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Allgemeine Psychologie [ 2 / 2 ]
2. Kapitel Über das Verhältnis zwischen physischen und psychischen Tatsachen 1. Der Zusammenhang des Physischen mit dem Psychischen und die Erfahrung darüber Wir haben uns vergegenwärtigt, daß die natürliche, ungezwungene und vortheoretische Auffassung der Wirklichkeit zwei Hauptarten des Wirklichen unterscheiden läßt: das Physische und das Psychische. Diese beiden Arten machen zusammen das Ganze der uns empirisch gegebenen Welt aus. Nun lehr es schon die Erfahrung des Lebens, daß diese beiden Tatsachengebiete nicht beziehungslos nebeneinanderstehen, sondern daß sie augenscheinlich auf das innigste miteinander verbunden sind. Und zwar ist es nach allem, was wir darüber wissen, bekanntlich das Gehirn, von wo aus die Verbindung am unmittelbarsten vom Physischen zum Psychischen hinüberführt. Die Erfahrungen, die uns das bezeugen, sind im allgemeinen heute ebenso wohlgesichert als jedermann bekannt. Zum Gehirn leiten sämtliche Sinnesorgane auf ununterbrochene Bahnen ihre Erregung, wenn wir von den uns umgebenden physischen Dingen eine Wahrnehmung erhalten; vom Gehirn wiederum geht die Erregung aus, um sich auf anderen Bahnen zu den Muskeln fortzupflanzen, wenn wir willkürlich unsere Glieder in Bewegung setzen. Zwischen dem Gewicht (dasselbe absolut und relativ zum Gesamtkörpergewicht genommen) des Gehirnes und der Oberflächenentwicklung seiner grauen Rinde einerseits, der Intelligenz und Intensität des geistigen Lebens andererseits, zeigt sich nicht nur im Vergleich verschiedener Tierarten untereinander und mit dem Menschen, sondern auch innerhalb der Menschheit eine unverkennbare Proportionalität. Verletzungen und krankhafte Vorgänge im Gehirn gehen in der Regel Hand in Hand mit deutlichen Störungen des psychischen Lebens und dieses Zusammengehen ist teilweise so prägnant, daß es im Verein mit dem physiologischen Experiment, sowie der anatomischen und entwicklungsgeschichtlichen Untersuchung zur Kenntnis der näheren Zuordnung einzelner psychischer Funktionen zu gut abgegrenzten Teilen der Großhirnrinde geführt hat. So ist es gelungen, die Lokalisation des Sehzentrums im Hinterhauptlappen, die des Hörzentrums im Schläfenlappen, die des Riechzentrums in den Riechwindungen, der Hakenwindung und dem Ammonshorn, die des Tast- und Bewegungszentrums im Scheitellappen festzustellen, und die funktionelle Beziehung, in der gewisse Teile der Stirnwindungen zum Sprechen und Verstehen der Worte stehen, aufzudecken. Auch sogenannte Assoziationszentren, also Rindenpartien, die mit der Verarbeitung des von den Sinne gebotenen Materials betraut wären, hat man mit mehr oder weniger Sicherheit angenommen und abgegrenzt, sowie schließlich überhaupt eine kaum mehr zu übersehende Fülle von Einzeldaten über die einschlägigen Fragen aufgesammelt. So brauchen wir uns heute nicht einmal mehr mit dem allgemeinen Satz begnügen, daß Gehirn und Bewußtsein in inniger Beziehung zueinanderstehen, sondern wir vermögen bereits bestimmte psychische Funktionen, wie etwa Sehen, Hören, mit dem physischen Funktionieren bestimmter Hirnteile in Verbindung zu bringen. Daß wir über die nähere Natur dieses physischen Funktionierens des Gehirns und der Nervensubstanz überhaupt vorläufig nur die allgemeine Behauptung aufstellen können, daß es in einem chemischen Vorgang besteht, im übrigen nur einiges von den Bedingungen der Erregung, der Fortpflanzung und ihrer Geschwindigkeit, den elektrischen Begleitvorgängen kennen, das hindert keineswegs daran, die Behauptung vom nächsten Zusammenhang zwischen Hirnfunktion und Bewußtseinsleben für eine der bestgesicherten unseres Wissens zu erklären. über die Natur dieses Zusammenhangs. Welcher Art ist nun aber dieser Zusammenhang? Eine Frage, die nicht nur für die Endergebnisse der beiden daran zunächst beteiligten Einzelwissenschaften, der Physiologie und der Psychologie, sondern für die Erkenntnis des Menschenwesens, ja die Gestaltung unseres Weltbildes von größter Bedeutung ist. Die Frage ist übrigens kaum aufgeworfen und verstanden, so gibt uns jeder Laie auch schon die Antwort darauf: kein anderer Zusammenhang ist es, als der von Ursache und Wirkung. Das gilt ihm geradezu als selbstverständlich. Wenn das Licht auf das Auge, der Schall auf das Ohr eindringt und sich die Reizung des Sinnesorgans durch den Nerven auf das Gehirn fortpflanzt, so ruft sie dann die Licht-, die Schallempfindung hervor: der physische Vorgang im Gehirn ist Ursache der (psychischen) Empfindung; und umgekehrt, wenn ich meinen Arm bewege, um etwa jemanden in der Entfernung ein Zeichen zu geben, so bewegt sich der Arm, weil ich es will, genauer, weil ihm vom Gehirn aus durch den Nerven die Erregung zufließt und diese entsteht, weil ich den Arm bewegen will: der (psychische) Willensakt ist Ursache des physischen Vorganges im Gehirn. Also Physisches und Psychisches in "Wechselwirkung" das ist seit den ältesten Zeiten die Meinung fast der ganzen Menschheit, die Lehre philosophischer Systeme und weltbeherrschender Religionen, die Anschauung des gemeinen Mannes, die sich ihm ganz unwillkürlich und von selbst ergibt. Und in der Tat, auch die Wissenschaft hätte alle Ursache, sich ihr ohne weiteres anzuschließen, wie es ja bereits vielfach, nur nicht allgemein und endgültig, geschehen ist. Denn überall, wo sie sonst Zusammenhänge der geschilderten Art zu beobachten in die Lage kommt, wird sie Verursachung anzunehmen nicht erst viel besinnen. Hier aber hat die Annahme des Kausalverhältnisses mit fortschreitender Entwicklung unseres Denkens und der Naturerkenntnis so gewichtigen Widerspruch erfahren, daß es nicht möglich ist, sie ungeprüft zu lassen und von den anderen denkbaren Annahmen über die Natur dieses Zusammenhangs abzusehen. So wollen wir uns dann die eingangs aufgeworfene Frage neuerdings vorlegen und uns zunächst ganz allgemein darüber orientieren, was für Möglichkeiten überhaupt offen stehen, unter denen die der Wirklichkeit entsprechende als Antwort auszuwählen wäre. Von all den vielen Relationen, die es überhaupt gibt, kommen nur solche in Betracht, die eine notwendige Verbindung statuieren. Denn daß der Zusammenhang zwischen Physischem und Psychischem in der Natur der Sache begründet ist, die Gehirnfunktion mit dem Bewußtseinsakt nicht zufällig, sondern notwendig zusammentrifft, darüber gibt es keinen Streit. Da es sich ferner um notwendige Verbindung im wirklichen Geschehen handelt, so lassen sich leicht alle die spezielleren Gestaltungen dieser Relation überblicken, die überhaupt in Betracht kommen können. Es sind notwendige Aufeinanderfolge (Sukzession) und notwendige Gleichzeitigkeit (Koexistenz) der beiden Glieder, die in Verbindung miteinander stehen, also des psychischen und des ihm zugeordneten physischen Vorgangs. Die notwendige Sukzession ist das Kausalverhältnis; denn damit können wir uns hier begnügen, zu sagen: Wirkung sein heißt, notwendig eintreten, sobald ein anderes, die Ursache, vollständig gegeben ist. Die notwendige Koexistenz besagt in allgemeiner Form nichts anderes, als daß die beiden Glieder, die sie verbindet, stets gleichzeitig verwirklicht sein müssen. Vergleicht man diese beiden Relationen miteinander, so zeigt sich leicht, daß die zu zweit genannte nicht so sehr erklärt als selbst noch des Erklärtwerdens bedürftig ist. Sie drängt unaufhaltsam zur weiteren Frage: woher kommt es, daß Physisches und Psychisches notwendig zusammen gegeben sind, wenn sie einander nicht verursachen? Wie ist es zu