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ADOLPH von HEYDEBRECK
Über den Begriff
der unbewußten Vorstellung

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"Ich gebe zu, daß wir allerdings was an dieser räumlich-zeitlichen Welt als solcher zu erkennen ist, durch unsere Begriffe (freilich nur in einem unendlichen Progress) erkennen; daß sie aber das Irrationale als etwas Subsistierendes, von meiner Anschauung Unabhängiges enthalten soll, das ist ein Gedanke, den anzunehmen sich meine Vernunft absolut sträubt. Denn ich kann wohl denken, daß ein Seiendes unvollkommen, schlecht, häßlich, kurz alles mögliche ist, was es nicht sein  soll,  aber daß es ist, was es nicht sein  kann,  daß es im Existierenden ein Gebiet des Logisch-Unwahren, des verkörperten Unsinns gebe, das dem Denken nicht bloß unzugänglich wäre, sondern ihm geradezu widerspräche, das kann ich  nicht  denken, da hört für mich wenigstens die Vernunft auf und fängt der Wahnsinn an."

"Nun konnte aber Kant dem Vorstellen diesen seinen Charakter der Gegenständlichkeit trotzdem nicht vollständig nehmen, da er denselben durch die notwendige Anknüpfung an die Empfindung doch wieder hereinbekam und andererseits konnte er sich auch nicht entschließen, in jener Auffassung der transzendentalen Reflexion eine intellektuelle Selbstanschauung des Geistes anzuerkennen und damit nach dieser Seite eine unbedingte Erkenntnis einzuräumen. So blieb er zwischen dem Standpunkt des gewöhnlichen Denkens und jenem angeblich höheren unentschieden hängen; daher all die in seinem System gerügten Widersprüche und Inkonsequenzen."


Diskussion 4

So fortzublasen ist die Schwierigkeit nicht und dieser Versuch, den handgreiflichen Widerspruch im Begriff der "unbewußten Vorstellung" dialektisch wegzudiskutieren, um der kritischen Konsequenz zu entgehen - denn, soweit mein Verständnis reicht, vermag ich in den gedachten Ausführungen nichts anderes zu erblicken, - scheint mir doch ganz entschieden verunglückt zu sein.

Allein Herr LASSON beschränkt sich auch nicht auf diese bloß formale, das Problem mehr umgehende als erledigende Polemik. An einem anderen spezielleren Punkt, an den sich aber gerade die weitgehendsten Folgerungen knüpfen, tritt er mir mit kernhaften Argumenten entgegen.

In Betreff der sinnlichen Wahrnehmung nämlich war ich zum Resultat gelangt, daß dieselbe nur zu begreifen sei als Wirkung einer durchaus und wesentlich unbewußten Geistestätigkeit, deren wichtigste elementarste Ake wir im bewußten Denken nicht einmal hypothetisch nachkonstruieren, also auch nicht kontrollieren könnten, so daß schon deshlab ihr Erkenntniswert dahingestellt bleiben müßte; nehme man dazu die innere Irrationalität des Vorstellungsgebildes als solchen, die es unmöglich macht, dasselbe jemals vollständig mit Bewußtsein zu durchdringen und das seine unbedingte Objektivität voraussetzende Denken in unvermeidliche nie zu lösende Widersprüche verwickelt (die Antinomien), so folge, daß unser bewußtes Denken, da es als ein diskursive und diskretes zur Vorstellung des Realen und Konkreten eines anschaulichen Elementes bedarf, dieses ihm aber nur in Gestalt jenes irrationalen Gebildes durch die blinde Wirkung einer ewig unbewußt bleibenden Tätigkeit geliefert wird, - daß unser bewußtes Denken überhaupt dem Wesen der Dinge nur bis auf einen gewissen Punkt nahe zu kommen vermöge, weil dasselbe in den irrationalen Formen unserer Anschauung niemals seinen adäquaten Ausdruck finden kann.

