p4-2RickertWundtKülpeMüllerFechnerKern    
 
LUDWIG BUSSE
Die Wechselwirkung
zwischen Leib und Seele

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"Sigwart macht geltend, daß die Gültigkeit des Energieprinzips für die organischen Prozesse noch nicht bewiesen sei und auch nicht bewiesen werden könne; ohne solchen Beweis aber könne der Parallelismus nicht akzeptiert werden. Je gewisser alle physischen Kausalzusammenhänge und die Äquivalentzahlen für die verschiedenen Formen des Geschehens empirisch festgestellt sind, desto sicherer muß auch für die Ausdehnung dieser Zusammenhänge auf das Geschehen in Nerven und Gehirn der empirische Beweis verlangt werden, wenn sie als unzweifelhafte Annahme gelten sollen."

KÜLPE hält also offenbar daran fest, daß die Summe der Energie im  physischen  Weltall konstant bleiben müsse (1), und sucht nun unter  dieser  Voraussetzung die Wechselwirkung dadurch mit dem Energiegesetz in Einklang zu bringen, daß er die beim Wirken auf die Seele verbrauchte Energie ohne Verlust durch das psychischen Mittelglied hindurch in das physische Universum zurückkehren läßt. Das physische Universum würde nach dieser Auffassung jeden Verlust, den es durch Abgabe an das psychische Gebiet  zunächst  erleidet, sogleich wieder einbringen, dem Spieler gleicht, der das an den Bankhalter bei "pour moi" verlorene und von diesem eingezogene Geld beim darauf folgenden "pour vous" stets wiedergewinnt und so sein Kapital im Wechselspiel von Verlust und Gewinn durch das ganze Spiel hindurchrettet. Dem ist aber entgegengehalten, daß, wenn das Gesetz der Erhaltung der Energie die Konstanz der Gesamtenergie des physischen Universums fordert, das Quantum derselben auch nicht einen Moment lang verändert werden darf. Es genügt nicht, daß der eingetretene Verlust im nächsten Augenblick wieder eingebracht, daß der begangene Fehler sozusagen durch einen zweiten gleich großen, aber entgegengesetzten Fehler wieder gut gemacht wird. Sondern der Verlust darf überhaupt nicht eintreten, der Fehler gar nicht gemacht werden, soll das Prinzip der Konstanz des physischen Energiequantums unverletzt bleiben. Die Notwendigkeit, eine zeitliche Sukzession zwischen geistigen und materiellen Vorgängen anzunehmen, steht hier also allerdings, trotz KÜLPEs Behauptung des Gegenteils, in Widerspruch mit den Forderungen der empirischen Wissenschaft.

Die von STUMPF vertretene Auffassung wird durch  diesen  Einwand natürlich  nicht  getroffen. Wie die Ansicht, daß das Gesamtquantum der physischen Energie konstant bleiben müsse, keineswegs die Forderung in sich schließt, daß innerhalb des physischen Universums das Verhältnis der einzelnen Energieformen, z. B. von Wärme und Bewegung, zueinander sich ewig gleich bleibem muß, vielmehr das CARNOTsche Gesetz hier sogar tatsächlich eine fortschreitende Veränderung dieses Verhältnisses zu Ungunsten der Bewegung vorschreibt, so braucht auch, wenn nur die Gesamtsumme der Energie des  psychophysischen  Universums sich gleich bleiben muß, Soll und Haben der physischen und der psychischen Energie sich nicht fortwährend auszugleichen. (2) Zwar muß, wenn der Körper auf die Seele wirkt, das dabei verausgabte Quantum physischer Energie durch ein gleich großes Quantum psychischer Energie (und vice versa) ersetzt werden, der eine Teil soviel verlieren, als der andere gewinnt; aber wenn die Seele nun auf den Körper zurückwirkt, braucht das dadurch gewonnene Quantum physischer Energie  nicht  dem vorher beim Wirken auf die Seele verausgabten Quantum zu entsprechen. Und dasselbe würde umgekehrt gelten. Denn es braucht eben nicht  jede  in psychische Energie verwandelte physische Energie in physische zurückverwandelt zu werden.

Aber gegen die STUMPFsche Auffassung erhebt sich ein anderes Bedenken (3). "Sie nimmt", wie EBBINGHAUS (der - ebensowenig wie ich selbst das im unten genannten Aufsatz getan habe - diese und die KÜLPEsche Ansicht nicht voneinander trennt) sich (a. a. O. Seite 33) ausdrückt, "dem  gewöhnlichen  Denken zu viel". Das heißt sie nötigt uns zu einer Auffassung des Seelischen, die seiner tatsächlichen Beschaffenheit, seiner aus sich selbst quellenden Lebendigkeit, Freiheit und inneren Regsamkeit Gewalt antut. Als eine Energieform neben den anderen in der Natur auftretenden und denselben Verkehrsformen unterworfen, wie jene, würde das seelische Leben in das Getriebe des allzeit eindeutig bestimmten Mechanismus mit hineingezogen werden. Die Seele würde bei jedem Wirken auf den Körper selbst genausoviel Energie verlieren, als sie in jenem erzeugt; sie würde sich auch gelegentlich ganz verausgeben und ebenso aus der Welt verschwinden können, als Elektrizität, Wärme und Bewegung verschwinden und in andere Energieformen übergehen. Und wie jene würde sie gelegentlich aus den physischen Energieformen heraus unter günstigen Umständen wiedergeboren werden können. Ich finde nicht, daß einer derartige Auffassung sich sonderlich von der materialistischen unterscheidet, welche das Geistige ebenso wie etwa die Elektrizität als eine eigentümliche Verhaltensweise der Materie ansieht, welche diese unter besonderen, nicht näher bekannten Umständen, zeigt.

Weiter würde die Leistungsfähigkeit der Seele in jedem Moment durch die augenblicklich durch sie repräsentierte Energiemenge und den etwa durch Abgabe physischer Energie noch hinzukommenden Zuschuß vollständig und eindeutig bestimmt sein; eine Erhöhung ihrer Leistungsfähigkeit über die durch diese Faktoren gesetzten Schranken hinaus, wie wir sie als Frucht begeisterten Strebens in Momenten, wo man dem Weltgeist näher ist, als sonst, annehmen, würde völlig unmöglich sein. Das geistige Leben läßt sich aber nicht in solche Fesseln schlagen. Die Seele ist nicht eine einen bestimmten, zahlenmäßigen feststellbaren Arbeitswert repräsentierende "Anhäufung von psychischen Energien" (4), sondern ein aus sich selbst lebendes und aus sich selbst schöpfendes, unter Umständen sich selbst potenzierendes Wesen. Es wächst der Mensch mit seinen größeren Zwecken; es gibt ein Wachstum geistiger Energie, das mit keinem naturwissenschaftlichen Maß gemessen, durch keine naturwissenschaftliche Formel ausgedrückt werden kann. (5)

SIGWART ist, wie gesagt, auf die von STUMPF aus der Unbestimmtheit des Energiegesetzes in qualitativer Hinsicht gefolgerte Möglichkeit einer Vereinigung desselben mit der Theorie der psychophysischen Wechselwirkung gar nicht eingegangen. Daß auch er sie nicht anerkennt, scheint mir aus seinen Äußerungen in 7 unzweideutig hervorzugehen. Auf die Behauptung "es sei undenkbar, daß irgendeine Äquivalenz zwischen einer chemischen Umsetzung oder einem physikalischen Vorgang im Gehirn einerseits und einer Empfindung, einem Gefühl andererseits stattfinde; daß im physikalischen Gebiet Energie verschwände, um in der ganz unvergleichlichen Form bewußter Vorgänge wieder aufzutreten, oder daß umgekehrt einem immateriellen bewußten Vorgang ein bestimmtes Maß von materieller Veränderung als Wirkung entspreche (Seite 532, 533), antwortet er: "Soviel ist zuzugeben, daß wir die psychischen Vorgänge nicht mit irgendeinem Maß so messen können, daß ein exaktes Kausalgesetz mit jedem Betrag einer Nervenerregung den korrespondierenden Betrag des geistigen Geschehens verknüpfte und die verschiedenen Formen geistigen Geschehens auf ein gemeinschaftliches Maß reduziert würden" (Seite 533). In Übereinstimmung hiermit hat SIGWART ja auch schon in § 97, 4 (Seite 525) sich dahin ausgesprochen, daß ein psychische Wirkung "in keiner Weise in das Verhältnis der Äquivalenz zu Molekularbewegungen gesetzt werden kann" (6).

Wenn er nun weiter hinzufügt, daß die Annahme eines Kausalzusammenhangs zwischen Leib und Seele durch diese Unmöglichkeit ebensowenig verhindert werde, als wir vor der Entdeckung des Energieprinzips verhindert waren, Kausalzusammenhänge zwischen den verschiedenartigen Naturvorgängen anznehmen (Seite 533), so sagt er damit deutlich, daß er an der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele zwar unter allen Umständen festhält, die das Wesen des STUMPFschen Versuches, die Lehre von der Wechselwirkung mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie zu vereinigen, ausmachende Ausdehnung des Energieprinzips auf das Geistige aber ablehnt. -

Seite 534 sagt SIGWART: "Da wir über die genaueren Verhältnisse der Umformung der lebendigen Energie der Licht- und Schallwellen in den Nerven nichts wissen, so läßt sich auch nicht ausmachen, welcher Teil derselben etwa die nächste Ursache der Entstehung der Empfindungen wäre; und ebensowenig läßt sich ausmachen, inwieweit etwa ein Willensimpuls, den ich mit Bewußtsein erteile, als direkte Ursache, lebendiger Kraft vergleichbar, eine Erregung motorischer Nerven hervorrufen sollte oder inwieweit er bloß als auslösender Vorgang gegenüber einer disponiblen Energie zu betrachten wäre, analog dem Schließen eines elektrischen Stromes, der eine Mine entzündet."

Er fügt noch eine  Note  hinzu, welche lautet: "Es ließe sich vielleicht sogar die Hypothese durchführen, daß das physikalische Energiegesetz erhalten bleibt und nur die Bedingungen des Überganges von lebendiger Energie in potentielle und umgekehrt mit den Beziehungen zu psychischen Vorgängen sich ändern."