verstehen? Wir verlangen nach einer Erklärung ist immer die Frage nach Ursache oder Grund. Die verschiedenen Theorien nun, die im allgemeinen notwendige Koexistenz zwischen Physischem und Psychischem behaupten, haben auch tatsächlich auf dieses unabweisbare Erklärungsbedürfnis Rücksicht genommen und unterscheiden sich voneinander im Grund nur dadurch, wie sie die Erklärungsfrage beantworten. - Was zu diesem Ende an möglichen Gedanken vorgängig zur Verfügung steht, ist auch da leicht a priori aufgefunden. Die notwendige Koexistenz des Physischen und Psychischen ist Folge von etwas, das entweder vor dem realen Eintritt des physischen und des ihm zugeordneten psychischen Geschehens wirksam war oder von etwas, das erst nachher zur Geltung kommt. Betrachten wir zuerst die zweite der beiden Möglichkeiten. Sie ist näher nur so auszugestalten, daß der psychische und der ihm zugeordnete physische Vorgang in Wirklichkeit ein und dasselbe ist und daß er nur, indem er von einem Subjekt wahrgenommen wird, je nach den Umständen, unter denen sich die Wahrnehmung vollzieht, dem Subjekt - gleichsam nachträglich - entweder als ein Physisches oder als ein Psychisches erscheint. Es ist die These des psychophysischen Parallelismus, wie sie z. B. durch FECHNER in der Lehre von den "zwei Seiten" einen klassischen Ausdruck gefunden hat. (1) Geradeso wie ein Kreis von innen besehen konkav, von außen besehen konvex erscheint, oder unser Sonnensystem sich von der Sonne aus als die Kopernikanische, von der Erde als die Ptolemäische Welt darstellt und dabei doch nur ein und dasselbe ist, geradeso ist auch das, was uns bald als Physisches, bald als Psychisches erscheint, in Wirklichkeit nur Eines. Die erste der beiden Möglichkeiten hat es nicht nötig, auf letzte Identität von Physischem und Psychischem zurückzukommen; sie bleiben ihr zwei verschiedene reale Geschehensabläufe. Jede der beiden Reihen verläuft gänzlich unabhängig von der anderen, nur nach einer in ihr selbst liegenden Folgen von Ursachen und Wirkungen. Diese Folge, d. h. die Gesetze, nach denen sie sich vollzieht, sind aber von vornherein - etwa im göttlichen Schöpfungsakt - so geregelt, daß immer, wenn ein Vorgang in der einen Reihe eintritt, in der anderen Reihe stets auch der bestimmte ihm zugeordnete andere Vorgang dran kommt und zwar nur als Wirkung der dieser zweiten Reihe innewohnenden Gesetzmäßigkeit. Das ist die These von der "prästabilisierten Harmonie", die LEIBNIZ ausbildet (2) und durch das bekannte Uhrengleichnis erläutert hat: die beiden Reihen des physischen und des psychischen Geschehens laufen ab wie zwei Uhren, die von Anfang an so genau reguliert sind, daß sie von selbst immer miteinander gehen. Die These des Okkasionalismus, nach der das Gleichnis lauten müßte: die beiden Uhren sind nicht von Anfang an gleich reguliert, sondern während ihres Ganges stellt jemand (Gott) die eine immer nach der andern, müssen wir beiseite lassen, weil sie, entgegen dem Sinne wissenschaftlicher Forschung, zur Erklärung des Weltgeschehens allzu augenscheinlich außerweltlich Kräfte verwendet. Aber noch eine, und zwar die radikalste Erklärung der notwendigen Koexistenz von Physischem und Psychischem ist - man kann kaum mehr sagen vorgängig möglich, aber doch auch oft und intensiv vertreten worden. Sie müßte streng genommen dem Parallelismus angereiht werden. Denn auch ihr ist Physisches und Psychisches im Grunde eines; und daß sie für Verschiedenes gehalten werden, das ist auch ihr die Folge von etwas, das nachher einsetzt; aber nicht die Folge verschiedener Erscheinungsbedingungen, durch die dann auch tatsächlich vom Einen verschiedene Erscheinungen, die physische und die psychische, sich ergeben, sondern einfach: die Folge menschlichen Irrens, menschlicher Oberflächlichkeit. Sie sagt: besieht man sich das Psychische nur genauer und unbefangener, so erkennt man wohl, daß es nichts anderes ist als Physisches. Damit ist der Überblick über alle die vorgängig möglichen Anschauungen vom Verhältnis zwischen Bewußtsein und Gehirnvorgang erschöpft. Seele, Ich und Unbewußtes 1. Methodische Vorbemerkungen Bei der Beurteilung der verschiedenen Ansichten über das Verhältnis vom Physischen zum Psychischen, wie sie im vorigen Kapitel durchgeführt worden ist, haben wir es als nicht günstig für eine Hypothese bezeichnet, wenn sich herausstellte, daß sie zu ihrer Durchführbarkeit der Annahme einer substantiellen Seele bedarf. Dies geschah unter dem Gesichtspunkt, daß die Einsicht in die Gesetze oder die theoretische Behandlung eines Erfahrungsgebietes im allgemeinen umso vollkommener ist, je weniger Hilfshypothesen sie nötig hat. Aber diese methodische Regel erleidet natürlich eine wesentliche Einschränkung dann, wenn die fragliche Hilfshypothese auch noch zum Verständnis anderer benachbarter Erfahrungstatsachen gefordert erscheint; denn wenn sie schon für das eine Gebiet gelten muß, so liegt kein Grund mehr vor, sie für ein anderes zu beanstanden. Und so könnte es sich auch mit der Annahme einer substantiellen Seele verhalten; wenn sich etwa zeigt, daß diese Annahme auch zum Verständnis der psychischen Tatsachen selbst schon notwendig ist, so ist es nicht nur kein Nachteil, sondern eher eine Art willkommener Gegenprobe, wenn sie uns auch beim Enträtseln des Verhältnisses zwischen Physischem und Psychischem gute Dienste zu leisten vermag. Das scheint nun aber tatsächlich der Fall zu sein. Man stellt es doch als etwas ziemlich Natürliches und Selbstverständliches hin, daß unsere Vorstellungen, Gefühle usw. nicht selbständig existieren können, sondern eines Substrates, eines Trägers bedürfen. Man ist sich ferner seines Ich als einer Tatsache bewußt, deren besondere Eigentümlichkeiten sich wiederum am einfachsten aus dem Hinweis auf eine Seele verständlich machen lassen. Und schließlich gibt es noch ganz landläufige Erfahrungen des Innenlebens, die unausweichlich zur Annahme eines nicht erfahrbaren, also unbewußten Psychischen hindrängen, das seinerseits wiederum am natürlichsten als substantielle Seele zu betrachten wäre. So sind es also drei verschiedene Gesichtspunkte, die unabhängig voneinander und aus eigener Kraft gerade wieder auf jene Hilfshypothese uns hinzuweisen scheinen, der wir im vorigen Kapitel ausweichen zu sollen glaubten; und unsere Aufgabe wird es daher sein, sie eingehend auf ihren Sinn zu prüfen. Es entspricht geradezu einer alten Tradition, zu behaupten, daß die psychischen Tatsachen, etwa Vorstellungen, Gefühle, nicht selbständig existieren können, sondern auf die Existenz eines anderen, Selbständigen angewiesen sind, von dem sie gleichsam getragen werden, dem sie anhaften, zugehören, inhärieren [innewohnen - wp]. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, dem historischen Ursprung dieser althergebrachten Behauptung nachzugehen; wir wollen sehen, ob sie, auf sich gestellt, sich zu behaupten vermag. Da gilt nun folgendes. Eine psychische Tatsache kann sicherlich nicht existieren, ohne irgendwie in Zusammenhang mit irgendetwas anderem Wirklichen zu stehen; äußersten Falles ist das schon dadurch verbürgt, daß sie notwendig eine Ursache haben muß. Dies hat aber für die Annahme einer substantiellen Seele höchstens dann etwas zu bedeuten, wenn sich jener Zusammenhang als der erweist, der zwischen Eigenschaft und Ding besteht. Leicht könnte dann das Ding die substantielle Seele sein; sie hätte Empfindungen, Gedanken usw. als ihre Eigenschaften geradeso zu tragen, wie etwa das Ding Gold die gelbe Farbe, den Glanz, die körperliche Ausdehnung, die Schwere usw. ansich trägt. Der Vergleich ist zwar historisch höchst bedeutsam; er steckt, verschiedentlich gestaltet, im Grundgedanken der Lehren SPINOZAs und DESCARTES'. Gleichwohl wird es nicht Überhebung sein, wenn wir ihn unzutreffend finden. So natürlich die gelbe Farbe, die Ausdehnung als Eigenschaften gelten, so gezwungen ist es, Empfindungen, Gedanken als solche zu betrachten; die psychischen Tatsachen haben Eigenschaften, sie sind es nicht. Viel näher liegt es uns, Gedanken und Entschlüsse als Dinge, wenn auch besonderer Art, denn als Beschaffenheiten aufzufassen. Angesichts der Außenwelt sprechen wir ganz unwillkürlich von den Beschaffenheiten der Dinge und meinen dabei ihre Farbe, Größe usw.; angesichts der Innenwelt kommt uns diese Unterscheidung nicht so leicht und wenn wir sie machen, so liegt es uns viel näher, die Stärke und die Dauer einer Tonempfindung, die Festigkeit eines Entschlusses als Beschaffenheiten der Tonempfindung, des Entschlusses aufzufassen, die Tonempfindung, den Entschluß für ein Dingliches zu nehmen, als in der Tonempfindung, im Entschluß Beschaffenheiten unseres Wesens zu erblicken. Wenn wir nach Eigenschaften unseres Wesens fragen, so denken wir an Verstand, Entschlossenheit, Gemüt und ähnliches, nicht an den einzelnen Gedanken, die einzelne Empfindung. Doch selbst wenn man es gelten läßt, daß die psychischen Tatsachen als Eigenschaften aufzufassen sind, so ist man damit noch keineswegs gezwungen, eine substantielle Seele als ihren Träger anzunehmen. Zwar ist es alte Philosophenlehre, daß alle Attribute (Eigenschaften), um sein zu können, einer Substanz bedürfen, die selbst nicht mehr wahrnehmbar noch sonst erfahrbar ist, die selbstständige Existenz besitzt und der die Attribute inhärieren. Doch was wir zum Verständnis unserer Erfahrung brauchen, das ist auf diese Lehren noch nicht angewiesen. Die Erfahrung zeigt uns Dinge; und jedes Ding ist ein Komples von einzelnen einfacheren Bestimmungen, die, wenn wir sie in ihrer Zugehörigkeit zu einem Komplex betrachten, als Eigenschaft erscheinen und die in ihrem Zusammensein das Ding ausmachen. Die Dinge sind in unserer Erfahrung gar nichts anderes, als der Komplex von all dem, was wir, im Hinblick auf sie selbst, als ihre Eigenschaften bezeichnen. Die einzelne Eigenschaft ganz für sich allein kann Existenz vielleicht gar niemals haben; zusammengefühg jedoch zu größeren Komplexen bestimmter Art (den Dingen) gewinnen sie die Fähigkeit selbständiger Existenz, geradeso, wie man sich auch Farbe ohne Ausdehnung und Ausdehnung ohne Farbe nicht anschaulich vorstellen kann, wohl aber beide in Verbindung; geradeso, wie auch die Wurzel eines Baumes nicht ohne Stamm, der Stamm nicht ohne Wurzel leben kann. Das heißt also: um das Dasein der Eigenschaften zu verstehen, ist es nicht nötig, außer, neben, hinter ihnen noch ein anderes, unerfahrbares Existierendes, dem sie selbst erst ihre Existenz verdankten, anzunehmen. Man sagt jedoch auch, und zwar gewiß mit Recht, die psychischen Tatsachen seien Vorgänge. Vorgänge aber müssen doch sicherlich Vorgänge an etwas sein; und dieses Etwas läßt sich in unserem Fall kaum anders deuten denn als substantielle Seele. Auch dieser Schluß ist übereilt. Ein Vorgang ist zunächst Veränderung. Die psychischen Tatsachen sind aber nicht Veränderungen. Ein Gefühl, eine Vorstellung, ein Gedanke, sind etwas Reales, was von Veränderung nicht gilt. Ein Gefühl, indem es etwa langsam anschwillt und dann wieder abnimmt oder eine Vorstellung, die zuerst undeutlich ist und immer deutlicher wird, verschwindet und in etwas anderer Beschaffenheit wieder auftaucht, sind etwas sich Verändernde, wie vielleicht alle psychischen Tatsachen etwas stetig sich Veränderndes sind - nicht aber selbst Veränderung. Wenn man sie also "Vorgänge" nennt, so darf man dieses Wort dabei nicht im Sinne von Veränderung, sondern nur im Sinne des sich Verändernden verstehen. Dann aber geht es nicht mehr an, daraus zu folgern, daß sie einem andern Substantiellen, einem Substrat anhaften müßten; denn nur die Veränderung kann nicht sein, ohne einem solchen Substrat anzuhaften, an dem sie vor sich geht; das sich Verändernde dagegen kann sehr wohl schon an und für sich selbständige Existenz haben. Die psychischen Tatsachen stellen sich in unserer Erfahrung so dar, daß sie, um sein zu können, in keiner Weise auf etwas außerhalb ihrer selbst Liegendes als auf einen "Träger", ein Substrat angewiesen erscheinen. Allerdings kommen sie immer nur in großen, innerlich zusammenhängenden Verbänden vor, niemals isoliert. Daraus kann jedoch nicht ohne weiteres der Schluß gezogen werden, daß sie ihrer Natur nach nicht isolierte für sich bestehen könnten. Aber selbst wenn man diesen Schluß glaubt ziehen zu müssen, so folgt daraus noch nichts für die Notwendigkeit einer substantiellen Seele; jede einzelne psychische Tatsache mag für sich allein existenzunmöglich sein - im innerlich zusammenhängenden Verband jedoch ergibt sich ihnen die Existenzfähigkeit von selbst. Wir werden später besondere Fälle kennen lernen, an denen man das deutlich sehen kann. Es gibt jedoch eine überaus leicht zugänglich und allgemeine Erfahrung, der wir an dieser Stelle nicht vergessen dürfen, da sie so recht für eine substantielle Seele zu sprechen scheint und aufs natürlichste durch eine solche Annahme begreiflich wird. Das ist die Tatsache unseres Ich-Bewußtseins. Was sollten wir in diesem Ich-Bewußtsein denken, wenn nicht die substantielle Seele, die wir zwar nur in ihren Äußerungen kennen, die aber doch das Eigentliche unseres Wesens ausmacht? Was bleibt als Gegenstand unseres Ich-Bewußtseins, wenn wir von einer solchen Seele absehen wollen? Die psychischen Tatsachen selbst, wenn auch in ihrem organischen Verband, sind, scheint es, nicht geeignet, den Gegenstand des Ich-Bewußtseins abzugeben. Indem wir sagen: ich empfinde, ich denke, ich fühle, stellen wir uns Ich geradezu der Empfindung, dem Gedanken, dem Gefühl gegenüber und bringen das Bewußtsein zum Ausdruck, daß die Empfindung usw. unserem Ich zugehört, zu unserem Ich als etwas Neues hinzukommt. Wir haben ferner das Bewußtsein, daß alle diese zahlreichen und mannigfaltigen Einzelerlebnisse, als welche sich die psychischen Tatsachen unserer Erfahrung darbieten, gerade in diesem Ich zu einer inneren Einheit des Bewußtseins verbunden sind. Richtig verstanden hat es auch einen guten Sinn, wenn geradezu gesagt wird, daß wir dieses Ich in jeder unserer psychischen Tatsachen gleichsam miterleben, daß es uns in jedem unserer Bewußtseinsakte mit zum Bewußtsein komme. Auch die scharfe, durchaus unüberbrückbare Abgrenzung und Scheidung der einzelnen Individuen gegeneinander, vermöge welcher es ausgeschlossen ist, daß eine und dieselbe psychische Tatsache mehr als einem einzigen Individuum zugehört, ja auch nur von einem einzigen Individuum zugehört, ja auch nur von einem zweiten als solche wahrgenommen wird, deutet darauf hin, daß die Tatsache des Ich in der Existenz substantieller Seelenwesen begründet ist. Damit mag es dann auch zusammenhängen, daß dieses Ich unzweifelhaft beharrt (bestehen bleibt), wenn die psychischen Tatsachen vergehen und daß es auch mit sich identisch, d. h. dasselbe bleibt, obgleich die psychischen Tatsachen stetig wechseln. Die sogenannte Einfachheit des Ich, die uns am deutlichsten in einer gewissen offenkundigen Unteilbarkeit unseres Wesens zum Bewußtsein kommt, ist ebenfalls nicht leicht begreiflich, wenn unser Ich identisch sein sollte mit dem bloßen Verband der psychischen