Dagegen wirft nun Herr LASSON zunächst Folgendes ein. Das Irrationale, wovon ich spreche, sei allerdings vorhanden, aber nich als etwas nur unserer subjektiven Vorstellungsweise, sondern deren Objekt selbst, nämlich dem unvollkommenen, endlichen Ding in seinem realen Wesen Anhaftendes; dieses Objekt erkennen wir daher durch unsere Begriffe vollständig, soweit es eben selbst wahr und etwas an ihm zu erkennen wäre und auch sofern es das Unwahre, Irrationale realiter an sich habe, würde es eben dadurch erkannt, daß wir dieses Undenkbare als das, was es ist, als undenkbar erkennen, womit das ganze endliche Ding seinem innersten Wesen nach vollständig erkannt wäre. - Ich gebe zu, daß wir allerdings was an dieser räumlich-zeitlichen Welt als solcher zu erkennen ist, durch unsere Begriffe (freilich nur in einem unendlichen Progress) erkennen; daß sie aber das Irrationale als etwas Subsistierendes [Eigenständiges - wp], von meiner Anschauung Unabhängiges enthalten soll, das ist ein Gedanke, den anzunehmen sich meine Vernunft absolut sträubt. Denn ich kann wohl denken, daß ein Seiendes unvollkommen, schlecht, häßlich, kurz alles mögliche ist, was es nicht sein  soll,  aber daß es ist, was es nicht sein  kann,  daß es im Existierenden ein Gebiet des Logisch-Unwahren, des verkörperten Unsinns gebe, das dem Denken nicht bloß unzugänglich wäre, sondern ihm geradezu widerspräche, das kann ich  nicht  denken, da hört für mich wenigstens die Vernunft auf und fängt der Wahnsinn an. Hat man daher die unauflösbare Irrationalität der anschaulichen Realwelt einmal deutlich erkannt, so ist das einzige Mittel, dem Wahnsinn zu entgehen, die kritische Einsicht, daß man es eben in ihr nicht mit ansich existierenden Dingen, sondern nur mit dem Anschauungsbild einer beschränkten, großenteils blind und unbewußt wirkenden Intelligenz zu tun hat.

Herr LASSON verweist mich hier auf die ja von mir selbst in meinem Vortrag zuletzt angedeutete und postulierte Idee eines göttlichen, anschauenden Verstandes, aus dessen Wirksamkeit, wie er meint, ich die sinnliche Wahrnehmung und überhaupt das Intuitive in unserem Vorstellen abgeleitet wissen wollte; dieses aber bringe mit seinem Denken zugleich dessen Gegenstand hervor, es könne also keine Rede davon sein, daß das on ihm in uns gewirkte Bild seinem Objekt nicht vollständig entspräche.

Zunächst muß ich ein Mißverständnis berichtigen. Es ist mir nicht in den Sinn gekommen, die Wahrnehmung in dieser Weise erklären zu wollen. Hatte ich es doch ausdrücklich zu Anfang dieser Untersuchung als Prinzip hingestellt, daß eine Vorstellung einer Intelligenz in letzter Instanz nur als durch sich selbst, duch ihre eigene Tätigkeit (bewußte oder unbewußte) gegeben zu denken sei, nicht aber als von außen weder mechanisch von den Dingen in sie hineingeschoben noch durch einen anderen Geist hineingedacht. Ein anschauender Verstand, den ich nur im Allgemeinen als möglich postuliert, keineswegs aber als psychologisches Erklärungsprinzip gebraucht wissen wollte, würde die Welt überhaupt nicht wie wir in Raum und Zeit anschauen, weil nichts Irrationales in ihm Raum hat; was unserer Anschauung Wahres zugrunde liegt (denn irgendeinen Kern von Wahrheit muß sie allerdings enthalten), würde ihm ausgeschieden aus seiner für uns unauflöslichen Verschmelzung mit dem Irrationalen (dem Ausdruck unserer Endlichkeit und Beschränktheit) und damit das Ansich der Dinge entschleiert vor Augen stehn. Was diese Anschauung aber enthalten würde, können wir nicht bestimmen, ja, sollte es uns offenbart werden, wir würden es nicht fassen, so lange unsere Natur bleibt, die sie ist; denn, wie ich sage, ein solcher Verstand ist kein Gegenstand unserer Erfahrung. Was das heißen soll, fragt Herr LASSON. Ich dächte, das wäre klar genug; es heißt: kein menschlicher Verstand ist ein solcher und kein menschliches Denken, keine Phantasie könnte seine Gedanken auch nur von ferne ahnen, geschweige denn selbst produzieren oder nachdenken. Wollte man also auch ein solches Denken zum metaphysischen Prinzip machen, so bliebe es doch für unser Bewußtsein in jedem Falle ein Jenseitiges, ein unerforschliches Ansich, auf das wir wohl innere und äußere Erscheinung als letzten Grund denkend beziehen, das wir aber selbst in unsere Anschauung nicht hereinnehmen, in unserem Bewußtsein nicht "erfahren" könnten.

