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OTTO STAUDE
Der Begriff
der Apperzeption

[2/2]

"Die Apperzeption ersetzt nämlich nicht nur Mängel und Lücken der Perzeption, wie z. B. beim Lesen, wo meistens nur der kleinere Teil der Buchstaben eines Wortes oder der Worte eines Satzes wirklich perzipiert wird, aber doch Wort und Satz apperzipiert, d. h. in seiner Bedeutung ergriffen werden, sondern korrigiert auch die wirklich perzipierten Bestandteile der Wahrnehmung, indem bisweilen, z. B. bei uns bekannten Sinnestäuschungen, anstelle des unrichtigen sinnlichen Eindrucks sofort die durch mehrfache Erfahrung berichtigte Anschauung des betreffenden Gegenstandes tritt. Die Apperzeption vermag selbst die Leistungsfähigkeit der Perzeption zu erweitern; der Kenner weiß nicht bloß, er sieht auch wirklich am Objekt mehr als der Laie."

"Einzig auf der Eigenschaft der Apperzeption, ein Willensakt zu sein, beruth ihr Verhältnis zum Selbstbewußtsein. Wie die Willkür unserer körperlichen Bewegungen die Anfänge unseres Selbstbewußtseins bestimmt, so beruth das entwickeltere Selbstbewußtsein auf der inneren Tätigkeit der Apperzeption. In diesem Sinne kann die Apperzeption einer Vorstellung eine Erhebung derselben in das Selbstbewußtsein genannt werden; nicht weil die Apperzeption einer Vorstellung auch eine Auffassung unseres Ich als des Eigentümers dieser Vorstellung nötig machte, sondern weil die Apperzeptionstätigkeit als solche eine subjektive Bestätigung der Spontaneität unseres Ich abgibt."


III. Der Begriff der Apperzeption
bei Lazarus und Steinthal


A. Die Apperzeptionstheorien
von Lazarus und Steinthal
in ihrer gemeinsamen Beziehung
zu Herbarts Theorie

LAZARUS und STEINTHAL sind diejenigen Vertreter der HERBART'schen Schule, welche den bei HERBART noch nicht vollständig durchgebildeten Begriff der Apperzeption einer eingehenden Bearbeitung unterworfen haben. Beide sind in ihrer Darstellung der Apperzeptionsvorgänge noch ganz in der HERBART'schen Anschauung, welche Subjekt und Objekt einer jeden psychischen Aktion in den Vorstellungen sucht, befangen und schließen sich in dieser Beziehung mehr oder weniger dem HERBART'schen Sprachgebrauch an, obwohl sie im Übrigen ihre Betrachtung auf eine meist objektivere Auffassung der Tatsachen der inneren Erfahrung stützen und ihre Psychologie von den spekulativen Voraussetungen HERBARTs zu befreien suchen.

Während die Aufzählung der Kategorien der inneren Apperzeption bei HERBART noch an KANT's Kategorientafel anklingt, indem sie gerade die begrifflich allgemeinsten Bestandteile unseres geistigen Besitzes hervorhebt, beschäftigen sich LAZARUS und STEINTHAL, der Tendenz ihrer Psychologie entsprechend, viel eingehender mit den niederen Begriffsformen, die im alltäglichen Leben das Geschäft der Apperzeption ausüben. In dieser Richtung bahnen sie eine Untersuchung der apperzipierenden Vorstellungsmassen, ihrer Entstehen und ihrer Anordnung an und berühren damit ein Gebiet, welches ebenso schwer zu erschließen wie wichtigt ist für die Erklärung und Motivation der psychischen Vorgänge. Dabei heben sie die Bedeutung der Sprache für die Konstitution des psychischen Inhaltes hervor und weisen die Wechselwirkung zwischen Sprache und Apperzeptionsvorgängen, die HERBART noch fast ausschließlich im Gespräch suchte, am ganzen Bildungsprozeß der Sprache nach. Ferner führen sie die Frage nach den Motiven der Apperzeption treffender aus, als HERBART seine Bedingungen der inneren Wahrnehmung, und stellen der absoluten Macht der apperzipierenden Vorstellungsgruppen, über HERBART hinausgehend, auch die relative, d. h. die von Stimmung und Neigung beeinflußte Macht derselben als gleich oder höher berechtigt zur Seite. Freilich können sie mit ihrer Darstellung der Motive der Apperzeption keine befriedigende Erklärung des psychischen Tatbestandes geben, weil sie das Eingreifen des Willens in die Vorstellungsbewegungen ebenso vernachlässigen, wie HERBART.


B. Darstellung der Lazarus'schen Auffassung
des Begriffs der Apperzeption


1. Perzeption und Apperzeption

Der Erkenntnisvorgang der äußeren Wahrnehmung spaltet sich, theoretisch gefaßt, in Perzeption und Apperzeption. Die Perzeption (41) (1) ihrerseits setzt sich zusammen aus dem Akt der physischen Erregung (40) und dem Akt der psychischen Auffassung. Jener vollzieht sich in 3 Momenten: einer Reizung des peripherischen Nervenendes durch äußeren Einfluß, einer Fortpflanzung des Reizes und einer entsprechenden Reizung des zentralen Nervenendes; dieser besteht in der Empfindung einerseits und der nachfolgenden Zusammenfassung mehrerer Empfindungen zur Einheit der Wahrnehmung andererseits (38, 39) Diese  Perzeption, die bloße Reaktion der von keinerlei Inhalt erfüllten Seele als eines empfindenden Wesens gemäß ihrer ursprünglichen Natur  (42) kommt aber in Wirklichkeit nicht in isolierter Form vor; vielmehr ist jede Perzeption verbunden mit einer  Apperzeption,  einer  Reaktion der von Inhalt bereits erfüllten, durch die früheren Prozesse seiner Erzeugung ausgebildeten Seele  (42). Die Verbindung beider Vorgänge ist keine einfache Sukzession, als wenn zur fertigen Perzeption die Apperzeption hinzuträte (44), sondern eine völlige Verwachsung, bei welcher die Apperzeption sich durchaus als herrschendes Element geltend macht in der Weise, daß die Perzeption sich unter dem modifizierenden Einfluß der Apperzeption vollzieht. Die letztere ersetzt nämlich nicht nur Mängel und Lücken der Perzeption, wie z. B. beim Lesen, wo meistens nur der kleinere Teil der Buchstaben eines Wortes oder der Worte eines Satzes wirklich perzipiert (46), aber doch Wort und Satz apperzipiert, d. h. in seiner Bedeutung ergriffen wird, sondern korrigiert auch die wirklich perzipierten Bestandteile der Wahrnehmung (48), indem bisweilen, z. B. bei uns bekannten Sinnestäuschungen, anstelle des unrichtigen sinnlichen Eindrucks sofort die durch mehrfache Erfahrung berichtigte Anschauung des betreffenden Gegenstandes tritt. Die Apperzeption vermag selbst die Leistungsfähigkeit der Perzeption zu erweitern (49); der Kenner weiß nicht bloß, er sieht auch wirklich am Objekt mehr als der Laie. Freilich kann die Apperzeption auch von nachteiligem Einfluß auf die Wahrnehmung sein, indem die bereits vorgebildete Anschauung die Empfindung korrumpiert (57). In allen Fällen ist die Apperzeption von einer älteren, reproduziertenn Vorstellung abhängig, welche von der jüngeren allerdings erst reproduziert wird, aber hierauf ihren mächtigeren Einfluß auf diese geltend macht (44, 45, 53, 56).


2. Arten der Apperzeption

Die Reaktion der von Inhalt erfüllten Seele auf die in der äußeren oder inneren Wahrnehmung gebotene Anregung kann in sehr verschiedener Weise zur Erscheinung kommen. Dementsprechend gibt es verschiedene Arten der Apperzeption. Die einfachste Art ist die  identifizierende  Apperzeption (253), sei es in der positiven Form des Wiedererkennens, sei es in der negativen Form des Nichtfindens von einem gesuchten Objekt. Der psychische Vorgang der identifizierenden Apperzeption hat einen wenig zusammengesetzten Verlauf. Eine perzipierte Vorstellung reproduziert eine im unbewußten Gebiet der Seele verborgene, gleiche Vorstellung, und beide verschmelzen zu einer Einheit, oder die Vorstellung eines gesuchten Objekts bewirkt die völlige Hemmung einer perzipierten, ihr selbst nicht entsprechenden Vorstellung. Die  subsumierende Apperzeption  (253) erreicht bereits mehr als die identifizierende, indem ihr Resultat nicht bloß ein Wiedererkennen, sondern eine weitergehende sinnliche oder intellektuelle Erkenntnis ist. Das Wesen diese Apperzeptionsform besteht in der Subsumtion irgendeiner gegebenen besonderen Tatsache unter den zutreffenden allgemeinen Begriff. Die  beziehende  oder begreifende Apperzeption (260) erhebt, geleitet von dem Postulat der Begreiflichkeit der Welt, die Resultate der subsumierenden zu einer höheren Ordnung. Das Chaos der erkannten Erscheinungen wird apperzipiert durch die manngifachen Beziehungen derselben, mögen sie nun räumliche und zeitliche oder kausale und teleologische sein. Während die drei genannten Arten der Apperzeption dem theoretischen Zweck der Erkenntnis und der Ordnung des Erkannten dienen (265), erheben sich zwei weitere Formen, die symbolische und die schöpferische Apperzeption, zu einer höheren praktisch-idealen Aufgabe. Durch  die symbolische Apperzeption  gewinnen die Dinge neben ihrer wirklichen Natur einen subjektiven Charakter, erfahren sie eine ideale Verbildlichung, die sich in Gleichnissen und Parabeln, in Allegorien und Mythen ausspricht. Endlich tritt als höchste Stufe die  schöpferische  Apperzeption auf, durch welche die apperzipierenden Ideen der Seele in Erdichtungen und Neugestaltungen ihre Produktivität kund geben.


3. Die Gründe der Apperzeption

Um die Verschiedenheit der Apperzeptionsformen zu erklären, muß man auf die wechselnden Bedingungen der Apperzeptionsvorgänge zurückgehen. Die Gründe (256) oder Motive der Apperzeption liegen im Allgemeinen in den gegenseitigen Beziehungen der bei der Apperzeption betätigten Vorstellungen, welche nach Maß und Verhältnis ihrer Kraft den Verlauf der Apperzeption regeln. Aber weder in ihren niederen, noch in ihren höheren Formen ist die Apperzeption durch die Beziehungen zwischen Objekt und Subjekt des Apperzeptionsaktes allein bestimmt (262); in ihrem besonderen Verlauf hängt dieselbe in weit höherem Grad teils von den begleitenden Verhältnissen der äußeren Dinge, teils von der intellektuellen Richtung der einzelnen Personen oder der einzelnen Generationen und Völker ab. Aber auch damit sind die Motive der Apperzeption nicht erschöpft. Auch das einzelne Gefühl und die momentane Gemütsstimmung des Menschen machen ihren wechselvollen Einfluß auf den Apperzeptionsprozeß geltend, während auf der anderen Seite die sittlichen und religiösen Gefühle eine weniger veränderliche Direktion auf denselben ausüben. (264).


4. Mitschwingung des Unbewußten
bei der Apperzeption

Die zuletzt genannten höheren Motive der Apperzeptionstätigkeit sind mit dem Inhalt unserer Seele verwoben und üben ihren Einfluß aus, auch wenn sie sich dem augenblicklichen Bewußtsein entzogen haben. Denn wir besitzen den Inhalt unserer Seele als unser dauerndes Eigentum, ohne darum beständig mit allen Elementen desselben beschäftigt zu sein (222). In einem Moment befindet sich nur eine kurze Reihe von Elementen im Bewußtsein, d. h. in jenem eigentümlichen, schwer definierbaren, aber für unsere unmittelbare Erfahrung deutlich bestimmten Zustand der Helligkeit und der Energie des Denkens, den wir Bewußtsein nennen (225). Aber jede bewußte Tätigkeit des Geistes wird zugleih von einer Mitschwingung der unbewußten Vorstellungen begleitet und ergänzt. Bei den vornehmsten Erzeugnissen der schöpferischen Apperzeption tritt meist nur Antrieb und Absicht des Schaffens einerseits und der vollendete Erfolg andererseits ins Bewußtsein, während die zwischenliegenden Apperzeptionsakte sich mit ihren Motiven und ihrer Wirksamkeit in den Bereich des Unbewußten zurückziehen (223, 227f).


