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Der Streit der Psychologisten und Formalisten [3/3]
V. Das Verhältnis der Logik zur Psychologie § 10. Das logische und das psychologische Erkenntnisideal Wir machen uns nunmehr zur Aufgabe, das Verhältnis der Logik zur Psychologie einer Untersuchung zu unterwerfen, wobei wir jedoch bemüht sein werden, allen solchen Fragen, welche zu einem bloßen Wort- oder Eitelkeitsstreit führen könnten, aus dem Weg zu gehen. Ganz besondes ist die Frage, "ob die Logik eine unabhängige Wissenschaft ist", dazu geeignet, einen bloßen Wettstreit der Disziplinen und einen endlosen Wortstreit zu entfachen. Gäbe es eine Wissenschaft, die von allen anderen unabhängig wäre, dann wäre sie eine Insel unseres Wissens, d. h. sie stände außerhalb eines Zusammenhangs mit allem anderen Wissen, was gleichbedeutend wäre mit der Aufhebung der Einheit des Wissens. Ich glaube kaum, daß jemand in diesem Sinne die Unabhängigkeit der Logik fordern würde; denkt man sich aber die Unabhängigkeit einer Wissenschaft in einem anderen Sinn, dann müßte vorerst untersucht werden, welche Arten von Abhängigkeiten zwischen Wissen und Wissen möglich sind und dann käme man gewiß nie dazu, das Verhältnis von Logik und Psychologie irgendwie zu bestimmen. Es wird vielleicht von Interesse sein, hier anzumerken, daß selbst BOLZANO nicht im geringsten auf die "Unabhängigkeit" der Logik von der Psychologie dringt; obgleich man erwarten könnte, daß der Mann, der den Sinn eines Satzes ablösen lehrte von seinem psychischen Gedachtwerden, wohl konsequenterweise auch bemüht sein müßte, die Logik vollends von der Psychologie zu scheiden. Nun haben wir aber gesehen, daß jene Ablösung nicht allzu ernst genommen zu werden braucht, und so werden wir es auch - ohne irgendeine Verwunderung - hinnehmen, daß BOLZANO ganz offen und unumwunden erklärt, die Logik sei eine von der Psychologie abhängige Wissenschaft.
Man verfährt also vielleicht am zweckmäßigsten, wenn man, ohne Rücksicht auf den Streit der Parteien, ganz unbefangen an die Sache selbst geht, und sich zunächst die Aufgabe der Logik (im weitesten Sinn) möglichst klar zu machen sucht, denn in dem Maße in dem dies gelingt, muß auch das Verhältnis der Logik zur Psychologie geklärt werden können. In Bezug auf einen charakteristischen Zug der Logik als Wissenschaft dürften wohl alle Logiker übereinstimmen, und es scheint mir wichtig zu sein, vor allem diesen einen Charakterzu näher ins Auge zu fassen. Alle Wissenschaften gehen nämlich auf Wahrheit aus; während aber die meisten Wissenschaften dadurch unser Wissen von der Wahrheit bereichern wollen, daß sie mittels der Erkenntnistätigkeit etwas betrachten, was nicht Erkenntnistätigkeit ist: macht es sich die Logik zur Aufgabe, durch die Untersuchung der Erkenntnistätigkeit selbst, unser Wissen von der Wahrheit zu befördern. Diese Zurückwendung der Erkenntnistätigkeit auf sich selbst darf als ein allgemein zugestandener Charakterzug der logischen Forschung betrachtet werden: zumindest ist diese systematische Zurückwendung ein unterscheidender Zug der Logik allen solchen Wissenschaften, wie die Astronomie, Physik, Chemie, Physiologie etc., kurz allen Naturwissenschaften gegenüber, da ja alle diese Wissenschaften gewiß nicht die Erkenntnistätigkeit selbst zum Gegenstand ihrer Untersuchung machen. Der Psychologie gegenüber reicht jedoch jenes unterscheidende Merkmal nicht mehr aus. Auch die Psychologie sucht unser Wissen von der Wahrheit dadurch zu fördern, daß sie mittels der Erkenntnistätigkeit - wenn auch nicht bloß diese selbst - so doch noch umfassender alle psychische Tätigkeit überhaupt, mithin auch das Gefühls- und Willensleben des Menschen zum Gegenstand ihrer Untersuchung macht. So ist es dann auch begreiflich, daß die Auffassung Platz greifen konnte, als ob die Logik nichts anderes als ein Kapitel der Psychologie wäre, nämlich jenes Kapitel, welches man die Psychologie des Erkennens nennen könnte. Die Verlockung zu dieser Auffassung ist eine außerordentlich große, denn sie stammt aus der Wahrnehmung, daß sowohl der Logiker, als auch der Psychologe stets mit der Hinlenkung einer psychischen Tätigkeit auf eine psychische Tätigkeit beschäftigt sind. Nun braucht man nur von einem falschen Einheitsstreben erfüllt sein, umd die Forschungsweise des Logikers und des Psychologen als "einerlei" hinzustellen, und die Logik gänzlich in Psychologie aufgehen zu lassen. Von diesem falschen Einheitsstreben ist MILL geleitet in seiner Streitschrift gegen HAMILTON, wenn er sagt:
Für den ersten Schritt dürfte es vielleicht genügen, wenn wir uns überzeugen, daß zwischen logischer und psychologischer Forschungsweise tatsächlich ein Unterschied besteht: sollten wir auch diesen Unterschied nicht sofort in streng umschriebener Weise angeben können. Erst wenn wir die Gewißheit haben, daß ein Unterschied zwischen den beiden verwandten Disziplinen besteht, können wir auch Anhaltspunkte dafür gewinnen, den Unterschied mit möglichster Schärfe zu fixieren. Ich glaube nun, daß, wenn zwei Disziplinen wirklich zwei sind und nicht bloß eine: diese ihre Zweiheit notwendig hervortreten muß, sobald man sich auf das Ideal besinnt, dem sie beide zustreben. Gleich wie zwei gerade Linien, die in ihrer Richtung nur eine sehr geringe Abweichung zeigen, desto mehr auseinandergehen, je weiter wir sie in ihrem Verlauf verfolgen, muß auch die Forschungsrichtung zweier noch so nahe verwandter Disziplinen einen sofort auffallenden Unterschied zeigen, wenn man den Blick auf die durch sie angestrebten letzten Ideale wirft. Es wird dabei nicht notwendig sein, diese Ideale in aller Ausführlichkeit oder Schärfe darzulegen, weil es ja genügt zu erkennen, daß zwischen ihnen irgendein Unterschied besteht. Fassen wir zunächst das Ideal der psychologischen Erkenntnis ins Auge, so meine ich, daß die höchste psychologische Ambition sich kaum weiter versteigen dürfte, als die Gesetze der psychischen Vorgänge so sehr zu erforschen, daß wir fähig wären, für irgendeine beliebige Person P, welche in eine bestimmte Lebenslage L versetzt wird, sofort anzugeben, welches bestimmte psychische Verhalten V