Die hier von SIGWART bloß angedeutete und als  "vielleicht  durchführbar" bezeichnete Hypothese haben STUMPF, REHMKE und WENTSCHER, in Einzelheiten voneinander abweichend, im Wesentlichen aber miteinander übereinstimmend, durchzuführen versucht, um die Vereinbarkeit der Theorie der Wechselwirkung von Leib und Seele mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie  unter  der Voraussetzung, daß das letztere die Forderung der absoluten Konstanz der physischen Energiesumme in sich schließt,' nachzuweisen. Den Haupt- und Grundgedanken des STUMPF-REHMKE-WENTSCHERschen Versuches bildet die Annahme, daß eine physische Ursache neben dem nach dem Energieprinzip ihr zugeordneten äquivalenten physischen Effekt auch noch einen psychischen Vorgang veranlassen könne, ohne dazu weitere Energie aufzuwenden, und daß ein physischer Effekt neben seiner äquivalenten physischen Bedingung auch noch eine psychische Veranlassung haben könne ohne Änderung seines Energiebestandes. Dieser Grundgedanke ist  prinzipiell  unabhängig von der weiteren Annahme, daß das physische Wirken im einen Fall eine Umwandlung von kinetischer in potentielle, im anderen eine solche von potentieller in kinetische Energie bedeutet, obwohl diese Annahme es ist, welche dem Versuch sein verführerisches Aussehen verleiht.

Prüfen wir die beiden Behauptungen, welche die Hypothese enthält, nacheinander. Die erste wird von STUMPF (a. a. O. Seite 10) folgendermaßen formuliert: "Ein bestimmter Nervenprozeß in bestimmter Gegend der Gehirnrinde ist die unerläßliche Vorbedingung für das Zustandekommen einer bestimmten Empfindung; diese geht als notwendige Folgen  neben  den physischen Wirkungen aus ihm hervor (soviel zum Unterschied zur Parallelismustheorie). Aber dieser Teil der Folgen absorbiert keine physische Energie und kann in seinem Verhältnis zu den Bedingungen nicht durch mathematische Begriffe und Gesetze ausgedrückt werden."

Die gleiche Absicht äußert REHMKE im "Lehrbuch der Psychologie" (Seite 110 - 114) und der Schrift: Innenwelt und Außenwelt, Leib und Seele (Greifswald 1898, Seite 42). "Der Gehirnprozeß", sagt er (Psychologie Seite 114) "wird, wenn er seelische Wirkung ausübt, in seiner  physischen Energie  gar nicht berührt, wird auch selber nicht etwa  durch einen psychischen Prozeß unterbrochen,  sondern kann sogar zu  gleicher Zeit psychisch  wirken und Energie  abgeben  an ein Dingkonkretes." WENTSCHER äußert sich ebenfalls zustimmend (a. a. O. Seite 113), und auch ERHARDT hält die STUMPFsche Annahme für "eine sehr wohl mögliche Hypothese" (7) und fügt hinzu: "Gegen die Möglichkeit einer solchen Annahme dürfte man schwerlich imstande sein, wirklich zureichende Gründe anzuführen." (8)

Ich vermag mich nicht davon zu überzeugen, daß die STUMPFsche Annahme eines doppelten Wirkens des Physischen eine mögliche Hypothese bedeutet, halte sie vielmehr aus folgenden, mir einstweilen als zureichend erscheindenden Gründen für  unmöglich.  Um diese Gründe möglichst einleuchtend zu machen, wollen wir die von STUMPF gemachte Annahme eines doppelten physischen Wirkens zunächst einmal  umkehren.  Wie auch ERHARDT, Seite 86, seiner Schrift richtig bemerkt, ist die von STUMPF vertretene, oben charakterisierte  zweite  Behauptung gar nicht die wahre Kehrseite der ersteren. Diese besteht vielmehr in der Behauptung, daß eine psychische Ursache eine psychische Wirkung und zugleich, ohne dazu weitere Energie aufzuwenden, eine physische Wirkung haben könne. Meines Wissens hat nur REHMKE  diese  Umkehrung wirklich ausgeführt. "Ein fröhlicher Gedanke", sagt er "wirkt ein lachendes Gesicht und zugleich das Auftreten einer neuen Vorstellung" (Psychologie, Seite 114). Auch hier ist die Umkehrung noch nicht völlig entsprechend. Streng genommen müßte, wie dort eine Wirkung von Ding auf Ding, so hier eine solche von Seele zu Seele, also ein  transparentes  psychisches Wirken und daneben noch ein Wirken der Seele auf den Körper erfolgen. In dieser Form ist aber die reziproke [wechselseitige - wp] Vorstellung natürlich nicht durchführbar. Wenn aber ein fröhlicher Gedanke eine Vorstellung wirkt, so haben wir ein  immanentes  Wirken der Seele auf sich selbst; nicht der frähliche Gedanke, sondern die den fröhlichen Gedanken habende, die fröhliche Seele wirkt in sich die entsprechende Vorstellung. Das Ganze stellt einen immanenten Vorgang, eine innere Erregung der Seele dar und mit dieser  Gesamterregung  ist dann zugleich der körperliche Vorgang, dessen Endergebnis das "fröhliche Gesicht" ist, kausal verknüpft. -  Genauso wie hier  müssen wir nun auch den Zusammenhang konstruieren, wenn eine physische Ursache eine physische und zugleich eine psychische Wirkung hat. An die "Erregung" eines  Dinges A,  die, metaphysisch betrachtet, vielleicht als innerer, psychischer Vorgang zu denken ist, äußerlich, physikalisch, sich aber als ein physischer Vorgang, etwa als eine Bewegung darstellt, knüpft sich ein anderer physischer Vorgang in einem andern  Ding B  und zugleich ein solcher in einer Seele  S.  Nun leugne ich nicht, daß es auf dem Boden der LOTZEschen okkasionalistischen Interpretation der Wechselwirkung der Dinge, auf dem ich in metaphysischer Hinsicht ebenso wie WENTSCHER stehe,  an und für sich  sehr wohl möglich ist, den Vorgang in  A  als mit dem in  B  und zugleich mit dem in  S  allgemeingesetzlich verknüpft zu denken. Aber zur Rettung der Theorie der doppelten Wirkung einer physischen Ursache gegenüber den Ansprüchen des Energiegesetzes läßt sich die LOTZEsche Metaphysik doch nicht verwerten. Denn eben jene okkasionalistische Metaphysik bedeutet zunächst nur ein allgemeines Schema, das uns zeigen will, wie überhaupt,  wenn  irgendein Ding auf ein anderes wirkt, der Vorgang des Wirkens widerspruchslos gedacht werden könne;  wann  aber im Einzelnen ein Wirken eines bestimmten Dinges auf ein anderes bestimmtes Ding angenommen werden müsse, darüber sagt sie gar nichts aus, läßt vielmehr in dieser Hinsicht alles unbestimmt und alle erdenklichen Möglichkeiten kausaler Verknüpfung zu. An und für sich wäre es nach ihr denkbar, daß eine "Erregung" eines Dinges  A  (die sich äußerlich als Bewegung darstelle) mit korrespondierenden Erregungen  aller  anderen Dinge allgemein gesetztlich verknüpft wäre. Das würde ein n-faches gleichzeitiges Wirken von  A  ergeben.

Diesen wilden und vagen Möglichkeiten macht nun aber auf physischem Gebiet das Energieprinzip ein Ende. Seine Forderung, daß die Wirkungsfähigkeit einer Ursache sich in dem Maße erschöpfe, als sie anderswo einen Effekt von gleicher Wirkungsfähigkeit hervorbringt (SIGWART, Seite 528), involviert den allgemeinen Gedanken, daß von einem Wirken eines  Dinges  auf ein anderes nur da geredet werden darf, wo das wirkende Ding einen - nach dem Prinzip sogar einen dem Effekt genau entsprechenden - Energieaufwand zeigt. Fügen wir diesen Gedanken in das allgemeine und abstrakte Schema der "Korrespondenz" ein, so ergibt sich, daß ein - in abstracto immer denkbares - n-faches Wirken von  A  tatsächlich nur dann angenommen werden darf, wenn dem Gesamteffekt (den Erregungen aller übrigen Dinge) auch ein entsprechender - nach dem Energieprinzip sogar genau entsprechender - Energieaufwand von  A  korrespondiert, d. h. wenn das Ding  A  wirklich für jeden der ihm zugeschriebenen  n  Effekte auch Energie aufgewandt hat. Ist das  nicht  der Fall, so ist das kausale Wirken von  A  eben auf diejenigen anderen Dinge zu beschränken, für die ein Energieaufwand seitens  A  nachzuweisen oder anzunehmen ist; die übrigen "Erregungen" sind  nicht  als Wirkungen desselben zu betrachten. Mit anderen Worten:  Von Kausalverhältnissen darf man nunmehr unbeschadet der Richtigkeit des metaphysischen Okkasionalismus nur da sprechen, wo das "verursachende" Ding auch zur Einwirkung auf das von ihm kausal beeinflußte Ding Energie aufgewandt hat.  Wo keine Aufwendung von Energie stattgefunden hat, da darf man auch nicht von Kausalität reden. (9)

Demnach muß, wenn in unserem Beispiel die Erregung des Dinges  A  die Ursache der Erregung eines anderen Dinges  B  und  zugleich  auch die Ursache der Erregung der Seele  S  tatsächlich sein soll, von ihm  sowohl  für  B  als auch  für   S  Energie aufgewandt werden. Verwendet nun  A  nur einen Teil seiner Energie für  B,  den übrig bleibenden Teil für  S,  so geht dieser letztere, so geht also Energie als solche verloren und die Summe der physischen Energie bleibt  nicht  konstant. Verwendet aber  A  seine gesamte Energie für  B,  hat sein gesamter Energieaufwand einen äquivalenten  physischen  Effekt, so erschöpft sich seine Energie auch völlig im Effekt und es bleibt für  S  nichts übrig; folglich findet dann auch kein Kausalzusamenhang zwischen  A  und  S  statt. In diesem Sinne sagt RIEHL (Philosophischer Kritizismus II, 2. Seite 178), daß, da (ich würde sagen:  wenn)  die mechanische Ursache ganz und ohne Rest in ihre mechanische Wirkung (wenn sie nämlich eine solche hat) aufgeht, "für irgendeinen nichtmechanischen Nebenerfolg nicht der geringste Raum bleibt". Um auch hier noch einmal SIGWARTs eigene Worte anzuführen: "die Wirkungsfähigkeit der Gehirnsubstanz ist in den äquivalenten physiologischen Vorgängen erschöpft und kann also nicht noch ein Mehr von Wirkung hervorbringen, das in keiner Weise in das Verhältnis der Äquivalenz zu Molekularbewegungen gesetzt werden kann. (10)

Übrigens gesteht auch REHMKE in der Schrift "Leib und Seele" etc. Seite 44 zu, daß die Frage, ob der Leib beim Wirken auf die Seele Kraft verbraucht, unentschieden bleibe und die Möglichkeit, daß solches notwendig sei, nicht von der Hand gewiesen werden könne. - Ich meine gezeigt zu haben, daß die Voraussetzung, daß der Leib beim Wirken auf die Seele Kraft verbraucht, gemacht werden  muß,  wenn man von einem Kausalitätsverhältnis zwischen beiden sprechen will.