5. Konstitution der
apperzipierenden Vorstellungsmassen

Für den ganzen Aufbau des Vorstellungsinhaltes der Seele und für seine bewußte oder unbewußte Kraftäußerung im Verlaufe der Apperzeption sind die verschiedenen Verarbeitungsweisen dieses Inhaltes durch die Apperzeptionstätigkeit selbst von Wichtigkeit. Besonders zwei psychische Vorgänge stehen in diesem Sinne mit der Apperzeption in inniger Beziehung, die Repräsentation und Verdichtung. Diese beiden Prozesse sind nicht streng auseinanderzuhalten (245), sondern gehen wechselseitig ineinander über. Beide bestehen in der Vertretung eines ganzen Gedankeninhaltes durch eine einzige flüchtige Vorstellung, aber während die Repräsentation durch eine ansich leere Hindeutung auf den wirklichen Inhalt eines Gedankens diesen ersetzt, erscheint die stellvertretende Vorstellung des verdichteten Gedankens mit dem ganzenn Denkinhalt des letzteren erfüllt und gesättigt. Im Resultat der Verdichtung ist wirklich noch alles enthalten, was die entsprechende Gedankenmasse vor ihrer Verdichtung umfaßte. Dagegen ist die bloß repräsentierende Vorstellung äußerst arm an Inhalt; ihre Bedeutung liegt aber darin, daß sie trotzdem in die Apperzeptionsprozesse mit der ganzen Kraft der von ihr vertretenen Elemente einzugreifen vermag. Die verdichtete Vorstellung ist logisch und psychologisch, die repräsentierende nur psychologisch mit dem durch sie vertretenen Gedankeninhalt gleichwertig (246). Der Begriff der Pflanzengattung ist für den Botaniker von Fach eine Verdichtung (248), im alltäglichen Sprachgebrauch meist nur eine Repräsentation. Die Überschriften über den Paragraphen eines Buches sind vor der Lektüre Repräsentationen, nach der Lektüre Verdichtungen. Jede Vorstellung selbst ist die Vertretung eines Gedankeninhaltes, und wiederum ist in der Regel die Vorstellung durch ein Wort vertreten (249). So hat man sich dann auch beim Vorgang der Apperzeption als Subjekte der psychischen Aktion nicht unbestimmte Vorstellungsmassen, sondern deren Verdichtungen und Vertretungen, besonders Wortvorstellungen zu denken. Gerade indem die Gedanken und Vorstellungen in Worten ihren Ausdruck finden, gewinnt der Apperzeptionsvorgang an Ordnung und Bestimmtheit und spart auch an Zeit und Kraft (247); denn seine Elemente bieten sich für das psychologische, wenn auch nicht immer in gleichem Maße für das logische Bewußtsein, infolge ihrer Vertretung durch Worte in mehr abgerundeter und schärfer begrenzter Form dar und besitzen dabei eine größere Beweglichkeit, als wenn sie mit ihrem breiten Inhalt und ihren schwankenden Umrissen in den psychischen Prozeß eingreifen wollten.


6. Apperzeption und Sprachbildung

Überhaupt herrscht eine beständige Wechselwirkung zwischen Sprache und Apperzeptionstätigkeit, wie im einzelnen Individuum, so in der Entwicklung der Völker (144). Die Sprache erleichtert durch das Mittel der Vertretung die Apperzeption, und die Apperzeption dient der Schöpfung der Sprache. Die Bedeutung des Lautes als eines Sprachlautes beruth allein auf der Apperzeption des Lautes; der bloß perzipierte Laut ist eben nur Laut ohne Bedeutung. Daß sich der Laut zur Lautanschauung umbildet und in der Seele mit der Dinganschauung verschmilzt, ist lediglich der Erfolg der Apperzeption des Lautes durch die in der Seele vorhandenen Anschauungen (102). So hat auf der onomatopoetischen Stufe der Sprachbildung der Mensch aus dem vernommenen Sprachlaut vermöge der Apperzeptionstätigkeit all die Beziehungen wiederum herausgehört (133), welche er selbst ursprünglich bei der Schöpfung der äußeren Sprachform in denselben hineingelegt hatte. Ebenso zeigt es sich bei der inneren Sprachform (137), wie sehr die Möglichkeit aller Sprache an den vorhandenen Inhalt der Seele und die prädisponierte Reaktion desselben auf die äußeren Eindrücke gebunden ist. Unter innerer Sprachform versteht LAZARUS die durch die Sprache festgehaltene einseitige Beziehung der vielseitigen Sache zum Menschen, welche Beziehung darin besteht, daß das Wort nur eine mehr oder weniger hervorragende Eigenschaft eines Objekts ausdrückt und dennoch das ganze Objekt bedeutet, d. h. in der Apperzeption mit der Anschauung desselben verwächst. Somit ist die Sprachform nur die Art und Weise der Apperzeption einer leisen Andeutung durch einen mächtigen Inhalt der Seele (142). Die Macht und Beharrlichkeit dieses Seeleninhalts tritt namentlich in der charakterisierenden Stufe der Sprachbildung hervor, wo der Mensch keine neuen Sprachelemente schafft, sondern im Streben, mit seinem Besitztum auszukommen, neue Anschauungen an ältere anknüpft und in die Sprachform der älteren hineinzupassen sucht.


C. Rückblick auf Lazarus'
Theorie der Apperzeption

Indem LAZARUS die Apperzeption als eine Reaktion der von Inhalt erfüllten Seele bezeichnet, charakterisiert er selbst seine Stellung zu den beiden Grundgedanken der LEIBNIZ'schen Auffassung der Apperzeption. Auch bei ihm fehlt, wie bei HERBART, die Spontaneität dieser Reaktion; denn das Subjekt derselben ist, wenigstens der Theorie nach, der Vorstellungsinhalt der Seele. Bezüglich seines Umfanges ist der Apperzeptionsbegriff bei LAZARUS allgemeiner als bei HERBART, dem die Apperzeption nur eine Aneignung der einen Vorstellung durch die andere war. Durch die Verallgemeinerung des Begriffs wird es LAZARUS möglich, eine große Fülle psychischer Vorgänge unter denselben zu subsumieren. Bei der Aufzählung dieser Vorgänge, der verschiedenen Arten der Apperzeption, welche in der ersten Ausgabe des "Lebens der Seele" noch fehlt, schließt sich LAZARUS fast ohne Abweichung an STEINTHAL an. Ich gehe daher hier mit einigen kurzen Bemerkungen über diese Aufzählung hinweg. Ohne Schwierigkeit ordnen sich die identifizierende, subsumierende und begreifende Apperzeption dem allgemeinen LAZARUS'schen Apperzeptionsbegriff unter. Fraglich erscheint dies bei der symbolischen und schöpferischen Apperzeption, zumal wenn man bemerkt, daß LAZARUS bei der Aufstellung seiner ursprünglichen Definition nur die Sinnesreize als diejenigen Aktionen bezeichnet hat, welche den Reaktionsprozeß der Apperzeption veranlassen. Indessen wenn man den Begriff des Reizes weit genug ausdehnt, wird man auch die Schöpfungen des produktiven Geistes als bloße Reaktionen bezeichnen dürfen. Nur muß man die verschiedenen Vorzüge des produktiven Denkens gegenüber anderen, weniger planmäßigen Vorstellungsbewegungen bereits in jene Reize verlegen, welche die Reaktion der apperzipierenden Vorstellungen hervorrufen. Die Untersuchung dieser offenbar mit den Motiven der Apperzeption zusammenfallenden inneren Reize nimmt LAZARUS in der Tat auf. Er erhebt sich gerade mit dieser Untersuchung über HERBART, indem er in den Gefühlen und Neigungen der menschlichen Seele die eigentlichen Triebfedern der Apperzeptionstätigkeit findet. Da er sich dabei wohl der Tatsache nicht verschließen kann, daß diese Motive der Apperzeption nicht bloß als Vorstellungen auf Vorstellungen wirken, so setzt er im Laufe der Darstellung der Formen der Apperzeption anstelle der HERBART'schen Ausdrucksweise: "Eine Vorstellung apperzipiert eine andere" die neue Redensart: "Wir apperzipieren eine Vorstellung durch eine andere". Aber doch gelangt er nicht dazu, die Apperzeption bestimmt als eine spontane Tätigkeit unserer selbst zu bezeichnen und damit die eigentliche Bedeutung der Apperzeptionsgründe als der Motive des Willens zu erfassen. Die geflissentliche Vernachlässigung des Willens erklärt auch die Absicht, daß die eigentliche Produktivität des Geistes im Unbewußten zu suchen ist. Dies ist jedenfalls nicht richtig; denn vom Aufsteigen der Absicht des Schaffens bis zum Eintritt des vollendeten Erfolges begleitet das Bewußtsein der willkürlichen Tätigkeit den psychischen Vorgang, und dieses Bewußtsein tritt nirgends mehr in den Vordergrund, als gerade beim produktiven Denken. Die Mitschwingung der nicht gerade deutlich bewußt gewordenen Vorstellungen dient wohl dazu, das Material für die geistige Arbeit gewissermaßen zu lockern, aber den Erfolg dieser Arbeit vermag sie nicht sicher zu stellen.

Der Hauptfeler der LAZARUS'schen Apperzeptionstheorie scheint in ihrer Abhängigkeit von HERBART und STEINTHAL zu liegen. Gegen die Berechtigung der LAZARUS'schen Definition der Apperzeption läßt sich, nachdem schon HERBART den LEIBNIZ'schen Begriff in einem ähnlichen Sinn umgeändert hatte, kaum etwas einwenden. Aber der Versuch, aufgrund dieser Definition all die psychischen Vorgänge, welche LAZARUS nach dem Voranschreiten STEINTHALs als Arten der Apperzeption aufzählt, als Apperzeptionsmasse im LAZARUS'schen Sinn darzustellen, scheitert augenscheinlich daran, daß bei der angenommenen Definition eine Willenseinheit fehlt, welche als Zentralkraft die vielfältigen Eigenbewegungen der Vorstellungen zusammenhält. Indem LAZARUS die Einteilung der Apperzeptionsformen von STEINTHAL herübernimmt, schadet er überdies einer konsequenten Durchführung seiner eigenen Theorie; er übersieht, daß bei STEINTHAL eine Definition des Apperzeptionsbegriffs zugrunde liegt, die viel dehnbarer ist, als die seinige.


D. Darstellung der
Steinthal'schen Auffassung
des Begriffs der Apperzeption


1. Die elementaren psychischen Prozesse

Der theoretische Inhalt unseres Bewußtseins besteht nach STEINTHALs Auffassung in Anschauungen und Begriffen (16) (2). Die Anschauungen bilden sich in der Seele durch die Verarbeitung der Wahrnehmungen und Erinnerungen und vervollkommnen sich nach und nach zu Begriffen oder begrifflichen Erkenntnissen, wobei letztere ihrem logischen Wert nach über den Anschauungen stehen (35). Während so Anschauungen und Begriffe in gewissem Sinn fertige Bestandteile des Seeleninhaltes bezeichnen, sind die eigentlichen Elemente des psychischen  Geschehens,  welche durch ihre Wirksamkeit jene zustande bringen, die Vorstellungen (36). Ähnlich wie der einzelne Akt der Wahrnehmung keine Anschauung, sondern nur eine Wahrnehmung produziert (7), so geht aus dem einzelnen Akt der Erinnerung nur eine Vorstellung hervor, d. h. die momentane Darstellung irgendeiner Anschauung oder eines Begriffs für das Bewußtsein (36). Wenn man die Vorstellungen als eigentlichen Gegenstand der psychologischen Untersuchung der Erkenntnisvorgänge betrachtet (36), so sind dabei unter dem Wort "Vorstellung" auch die Wahrnehmungen oder Empfindungen, ja auch gelegentlich Gefühle und Begehrungen inbegriffen (38).

Die Bewegung der Vorstellungen ist beherrscht von den beiden in einem korrelaten Verhältnis zueinander stehenden Gesetzen der Isolation und Attraktion der Vorstellungen (58). Jenem zufolge bewahrt jede Vorstellung in all ihren Kombinationen und Verbindungen mit anderen Vorstellungen ihre Eigenart; nach diesem wohnt jeder Vorstellung das Streben inne, sich mit anderen Vorstellungen in Beziehung zu setzen. Wird eine Vorstellung aus verschiedenen ihrer natürlichen Verbände herausgehoben und isoliert, so haften ihr bleibend gewisse Verbindungsmerkmale an (49), die immer je nach den Umständen auf den einen oder andern ihrer ursprünglichen Verbände hinweisen und die Träger der Tendenz des abgesonderten Gliedes zum Ganzen sind.