sie in jener Lebenslange bekunden würde. (Das Problem könnte allerdings nur dann in Angriff genommen werden, wenn etwa das psychische Verhalten V1, V2, V3, ... derselben Person in früheren Lebenslagen L1, L2, L3, ... gegeben wäre, oder was dasselbe besagen will: wenn man den bisherigen psychischen Entwicklungsgang der Person kennen würde.) Eine Umkehrung des Problems wäre es, wenn nicht das psychische Verhalten der Person die Unbekannte der psychologischen Gleichung wäre, sondern nach jener Lebenslage (jenen äußeren Reizen) gefragt werden würde, in die eine Person P versetzt werden muß, um bei ihr ein bestimmtes psychisches Verhalten V zu erzielen. Es wäre leicht, das Problem noch weiter auszuspinnen; für unseren Zweck genügt es jedoch, das Ideal psychologischer Erkenntnis, wenn auch noch so flüchtig, angedeutet zu haben. Wie verschieden von demselben ist jedoch das Erkenntnisideal des Logikers! Nicht im geringsten denkt er daran, Gesetze für unser psychisches Verhalten in verschiedenen Lebenslagen zu ergründen, zumindest liegt ihm dieses Problem nicht näher, als z. B. das Problem des chemischen Verhaltens der Substanzen unter der Einwirkung gewisser Reagentien. Der Logiker prüft unsere Erkenntnistätigkeit nur deshalb, weil er glaubt, die Erkenntnistätigkeit durch ihre Zurückwendung auf sich selbst zu einer potenzierten Erkenntnistätigkeit erheben zu können. Die Erkenntnistätigkeit soll nach der Untersuchung nicht dieselbe bleiben, wie sie vor der Untersuchung war, sondern sie soll durch die Zurückwendung auf sich selbst eine bewußtere, eine deutlichere, eine tiefere, eine mächtigere Erkenntnis werden. Hierin erkennen wir das völlig gegensätzliche Streben des Logikers und des Psychologen. Für diesen letzteren nämlich ist es von größter Wichtigkeit, daß der psychische Vorgang, auf den er reflektiert, durch diese Reflexioni auf denselben, möglichst unverändert bleibt. Ist es ja eine ewige Klage der Psychologen, daß durch das Belauschen der psychischen Vorgänge, wie etwa der Freude, der Trauer etc. diese selbst irgendwelche Veränderung erleiden. Daraus aber ist zu ersehen, daß es sich ihnen gar nicht darum handelt, die psychischen Vorgänge durch eine Reflexion auf dieselben irgendwie zu schwächen oder zu stärken; vielmehr ist ihnen nur daran gelegen, vom Verlauf der psychischen Vorgänge womöglich auf solche Weise Kenntnis zu nehmen, daß diese Kenntnisnahme selbst keinen schwächenden oder stärkenden, überhaupt keinen modifizierenden Einfluß auf die fraglichen psychischen Vorgänge übt. Im vollen Gegensatz zum Psychologen reflektiert der Logiker auf die Erkenntnistätigkeit nur deshalb, weil der dieselbe modifizieren, d. h. läutern, kräftigen, vertiefen, sagen wir kurz: potenzieren will. Die Gesetze nämlmich, die unsere Erkenntnistätigkeit leiten, wohnen nur als halbbewußter Drang dieser Tätigkeit inne, und die logische Zurückwendung der Erkenntnis auf das Erkennen soll eben jene halbbewußten Gesetze des Erkennens zu deutlichem Bewußtsein erheben, und durch diese Deutlichkeit die Macht unserer Einsicht erhöhen. Das durch die Erkenntnis der eigenen Gesetze potenzierte Erkennen soll sich dann in den Dienst einer jeden Einzelwissenschaft stellen, um jeder Disziplin behilflich zu sein, in vollerem Maße ihre spezifische Aufgabe zu erfüllen, d. h. ihr spezifisches Sonderideal vollständiger zu verwirklichen. Kurz, das logisch potenzierte Erkennen soll einer jeden Fachwissenschaft, so auch unter anderem der Psychologie, zugute kommen. Damit ist aber gesagt, daß die Logik keine sogenannte "nutzlose Spekulation" über die Erkenntnis ist, wie dies die Sensualisten, Positivisten etc. oft behauptet haben, sondern eine Wissenschaft, die auf alle Wissenszweige einen befruchtenden Einfluß üben soll. Ferner ist es klar, daß, während alle übrigen Disziplinen irgendein spezifisches Sonderideal der Erkenntnis zu verwirklichen bestrebt sind, die Logik sich von vornherein durch die Erforschung der Gesetze des Erkennens in den Dienst des allgemeinen Erkenntnisideals stellt. Dieses allgemeine Erkenntnisideal aber ist: der einheitliche Zusammenhang aller Erkenntnis. Unsere Erkenntnis ist sich nämlich von Anbeginn her - wenn auch nur in dunkler Weise - jenes höchsten Gesetzes bewußt, demzufolge die Einzelwahrheiten, die wir erkennen, keine auseinanderfallende Vielheit bilden, sondern sich in ein zusammenhängendes System der einen Wahrheit ordnen müssen. Das höchste Streben der Logik ist die Vereinheitlichung aller Erkenntnis. Ich finde dieses Ideal bei UPHUES in sehr markanter Weise ausgedrückt:
Da wir uns also in der Divergenz der psychologischen und logischen Bestrebungen bestärkt haben, wollen wir ihren Charakterunterschied noch genauer in Augenschein nehmen. psychische Funktionen Indem wir die höchsten Bestrebungen der Logik und der Psychologie gegeneinander hielten, haben wir uns überzeugt, daß es unmöglich ist, die eine dieser beiden Wissenschaften in die andere aufgehen zu lassen. Eine Verwandtschaft besteht zwischen ihnen nur deshalb, weil sie alle beide - wie wir sagten - mit der Hinlenkung einer psychischen Tätigkeit beschäftigt sind. Sollen sie nun genauer voneinander unterschieden werden, so muß jedenfalls jene Hinlenkung des Psychischen auf das Psychische einer eingehenden Betrachtung unterworfen werden. Gehen wir zu diesem Zweck von einem bestimmten sinnlichen Eindruck aus, wie er etwa in den Sätzen "Ich höre, daß die Glocke tönt" zu einer sprachlichen Darstellung gelangt. Der zweite dieser Sätze entspricht einem Sachverhalt, der erste hingegen einem psychischen Vorgang, der auf jenen Sachverhalt gerichtet ist. Nun ist es klar, daß ich den Psychischen Vorgang des Hörens nicht auf sich selbst zurückzuwenden vermag; d. h. ich kann wohl den Glockenton, nicht aber auch das Hören desselben hören. Ähnlich vermag man Farben zu sehen, nicht aber den psychischen Vorgang des Sehens mit dem Sehen verfolgen; auch kann ein beliebiger Körper betastet werden; das Tasten selbst bleibt jedoch unbetastbar. Überhaupt wird keine einzige Sinnestätigkeit mittels diese oder einer anderen Sinnestätigkeit beobachtet werden können. Ähnlich kann man es sich zum Bewußtsein