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Das Erkenntnisproblem [Wie man mit der Radiernadel philosophiert] [3/4]
I. Beleuchtung des peripherischen Dunkels [Fortsetzung] 3. Das Sensualproblem und die Naturwissenschaft. Bevor wir das Problem der Körpererkenntnis und seine Geschichte weiter verfolgen, wollen wir einen Blick auf die Naturwissenschaft unserer Zeit werfen. Es wird sich finden, daß unser Problem sogar Physikern und Physiologen im Weg liegt, daß sie sich bei gewissen Theorien daran stoßen, daß es also zugleich in das Gebiet der eigentlichen Natur hineinragt. Es wird fernerhin gerade hier besonders klar und deutlich werden, daß unser Problem nicht auf einer jener Begriffskünsteleien beruth, die man früher mit dem Namen der "Philosophie" bezeichnet hat, sondern da0 es ein gewaltiges dynamisches Problem ist, das in der Natur der Dinge liegt und über die Natur der Dinge ein eigenartiges Dunkel, jenen geheimnisvollen schwülen Nebel ausbreitet, der die Folge jedes Problems ist, und der für den Problemliebhaber und wütenden Feind falscher Lösungen so überaus anregend oder, wie Hilde im "Baumeister Solneß" sagt, so "wundervoll spannend" ist. Und nun zur Physik und Physiologie: sie müssen sich beide notgedrungen mit der "Empfindung" beschäftigen, und sie sind, da diese, wenn nicht (wie LOCKE meinte) die einzige, doch eine der Quellen unserer Erkenntnis ist, genötigt, das jenseits ihrer Wissenschaft liegende, daher ihnen unbekannte Territorium des Erkenntnisproblems zu betreten. Ja, sie überschreiten hier wirklich die Grenze ihrer Wissenschaft, dem Apotheker vergleichbar, der Kranke heilen will; sie tun es, teils ohne es zu merken, teils aber auch vielleicht mit schlechtem Gewissen, obwohl sie es bemerken. Denn Probleme müssen gelöst werden; entweder richtig oder falsch, aber - gelöst werden müssen sie. Übrigens wird der Leser bei einiger Aufmerksamkeit ohne jede besondere Fachkenntnis die Sache leicht verstehen können. Denn die Lösung ist materialistisch, und es gibt keine Philosophie, die leichter verständlich wäre als der Materialismus (1). Der Physiker und der Physiologe also fragen zwar nicht nach dem Ursprung der Erkenntnis, aber sie gehen noch tiefer und fragen nach dem Ursprung einer Hauptquelle unserer Erkenntnis, nämlich: Nunmehr führe ich dem Leser den interessanten Anblick eines Widerspruchs zwischen dem wissenschaftlichen Verstand des Physikers und dem Laienverstand ebendesselben Physikers vor. Denn der letztere spricht zu ihm wie folgt:
Aber gelernt werden muß die Kunst des Projizierens allerdings, und der Tastsinn ist es, der uns hier unterrichtet. Denn er lehrt uns die Oberfläche der Körper kennen, und auf die so betasteten Oberflächen lernen wir nun das Netzhautbildchen projizieren, so genau, daß kein Schütze der Welt seine Kugel auf gleiche Art mit dem Ziel zur Deckung bringt. Fürwahr, da hat uns die Natur eine große Gabe in die Wiege gelegt. Das ist in der Tat ein kostbarer Flicken. Dies ist also die Theorie des Physikers: ich bin nicht so kühn, darüber ein absprechendes Urteil zu fällen, sondern begnüge mich, mit folgendem Problem zu schließen:
Zweite Frage: Oder aber ist die Netzhautbildtheorie falsch, weil wir, um sie haltbar zu machen, sie mit unerkennbaren widerspruchsvollen Mitteln, nämlich einer unenempfundenen Empfindung und einem ungewollten Willen flicken müssen? Die optische Empfindung (das Sehen) wird dadurch hervorgebracht, daß die von der Oberfläche des sichtbaren Körpers ausgehenden Ätherwellen durch das Auge hindurch auf die Netzhaut fallen. Aber damit - fährt er fort - ist die optische Empfindung noch nicht zustande gekommen. Vielmehr wird durch diese Äther-(Licht)Wellen zunächst der Sehnerv in eine Schwingung gesetzt. Diese Schwingung gelangt ins Zentralorgan (Gehirn), und erst im Sitz des Gehirns tritt die optische Empfindung ein. Diese