Tatsachen, während sie sich auf das natürlichste von selbst ergibt, wenn dieses Ich im Grunde genommen etwas anderes, noch dahinter Stehendes, eine substantielle Seele ist. Endlich findet sich ein jedes Ich mit vielen Eigenschaften ausgestattet, mit Eigentümlichkeiten seines Charakters, mit Kenntnissen und Fähigkeiten, die ihm verhältnismäßig dauernd zukommen, die daher auch nicht mit den stets wechselnden, immer rasch vorübergehenden psychischen Tatsachen identisch noch in ihnen begründet sein können, sondern selbst wiederum das Vorhandensein eines beharrenden Substrates fordern, dem sie anhaften. Alle diese Erfahrungen sind, soweit sie sich an das rein Tatsächliche halten, so deutlich, so bekannt und so unwidersprochen, daß sie keiner weiteren Erläuterung bedürfen; nur der zuletzt genannte Punkt muß noch etwas näher beleuchtet werden. die zur Annahme unbewußter psychischer Tatsachen führen und die Natur dieses Unbewußten; die psychischen Dispositionen Wir wollen auch da wieder von einer jedermann höchst geläufigen Erfahrung ausgehen. Dinge, die wir einmal gesehen haben, können wir uns späterhin, auch wenn sie eben nicht zu sehen sind, mehr oder weniger genau doch wiedervorstellen; Melodien, Wörter, die sich einmal unserem Ohr dargeboten haben, bleiben gleichfalls "in unserem Gedächtnis haften"; jede Vorstellung, die wir einmal infolge der Tätigkeit der Sinnesorgane und besonderer äußerer Anlässe als Wahrnehmungsvorstellung gehabt haben, kann später, auch ohne Mitwirkung der Sinnesorgane und ohne daß die äußeren Anlässe vorliegen - als "Erinnerungsvorstellung" - wieder auftauchen. Und ganz Analoges begibt sich auf dem Gebiete - nicht nur der bloßen Vorstellungen, sondern auch auf dem - der Gedanken, des Wissens, des Überzeugtsein. Wer sich den Satz von der Winkelsumme im Dreieck einmal abgeleitet hat, der weiß ihn dann (= vermag ihn zu denken, zu reproduzieren), auch ohne daß er die Ableitung jedesmal wiederholt. Und wer etwa gelegentlich einer Bergpartie die Bemerkung macht, daß es unter normalen Verhältnissen durchaus nicht gefährlich ist, einen Gletscher zu überschreiten, dem wird dieses Wissen ab und zu wieder gegenwärtig auch während er zuhause sitzt und auch ohne, daß er gerade jener Bergpartie gedenkt. Im allgemeinen also kann man sagen: (Wahrnehmungs-)Vorstellungen und Urteile, deren erstmaliges Eintreten von Bedingungen abhängig ist, die gänzlich außerhalb unseres Ich liegen, kehren, wenn sie nur erst einmal wirklich eingetreten sind, sehr häufig auch dann wieder ins Bewußtsein zurück, wenn jene äußeren Bedingungen durchaus fehlen. Diese Tatsache fordert offenbar eine Erklärung und es sind im wesentlichen zwei Hypothesen, die sich als solche zur Verfürgung stellen. Die eine - sie geht in ihrer prägnantesten Form auf HERBART zurück - erklärt das Wiederauftauchen von Vorstellungen trotz Abwesenheit der äußeren Bedingungen dadurch, daß sie annimmt, jede Vorstellung, die nur überhaupt einmal entstanden (in das Bewußtsein gekommen) ist, bleibe dann dauernd bestehen, nur eben nicht über sondern gleichsam unter der Schwelle des Bewußtseins; durch andere nachrückende Vorstellungen etwa aus dem Bewußtsein verdrängt, verliere sie nicht überhaupt ihre Existenz, sondern bleibe fortbestehen, im wesentlich sogar in unveränderter Gestalt, nur eben als "unbewußte Vorstellung". Unter entsprechend günstigen Bedingungen vermag dann eine solche Vorstellung wieder die Schwelle des Bewußtseins zu überschreiten, bewußt zu werden: die Vorstellung wird reproduziert. Nach der anderen Hypothese dagegen hören die Vorstellungen im allgemeinen wirklich auf zu sein, wenn sie aus dem Bewußtsein entschwinden. Doch lassen sie im (physischen oder psychischen) Organismus des Individuums, dem sie angehört haben, eine Veränderung zurück, derzufolge sie dann auch durch andere als durch die ursprünglichen äußeren Anlässe, etwa durch innere, im Individuum hervorgerufen werden können. Diese Veränderung müßte in einer Modifikation der psychischen Elementarorgane (Umlagerung der Gehirnmoleküle oder etwas ähnlichem) bestehen, also zur Entstehung von etwas Neuem innerhalb des Individuums führen, das als Teilursache beim Reproduzieren der Vorstellung mitwirkt. Wenn sich so durch das erstmalige Eintreten der Vorstellung (als Wahrnehmungsvorstellung) dieses als Teilursache wirksame Neue im Individuum gebildet, wenn, wie man häufig sagt, die Vorstellung ihre Spur im Individuum zurückgelassen hat, dann eignet diesem die Fähigkeit, die Vorstellung wieder hervorzurufen, es hat die Disposition zum Reproduzieren der Vorstellung, es hat die Vorstellung im Gedächtnis, weil es nun jene "Spur", die reale "Dispositionsgrundlage" besitzt. Also nicht die Vorstellung selbst bleibt nach dieser Auffassung im Individuum aufbewahrt, sondern es erwirbt durch das erstmalige Vorhandensein der Vorstellung lediglich eine Disposition (Fähigkeit), die Vorstellung wieder hervorzurufen, indem sich durch dieses erstmalige Vorhandensein der Vorstellung eine eigene Dispositionsgrundlage erzeugt hat. Welcher von den beiden Auffassungen sollen wir nun folgen? An und für sich ist die eine so gut denkbar wie die andere und zur Erfahrung stimmen sie im allgemeinen gleichfalls beide. Eine Entscheidung ist also in der Hauptsache nur vom methodologischen Gesichtspunkt aus zu treffen. Und da erscheint die zweite der beiden Hypothesen als die günstigere. Dies aus folgenden Gründen. Wenn wir das Auftauchen von Erinnerungsvorstellungen auf Dispositionen zurückführen, die durch das Eintreten der Wahrnehmungsvorstellungen erworben, ihrer Natur nach aber etwas wesentlich anderes als wiederum nur die die, wenn auch unbewußt gewordenen, Vorstellungen selbst sind, so rücken wir dadurch diese psychische Leistung in eine nächste Analogie zu zahlreichen anderen psychischen Leistungen, zu deren theoretischer Behandlung die Annahme eigener, von der Leistung selbst verschiedener, realer Dispositionsgrundlagen unerläßlich ist. Man denke beispielshalber an die bekannte Aufgabe, die Berührung zweier auf die Haut aufgesetzter Zirkelspitzen als Berührung zweier Punkte zu erkennen; ist die Distanz der Zirkelspitzen zu gering, so erscheint die Berührung nicht als eine doppelte, sondern als eine einfache. Oder an die Aufgabe, von zwei nacheinander vorgezeigten Farben, die entweder gleich oder nur sehr wenig verschieden sind, zu erkennen, ob sie gleich oder verschieden sind. Die Leistung, die durch solche Aufgaben gefordert wird, ist immer ein richtiges Vergleichungsurteil. Diese Leistung gelingt einmal, ein anderes Mal gelingt sie nicht oder weniger sicher. Das Individuum, dem sie gelingen soll, muß etwas dazu mitbringen; es muß die Fähigkeit, die Disposition dazu besitzen, d. h. es muß etwas an oder in sich haben, was als ausreichende Teilursache zum Zustandekommen der Leistung vom Individuum beigestellt wird: die reale Dispositionsgrundlage. Diese ist keineswegs mit dem wenn auch unbewußten Vergleichungsurteil identisch, sondern etwas ganz anderes, aber gleichfalls etwas Wirkliches, das im Verhältnis der Ursache zur Wirkung steht. Der Laie begnügt sich damit, einfach das Gehirn als diese Dispositionsgrundlage zu betrachten, und im Rohen trifft er dabei gewiß mit der wissenschaftlichen Auffassung des Falles zusammen. Dann bedient sich diese genau der gleichen Gedankengänge, die auch schon die zweite der beiden oben auseinander gehaltenen Gedächtnishypothesen ausmachen. - Aber es sind weitaus nicht nur solche nebensächlichen Einzelfälle, bei deren theoretischer Behandlung