichte durchleben. (29) Allein was noch fehlte, das war der Begriff des Genetischen in anderer, als der isolierenden und individualisierenden Form LEIBNIZens. Der Gedanke mußte gefaßt werden, die Nationen als Exemplare eines generellen nationalen Typs zu begreifen mit regulär wiederkehrenden Momenten der Entwicklung und die weltgeschichtliche Entwicklung mußte dann in die Abfolge derjenigen Momente gelegt werden, welche über die regulären Formen dieser nationaltypischen Entwicklung hinaus die einzelnen Nationen auszeichnen.

Zu seiner solchen Auffassung konnten Anfänge erst gelegt werden, nachdem seit LIST und HILDEBRAND mindestens die Lehre von den wirtschaftlichen Entwicklungsstufen ausgebildet worden war. Sie mußte dann einen wesentlichen Impuls erhalten durch die aus der richtig begriffenen Lehre DARWINs zu ziehenden Analogien. Sie ist noch heute keineswegs völlig entwickelt. Beiträge zu ihrer Durchbildung werden im folgenden da und dort geliefert werden.

Als in dieser Richtung ins Gemeinbewußtsein gedrungen darf indes heute wohl doch schon der Gedanke gelten, daß es nicht richtig sei, das deutsche Mittelalter in vollinhaltliche Parallele mit der Neuzeit der westeuropäischen Nationen und dem klassischen Altertum zu stellen, wie es die individualistische Geschichtsauffassung gelehrt hat, daß vielmehr dem deutschen Mittelalter ein römisches und griechisches Mittelalter (etwa die Zeit HOMERs) mit analogen Erscheinungen entspreche. Ist dieser Gedanke angenommen, dann versteht es sich von selbst, daß die geschichtlich gut beleuchteten Partien der griechischen und römischen Geschichte als Folgezeiten der enstprechenden Mittelalter mit unserer Neuzeit parallelisierte werden müssen: und ist dann dieser Schritt getan, so ergibt sich die typische Vergleichung der Entwicklungsstufen verschiedener Nationen als eine nicht mehr abzuweisende Folge. Sie durchzuführen, erscheint jetzt als nächste Aufgabe für eine Neubegründung weltgeschichtlichen Verständnisses.

Inwiefern diese möglich ist, darüber habe ich gelgentlich einige Andeutungen gegeben. (30) Ich möchte an dieser Stelle im Interesse der hier einzuhaltenden Disposition nicht weiter gehen. Nur kurz sei darum ausgeführt, daß es sich beim Vergleich der typischen Entwicklung der einzelnen Nationen vor allem um die Ausscheidung derjenigen Einflüsse bei jeder einzelnen handeln wird, die ihr von außen her vermittelt worden sind: womit dann zugleich die weltgeschichtlichen Zusammenhänge klargelegt werden. Solche Einflüsse können nun entweder auf zeitlichem oder auf räumlichem Import beruhen und sie können entweder dauernden oder vorübergehenden Charakters sein. Auf zeitlichem Import über mehrere Jahrhunderte oder gar Zeitalter hinweg beruhen die Renaissancen; auf räumlichem Import aus gleichzeitigen Kulturen anderer Völker beruhen Erscheinungen, die ich, wenn sie vorübergehenden Charakters sind, Rezeptionen, wenn sie dagegen, wie meistens bei hoch entwickelter Kultur, dauernden Charakters sind, Endosmosen [Austausch von außen nach innen - wp] nennen möchte. Die Endosmosen sind dann meist zugleich mit Exosmosen [Austausch von innen nach außen - wp] verbunden: d. h. die Beeinflussung ist eine gegenseitige, diosmotische.

Wollte man nun in die durch diese Formulierungen angeregten Untersuchungen genauer eintreten, so müßte man vor allem auf dem Weg der Vergleichung feststellen, welches die typischen Voraussetzungen der Renaissancen, Rezeptionen, Diosmosen sind. Es sind Aufgaben, die uns hier fern liegen. Hier kommt es nur noch darauf an, zu erweisen, daß im regulären Fall alle diese Formen weltgeschichtlicher Beeinflussungen auch wirklich nachweisbar sind und ferner, daß sie die typische Entwicklung der Nationen nicht wesentlich alterieren: denn nur wenn dieser Nachweis möglich ist, ist es denkbar, eine nationale Entwicklung durch Isolierung so ans Licht zu stellen, daß ihr Vergleich mit anderen nationalen Entwicklungen möglich und damit der Typus der nationalen Entwicklung überhaupt erkennbar wird.