Die einfachsten Formen der Wechselwirkung der Vorstellungen sind neben der bloßen  Verbindung  (93), d. h. der bloßen Zusammenhaltung zweier Vorstellungen als gesonderter Komplexe, die  Verschmelzung  (59) und  Verflechtung  (92). Verschmelzung ist die innigste Vereinigung zweier völlig gleicher Vorstellungen zu einem Produkt, welches qualitativ nicht mehr und nicht weniger enthält, als jede der beiden Vorstellungen für sich umfaßte; bei der Verflechtung treten zwei Vorstellungskomplexe mit teils gleichen, teils ungleichen Elementarbestandteilen der Art in Verbindung, daß die übereinstimmenden Bestandteile beider verschmelzen, die widersprechenden sich hemmen. Das Material zu diesen verschiedenen Vorstellungsverbindungen wird, wie bereits erwähnt, teils durch primäre Produktion (79) der Empfindungen durch den Sinnesreiz, teils durch Reproduktion (80) geliefert. Die Reproduktion einer Vorstellung wird bisweilen durch die Wiederkehr der äußeren Bedingungen, unter denen sie ursprünglich erzeugt war, hauptsächlich aber durch  Assoziation  (84) veranlaßt. Als Hauptgrundlage der assoziativen Vorstellungsverbindung ist Gewöhnung und Übung anzusehen (120), obwohl im besonderen Fall auch die augenblickliche Denkrichtung für den Verlauf der Assoziation maßgebend wird.


2. Verhältnis der Apperzeption zu den elementaren
psychischen Prozessen und zur Perzeption

Die Seelenvorgänge, welche der Erkenntnis und Verarbeitung des Erfahrungsstoffes materieller und intellektueller Art dienen, ordnen sich in zwei große Gruppen, die Gruppe der Grundprozesse des Seelenlebens, über welche im vorigen Artikel ein kurzer Überblick gegeben wurde, und die Gruppe der Apperzeptionsprozesse. Beide Gruppen zusammengenommen umfassen zugleich alle Bedingungen und Werkzeuge der Erkenntnis, insofern die Theorie derselben in das Gebiet der Psychologie fällt (154, 155). Aber da die Prozesse der ersteren Gruppe als Elementarbestandteile in mehr oder minder verwickelten Kombinationen die Apperzeptionsprozesse zusammensetzen, stehen diese nicht neben und außer jenen, sondern fassen sie als ihre einfachsten Formen in sich. Die Lehre von der Apperzeption kann daher nach STEINTHALs Anschauungsweise geradezu als psychologische Erkenntnislehre bezeichnet werden (154), insofern bei ihr von allen logischen und metaphysischen Fragen abgesehen wird.

Der Unterscheidung der psychologischen und logischen Fragen der Erkenntnistheorie geht in gewissem Sinne die Gegenüberstellung der Begriffe Apperzeption und Perzeption parallel (149). Die Apperzeption ist der Inbegriff all der psychischen Bewegungen und Aktionen, welche eine Erkenntnis vermitteln, sozusagen die Aneignungsform einer Erkenntnis, im Gegensatz zur Perzeption, dem Akt der Auffassung des Ergebnisses der Apperzeption. Es handelt sich bei der Unterscheidung der beiden Begriffe durchaus nicht um eine Beziehung zum Bewußtsein, als ob die Perzeption erst durch die Apperzeption ins Bewußtsein gehoben würde (148), sondern jene bezeichnet die fertige Erkenntnis, wie sie sich dem logischen Urteil unterbreitet, diese die werdende, wie sie sich im Wechselspiel der Vorstellungen bildet. Nicht etwa beschränkt auf das Gebiet des höheren Auffassungsvermögens und der intellektuellen Seelentätigkeiten, reicht die Wirkungssphäre der Apperzeption tief herab in die sinnliche Wahrnehmung. Auch schon hier überwiegt die Zutat der Seele im Akt der Wahrnehmung bei weitem die blassen Empfindungselemente, welche die Sinne einem nicht apperzipierenden Seeleninhalt übermitteln würden (153). Andererseits spielt aber die Apperzeption auch in das Gebiet der Gefühle hinüber, indem sie all die Gemütsbewegungen umfaßt, die den Eingang einer Wahrnehmung in unsere Seele begleiten mögen (173).


3. Subjekt und Objekt der Apperzeption

Apperzeptioni ist die von der Weltanschauung (127) des Subjekts beherrschte Bewegung zweier Vorstellungsmassen gegeneinander zur Erzeugung einer Erkenntnis (134). In der Regel ist eine der beiden Vorstellungen, das Subjekt der Apperzeption, bereits in der Seele als ein älteres Element des gesamten Vorstellungsinhaltes derselben vorhanden, während die andere, das Objekt der Apperzeption, jüngeren Ursprungs ist und nachträglich, sei es durch primäre Produktion, sei es durch Reproduktioin, in der der Seele zum Vorschein kommt. Der Apperzeptionsvorgang erscheint daher schließlich als eine Art Aneignung der jüngeren Vorstellung durch die ältere, welche zwar durch die erstere veranlaßt wird, aber doch wesentlich durch das Vorhandensein der letzteren bedingt ist. Diese Auffassung gründet STEINTHAL auf die Annahme, daß keine Erkenntnis entstehen kann, wo noch keine vorhanden ist, daß Erkenntnis die notwendige Voraussetzung der Erkenntnis ist (134). Über die Frage, wie dann bei Kindern eine erste Erkenntnis zustande kommt, geht er mit der Bemerkung hinweg, daß die ursprünglichstenn Apperzeptionen des Säuglings noch sehr dunkel sind, aber doch den Gesetzen der entwickelteren Apperzeptionstätigkeit gehorchen (134). Indessen will STEINTHAL doch diese Theorie und namentlich das HERBART'sche Gesetz, daß das Subjekt der Apperzeption immer eine ältere Vorstellung sein muß, nicht allzustreng gefaßt wissen. Wenn die Macht der apperzipierenden Vorstellungsmassen in uns mit der Zahl der Wiederholungen ihrer Tätigkeit beträchtlich wächst, so beweist das schon, daß auch das Objekt der Apperzeption, wenn es vom vorhandenen Seeleninhalt absorbiert wird, doch nicht völlig verloren geht, sondern zur Steigerung der Apperzeptionskraft des Subjekts beiträgt. STEINTHAL räumt sogar noch mehr ein. Wenn nämlich auch vorzugsweise die ältere Vorstellung die Oberhand behält, so kann doch im Grunde jedes der beiden Elemente, das a priori und das a posteriori gegebene, sowohl aktiv als auch passiv auftreten. Dies bestätigt sich schon darin, daß die neu eintretende Vorstellung die ältere erst reproduziert. Doch beschränkt sich in vielen Fällen die jüngere Vorstellung nicht auf diesen Anstoß zur Apperzeptionstätigkeit, sondern sie vermag tatsächlich auch den Erfahrungsinhalt der Seele zu modifizieren, zu verbessern und zu bereichern (136).

Nach Beschaffenheit und Inhalt der apperzipierenden und apperzipierten Vorstellung und nach der Art ihres beiderseitigen Einflusses kann sich der Akt der Apperzeption sehr verschiedenartig gestalten. Das Objekt der Apperzeption kann entweder die Vorstellung eines einfachen, in der sinnlichen Wahrnehmung gegebenen Gegenstandes sein, die uns nichts Neues bietet und einfach mit der ihr gleichen älteren Vorstellung verschmilzt, oder die Vorstellung eines komplizierten Dings, dessen verständnisvolle Auffassung die Reproduktion einer großen Menge apperzipierender Vorstellungen erfordert. Ebenso kann die apperzipierende Vorstellung ein unausgebildeter Erfahrungsbegriff oder ein reich gegliederter und wohl verarbeiteter wissenschaftlicher Begriff sein. Der Apperzeptionsprozeß wird dementsprechend bald einen vorübergehenden flüchtigen Verlauf haben, sich aber bald in eine lange Kette von Elementarapperzeptionen auflösen. Der ganze Apperzeptionsvorgang gleicht im letzteren Fall einer allmählichen psychischen Verarbeitung des der Seele dargebotenen Stoffes, die sich zeitlich nicht mehr auf Momente beschränkt, sondern sich oft über ausgedehnte Perioden eines menschlichen Lebens erstreckt, ja vielleicht durch ganze Epochen der Völkergeschichte hindurchzieht (138).


4. Arten der Apperzeption

Der bedeutende Umfang des STEINTHAL'schen Apperzeptionsbegriffs macht naturgemäß eine weitere Gliederung desselben wünschenswert. STEINTHAL beabsichtigt, nach der Überschrift des betreffenden Abschnittes zu urteilen (200), die Apperzeptionsvorgänge nach der logischen Beziehung der beiden Faktoren derselben einzuteilen, und zählt vier Formen der Apperzeption auf: die identifizierende, subsumierende, harmonisierende und schöpferische Apperzeption. Die  identifizierende  (208) setzt die völlige oder partielle Identität, richtiger wohl die subjektive Gleichsetzung der apperzipierenden und der apperzipierten Vorstellung voraus und vollzieht sich in ihrer einfachsten Form als eine Verschmelzung der neueren mit der völlig gleichen älteren Vorstellung. Der Prozeß ist in der Tat nichts anderes als eine Verschmelzung und kann, wie diese, folgendermaßen formuliert werden (187): Ist  P  die Passive,  A1  die aktive Vorstellung, so entspricht unter der Voraussetzung  P = A1  die Verschmelzung der Gleichung  P + A1 = A2,  wo  A1,  obwohl objektiv genommen mit  A2  identisch ist, doch beim Übergang in  A2  an subjektivem Wert, an Apperzeptionskraft gewonnen hat. Beispiele dieses Apperzeptionsaktes sind das Wiedererkennen und das Finden eines gesuchten Objektes. Auch dem völligen Gegensatz des Objekts und des Subjekts der Apperzeption entspricht ein Apperzeptionsakt von ähnlich einfacher Form, dessen Resultat freilich negativ ist und auf der vollständigen Hemmung der passiven durch die aktive Vorstellung beruth. So wenn wir, geleitet von einer dunklen Vorstellung, unter verschiedenen Dingen ein Objekt suchen, aber nicht finden. Die mehr oder weniger unklare Vorstellung apperzipiert die in der Wahrnehmung dargebotenen Vorstellungen negativ, indem sie dieselben als die nicht richtigen erkennt und ihre Apperzeption zurückweist. Neben der völligen Identität oder Nichtidentität ist auch die partielle Identität der beiden Faktoren der Apperzeption ausreichend, um eine identifizierende Apperzeption zustande zu bringen. Nur leistet dann die apperzipierende Vorstellung noch etwas mehr als die bloße Aufnahme der apperzipierten, indem sie diese zuvor ergänzt und zur subjektiven Identität mit sich selbst verarbeitet. Die  subsumierende  Apperzeption (211) greift Platz, wenn eine allgemeine, dem Begriffsinhalt der Seele angehörige Vorstellung eine gegebene, ihr logisch untergeordnete apperzipiert. Unter diese Form rechnet STEINTHAL alles Begreifen, Ordnen, Klassifizieren, Beweisen, Schließen und Beurteilen. Die  harmonisierende  Apperzeption umfaßt solche Fälle, in denen die beiden beteiligten Elemente in einem anderen logischen Verhältnis, als dem der Identität oder Subsumtion, insbesondere in einem Verhältnis der Koordination oder Dependenz (214) stehen oder auch disparater Natur sind (210). Dabei kann mitunter auch die Beziehung der zu apperzipierenden Vorstellung zu unserer Gemütslage, unserer Individualität usw. in Betracht kommen (210, 212). Die  schöpferische  Apperzeption hat die charakteristische Eigenschaft, daß die apperzipierende Vorstellung nicht von vornherein vorhanden ist, sondern im eigentlichen Apperzeptionsakt erst geschaffen werden muß, wie z. B. beim Erraten und Vermuten. Dabei wirken die anderen Formen der Apperzeption gleichzeitig mit, um das Ergebnis zustande zu bringen. Hierher gehören auch die Akte der Induktion und Deduktion; diese als Schöpfung des apperzipierenden Gattungsbegriffs aus dem gegebenen Artbegriff, jene als verständnisvolle Ableitung des Einzelnen aus dem Allgemeinen. Hierher gehören ferner alle großen Schöpfungen des menschlichen Geistes, daneben aber auch seine Verirrungen in Jllusionen und Halluzinationen.