diese Gedankengänge zur Geltung kommen. Im Gegenteil, sie gelten geradezu für alles, was wir sonst noch an geistigen Leistungen, ja an psychischem Geschehen überhaupt vorfinden. Wenn wir von irgendwelchen Leistungen des Intellekts sprechen, von Schärfe, Witz und Klugheit, von rascher Entschlossenheit und Festigkeit des Wollens, von Sanftmut, Weichheit oder Härte des Gemüts, kurz von irgendwelchen beliebigen Fähigkeiten und Eigenschaften unseres psychischen Wesens, stets liegt darin, daß wir bestimmte Äußerungen dieses Wesens als Leistungen betrachten, die durch irgendwelche ihm zugehörige reale Teile - die jeweiligen Dispositionsgrundlagen - verursacht sind. All diese mannigfaltigen Äußerungen des psychischen Lebens - und es bliebe neben ihnen nur noch die Vorstellungsreproduktion übrig - ordnen sich notwendig nach dem Grundgedanken der zweiten jener beiden Hypothesen; der der ersten ist auf sie schlechtweg unanwendbar: was sollte es denn heißen, daß der Entschluß oder gar die Festigkeit desselben oder der kluge Ausspruch schon früher stets, bevor sie zu bewußter Wirklichkeit gelang sind, im Individuum aktuell, aber unbewußt vorhanden gewesen wären? Nicht der Entschluß selbst war vorhanden, sondern nur die Fähigkeit, ihn gegebenenfalls zu fassen; und diese Fähigkeit liegt in nichts anderem, als in einer bestimmten Beschaffenheit unseres (psychischen, physischen) Wesens. Verstehen wir also das Wiederauftauchen der Vorstellungen in der Erinnerung nach der zweiten (der Dispositions-)Hypothese, so fassen wir es einfach als speziellen Fall einer auch für das ganze übrige psychische, ja selbst für das organisch-physische Leben unentbehrlichen allgemeinen Hilfshypothese auf; und wir werden umso mehr berechtigt sein, dies zu tun, als die Gesetze der Dispositionsveränderung (der Übung, Ermüdung usw.) im allgemeinen hier und dort die gleichen sind. Verstehen wir es dagegen nach der ersten (der Unbewußtheits-) Hypothese, so statuieren wir damit, je nachdem wir die Hypothese meinen, entweder etwas ganz Neues, Eigenartiges, dem im übrigen psychischen Leben jedes Analogon fehlt, zudem noch durchaus Unbestimmtes; oder etwas, das sich in bescheidenem Ausmaß zwar auch sonst im psychischen Leben antreffen läßt, dies aber in einer Art und Beschaffenheit, zu der es doch wieder nicht genügend paßt. Um mit der zweiten der beiden Möglichkeiten zu beginnen, so sei dazu an Vorkommnisse von etwa folgender Art erinnert. An dauernde Sinneseindrücke gewöhnen wir uns bald so sehr, daß sie uns, wenn wir ihnen nicht ausdrücklich unsere Aufmerksamkeit zuwenden, völlig entgehen. Die beständigen Berührungs- und Druckempfindungen, die von unseren Kleidern herrühren, sind für uns so gut wie nicht vorhanden. Das anfangs manchmal störende Stampfen der Maschine eines Dampfschiffes "hört" man schon nach einer Stunde der Seefahrt nicht mehr; der Städter ist an den Straßenlärm durchaus gewöhnt, geradeso wie bekanntlich auch der Müller das Geklapper seiner Mühle "nicht mehr hört", jedoch sofort aufmerksam wird, wenn die Mühle plötzlich stillsteht. - Was in diesen Fällen die Dauer ist, das bewirkt in anderen die zu geringe Stärke des Eindrucks. Es kommt gewiß höchst selten vor, daß man das Ticken der Taschenuhr wahrnimmt, die eine Person, mit der man eben spricht, bei sich hat, obwohl es in der Regel mit genügender Stärke ans Ohr dringt; freilich kann es auch einmal so schwach sein, daß selbst die gespannteste Aufmerksamkeit seiner nicht mehr gewahr wird. - Schließlich können auch recht starke Eindrücke für das Bewußtsein völlig untergehen, wenn es nur genügend intensiv mit anderen Gegenständen beschäftigt ist. In seine Arbeit ganz versunken überhört der Denker den Stundenschlag der Uhr und die Anrede des eintretenden Hausgenossen. Das sind lauter Fälle, in denen man mit Recht von unbewußten (Wahrnehmungs-)Vorstellungen sprechen kann. Allerdings lassen sie vorerst immer noch zweierlei Auffassung zu. Wir können uns nämlich denken, daß der äußere Sinnesreiz auf das Sinnesorgan einwirkt, etwa auch die normalen physiologischen Vorgänge in den Sinnesnerven bis hin an einen gewissen Punkt des Zentralorgans auslöst, eine Empfindung hervorzurufen dagegen nicht vermag, weil die Aufmerksamkeit abgewendet ist. Wir können uns aber auch denken, daß in solchen Fällen, was die Funktion der Sinnesorgane anlangt, alles genau so verläuft, wie unter normalen Verhältnisse, im besonderen, daß auch die Sinnesempfindung ganz wie gewöhnlich eintritt, daß aber jener eigene psychische Akt ausbleibt, der zu jeder Empfindung, ja Vorstellung überhaupt noch hinzutreten muß, damit wir uns der Vorstellung oder dessen, was sie uns zur Vorstellung bringt, bewußt werden. Die erste der beiden Auffassungen hat zwar bereits eine sehr namhafte Vertretung gefunden (3); indessen ist der Vorzug größerer Einfachheit und Natürlichkeit, auf den sie sich hauptsächlich stützt, nur Schein. Denn die zweite bedient sich des Hypothetischen keineswegs in einem weiteren Ausmaß, sie ist vielmehr imstande, das Ganze der Erfahrung einheitlicher zu umfassen. Man möge dazu folgendes bedenken. Wie die Erfahrung lehrt, lassen sich unbewußte Wahrnehmungsvorstellungen der geschilderten Art innerhalb kurzer Zeit nach ihrem Eintreten in der Erinnerung zurückrufen. Der Denker wird vielleicht erst beim letzten Schlag der Uhr darauf aufmerksam, daß sie schlägt; er vermag trotzdem bisweilen noch nachträglich die bereits verklungenen Schläge, die er eigentlich nicht "gehört" hat, richtig zu zählen. Will man dabei bleiben, daß die Uhrschläge wirklich keine Gehörsempfindung hervorgerufen haben, so muß man, um das nachträgliche Zählen zu erklären, wieder zu weiteren hypothetischen Annahmen seine Zuflucht nehmen. Denkt man aber die Sache so, daß die Gehörempfindungen wie jedesmal, wenn Schallwellen auf das normale Sinnesorgan eindringen, zustande kommen und daß sie nur in der Fülle der gleichzeitig vorhandenen anderen Vorstellungen (und psychischen Tatsachen überhaupt) nicht beachtet worden sind, so ist es ganz natürlich, daß der eben erlebte psychische Gesamtzustand in der Erinnerung nochmals vergegenwärtigt und dabei die früher gleichsam übersehene Gehörsempfindungen in ihm herausgefunden, bemerkt werden können. Es geht im wesentlichen nicht viel anders dabei zu, als wenn beim Hören eines zusammengesetzten Klangs einer der Obertöne zunächst wie nicht vorhanden scheint und erst bei besonderer Richtung der Aufmerksamkeit hervortritt (4): die bloße Empfindung des Obertones war wohl von Anfang an da, nur bemerkt oder beachtet ist sie nicht worden. Auch folgender Versuch spricht für diese Auffassung der Sachlage. Schlägt man eine Stimmgabel leise an und läßt sie vor dem Ohr verklingen, so kommt es nach und nach zu einem Augenblick, in dem man meint, den Ton gerade nicht mehr zu vernehmen. Entfernt man in diesem Augenblich rasch die Gabel, so wird man oft gewahr, daß jetzt erst "Stille" eingetreten ist und vorher die Tonempfindung, wenn auch ganz schwach und eben deshalb verkannt, dennoch vorhanden war. Der auffallende Kontrast zwischen dem psychischen Gesamtzustand von vorher und jetzt ist es, der uns auf indirektem Weg zu dieser Erkenntnis führt. Und daß er uns dabei nicht etwa täuscht, das zeigt sich darin, daß, wenn die Gabel nun noch einmal genügend rasch ans Ohr gebracht wird, es sich recht oft ergibt, daß man den Ton von neuem hört. Also sehen wir, daß eine wenn auch noch so voll entwickelte und normale Empfindung oder Vorstellung (ja psychische Tatsache überhaupt) durchaus nicht eins