Will man trotzdem die Annahme eines Kausalitätsverhältnisses zwischen Leib und Seele ohne Kraftaufwand seitens des Leibes aufrechterhalten, so muß man hinzufügen, daß man hier unter Kausalitätsverhältnis etwas ganz anderes, als sonst überall, versteht, was ungefähr auf dasselbe hinausläuft, als wenn man sagt, daß hier ein Kausalitätsverhältnis besteht, das eigentlich keines ist.

In der Tat wüßte ich nicht zu sagen, wodurch sich die Behauptung eines derartigen Kausalzusammenhangs eigentlich nocht von einem psychophysischen Parallelismus unterscheidet. Eine gesetzmäßige Korrespondenz physischer und psychischer Zustände nimmt ja auch er an. Nicht nur eine Annäherung an die Parallelitätslehre, wie STUMPF Seite 11 sagt, wird durch diese Annahme erzielt, sondern sie fällt mit ihr zusammen (11) und der Parallelist, der "eine derartige Auffassung als die seinige in Anspruch nimmt", dürfte gegen den Vorwurf der Inkonsequenz, den ihm STUMPF macht, sich wohl mit Grund verwahren können.

Wäre aber auch die Lehre vom doppelten Effekt in der Richtung des Physischen auf das Psychische als eine mögliche erwiesen, so wäre damit noch so gut wie nichts gewonnen, weil sie auch dann unter allen Umständen noch in der entgegengesetzten Richtung versagen würde. (12) Diese, die  zweite  Behauptung der Doppeleffekttheorie (die aber jetzt im Grunde als eine Doppel ursachen theorie erscheint) enthaltene Seite derselben wird von STUMPF also formuliert (Seite 10): "Desgleichen kommt ein bestimmter Prozeß in den motorischen Nerven der Rinde zustande nicht durch bloß physiologische Bedingungen, sondern stets unter Mitwirkung eines bestimmten psychischen Zustandes (Affektes, Willens), ohne daß doch das Quantum physischer Energie durch diesen beeinflußt wird." Ich antworte: Wenn das Quantum physischer Energie, das der Prozeß in den motorischen Nerven repräsentiert, durch die psychische "Ursache" gar nicht beeinflußt wird, sondern  ausschließlich  auf Rechnung des vorhergehenden  physiologischen  Prozesses zu setzen ist, dann ist dieser letztere auch die alleinige und zureichende Ursache des Vorgangs in den motorischen Nerven, dann hat es keinen Sinn mehr, den psychischen Vorgang als eine Ursache zu bezeichnen. Sobald wird die im vorhergehenden physiologischen Prozeß aufgewandte Energie als das volle Äquivalent der im nachfolgenden physiologischen Prozeß erzeugten Energie ansehen, stehen wir auf dem Boden des Parallelismus. (13)

Will man eine kausale Einwirkung der Seele auf den Körper zulassen, so muß man die  Doppel-Ursache fallen lassen, darf man den durch die Seele bewirkten physischen Vorgang nicht zugleich auf zureichende physische Ursachen zurückführen. Alsdann fragt sich, ob eine Wirkung der Seele auf den Körper  ohne  Änderung physischer Energie' denkbar ist. SIGWART hält eine derartige Einwirkung der Seele auf den Körper für  vielleicht,  WENTSCHER für  wohl  möglich. Er stützt sich dabei auf den auch von SIGWART (vgl. oben) angeführten Begriff der  Auslösung.  Wenn die Seele auf den Körper wirkt, so erzeugt sie keine neue Energie in ihm, sondern löst nur die in irgendwelchen Zellen aufgestapelte  potentielle  Energie in  kinetische  aus, ruft also einen Umwandlungsprozeß hervor, durch welchen physische Energie nur  qualitativ,  aber  nicht quantitativ  verändert wird. (14)

Die Darlegung meiner entgegengesetzten Ansicht, daß eine Auslösung potentieller physischer Energie durch psychische Ursachen ohne Energieveränderung  nicht  möglich ist, knüpfe ich an das von SIGWART (15) und WUNDT (16) verwendete Beispiel des durch ein Wunder beliebig lange Zeit in bestimmter Höhe gehaltenen, dann wieder herabgefallenen Steines an.

"Wenn ein senkrecht aufwärts geworfener Körper", sagt SIGWART, Seite 528, "auf dem höchsten Punkt seiner Bahn durch ein Wunder schweben bliebe, um erst nach hundert Jahren wieder zu fallen, so wäre das Energieprinzip nicht durchbrochen." - Gewiß nicht. Aber nur, weil der Körper eben durch ein  Wunder  schwebend erhalten wurde, schließt sich in diesem Fall trotz der Unterbrechung durch das Schwebenbleiben der Niederfall desselben genauso ohne jede Energiezunahme an sein vorangegangenes Aufwärtssteigen an, als wenn gar keine Unterbrechung stattgefunden hätte. Anders aber liegt die Sache, wenn der aufwärts geworfene Stein nicht durch ein Wunder, sondern durch eine reale Ursache, etwa durch die der Erdanziehung die Waage haltende Anziehung eines anderen Körpers eine Zeitlang in der Schwebe gehalten wird. Alsdann erfolgt der Fall nur, wenn entweder die Anziehungskraft der Erde um eine weitere Kraft verstärkt oder die entgegenstehende Anziehungskraft sonstwie, etwa durch Entfernung des betreffenden Körpers, der vielleicht von einem dritten fortgestoßen wird, unwirksam gemacht wird. In beiden Fällen besteht aber der erzielte  Gesamteffekt  nicht nur in dem Äquivalent der durch die Aufwärtsbewegung des Steines geschaffenen potentiellen Energie, sondern weist noch ein Plus auf, das auf Rechnung des auslösenden Vorgangs zu setzen ist, nämlich im ersten Fall die Wirkung, welche die verstärkte Anziehung der Erde auf den Stein ausübt (17), im zweiten Fall die Bewegung des den Fall des Steins bis dahin verhindernden Körpers, welche ihrerseits durch den ihn stoßenden bewegten Körper verursacht wird.

So wird es nun immer sein. Immer wird der auslösende Vorgang in der Hinzufügung der zur vollen Bedingung des betreffenden Vorgangs noch fehlenden Bedingung  d  oder in der Hinwegräumung eines Hindernisses bestehen. Der letztere Fall läßt sich auf den ersten insofern reduzieren, als man die zur Hinwegräumung des Hindernisses aufzuwendende Energie eben als die noch fehlende und hinzuzufügende Bedingung ansehen kann. Immer aber wird, wenn diese Hinzufügung erfolgt, der eintretende  Gesamteffekt  nicht nur gleich dem "ausgelösten" Energiequantum sein, sondern ihn um einen Energiebetrag übertreffen, der dem durch den auslösenden Vorgang repräsentierten Energiequantum entspricht. Bezeichnen wir das Quantum der auszulösenden potentiellen Energie mit  P,  die ausgelöste Energie mit  II,  die durch die auslösende Kraft repräsentierte Energiemenge mit  d,  so ist der durch den Auslösungsvorgang erzielte Gesamteffekt nicht  II,  sondern  II + δ  wobei  δ = d  ist, Wie klein man auch  d  annehmen möge, es wird nie  = 0;  ein  d = 0  würde nichts auslösen können. Dem entsprechend ist dann aber auch  δ  nie  = 0.  Löst nun die Seele ein im Gehirn vorhandenes bestimmtes Quantum potentieller Energie aus, sei es, daß sie eine Bewegung hervorruft, die dann ihrerseits als auslösender Vorgang wirkt, sei es, daß sie selbst unmittelbar als auslösende Kraft wirkt oder ein "Hindernis" hinweggeräumt, so muß auch in diesem Falle der physische Gesamteffekt einen größeren Betrag von Energie repräsentieren, als die zur Auslösung gelangende potentielle Energie, wodurch, da es für das Mehr an einer äquivalenten physischen Ursache fehlt, der Energiegehalt des physischen Universums vermehrt wird. (18) Ob diese Vermehrung groß oder verschwindend klein ist, ist prinzipiell gleichgültig. Übrigens würde sich durch eine Summation vieler derartiger Anstöße schließlich doch ein endlicher Betrag von Energie ergeben, um welchen alsdann die Gesamtsummme der physischen Energie vermehrt werden würde. (19)

Natürlich ist auch nichts damit gewonnen, daß man, um den Ausdruck eines mir befreundeten Mathematikers zu gebrauchen, die Seele die Rolle einer Billardbande spielen und sie nur die  Richtung  physischer Bewegungen ändern läßt. Denn "Richtungsänderung bewegter Teilchen" heißt, wie EBBINGHAUS (a. a. O. Seite 32) mit Recht bemerkt, "mechanisch gesprochen, allemal: Einführung einer Seitenkraft von bestimmter Richtung und von bestimmten Arbeitswert" (20). Eine psychische, die Richtung ändernde Kraft brauchte zwar nich selbst eine bestimmte Richtung zu haben, ihr Eingreifen müßte aber doch ebenso wie das einer physischen Kraft eine physische Energieveränderung zur Folge haben.