5. Die Motive der Apperzeption

Da die Apperzeptionsform im Allgemeinen von der wechselseitigen Beziehung der beiden beim Apperzeptionsprozeß beteiligten Elemente abhängt, so ist dieselbe natürlich durch eines der beiden Elemente allein noch nicht bestimmt. Bald wird eine jüngere Vorstellung eine Menge älterer zur Apperzeption anregen, bald auch einer älteren Vorstellung eine Mehrzahl jüngerer zur Auswahl geboten sein. Es entstehen daher die beiden Fragen. Welches von mehreren Objekten wird apperzipiert? und: Welches von mehreren Subjekten apperzipiert? Von den gegebenen Objekten hat im Allgemeinen die Sinnesempfindung eine größere Macht, das Apperzeption anzuregen, als die selbst erst reproduzierte Vorstellung. Andererseits tritt bei gegebenem Objekt diejenige ältere Vorstellung in Aktion, welche der gegebenen am meisten kongruent ist, selbst wenn sie zu den weniger geübten Vorstellungsgruppen der Seele gehört. Im Grund können die obigen beiden Fragen durch die einzige Antwort erledigt werden (245), daß jedesmal diejenige Apperzeption vollzogen wird, in welcher die absolut oder relativ mächtigere Vorstellungsgruppe zur Wirksamkeit kommt. Die absolute Macht der apperzipierenden Vorstellungsgruppen wächst im Allgemeinen mit ihrer Übung. Die wichtigste Bedingung für die relative Macht derselben ist das Interesse, d. h. die Bereitwilligkeit einer Vorstellungsgruppe zu apperzipierender Tätigkeit (245), veranlaßt durch das Bedürfnis der Gruppe nach Betätigung ihrer Kraft oder Ergänzung ihres Inhalts (248). Das Interesse ist entweder eindeutig oder mehrdeutig: es ruht hauptsächlich in der absolut mächtigsten Vorstellungsgruppe, kann sich jedoch unter dem Einfluß der wechselnden Verhältnisse der äußeren Umgebung (255) auf verschiedene Gruppen übertragen. Je bestimmter die Richtung dieses Einflusses ist, umso mehr konzentriert sich die Bereitwilligkeit auf wenige Vorstellungen, umso intensiver wird aber auch die Bereitschaft derselben (259). Die Bereitschaft einer Vorstellungsgruppe zu apperzipierenden Tätigkeit (180), welche die Ergänzung und den Erfolg des Interesses bildet, heißt willkürliche Aufmerksamkeit. Der Unterschied der willkürliche und unwillkürlichen Aufmerksamkeit liegt in der verschiedenen Bedeutung, welche Subjekt und Objekt der in Frage stehenden Apperzeption für die Richtung der letzteren haben. Bei der willkürlichen Aufmerksamkeit bestimmt mehr der vorgängige Zustand der apperzipierenden Vorstellungsgruppe die Richtung der Apperzeption, bei der unwillkürlichen hängt dieselbe mehr von dem gegebenen Verhältnis des Objekts zu den zur Apperzeption bereitliegenden Vorstellungen ab (179).


6. Apperzeption und Bewußtsein

Die Vorstellungen und Vorstellungsbewegungen, welche sich in der Seele vollziehen, sind nicht von dieser Seele unabhängig, sodaß die Seele als unparteiische Beobachterin ihrem Spiel zuschauen könnte, sondern die Vorstellungen sind das Schauen, das Wissen der Seele selbst (158). Dennoch können sie unbewußt sein (20). Insbesondere sind alle elementaren psychischen Prozesse, die Elemente der Apperzeption und diese selbst nicht notwendig mit Bewußtsein verbunden (48), sondern können sich einfach den Gesetzen der psychischen Mechanik zufolge abspielen (69). Das Bewußtsein ist eine gewisse Energie der Seele (71), welche zu jener Wechselwirkung der Vorstellungen hinzutreten kann, aber nicht hinzutreten muß. Erst durch eine besondere Gunst des Bewußtseins (148) kommt eine Vorstellung in den Zustand der Bewußtheit. Diese Bewußtheit oder Klarheit (175) einer Vorstellung besteht in der durch die Apperzeption geschaffenen Beziehung derselben zu anderen Vorstellungen, und je vielseitiger und mannigfaltiger diese Beziehung sich gestaltet, umso höher steigt der Grad der Bewußtheit jener Vorstellung; dieselbe sinkt andererseits zu völliger Unbewußtheit herab, wenn sie nicht zu anderen in Beziehung gesetzt wird: eine unbewußte Apperzeption ist eine solche, die nicht apperzipiert wird (176). Die Bewußtheit ist also eine Folge der Apperzeptionsprozesse (175), obwohl der Akt der Apperzeption ganz ohne Rücksicht auf Bewußtheit oder Unbewußtheit seiner einzelnen Momente vor sich geht (140) und namentlich die aktive Vorstellungsgruppe meist in vielen ihrer Teile unbewußt handelt. Solche unbewußt in den Apperzeptionsprozeß eingreifende Vorstellungen heißen schwingende Vorstellungen (263). Sie gewinnen dadurch eine hervorragende Bedeutung, daß sie die nachteiligen Folgen der Enge des Bewußtseins kompensieren (271). Denn da sich momentan immer nur  eine  Vorstellung im Bewußtsein befinden kann (73), würde ein Zusammenarbeiten zahlreicher und zusammengesetzter Vorstellungsmassen gar nicht möglich sein, wenn nicht auch die unbewußten Vorstellungen mitwirken würden und ihre Apperzeptionstätigkeit an geeigneten Stellen geltend machten.


7. Die Konstitution der
apperzipierenden Vorstellungsmassen

Die hervorragende Bedeutung, welche die in der Seele aufgespeicherten Vorstellungsmassen besitzen, rechtfertigt ein tieferes Eingehen auf die Art ihres Entstehens und ihrer Tätigkeit. Der psychische Inhalt besteht aus Erkenntnisgruppen (131), deren einzige Aufgabe nach STEINTHAL die Ausübung der Apperzeptionstätigkeit ist (220). Dieselben bilden sich im Laufe der menschlichen Entwicklung heraus und sind ebensowohl die Verkörperung der Individualität der Seele, wie auch ein Abbild derjenigen äußeren Verhältnisse der Natur und der menschlichen Gesellschaft, welche im Laufe der Zeit auf die Seele gewirkt haben. Denn auf einer ersten Stufe der Entwicklung lagern sich kleinere Vorstellungsverbände nach objektiver oder subjektiver Verwandtschaft zu mehr oder minder unorganischen Haufen aneinander als Produkte der zufälligen Anordnung der äußeren Erlebnisse und Lebenserfahrungen (283). Auf einer zweiten Stufe gewinnen jene Vorstellungshaufen aus mehr subjektiven Gründen eine vollkommenere Form und innere Organisation. Infolgedessen stehen die fertigen Erkenntnisgruppen in Verhältnissen der Nebenordnung und Unterordnung sowohl nach ihrem Inhalt als nach ihrem Wert für das Individuum (234). Einzelne herrschende Gruppen treten besonders in den Vordergrund und üben die Apperzeptionsfähigkeit in überwiegendem Maße aus. So wird vornehmlich durch den Beruf des Menschen eine herrschende Gruppe bestimmt und zugleich in fortwährender Tätigkeit gehalten. Die Vorstellungen dieser Gruppe folgen am leichtesten und ungezwungendsten jedem Anstoß zu ihrer Reproduktion und bedingen die verschiedene Auffassung ein und desselben Objekts von noch so geringer Vieldeutigkeit durch Menschen verschiedener Berufsklassen. Es ist aber nicht nötig, daß nur eine Gruppe die Herrschaft führt (236); es können auch zwei, z. B. eine weltliche und eine religiöse (239), oder eine größere Anzahl unter verschiedenen Umständen gleich mächtig die Apperzeptionstätigkeit des Individuums beherrschen. In der Zahl und dem Machtverhältnis der herrschenden Gruppen ist der Grund der Verschiedenheit der menschlichen Naturen hinsichtlich der Einseitigkeit und Vielseitigkeit ihres Interesses und ihrer Beschäftigung zu suchen.

Wenn die in der Seele liegenden Vorstellungsgruppen die Aufgabe haben zu apperzipieren, so muß denselben natürlich eine gewisse Spontaneität oder vielmehr Reizbarkeit zukommen (222), damit sie auf Veranlassung einer in ihr Gebiet eintretenden Vorstellung sofort ihre Apperzeptionsfähigkeit betätigen. Eine solche Beweglichkeit der Vorstellungsmassen beruth einmal in der Leichtigkeit ihrer Reproduzierbarkeit, sodann aber auch in dem Streben, mit anderen Vorstellungen in Verbindung zu treten. Ihre Steigerung ist eines der wichtigsten Postulate der menschlichen Erziehung.


E. Rückblick auf Steinthals
Theorie der Apperzeption


1. Der Steinthal'sche Apperzeptionsbegriff in seiner
Beziehung zum Herbart'schen und Lazarus'schen

Auf die gemeinsamen Beziehungen von LAZARUS und STEINTHAL zu HERBART wurde bereits hingewiesen; aber die beiden Vertreter der HERBART'schen Schule weichen in manchen Punkten voneinander ab. Ein wesentlicher Fortschritt zeichnet die Apperzeptionstheorie STEINTHALs gegenüber den Theorien von LAZARUS und HERBART aus, das Zugeständnis einer relativen Gleichberechtigung der apperzipierenden und der apperzipierten Vorstellung bezüglich ihrer psychischen Wirkung in dem doppelten Sinn, daß die jüngere Vorstellung erstens den subjektiven Wert der älteren unter allen Umständen erhöht, sodann aber auch die Qualität der älteren Vorstellung wirklich zu verändern vermag (136). Dagegen hat STEINTHAL im engeren Anschluß an HERBART der Bedeutung der Gefühle als der Motive der Apperzeption nicht den unabhängigen Ausdruck gegeben, wie LAZARUS. Baut er doch seine Theorie auf den Grundgedanken auf, daß es nur Verhältnisse zwischen Vorstellungen, aber keine Verhältnisse der Vorstellungen zur Seele gibt (158). Aber das Interesse, in dem STEINTHAL einen mächtigen Bestimmungsgrund der Apperzeption findet, kann schlechterdings nicht aus einer gegenseitigen Beziehung der Vorstellungen erklärt werden, sondern weist auf ein Subjekt hin, zu dem die Vorstellungen durch eine Vermittlung der Gefühle in Beziehung gesetzt werden. Daher wird man kaum zugeben können, daß das Bedürfnis der Vorstellungen nach Bewegung und Ergänzung die ausreichende Grundlage des menschlichen Interesses ist. Im gleichen Sinn ist es wohl ein vergeblicher Versuch, die willkürliche Aufmerksamkeit ohne Zuziehung des Willens zu erklären. Denn das Epitheton [Hinzufügung - wp] "willkürlich" schöpft seine Berechtigung aus der unmittelbaren Gewißheit unserer inneren Erfahrung, und die Verfolgung der Kausalitätsverhältnisse psychischen Geschehens darf an der Selbstbestimmung des Willens einen ersten Ruhepunkt finden; ein solcher fehlt bei den von STEINTHAL aufrechterhaltenen Voraussetzungen HERBARTs; wenn willkürliche Aufmerksamkeit ein vorübergehender Zustand einer unserer zahllosen Vorstellungen ist, so kann man die Frage, was diesen Zustand veranlaßt, nicht unterdrücken. Aber man vermag im STEINTHAL'schen Sinne nur die Antwort zu finden, daß sich die kausale Wirkung von Vorstellung auf Vorstellung rückwärts ohne Abschluß fortsetzt, oder die Seele in eine Vielheit von autonomen Subjekten zerfällt. Beides widerspricht dem Urteil unseres eigenen Bewußtseins. Auch der Apperzeptionsakt als solcher ist bei STEINTHAL kein in sich abgeschlossener psychischer Vorgang, über den die innere Erfahrung unmittelbar urteilen könnte; muß er doch erst wieder apperzipiert werden, um überhaupt in das Bewußtsein einzugehen. Diese und andere Widersprüche der STEINTHAL'schen Theorie mit der unmittelbaren Gewißheit der inneren Erfahrung gehen zum größeren Teil aus der Abhängigkeit von HERBART hervor. An HERBARTs mathematische Hilfsmittel, die LAZARUS in seinem "Leben der Seele" vermeidet, könnte die von STEINTHAL gegebene "algebraische Formulierung der Apperzeption" erinnern. Über den Nutzen derselben dürfte man wohl Zweifel hegen. Denn beispielsweise trägt die Formel der Verschmelzung:  P + A1 = A2  wenig zur Verdeutlichung der verbalen Erklärung des Vorgangs bei, die etwa so lautet: "Aus der Verschmelzung der apperzipierten (P) mit der apperzipierenden Vorstellung (A1) resultiert eine neue Vorstellung (A2), die qualitativ mit der letzteren gleich, quantitativ aber mehr ist als diese." Von einer ausreichenden Vertretung der verbalen Erklärung durch die Formel kann aber kaum die Rede sein. Denn in den angewandten mathematischen Zeichen liegt dem gewöhnlichen Gebrauch zufolge nichts von dem hier in sie gelegten Sinn; jedenfalls verlieren diese Zeichen ihren Wert, wenn sie in jedem einzelnen Fall ihrer Anwendung erst erklärt werden müssen.