Theorie wird aber mit Sicherheit dadurch bewiesen, daß, wenn die Verbindung zwischen Netzhaut und Gehirn aufgehoben wird, keine Lichtempfindung eintritt. So wie mit der optischen verhält es sich nun aber mit jeder Empfindung. So zum Beispiel auch die Tastempfindung (das Gefühl von der Oberfläche eines Körpers) erst entstehen, wenn der an der Fingerspitze ausgeübte Druck sich von der Peripherie des Nerven zu seiner zentralen Endigung im Gehirn fortgespflanzt hat. Druck und Druckgefühl sind also zweierlei. Der Druck entsteht unter Einwirkung des Außenkörpers auf die tastenden Fingerspitzen, dagegen das Gefühl des Drucks entsteht erst, wenn die durch den Druck hervorgerufenen Schwingung der Tastnerven in das Gehirn gelangt ist. Hieraus zieht nun der Physiologe den (wie sich später zeigen wird) etwas zu weit gehenden Schluß: sitzen ursprünglich im Gehirn." Der Laienverstand nämlich sagt dem Physiologen, daß wir im Gehirn noch niemals eine Empfindung empfunden haben, mit Ausnahme etwa von Kopfschmerzen (die wir, beiläufig bemerkt, dann niemals auf den Magen, den gelegentlichen Ursprungsort "projizieren"), daß also die Gesichts-, Gehörs-, Tast-Empfindungen, die angeblich im Gehirn sitzen, unempfundene Empfindungen sind (man beachte: "ein Widerspruch"!), daß wir dagegen diese Empfindungen in Wahrheit ganz deutlich außerhalb des Gehirns, zum Beispiel in der Fingerspitze, ja sogar außerhalb des Leibes (wie die Gesichts- und Gehörsempfindung) empfinden, daß sie also da draußen empfundene Empfindungen, dagegen im Gehirn, wo sie zuerst sitzen, "unempfundene Empfindungen" sind. Der Physiologe also hat zwar nicht bewiesen, daß Empfindungen ursprünglich im Gehirn sitzen, aber er hat es doch "angenommen", und diese "Annahme" (nicht aber die Natur der Dinge) zwingt ihn nun, seine Theorie so zu flicken, daß es erklärt wird, warum wir Empfindungen (z. B. Zahnschmerzen) nicht im Gehirn, sondern außerhalb des Gehirns (z. B. in einem hohlen Zahn) empfinden. Der physiologische Flicken, der also gleichfalls seine glückliche Geburt einer Karambolage zwischen dem natürlichen und dem Forscher-Gewissen verdankt, ist nun dem physikalischen zwar sehr ähnlich, führt aber trotzdem einen anderen Namen, nämlich den der
Wir könnten danach die Mitwirkung des Gehirns auch auf ganz andere Weise erklären, nämlich so: Sobald das Gehirn von der Peripherie her eine kinetische Einwirkung, das heißt eine konzentrisch sich fortpflanzende Nervenschwingung empfängt, antwortet es auf sie mit einer gleichartigen mechanischen Reaktion, das heißt mit einer sich exzentrisch zur Peripherie fortpflanzenden Äthermolekularschwingung (- wobei es nach bekannten Beispielen erlaubt ist, eine gleich starke Gegenwirkung anzunehmen). Dann würde die Empfindung sich über den ganzen Bereich dieser materiellen Ausstrahlung (die mit dem Gehirn ein einem dynamischen Zusammenhang steht) ausbreiten und also nicht im Gehirn zu sitzen brauchen, sondern sich gerade in der Peripherie am stärksten bemerkbar machen können. (Daß sie dies tut, ist nämlich eine Tatsache.) Unüberwindliche Schwierigkeiten hat die Sache seit der Entdeckung der Röntgenstrahlen nicht mehr. Die Theorie deckt sich mit den Tatsachen. Eine eingehende Prüfung wird das lehren und wird zugleich lehren, daß man gewisse Erfahrungen an operierten Blindgeborenen ganz anders auslegen kann, als man bisher getan hat. Dann sind die Empfindungen auf eine mechanische Reaktion, statt auf eine Aktivität ohne und wider Willen zurückgeführt. Sie haben dann außerdem eine materielle Grundlage und sind nicht mehr lokalisierte oder projizierte Phantome, auch sind die Aktenschwänze mit den Lokalzeichen beseitigt. Allerdings! die Sache hat auch ihr Verwegenes. Denn nun gibt es wirkliche Empfindungen außerhalb des Leibes. So zum Beispiel beruth die optische Empfindung (die große Landschaft, die ich sehe) auf