bringen, daß man wohl einen Schmerz, nicht aber das Fühlen eines Schmerzes fühlen kann. Denn wäre dies möglich, dann könnten wir ein Fühlen (F1), abermals fühlen (F2) und durch Wiederholungen dieser Operation zu (F3), (F4) ... gelangen, d. h. es würde von unserer Willkür abhängen, unser Fühlen ins Unendliche zu potenzieren, was doch gewiß nicht der Fall ist, denn bekanntlich sind unsere Gefühlszustände (etwa der sinnlichen Lust und Unlust) von unserem Hinzutun im höchsten Maße unabhängig. Was schließlich den Willen betrifft, so werden wir, da er immer entschieden auf ein zu ereichendes Ziel und nicht auf sich selbst gerichtet ist, von einer Zurückwendung auf sich selbst am allerwenigsten sprechen dürfen. Während wir aber durchaus keinen Sinn mit solchen Ausdrücken, wie Tasten des Tastens, Sehen des Sehens etc. zu verbinden vermögen: werden wir keinen Augenblick an den wohlberechtigten Sinn solcher Behauptungen, wie "ich weiß, daß ich taste", "ich weiß, daß ich sehe" zweifeln können. Ähnlich verhält es sich mit den Urteilen: "ich weiß, daß ich fühle", "ich weiß, daß ich will". Läßt sich also auch ein Empfinden, ein Fühlen oder Wollen nicht auf sich selbst zurückwenden, so kann doch immer ein "Wissen" auf sie alle hingewendet werden. Aber dieses "Wissen" hat nicht nur den eigentümlichen Charakter, daß es in innigster Beziehung steht zu jedem der erwähnten psychischen Vorgänge, sondern es erleidet keinen Zweifel, daß es auf sich selbst zurückgewendet werden kann, und daß es also einen guten Sinn hat zu sagen: "ich weiß, daß ich weiß". Wenn man es zugibt, daß von einem Wissen des Wissens mit Recht die Rede sein darf; ein Sehen des Sehens jedoch unmöglich ist, so hätten wir hier eine Unterscheidung gewonnen, die sich für das Auseinanderhalten der Logik und der Psychologie trefflich verwenden läßt. Denn man könnte dann von einer allgemeinen psychischen Funktion sprechen, nämlich von dem "Wissen", zu dessen Charakter es gehören würde, in innigster Beziehung zu allen übrigen psychischen Funktionen zu stehen, und sich auch auf sich selbst zurückzubeziehen: während Empfinden, Fühlen und Wollen als psychische Sonderfunktionen zu bezeichnen wären, weil es ihnen sozusagen an der Fähigkeit gebricht, sich auf andere psychische Funktionen oder auf sich selbst zu beziehen. Diese Sonderfunktionen, welche man vielleicht noch zweckmäßiger konkrete psychische Funktionen nennen könnte, und die den breiten Unterbau unseres geistigen Lebens bilden, würden dann die eigentliche Domäne der Psychologie als Wissenschaft ausmachen, während die Untersuchung der allgemeinen, oder abstrakten psychischen Funktion des Wissens, bzw. Erkennens der Logik zufiele. Eine solche Teilung der Forschungsgebiete scheint nämlich einerseits die tatsächlich bestehende Arbeitsteilung der Psychologen und Logiker - zumindest im Großen und Ganzen - zum Ausdruck zu bringen; andererseits würde sie aber auch eine prinzipielle Begründung dieser tatsächlichen Arbeitstheilung mittels des Gegensatzes von konkretem und abstraktem psychischen Leben liefern. Aber diese Teilung würde auch den innigen Zusammenhang der beiden Disziplinen zur Anschauung bringen, denn Logik und Psychologie würden sich dann wechselseitig ebenso bedingen und durchdringen, wie wir das von ihren Gegenständen, den konkreten und abstrakten psychischen Funktionen voraussetzen müssen. Nicht minder würde aber auch jener Gegensatz der beiden Disziplinen, demzufolge die Psychologie bloß ein Sonderideal, die Logik hingegen das allgemeine Erkenntnisideal zu verwirklichen bestrebt ist, vollauf gerechtfertigt erscheinen. Versuchen wir also unsere Scheidung zwischen Logik und Psychologie möglichst fest zu begründen. Was zunächst die Nichtzurückwendbarkeit der sinnlichen Funktionen auf sich selbst betrifft, so dürfte dieselbe kaum in Zweifel gezogen werden. Ist es ja zum Teil dieser Umstand, der COMTE dazu veranlaßte, die Möglichkeit einer Psychologie rundweg in Abrede zu stellen, und als Ersatz für dieselbe eine Phrenologie [Schädelformlehre - wp] zu fordern. Er bedachte nicht, daß wenn wir auch das Sehen nicht besehen können, wir doch ein "Wissen" haben, um unser Sehen und um unsere konkreten psychischen Funktionen überhaupt, und daß dieses Wissen ein festes Fundament aller psychologischen (auch der psychophysischen) Forschung ist. So verkehrt aber auch sein Standpunkt sein mag, darin müssen wir ihm völlig beipflichten, daß es eine sogenannte "innere Beobachtung" gar nicht gibt, falls man nämlich unter "innerer Beobachtung" das Besehen des Sehens, Betasten des Tastens etc. verstehen will. Die "innere Beobachtung", wie auch die "innere Wahrnehmung" sind bloß bildliche Ausdrücke, und sie bedeuten durchaus nichts anderes, als daß wir ein Wissen haben um unser Hören, Sehen, etc. Wir werden im Folgenden das Wissen um unsere konkreten psychischen Funktionen näher betrachten müssen; hier jedoch muß vor allem betont werden, wie wichtig es ist, dessen stets eingedenk zu bleiben, daß Ausdrücke wie "innere Wahrnehmung" nur in einem übertragenen Sinn genommen werden dürfen. Wie notwendig ein stetiger Hinweis auf die Bildlichkeit unserer psychologischen Ausdrucksweise ist, zeigt die landläufige Erklärung der Psychologie, daß sie die tatsächlich gegebenen Erscheinungen des Seelenlebens zu beschreiben und durch Analyse in ihre einfachsten Elemente aufzulösen habe. Hier ist der Terminus "beschreiben" wieder nur im übertragenen Sinn zu nehmen, wobei man aber gar nicht mehr weiß, was man unter einer übertragenen Beschreibung verstehen soll. Man kann eine Landschaft, die man sieht, beschreiben, aber das Besehen einer Landschaft läßt sich durchaus nicht beschreiben; ja, es läßt sich gar nicht begreifen, wie man irgendeinen Sinn mit der "Beschreibung" einer Sehfunktion oder einer psychischen Funktion überhaupt verbinden soll, da es eben zum Charakter der psychischen Funktionen gehört, ganz unbeschreiblich zu sein. Zwischen allen möglichen Ausdrücken, welche die Aufgabe der Psychologie kennzeichnen sollen, scheint mir der des "Beschreibens" der am wenigsten angemessene zu sein, ja dem wissenschaftlichen Charakter der Psychologie schnurstracks