Aber vielleicht bleibt doch noch eine Möglichkeit, den Gedanken einer Energieauslösung ohne Energieveränderung durch die Annahme der Hinwegräumung eines der Umwandlung potentieller in kinetische Energie entgegenstehenden Hindernise durch die Seele zu retten. Könnte nicht eine bestimmte Disposition der Seele selbst eben das Hindernis sein, das jener Umwandlung entgegensteht? Und könnte nicht eine Änderung dieser Disposition es dann beseitigen? Dann würde die Aktion der Seele, durch welche sie die hindernde Disposition  H  in  Z  ändert, der auslösende Vorgang  d,  der dadurch erzeugte psychische Zustand  Z  aber der zum Gesamteffekt  II + δ  gehörende, auf Rechnung von  d  zu setzende Faktor  δ  sein.  d  würde sich also im Effekt bemerkbar machen, aber als  psychischer  Faktor, während auf  physischem  Gebiet die Gleichung  II + P  besteht. Darauf aber ist - im Anschluß an die Ausführungen der Anmerkung 1 auf Seite 112 - zu erwidern, daß ein  Hindernis  ein solches nicht schon dadurch ist, daß es überhaupt da ist, sondern nur dadurch, daß es auf das Ding, für das es ein Hindernis ist, irgendeine Wirkung, wie beschaffen immer man sich dieselbe auch denken möge, ausübt. Dem Wegräumen des psychischen Hindernisses müßte also ein Eintreten desselben, d. h. ein Einwirken der Disposition  H  auf das Gehirn vorangegangen sein und auch diese im Gehirn vorhandene und nicht spurlos verschwindende Wirkung würde, da ein entsprechender Aufwand physischer Energie dafür fehlt, eine Veränderung der Gesamtsumme physischer Energie bedeuten.

Auch der  zweite,  von SIGWART übrigens vorsichtigerweise nur als eine vielleicht mögliche Hypothese hingestellte Versuch, die psychophysische Wechselwirkung mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie in dem Sinne, daß es die Forderung der Konstanz der Gesamtsumme der Energie des physischen Universums in sich schließt, zu vereinigen, muß daher meiner Überzeugung nach als unmöglich aufgegeben werden.

So scheinen wir denn vor der Alternative zu stehen, entweder die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele oder die ausnahmslose Geltung des Gesetzes der Erhaltung der Energie leugnen zu müssen. Die Verteidiger der Lehre von der Wechselwirkung haben sich, gestützt darauf, daß das Energieprinzip ja doch kein apriorisches, denknotwendiges, sondern nur ein empirisch gefundenes und bestätigtes Gesetz darstelle, dessen ausnahmslose Gültigkeit für die ganze Natur nicht bewiesen sei und nicht bewiesen werden könne, mitunter geneigt gezeigt, die universelle Geltung desselben in Zweifel zu ziehen oder einfach zu bestreiten. Auch SIGWART hat diesen Gedanken nicht ganz von sich gewiesen. Seite 531f macht er geltend, daß die Gültigkeit des Energieprinzips für die organischen Prozesse noch nicht bewiesen sei und auch nicht bewiesen werden könne; ohne solchen Beweis aber könne der Parallelismus nicht akzeptiert werden. "Je gewisser alle physischen Kausalzusammenhänge und die Äquivalentzahlen für die verschiedenen Formen des Geschehens empirisch festgestellt sind, desto sicherer muß auch für die Ausdehnung dieser Zusammenhänge auf das Geschehen in Nerven und Gehirn der empirische Beweis verlangt werden, wenn sie als unzweifelhafte Annahme gelten sollen" (Seite 532) (21).

Er weist weiter darauf hin, daß das Energieprinzip kein metaphysisches Axiom, sondern nur ein methodisches Prinzip der Forschung sei, das deshlab auch nicht als absolut verbindlich hingestellt werden dürfe (Seite 531, vgl. § 100, Seite 633f).

Ich glaube, daß, wenn die Sache der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele nur durch Bezweiflung der universellen Geltung des Energiegesetzes gerettet werden könnte, es schlimm ums sie bestellt sein würde. Gewiß ist das Gesetz ein induktiv gefundenes und bestätigtes; gewiß ist es nicht allgemein bewiesen und kann empirisch gar nicht allgemein bewiesen werden. Gewiß ist es daher eine Maxime der Forschung, kein metaphysisches Axiom. Aber das gilt schließlich von  allen  Naturgesetzen, die auch  nach  KANT, um mit LEIBNIZ zu reden, sämtlich vérités de fait [Glaubenswahrheiten - wp] und nicht vérités de raison [Vernunftwahrheiten - wp] sind. (22) Indem wir das Prinzip der Erhaltung der Energie als ein methodisches Prinzip der Forschung (nicht nur als eine Kantische "regulative Idee") hinstellen, erkennen wir ihm nur den apriorischen, denknotwendigen Charakter ab, bestreiten aber nicht, daß es all den Anspruch auf allgemeine Geltung hat, den Erfahrungen, auf Erfahrung gegründete Induktion und Analogie zu verleihen vermögen. Sowenig jemand sonst die universelle Geltung eines Naturgesetzes  deshalb  bezweifelt, weil dieselbe nicht empirisch nachgewiesen werden kann, so wenig dürfen aus diesem Grund Zweifel an der ausnahmslosen Geltung des Energiegesetzes erhoben werden. Die empirische Bestätigung, die es bisher erhalten hat, die wertvollen Dienste, die es als Forschungsprinzip bereits geleistet hat, berechtigte Analogieschlüsse und noch eine Reihe anderer Betrachtungen weisen uns darauf hin, es als ein die physischen Kausalzusammenhänge ausnahmslos beherrschendes anzusehen. Soviel ich zu urteilen vermag, stehen seiner tatsächlichen Durchführung auf physischem Gebiet zwar erhebliche, kaum jemals ganz zu überwindende  Schwierigkeiten,  Bedenken prinzipieller Art' aber  nicht  entgegen. Das gibt SIGWART an einer späteren Stelle (§ 100, 12) auch unumwunden zu. Die bisherigen Erfolge, sagt er, berechtigen uns zu der Annahme, daß es "gelingen werden, die Begriffe der letzten Elemente der materiellen Welt so zu bestimmen, daß aus unveränderlichen Beziehungsgesetzen zwischen ihnen alle Erscheinungen ableitbar sind" (Seite 647). Und auch auf organischem Gebiet ist
    "der Versuch nicht bloß möglich, sondern methodisch gerechtfertigt, von den organischen Individuen, die die phänomenalen Subjekte der Entwicklung sind, weiter auf die sie zusammensetzenden Atome als letzten Grund zurückzugehen und zugleich den spezifischen Entwicklungsbegriff (des sich aus sich selbst entwickelnden Subjekts) auf jenen allgemeineren, auch auf mechanischem Gebiet anwendbaren (nach welchem die Atome durch ihre wechselnden Beziehungen zueinander alle Zustände entwickeln) zu reduzieren. Für die letzten Subjekte gibt es dann keine eigentliche Entwicklung, sofern sie unveränderlich bleiben" (Seite 648).
Der Naturwissenschaft zu verbieten, bei  allen  physischen Kausalzusammenhängen' die Geltung des Energiegesetzes vorauszusetzen und sie nach ihm zu konstruieren, hat daher die Philosophie kein Recht.

Sie hat es aber auch nicht nötig, zu diesem verzweifelten Mittel zu greifen. Denn - und damit komme ich zu dem Punkt, der nach meiner Überzeugung die Frage der Vereinbarkeit der Theorie der Wechselwirkung mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie zugunsten dieser Theorie entscheidet: der Konflikt zwischen der Theorie der Wechselwirkung und dem Energiegesetz ist, so unauflöslich er auch erscheint, doch nur ein scheinbarer, der aus einer  falschen  Auffassung des  Sinnes  des Energiegesetzes resultiert. Er verschwindet, wenn wir die richtige und legitime Auffassung an die Stelle der falschen und illegitimen setzen. Nicht eine Einschränkung der Geltung, sondern nur sozusagen eine Einschränkung des  Sinnes  des Gesetzes der Erhaltung der Energie ist nötig, um seine unbeschränkte Geltung in Übereinstimmung mit der Wechselwirkung von Leib und Seele zu bringen.

Das Gesetz der Erhaltung der Energie ist, richtig aufgefaßt, nach STUMPFs treffendem Ausdruck, eine  Transformationsformel.  Es ist gefunden und verifiziert als ein Gesetz, das die "Umwandlungen der körperlichen Dinge ineinander", die Wirkung von  Ding  auf  Ding  regelt. Auch in seiner schrankenlosesten Verallgemeinerung gilt es als ein Gesetz für das Wirken der Körper auf  einander.  Wo immer eine physische Ursache eine physische Wirkung erzeugt, da ist die aufgewandte physische der erzeugten physischen Energie gleich.

Hieraus folgt nun, daß,  wenn  irgendwo ein in sich völlig geschlossenes System existiert, die in ihm vorhandene Summe von Energie, da für jedes an einer Stelle des Systems verschwindende Quantum von Energie an einer anderen Stelle ein gleich großes Quantum von Energie auftritt, notwendig konstant bleibt. Daraus aber folgt weiter, daß,  wenn  das physische Universum ein in sich völlig geschlossenes System ist, die Gesamtsumme der in ihm enthaltenen Energie konstant bleibt. Dies also ist eine Folgerung, die  nicht  aus dem Prinzip der Erhaltung der Energie an und für sich, sondern nur aus ihm und der  weiteren, unabhängig von ihm  zu machenden Voraussetzung der geschlossenen Naturkausalität folgt!

Sehr klar und deutlich drückt den von mir geltend gemachten Charakter des Energiegesetzes als einer bloßen Transformationsformel die von MAXWELL gegebene Formulierung desselben aus.
    "The total energy of any body or system of bodies is a quantity which can neither be increased nor dimished  by any mutual action of those bodies,  though it may be transformed into any of the forms of which energy is susceptible". (23)
Hier ist klar und deutlich ausgesprochen, daß nicht überhaupt, sondern nur in einem geschlossenen System die Summe der Energie unveränderlich sich gleich bleiben muß.