Ich möchte hier beiläufig die Einwendungen STEINTHALs gegen die Gleichungsform  a - a = 0  zurückweisen (60). Die Gleichung  a - a = 0  ist nichts anderes als eine durch das Postulat der Konformität gerechtfertigte Schreibweise des Satzes der Identität  a = a Man darf daher in den beiden Urteilen  a - a = 0  und  b - b = 0  die Null nicht als einen Mittelbegriff ansehen, dessen Elimination zu einem neuen Urteil führen könnte. Wenn man auch durch formal berechtigte Operationen aus den beiden genannten das Urteil  a - a = b - b  oder  a - b = a - b  ableitet, so sagt dasselbe doch nicht mehr und nicht weniger aus, als jedes der beiden ersteren für sich, nämlich, daß irgendein beliebige Größe sich selbst gleich ist (3). Daß aber STEINTHAL in eine "algebraische" Gleichung gleichzeitig quantitative und qualitative Beziehungen hineinlegt (60, Anm.), ist wohl der Mathematik nicht zum Vorwurf zu machen.


2. Steinthals Klassifikation
der Apperzeptionsvorgänge

Die charakteristische Eigentümlichkeit der STEINTHAL'schen Apperzeptionstheorie ist die Klassifikation der Apperzeptionsvorgänge. Bei derselben fällt zunächst in die Augen, daß der Einteilungsgrund nur für die drei ersten Arten der Apperzeption festgehalten, für die vierte Art gänzlich fallen gelassen wird. Davon abgesehen wäre die Frage aufzuwerfen, ob der vorgeschlagene Einteilungsgrund sachgemäß ist. Sollte man denselben, da er sich auf logische Beziehungen stützt, nicht vielmehr für eine etwaige Einteilung der Perzeptionen aufsparen? Denn diese sind Erkenntnisse im logischen Sinne (49), während sich die Apperzeptionsvorgänge, im ausdrücklichen Gegensatz dazu, als ausschließlich psychologische Erscheinungen herausgestellt haben. In der Tat erweist sich der von STEINTHAL gewählte Einteilungsgrund stellenweise als unvorteilhaft. Logisch können Identität und Nichtidentitä recht gut zusammengestellt werden, aber ihrem psychologischen Wert nach gehören die positiv und negativ identifizierende Apperzeption schwerlich unter eine Kategorie. Ist ein bekannter Gegenstand sinnlich gegeben, so vollzieht sich in der Seele der Prozeß des Wiedererkennens, indem die entsprechende ältere Vorstellung reproduziert wird und mit der gegebenen verschmilzt. Wenn man dagegen ein Ding sucht, so ist bereits vor dem sinnlichen Eindruck eine ältere Vorstellung aus irgendwelchen Motiven zur eventuellen Apperzeptions vorbereitet, ganz ohne Rücksicht darauf, ob das Gesuchte, dessen Bild sie ist, gefunden wird oder nicht. Demgegenüber ist der psychologische Wert einer identifizierenden und einer subsumierenden Apperzeption oft kaum verschieden. Wenn er aber verschieden ist, wie z. B. wenn wir einen uns begegnenden Menschen entweder als einen Freund erkennen oder nur unter die Gattung "Mensch" zu verweisen vermögen, so liegt die Verschiedenheit für unser Bewußtsein nicht im logischen Verhältnis der apperzipierenden und der apperzipierten Vorstellung, sondern in der Verschiedenheit der den psychischen Vorgang begleitenden Gefühle. Die Unzweckmäßigkeit des STEINTHAL'schen Einteilungsgrundes erklärt auch den eigentümlichen Versuch, eine gesamte Wissenschaft unter eine Apperzeptionsart zu stellen (208), z. B. die Mathematik unter die subsumierende Apperzeption. Zunächst wäre es eine kleine Mühe, mathematische Urteile mit allen möglichen Begriffsverhältnissen zu bilden; aber wie ich als Individuum einen mathematischen Satz, den ich lese oder höre, apperzipiere, hängt nicht von der logischen Stellung des Satzes, sondern von seiner Stellung zu mir ab. Es kommt ganz darauf an, ob ich den Satz als solchen kenne, oder ob ich ihn selbst nicht, aber einen allgemeinen Satz kenne, der ihn enthält, oder ob ich nur die Erinnerung an ähnliche, etwa nebengeordnete Sätze, an ihn anzuknüpfen vermag; ich würde ihn dementsprechend einer identifizierenden oder einer subsumierenden oder einer harmonisierenden Apperzeption unterwerfen.

Auf ein ansich wichtiges Gebiet geistiger Tätigkeit weist STEINTHAL mit seiner schöpferischen Apperzeption hin, wiewohl er damit über seine Apperzeptions- oder psychologische Erkenntnistheorie hinausgeht. Bei der genannten Apperzeptionsform ist die von STEINTHAL als das Subjekt des Apperzeptionsaktes angesehene Vorstellung während des ganzen psychischen Vorgangs noch gar nicht vorhanden, sondern entspringt erst als schließliches Resultat aus der schaffenden Vorstellungsbewegung. Sie kann daher nur in sehr gezwungener Auffassung als Subjekt des Vorgangs bezeichnet werden.

In keinem Fall gibt diese Auffassung eine wirkliche Erklärung der in Rede stehenden Vorgänge. Sollte es sich aber nur um eine Beschreibung handeln, so hätte die Sprache einen Reichtum anschaulicher Bezeichnungen, welche die einzelnen Erscheinungen treffender schildern könnten, als die geflissentliche und oft gesuchte Anwendung des Wortes "apperzipieren" vermag. Überhaupt kann die Mehrzahl der von STEINTHAL bei Gelegenheit der Klassifikation der Apperzeptionen aufgezählten seelischen Prozesse nur den Eindruck hervorrufen, daß es sich bei denselben um weit mehr handelt, als um die Bewegung zweier Vorstellungsmassen gegeneinander zur Erzeugung einer Erkenntnis (134).


3. Der Steinthal'sche Apperzeptionsbegriff in
seiner Beziehung zum Leibniz'schen

Wenn STEINTHAL schon infolge seiner Abhängigkeit von HERBART einen einseitigen Standpunkt gegen die von LEIBNIZ angeregte Frage vertritt, so hat er namentlich in zwei Punkte den Absichten, welche LEIBNIZ mit der Schöpfung des Apperzeptionsbegriffs verhand, wenig entsprochen, nämlich in seiner Auffassung des Verhältnisses zwischen Apperzeption und Perzeption und der Beziehung zwischen Apperzeption und Bewußtsein. Nachdem LEIBNIZ vom Begriffe der Perzeption den der Apperzeption abgesondert hatte, um nicht alle beim Erkenntnisproze? beteiligten Momente im Wort  Perzeption  begreifen zu müssen, hat STEINTHAL umgekehrt alle diese Momente in den Terminus Apperzeption gelegt (147) und damit den von LEIBNIZ angebahnten Fortschritt wieder aufgehoben. Ein richtiger Gedanke liegt diesem Rückschritt zugrunde. STEINTHAL meint, daß eine Perzeption im gewöhnliche Sinne des Wortes ebensowenig vorkommt, als eine vollständige Beseitigung allen Seeleninhaltes beim entwickelten Menschen unter normalen Verhältnissen möglich ist. Aber das isolierte Vorkommen der Perzeption ist mit dem Gebrauch des Wortes  Perzeption  im gewöhnlichen Sinn noch nicht behauptet (4), und jedenfalls ist es gestattet, die unterscheibaren Teile eines Ganzen einzeln zu benennen, auch wenn sie nicht selbständig ohne das Ganze vorkommen. Indem STEINTHAL das Wort "Perzeption" zur Bezeichnung der Produktion der primärsten Seelenregungen infolge äußerer Reize verwirft (151), sieht er sich veranlaßt, demselben eine andere Stelle anzuweisen. Er läßt der Apperzeption eine geistige Handlung, die geistige Erfassung der durch die Apperzeption bereits fertig ausgebildeten Erkenntnis nachfolgen (150) und nennt diesen neuen Akt  Perzeption.  Dabei läßt er die Frage, was eigentlich diese Perzeption durch die bloße logische Prüfung (149) einer bereits fertigen Erkenntnis für den logischen Wert der letzteren leisten soll, wenn bei der Herausbildung der Erkenntnis durch die Apperzeption jede logische Direktion gefehlt hat, unberührt. Ebensowenig geht aus seinen Erörterungen hervor, ob das Subjekt, welches die Handlung der Perzeption ausübt, wie das Subjekt der Apperzeption, unter den Vorstellungsmassen der Seele zu suchen ist, oder ob nach Vollzug der Apperzeption die Seele selbst den gewonnenen Resultaten gegenübertritt und die logische Erfassung derselben ausführt. Die letztere Annahme ist wohl nicht im Sinne STEINTHALs (167); die erstere würde den psychologischen Unterschied der beiden Vorgänge der Perzeption und Apperzeption nicht klar übersehen lassen. Unstreitig bedürfte aber eine so auffallende Abweichung vom gewöhnlichen Sprachgebrauch, wie sie STEINTHAL beim Wort "Perzeption" für angezeigt hält, einer eingehenderen Begründung. Wenn auch, wie JOHN STUART MILL in der Einleitung zu seiner Logik äußert, daß jeder Autor das Recht beanspruchen darf, seinen Erörterungen eine von ihm gewählte Definition, sozusagen als Abgrenzung seiner Fragestellung, vorauszuschicken, so ist dabei doch die Pflicht auferlegt, daß die durch die vorläufige, subjektive Definition eröffneten Wege am Schluß der Erörterung wieder in einem Punkt zusammenlaufen und die einzelnen Resultate sich zu einer objektiven Definition verdichten, die in den vorangegangenen Erörterungen ihre Quelle zugleich und ihre Rechtfertigung findet. Eine solche Rechtfertigung enthalten die Auseinandersetzungen STEINTHALs über das Verhältnis der Apperzeption und Perzeption durchaus nicht in ausreichendem Maße. Mit der fundamentalen Änderung des Unterschiedes der Begriffe Perzeption und Apperzeption hängt es zusammen, daß STEINTHAL noch eine andere, von LEIBNIZ angebahnte Unterscheidung völlig verwischt. Hatte LEIBNIZ die Entwicklung des Bewußtseins zum Selbstbewußtsein mit der allmählichen Entfaltung der Perzeption zur Apperzeption in eine Parallele gestellt, so bricht STEINTHAL mit dem Satz: "Beide, Perzeption und Apperzeption, können die Gunst der Bewußtheit haben oder nicht" (148) wiederum jede dem Bewußtsein empfindbare und der inneren Erfahrung zugängliche Schranke zwischen beiden psychischen Erscheinungen ab.

Wenn die STEINTHAL'sche Apperzeptionstheorie auf der einen Seite eine Fülle wertvoller Beobachtungen auf dem Gebiet der inneren Erfahrung gesammelt hat, so deuten auf der anderen Seite ihre unverkennbaren Mängel auf die Unmöglichkeit hin, den Apperzeptionsbegriff auf dem Boden der HERBART'schen Psychologie weiterzubilden. Wenn der Seeleninhalt in eine Unzahl handelnder Subjekte aufgelöst wird, so fehlt überall ein leitendes Prinzip, welches Ordnung und Einheit in das Chaos der selbsttätigen Vorstellungsbewegungen bringt. Wohl finden sich bei LAZARUS und STEINTHAL Versuche, diese Einheit herzustellen, aber sollten diese Versuche eine Aussicht auf Erfolg haben, so mußten sie die Grundlagen der HERBART'schen Apperzeptionstheorie gänzlich fallen lassen und, auf LEIBNIZ zurückgehend, die Spontaneität, welche KANT für seine transzendentale Apperzeption in Anspruch genommen hatte, auch als Grundprinzip der Apperzeption überhaupt anerkennen. Im letzteren Sinne ist in den "Grundzügen der physiologischen Psychologie" von WUNDT (2. Auflage, 1880) eine neue Grundlegung der Apperzeptionstheorie erfolgt.