ist mit dem Wissen von ihrem jeweils gegenwärtigen Vorhandensein. Man kann eine - im übrigen ganz normale - Empfindung haben, ohne davon zu wissen. Das ist dann eben eine "unbewußte" Empfindung. Soll sie bewußt werden, so muß noch ein weiterer psychischer Akt hinzukommen, einer, der sich in den meisten Fällen allerdings ganz unmittelbar und gleichsam von selbst an die Empfindung anschließt, der aber eben doch nicht mit ihr identisch, sondern etwas Eigenes, Neues ist: das Bemerken, Erkennen, Wissen. Das Wissen ist ja seiner Natur nach etwas anderes, als das bloße Vorstellen (5), es ist ein psychischer Akt eigener Art und das gilt natürlich auch von jenem Wissen, in welchem wir jeweils ganz unmittelbar um das Vorhandensein der jedesmal gegenwärtigen Empfindungen, Vorstellungen usw. wissen. So gewinnt der Gegensatz "bewußte - unbewußte psychische Tatsachen" seine natürlichste und in der Erfahrung bestbegründete Bedeutung. Unbewußt psychische Tatsachen sind an und für sich psychische Tatsachen von im allgemeinen ganz derselben Art wie die bewußten; auch ist ihr Dasein im Individuum ganz genau dasselbe wie das dieser. Nur kommt ihr Dasein aus irgendwelchen Gründen dem Individuum nicht zur Erkenntnis, es schließt sich also nicht jener zweite psychische Akt des Wissens an sie, der jene anderen, indem er sich ihnen zuwendet, zu bewußten, vielleicht besser gewußten oder bemerkten psychischen Tatsachen macht (BRENTANO, 1874; HÖFLER, 1897) Der Ausdruck "Bewußtsein" erfährt dadurch eine auch in seinem gewöhnlichen Gebrauch schon vorgegebene Bedeutungsunterscheidung. Das Bewußtsein eines Individuums ist zunächst einmal die Gesamtheit der ihm zugehörigen psychischen Tatsachen; in diesem Sinne wird das Wort am häufigsten verwendet. In engerer Bedeutung ist es aber auch das Wissen um das Vorhandensein aller oder eines Teils dieser psychischen Tatsachen, ja überhaupt das Wissen um alle die psychischen und auch physischen Gegenstände, an die das Individuum eben denkt, deren es sich sonach gerade bewußt ist. Die eigenen psychischen Tatsachen, deren es sich so bewußt ist, sind seine - in diesem Sinne - bewußten psychischen Tatsachen; die, deren es sich etwa nicht bewußt ist, sind dann die unbewußten. Beide zusammen gehören zum Bewußtsein des Individuums, das Wort in jener ersten, weiteren Bedeutung genommen; die bewußten psychischen Tatsachen aber haben noch ein Bewußtsein im engeren Sinn, ein Bewußtsein, das hier besser als "Bewußtheit" zu bezeichnen wäre. Und diese Bewußtheit geht den unbewußten psychischen Tatsachen ab, obwohl sie sonst im allgemeinen genau dasselbe sind, wie die bewußten und dem Bewußtsein des Individuums (das Wort im weiteren Sinn genommen) genau wie jene angehören. - Unbewußte psychische Tatsachen von irgendwelcher anderen Art anzunehmen, liegt gar keine Veranlassung vor. Es gibt keine psychologische Erfahrung, die es forderte. Es ließe sich aber auch über Natur und Beschaffenheit solcher anderer unbewußter psychischer Tatsachen nicht das geringste Positive aussagen, der Begriff hätte lediglich einen negativen Inhalt. Man wird daher kaum dazu geneigt sein, die Aufbewahrung der Vorstellungen im Gedächtnis auf solches besonderes, noch dazu seiner Natur nach gänzlich unbestimmtes Unbewußtes zurückzuführen; es wäre das eine durchaus unbegründete, nur ad hoc aufgestellte Hypothese ohne alle Berechtigung. Aber auch in jenen wirklich anzuerkennenden unbewußten psychischen Tatsachen, wie wir sie eben beschrieben und definiert haben, wird man nun nicht mehr gern das Wesen des Gedächtnisses erblicken wollen. Das Auftauchen einer Vorstellung in der Erinnerung hat durchaus nicht die Merkmale, die sich am Vorgang des Bemerkens (Bewußtwerdens) einer bereits aktuell vorhandenen, jedoch vorerst noch unbewußten Vorstellung zeigen. Es müßte ferner die Zahl der gleichzeitig aktuell vorhandenen, wenn auch unbewußten Vorstellungen im Laufe eines Lebens auch bei nur mittleren Gedächtnisfähigkeiten nach und nach eine so große werden, daß wir sie mit unseren Erfahrungen über die Grenzen der Kräfte unseres psychischen Wesens kaum vereinbaren könnten; denn alle die Vorstellungen, die wir im Gedächtnis haben, müßten nach dieser Auffassung immerwährend und gleichzeitig aktuell vorhanden sein. Und schließlich könnte die offenkundige Gleichartigkeit des Gedächtnisses für Gedanken (Wissen, Erkenntnisse, Urteile), wie es zuvor durch Beispiele belegt worden ist, mit dem für bloße Vorstellungen, sondern auch all unser Wissen, über das wir dank unserem Gedächtnis verfügen, jederzeit aktuell, wenn auch unbemerkt in uns gegenwärtig sein sollte, das wäre doch schon eine abenteuerliche Annahme, Gedächtniswissen ist offenbar ein Wissen, das wir dispositionell besitzen; das heißt, solange wir die Gedanken nicht aktuell in uns auslösen, in denen wir das Gewußte denken, solange wir uns also das Gewußte nicht ausdrücklich in Erinnerung rufen, sind diese Gedanken überhaupt nicht vorhanden. Das wissende Individuum besitzt dann nur gewisse relativ dauernde "Spuren" oder "Eindrücke" in seinem Wesen - wir wollen lieber sagen, reale "Dispositionsgrundlagen" -, die eine Teilursache, die, wenn die andere Teilursache, der "Erreger" der Disposition, noch hinzukommt, zur Auslösung des aktuellen Gedankens des Erinnerungswissens führt. So läßt sich schließlich alles, was Gedächtnistatsache ist, weitaus am leichtesten unter dispositionstheoretischen Gesichtspunkten verstehen. Gedächtnis ist der Inbegriff des Dispositionen (Fähigkeiten) eines Individuums, die es in den Stand setzen, Vorstellungen und Gedanken zu reproduzieren. Das ist die allgemeine Wesensbestimmung des Gedächtnisses, wie sie sich uns aus den vorstehenden Erwägungen ergibt; und so wenig sie ansich besagen mag, so ist sie doch von Bedeutung einmal gegenüber dem Versuch, das Gedächtnis auf unbewußte Vorstellungen zu gründen und dann, weil sie das Gedächtnis zu nichts anderem macht als zu einer besonderen Art der psychischen Dispositionen überhaupt, die ja auch sonst noch im psychischen Leben und im Wesen des Individuums eine so große Rolle spielen und die ihrerseits dadurch eine willkommene Charakteristik erfahren. Haben wir das Wesen der psychischen Dispositionen (Fähigkeiten) an dieser einen, besonders hervorragenden Art erkannt, so wird es uns ein Leichtes sein, indem wir wieder zu unserer Ausgangsfrage - über die Natur des Ich - zurückkehren, zu ermessen, was aus der Tatsache des Gegebenseins von psychischen Dispositionen für diese Frage folgt. Das Ich ist der Träger der Dispositionen; man sagt ganz klar und richtig: ich habe die Fähigkeit, zu unterscheiden, mich zu erinnern, ich habe Mut, Entschlossenheit und ähnliches. Das, was das Ich dabei von den Dispositionen Reales, Wirkliches an sich hat, das sind offenbar die Dispositionsgrundlagen (die im Ich liegenden Teilursachen der Leistung). Diese Dispositionsgrundlagen müssen, da die Fähigkeiten dem Individuum relativ dauernd zukommen, gleichfalls etwas relativ Dauerndes, Bestehenbleibendes sein. Sie können daher ganz und gar nicht in den jeweils aktuell vorhandenen psychischen Tatsachen liegen; denn diese wechseln beständig. Höchstens für die Fähigkeit, Empfindungen zu haben, könnten sie im bereits früher bezeichneten allerdings recht künstlichen Sinn dafür gelten. Für alle die zahlreichen übrigen Dispositionen können sie als Dispositionsgrundlagen nicht in Betracht kommen; es muß für sie etwas anderes Reales und Wirkliches angenommen werden, etwas, das verhältnismäßig dauernde und unveränderte Existenz