Nun sind aber diese Nachweise leicht zu führen. Gibt es eine Geschichte der italienischen, deutschen, französischen Renaissance, eine Geschichte der französischen Beeinflussung Deutschlands, der deutschen Beeinflussung Frankreichs, so ist mit diesen Tatsachen der Beweis geliefert, daß Inhalt und Form weltgeschichtlicher Einflüsse für sich nachweisbar, also zu isolieren sind. Und läßt es sich überall begründen, daß ein gesundes und kräftiges Volk nur dann weltgeschichtliche Einflüsse aufnimmt, wenn seine eigene Entwicklung in den Anfang eines Reifestadiums eingetreten ist, das der Kulturhöhe der aufzunehmenden Einflüsse entspricht, so ist damit erwiesen, daß diese Einflüsse die nationale Entwicklung nicht umstoßen, sondern unter nur leichter Ablenkung nur deren natürlichen Gang allenfalls zu beschleunigen, jedenfalls aber zu bereichern imstande sind.

Und darin in der Tat scheint mir denn auch ein wesentliches Moment weltgeschichtlichen Zusammenhangs zu beruhen, daß junge, werdende Nationen im Verlauf ihres Entwicklungsgangs die wichtigsten Errungenschaften alternder oder schon abgestorbener Nationen in sich aufnehmen, um sie, gleichsam von allen zufälligen Schlacken der bisher durchlaufenen individuellen Ausbildung gereinigt, späteren Nationen zu noch höherer Integration zu überliefern.