einem vom Gehirn ausgehenden, die Schädelwände durchdringenden mächtigen Strom unsichtbarer Strahlen, die sich als gleich starke Reaktion (auf die von außen kommenden Ätherwellen) in eine ungeheure Weite erstreckt. Die Empfindung hat sich aus einer leiblichen in eine kosmetische Erscheinung umgewandelt. Aber das hat auch wieder seine Vorteile. Denn wenn das, wodurch wir den Kosmos erkennen, selbst eine kosmische Rolle spielt, so ist das eben nicht wunderbar, sondern gewährleistet uns vielmehr die Zuverlässigkeit unserer Erkenntnis durch die Sinne. Wir würden also den Satz KANTs, daß die Empfindungen uns (ohne unser Zutun) gegeben sind, bestätigt finden (5). Doch dies alles nur nebenbei. Wir kommen jetzt zum Zusammenstoß des mit dem Erkenntnisproblem. Der Leser versetze sich lebhaft in das Gefühl (die optische Empfindung) des Dunkels, der Finsternis. In diesem Zustand schlägt er die Augen auf - und nun bitte ich um Geduld; denn ich ziehe einen Vorgang, der sich schneller vollzieht wie der Blitz, in einzelne Momente auseinander. Trotz des Augenaufschlags ist noch alles finster, aber es dringt nunmehr jene Ätherschwingung (die später die Lichtempfindung hervorrufen wird) in das Auge und bis zur Netzhaut vor. Auch jetzt ist noch alles stockfinster. Jene Ätherschwingung und der Sonnenball, von dem sie ausgeht, liegen im tiefsten Dunkel, sie sind unsichtbar. Nunmehr gelangen die in die Netzhaut mündenden Sehnerven in Schwingung - es bleibt finster -, aber jetzt gelangt diese Schwingung ins Zentralorgan (Gehirn), und nun plötzlich entsteht mit einem Schlag die Lichtempfindung im Gehirn, sie wird schnell auf die Außenwelt projiziert, und vor dem Blick des ahnungslosen Lesers steht plötzlich (das Dunkel verdrängend) das Bild einer mächtigen großen Landschaft mit gewaltigem Horizont und der strahlenden Sonne. Dieses ganze gewaltige Lichtphänomen aber ist (wie eine Kanonenkugel aus ihrem Rohr) aus dem Gehirn des Lesers zielbewußt und treffend abgeschossen worden. Es ist ein Gehirnprodukt, gerade so wie zuvor die Empfindung des Dunkels und wie der Zahnschmerz (den auch niemand anders wahrnimmt als der Besitzer). Der Leser sieht also keine Sonne, überhaupt keinen äußeren Gegenstand, sondern nur eine Lichtstrahlung, die von seinem Gehirn wie von einer Blendlaterne ausstrahlt, und die er fortwährend mit sich herumführt, die aber abgesehen davon so wenig Existenz in der Außenwelt hat, wie sein Zahnschmerz (eine Existenz, die allerdings, beiläufig bemerkt, gerade Existenz genug ist; denn daß nur der Besitzer den Zahnschmerz fühlt, genügt uns Laien ja vollkommen, während dies allerdings dem sogenannten Idealphilosophen nicht "objektiv" genug ist. Er möchte allenfalls um der Realität willen gern die Zahnschmerzen der ganzen Welt fühlen.) Also gibt es für uns niemals ein sogenanntes Licht der Außenwelt, aber auch keine Finsternis der Außenwelt. Denn beides (Licht und Dunkel) führen wir als unsere Empfindungen, jeweils nur für den Inhaber wahrnehmbar, mit uns herum. Ebenso wie mit dem Licht ist es übrigens mit allen anderen Wahrnehmungen. Wenn ich zum Beispiel die Oberfläche eines Körpers fühle, so nehme ich mit dem Tastsinn nicht den Körper selbst, sondern nur ein Flächengefühl wahr, das zwar an der Grenze eines Körpers auftritt, aber doch nur meine aus meinem Gehirn heraus lokalisierte Empfindung ist und sonderbarerweise gleichfalls nicht in meinem Leib, sondern (wie das Lichtgebild) außerhalb desselben jenseits der Haut auftritt. Ob aber jenseits dieser Tastempfindung, dieses Flächengefühls, wirklich ein Körper liegt, das wissen wir nach dieser Theorie nicht. Denn über die aus unserem Gehirn abgefeuerte Tastempfindung können wir gar nicht hinaus. Und da sehen wir schon, daß der Physiologe sich am Erkenntnisproblem gerieben hat. Denn wie wir jene Körper als wirklich erkennen, deren Wirklichkeit er zuvor