 Zunächst  muß also die Frage, ob das physische Weltall ein derartiges geschlossenes System ist, entschieden werden. Sie aber ist identisch mit der andern, ob man eine psychische Einwirkung auf den Ablauf der physischen Prozesse zugestehen, also die Theorie der Wechselwirkung annehmen muß oder nicht. Recht oder Unrecht der Theorie der Wechselwirkung muß also schon entschieden sein, ehe man die Frage beantworten kann, ob das Energiegesetz die Konstanz der Summe der physischen Energie zur Konsequenz habe oder nicht und man begeht eine petitio principii, [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] wenn man umgekehrt, dies und die geschlossene Naturkausalität als selbstverständliche Konsequenz des Energieprinzips voraussetzend, dieses letztere als Argument gegen die Wechselwirkung ausspielt.

Aus dem Energiegesetz läßt sich  nicht  die Notwendigkeit der geschlossenen Naturkausalität und deshalb auch nicht die Unmöglichkeit der Wechselwirkung ableiten. Nicht dieses Gesetz selbst, sondern das Prinzip der geschlossenen Naturkausalität und die unter seiner Voraussetzung als im Energiegesetz enthalten proklamierte Forderung, daß die Summe der Energie des physischen Universums konstant sein müsse, stehen der Lehre von der Wechselwirkung entgegen. Schränkt man den Begriff des Gesetzes der Erhaltung der Energie auf seine wahre Bedeutung ein und läßt alle hypothetischen Zutaten beiseite, so verschwindet der angeblich unlösbare Konflikt zwischen ihm und der Wechselwirkung und wir erkennen, daß nur die falsche, übertreibende Fassung des Energieprinzips an diesem Konflikt schuld war.

Das ist denn auch die Ansicht SIGWARTs, die er Seite 534f klipp und klar mit den Worten ausspricht:
    "Die Leistungsfähigkeit des Energieprinzips wird überspannt, wenn es diese Annahme (siehe einer psychophysischen Wechselwirkung) verbieten soll. Auch auf dem physikalischen Gebiet, aus dem es gewonnen und innerhalb dessen es empirisch bewiesen ist, sagt es doch nur, daß  innerhalb eines bestimmten Komplexes materieller Ursachen, den wir als einen in sich geschlossenen und von außen nicht beeinflußten annehmen,  die Summe der lebendigen und potentiellen Energie konstant bleibt; ...  dieses Prinzip  wird nicht durchbrochen, wenn angenommen wird, daß ein solches System von materiellen Massen nun auch zu Elementen von andersartigen Kräften in kausale Beziehungen treten könne und daß die Wirkungen, die von den in ihm vorhandenen Kräften ausgehen, auch außerhalb seiner Grenzen zutage treten könne und daß die Wirkungen, die von den in ihm vorhandenen Kräften ausgehen, auch außerhalb seiner Grenzen zutage treten können oder daß es in einzelnen Teilen von andersartigen Kräften bestimmt werde. Das Energieprinzip besagt nur, daß  wenn  und soweit materielle Massen aufeinander wirken, eine Äquivalenz der Wirkungsfähigkeit zwischen dem vorangehenden Zustand und dem nachfolgenden besteht; es gebietet aber in keiner Fassung, die empirisch bestätigt werden könnte, daß jede materielle Veränderung nur materielle Wirkungen haben oder nur aus materiellen Ursachen hervorgehen könne; was innerhalb eines geschlossenen Kreises von konstanten materiellen Ursachen gilt, berechtigt nicht zum Schluß, daß die materiellen Dinge unter allen Umständen einen in sich geschlossenen Kreis bilden müssen." (24)
Ob nun das physische Universum als eine sich selbst genügende, in sich vollständig abgeschlossene Totalität oder als ein mit der psychischen Seite in Wechselwirkung verbundener und mir ihr zum Ganzen eines Ganzen eines Kosmos sich ergänzender  Teil  des Weltalls aufzufassen ist: diese die Geltung oder Nichtgeltung des Energiegesetzes nicht berührende Frage hat die Philosophie unter sorgfältiger Erwägung aller für und gegen jede der beiden Ansichten sprechenden Gründe zu entscheiden. Die ausführliche Erörterung derselben liegt jenseits der Grenzen, welche die gegenwärtige Abhandlung sich notgedrungen stecken muß. Ich beschränke mich daher auf die folgenden Bemerkungen allgemeinen Charakters.

Daß die Auffassung der physischen Welt als einer in sich geschlossenen Totalität für den Naturforscher etwas Verführerisches hat, daß sie die ihm geläufigere ist, daß sie ihm als die durch die sonstigen Voraussetzungen der Naturwissenschaft geforderte und daher dem "Geist der Naturwissenschaft" mehr entsprechende Endabsicht, die entgegengesetzte, psychische Einwirkungen auf die physischen Vorgänge zulassende Auffassung dagegen als eine etwas  ungewöhnliche  und  fremdartige  Ansicht erscheint (25), das soll gar nicht geleugnet werden.

Aber ebenso nachdrücklich muß in Übereinstimmung mit SIGWART (26), WENTSCHER (27) u. a. geltend gemacht werden, daß bei einer Frage, wie der vorliegenden, die eine über rein naturwissenschaftliche Interessen weit hinausreichende  metaphysische  Bedeutung hat, Lieblingsvorstellungen der Naturwissenschaft nur soweit als entscheidend ins Gewicht fallen können, als sie zugleich auch metaphysisch bemerkenswerte Gründe darstellen.

Die bloße Tatsache, daß die parallelistische Theorie mehr in der Richtung der seitens der Naturforscher ausgebildeten und von ihnen festgehaltenen letzten kosmologischen Vorstellungen liegt, als die Theorie der Wechselwirkung, begründet an und für sich noch gar kein Übergewicht der ersteren über die letztere, weil es sich hier nicht, wie bei der Frage der mechanischen oder nichtmechanischen Interpretation des Energiegesetzes oder der der Ausdehnung des Energiegesetzes auf alle  physischen  Kausalzusammenhänge, um eine rein naturwissenschaftliche Angelegenheit, in welche die Philosophie sich nicht einzumischen braucht, sondern um eine natur philosophische,  bzw. metaphysische Frage handelt. (28) In solchen Fragen der Philosophie vorzuschreiben, ihre Ansichten den von der Naturwissenschaft ausgebildeten, keineswegs notwendigen und unerläßlich und ebensowenig von  allen  bedeutenden Naturforschern vertretenen Hypothesen über das physische Weltall möglichst anzupassen, den letzteren innerhalb des Reiches der Philosophie einfach ohne Weiteres Bürgerrecht zu gewähren, würde doch im Grunde heißen, die Philosophie, nachdem sie aufgehört hat, die Magd der Theologie zu sein, zu einer Magd der Naturwissenschaft zu machen und scheint mir mit der höheren Stellung der Philosophie, die es ihr zur Aufgabe macht, die von den Einzelwissenschaften ausgebildeten höchsten und allgemeinsten Voraussetzungen nicht einfach hinzunehmen, sondern einer auf Betrachtungen über das Ganze der Welt beruhenden kritischen Prüfung zu unterziehen, nicht recht im Einklang zu sein. (29)

Andererseits wird durch das Fallenlassen des Prinzips der geschlossenen Naturkausalität kein  vitales  Interesse der Naturforschung verletzt.  Denknotwendig  und als solche unerläßlich ist sie ja, wie von allen Seiten zugestanden wird (30),  in keinem Fall.  Und  praktisch  ist sie, wie gleichfalls jeder Naturforscher zugeben muß, von keiner Bedeutung. Denn, wie HÖFFDING richtig bemerkt (31): eine  Erkenntnis  der Welt als einer abgeschlossenen Totalität haben wir jedenfalls nicht, wir kennen überhaupt keine absolut isolierten und abgeschlossenen Totalitäten. Gegeben sind uns immer nur mit anderen in Wechselwirkung stehende  Teile  des physischen Universums, deren Energiemenge also sich unablässig ändert. Ob diese nicht zu leugnende Veränderung auf die Rechnung physischer oder psychischer Kräfte zu setzen ist, ist, da  beide  außerhalb des uns gegebenen Teiles der Natur stehen, für die naturwissenschaftliche Betrachtung dieses letzteren gleichgültig. Und wenn man darauf hinweist, daß dieser Umstand doch die Naturwissenschaft nicht verhindere, große Gebiete als  relativ  geschlossene zu betrachten und sie ohne Rücksicht auf von außen her auf sie einwirkende Einflüsse zu betrachten, so ist zu erwidern, daß auch die Anerkennung der Möglichkeit psychischer Einflüsse eine solche Betrachtungsweise an und für sich keineswegs unmöglich macht. Sie würde es nur dann tun, wenn die Wechselwirkung zwischen Physischem und Psychischem eine völlig regellose und unkontrollierbare wäre, also überall als möglich müßte vorausgesetzt werden können.  Das  würde allerdings direkten Wegs zur Mythologie oder zum Spiritismus führen (32). Nun ist das aber nicht der Fall. Die Erfahrung lehrt uns, daß eine Wechselwirkung zwischen Körperlichem und Geistigem nur da zu erwarten ist, wo sich, an organisierte Materie gebunden, geistiges Leben äußert; wer "Geister" oder Dämonen die Naturvorgänge beeinflussen läßt, vertritt auch vom Standpunkt der Lehre von der Wechselwirkung aus eine zwar nicht an sich undenkbare, aber der Erfahrung widersprechende und daher unwissenschaftliche Auffassung. Schließen wir sie aus, so wird die Naturwissenschaft durch die Theorie der Wechselwirkung nicht gehindert, von psychischen Einflüssen auf weiten Strecken ihres Gebietes gänzlich abzusehen. Die Physik braucht sich ums sie überhaupt nicht zu kümmern, die Physiologie nur da, wo die Natur der nervösen Prozesse aus physischen Ursachen nicht restlos erklärbar erscheint und daher das Vorhandensein psychischer Ursachen nahe legt.