Das ist die Meinung; das ist es aber wiederum auch, was Herr LASSON gerade ganz entschieden bestreitet. Kein bloß transzendentes Weltprinzip soll nach ihm der schöpferische Gedanke, er soll in unserem eigenen Denken lebendig sein, im menschlichen Bewußtsein offenbar werden können und offenbar geworden sein. Auf dem Standpunkt des gewöhnlichen Bewußtseins freilich, da habe die Kritik ja recht mit all ihren Antinomien und Gegensätzen, da braucht der Begriff der Anschauung, die Anschauung der Empfindung, da ist Bewußtes und Unbewußtes, Rezeptivität und Spontaneität, Sinnlichkeit und Verstand, Denken und Sein, Ding an sich und Erscheinung voneinander geschieden. Das alles seien aber ebensoviel Vorurteile eben jenes niederen, gegenständlichen Denkens, die abgestreift werden müßten und die von selbst fielen und schwänden vor der Anschauung der lauteren, unbedingten Aktivität des schöpferischen Denkens, das die Grundlage und das wahre Wesen auch des gegenständlichen ausmachte und zu dem es nur gälte sich emporzuschwingen auf der Bahn, die kühne Geister wiesen.

Hier stehn wir denn also vor der Grundfrage, um die sich alles dreht: gibt es wirklich ein solches Denken als  menschliches  und wie und wo ist es zu finden? denn daß das gemeine kein solches darstellt, darüber sind wir einig. Und so kommen wir endlich zu jenem Punkt zurück, dessen Aufklärung ich in meinem Vortrag als für die gesamte Erkenntnistheorie und namentlich auch für das Verständnis des Verhältnisses von KANTs Kritizismus zum folgenden Dogmatismus als entscheidend bezeichnete.

Schon bei KANT nimmt die Untersuchung, namentlich in der transzendentalen Logik die verhängnisvolle Wendung, das Denken und Vorstellen als einen rein immantnen psychologischen Vorgang, gewissermaßen als einen Naturprozeß im Ich zu fassen, dessen eigentliches Wesen als ein tätiges Weben und Wirken in einem inneren Element, als ein Formen und Verbinden seelisch-geistigen Stoffes, erst dem kritischen Blick in der transzendentalen Reflexion sich enthüllt, während es sich dem gewöhnlichen Bewußtsein nur in seinem abgeleiteten Produkt, der gegenständlichen transzendierenden Vorstellung darstellt. Nun konnte aber KANT dem Vorstellen diesen seinen Charakter der Gegenständlichkeit trotzdem nicht vollständig nehmen, da er denselben durch die notwendige Anknüpfung an die Empfindung doch wieder hereinbekam und andererseits konnte er sich auch nicht entschließen, in jener Auffassung der transzendentalen Reflexion eine intellektuelle Selbstanschauung des Geistes anzuerkennen und damit nach dieser Seite eine unbedingte Erkenntnis einzuräumen. So blieb er zwischen dem Standpunkt des gewöhnlichen Denkens und jenem angeblich höheren unentschieden hängen; daher all die in seinem System gerügten Widersprüche und Inkonsequenzen. Nun schien es, man dürfe in der von KANT eingeschlagenen Richtung nur konsequent weitergehn, nur das Selbstbewußtsein bei der Denktätigkeit soweit steigern, bis man sie in ihrem einheitlichen Quellpunkt, in ihrer ursprünglichsten Aktion erblickte, so müßte und würde alles Transzendente darin, der Gegenstand samt dem Ding ansich vollständig verschwinden, sich alles Stoffliche in reine Form auflösen und nichts übrig bleiben als die lautere, bedingungslose, ursprüngliche Tätigkeit, die, auch vor und außer dem Bewußtsein wirksam, die Empfindung und alles weiter in sich und durch sich selbst hervorbringt, die das empirische Ich und damit die ganze Welt erschafft. Und da hätte man dann das vom gewöhnlichen Denken so lange in allen Tiefen und allen Fernen vergeblich gesuchte Absolute plötzlich ganz nahe, in der Hand, im reinen Bewußtsein des eigenen Denkens. Ein Gedanke kühn und großartig in der Tat wie kein zweiter und wohl geeignet in der bloßen Idee schon den Geist zu berauschen. Aber ist er auch wahr? auch realisierbar? Haben KANTs Nachfolger dieses schöpferische Denken, diese Urkraft, in ihrem, im menschlichen Bewußtsein wirklich nachgewiesen, hat das, was sie dafür hielten und ausgaben, die Probe bestanden und erfüllt was man davon erwarten mußte? Ich fürchte, die Frage muß mit "Nein" beantwortet werden.