zuwiderzulaufen. Und es ist nicht das Wort, das ich beanstande, sondern die angebliche Methode, die sich hinter diesem Wort verbirgt. Was sollen wir von der "deskriptiven Methode" in der Psychologie halten, wenn wir nicht wissen, was von einem bloß in einem metaphorischen Sinn zu nehmenden Beschreiben zu denken sein soll. Läuft diese deskriptive Methode zum Schluß nicht darauf hinaus, Ausdrücke, die in einem übertragenen Sinn gebraucht werden sollten, in ihrem eigentliche Sinn zu nehmen? Ich will nicht behaupten, daß sie dies in allen Fällen tut, aber daß psychologisches Scheinwissen am leichtesten erzeugt und psychologische Sophistik mit bestem Erfolg betrieben werden kann, wenn man eigentliche und uneigentliche Ausdrücke ineinander überspielt, das braucht wohl nicht weitläufig bewiesen zu werden. So ist z. B. selbst ein solcher Ausdruck, wie "psychischer Vorgang" nur in einem übertragenen Sinn zu nehmen, da wir unter Vorgang ursprünglich ein physisches Geschehen verstehen, das mittels des Tastens, Sehens, Hörenns etc. tatsächlich verfolgt werden kann, oder zumindest in der Phantasie verfolgbar ist. So z. B. machen wir uns von einem chemischen Vorgang in der Phantasie die Vorstellung, daß Atome der Elemente zu neuen Molekülen miteinander zusammentreten. Ein psychischer Vorgang läßt sich jedoch weder betasten, besehen etc., noch auch, wie z. B. ein chemischer Vorgang, in der Phantasie vorstellen. Wir sensifizieren also die psychischen Vorgänge, indem wir sie mit dem Namen Vorgänge belegen und es scheint mir, daß wir uns dieser Sensifikation kaum noch bewußt sein. Wir sprechen von psychischen Vorgängen so, daß es den Anschein hat, als wolten wir den uneigentlichen Ausdruck für den eigentlichen nehmen. Welche Folgen dies hat, will ich an einem Beispiel anschaulich machen. Wir haben uns daran gewöhnt, ganz in demselben Sinn von einem zeitlichen Verlauf unserer psychischen Vorgänge zu sprechen, in welchem Sinn wir von einem zeitlichen Verlauf der physischen Vorgänge zu sprechen pflegen. Nun können wir wohl auf eine zeitliche Folge der Töne in unserem Hören Acht haben, doch ist es unmöglich, eine zeitliche Folge von Hörakten zu hören, weil das Hören überhaupt nicht auf sich selbst gewendet werden kann. Wir sagen trotzdem alle: "ich höre jetzt Musik" oder "ich habe gestern Musik gehört", wobei wie das jetzt und das gestern auf das Hören beziehen; kurz wir übertragen den zeitlichen Verlauf der Töne auf die psychische Funktion des Hörens, in welchem wir uns jene Töne vorgestellt haben, oder mit anderen Worten, wir lassen durch den zeitlichen Verlauf der Töne auch das Hören derselben zeitlich bestimmt sein. Der Leser wird dies vielleicht für dermaßen selbstverständlich finden, daß er Anstoß daran nimmt, wenn wir überhaupt noch einen Unterschied machen wollen zwischen dem zeitlichen Verlauf der Töne und dem zeitlichen Verlauf des Hörens, da doch mit beiden Ausdrücken dasselbe gemeint ist und es den Anschein hat, als ob es eine rein scholastische Spitzfindigkeit wäre, derartige Unterscheidungen zu machen. Wenn wir aber das Recht haben, die zeitliche Folge von Tönen auch auf die psychische Funktion des Hörens ohne weiteres zu übertragen, ja, wenn wir dies gar nicht mehr als ein Übertragen anerkennen wollen, dann dürfen wir mit vollem Recht auch den räumlichen Charakter des Gesehenen auf die psychische Funktion des Sehens selbst übertragen, da es keinen Zweifel erleidet, daß das Gesehene zum Sehen im selben Verhältnis steht, wie das Gehörte zum Hören: nämlich in einem Verhältnis des Empfundenen zum Empfinden, des Vorgestellten zum Vorstellen. Wenn also der zeitliche Verlauf der Töne als ein zeitlicher Verlauf der Hörakte aufgefaßt werden darf, dann dürfte mit demselben Recht die räumliche Extension von Farbenflecken als die räumliche Extension der Sehakte selbst gedeutet werden. Es würde zum Charakter der psychischen Funktion des Sehens gehören, selbst räumlich ausgedehnt zu sein, was dann wahrscheinlich zur Folge hätte, daß das Sehen selbst besehen werden könnte. Da ferner dem Betasten selbst die Eigenschaft der Undurchdringlichkeit zukommt, müßten wir wahrscheinlich auch der psychischen Funktion des Tastens Undurchdringlichkeit zuschreiben. Sind wir einmal beim Sensifizieren der psychischen Funktionen angelangt, dann gibt es in diesem Prozeß keinen Halt mehr. Schreiben wir den psychischen Funktionen Zeitlichkeit in demselben Sinn zu, wie irgendwelchen physischen Vorgängen, dann werden wir ihnen auch Räumlichkeit und zum Schluß auch Undurchdringlichkeit nicht absprechen dürfen. Man entnimmt daraus, welch große Bedeutung es hat, des uneigentlichen Charakters unserer psychologischen Terminologie stets eingedenk zu bleiben, denn das unvermerkte Umdeuten eines uneigentlichen in einen eigentlichen Ausdruck hat zur Folge, daß wir in den Abgrund eines widersinnigen Materialismus geraten. Demzufolge scheinen mir solche Termini, wie "äußere Beobachtung", "innere Beobachtung", "äußere Wahrnehmung", "innere Wahrnehmung", "äußerer sinne", "innerer Sinn" für die Entwicklung einer wissenschaftlichen Psychologie leicht in höchstem Maße gefährlich werden zu können, zumindest, wenn man es unterläßt, auf ihren metaphorischen Charakter hinzuweisen, und ihnen parallel Ausdrücke zu gebrauchen, welche uns zu keiner Sensifikation der psychischen Funktionen verleiten. Ich finde selbst bei UPHUES, daß er sich solchen Ausdrücken, wie "beschreibende Psychologie" nicht widersetzt. So sagt er z. B.:
Keinesfalls können wir aber daran irre werden, daß die konkreten psychischen Funktionen, wie das Sehen, Hören etc., sich nicht auf sich selbst zurückwenden lassen, oder, wenn der Ausdruck besser gefällt, sich selbst nicht zum Inhalt haben können. Ihnen allen haben wir die allgemeine psychischen Funktion des "Wissens" gegenübergestellt, als welches alle übrigen psychischen Funktionen und auch sich selbst durchleuchtet. Der Zusammenhang dieser allgemeinen psychischen Funktioinen mit den besonderen Funktionen soll der Gegenstand unserer nächsten Betrachtungen sein. reflektiertes Bewußtsein Wir haben die psychischen Funktionen in rückbezügliche und nicht rückbezügliche eingeteilt, und es könnte den Anschein haben, als ob wir hierdurch eine Kluft zwischen dem konkreten und abstrakten psychischen Leben statuieren wollten. Dies liegt uns aber durchaus fern, wie es schon die Bezeichnungen: allgemeine und besondere psychische Funktionen (statt rückbezügliche und nicht rückbezügliche) zum Ausdruck bringen sollen. Im Begriff einer allgemeinen psychischen Funktion liegt es nämlich, daß sie in einer jeden besonderen psychischen Funktion gegenwärtig ist, also in jedem Empfinden, Fühlen, Wollen; so daß jede besondere psychische Funktion bloß als Besonderung, als Modifikation der einen allgemeinen psychischen Funktion aufgefaßt werden muß. Man nennt die psychische Funktion in ihrer Allgemeinheit: "das Bewußtsein". Gemäß unserer Unterscheidung zwischen rückbezüglichen und nicht rückbezüglichen psychischen Funktionen werden wir nunmehr deutlich in zweierlei Sinn von einem Bewußtsein sprechen können, nämlich im Sinn eines reflektierten und nicht reflektierten Bewußtseins. Wenn ich z. B. eine rote Farbe sehe, so habe ich in meinem Sehen ein Wissen (ein Bewußtsein) um die rote Farbe, und dieses Wissen heißt ein unmittelbares oder unreflektiertes Wissen (oder Bewußtsein). Dieses Wissen um die rote Farbe ist wohl zu unterscheiden vom einem Wissen um das Sehen der roten Farbe, denn dieses Wissen um das Sehen ist schon ein Wissen um ein Wissen, oder richtiger ein Bewußtsein um ein Bewußtsein von der roten Farbe, also schon ein reflektiertes Bewußtsein. Ein Säugling z. B. kann ganz gut einen Eindruck von der roten Farbe gewinnen, und man wird seinem Empfinden nicht alle Bewußtheit absprechen dürfen, denn sonst wäre das Empfinden eben kein Empfinden mehr. Das Empfinden des Säuglings repräsentiert also ein unreflektiertes Bewußtsein von dem, was er empfindet. Ein Wissen von seinem Sehen hat jedoch der Säugling nicht; d. h. sein Bewußtsein vermag noch nicht auf die eigenen Vorgänge zu reflektieren. Auf dem Unterschied es unreflektierten und des reflektierten Bewußtseins beruth der Unterschied zwischen Psychologie und Logik. Diese letztere reflektiert auf das reflektierte Bewußtsein und ist bestrebt, durch die Erforschung der Gesetze unseres reflektierten Bewußtseins unsere Erkenntnistätigkeit zu potenzieren; die Psychologie hingegen wid bemüht sein, die durch die Logik potenzierte Reflexion in die Erforschung des unreflektierten Bewußtseins hineinzutragen. Man ersieht hieraus, wie sehr die Psychologie (wie alle Spezialwissenschaften) von der Logik abhängig ist; wie sollte sie dann auch nur einen einzigen Schritt ohne Hilfe der logisch geschulten Reflexion machen können? Es ist aber zu bemerken, daß auch die logische Forschung in jedem ihrer Schritte von der Psychologie abhängig bleibt, denn unser reflektiertes Bewußtsein ist, wie wir später sehen werden, immer von einem unreflektierten Bewußtsein durchdrungen, und ohne Rücksicht auf dieses unreflektierte Bewußtsein läßt sich auf das reflektierte nicht untersuchen. Aber trotz dieser wechselseitigen innigen Durchdringung der beiden Disziplinen, oder vielleicht gerade infolge dieser Durchdringung läßt es sich nicht verkennen: daß die Forschungsrichtungen der beiden Wissenschaften einander diametral entgegengesetzt sind, indem die eine fortwährend die reflektierte, die andere hingegen die unreflektierte Seite unseres geistigen Lebens im Auge behält. Eine Verwechslung der beiden Wissenschaften ist im Grunde genommen ebensowenig möglich, wie man das Oben und das Unten in der sinnlichen Anschauung nicht zu verwechseln vermag. Wir haben - wie gesagt - zu unterscheiden zwischen dem Bewußtsein, das einer jeden psychischen Funktion als solcher innewohnt, und zwischen dem Bewußtsein von dieser psychischen Funktion, wobei letztere schon ein reflektiertes Bewußtsein ist. Dieses letztere Bewußtsein von den Vorgängen unseres Bewußtseins ist es, das uns hier interessiert. Wir haben durch Reflexion eine Kenntnis davon, daß wir tasten, sehen, hören etc., und diese Kenntnisnahme ist es, die unter dem Titel einer "inneren Wahrnehmung" die Grundlage aller psychologischen Forschung ausmacht. Indem wir nun die "innere Wahrnehmung" der "äußeren Wahrnehmung" entgegensetzen, geschieht es leicht, daß wir an eine mystische Fähigkeit zu denken beginnen, vermöge welcher wir unsere eigene geistige Tätigkeit von innen zu beschauen vermögen; daß wir uns etwa einen inneren Sinn denken, der sich zu einem äußeren Sinn so verhält, wie dieser äußere Sinn zu den Empfindungen. Während nämlich der äußere Sinn seine Empfindungen beschaut, würde seine Tätigkeit hinterrücks von einem "inneren Sinn", dem psychologischen Sinn, belauert werden. Schon der Ausdruck "innerer Sinn" zeigt deutlich, daß man es hier mit einem Phantasiegebilde, mit einer Sensifikation unseres reflektierten Bewußtseins zu tun hat. Nun ist aber die Kenntnisnahme von unserem Tasten durchaus kein neues und inneres Tasten, die Kenntnisnahme von unserem Sehen wiederum kein neues und inneres Sehen, die Kenntnisnahme von unserem Fühlen und Wollen ebenso kein neues inneres Fühlen oder inneres Wollen. Es fragt sich also, ob wir gut daran tun, wenn wir die Reflexion auf unsere psychischen Akte: ein inneres Wahrnehmen durch einen inneren Sinn nennen, ja sogar von einer "Form des inneren Sinnes" ganz entsprechend der "Form des äußeren Sinnes" sprechen, als ob der innere Sinn wirklich eine versteckte innere Sinnestätigkeit entfalten würde? Es ist vielleicht von Interesse, hier in Erinnerung zu bringen, daß der "innere Sinne" in der Wahrnehmungslehre des THOMAS von AQUIN tatsächlich die Rolle eines verborgenen Sinnes (in seiner sensualistischen Bedeutung) spielt. THOMAS betrachtet nämlich die Empfindungen als Funktionen der körperlichen Sinnesorgane und er meint, daß diese Sinnesorgane, eben weil sie körperlich sind, keine Kenntnis ihrer eigenen Funktion haben, d. h. auf die eigene Funktion nicht zu reflektieren vermögen. Er nimmt weiterhin einen inneren Sinn, "sensus communis" an, der die Akte der äußeren Sinne wahrnimmt, aber ebenfalls körperlich ist und demzufolge wiederum keine Kenntnis von seiner eigenen Funktion hat, d. h. nicht auf sich reflektiert. Es