Das Fremdartige aber, das der Annahme einer psychophysischen Kausalität anhaftet, ist nur solange vorhanden, als man eben der Ansicht ist, daß das im physischen Sinne Reale  das  Reale überhaupt, physisches Geschehen  das  Geschehen schlechtweg, physischer Kausalzusammenhang  den  Kausalzusammenhang, physische Ursachen "Ursachen" und physische Wirkungen "Wirkungen" überhaupt bedeuten. Läßt man dieses Vorurteil fallen, so verschwindet auch das Fremdartige der von uns verteidigten Anschauung. Wenn z. B. der Naturforscher die Erzeugung einer physischen Wirkung durch eine  psychische  Ursache einer Entstehung aus  Nichts  oder durch ein "Wunder" gleichsetzt und eine Bewirkung psychischer Zustände durch physische Ursachen als ein Ausbleiben jedes Effektes betrachtet, so ist ihm zu erwidern, daß ihm dies nur deshalb so vorkomme, weil er von vornherein nur eine Teilansicht der Wirklichkeit in Betracht zieht und diese irrtümlicherweise für eine Totalansicht hält. Vervollständigt man die Teilansicht zu einer wirklichen Totalansicht, indem man die außer Betracht gelassene psychische Hälfte der Welt zur Ergänzung heranzieht, so verschwindet der Charakter des Seltsamen und Fremdartigen. Was dem lediglich physikalisch denkenden Naturforscher als eine Entstehung aus Nichts erschien, erkennt der philosophisch denkende Naturforscher jetzt als eine durch psychische Kräfte hervorgebrachte Wirkung; worin der erstere eine dem Kausalitätsprinzip widersprechende Aufwendung von Energie ohne jeden Effekt sah, darin erkennt der letztere eine dem Kausalitätsprinzip widersprechende Aufwendung von Energie ohne jeden Effekt sah, darin erkennt der letztere eine Veranlassung psychischer Erregung durch physische Ursachen. Physisches und Psychisches schließen sich zum Ganzen eines alle seine Teilinhalte miteinander verbindenden Kosmos zusammen, der als solcher den lückenlosen und kontinuierlichen Zusammenhang aufweist, den das physische Universum nach der irrtümlichen Meinung mancher Naturforscher schon allein zeigen soll, aber zu zeigen weder berechtigt noch verpflichtet ist. Vom Gesichtspunkt unserer philosophischen Auffassung aus wird man vielmehr in dem fragmentarischen und unabgeschlossenen Charakter der körperlichen Welt eine aus dem Sinn und der Natur des Weltganzen sich ergebende, also ihr notwendig anhaftende Eigenschaft und zugleich ein empirisches Kriterium für die Wahrheit des Satzes erblicken, daß die räumlich-sinnliche Welt überhaupt keine selbständige Realität, sondern nur die Erscheinung einer intelligiblen Wirklichkeit ist, die unserem eigenen unmittelbar erlebten geistigen Sein gleichartig, mit diesem sich zu einem geistigen Weltreich zusammenschließt.

In diesen umfassenden Zusammenhang eingereiht würde das Gesetz der Erhaltung der Energie, einerlei, ob man es mechanisch interpretiert oder nicht, den Verkehr regeln, welchen die das physische Universum bildenden bzw. ihm zugrunde liegenden "Ding" (33) miteinander unterhalten. Als solches beherrscht es den gesamten Naturlauf unbedingt und ausnahmslos, wird aber durch die psychophysische Kausalität auch nicht beeinträchtigt. Denn jede durch psychische Kausalität erzeugte physische Energie verfällt mit ihrem Eintritt in den Naturlauf auch sofort seiner Herrschaft; alle weiteren von ihr ausgehenden physischen Wirkungen erfolgen ihm gemäß. Jede zur Hervorrufung psychischer Vorgänge verbrauchte und damit aus dem Naturlauf austretende physische Energie ist bis zum Moment ihres Verschwindens der Bedingung unterworfen,  physische  Energie nur im gleichen Verhältnis, als sie selbst aufopfert, erzeugen zu können. Daß aber auch das Ein- und Austreten von Energie eine Verletzung des Energiegesetzes bedeute, würde nur dann wahr sein, wenn dasselbe den lückenlosen physischen Kausalzusammenhang und damit die Forderung der Konstanz der physischen Energiesumme als notwendige Folge und integrierenden Bestandteil seiner selbst in sich schlösse. Das aber ist, wie wir gesehen haben, nicht der Fall. Wenn wir also sagen, das Energiegesetz  gilt nicht,  wo Psychisches und Physisches und Physisches auf Psychisches wirkt, so bedeutet das  nicht,  daß es Ausnahmen von ihm gäbe, sondern ist in demselben Sinne zu verstehen, in welchem auch andere, ausnahmslos gültige Naturgesetze "nicht gelten". Ein jedes Naturgesetz ist ja, wie LOTZE ausführt, ein  hypothetisches  Urteil, das,  wenn  gewisse Bedingungen vorhanden sind, an sie eine bestimmte Folge knüpft. Wo diese Bedingungen fehlen, kann natürlich das Gesetz sich nicht geltend machen, "gilt" daher in diesem Sinne nicht, ohne daß doch seine Allgemeingültigkeit dadurch in Frage gestellt würde. Nicht anders verhält es sich mit dem Gesetz der Erhaltung der Energie. Wie die Gesetze, welche die Beziehungen eines bestimmten chemischen Stoffes zu anderen Stoffen regeln, da nicht "gelten", wo dieser Stoff gar nicht vorhanden ist, wie die Grundsätze der Hydrologie oder Aerologie auf den Weltkörpern nicht "gelten", die kein Wasser und keine Atmosphäre haben, so "gilt" auch das Gesetz der Erhaltung der Energie da nicht, wo, wie bei der psychophysischen Wechselwirkung, die Voraussetzung eines rein physischen Kausalzusammenhangs, an welche das Energieprinzip gebunden ist, nicht erfüllt ist.

Das Energieprinzip, kann man sagen, gleicht den Statuten einer Gesellschaft, die den Verkehr ihrer Mitglieder untereinander regeln und denen sich jeder unterwirft, der in sie eintritt, die aber nicht beanspruchen, auch den Verkehr der Mitglieder mit Nichtmitgliedern zu regeln oder auch für Nichtmitglieder und ausgetretene Mitglieder maßgebend zu sein. Die von mir bekämpfte Auffassung des Prinzips würde dagegen einem solche Ansprüche erhebenden Vereinsstatut zu vergleiche sein.

Meine Ausfürhungen beschränkten sich auf den Nachweis, daß das Gesetz der Erhaltung der Energie, richtig, d. h. ohne alle hypothetischen Zutaten, verstanden, mit der Wechselwirkung zwischen Leib und Seele wohl vereinbar ist, diese Theorie also durch jenes Gesetz nicht  unmöglich  gemacht wird. Natürlich ist die entgegengesetzte Theorie des psychophysischen Parallelismus ebenso - man kann wohl sagen: erst recht - mit ihm vereinbar, und so erscheinen denn, solange nicht weitere Gründe für die eine oder die andere Lehre den Ausschlag geben, beide Theorien als zwei gleich mögliche Ansichten. Soviel ich sehe, gibt es, wenn das Energiegesetz als Gegeninstanz fortfällt, keine entscheidenden Argumente, aus denen die Unmöglichkeit der Theorie der Wechselwirkung mit Sicherheit sich ergäbe. (34)

Dagegen führt SIGWART in dem dritten, die Konsequenzen der parallelistischen Theorie behandelnden Teile seiner Erörterungen (Seite 538f, vgl. auch Seite 569 und § 74) eine ganze Anzahl von Gründen an, welche die Theorie des Parallelismus wenn nicht als eine unmögliche, so doch jedenfalls als eine solche erscheinen lassen, die sich mit einer Reihe von Tatsachen sehr schwer zusammenreimen läßt. Ich muß mich an dieser Stelle damit begnügen, diese Gründe für sehr beachtenswert zu erklären und im Übrigen, eine ausführlichere Würdigung  aller  (von SIGWART noch keineswegs erschöpften) bei der Entscheidung über Wahrscheinlichkeit, Möglichkeit oder Unmöglichkeit des psychophysischen Parallelismus auch nach der metaphysischen Seite hin in Betracht kommenden Gesichtspunkte für eine spätere Zeit in Aussicht stellend, noch auf das von ERHARDT (a. a. O. Seite 153) und mir (Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 114, Seite 16-18) angezogene "Telegrammbeispiel" hinzuweisen, in dem ich nach wie vor eine Tatsache erblicke, an der der psychophysische Parallelismus notwendig scheitern muß.