Was FICHTE und SCHELLING betrifft, so sind sie ja selbst an der Durchführbarkeit der Idee schließlich irre geworden und, dieser mit seinem "unbegreiflichen Anstoß" für die Ich-Tätigkeit, jener mit dem "dunklen Grund" und dem "unvordenklichen Sein" auf einen dem gewöhnlichen respektive kritischen Denken mehr oder minder verwandten Standpunkt zurückgegangen. Und Herr LASSON betrachtet die Systeme dieser beiden wohl auch nur als Vorstufen für das HEGELsche, in welchem das Prinzip des absoluten Idealismus als "schöpferischer Begriff" erst seinen letzten und eigentlichen Ausdruck gefunden hat; denn in dieser Gestalt hält er es dem Kritizismus und all seinen im Kreis des gegenständlichen Denkens sich herumdrehenden Räsonnements ja beständig entgegen.

Ich werde daher nicht umhin können, noch einmal meinem Urteil über den Wert speziell dieses Systems Ausdruck zu geben und Herr LASSON muß schon verzeihen, wenn ich meine Meinung ganz unumwunden nach ihrer vollen Schärfe hier ausspreche. Ich möchte niemanden verletzen; aber ich muß es doch motivieren, warum ich hartnäckig auf jenem niederen, längst überwundenen kritischen Standpunkt verharre und fortgesetzt am Boden krieche, da das Fliegen doch schon lange erfunden ist.

Also HEGEL will im reinen Denken des Begriffs das gesuchte Prinzip gefunden haben. Dieser nämlich zeige sich im erhöhten Selbstbewußtsein nicht als der abstrakte Verstandesbegriff des gewöhnlichen Denkens, der eines außer ihm liegenden Elements bedarf, worauf er sich bezieht, sondern als ein völlig unbedingtes, frei bewegliches, absolut tätiges Prinzip, das, indem es sich in einem eigentümlichen Prozeß, dem dialektischen, aus sich entfalte und wieder mit sich zusammengehe, die ganze Welt in abstracto und concreto, idealiter und realiter schöpferisch hervorbringe.