selbst angenommen hat, die er also gar nicht bewiesen hat, das erfahren wir gar nicht. Über den Ursprung der Empfindung hat er eine Theorie aufgestellt, aber so, daß man gar nicht mehr über die Empfindung hinaus und zur Erkenntnis der Körperwelt gelangt. Denn nur das Licht unserer Blendlaterne (des Gehirns) lernen wir kennen. Aber es kommt noch besser! Nehmen wir einmal (was wir schon oben widerlegten) an, daß die Körpererkenntnis auf einer Schlußfolgerung von der Empfindung auf den dahinterliegenden Körper beruth, dann ist diese Schlußfolgerung doch gleichfalls nur ein Gehirnprodukt, und die Körper, die wir als völlig real zu erkennen glauben, sind in Wahrheit genau wie unsere Empfindungen nur Gehirnprodukte. Denn was sollten sie sonst sein? Diese Vorstellungen müssen doch auch ursprünglich im Gehirn gesessen haben und herauslokalisierte Ideen sein. Nun ist das Gehirn aber selbst ein Körper. Folglich ist das uns bekannte Gehirn ebenfalls nur ein Gehirnprodukt und eine Idee. Also sind unsere Ideen und Empfindungen Produkte eines Gehirnproduktes, das heißt einer Idee. Das wirkliche Gehirn aber, dessen Dasein der Physiologe voraussetzt, ist unerkennbar und - damit schließe ich. Nur noch eine beiläufige Bemerkung. Die physiologische Theorie hat große Ähnlichkeit mit der Theorie SCHOPENHAUERs und, wie es scheint, selbst mit der kantischen Theorie. Denn KANT sagt: "Alles Erkennbare ist Sinneserscheinung", und der Physiologe sagt: "Es ist Gehirnerscheinung." Das sieht ganz ähnlich aus. Aber hier obwaltet eben ein ganz kleiner Unterschied, nämlich eine jener mehr erwähnten pedantischen Kleinigkeiten, wie sie zwischen zwei verschiedenen Bazillen (um Beispiel dem Pestbazillus und dem Cholerabazillus) oder auch zwischen Atom und einem mathematischen Punkt obwalten. Ich denke, der Physiologe wird mich verstehen und hoffentlich denken: "Sollte es in der Tat am Ende auch hier so eine Art Bazillus geben?" - Dann allerdings muß ich doch vorsichtiger werden!" Aus den angeführten Gründen neigen dann auch manche Naturforscher (z. B. HELMHOLTZ) stark zur Theorie KANTs, fassen sie aber mißverständlich auf. Denn wenn die kantische Theorie nur das leisten würde, was diese Forscher aus ihr herauslesen, so leistet sie genau so viel, wie die physiologische und sensuale Theorie, nämlich - gar nichts. Jedenfalls aber sieht man, wie hier das Erkenntnisproblem ganz eigentlich in die Natur selbst hineinragt, so daß es hier natürliche Probleme gibt, deren richtige Lösung von der Lösung des Erkenntnisproblems abzuhängen scheint. Es ist aber gerade bei diesem Problem überaus bemerkenswert, daß es nicht etwa bloß schwierig ist, das Problem zu lösen, sondern sogar ein Nachdenken fordert, es deutlich und klar zu sehen. Man kann sich nicht davon losmachen, daß die Körperwelt wirklich und bekannt ist. Das ist sie ja auch und soll es bleiben. Aber das Problem besteht in der Aufgabe, zu ermitteln, auf welche Art sie uns bekannt wird. Folglich muß man zunächst ganz davon absehen, daß sie schon bekannt ist, und ausmitteln, welche Erkenntnisfaktoren wohl vorhanden waren, um die als noch unbekannt vorgestellte Körperwelt zu erreichen. Das vergißt der Sensualist und der Physiologe. Er diktiert zuerst: "Sie ist bekannt" und führt uns dann Erkenntnismittel vor, die gar nicht weit genug reichen, um sie, die wirkliche Körperwelt, zu erfassen, weil sie nur Gehirnprodukte und Ideen hervorbringen, aber nicht die Erkenntnis von Körpern ermöglichen. 