besitzt. Diese durch die Tatsachen hypothetisch geforderten, realen Dispositionsgrundlagen gehören sonach dem Ich an, sie sind im Ich enthalten oder wie wir vorbehaltlich späterer Ergänzung sagen können, der Verband dieser Dispositionsgrundlagen macht das Ich aus. Nun wollen wir uns aber doch auch fragen, ob wir über das Wesen und die Beschaffenheit dieser Dispositionsgrundlagen etwas wissen können. Und da kommen wir auf folgendes. Die Dispositionsgrundlagen sind Teilursachen der dem Ich zugehörigen psychischen Tatsachen. Lassen wir für das Verhältnis zwischen Physischen und Psychischem die Kausalitätstheorien, besonders die Wechselwirkungslehre gelten, so wissen wir sofort, was wir als diesen Verband der Dispositionsgrundlagen anzusehen haben: selbstverständlich unser Nervensystem, in erster Linie das Gehirn. Vom Standpunkt des psychophysischen Parallelismus dagegen ist das unzulässig; denn diese Lehre verwirft bekanntlich das Wirken von Physischem auf Psychisches. Von ihrem Standpunkt aus können die Dispositionsgrundlagen nur auch wiederum etwas Psychisches sein und da, wie schon bemerkt, die aktuellen psychischen Tatsachen der Erfahrung von dieser Rolle ausgeschlossen sind, so muß sie etwas Psychisches noch außerhalb der Erfahrung hypothetisch annehmen, etwas Psychisches, das relativ dauernd und beständig ist, das dann den Kern des Ich ausmacht und seinen psychischen Erlebnissen als Teilursache zugrunde liegt: eine substantielle Seele. So sieht sich der psychophysische Parallelismus hier neuerdings von anderer Seite auf jene Hilfshypothese hingewiesen, ohne die er auch schon bei der konsequenten Durchführung seines Grundgedankens nicht ausgekommen ist, während die Wechselwirkungslehre ihrer hier wie dort entraten kann. Soviel haben wir also sicher: der Verband der Dispositionsgrundlagen (Gehirn oder substantielle Seele) ist, wenn nicht alles, so doch gewiß ein wesentliches Stück von dem, was wir uns unter unserem Ich zu denken pflegen. Er kann aber nicht schon das ganze Ich ausmachen. Wenn man sagt: "ich denke", "ich fühle", so ist mit dem "ich" nicht nur die in der denkenden oder fühlenden Person liegende Teilursache des Gedankens oder des Gefühls gemeint, sondern auch noch die Tatsache ausgedrückt, daß der betreffende Gedanke, das Gefühl eben diesem Ich zugehört, von diesem Ich erlebt wird, zum Unterschied von anderen Gedanken oder Gefühlen, von denen das nicht gilt. Und außerdem muß für das Ich schließlich noch alles das zutreffen, was wir oben als Tatsachen des Ich-Bewußtseins angeführt haben. Der Verband der Dispositionsursachen aber ist für sich allein nicht so ohne weiteres dazu imstande, für das alles aufzukommen. Zunächst das Erstgenannte: das Ich ist es, was die Gedanken, Gefühle erlebt. Was ist dieses Erleben? Ein Gefühl, das ich erlebe, unterscheidet sich für mich von Gefühlen, die nicht ich, sondern ein anderer erlebt, dadurch, daß ich es als Gefühl innerlich wahrzunehmen vermag. Aber das Wahrnehmen selbst erlebe ich ja auch wiederum; und die bloße Möglichkeit des innerlich Wahrgenommenwerdens kann ein reales Unterscheidungsmerkmal nicht abgegeben. Also ist es am natürlichsten, das Erleben des Gefühls, einer psychischen Tatsache überhaupt mit ihrem Dasein, genauer mit ihr selbst identisch zu nehmen. Wenn also in dem Ausdruck "ich fühle" oder "ich erlebe ein Gefühl" das Ich einerseits und das Gefühl andererseits auseinandergehalten werden, so ist das insofern lediglich Sache des sprachlichen Ausdrucks, als das Ich wenigstens zum Teil mit dem Gefühl zusammenfällt. Es kommt ihm aber doch dadurch auch eine sachliche Bedeutung zu, als dieses Zusammenfallen für jede psychische Tatsache des Ich gilt und deshalb das Ich von dieser Seite her mit der Gesamtheit der ihm zugehörigen, besser der in innerem, realen Verband stehenden psychischen Tatsachen für identisch zu nehmen ist; denn dadurch wird nun in dem Ausdruck "ich-fühle" die Zugehörigkeit des eben vorhandenen Gefühls zu dem Gesamtverband psychischer Tatsachen, der, von dieser Seite her betachtet, mein Ich ausmacht, zur Darstellung gebracht. Wir finden also, daß zum Inhalt des Ich-Gedankens nicht nur der Verband der Dispositionsgrundlagen des Individuums, sondern auch noch der seiner aktuellen psychischen Tatsachen hinzugehört. Vom Standpunkt der Wechselwirkungslehre haben wir auch bis hierher noch nicht die Notwendigkeit empfunden, die Hilfshypothese der substantiellen Seele anzunehmen; und auch der psychophysische Parallismus, der diese Hilfshypothese schon von früher her zur Verfügung hätte, wird gut daran tun, die Zugehörigkeit der psychischen Tatsachen zum Ich doch auch im eben entwickelten Sinne zu verstehen, also auch seinerseits den Verband der aktuellen, psychischen Tatsachen des Individuums mit in die Bestimmung des Gegenstandes Ich hineinzunehmen. Wie steht es nun aber mit jenen "Tatsachen des Ich-Bewußtseins", die wir schon eingangs dieser Untersuchung zu verzeichnen hatten? Mit jenen allgemeinen Eigenschaften unseres Ich, die wir aus unserem Wesen ganz unmittelbar erkennen zu können glauben? Da ist nun gewiß richtig, daß sie, zum größeren Teil wenigstens, am einfachsten auf eine substantielle Seele zu beziehen sind; wenn es dabei auch durchaus nicht so glatt abgeht, als es auf den ersten Blick zu gehen scheint und außerdem noch aufzuklären wäre, auf welchem Weg wir zur unmittelbaren Erkenntnis von Eigenschaften der substantiellen Seele kommen, da sie doch ganz außerhalb unserer Erfahrung liegt. Es ist aber nicht unbedingt nötig, zum Verständnis dieser Tatsachen des Ich-Bewußtseins auf eine substantielle Seele zurückzugehen; wie sie zustande kommen, bleibt begreiflich, auch wenn das Ich nichts anderes ist als der Verband der Dispositionsgrundlagen zusammen mit dem der aktuellen psychischen Tatsachen des Individuums. Der erste der dort genannten Punkte, die Zugehörigkeit einer jeden psychischen Tatsache zu einem Ich, ist auf diese Voraussetzungen hin bereits im Vorstehenden geklärt. Die Zugehörigkeit ist danach eine zweifache. Sie ist einmal dadurch gegeben, daß die psychischen Tatsachen in den Dispositionsgrundlagen ihre Teilursachen haben und die Gesamthit der Dispositionsgrundlagen einen wesentlichen Bestandteil des Ich ausmacht; und dann noch dadurch, daß die psychischen Tatsachen in ihrer Gesamtheit selbst auch wieder identisch sind mit einer allerdings anderen Seite unseres Ich. - Als naheliegende Folge dieser Auffassung ergibt sich ferner die unüberbrückbare Abgrenzung und Scheidung der einzelnen Individuen gegeneinander, von welcher dort an vierter Stelle die Rede war. Da weiter, wie gesagt, der Verband der psychischen Tatsachen mit einem Stück des Ich identisch ist, somit das Gleiche auch für jede einzelne von ihnen gilt, so kann man in diesem Sinn mit vollem Recht behaupten, daß wir unser Ich in jeder unserer psychischen Tatsachen gleichsam miterleben. Die Einheit des Bewußtseins, die dort an zweiter Stelle angeführt erscheint, darf natürlich niemals für Einfachheit genommen werden. Das Bewußtsein ist fast immer von einer sehr großen Zahl verschiedener psychischer Tatsachen ausgemacht. Daß diese Vielheit immerhin zu einer Einheit zusammengefaßt erscheint, wird aus der Annahme einer substantiellen Seele durchaus nicht am besten klar. Viel befriedigender ist es, diese Einheit aufgrund ihrer erfahrungsmäßigen Beschaffenheit zu erklären. Und da findet sich folgendes. Erstens stehen die Das Bewußtsein eines Individuums jeweils ausmachenden psychischen Tatsachen in einer so zu nennenden funktionellen