Das dialektische Denken also soll jenes schöpferische sein, das dem gewöhnlichen als sein wahres höheres Wesen vorgehalten wird, zu dem es sich zu bekehren habe. - Nun, ich muß bekennen, ich kann darin überhaupt kein neues, höheres, geschweige denn ein schöpferisches oder göttliches Denken erblicken, sondern nur eine Abart des gewöhnlichen, nämlich die systematisch durchgeführte, allerdings mit außerordentlichem Geist und Geschick gehandhabte Methode einer eigentümlichen Sophistik (das Wort natürlich im objektiven Sinn genommen), deren Wesen hauptsächlich darin besteht, durch unvermerkte Vertauschung des Abstrakten und Konkreten die im gewöhnlichen logischen Denken sich abstoßenden Gegensätze scheinbar spontan zu einem neuen jenes Konkrete in näherer Bestimmtheit fassenden Begriff sich vereinigen zu lassen und so den Schein einer immanenten Produktivität der Begriffe hervorzubringen. Und was ich hier ausspreche ist keine Privatansicht von mir, sondern von den verschiedensten Seiten ist die Sache so schlagend, so unwidersprechlich bis ins Einzelste nachgewiesen, daß jede weitere Ausführung und Begründung meinerseits in der Tat von Überfluß wäre. Nur ein wichtiges und charakteristisches Moment möchte ich mir gestatten noch besonders hervorzuheben. - Es handelt sich nämlich für HEGEL nicht allein darum, die Begriffe in Bewegung zu setzen und fortschreitend auseinander zu entwickeln, ohne die Anschauung zu Hilfe zu nehmen, sondern ebensosehr darum, dem ganzen Gebäude in sich Halt zu verschaffen, so daß es ohne äußere Stütze frei sich selbst zu tragen scheint, was bei der Natur des abstrakten Begriffs, der ohne Beziehung auf ein außer ihm liegendes Konkretes sinn- und haltlos im Leeren schwebt, seine Schwierigkeit hat. Da muß nun das logische Verhältnis der Korrelation helfen, wo immer ein Begriff mit durch den andern gedacht ist, dieselben sich daher wechselseitig zu stützen und zu tragen scheinen, ohne eines weiteren Fundaments zu bedürfen, während mit dem Hin- und Herspielen des Gedankens zwischen den Gliedern der Wechselbeziehung zugleich ein Moment der ewig in sich kreisenden Bewegung gegeben ist, wie das System es gerade braucht. Daher das Schema, nach dem die umfassenderen Kategorien sämtlich gebildet sind. Natürlich ist jener durch die Wechselstützung der Begriffe gewonnene Halt nur ein scheinbarer und sobald man damit Ernst macht, von jeder Anschauung zu abstrahieren und die Begriffe wirklich einzig und allein aufeinander zu basieren und durcheinander zu denken, so zeigt sich die völlige Leere und Haltlosigkeit des Gedankens. Ein treffendes Beispiel bietet die vorhin von Herrn LASSON selbst im Vorbeigehn gegebene, ganz im HEGELschen Sinn gehaltene Erklärung vom Denken und Sein. Das Sein, sagte er, ist die Bewegung zum Denken und das Denken die Bewegung zum Sein. Also, das Sein ist die Bewegung zur Bewegung zum Sein; also: die Bewegung zur Bewegung zur Bewegung zur Bewegung etc. in infinitum. Bewegung freilich ist hier genug, aber keine produktive; es will immer zu einem Gedanken kommen, aber es kommt nicht dazu, weil dem Begriff immer die Anschauung entzogen wird, auf die er sich stützen will. Und diese Korrelativität an und für sich, dieses sich sich selbst Entgegensetzen, sich auch sich Beziehen und in sich Zurückgehen ist es sogar eigentlich, was HEGEL gleichsam hypostasiert [einem Gedanken gegenständliche Realität unterschieben - wp] als höchstes Realprinzip seinem System zugrunde legt. Fragt nun der Verstand, beängstigt von der absoluten Leere, was ist denn aber schließlich das, was sich da so sich entgegensetzt und sich auf sich bezieht, so antwortet ein hohles Wort "die Idee". Und aus dieser leeren Hülse wird nun mit Hilfe jener Dialektik, deren Triebkraft kein schöpferisches Denken, sondern Wortspiel und Trugschluß sind, der gesamte, auf dem gewöhnlichen Weg des Denkens und Wahrnehmens gewonnene Vorstellungsinhalt herausgesponnen und da soll man dann glauben, dem Prozeß des Absoluten zugesehn zu haben, wie es die Welt schafft.

Allerdings, um gerecht zu sein, muß man einräumen, daß HEGEL mit seiner Dialektik in der Tat nur die letzte im Prinzip liegende Konsequenz gezogen und nicht an ihm, sondern an diesem liegt es, wenn sein mit dem größten Aufwand von Geist und Scharfsinn unternommener Versuch, eine feste Methode, eine Logik des spekulativen Denkens zu begründen mißglückt ist. Ganz richtig erkannte er, daß nur im rein begrifflichen Denken eine vollkommen im Bewußtsein aufgehende Tätigkeit gegeben ist, daß also das schöpferische Denken, wenn es überhaupt möglich sein sollte, nur in diesem sich verwirklichen könnte. Nun ist und bleibt aber unser rein bewußtes Denken, wenn es überhaupt möglich sein sollte, nur in diesem sich verwirklichen könnte. Nun ist und bleibt aber unser rein bewußtes Denken ein diskursives und bedarf unumgänglich der durch unbewußte Tätigkeit gebildeten Anschauung, um zu funktionieren. Es mußte daher wohl oder übel der Logik Gewalt angetan, in einer oder der anderen Weise zum Trugschluß gegriffen werden, um auf scheinbar rein logischem Weg aus dem bloßen anschauungslosen Begriff den nur durch Anschauung vermittelten Inhalt zu gewinnen und nicht, daß die Dialektik vor der streng logischen Prüfung nicht standhält, ist zu verwundern, sondern daß HEGEL unter den gegebenen Umständen überhapt noch das geleistet hat, was er geleistet hat. Das Unmögliche kann eben auch kein Genie möglich machen und dem leeren, impotenten Begriff läßt sich nun einmal keine Schöpferkraft einzaubern.