4. Das Erkenntnisproblem bei Berkeley und Leibniz.Der große Vorteil, der uns erwächst, wenn wir die Versuche gewisser Philosophen unter dem festen und einheitlichen Gesichtspunkt des Erkenntnisproblems betrachten, springt ganz besonders bei den nachfolgenden Erörterungen in die Augen. Bisher ist man auf diese systematische und ganz natürliche Betrachtungsweise nicht verfallen, und dies ist das erhebliche Moment, durch das sich meine Ausführungen von allen Darstellungen der Geschichtsschreiber der Philosophie unterscheiden (6). Hier sieht es nun fast so aus, als ob ich mich in unbescheidener Weise selbst empfehlen wollte und ich höre schon meinen Rezensenten bemerken: "Das hätte der Verfasser nicht sagen sollen", oder wie Brack bei Hedda Gablers Selbstmord sagt: "Aber so etwas tut man doch nicht." Indessen muß ich es tun: Denn auch hier droht die Gefahr jener vielerörterten Verwirrung, nämlich die Gefahr, daß einer bemerken könnte: "So etwas Ähnliches hat doch der Herr Irgendjemand auch schon gesagt oder gedacht." Ja! Das ist es eben! Ich muß meine Ausführung vor der Vermischung mit dem sogenannten "Ähnlichen" schützen (gerade wie es KANT gelegentlich auch zu tun genötig war). Da ist nämlich wieder eben jener mehrerwähnte bazillenhaft kleine Unterschied, der das "Ähnliche" vom "Ähnlichen" so verschieden macht wie ein Ei - vom andern Ei, nämlich vom Windei. Ich mußte es also hier wagen, unbescheiden zu erscheinen. Ich hoffe aber, der Leser hat längst bemerkt, daß es sich hier nicht um meine Produkte, sondern nur um ein Naturprodukt, um mein schönes, schwieriges Problem handelt, das ich zu schützen habe. In den Geschichtsbüchern der Philosophie und in Abhandlungen dieser Art erfährt der Leser zum Beispiel, daß LOCKE Realist, BERKELEY Idealist, HUME Skeptiker war, daß diese Leute ihre Gedanken und "Standpunkte" etwa von ARISTOTELES und PLATO oder der eine vom anderen "historisch" übernommen, oder die Ansichten von Vorgängern umgebildet haben, daß die psychologische Veranlagung und Eindrücke der Erziehung die "Genies" der Philosophie teils auf den Weg des Idealismus, teils auf den des Realismus oder auch teils auf den Weg des Rationalismus, teils auf den des Sensualismus getrieben haben, daß aber der "große" KANT mit einer "genialen Synthese" die sämtlichen verschiedenen Richtungen zusammengebraut, also zwischen ihnen so eine Art Zwangsvergleich gestiftet hat, etwa so: "Parteien vergleichen sich auf die Hälfte; die Kosten fallen der Wahrheit (daher der Menschheit) zur Last." Nach meiner "Auffassung" also liegt die Sache etwas anders. Ich behaupte, daß jene sämtlichen Forscher auf ihre Systeme nicht durch historische und traditionelle Beeinflussung oder psychologische Disposition, sondern unter dem logischen Druck des Erkenntnisproblems gelangt sind, daß sie deswegen auf ihre Systeme verfallen sind, weil sie das Erkenntnisproblem vor Augen hatten und es konsequent zu lösen strebten. Diese Forscher also hatten (um mich meines Hauptvergleichs zu bedienen) nicht die Bücher ihrer Vorgänger (der Astrologen), sondern gleichsam das Sternenzelt selbst und sein gewaltiges Problem vor Augen. Das Erkenntnisproblem also war es, das ihren Systemen die Richtung gegeben und sie ganz aus den Bahnen ihrer Vorgänger herausgetrieben hat. Sowohl BERKELEY (1685-1753) wie LEIBNIZ (1646-1716) hatten zwar beide das System LOCKEs vor Augen, aber nicht etwa als Vorbild. Vielmehr war es gerade der Fehler, die Lücke dieses Lösungsversuches, der sie beeinflußte, eine abweichende Lösung des Problems ausfindig zu machen. Die Lücke nämlich in LOCKEs Lösungsversuch bestand, wie wir oben gesehen haben, in der Frage:
Würde man es doch nur endlich einsehen! Nicht nur wird der Mensch durch Anlagen und eine geschichtliche Entwicklung in seine Bahnen hineingedrängt, sondern er wird auch herausgedrängt aus diesen Bahnen durch neue Probleme, die ihm die eigene, von vorgefaßten Meinungen sich befreiende selbsttätige Vernunft (ein gewichtiger Faktor in der Natur der Dinge) aufgibt. Denn der Kampf um Wahrheit, Freiheit und Sittlichkeit, entspringend aus dem originellen Denken freier Geister, ist ganz etwas anderes als der materielle Kampf ums Dasein. Muß man, um das einzusehen, KANT verstehen? oder an einem Glaubenssatz