Doch wir lassen diesen Faden fallen. Als voll erwiesen entnehmen wir den bisherigen Ausführungen nur den Satz, daß als reguläre Träger der weltgeschichtlichen Entwicklung und damit als wichtigste Grundlage der Menschheitsgeschichte wie der Geschichte überhaupt die Nationen anzusehen sind: nur in ihnen lebt sich der größte Entwicklungstypus menschlichen Daseins vollständig aus. Dieses Dasein aber wird umso einheitlicher erscheinen, wenn die Nation zugleich Grundlage eines Staates ist; notwendig indessen ist diese Verbindung mit einen einheitlichen Staatskörper nicht. Staaten, welche nur nationale Splissen [Tauwerk, Verflechtungen - wp] umfassen, mögen gelegentlich eine hohe Kultur in sich bergen und gewaltige Wirkungen nach außen ausüben: typische Träger der weltgeschichtlichen Entwicklung sind sie nicht. Weltreiche endlich, die mehrere Nationen in sich bergen, kommen universalgeschichtlich vor allem als Schauplätze der regsten nationalen Diosmosen in Betracht.
LITERATUR Karl Lamprecht, Was ist Kulturgeschichte?, Beitrag zu einer empirischen Historik, Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, Neue Folge, Bd. 1, Freiburg/i.Br. und Leibzig, 1897
    Anmerkungen
    1) Vgl. zu alledem WUNDT, LOGIK I, Seite 553
    2) Vgl. z. B. die in meinem Buch über alte und neue Richtungen in der Geschichtswissenschaft, Seite 29, angeführte Stelle aus dem Vorwort zum Wallenstein, G. W. 23, Seite 1
    3) LEOPOLD RANKE, Historik, Seite 34
    4) WILHELM WINDELBAND, Die Lehren vom Zufall (1870), Seite 14 und 15. Die beiden Sätze hier umgestellt.
    5) ARTHUR SCHOPENHAUER, Die Welt als Wille und Vorstellung I, Seite 138
    6) Vgl. z. B. WUNDT, Grundriß der Psychologie, Seite 228f
    7) Vgl. WINDELBAND, Die Lehre vom Zufall, Seite 11
    8) siehe etwas weiter oben
    9) Vgl. meine Alten und neuen Richtungen, Seite 27f
    10) WILHELM WUNDT, Logik I, Seite 597
    11) Vgl. über dieses Verfahren z. B. bei der Mechanik und Physik WUNDT, Logik 2, Seite 391f
    12) Vgl. LOTZE Logik, Seite 350f; auch WUNDT Logik II, Seite 439f
    13) So JOHN STUART MILL, Logik I, Seite 432f, bei BERNHEIM, Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaft, Seite 127.
    14) Ob aber bei dieser Betrachtung nicht das qualitative Moment jedes Kausalzusammenhangs auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaften (man denke z. B. an die chemischen Eigenschaften zusammengesetzter Körper gegenüber ihren Komponenten) vernachlässigt ist, das kann hier nur im Sinn einer Frage angedeutet werden.
    15) WILHELM WUNDT, Logik II, 2, Seite 274
    16) WUNDT, a. a. O. (1895), Seite 408
    17) WUNDT, LOGIK II, 2, Seite 281
    18) WUNDT, System der Philosophie, Seite 337
    19) BERNHEIM hat, Geschichtsphilosophie und Geschichtswissenschaft Seite 126f, versucht, das Problem der Willensfreiheit ganz zugunsten des tieferen der heterogenen Wirkung psychischer Verursachungen aus der historischen Betrachtung zu eliminieren. Dieses Verfahren wäre nur zulässig, wenn heteropathische [andersleidende - wp] Gesetze nicht auch auf dem Gebiet der Naturwissenschaften begegneten, ja gerade hier zuerst festgestellt worden wären. Im übrigen steht wohl nichts im Weg, diese Gesetze auf dem einen wie auf dem anderen Gebiet als Ausdruck einer Unfertigkeit unseres kausalen Denkens zu betrachten (siehe Seite 93)
    20) Mit diesem Satz hängt zusammen, was WUNDT, Logik II, 2, Seite 100f, trefflich ausführt: Während die exakteren Naturwissenschaften fast vollständig deduktiv geworden sind und dies werden konnten, weil sie im letzten Grund auf Hypothesen über das Substrat der Erscheinungen und auf hypothetisch-axiomatische Prinzipien aufgebaut sind, werden die Geisteswissenschaften niemals der induktiven Grundlegung entbehren können. Diese wird zugleich umso umfassender, die induktiven Bestandteile der Interpretation nehmen einen umso größeren Raum ein, in je weiterem Umfang die der psychologischen Analyse vorausgehende vergleichende Methode zu Rate gezogen und für die besonderen Zwecke ausgebildet wird. Gerade das ist aber die Tendenz, die sich unverkennbar allmählich von den sozialen auch auf die historischen Wissenschaften auszubreiten beginnt. Während daher die Naturwissenschaften immer mehr einer deduktiven Entwicklung zustreben, suchen umgekehrt die Geisteswissenschaften induktiver zu werden. Ein Historiker, der die Ereignisse nach bestimmten ihm vorliegenden Zeugnissen schildert und aus den aufgrund dieser Zeugnisse angenommenen Motiven der handelnden Individuen ableitet, verfährt, abgesehen von der vorausgehenden philologischen Untersuchung der Quellen, vollständig deduktiv. Ein Historiker dagegen, der mittels einer umfassenden Erwägung materieller und geistiger Vorbedingungen und Zustände ein Ereignis zu verstehen sucht, bedarf umfassender Induktionen.
    21) Alte und neue Richtungen, Seite 9
    22) Geschichte und Kulturgeschichte, 1891, Seite 57
    23) Geschichtswissenschaft I, Seite 181, 79; vgl. auch Seite 36.
    24) Geschichtswissenschaft I, Seite 215. Freilich klagt er melancholisch, daß "das große historische Gesetz der Wechselwirkung der äußeren und inneren Staatsverhältnisse dem heutigen Theoretiker nicht selten viel unverständlicher zu sein scheine, als es bereits MACCHIAVELLI gewesent ist." Allerdings sind seit MACCHIAVELLI Fortschritte gemacht worden. Und ein so vollkommen moderner Empiriker wie HANS BLUM meint (Das Deutsche Reich zur Zeit Bismarcks, Seite 445): "nicht bloß für die innere Entwicklung des Reiches, auch für die auswärtige Politik erweist sich die Haltung der Reichtagsmehrheit oft von ausschlaggebender Bedeutung."
    25) Vgl. OTTOKAR LORENZ, Geschichtswissenschaft I, Seite 189
    26) Ähnlich dachte RANKE, vgl. Deutsche Geschichte, Gesammelte Werke 4, zitiert in Alte und neue Richtungen, Seite 76
    27) Geschichtswissenschaft I, Seite 102-103
    28) JODL, Kulturgeschichtsschreibung, 1878, Seite 109
    29) Historische Zeitschrift, Bd. 1, Seite 10
    30) Alte und neue Richtungen, Seite 79