Auf diesem Weg also, das, meine ich, sollte man sich endlich doch eingestehn, geht es nicht weiter. Zurück daher auch SCHELLING, auf FICHTE oder besser zurück auf KANT, denn bei ihm ist ja unzweifelhaft der Anfang zu suchen, an den alles andere sich angesetzt hat. Zu finden ist dieser Anfang meines Erachtens, wie gesagt, in jener eigentümlichen Wendung, die KANT im Interesse der größeren Sicherheit und Evidenz des kritischen Resultats, seiner transzendentalen Untersuchung gegeben. Hieran knüpfte sich die durch seine eigene Darstellung begünstigte und halb und halb von ihm selbst geteilte, überhaupt nicht leicht zu vermeidende Jllusion, als ob durch die ideellen Realkategorien der transzendentalen Reflexion das eigentliche Wesen des Denkens und Vorstellens im Unterschied von dem als was es sich dem gewöhnlichen Bewußtsein darstellt, erkannt würde, woraus dann die Idee eines neuen, höheren Denkens entsprang, zu dem man durch Steigerung des Selbstbewußtseins das gewöhnliche erheben könnte. Und hier liegt nach meiner Überzeugung das  proton pseudos.  [die erste Lüge - wp] Sind jene Reflexionskategorien, wie ich das in meinem Vortrag des näheren nachzuweisen versucht habe, in der Tat nichts weiter als psychologische Hilfsbegriffe, die sich zu den Erscheinungen des vorstellenden Bewußtseins genauso verhalten, wie die Begriffe der Naturkräfte zu den Phänomenen der äußeren Welt, so bleibt das gegenständliche Vorstellen für uns psychologisches Grundphänomen, dessen Gesetze wir wohl näher erforschen, das wir mit Hilfe jener Begriffe wohl auf die Tätigkeit eines dem Bewußtsein zugrunde liegenden geistigen Prinzips denkend beziehen, das wir aber nie durch die intellektuelle Anschauung jener Tätigkeit, in sich selbst und abgesehen von diesem ihrem Bewußtseinseffekt betrachtet, ersetzen können. Dann muß aber jeder Gedanke an ein höheres, sogenantes schöpferisches Denken, das als menschliches jemals an die Stelle des gewöhnlichen, gegenständlichen treten könnte, definitiv aufgegeben werden und die menschliche Vernunft sich bescheiden, nur dasjenige zu erkennen, was sie mit den Mitteln des gegenständlichen Denkens, als des ihr allein gemäßen und möglichen, zu erkennen imstande ist und folglich auch im Unbewußten als solchem ein weiter nicht bestimmbares Ansich im Wesen des Geistes anerkennen. -

Meint aber Herr LASSON, HEGEL habe im Grunde doch das Rechte und sei etwa nur in der näheren Entwicklung und Darstellung fehlgegangen und hofft er, es werde sich schließlich doch noch ein Weg finden, diese höhere Wahrheit dem gewöhnlichen, namentlich kritisch erleuchteten Denken zu vermitteln und so endlich die Versöhnung der diskordierenden [zwieträchtigen - wp] Anschauungen sich herbeiführen lassen, so glaube ich ihm wenigstens so viel bestimmt versichern zu können, daß, so lange man von jener Seite an der dialektischen Methode als Vehikel der philosophischen Wahrheit festhält, so lange auch die gehoffte Verständigung nicht eintreten wird. Denn - und das spricht mit mir, glaube ich, nicht nur der große Haufen der unphilosophischen Menge, sondern die weit überwiegende Mehrzahl gerade der wissenschaftlich Reifsten und philosophisch Gebildetsten unserer Zeit. Quod cunque ostendis mihi sic, incredulus odi. [So unentbehrlich aber die Beantwortung dieser Frage ist, so schwer ist sie doch zugleich. Horaz - wp]