Ich versuche im folgenden Abschnitt die Hauptgesichtspunkte dieser Theorie zu charakterisieren. In einem ersten Kapitel (A) soll es sich zunächst um die neue Definition des Apperzeptionsaktes, sodann um die Spontaneität, schließlich um die Motive der Apperzeption handeln. Nachdem so die Eigenschaften des elementaren Apperzeptionsaktes für sich festgestellt worden sind, soll in einem zweiten Kapitel (B) in Umrissen angedeutet werden, welche Rolle die Apperzeptionstätigkeit auf den verschiedenen Gebieten des psychischen Lebens spielt. Die angekündigte Darstellung bezweckt zugleich, in Gestalt eines kurzen systematischen Überblicks das Wesen der spontanen Tätigkeit zu beleuchten, mit welcher das Subjekt im Erkenntnisakt und im Denken seinen eigenen Vorstellungen gegenübertritt, und darzutun, in welcher Weise durch den neuen Apperzeptionsbegriff die Erledigung der LEIBNIZ'schen Fragestellung angebahnt ist.


IV. Der Apperzeptionsbegriff bei Wundt

A. Der einfache Apperzeptionsakt;
Apperzeption und Perzeption


1. Apperzeption und Perzeption mit Beziehung
auf ihren Erfolg definiert

Die Vorstellungen, welche sich in einem Augenblick gleichzeitig in unserem Bewußtsein befinden, sind für unsere Selbstauffassung nach dem Grad ihrer Deutlichkeit von sehr verschiedenem Wert. Sie verhalten sich ähnlich wie die Bilder der äußeren Gegenstände welche gleichzeitig auf die lichtempfindlichen Teile unserer Netzhaut fallen. Wie die Deutlichkeit dieser Bilder am größten ist an der Stelle der Zentralgrube und rings um diese in mehr oder minder rascher Abstufung bis zur völligen Dunkelheit abnimmt, so treten auch im Bewußtsein dunklere Vorstellungselemente gegen ein einzelnes, momentan durch seine Deutlichkeit ausgezeichnetes Element zurück. Sagt man daher in bildlicher Ausdrucksweise von den überhaupt für einen bestimmten Moment dem Bewußtsein gegenwärtigen Vorstellungen, daß sie sich im  Blickfeld  des Bewußtseins befinden, so kann man die deutliche Region dieses Blickfeldes als den  Blickpunkt  des Bewußtseins bezeichnen. Unter  Perzeption  soll dann der Eintritt einer Vorstellung in das Blickfeld des Bewußtseins verstanden werden (5).

Während die Stelle des direkten Sehens im Auge physiologisch bestimmt und abgegrenzt ist, besitzt der innere Blickpunkt bezüglich seiner Ausdehnung eine ziemliche Beweglichkeit, indem er sich bald auf ein Minimum von Vorstellungsinhalt konzentrieren kann, bald ein weiteres Gebiet zu umfassen vermag. Freilich nimmt in der Regel mit wachsender Ausdehnung des Blickpunktes die Schärfe der Apperzeption ab, wogegen sich andererseits bei zunehmender Zusammenziehung seine eigene Helligkeit und zugleich die Dunkelheit der übrigen Regionen des inneren Blickfeldes steigert.

Zeitlich geht der Apperzeption einer Vorstellung ihre Perzeption voraus, obwohl uns diese Sukzession oft nicht zu Bewußtsein kommt. Aber die Unterscheidung beider Vorgänge ist umso mehr begründet, als WUNDT experimentell nachgewiesen hat, daß zwischen Perzeption und Apperzeption eine wenigstens indirekt meßbare Zeit verfließt (6).


2. Die Apperzeption als Willensakt

Die Entscheidung darüber, ob eine gegebene Vorstellung in einem bestimmten Moment apperzipiert oder nur perzipiert ist, liegt nach der gegebenen Definition allein in unserem eigenen Bewußtsein. Aber wir bemessen den Grad der Apperzeption einer Vorstellung nicht bloß nach dem Erfolg derselben, d. h. nach der Deutlichkeit, zu der sich die apperzipierte Vorstellung für unser Bewußtsein erhebt. Wir empfinden gleichzeitig eine psychische Aktion, welche diesen Erfolg hervorbringt. Die Erhebung einer Vorstellung in den Blickpunkt des Bewußtseins ist gleichbedeutend mit einer Willenshandlung, der Erfassung der Vorstellung durch die Aufmerksamkeit. Je stärker daher das den Apperzeptionsakt begleitende Spannungsgefühl uns den Aufwand an Willenskraft empfinden läßt, umso mehr wächst die Deutlichkeit der apperzipierten Vorstellung. Die doppelte Arbeit des Willens bei der Apperzeptionstätigkeit besteht in der Steigerung der Aufmerksamkeit und in der Anpassung derselben an den gegebenen Eindruck; diese bedingt die Schärfe, jene die Stärke der Apperzeption, und von beiden Bedingungen hängt die Klarheit der apperzipiereten Vorstellung ab. Ihrem Wesen nach ist also die Apperzeption eine Einwirkung des Willens auf die Vorstellungen. Dem Einfluß des Willens hat die Vorstellung ihre Erhebung in den Blickpunkt des Bewußtseins zu verdanken und umgekehrt erscheint jeder elementare Einfluß des Willens auf die Vorstellungen als eine Kraft, welche die Vorstellung in den Blickpunkt des Bewußtseins zu ziehen strebt.

Einzig auf der Eigenschaft der Apperzeption, ein Willensakt zu sein, beruth ihr Verhältnis zum Selbstbewußtsein. Wie die Willkür unserer körperlichen Bewegungen die Anfänge unseres Selbstbewußtseins bestimmt, so beruth das entwickeltere Selbstbewußtsein auf der inneren Tätigkeit der Apperzeption. In diesem Sinne kann die Apperzeption einer Vorstellung eine Erhebung derselben in das Selbstbewußtsein genannt werden; nicht weil die Apperzeption einer Vorstellung auch eine Auffassung unseres Ich als des Eigentümers dieser Vorstellung nötig machte, sondern weil die Apperzeptionstätigkeit als solche eine subjektive Bestätigung der Spontaneität unseres Ich abgibt. Die Beziehung zwischen äußerer Willenshandlung und Apperzeption ist keine bloße Analogie. Im Gegenteil ist die Apperzeption der primitive Willensakt, der jeder äußeren willkürlichen Handlung vorangeht, sofern man dabei vom Einfluß der Übung absieht, der ebensowohl die äußeren als die inneren Willenshandlungen allgewaltig beherrscht. In der Tat müssen wir, bevor wir eine uns nicht geläufige Bewegung ausführen können, die Vorstellung derselben apperzipiert haben. Die Tätigkeit des Willens bei der Apperzeption und bei den körperlichen Bewegungen ist auch ihrem Wesen nach durchaus nicht verschieden. In solchen Fällen, wo auf die Apperzeption einer Wahrnehmung infolge irgendeines Zusammenhangs mit einer bestimmten Bewegung reagiert wird, stellt der Apperzeptionsakt und die Reaktion im wesentlichen einen zusammenhängenden Vorgang dar. Auch zeitlich sind beide Vorgänge nicht getrennt, sobald die willkürliche Bewegung und der auslösende Sinneseindruck in fester Verbindung stehen und sich nicht etwa zwischen Wahrnehmung und Bewegung noch ein Wahlakt einschiebt.


3. Die Motive der Apperzeption

Wenn die Apperzeption als innere Willenshandlung erkannt ist, wird man die Bedingungen derselben erst mit vollem Recht als Motive der Apperzeption bezeichnen dürfen. Die Betrachtung der Apperzeptionsmotive beleuchtet zunächst das Verhältnis der Apperzeption und der Perzeptioni von einer neuen Seite. Die Perzeption, der Eingang einer Vorstellung in das Blickfeld des Bewußtseins, ist eine unmittelbare Folge äußerer oder innerer Reize von vermutlich rein physiologischer Natur. Die Perzeption  muß  jederzeit stattfinden, wenn die betreffenden Reize vorangegangen sind und eine gewisse, durch physiologische Verhältnise bestimmte Intensität besitzen. Erst nachdem eine Vorstellung, mag sie ein Anschauungs- oder ein Erinnerungsbild sein, perzipiert worden ist, gewinnt sie die Bedeutung eines Motives, d. h. sie vermag durch die mit ihr verknüpften Gefühle einen psychologischen Reiz auf den Willen auszuüben. Der Erfolg dieser Reizung des Willens durch die perzipierte Vorstellung ist die Apperzeption der Vorstellung. Die Apperzeption ist indessen nicht in derselben Weise determiniert, wie die Perzeption, was schon daraus hervorgeht, daß von einer gebotenen Menge perzipierter Vorstellungen doch in einem bestimmten Moment regelmäßig nur eine apperzipiert wird. Wenn sich auch die Frage im Allgemeinen nicht sicher beantworten läßt, wie viele Vorstellungen in einem gegebenen Augenblick gleichzeitig perzipiert werden, so ist doch soviel aus der unmittelbaren inneren Beobachtung gewiß, daß der Apperzeption immer die Möglichkeit einer Auswahl unter den perzipierten Vorstellungen geboten ist, wenn wir uns derselben auch nicht immer bewußt werden. Daraus folgt, daß die Reize, welche von den einzelnen perzipierten Vorstellungen auf den Willen ausgeübt werden können, nicht gleichmäßig zur Geltung kommen. Den stärksten Reiz muß die schließlich apperzipierte Vorstellung ausgeübt haben, sei es daß ihr Vorrang von vornherein unbestritten blieb, sei es daß er erst nach einer längeren Abwägung entschieden wurde. Diejenige Kraft, welche sich in der perzipierten Vorstellung aufgrund der durch sie erweckten Gefühle für den Augenblick entwickelt, mag als der  momentane Gefühls-  oder  Motivwert  der Vorstellung bezeichnet werden. Derselbe ist kein konstantes Attribut der Vorstellung, sondern abhängig teils von der ganzen Fülle ihrer Beziehungen zu den mit ihr gemeinsam perzipierten und vor ihr apperzipierten Vorstellungen, teils von Gewöhnung und Individualität, von Neigung und augenblicklicher Stimmung der Seele. Nach dem momentanen Motivwert der perzipierten Vorstellung richtet sich die Apperzeption; unter einer Reihe simultan perzipierter Vorstellungen wird diejenige apperzipiert, welche im Augenblick der Apperzeption den größten Motivwert besitzt. Wenn der Motivwert einer perzipierten Vorstellung unmittelbar mitgegeben und, ohne daß eine Abwägung stattgefunden hat, die Apperzeption eindeutig bestimmt ist, so wird diese nach WUNDT als eine  passive Apperzeption  bezeichnet. Keines der mit den perzipierten Vorstellungen gleichzeitig disponibel gewordenen Motive kommt hierbei zu Bewußtsein, aber Willensakt und Motivierung desselben finden ihren bewußten Ausdruck im Eingang der Vorstellung in den inneren Blickpunkt. Das schließliche Resultat ist dasselbe bei der  aktiven Apperzeption,  bei welcher die relative Gleichheit der Motivwerte einzelner der perzipierten Vorstellungen eine vorherige Abwägung derselben fordert und wir uns deshalb in höherem Maße der Willenstätigkeit und der sie bestimmenden Gefühle bewußt werden. Der Unterschied der passiven und aktiven Apperzeption ist also im Allgemeinen der, daß jene eindeutig, diese mehrdeutig durch ihre Motive bestimmt ist.

Die Motive der Apperzeption selbst sind teils äußere, teils innere. Die äußeren Motive sind an die Sinnesempfindungen geknüpft. Jede einzelne Empfindung wird bei hinreichender Intensität die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Unter mehreren gleichzeitigen Empfindungen gewinnt in der Regel die an Intensität bedeutendste die Oberhand; unter mehreren simultanen und gleich starken Empfindungen wirkt oft diejenige bestimmend auf die Apperzeption, welche etwa kurz vorher gesondert zu Bewußtsein gekommen war. Die letzte Art der Apperzeptionsbestimmung steht bereits an der Schwelle der inneren Motive. Die einfachste Form dieser geht meist noch mittelbar aus der wirklichen Empfindung hervor. Es wird etwa durch eine einzelne von verschiedenen simultanen Empfindungen eine ältere Vorstellung reproduziert und der Motivwert der ersteren durch ihre Übereinstimmung mit dem Erinnerungsbild erhöht. Aber auch ohne die Beteiligung irgendeiner Sinnesempfindung wird der Apperzeptionsvorgang allein durch reproduzierte Vorstellungen bestimmt, welche sich vermöge der sie begleitenden Gefühle als innere Reize geltend machen und eindeutig oder mehrdeutig die Apperzeption bestimmen. Die näheren Umstände dieser Motivbestimmung werden erst weiterhin bei der Durchmusterung des Wirkungsgebietes der Apperzeption deutlicher hervortreten.