hängen? Was sind denn die Heroen der Menschheit? Sie waren Männner, die nicht die bisherige gegebene Entwicklung förderten, sondern die Menschheit geradezu aus dieser Bahn der historischen Entwicklung herausgedrängt haben, indem sie neue, gegen die Meinung Aller laufende Lehren verkündeten. Ihr Vernunft war es, die das Fahrzeug der Geschichte aus dem Gleis gerissen, die eine Revolution hervorbrachte und die angebliche (darwinsche) Kontinuität der Entwicklung durch einen ungeheueren Sprung zerrissen hat. (Wie KOPERNIKUS durch die Vernichtung des Himmels. Hat jemals ein politischer Revolutionär ein solches Werk verrichtet?) (7) BERKELEY also erwog, daß wir nach LOCKEs System lediglich unserer Empfindungen inne werden, daß es also ein Wunder zu sein scheint, daß wir die Körper, da sie doch nicht unsere Empfindungen sind, wahrnehmen. Dabei beherrschte ihn die dunkle Vorstellung, daß doch die Körper irgendetwas unserer Empfindung Ähnliches an sich haben müssen, daß sie nämlich irgendwie, genau wie jene, mit uns in einem organischen Zusammenhang stehen, einen Teil der zu uns gehörigen Vorstellungssphäre bilden müssen, damit sie erkennbar sind, und so kam er auf seine höchst wunderlich erscheinende Theorie: "Körper sind nichts als unsere Ideen", oder in anderer Fassung: "Gewisse Ideen, die wir haben, sind wirkliche Körper", d. h. sie sind nicht etwa unwirklich, weil sie Ideen sind, sondern: wie wir neben den wirklichen Empfindungen noch Phantasien haben, die Unwirkliches darstellen, so haben wir neben Ideen, die Unwirkliches darstellen, noch wirkliche Ideen, die sich genau wie die Empfindungen uns aufdrängen; diese wirklichen Ideen aber sind Körper und sie sind genauso wirklich wie unsere reellste Empfindung (z. B. der Zahnschmerz). Hätten sie abe nicht einen den Ideen gleichartigen Charakter, so wäre es unmöglich, zu erklären, wie wir zu ihrer Kenntnis gelangen sollten. Also treten außer unseren uns aufgedrängten realen Empfindungen mit gleicher Realität reale Ideen in unsere Vorstellungssphäre ein, die sich uns gleichfalls aufdrängen und eben diese Ideen sind die Körper. Dies ist der Sinn von BERKELEYs Meinung, und dieser Sinn tritt ganz klar hervor, wenn man seine Meinung mit seinem Problem vergleicht (statt mit dem System der sogenannten Idealisten PLATO oder KANT). Denn das Problem drängt allerdings in diese Richtung; es drängt mit Gewalt dahin, die Körper auf irgendeine Weise in einer Analogie zu unseren Empfindungen zu bringen (d. h. ihre Immanenz festzustellen oder die Art ihrer Immanenz zu ergründen). Um nun die Vorzüge von BERKELEYs Versuch zu würdigen, wollen wir ihn mit jenem schon oben besprochenen Versuch vergleichen, der ja auch bestimmt war, die Lücke im System LOCKEs zu schließen, nämlich mit jener noch heute festgehaltenen Theorie der Empiriker, wonach die Körper nicht unmittelbar wie unsere Empfindungen, sondern nur mittelbar durch die Empfindung als Mittel, d. h. durch Schlußfolgerung von der Empfindung auf deren Ursache erkannt werden. Diese Theorie läuft, wie wir oben schon gesehen haben, darauf hinaus, daß das, was wir für Körper halten, nur ideelle Produkte unserer Schlußfolgerungen, also unserer tätigen Denkkraft sind, also Ideen, die wir hinter die Empfindungsgrenze "projiziert oder lokalisiert" haben oder (um mit FICHTE zu reden) "die das Ich aus sich heraussetzt" oder (um mit dem Physiologen zu reden) "die bloße Gehirnprodukte, aber keine wirklichen Körper sind". All das kommt bei dieser Theorie der Schlußfolgerung heraus, wenn man nicht fudelt [schlampt - wp] und wischt, sondern exakt, das heißt mit KANTs Radiernadel die Konseqenzen zieht, d. h. Respekt vor jeder Tatsache, daher auch vor den scheinbar kleinsten tatsächlichen Unterschieden hat. Bei BERKELEY dagegen sind die Körper zwar auch "Ideen"; aber der Ausdruck hat hier einen ganz anderen Sinn. Denn sie