Ich habe nunmehr alles erschöpft, was an der Erwiderung des Herrn LASSON meinem Verständnis zugänglich gewesen ist. Sollte ich wider Willen dies und jenes mißdeutet haben, dem eigentlichen Sinn der Worte nicht immer gerecht geworden sein, so wird, hoffe ich, mein verehrter Herr Gegner, wenn er nach der hohen Geistesgewandtheit, die ihm eigen, sich in meine Lage versetzt, das vielleicht begreiflich finden und entschuldigen. Ich habe mich immer mit Vorliebe im Kreis des gewöhnlichen, rein verstandesmäßigen Denkens bewegt, bin daher in der spekulativen Denk- und Ausdrucksweise weniger zuhause.

Es bleibt mir jetzt nur noch übrig, auf die Bemerkungen des Herrn Professor FREDERICHS zu antworten. Derselbe nimmt eine mittlere Stellung ein zwischen HEGEL und KANT, mit einer Neigung wohl zu letzterem. Auch er sieht in der nachkantischen Entwicklung keinen unbedingten Fortschritt, sondern in mancher Beziehung einen Rückschritt. Doch könne er, meint er, mir in meinem über dieselbe ausgeschütteten Tadel keineswegs beistimmen, weil ich gerade ihr Hauptverdient KANT gegenüber, nämlich die schroffe, absolute Trennung von Ding ansich und Erscheinung beseitigt zu haben, ihr zum Vorwurf mache. Nun war ja aber das direkt gar nicht der Gegenstand meines Tadels, sondern ihre eigentümliche Methode hatte ich kritisiert, ihren Anspruch, ein ganz neues philosophisches Denken erfunden zu haben, das zugleich das Absolute selbst sei. Ich weiß nicht, wie Herr FREDERICHS sich hierzu stellt; nach allem, was ich bisher von ihm gehört habe, glaube ich annehmen zu dürfen, daß er mit mir auf Seiten des gewöhnlichen Denkens steht und von jener höheren Denkmethode gleichfalls nicht allzuviel hält. Da möchte ich ihn denn aber doch darauf aufmerksam machen, daß, wenn man die Methode des absoluten Idealismus verwirft, man sich kein Resultat desselben aneignen und vor allem nicht darauf berufen kann, daß der Kantische Kritizismus durch ihn widerlegt sei. Denn hier, mehr als irgendwo anders, steht und fällt alles mit der Methode. KANT ist ja nach jener Lehre der Zuchtmeister auf HEGEL und seine Kritik die enge Pforte, die zum Heil führt, aus den trüben Regionen des reflektierenden Verstandes in die Gefilde der intellektuellen Anschauung und des schöpferischen Begriffs. Das gewöhnlich Denken verfällt ihr zufolge zunächst der Kritik in ihrer ganzen Strenge und erst so, wenn es ansich verzweifelt, wird es reif zur spekulativen Erlösung. Für den also, der im gewöhnlichen Denken verharrt, gilt KANT und nicht dessen spekulative Überwindung und entweder ist HEGELs Methode die rechte oder KANT nicht durch ihn widerlegt.

Was übrigens die Sache selbst anlangt, so dürfte meine ich, die Schroffheit jenes Gegensatzes, die Herr FREDERICHS bei KANT tadelt, eben durch den Begriff des Unbewußten, wie ich ihn gefaßt und von welchem Herr FREDERICHS nicht einsehen will, was es nützen soll, ihn in die Erkenntnistheorie einzuführen, wesentlich gemildert werden. Ich verweise deswegen auf das, was ich soeben bei der Frage der sinnlichen Wahrnehmung Herrn Professor LASSON gegenüber zu entwickeln Gelegenheit hatte. Der Gegensatz überhaupt aber von Ansich und Erscheinung ist meiner Meinung nach unbedingt festzuhalten und dem scheint ja auch Herr FREDERICHS gewissermaßen beizupflichten, wenn er hervorhebt, daß die Wahrheit für uns nur in einem unendlichen Progress - also doch nie absolut - zu erkennen sei. Freilich erklärt er sich gleichzeitig entschieden gegen die Kantische Annahme eines dunklen Ansich im Wesen unseres Geistes, läßt es aber leider an einer näheren Begründung dieser Meinungsäußerung fehlen, die doch mit Rücksicht auf die gerade hierauf bezüglichen ausführlichen Erörterungen meines Vortrages wohl am Platz gewesen wäre. -