4. Der einfache Apperzeptionsakt im
Zusammenhang der Vorstellungsbewegungen

Der einfache Apperzeptionsakt, die Erhebung einer perzipierten Vorstellung in den Blickpunkt des Bewußtseins, hat nicht die Wirkung, daß die apperzipierte Vorstellung als ein völlig isoliertes Bild, losgerissen aus dem Zusammenhng aller gleichzeitigen, aller vorangehenden und nachfolgenden Vorstellungen im Blickpunkt des Bewußtseins fixiert wird. Vielmehr pflegt die Apperzeption die Verbindung der momentan bevorzugten Vorstellung mit anderen ihr nahe stehenden geradezu zu begünstigen. Denn erstens zeigen sich infolge der Apperzeption die etwaigen Berührungspunkte der apperzipierten Vorstellung mit anderen in einem helleren Licht. Sodann verursacht die Ermüdung der Aufmerksamkeit die rasche Verdrängung der apperzipierten Vorstellung durch andere irgendwie mit ihr verwandten Elemente. Infolgedessen erscheint der einfache Apperzeptionsakt in der Regel als ein Glied des organischen Zusammenhangs unserer Vorstellungsbewegung, ohne daß er jedoch bei seiner Verflechtung mit anderen psychischen Vorgängen seine charakteristischen Merkmale einbüßt: Die Apperzeption ist überall eine Willenshandlung gegenüber den Vorstellungen; die Apperzeption führt regelmäßig die Erhebung gewisser Vorstellungselemente in den Blickpunkt des Bewußtseins herbei; die Motive der Apperzeption liegen in den mit den Vorstellungen verknüpften Gefühlen. Der letzte dieser drei Umstände ist es hauptsächlich, der die Mannigfaltigkeit der seelischen Prozesse bedingt, in denen die Apperzeption mitspielt. Je nachdem die eindeutige oder mehrdeutige Motivbestimmung bei diesen Prozessen vorherrscht, ist der Charakter der resultierenden Vorstellungsbewegungen selbst ein verschiedener. Die im ersteren Fall bei vorwiegend passiver Apperzeption sich vollziehenden Verbindungen der Vorstellungen werden nach WUNDT als  assoziative,  die von der aktiven Apperzeption geleiteten als  apperzeptive  Vorstellungsverbindungen bezeichnet. Beide unterscheiden sich subjektiv durch den Grad des Innervationsgefühls [Nervenimpulse - wp], von dem sie begleitet werden, und objektiv durch den Grad der Gesetzmäßigkeit, mit der sie erfolgen.

Ich beabsichtige im Folgenden einen Überblick über die verschiedenen Formen des Vorstellungsverlaufs mit Rücksicht auf dessen Abhängigkeit von der Apperzeption zu geben. An erster Stelle soll von der Bedeutung der Apperzeption für den assoziatien Vorstellungsverlauf, an zweiter von den eigentlichen apperzeptiven Vorstellungsverbindungen gehandelt, und im Anschluß daran drittens auf die psychischen Tätigkeiten hingewiesen werden, an deren Erfolgen die passive und aktive Apperzeption ihren gemeinsamen Anteil haben.


B. Die Apperzeptionstätigkeit
im Verlauf der Vorstellungen


1. Die passive Apperzeption und
die assoziativen Vorstellungsverbindungen


a) Die Apperzeption bei der simultanen Assoziation

Alle unsere Vorstellungen bilden sich durch eine psychologische Synthese aus einfacheren Elementen. Die Verbindung dieser Elemente steht als  assoziative Synthese  (7) noch wesentlich unter dem Einfluß der äußeren Verhältnisse, welche den Eingang der sinnlichen Empfindung in unser Bewußtsein begleiten. Aber infolge der geringen Ausdehnung des Blickpunktes unseres Bewußtseins können in der apperzipierten Gesamtvorstellung nicht gleichzeitig die einzelnen Empfindungselemente die Stärke und Bedeutung bewahren, welche ihren objektiven Verhältnissen entsprechen würde. Daher findet im Akt der Apperzeption die Aussonderung eines herrschenden Elementes aus dem Gesamtbild der durch eine assoziative Synthese verknüpften Vorstellungen statt. Das herrschende Element allein tritt in den Blickpunkt des Bewußtseins, weil es nach erfolgter Perzeption an momentanem Gefühlswert die übrigen überwog. Aber die Wirkung der zurückgedrängten Elemente wird nicht völlig vernichtet. Auch sie geben, weil sie unter dem Einfluß der Apperzeption in der Nähe des Blickpunktes gehalten werden, zur besonderen Färbung der durch das herrschende vertretenen Gesamtvorstellung ihren Beitrag. Die eigentümliche Anordnung der Vorstellungselemente in der assoziativen Synthese ist meistens subjektiv eindeutig bestimmt. Aber die eindeutige Bestimmung ist keine absolute Kausalität, die sich auf den objektiven Verhältnissen jener Elemente allein aufbaut, sondern die Bestimmungsgründe haben durchaus den Charakter von Willensmotiven, deren Erfolg von einem unabhängigen Beobachter höchstens mit einem höheren oder geringeren Grad der  Wahrscheinlichkeit  vorausgesagt werden kann.

Der Apperzeption stehen bei der Bildung der Vorstellungen nicht nur die Bestandteile der wirklichen Empfindungen zur Verfügung. Die Perzeption einer Empfindungsvorstellung ist immer begleitet von der Perzeption verwandter Erinnerungsbilder. Daher geschieht es häufig, daß eine Empfindungsvorstellung nicht für sich allein apperzipiert wird, sondern im Akt der Apperzeption mit einer entsprechenden reproduzierten Vorstellung verschmilzt. Bei dieser Verschmelzung ereignet sich umso leichter eine völlige  Assimilation  der Empfindungsvorstellung durch das Erinnerungsbild, da infolge der Enge des Bewußtseins etwa vorhandene Unterschiede der beiden Elemente der Verschmelzung dem Bewußtsein verloren gehen. Die ursprünglich gegebene Vorstellung macht bereits mit ihrer Perzeption die zur Assimilation geeigneten Vorstellungen disponibel, und die Apperzeption bestimmt gleichzeitig mit der assimilierenden Vorstellung auch das herrschende Element des Assimilationsprozesses. Der ganze Vorgang der Assimiliation vollzieht sich in einem einzigen Apperzeptionsakt; er hört auf, in die Kategorie der simultanen Assoziation zu gehören, wenn die gegebene Vorstellung erst für sich apperzipiert wird und hierauf der Wille in den Reproduktionsvorgang eingreift, um die jener entsprechende assimilierende Vorstellung zu fixieren. Oft wird auch die wirklich gegebene Vorstellung so schwach und unvollkommen sein, daß keines ihrer Elemente für sich einen merklichen Motivwert besitzt, sondern erst durch die gegenseitige Beeinflussung der ursprünglichen und der reproduzierten Elemente ein Willensmotiv zustande kommt. Daraus erklärt sich zum großen Teil die Abhängigkeit unserer Wahrnehmungen von der individuellen Beschaffenheit unserer Erinnerungsbilder.

Bei der Komplikation liegt die Tätigkeit des Willens ähnlich wie bei der assoziativen Synthese in der Aussonderung des herrschenden Elementes, mag dasselbe nun den sinnlich gegebenen Perzeptionen oder den durch Reproduktion bewirkten Zutaten entnommen sein. Auch hier handelt es sich um eine eindeutige Motivbestimmung, aber zugleich tritt wieder die Abhängigkeit des Motivwertes einer gegebenen Vorstellung von subjektiven Gründen hervor. So wird beim Anblick einer Frucht der Maler mehr die gegebene Gestalt derselben, als etwa die reproduzierte Geschmacksempfindung, der Obstgärtner vielleicht in erster Linie den Namen der Fruchtsorte mit Aufmerksamkeit erfassen. Ähnlich verhält es sich bei der doppelten Komplikation einer Vorstellung mit ihrem Sprachlaut und der Vorstellung der entsprechenden Ausdrucksbewegung. Je nach seinem Naturell wird ein Mensch, wenn er einen Freund nach langer Trennung wiedersieht, im ersten Moment der Begegnung den Namen des Freundes ausrufen oder sich aber in stummer Freude vielleicht des Namens gar nicht bewußt werden. Auch hier ist es eine passive Apperzeption, welche die Vorstellung des Freundes zur Auffassung bringt. Ein Bewußtwerden irgendeiner Willenstätigkeit findet nicht statt, aber die Verschiedenheit des möglichen Erfolges beweist, daß eine Willensbestimmung eingewirkt hat.


b) Die Apperzeption bei der sukzessiven Assoziation

Während die verschiedenen Formen der simultanen Assoziation jeweils von einer simultanen Apperzeption begleitet sind, deren Erfolg darin besteht, daß die beteiligten Vorstellungselemente nicht als gesonderte Elemente im Bewußtsein bestehen bleiben, sondern in einer resultierenden Gesamtvorstellung aufgehen, löst sich bei der sukzessiven Assoziation auch die Willenstätigkeit in eine Reihe sukzessiver Apperzeptionen auf, dergestalt, daß die assoziativ verknüpften Vorstellungen ihre volle Individualität bewahren. Hier wie dort macht sich die geringe Ausdehnung des Blickpunktes bemerkbar; dort verursacht sie ein Zusammenfließen der einzelnen Vorstellungselemente, hier eine Verdrängung der einen Vorstellung durch die andere. Dennoch ist auch bei der sukzessiven Assoziation die Aufeinanderfolge der Apperzeptionsakte nicht als eine völlig unstetige zu betrachten. Vor allem müssen die assoziativ verknüpften Vorstellungen in irgendeiner, wenn auch rein subjektiven Beziehung zu einander stehen; jedenfalls ist diese Beziehung am innigsten zwischen denjenigen Elementen, welche bei der verdrängten Vorstellung im letzten, bei der verdrängenden im ersten Moment ihres Daseins im inneren Blickpunkt die herrschenden sind. Dieser Umstand vermittelt einen leichten Übergang der Apperzeption von einer Vorstellung zur anderen. Dabei wird das herrschende Element der abgehenden Vorstellung den Motivwert der nachfolgenden wesentlich beeinflussen und zum guten Teil den Vorzug derselben vor der Menge der zur Reproduktion bereit liegenden Vorstellungen bestimmen. So ist z. B. bei der Wortassoziation der Wortlaut der verdrängten Vorstellung maßgebend. Mitunter können sich Reproduktion und Apperzeption der nachfolgenden Vorstellung vollziehen, ohne daß überhaupt ein anderes Element der vorangegangenen als die zugehörige Lautvorstellung zu Bewußtsein gekommen ist.