ist der Vorteil dieser Theorie, daß sie das, was sie meint, mit ziemlicher Unzweideutigkeit ausspricht. Auch der "innere Sinn" ist körperlich, auch er reflektiert ebensowenig, wie die äußeren Sinne; denn das Reflektieren bleibt eben dem Verstand vorbehalten. Die Widersprüche dieser Lehre liegen eben infolge ihrer Unzweideutigkeit auf der Hand. Die Mühe nämlich, die sich der "sensus communis" oder der innere Sinn gibt, die Tätigkeit der äußeren Sinne wahrzunehmen, ist eine ziemlich verlorene Liebesmühe, denn diesem inneren Sinn mangelt es ja an Reflexion auf die eigene Tätigkeit, und so kämen wir zu gar keiner Kenntnisnahme von der Tätigkeit jenes inneren Sinnes. Es würde auch nichts nützen, noch einen zweiten, dritten etc. inneren Sinn anzunehmen, der die Tätigkeit des unter ihm stehenden inneren Sinnes wahrnehmen würde, denn alle diese "inneren Sinne" würden der thomistischen Auffassung gemäß körperlich sein müssen, und so kämen sie nie zu einer Reflexion über die eigene Tätigkeit. Es fehlt in dieser Hypothese eine Kommunikation zwischen Sinnlichkeit und Verstand, denn zwischen ihnen soll eben eine unüberbrückbare Kluft gähnen. Trotzdem ist diese thomistische Auffassung sehr instruktiv, denn sie deckt jene Schwierigkeit auf, welche mit der Annahme des sogenannten "inneren Sinnes" gelöst werden soll. Dieser "innere Sinn" dient in der modernen Psychologie dazu, Sinnlichkeit und Verstand zu überbrücken, demzufolge ist auch sein Charakter ein durchaus zweideutiger, wie dies schon aus seiner Zusammensetzung zu entnehmen ist. Insofern er nämlich ein Sinn ist, gehört er der sensuellen Sphäre des Geistes an, seine Innerlichkeit aber soll anzeigen, daß er zugleich nicht sinnlicher Natur ist. Es fragt sich aber, ob mit solchen zweideutigen Ausdrücken der Philosophie wirklich gedient ist. Es ist das Verdienst BRENTANOs, die Lehre vom inneren Sinn oder der inneren Wahrnehmung einer neuen und geistvollen Kritik unterworfen zu haben. Die Bemerkungen, die ich oben über die thomistische Wahrnehmungslehre gemacht habe, stimmen zum Teil mit denjenigen BRENTANOs überein (Empirische Psychologie, Buch II, Kap. 2, § 7, Seite 164-165). Ich kann mich jedoch auch seiner Theorie von der inneren Wahrnehmung nicht anschließen, denn es scheint mir, daß auch er die arge Zweideutigkeit dieses Begriffs nicht überwunden hat. Er macht nämlich keinen Unterschied zwischen dem Bewußtsein, sofern es in einen psychischen Akt eingeschlossen ist (die Bewußtheit der Empfindung), und zwischen dem Bewußtsein, das wir von einem psychischen Akt haben (das Bewußtsein vom Empfinden). Dadurch vermengt er die Sinnlichkeit mit der Reflexion und es erwächst ihm eine Komplikation, die wir im Folgenden aufzeigen wollen. Wenn ein psychisches Phänomen - sagt BRENTANO - nicht möglich ist, ohne ein darauf bezügliches Bewußtsein, so hat man mit der Vorstellung eines Tones zugleich eine Vorstelung von der Vorstellung des Tones, d. h. eine Vorstellung vom Hören desselben. Aber auch die Vorstellung des Hörens kann nicht bestehen ohne ein darauf bezügliches Bewußtsein, usw. ins Unendliche. Nennen wir die Vorstellung des Tones V1, die Vorstellung vom Hören des Tons V2, die Vorstellung von dieser Vorstellung V3 etc., so würde eine jede Vorstellung eine unendliche Reihe von Vorstellungen bedingen, und es bliebe nichts übrig, als diese Reihe irgendwo abgebrochen zu denken, etwa bei Vn, so daß die höheren Vorstellungen Vn+1, Vn+2 ... ad. inf. als unbewußte Vorstellungen in unserem Bewußtsein figurieren müßten, wie dies HERBART tatsächlich angenommen hat. BRENTANO ist nun bestrebt zu zeigen, daß diese unendliche Komplikation nicht besteht, und daß die Annahme von unbewußten Vorstellungen ganz überflüssig ist. Er meint, daß die Vorstellung des Tones und die Vorstellung des Hörens nur einen einzigen Akt bilden. In demselben psychischen Akt, in welchem man ein Bewußtsein vom Ton gewinnt, ist auch ein Bewußtsein vom Hören mit eingeschlossen. Das muß aber notwendig bestritten werden, denn ein Säugling vermag wohl einen Ton zu empfinden, aber in dieser Empfindung eines Tones ist nicht zugleich ein Wissen vom Hören dieses Tones eingeschlossen, denn erst ein höher entwickeltes Bewußtsein vermag mit dem Empfinden eines Tones auch ein Bewußtsein vom Empfinden oder Hören dieses Tones zu verbinden. Das Empfinden eines Tones ist ein noch unreflektiertes (sinnliches) Bewußtsein; das Wissen davon, daß man hört, ist schon ein reflektiertes (nicht sinnliches) Bewußtsein. Im unreflektierten Bewußtsein aber ist die Reflexion auf dieses Bewußtsein keineswegs miteingeschlossen. Um zu einem richtigen Begriff von einem Bewußtsein zu gelangen, müssen wir zwei Charakterzüge desselben deutlich voneinander unterscheiden. Erstens vermag unser Bewußtsein Bestimmtheiten oder Modifikationen zu erleiden. So ist z. B. das Hören und näher das Hören dieses Tones eine Bestimmtheit oder Modifikation unseres Bewußtsein; ferner ist das Sehen und näher das Sehen eben dieser Farbe wiederum eine Bestimmtheit oder Modifikation unseres Bewußtseins etc. etc. Insofern unser Bewußtsein eine Bestimmtheit oder Modifikation, also z. B. diese bestimmte Empfindung, dieses bestimmte Gefühl etc. erleidet, heißt es ein unreflektiertes Bewußtsein und kann als solches nicht auf sich selbst zurückgewendet werden, d. h. das Hören eines Tones kann nicht gehört, das Sehen einer Farbe kann nicht besehen werden. Zweitens hat aber unser Bewußtsein den eigentümlichen Charakter, daß es nicht nur fähig ist, eine Bestimmtheit zu erleiden, sondern daß es auch ein Wissen hat von sich selbst, also ein Wissen vom Erleiden jener Bestimmtheit. Diese Reflexioni auf die Modifikationen unseres Bewußtseins darf jedoch nicht als eine zweite Sinnlichkeit oder innere Sinnlichkeit aufgefaßt werden, denn das Wissen vom Hören ist kein zweites Hören, das Wissen vom Sehen kein zweites Sehen etc. Wenn wir das reflektierende Bewußtsein Verstand nennen, so ist die Kenntnisnahme von unserem Tasten, Sehen, Hören etc. als Verstandestätigkeit zu bezeichnen. Der sogenannte innere Sinn ist also der Verstand, und die sogenannte innere Wahrnehmung ist eine Verstandestätigkeit. Mittels