Habe ich ihn recht verstanden, so erkennt Herr FREDERICHS mit mir die Notwendigkeit an, eine unbewußte Geistestätigkeit zu denken, die in die Prozesse des Bewußtseins mannigfach eingreift ganz nach der Weise des bewußten Vorstellens. Mit mir erkennt er ebenfalls an, daß der Begriff der unbewußten Vorstellung im strengen Sinne widersprechen, ein Unbegriff ist. Gern hätte ich nun auch von ihm erfahren, wie er denn sich und mir aus diesem Dilemma heraushelfen will, ohne ein Ansich im Wesen des Geistes zu statuieren, das nur, sofern und soweit es mi seinem Effekt (der Vorstellung) ins Bewußtsein tritt (d. h. erscheint) erkennbar ist, sofern es aber, wie beim Unbewußten, als aktuell und doch gänzlich außerhalb des Bewußtseins und ohne den Bewußtseinseffekt zu denken ist, dunkel und unbestimmbar bleibt. Auf dem Boden des gewöhnlichen Denkens wenigstens sehe ich keinen anderen Ausweg und ich glaube, auch Herr FREDERICHS wird schwerlich einen anderen finden.

Was die sonstigen Bemerkungen meines Herrn Gegners betrifft, so berühren dieselben, wie er selbst sagt, den eigentlichen Gegenstand der Diskussion nicht und kann ich daher von einer Besprechung meinerseits absehn.

Ich habe nunmehr die Entgegnungen meiner sämtlichen Opponenten der Reihe nach beantwortet und bin mit meiner Verteidigung zu Ende. Gestatten mir nun die Herren zum Schluß noch eine allgemeine Bemerkung. Wenn ich alle Angriffe zurückgewiesen und von meiner Position keinen Schritt breit gewichen bin, so ist das geschehen, weil ich in den Ausführungen meiner Gegner allerdings keine triftige Widerlegung habe erblicken können, nicht aber, daß ich etwa der Meinung wäre, mit meinem Vortrag die tausend mit dem Gegenstand verknüpften Fragen und Probleme nun endgültig entschieden und erledigt zu haben, so daß meine Auffassungen in keinem Punkt einer Berichtigung oder Modifikation bedürften. In der Hauptsache freilich glaube ich das Richtige getroffen zu haben und die stattgehabte Diskussion wird, hoffe ich wenigstens insoweit zur Aufklärung beitragen, als sie die für die Beurteilung im Ganzen wichtigsten Punkte deutlicher hat hervortreten lassen. Sie werden seiner Zeit, meine Herren, den Vortrag ja gedruckt in die Hand bekommen und Gelegenheit haben, dann noch einmal alles in Ruhe durchzudenken und kaltblütig zu prüfen. Und da möchte ich denn Ihrer Aufmerksamkeit noch einmal einen Punkt ganz besonders empfehlen, den ich wiederholt schon hervorgehoben habe, ich meine die Frage wegen des Werts und der Bedeutung der transzendentalen Reflexionsbegriffe. Denn ehe diese nicht vollständig aufgeklärt und endgültig entschieden ist, ist an keine Schlichtung des Streits zwischen Kritizismus und Dogmatismus zu denken und kann auch in der Erkenntnistheorie mit Sicherheit kein Schritt vorwärts getan werden.
LITERATUR - Adolph von Heydebreck, Über den Begriff der unbewußten Vorstellung, Vortrag gehalten am 27. Oktober 1883 mit der dabei stattgehabten Diskussion, Philosophische Vorträge der Philosophischen Gesellschaft Berlin, Neue Folge Heft 7, Halle/Saale 1884