sind nicht wie dort (Artefakte) Kunstprodukte des Denkens, sondern das gerade Gegenteil, nämlich gegebene Dinge, die sich dem Denken aufdrängen, und nur deswegen Ideen genannt werden, weil sie in die Sphäre des Denkens fallend diesem und also den Artefakten des Denkens gleichartig sein müssen, genauso gleichartig, wie die reale Empfindung es der bloßen Phantasie des Unwirklichen ist. BERKELEY also leugnet nicht wie die Sensualisten die offenbare Tatsache, daß wir die unmittelbare Erkenntnis von der Schlußfolgerung genau zu unterscheiden wissen. Daher hat der Sensualist und folglich der heutige Naturforscher, der sich ihm gewaltig überlegen dünkt, vor ihm gar nichts voraus (denn dieser Sensualist ist genauso gut Idealist wie BERKELEY, wenn er es auch selbst nicht merkt), wohl aber hat er einen weit fehlerhafteren Idealismus wie BERKELEY. Der große und allerdings vernichtende Fehler BERKELEYs besteht jedoch darin, daß seine Annahme, daß es Real-Ideen nach Analogie der Real-Empfindungen gibt, gänzlich beweislos ist und somit hat auch er das Problem nicht gelöst. Wir beschließen nun die Reihe der Philosophen dieses Teils mit LEIBNIZ. Auch bei ihm läßt sich deutlich der vom Erkenntnisproblem ausgehende Druck bemerken. Denn er systematisiert ähnlich wie BERKELEY. Bei ihm nämlich ist die Welt aus sogenannten Monaden (gleichsam Atomseelen oder seelischen Kraftzentren) zusammengesetzt. Diese Wendung hat nun nichts mit dem Erkenntnisproblem zu tun, wohl aber gibt es hier eine andere Wendung, die damit zusammenhängt. Jede dieser Seelenmonaden nämlich ist "fensterlos" und gegen die anderen abgeschlossen. Jede hat ihre Vorstellungssphäre von Empfindungen und Körpervorstellungen in sich. Mit anderen Worten: Hier besteht die Welt der Monade bloß aus ihren Vorstellungen; Körper also sind hier Vorstellungen der Monade, daher als solche natürlich für sie erkennbar. Auch hier hat also der Druck des Erkenntnisproblems gewirkt; die Frage aber, warum nun die abgeschlossene Vorstellungswelt der einen Monade mit der der anderen übereinstimmt, beruth auf der von Gott eingesetzten "prästabilierten [vorgefertigten - wp] Harmonie". Die Beurteilung dieser Theorie de neuerdings eifrig angepriesenen Philosophen überlasse ich getrost dem Leser in der Voraussetzung, daß er seinen Laienverstand (bei KANT "den gemeinen Verstand") gebraucht. Gebraucht er einen anderen, so stehe ich für nichts. Merkwürdig ist es übrigens, daß man vor KOPERNIKUS auch einmal das astronomische Problem durch eine Harmonie der Sphären, durch den Plan Gottes zu erklären versuchte, eine vollkommene Parallele zum Versuch von LEIBNIZ. Hätte KOPERNIKUS das geglaubt, er wäre niemals der KOPERNIKUS geworden. ![]()
1) Der Grund, warum der Materialismus dem Wißbegierigen sympathisch ist, ist seine leichte Verständlichkeit, und diese wird dadurch erzielt, daß eine ganze Menge von Momenten, die ihn bedenklich und problematisch, ja falsch erscheinen lassen, vom materialistischen Philosophen ignoriert und beiseite geschoben werden. Der Grund aber, warum er dem Freidenker sympathisch ist, liegt nicht darin, daß das freie Denken die Konsequenz dieser Philosophie ist, sondern darin, daß er negativ wirkt, d. h. seine Anhänger vom Druck religiöser und sittlicher Vorurteile befreit sind, denen religiöse und historisch beeinflußte Menschen unterworfen werden. Aber man braucht, um die Freiheit der Vernunft zu erobern, nicht Materialist zu sein, man kann sie auch durch Kants Lehre erwerben. Der Materialist z. B. glaubt nicht, daß die Religionen dazu da sind, im Namen Gottes zwischen den Menschen Schranken zu errichten und Feindseligkeit zu begründen. Aber das ist keine Konsequenz des Materialismus, wohl aber eine Konsequenz der Lehre Kants. Der Materialismus negiert also nur das religiöse Dogma und schafft daher freie Bahn für die unvermerkt hervorbrechende