des Verstandes nimmt der Psychologe Kenntnis von den Vorgängen (Bestimmtheiten, Modifikationen) seines Bewußtseins, nicht aber mittels eines inneren Sinnes (dessen Form die Zeit wäre). Haben wir aber einmal das reflektierte Bewußtsein vom nicht reflektierten wohl unterschieden, dann erleidet es für uns keinen Zweifel, daß auf jede Reflexion wieder reflektiert werden kann und daß jene schrankenlose Komplikation unseres Bewußtseins, vor welcher BRENTANO uns bewahren will, für den Denkenden nicht zu vermeiden ist. Die Formel "ich weiß, daß ich weiß, daß ich weiß ..." etc. ist der Ausdruck für jene wiederholte Zurückwendung des Bewußtseins auf seine eigenen Bestimmtheiten und Funktionen, und diese Formel muß aus beliebig vielen Gliedern bestehend gedacht werden. Allerdings ist die Formel selbst eine "leere", d. h. wir fühlen unsere Erkenntnis dadurch nicht bereichert, wenn wir in ihr beliebig viele Glieder annehmen: dieser Umstand darf uns jedoch nicht dazu verleiten, die hohe Bedeutsamkeit jener Formel irgendwie zu verkennen. Allerdings gewinnen wir dadurch nichts, wenn wir von einer Kenntnisnahme von neuem Kenntnis nehmen usw., denn eine einzige Kenntnisnahme leistet dasselb wie eine beliebig oft auf sich selbst zurückbezogene; aber unter Reflexion ist ja nicht bloße eine Kenntnisnahme, sondern überhaupt die Tätigkeit des Verstandes, im Gegensatz zu den Bestimmtheiten des Empfindens, Fühlens und Wollens zu verstehen, die auf sich nicht zurückgewendet werden können. Was jene aus beliebig vielen Gliedern bestehende Reflexionsformel zu bedeuten hat, das läßt sich an einem Beispiel leicht zeigen. Ein Kind kann sehr gut dahin gelangt sein, zu wissen, daß 3 x 2 = 2 x 3 ist, ohne daß es noch wüßte, daß in einer Multiplikation überhaupt die Reihenfolge der Faktoren eine gleichgültige ist. Das Kind reflektiert also auf die Faktoren 3 und 2 innerhalb der Multiplikation, es reflektiert jedoch nicht auf den Charakter des Multiplizierens selbst. Ebenso kann jemand schon den Schluß angewandt haben, daß, wenn a = b und b = c, dann auch a = c ist, ohne auf das Schließen selbst reflektiert zu haben und zu erkennen, daß er im Schluß durch die Verbindung zweier Sätze zu einem dritten gelangt ist. Es ist etwas anderes zu multiplizieren und wieder etwas anderes auf die geistige Tätigkeit des Multiplizierens zu reflektieren; ebenso ist es etwas anderes, einen Schluß im Denken durchzuführen und auf die geistige Tätigkeit des des Schließens zu reflektieren. Die Arithmetik würde auf eine äußerst niederen Stufe ihrer Entwicklung stehen geblieben sein, würden wir bloß in gegebenen Fällen auf die Zahlen innerhalb einer Operation, nicht aber auf die Natur der Operationen selbst reflektiert haben. Die Logik als Wissenschaft ist übrigens ein lebendiges Zeugnis dafür, daß der Verstand auf seine eigenen Funktionen immer von neuem zurückzukommen vermag, um dadurch die eigene Erkenntniskraft zu potenzieren. Allerdings ist nicht jede Zurückwendung des Verstandes auf die Verstandestätigkeit gleich von einem Zuwachs der Erkenntnis begleitet, und es werden, wie in allen Wissenschaften, so auch in der Logik unzählige Versuche gemacht, die resultatlos verlaufen, ja nicht selten auch Verwirrung stiften, statt neue Aufklärung zu bringen; nichtsdestoweniger sind wir dessen gewiß, daß der Verstand sich durch das Zurückwerfen des Erkennens auf das Erkennen zu höheren Stufen des Erkennens aufzuschwingen vermag, und jene Reflexionsformel zeigt uns durch die unendliche Anzahl ihrer Glieder an, daß einer fortschreitenden Vervollkommnung unseres Verstandes prinzipiell nichts im Wege steht. Diese Vervollkommnung des Verstandes halte ich für die eigentliche Aufgabe der Logik und aus dieser Bestimmung ihrer Aufgabe folgt zugleich, daß sie selbst weit entfernt davon ist, eine abgeschlossene Wissenschaft zu sein, vielmehr wie jede andere Wissenschaft fortzuschreiten vermag. Freilich wird durch diesen Fortschritt der Logik der Grundcharakter unseres Verstandes durchaus nicht verändert; besteht ja der Fortschritt eben darin, daß wir diesen Grundcharakter immer besser erkennen lernen. Unsere Erkenntnis hat in allen ihren Stufen Teil an der einen Wahrheit, aber dieses Teilhaben kann vervollkommnet und befestigt werden. Die Logik versucht es, das Erkennen durch eine Zurückwendung auf sich selbst zu potenzieren, und gelingt es ihr, in dieser Richtung auch den kleinsten Schritt vorwärts zu machen, dann ist auch dieses kleinste Resultat von unermeßlicher Bedeutung für alle anderen Wissenschaften, denn der irgendwie vervollkommnete Verstand muß auf allen Gebieten der menschlichen Forschung Erkenntnisse erringen können, die ihm bislang verschlossen waren. Mögen also die philosophischen Schulen noch so sehr einander befehden, mögen die sogenannten "Gesetze des Denkens" noch so sehr umstritten sein, so daß nicht zwei Autoren zu finden sind, die in diesem Punkt übereinstimmen: aus allem Widerstreit der Meinungen ringt sich doch immer die eine, die ewige Logik siegreich hervor. * Die abgegriffene Phrase, daß die Logik eine "normative" Wissenschaft ist, drückt also gar nicht das Wesen der Logik aus. Das Zurückwerfen der Erkenntnistätigkeit auf die Erkenntnistätigkeit fördert eine Erkenntnis zutage, die an und für sich, ohne daß sie irgendwo angewendet würde, eine Bereicherung unseres Wissens ist; allerdings hat diese Bereicherung den Charakter, daß sie ausnahmslos in aller Wissenschaft zur Befruchtung dieser Wissenschaft verwendet werden kann. Die Logik ist es, die die leitenden Ideen aller wissenschaftlichen Forschung herausarbeitet; wenn es auch nicht immer die Logiker von Fach waren, welche die logischen Ideen produzierten. Versteht man also unter einer normativen Wissenschaft eine solche, welche durch die immer tiefere Erforschung der Gesetze der Erkenntnis, die leitenden Ideen aller Forschung zu produzieren berufen ist, dann würde gegen den Ausdruck "normativ" nichts einzuwenden sein. Aber dieser Ausdruck kann in doppelter Weise zum Mißverstand der Aufgabe der Logik führen. Erstens läßt sie es verkennen, daß die Logik eine theoretische Wissenschaft ist, insofern sie durch einer Erforschung