Hätte ich, wozu der mir zur Verfügung stehende Raum keine Möglichkeit bot, alle von SIGWART zur Verteidigung der Lehre von der Wechselwirkung angeführten Argumente berücksichtigen können, so würde ich auch die Überzeugung, die ich zum Schluß ausspreche, besser haben begründen können: daß der von ihm eingenommene Standpunkt "kein veralteter und von der neueren Entwicklung der Wissenschaft aufgegebener" (vgl. SIGWART, Vorwort zur zweiten Auflage der Logik, Bd. II) ist, vielmehr Freunde wie Gegner der Lehre von der Wechselwirkung alle Ursache haben, den von SIGWART entwickelten sehr beachtenswert Ansichten auch entsprechende Beachtung zu schenken.
LITERATUR - Ludwig Busse, Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele und das Gesetz der Erhaltung der Energie, Festschrift für Christoph Sigwart, Tübingen 1900
    Anmerkungen
    1) Ebenso HÖFFDING, Psychologie, Seite 69, der aber deswegen die Hineinziheung des Psychischen in den Energiebegriff ablehnt.
    2) Vgl. FRANZ ERHARDT, Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele, Leipzig 1897, Seite 91 und 92
    3) Vgl. meinen Aufsatz "Leib und Seele", Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 114, Seite 20 und 22.
    4) STUMPF, a. a. O., Seite 9
    5) Zu diesem Bedenken philosophischer Art fügt EBBINGHAUS (a. a. O., Seite 33 - 37) noch ein solches naturwissenschaftlicher Art. Es ergibt sich aus der in der Konsequenz der mechanischen Naturauffassung liegenden Tendenz der Naturwissenschaft, das Prinzip der Erhaltung der Energie durchaus mechanisch zu interpretieren. Sind Wärme, Elektrizität etc. nicht mehr von der Bewegung spezifisch verschiedene Energieformen, sondern selbst Bewegungsvorgänge bestimmter Art, so bedeutet auch die Umsetzung der verschiedenen Energieformen ineinander nicht mehr eine  qualitative  Umwandlung einer Energieform in eine andere, sondern nur noch die Überführung  einer  Bewegungsform in eine  andere  oder auch das Übergehen einer Bewegung in eine neue bestimmte Lagerungsform der Teilchen und umgekehrt. Freilich ist die Naturwissenschaft von der universellen Durchführung der mechanischen Erklärungsweise noch ziemlich weit entfernt und es fehlt im naturwissenschaftlichen Lager durchaus nicht an Stimmen, welche die mechanische Interpretation des Energieprinzips für unmöglich oder unnötig erklären (MACH, OSTWALD). Ob aber die Naturwissenschaft sich für eine rein mechanische Konstruktion sämtlicher Naturvorgänge entscheiden will oder nicht, ist schließlich eine rein interne Angelegenheit derselben, in die sich einzumischen die Philosophie nach meinem Dafürhalten keine Veranlassung hat. Man kann es dem Naturforscher nicht verdenken, wenn er, gestützt auf die Dienste, welche die mechanische Naturbetrachtung ihm bereits geleistet hat, die Durchführung des Prinzips im ganzen Bereich physischer Ursachen und Wirkungen für ein erreichbares Ziel hält. Denken wir uns nun die mechanische Konstruktion sämtlicher Naturvorgänge gelungen, so würde die STUMPFsche Auffassung bedeuten, daß allen übrigen, sich ausnahmslos als mechanischen Vorgängen darstellenden Energieformen das Geistige, das sich natürlich nicht mechanisch konstruieren läßt, als eine nichtmechanische, einzigartige Energieform gegenübersteht, und daß, während bei allen übrigen Energienumsetzungen es sich nur um Überführung eines mechanischen Vorganges oder Zustandes in einen anderen handelt, einzig und allein bei der psychisch-physischen Wechselwirkung eine  qualitative  Energieumwandlung stattfindet. Ich gebe zu, daß diese Vorstellung für den Naturforscher etwas Unbequemes und Ungewöhnliches hat; einen  entscheidenden  Einwand gegen die STUMPFsche Auffassung vermag ich aber darin nicht zu sehen und kann auch den Folgerungen, die EBBINGHAUS daraus zieht, nicht durchweg zustimmen. So bin ich z. B. nicht der Ansicht, daß durch eine Anerkennung des Geistigen als einer von allen anderen spezifisch verschiedenen einzigartigen Energieform der mechanischen Zurechtlegung der  Naturvorgänge  "gleichsam der Nerv durchschnitten wird" (EBBINGHAUS, Seite 34). Denn das Recht, die  innerhalb  der Grenzen des Physischen' liegenden Energieumformungen mechanisch zu konstruieren, wird ja dadurch nicht angetastet. Und daß damit "nicht viel gewonnen" sei (Seite 35), weil man schließlich nicht  alles  mechanisch erklären könne, kann doch wohl nicht mit Recht behauptet werden. Auch kann ich nicht zugeben, daß die Annahme eines Austausches physischer und psychischer Energie und die damit verbundene Annahme einer qualitativen Energieumwandlung  als solche  große Ansprüche an unsere intellektuelle Opferwilligkeit stellt, wie EBBINGHAUS (Seite 36) behauptet. Denn schließlich  ist  doch das Geistige etwas von allem Materiellen spezifisch verschiedenes und schließlich ist uns doch, bei Licht besehen, auch die "mechanische Wechselwirkung" letzten Endes genau ebenso wenig bzw. ebensogut verständlich, als eine psychophysische. - Wenn man aber die Unvereinbarkeit einer solchen Wechselwirkung mit der Behauptung begründet, daß das Gesetz der Erhaltung der Energie die Konstanz der physischen Energiesumme fordere, so ist das ein Argument für sich, dessen Gültigkeit oder Ungültigkeit offenbar davon ganz unabhängig ist, ob man alle Energieumsetzungen mechanisch interpretiert oder nicht. Es wird uns noch weiter zu beschäftigen haben. Die STUMPFsche Ansicht wird, wie ich, entgegen dem, was ich selbst in meinem Aufsatz Seite 20 - 21 ausgeführt habe, bemerke, durch die mechanische Interpretation des Energiegesetzes an und für sich noch nicht unmöglich gemacht. Das entscheidende Argument gegen sie ist das oben ausgeführte  philosophische. 
    6) Vgl. die Anm. Seite 93
    7) REHMKE, Lehrbuch der Psychologie, Seite 85
    8) REHMKE, Lehrbuch der Psychologie, Seite 94
    9) Hält man dies fest, so fällt auch der Vorwurf weg, den PAULSEN LOTZE macht, daß er "durch den universellen Spiritualismus und Pantheismus den Scharfsinn, den er auf die Verteidigung der Wechselwirkung verwendet hat, zuletzt überflüssig mache." (Einleitung in die Philosophie, Buch I, Seite 91, Anm.
    10) SIGWART, a. a. O., Seite 525; vgl. die Anm. Seite 93. ERHARDT macht a. a. O., Seite 94 geltende, daß neben den äußeren Vorgängen doch noch innere nebenhergehen. Sollen unter diesen inneren Vorgängen psychische verstanden werden, so stehen wir bereits auf dem Boden des Parallelismus. Sind es physische, so müssen, wenn anders das Energieprinzip für alle physischen Vorgänge gilt, auch sie sich nach dem Energieprinzip richten; dann aber bedeutet auch eine Aufwendung  solcher  Energie zur Erzeugung eines psychischen Effekts eine Verletzung des Prinzips.
    11) Vgl. meine Abhandlung "Leib und Seele", a. a. O. Seite 23
    12) Desgleichen ebendaselbst.
    13) FRANZ ERHARDT, der die  erste  Behauptung der Doppel-Effekttheorie als eine sehr wohl mögliche Ansicht gelten ließ, lehnt doch die  zweite  Behauptung mit derselben Begründung, wie ich oben, entschieden ab. "Denn was soll die Mitwirkung psychischer Zustände noch bedeuten, wenn die lebendige Kraft der Gehirnbewegungen ihrer Größe nach tatsächlich bloß von physiologischen Bedingungen abhängig ist. Kommen wir dann nicht auf die parallelistische Theorie zurück, wonach allein ein bloßes Nebeneinander von physischen und psychischen Vorgängen angenommen werden darf?" (a. a. O. Seite 85; vgl. auch Seite 99 - 100). - Bei dieser Stellungnahme ERHARDTs ist es mir nicht recht verständlich, wie er Seite 59 und 60, sowie Seite 79 und 80 die Behauptung aufstellen kann, daß, wenn die Seele in die nervösen Prozesse eingreift, der Vorgang,  äußerlich  betrachtet, sich nichtsdestoweniger als ein geschlossener physischer Kausalzusammenhang darstellen müsse, daß naturwissenschaftlich die Gehirnbewegungen "doch aus den Eigenschaften der Gehirnteile, d. h. aus den Kräften erklärt werden müssen, die im Gehirn ihren Sitz haben" (Seite 79). Wenn die Sache so liegt, wenn sich "für die äußere Betrachtung die Sache in der Tat ganz so verhält, wie der Materialismus und der psychophysische Parallelismus behaupten" (Seite 60), so ist damit die Lehre von der Wechselwirkung tatsächlich preisgegeben und die parallelistische Theorie sanktioniert. Denn ob der geschlossene physische Kausalzusammenhang durch rein "materielle" oder etwa durch der Materie innewohnende "dynamische" Kräfte hergestellt wird, ist für die hier in Betracht kommende Streitfrage prinzipiell gleichgültig. Die Geschlossenheit des physischen Kausalzusammenhanges, den die "äußere Betrachtung" zeigt, macht in beiden Fällen die Mitwirkung der Seele ebenso überflüssig wie unmöglich.
    14) wentsch.htmlMAX WENTSCHER, Über physische und psychische Kausalität und das Prinzip des psycho-physischen Parallelismus, Leipzig 1896, Seite 34 - 38, 44, 47, 113, 118, 120
    15) SIGWART, Logik II, Seitem 528 und 529
    16) WILHELM WUNDT, Über psychische Kausalität und das Prinzip des psychophysischen Parallelismus, Leipzig 1894