reine, sittliche Urteilskraft, die abe rnur im wohlgesinnten Materialisten ihre Wirkung tut, während er vermöge des Fatalismus bös gesinnte Menschen ebensowohl auf das Unsittlichste beeinflußt. Eine positive Grundlage dagegen für die sittliche Betätigung gibt der Materialismus nicht. Die wird allein durch die Lehre Kants gegeben. Darin liegt auch der gewaltige praktische Kulturwert seiner Lehre. Er macht die Sittlichkeit und ihre Gesetze zum Gegenstand einer unanfechtbaren, beweisbaren Wissenschaft. Diese Wissenschaft ist es allein, die alle Menschen einigen kann. Bevor man die Jugend in ihr unterrichtet, gibt es keinen dauernden Frieden (vgl. mein "Vernunftgesetz"). Unsere "Kantforscher" haben das noch nicht bemerkt. 2) Sie ist inzwischen veraltet. In den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde sie gelehrt. 3) Einige Physiologen erklären auch die Sache noch eingehender. Sie "nehmen an", daß der Schmerz in Wirklichkeit im Gehirn sitzen bleibt und nur in der Einbildung in den Zahl lokalisiert wird. Es könnte aber, wie ich meine, auch möglich sein, daß er im Mittelpunkt der Erde sitzt; denn daß er bis dahin fortgeleitet wird, ist gar nicht unmöglich. Man mache nur das wirklich Empfundene zum Eingebildeten und das Nicht-Empfundene zum wirklich Empfundenen; da wird man schon weiterkommen und mit Leichtigkeit viele Probleme lösen. Etwas, das wir gesetzmäßig wirklich erleben, zur Einbildung erklären, ist nämlich nur ein vertrackter Ausdruck dafür, daß man eine bestehende Tatsache wegdemonstriert, ableugnet, aufhebt - das heißt, daß man dasjenige beiseite schafft, das uns den Weg zur richtigen Lösung des Problems zeigt. Man erklärt eine Empfindung zum Irrtum (Einbildung), das heißt man erklärt dasjenige für Einbildung, das uns allein von der Wirklichkeit der Welt Nachricht gibt. Was wird nun aus der Welt, wenn die Zeugen, die uns über sie berichten, zu Phantomen gemacht werden? Außerdem gibt es noch eine Richtung, die von einer "Umwertung" der Gehirnempfindungen redet. Man frage sie, wodurch wir eine Umwertung zustande bringen, die eine Gehirnempfindung aus dem Gehirn hinausbefördert, dann werden sie nicht etwa erkennen, daß sie Problemtöter sind, sondern nach einem anderen mordenden Wort suchen. Sie gehören zu den "Positivisten". 4) In meiner ersten Arbeit "Die exakte Aufdeckung des Fundaments der Sittlichkeit und Religion - und die Konstruktion der Welt aus den Elementen Kants." (Leipzig 1899). Inzwischen habe ich eine ausführliche Arbeit über "Das Problem der exzentrischen Empfindung und seine Lösung" veröffentlicht (zweite Auflage, Berlin 1918). 5) Wenn nun aber die Physiologen hieraus schließen wollten, daß ich damit die Empfindung zum Gehirnprodukt mache, so sind sie auf einem Irrweg; denn ich bin so wenig geneigt, das Simul [zusammen - wp] und Propter [deswegen - wp] zu verwechseln, wie sie das Post [danach - wp] und Propter verwechseln. Wie man die Empfindung in Übereinstimmung mit Kant vor dieser Verwechslung schützt, ergibt sich aus meinen übrigen Arbeiten. 6) Nach kantischer Lehre ausgedrückt: Meine Behandlung des Erkenntnisproblems ist nicht eine historische, sondern eine rationale, die mit einer historischen (für den Fortschritt der Wissenschaft wertlosen) Behandlung nur von gelehrten Pedanten verglichen werden kann. 7) Ein solches kopernikanisches Werk kann man aber, wenn es dauern soll, nicht durch Überredung (Predigt) verrichten, sondern nur durch einen exakten Beweis, dessen ewige Gültigkeit unmittelbar einleuchtet. Kant hat gleiches geleistet. Aber was macht man aus seiner Wissenschaft? - Man degradiert sie zu einer "historisch vergänglichen" (d. h. zweifelhaften) Lehre, d. h. ehrlich geredet zu einer "Predigt". - Kant würde sich für das Amt des Predigers bestens bedankt haben. Er hat es getan mit den Worten: "Entweder ist hier alles oder gar nichts geleistet." |