der Gesetze des Erkennens ein ansich wertvolles Wissen schafft; zweitens ist der Ausdruck normativ im höchsten Maß dazu geeignet, auch die praktische Bedeutsamkeit der Logik zu verdunkeln. Denn die praktische Bedeutsamkeit der Logik liegt in der Potenzierung aller Erkenntnistätigkeit, also auch aller fachmäßigen Forschung. Freilich ist ein seiner selbst bewußtes, potenziertes Wissen zugleich ein normierendes Wissen, denn das Erkennen wirft sich auf sich selbst zurück, um sich leitende Idee für alle speziellen Aufgaben zu schaffen; gewöhnlich aber versteht man unter Normen des Denkens ein mehr oder weniger mechanisches Regelwerk, das dazu berufen ist, die Richtigkeit unseres Denkens durch äußerliche Kennzeichen zu sichern: das aber heißt die leitende Bedeutung der Logik zu einer bloß kontrollierenden, und diese Kontrolle selbst zu einer bloß äußerlichen herabzuwürdigen. Diese formalistische Auffassung der Logik finde ich bei KROMAN sehr deutlich ausgedrückt:
Je größer aber die Aufgabe ist, die sich die Logik stellen muß, desto weniger Grund hat sie zu irgendeiner Selbstüberhebung oder selbstherrlichem Gebaren. Denn die leitende Bedeutung, die ihr im Reich der Wissenschaften zukommt, hat sie nur dem zu verdanken, daß sie sich allen Wissenschaften unterwirft und allen dienstbar zu sein bestrebt ist. Den Dienst, den die Logik allen Wissenschaften zu leisten vermag, müssen wir als das Maß ihrer eigenen Bedeutung betrachten, und ihre Existenzberechtigung hängt davon ab, in welch innigem Kontakt sie mit allen Wissenschaften, namentlich der Mathematik und den Naturwissenschaften verbleibt, und welchen befruchtenden Einfluß sie auf dieselben auszuüben vermag. Vor allem aber bleibt die Logik eine von der Psychologie abhängige Wissenschaft, denn alles Reflektieren unseres Bewußtseins stützt sich notwendig auf unreflektierte Bestimmtheiten desselben. In allem Denken und Meditieren sind wir von wiederbelebten Empfindungen, von Erinnerungern an frühere Erlebnisse, von wirklich ausgeführten erläuternden Bewegungen oder Vorstellungen derselben, schließlich von wirklich ausgesprochenen Worten bzw. Wortvorstellungen abhängig, und es gibt keine Region der reflektierenden Tätigkeit, wo wir auch nur auf einen Augenblick dieser unreflektierten Bestimmtheiten unseres Bewußtseins entraten könnten. Mit einem Wort, alle abstrakte psychische Funktion hat zugleich eine konkrete Seite, und diese konkrete Seite bilden den Gegenstand einer "Psychologie des Logischen" oder einer "Psychologie des Erkennens". Die Psychologisten verwechseln die abstrakte Seite unserer Erkenntnistätigkeit mit ihrer konkreten psychologischen Seite, sie verwechseln also die eigentliche Logik mit einer Psychologie des Logischen, einer Psychologie des Erkennens. Man bekämpft also den psychologistischen Irrtum am besten, indem man den Blick auf die konkrete Seite unserer Erkenntnistätigkeit hinwendet und jene Bestimmtheiten untersucht, von denen der Verlauf unseres Reflektierens fortwährend abhängig bleibt. Die Wiederbelebung von Empfindungen, das Wiedererwachen gehabter Erlebnisse in der Erinnerung bildet ein Hauptproblem der Psychologie des Erkennens. Die Erscheinungen der psychischen Wiederbelebung sind es nämlich, die den Schein erwecken, als ob wir im Besitz eines "inneren Sinnes", einer "zweiten Sinnlichkeit" wären, ja als ob unser Reflektieren nichts anderes ist, als diese zweite Sinnlichkeit. Nun sind aber wiederbelebte Empfindungen und Sinnesbilder noch gar keine Reflexionen, denn sie könnennicht auf sich selbst zurückgewendet werden. Man kann mittels des Sehens in der Vorstellung oder in der Phantasie nicht dieses vorstellende oder phantasierende Sehen besehen, ebensowenig ist es möglich, mittels dieses vorstellenden oder phantasierenden Sehens das ursprüngliche wahrnehmende Sehen zu besehen. Auch vorgestellte Gehörs- und Tasteindrücke sind nicht dazu verwendbar, das vorstellende Hören und Tasten oder auch das ursprüngliche Hören und Tasten behorchen oder betasten zu können. Kurz, alle psychische Wiederbelebung ist ebenso wie die ursprüngliche Belebtheit eine unreflektierte Modifikation unseres Bewußtseins; und wiederbelebte Empfnidungen sind ebenso wie die ursprünglichen Empfindungen nur ein Schwungbrett für unsere Reflexion, nicht aber diese Reflexion selbst. Haben wir dies einmal erkannt, dann ist es unmöglich, daß wir die Erscheinungen der psychischen Wiederbelebung mit der Tätigkeit der Reflexion verwechseln. Allerdings könnte man nur in einer ausführlichen Theorie der psychischen Wiederbelebung versuchen, das psychologische Element vom logischen reinlich abzusondern; die sich hierbei ergebenden höchst interessanten und heiklen Fragen können jedoch hier nicht erörtert werden. Aber nicht nur von wiederbelebten Empfindungen und Erinnerungsbildern, sondern auch von selbstgeschaffenen Zeichen, namentlich den Zeichen der Sprache, bleibt unser reflektierendes Denken in unaufhörlicher Abhängigkeit. So sehr nun aber der Bau des sprachlichen Zeichensystems durch das reflektierende Bewußtsein selbst bestimmt ist, ist dieses Zeichensystem doch auch überall von psychologischen Elementen so innig durchsetzt, daß es noch nie gelingen konnte, das zufällige grammatikalische Element der Sprache von ihrem logischen Element abzusondern. Es ist die brennendste Aufgabe der modernen Logik, Methoden zu ersinnen, durch welche die Sonderung des Grammatischen und Logischen ermöglicht wird. Bedenkt man jedoch, wie sehr auch das Nachsinnen über solche Methoden von der Grammatik abhängt, in der man denkt, so wird man bald erkennen, daß man nur sehr langsam zu den rein logischen Grundzügen des sprachlichen Zeichensystems durchdringen wird können. So erwächst uns dann die Überzeugung, daß die moderne Logik mitten in einer großen Umwandlung begriffen ist, denn aus der innigen Verstrickung mit unserer sinnlichen Natur und mit dem sprachlichen Charakter unseres Denkens will sie sich zu klarer Selbständigkeit durcharbeiten. Auf diesem Weg scheint ihr ein unbegrenzter Fortschritt vorbehalten zu sein.
1) Eine weitere Ausführung dieses Gedankengangs findet sich in meiner Schrift "Kant und Bolzano". |