    17) Wie ein sich bewegender Körper von einem unbewegten sich nicht nur durch seine Ortsveränderung, sondern auch durch seinen inneren Zustand, worin immer dieser bestehen mag, unterscheidet, wie ein etwa allein im leeren Raum sich befindender, in Ruhe verharrender Körper sich von einem anderen, der durch unendlich viele entgegengesetzte und gleich große auf ihn einwirkende Kräfte in derselben Lage gehalten wird, doch noch unterschieden würde, so ist auch der in die Höhe geworfene und sofort wieder herabfallende oder ein durch ein "Wunder" schwebend erhaltener Stein beim Herabfallen nicht genau in derselben Verfassung, wie ein anderer, der sich eine Zeitlang schwebend hielt, weil er der die Anziehungskraft der Erde neutralisierenden entgegengesetzten Einwirkung eines anderen Körpers ausgesetzt war. Und wieder anders ist sein Zustand, wenn er einfach infolge des Aufhörens dieser Einwirkung fällt, als wenn er auch noch die verstärkte, die entgegengesetzte Anziehung nunmehr überwindende Einwirkung aus der Richtung des Erdmittelpunktes erleiden muß. Wie man sich auch die Wirkung eines solchen Einflusses auf den beeinflussten Körper näher vorstellen möge, ob als veränderte molekulare Spannung oder wie sonst, eine wenn auch noch so geringe Wirkung, die ein wenn auch noch so kleines Quantum von Energie repräsentiert, ist als ein Plus gegenüber der ausgelösten potentiellen Energie vorhanden.
    18) Daher sagte ich in meiner Abhandlung "Leib und Seele", Seite 21, es werde Energie  erspart.  Ich befinde mich mit dieser Behauptung in Übereinstimmung mit EBBINGHAUS (a. a. O. Seite 27 und 28). ERHARDT (a. a. O. Seite 87) und RIEHL (Philosophischer Kritizismus II, Teil 1, Seite 269, Teil 2 Seite 180). Vgl. auch DUBOIS-REYMONDs Ausführungen (in den 7 Welträtseln 1891, Seite 102f) gegen die entgegengesetzten Annahmen der französischen Mathematiker COURNOT, BOUSSINESQ und DE SAINT VENANT. REHMKE, der in seinem Lehrbuch der Psychologie, Seite 111, 112 erklärt: "Die Veränderung, lebendige anstatt potentieller Energie, ist  keine  Vermehrung der Energie des Gehirns", gesteht doch in der Schrift: Leib und Seele, Seite 43, 44, zu, daß das Wirken der Seele auf den Leib mit dem Prinzip der Konstanz der physischen Energie nicht übereinstimme. Eine auf den ersten Blick nicht ganz leicht zu erkennende Stellung nimmt WUNDT ein. A. a. O. Philosophische Hefte, Seite 30, rechnet er die Auslösungsprozesse zu den "Zustandsgleichungen", die durch das Eingreifen psychischer Kausalität ebensowenig wie durch ein "Wunder" unmöglich gemacht werden. Wenn er dann aber (Seite 31, vgl. die Seiten 33 und 34) weiter ausführt, daß die Zustandsgleichungen, mögen wir auch auf vielen Gebieten allzeit auf sie beschränkt bleiben, doch nur "sozusagen eine Abbreviaturschrift" sind, "bei der wesentliche Verbindungsglieder hinwegblieben, die entweder besonders untersucht oder ergänzt werden müssen", wenn er weiter darauf hinweist, daß die Ergänzung, wo sie ausführbar ist, auf  Kraft- oder Transformationsgleichungen,  also auf stetig zusammenhängende, einen psychischen Eingriff  nicht  gestattende Kausalreihen zurückführt, so ergibt sich, daß, wenn  alle  dazu gehörenden Momente gebührend berücksichtigt werden, eine Auslösung potentieller Energie durch psychische Ursachen mit dem Prinzip der Konstanz der physischen Energiesumme  nicht  vereinbar ist. - Zu einem eigentümlichen Resultat gelangt WENTSCHER. Er gibt zu (a. a. O. Seite 36 und 37), daß, wenn ein im labilen Gleichgewicht befindlicher Körper durch eine Stoßkraft aus seinem Gleichgewicht gebracht wird, also kinetische Energie entfaltet, der Effekt ein Plus von Energie gegenüber der ausgelösten potentiellen Energie enthalte, nämlich noch den Betrag der "Stoßkraft-Energie". Da nun aber das Gesetz der Erhaltung nach ihm Äquivalenz von potentieller und kinetischer Energie verlangt, so folgert er umgekehrt: "Es darf keine Energie aufgewendet werden, um irgendwo eine Energie-Umsetzung hervorzubringen." Es dürfen also nur  Gelegenheiten,  keine Ursachen zur Auslösung potentieller Energie vorausgesetzt werden. Damit wäre dann aus dem Gesetz der Erhaltung der Energie deduziert, daß die auslösende Kraft = 0 sein  muß.  In Wahrheit liegt die Sache aber umgekehrt. Das Gesetz der Energie verlangt nicht Äquivalenz von potentieller und kinetischer Energie, sondern nur, daß der bei der Auslösung sich ergebende  Gesamteffekt  der Gesamt ursache  gleich sei, als daß  II + δ = P + d.  Will man aber die Äquivalenz von potentieller und kinetischer Energie á tout prix festhalten, so muß man die Gesamtheit der Bedingungen, d. h. die potentielle Energie im engeren Sinn  und  den zur Auslösung noch erforderlichen Vorgang, also  P + d  als potentielle Energie ansehen, die dann auch stets sofort in aktuelle Energie  (II + δ)  sich umsetzt.
    19) Vgl. EBBINGHAUS a. a. O. Seite 32, RIEHL, Philosophischer Kritizismus II, Teil 2, Seite 180
    20) Vgl. HÖFFDING, a. a. O. Seite 70
    21) Ähnliche skeptische Äußerungen bei ERHARDT, a. a. O., Seite 72-75, 88, 100, 160f. Großes Gewicht legt freilich auch er, wie aus den Ausführungen Seite 75f hervorgeht, diesem Gedanken nicht bei. - Da SIGWART die beiden von  mir  unterschiedenen zwei verschiedenen Auffassungen des Sinnes des Energiegesetzes nicht ausdrücklich unterscheidet, so bleibt die Möglichkeit, daß seine skeptischen Ausführungen sich nur gegen die zweite, weiter unten abgewiesene Auffassung des Gesetzes richten. In diesem Fall würde ich ihnen durchaus zustimmen müssen.
    22) Vgl. die Darlegungen in meinem Buch "Philosophie und Erkenntnistheorie, Leipzig 1894, Seite 182-220.
    23) Ich zitiere nach einem Aufsatz von CHARLES H. CHASE: The doctrine of conservation of energy in its relation to the elimination of force als a factor in the cosmos, im "Monist", Vol. X, No. 1, Oct. 1899, Seite 135. Übrigens spricht auch EBBINGHAUS nur von "allen Umwandlungen der körperlichen Dinge ineinander". Vgl. oben Seite 96.
    24) Vgl. hierzu REHMKE, Innenwelt und Außenwelt. Leib und Seele, Greifswald 1898, Seite 33, 38, 39-41 (REHMKE faßt freilich das Gesetz der Erhaltung der Energie als ein solches der Erhaltund der  Bewegung  auf) und meinen Aufsatz "Leib und Seele", a. a. O. Seite 24. Auch HÖFFDING gibt a. a. O. Seite 38 zu, daß das Gesetz der Erhaltung der Energie "im strengsten Sinne" nur für abgeschlossene Totalitäten gilt "da Wesen oder Systeme, die zu anderen Wesen oder Systemen im Verhältnis stehen, Energie an diese abgeben oder von diesen Energie empfangen". - Daraus folgt aber nicht, daß die Forderung der konstanten Energiesumme für das physische Weltall, solange nicht schon ausgemacht ist, daß dieses eine abgeschlossene, sich selbst genügende Totalität ist. - Was vom Energiegesetz gilt, gilt natürlich mutatis mutandis [mit den entsprechenden Korrekturen - wp] auch dem von HÖFFDING gleichfalls gegen die Möglichkeit psychophysischer Wechselwirkung ausgespielten Gesetz der Trägheit. - Übrigens hat schon LOTZE früh erkannt, daß man die geschlossene Naturkausalität schon voraussetzen muß, um psychisches Eingreifen unmöglich zu finden. Vgl. Allgemeine Physiologie, Seite 461.
    25) Vgl. SIGWART, Logik I, § 100, Seite 644f.
    26) SIGWART, ebenda Seite 644f
    27) MAX WENTSCHER, a. a. O. Seite 41
    28) MAX WENTSCHER, a. a. O. Seite 5
    29) Die von PAULSEN in seiner Erwiderung auf meine Abhandlung, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kriti entwickelten Ansichten über die der Naturwissenschaft gegenüber seitens der Philosophie zu beobachtende Haltung scheinen mir, ebenso wie die Ausführungen EBBINGHAUS', Seite 36, seines Buches unausweichlich zu dieser Konsequenz zu führen.
    30) Vgl. auch SIGWART, Logik I, § 100, Seite 644 - 646.
    31) HÖFFDING, a. a. O. Seite 38
    32) PAULSEN, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 115, Seite 3. Ignoriert man die Tatsachen der Erfahrung, so kann man auf dem Boden des Parallelismus ebenso gut in das Land des Spiritismus gelangen, wie auf dem der Wechselwirkung.
    33) Den Unterschied von sich ewig gleichbleibenden "Dingen" und eine wenn auch noch so geringe Entwicklung durchlaufenden "Wesen" braucht auch eine alles Sein als geistiges Sein auffassende spiritualistische Weltanschauung nicht aufzugeben.
    34) Das von EBBINGHAUS a. a. O. Seite 32 ins Feld geführte Argument: wenn man psychophysische Kausalität zugebe, könne man das perpetuum mobile nicht mehr als unmöglich ansehen, kann ich nicht als richtig anerkennen. Der Begriff des perpetuum mobile hat, ebenso wie das Gesetz der Erhaltung der Energie, mit dessen universeller Geltung seine Unmöglichkeit aufs engste zusammenhäng, durchaus nur eine physikalische Bedeutung oder vielmehr Nicht-Bedeutung. Die Unmöglichkeit des perpetuum mobile bedeutet, daß es nicht möglich ist, einen sich durch  in ihm selbst  liegende  physische  Ursachen (HUYGENS, Horologium, pars IV, sagt "mecanica ratione": vgl. MACH, Populärwissenschaftliche Vorlesungen, Leipzig 1896, Seite 166) in infinitum bewegenden Mechanismus herzustellen. Ein durch übersinnliche Ursachen in unablässiger Bewegung erhaltener Apparat würde demnach ebensowenig ein perpetuum mobile sein, wie ein solcher, der durch äußere physische Ursachen unablässig bewegt und in seinen abgenützten Teilen erneuert würde. Ob ein  derartiges  perpetuum mobile wirklich oder möglich ist, ob etwa die Welt als (das Psychische einschließendes) Ganzes ein solches darstellt, kann die Naturwissenschaft, die weder die Entstehung der Bewegung erklären noch angeben kann, was aus der Welt wird, wenn nach dem CARNOTschen Gesetz alle Bewegung zur Ruhe gekommen sein wird, sondern welche nur innerhalb der durch diese Grenzpunkte gesetzten Schranken ihre Prinzipien anzuwenden imstande ist, natürlich nicht entscheiden. An der Unmöglichkeit eines perpetuum mobile im angegebenen, allein berechtigten Sinn wird aber dadurch nichts geändert. Dem EBBINGHAUSschen Argument liegt, ebenso wie dem Energieprinzip, der Fehler zugrunde, daß ein physikalischer Grundsatz mit einem naturphilosophischen bzw. metaphysischen Prinzip verwechselt wird.