Einheit; d. h. das Entstehen, Beharren und Vergehen einzelner psychischer Tatsachen und Tätigkeiten des Bewußtseins ist teilweise abhängig vom Entstehen, Beharren und Vergehen anderer psychischer Tatsachen und Tätigkeiten desselben Bewußtseins. Während ich z. B. eine Rechenoperation ausführe, ist es mir nicht möglich, gleichzeitig auch die einzelnen Stimmen einer polyphonen Musik zu verfolgen; oder das Gefühl der Entrüstung über eine verwerflich Handlung kann nur solange aktuell gegenwärtig sein wie der Gedanke an diese Handlung. - Zweitens bilden die im Bewußtsein eines Individuums enthaltenen psychischen Tatsachen insofern eine Einheit, als sie alle dem etwaigen Bemerktwerden durch dieses eine Indivduum unterworfen sind; sie können, natürlich nur sukzessive, alle nur einem Individuum bewußt werden (das Wort "bewußt" im zweiten, engeren Sinne genommen). - Ein Drittes, das gleichfalls als Einheit des Bewußtseins hingestellt zu werden pflegt, liegt darin, daß in der großen Menge dessen, was jeweils unser Bewußtsein ausfüllt, es immer nur "ein" Gegenstand ist, auf den sich eben unsere Aufmerksamkeit richtet, dessen wir uns (im engeren Sinn des Wortes) gerade bewußt sind; die Tatsache, die häufig auch unter dem Namen der Enge des Bewußtseins geht. - Und schließlich ist noch daran zu erinnern, daß, wenn nicht alle, so doch viele psychische Tatsachen des Bewußtseins in innerer, realer Verbindung miteinander stehen, so daß sie eine reale, in Wirklichkeit unteilbare Einheit bilden. Man denke beispielshalber an die innige Verbindung, die zwischen der Vorstellung eines Gegenstandes und dem sich daran knüpfenden Gefühle besteht, etwa der Empfindung eines Wohlgeruchs und dem Gefühl der Annehmlichkeit, das sie hervorruft. - Diese vier Punkte sind alles, was die Erfahrung zeigt, wenn man sie nach Tatsachen befragt, die für eine Einheit des Bewußtseins in Anspruch genommen werden könnten. Sie alle aber lassen sich, das sieht man auf den ersten Blick, verstehen, auch ohne daß man eine substantielle Seele zu Hilfe nehmen müßte. So bleibt nun noch die sogenannte Einfachheit des Ich. Daß diese Einfachheit aber, solange wir uns an die Erfahrung halten, unmöglich als Unzusammengesetztheit genommen werden darf, ist nach allem bisher Besprochenen gewiß. Sie kann von diesem Standpunkt aus nur als Unteilbarkeit verstanden werden und zwar auch dies nur in dem Sinne, daß eine Teilung, deren Ergebnis die fortdauernde gesonderte Existenz der Teile wäre, praktisch undurchführbar ist. Und das findet in der Analyse des Ich, wie sie sich uns oben ergeben hat, seine genügende Begründung. Die Behauptung einer Einfachhit des Ich in strengem Wortsinn ist nur aufgrund von außerempirischen Erwägungen, vielleicht überhaupt nur mehr historisch zu verstehen. Jedenfalls kommt sie für die erfahrungsgeschichtliche Psychologie direkt nicht in Betracht. Schließlich noch das Beharren und die Unveränderlichkeit des Ich trotz stetem Wechsel der aktuellen psychischen Tatsachen. Hier ist es deutlich der Verband der Dispositionsgrundlagen, worauf sich diese Eigenschaft des Ich-Bewußtseins gründet; und wenn sich die Dispositionen eines Individuums im Lauf der Zeiten ändern, so ist es zum Verständnis der Tatsache, daß die Identität des Individuums trotzdem gewahrt bleibt, ebensowenig notwendig, eine beharrende Substanz zu postulieren, wie das bei einem Ding der Außenwelt, das seine Eigenschaften wechselt, erfordert ist. So fügen sich alle die Tatsachen des Ich-Bewußtsein, soweit sie durch die Erfahrung beglaubigt sind, ganz ungezwungen ein in unsere Auffassung des Ich, wie wir sie in den Gedankengängen des vorliegenden Kapitels zu entwickeln versucht haben. Wir können sie daher vorläufig als gesichert ansehen und wollen schließlich die Ergebnisse zum Zweck der Übersicht noch einmal kurz zusammenfassen. Ich und Unbewußtes. Unter "Bewußtsein eines Individuums" versteht man zunächst die Gesamtheit der aktuellen psychischen Tatsachen (Empfindungen, Vorstellungen, Gedanken, Gefühle usw.) dieses Individuums. Aber das Individuum muß sich nicht jeweils aller der aktuellen psychischen Tatsachen, die gerade sein Bewußtsein ausmachen, selbst wiederum bewußt sein. Denn sich einer (physischen oder psychischen) Sache bewußt sein, heißt, um die Existenz dieser Sache wissen, an ihr Dasein denken. Nun gibt es aktuelle psychische Tatsachen, um deren Dasein (Gegebensein) das Individuum, dem sie angehören, obwohl sie im allgemeinen durchaus von gleicher Art und Beschaffenheit sind, wie alle anderen aktuellen psychischen Tatsachen, doch nicht weiß, in manchen Fällen, wenn nämlich ihre Intensität die Null zuwenig übersteigt, überhaupt nicht wissen kann. Das sind dann unbemerkte oder, wie wir zu sagen pflegen, unbewußte psychische Tatsachen. Unbewußte psychische Tatsachen (Vorstellungen, Strebungen usw.) anderer Art anzunehmen, liegt in der Erfahrung gar kein Anlaß vor. Insbesondere ist es durchaus mißverständlich, die psychischen Dispositionen als unbewußte psychische Tatsachen zu bezeichnen. Sie sind vielmhr nichts anderes als Vermögen, Fähigkeiten; und was an Wirklichem, Realem zu ihnen gehört, das sind Bestandteil im (physischen oder psychischen) Organismus des Individuums, die als verhältnismäßig beharrende Teilursachen beim Zustandekommen seiner psychischen Leistungen mitwirken, die Dispositionsgrundlagen. Die Gesamtheit der Dispositionsgrundlagen muß nach der Auffassung der Wechselwirkungslehre am natürlichsten als mit dem Gehirn angesehen werden, während sich der psychophysische Realismus um ihretwillen neuerdings zur Annahme einer substantiellen Seele gedrängt sieht, auf die ihn schon die Konsequenzen seines Gedankens ansich führen. Die Gesamtheit der Dispositionsgrundlagen des Individuums macht zusammen mit der seiner aktuellen psychischen Tatsachen das aus, was wir das Ich des Individuums nennen. Die Tatsache des Ich mit allen ihren Eigentümlichkeiten weist für sich allein nicht auf eine substantielle Seele zurück. Auch sonst ist die allgemeine Theorie der psychologischen Erfahrung von dieser Hypothese unabhängig. Faßt man zudem das Verhältnis von Physischem zu Psychischem im Sinne der Wechselwirkungslehre auf, so kann man überhaupt ganz ohne sie auskommen. Nur wenn man in diesem Punkt einer anderen Auffassung, also zunächst dem psychophysischen Parallelismus, folgt, so ist man in weiterer Konsequenz auf die Annahme einer noch neben oder hinter den der Erfahrung zugänglichen psychischen Tatsachen existierenden substantiellen Seele angewiesen. Allerdings ist dann auch diese Seele noch nicht als ein einfaches Wesen, sondern gleichfalls als etwas Zusammengesetztes zu denken. Ob die Annahme einer substantiellen Seele, zumal die eines solchen einfachen Wesens, sonst nocht aus Gründen, die außerhalb der psychologischen Erfahrung liegen, gemacht werden muß, ist eine Frage für sich, der an dieser Stelle nicht vorgegriffen werden soll, da sie als eine metaphysische Angelegenheit mit der wissenschaftlichen Psychologie nichs zu tun hat. ![]()
1) GUSTAV THEODOR FECHNER, Elemente der Psychophysik, 1860, 1. Band, Einleitendes, I. - Vgl. hierzu und zum Folgenden auch PAULSEN, Einleitung in die Philosophie, 1892, 1. Buch, 1. Kapitel 2) Siehe z. B. LEIBNIZ, Ein neues System über die Natur, 1695 3) Vgl. dazu besonder: G. E. MÜLLER, Zur Theorie der sinnlichen Aufmerksamkeit, Leipzig 1878 4) Vgl. dazu die späteren Ausführungen über Klänge und Obertöne, ferner über die Klanganalyse und psychische Analyse überhaupt. 5) Siehe dazu das Nähere im folgenden Kapitel. |