Die gegenseitige Stellung der passiven Apperzeption und der Assoziation überhaupt ist nach dem Gesagten dahingehend aufzufassen, daß die Assoziation die möglichen Formen der Vorstellungsverbindung bestimmt, dagegen die passive Apperzeption, ohne den durch die Assoziationsgesetze gegebenen allgemeinen Charakter der assoziativen Verbindung zu stören, die spezielle Ausführung und besondere Färbung derselben vollzieht und zu Bewußtsein bringt.


c) Übergang der passiven in die aktive Apperzeption

Auch wenn unser Bewußtsein von der Tätigkeit des Willens bei der passiven Apperzeption nicht viel gewahr wird, so ist darum doch die Zuziehung des Willens bei der Erklärung der assoziativen Vorstellungsverbindungen notwendig. Es wird damit vor allem der Irrtum vermieden, also ob die Assoziationsvorgänge durch die bloße Verwandtschaft der beteiligten Vorstellungen allein bestimmt wären. Die treibenden Kräfte des Auf- und Absteigens der Vorstellungen sind in Wahrheit die Gefühle. Selbst Vorstellungsverbindungen vom reinsten assoziativen Charakter sind nur möglich, weil die Masse der Vorstellungen durch die Vermittlung von Gefühlen zu ein und demselben Willen in Beziehung tritt und der Apperzeption durch ein und dasselbe Subjekt unterliegt. So richtet sich die passive Apperzeption bei allen assoziativen Verbindungen nicht nach der objektiven Qualität der perzipierten Vorstellung, sondern nach deren Gefühlswert. Im gleichen Sinn ist es der Wettstreit der Gefühle und nicht der Vorstellungen, welcher der Tätigkeit der aktivenn Apperzeption ihre subjektiv höhere Bedeutung verleiht. Die verschiedene Art der Motivbestimmung, welche einerseits die aktive von der passiven Apperzeption unterscheidet, bedingt andererseits durch ihren stetigen Wechsel einen allmählichen Übergang der letzteren in die erstere. Allerdings kann die Mehrdeutigkeit der Motivbestimmung, welche das charakteristische Merkmal der aktiven Apperzeption abgibt, auf die einfachste Weise dadurch zustande kommen, daß die Motivwerte mehrerer simultan perzipierter Vorstellungen bei deren Eintritt in das innere Blickfeld annähernd gleich erscheinen und eine Abwägung derselben vor erfolgter Apperzeption nötig wird. Aber in weitaus den meisten Fällen komplizieren sich die Verhältnisse. Indem die Apperzeption beginnt aus der passiven in die aktive Form überzugehen, hört sie auf ohne weiteres dem ersten Anstoß der unmittelbaren Motive zu folgen. Die mehr und mehr geübte  Verzögerung  des Apperzeptionsaktes begünstigt sodann den Zutritt neuer Motive, welche neben den unmittelbar mit den perzipierten Vorstellungen verknüpften sich Geltung verschaffen. Dieselben sind teils Nachwirkungen vorangegangener Willensbestimmungen, teils werden sie zwar durch die perzipierten Vorstellungen, aber unter Vermittlung der verschiedenartigsten Umstände hervorgerufen, teils weisen sie auf Quellen zurück, die von den perzipierten Vorstellungen ganz unabhängig sind. Das Resultat der Mitwirkung dieser mittelbaren, in hohem Grad subjektiven Motive ist, daß der Motivwert der perzipierten Vorstellungen immer weniger als ein Produkt der zufälligen Beziehungen dieser Vorstellungen zueinander erscheint. Demnach ist der Übergang der passiven in die aktive Apperzeption dadurch bedingt, daß, gleichzeitig mit der Abschwächung der unmittelbaren Motive, gewisse bevorzugte Motivvorstellungen, die durch den leisesten Anstoß verwandter Gebilde reproduziert werden, eine überwiegende Bedeutung gewinnen. Die wechselnden Gefühlselemente verdichten sich zu konstanteren Gefühlen, die als bleibender Maßstab an das von der Assoziation geschaffene Vorstellungs- und Gefühlsmaterial herangebracht werden. Eben dadurch, daß die Hinzuziehung jener beharrlichen Motive beim Apperzeptionsakt scheinbar unbegründet stattfindet, befestigt sich in uns der Eindruck der Autonomie der aktiven Apperzeption. Der Wille als aktive Apperzeption bietet unserem eigenen Bewußtsein die Garantie, daß der Vorstellungsverlauf mehr und mehr dem wechselnden Spiel der Assoziation entrissen wird und sich der Kampf der verschiedenen Motive zugunsten der in der Seele festgewurzelten Motivgruppen entscheidet.

Die Herrschaft des Willens über die Assoziation macht ihre Gewalt in doppelter Richtung geltend. Der Wille unternimmt einerseits eine Verarbeitung des von der Assoziation selbständig herbeigeschafften Materials zu  apperzeptiven Vorstellungsverbindungen  und übt andererseits eine  Direktion der assoziativen Vorstellungsbewegung  selbst aus. Das gemeinsame Merkmal dieser beiden Willenstätigkeiten ist die Mehrdeutigkeit ihrer Motivierung, aber der Konflikt der Motive wird bei der Direktion der assoziativen Vorstellungsbewegung dem Bewußtsein meist noch in einem höheren Grad fühlbar, als bei der einfachen apperzeptiven Verbindung. Dagegen entfernt sich bei dieser die Form der Verbindung gänzlich von der assoziativen Verbindungsweise, während bei der Direktion assoziativer Bewegung der Wille die assoziativen Verbindungsweise zwar in seinem Dienst ausnützt, aber in ihrer Form bestehen läßt. Obwohl sich die apperzeptive Verbindung und die Direktion der Assoziation gegenseitig ergänzen und im zusammengesetzten Vorstellungsverlauf fortwährend ineinandergreifen, sollen diese beiden Tätigkeiten aktiver Apperzeption im Folgenden einer gesonderten Betrachtung unterworfen werden.


2. Die aktive Apperzeption und die
apperzeptiven Vorstellungsverbindungen

Die apperzeptiven Vorstellungsverbindungen zeichnen sich, obwohl sie aus den assoziativen als ihren Vorstufen entwickelt werden, vor diesen durch den subjektiven und objektiven Wert ihrer Resultate aus. Sie bringen uns das Vorstellungsmaterial, welches die passive Apperzeption vorbereitend in assoziativen Verbindungen zusammengetragen hat, in gesetzmäßig gegliederter Anordnung zu Bewußtsein. Geht daher auch nach längerer Übung der Eindruck der mehrdeutigen Motivbestimmung bei der apperzeptiven Vorstellungsverbindung dem Bewußtsein verloren, so prägt sich doch der gesetzmäßige Einfluß der aktiven Apperzeption als objektives Merkmal der fertigen Verbindung auf. Aus zwei Gründen bedarf das von der Assoziation gelieferte Material einer weiteren Bearbeitung durch die aktive Apperzeption. Erstens weil die Menge der ursprünglichen assoziativen Simultanverbindungen einen ungeordneten Haufen zahlloser Einzeldinge bildet, zweitens weil sich die durch sukzessive Apperzeption verknüpften Vorstellungen zu endlosen Reihen zusammensetzen, die für das Bewußtsein wegen ihrer Gleichförmigkeit keinen Ruhepunkt darbieten. Dementsprechend bewirkt die aktive Apperzeption als verbindende Apperzeption eine Zusammenziehung unseres Vorstellungsinhaltes in geschlossene Gruppen durch die  Entwicklung der Gesamtvorstellungen  und als zerlegende Apperzeption eine Gliederung unserer Vorstellungsreihen durch die  Entwicklung des Gedankenverlaufs.  Sie ermöglicht so nach doppelter Gesetzmäßigkeit einen Überblick über die Gesamtgruppen unseres Seeleninhaltes und einen Einblick in die einzelnen Elemente desselben.


a) Die Apperzeption bei der Entwicklung
der Gesamtvorstellungen

Schon bei der Agglutination [Eingliederung - wp] (8) macht sich die Wirksamkeit der aktiven Apperzeption bemerkbar. Die Verbindung zweier ursprünglich durch Assoziation aneinander gereihter Vorstellungen vollzieht sich in der Weise, daß zwar jede von beiden ihre selbständige Bedeutung behält, aber ihre Verbindung den Charakter der zufälligen und äußerlichen Verknüpfung verliert. Die Apperzeption läßt sich nämlich nicht mehr in völliger Passivität vom ursprünglichen Motiv der Verbindung leiten. Indem sie auf die eine Vorstellung übergehend die andere festhält, wendet sich die Aufmerksamkeit gerade dem Verbindungsmotiv zu, und so entsteht das Bewußtsein, daß die Auswahl der besonderen Verbindung unter vielen möglichen ansich Bedeutung hat. Diese Bedeutung ist es, welche sich im herrschenden Moment der Gesamtvorstellung widerspiegelt. In kontinuierlichen Übergängen reihen sich an die Erscheinung der Agglutination, welche in den Wortzusammensetzungen der Sprache ihre Verkörperung findet, die nahe miteinander verwandten Prozesse der  Verschmelzung  und  Begriffsbildung  an. Bei der Verschmelzung verlieren die beiden ursprünglich assoziativ verbundenen Bestandteile ihre Selbständigkeit zugunsten des Verschmelzungsprodukts. Begründet ist der Vorgang ebenfalls darin, daß die Apperzeption nicht mehr von den einzelnen Elementen der Vorstellungsgruppe vorübergehend gefesselt wir, sondern eine Fortdauer der Motivwirkung auch über den einzlnen Apperzeptionsakt hinaus stattfindet. Der Wille beginnt die Motive, die mit den sukzessiv im Bewußtsein auftauchenden Vorstellungen verknüpft sind, gegeneinander abzuwägen und in diese Abwägung immer größere Gruppen von Motiven einzuschließen. Da er aber nicht vermag, die Gesamtheit der einzelnen Elemente einer Vorstellungsgruppe im Blickpunkt zu halten, sondert er aus der umfassenderen Gruppe ein herrschendes Element aus. Indem nun die Apperzeption dieses herrschende Element in den Blickpunkt des Bewußtseins erhebt, vermag sie zugleich den Einfluß der übrigen rege zu halten und die Bedeutung des Ganzen im Bewußtsein zu fixieren. Das Resultat der Verschmelzung behält trotz seiner einseitigen Auffassung den psychologischen Wert seines ganzen Inhaltes. Die fertigen Verschmelzungsprodukte können daher wieder als Elemente in neue Verschmelzungsakte hineingezogen werden. So gehen aus wiederholten Verdichtungen und Verschiebungen inhaltvollere Gebilde hervor, die immer wieder durch ein herrschendes Element vertreten werden. Bei jedem Akt des Begreifens und Verstehens, bei jeder geistigen Aneignung bilden sich unter dem Einfluß höherer Motive apperzeptive Gesamtvorstellungen. Wenn wir einen gehörten Gedanken verstehen wollen, so erfassen wir ein Wort nach dem andern, das eine mehr, das andere weniger stark, mit der Aufmerksamkeit; wir können nicht jedes vorangegangene im Blickpunkt des Bewußtseins erhalten, wenn wir das folgende aufnehmen wollen; aber das verdrängte Wort verflüchtigt sich nicht, wie bei der sukzessiven Assoziation, sobald das neue eintritt. Der Wille greift bei dem ganzen Vorgang fortwährend ein; er hält die einzelnen Vorstellungselemente zunächst in der Nähe des Blickpunktes, vereinigt sie bereits zu kleineren Gruppen, die er an ihren herrschenden Elementen festhält, und bildet nach und nach aus jenen Gruppen die Gesamtvorstellung des Gedankens, welche mit dem Gedanken gleichwertig ist, ohne daß in ihrer Apperzeption die einzelnen Elemente neben dem herrschenden selbständig zur Geltung kommen. Wir empfinen deutlich die Willensarbeit, die wir beim gespannten Anhören eines Vortrags leisten. Wir kennen auch den Erfolg, den ein Nachlassen der Willensspannung herbeiführt; die einzelnen Wortvorstellungen werden vielleicht noch apperzipiert, aber der Gesamteindruck zerfließt in einen wesenlosen Schein. Bei der Bildung der Gesamtvorstellungen nehmen die Motive der aktiven Apperzeption immer zusammengesetztere Gestalt an. Mehr und mehr geht die Möglichkeit verloren, sie irgendwie aus der gegenseitigen Beziehung der Vorstellungen und ihrer Elemente abzuleiten. Der Wille tritt dem gebotenen Stoff immer selbständiger gegenüber und verfügt über ihn nach selbständigen Gesetzen. Man wird schließlich zu einem Postulat der Begreiflichkeit der Dinge seine Zuflucht nehmen müssen, um ein allgemeines Motiv für die sich in aktiver Perzeption vollziehende Begriffsbildung zu finden.

Natürlich ist dieses Motiv kein metaphysischer Zusatz zur menschlichen Individualität, sondern findet sich seinerseits begründet in der Entwicklung des Menschen und geht in seiner spezifischen Färbung für den einzelnen durch Verdichtung zahlloser Motive hervor. Aber wenn auch die Seelenprozesse, welche die Bildung der Gesamtvorstellungen bewirken, im Laufe der menschlichen Entwicklung immer mehr den Charakter einfacher psychischer Vorgänge verlieren, weil sie sich sachlich bedeutend komplizieren und zeitlich über die momentane Dauer des einfachen Apperzeptionsaktes hinausgehen, so sind sie doch immer entschiedener vom Bewußtsein der Spontaneität begleitet und tritt an ihren Resultaten immer deutlicher die Gesetzmäßigkeit ihrer Schöpfung hervor.


b) Die Apperzeption bei der Entwicklung
des Gedankenverlaufs

In die Entwicklung der inhaltreicheren Gesamtvorstellungen greift neben der verbindenden auch schon die zerlegende Tätigkeit der aktiven Apperzeption ein. Die zusammengesetzten Vorstellungsgruppen, welche im Verlauf des Denkens in das Bewußtsein treten, müssen zum Zweck ihrer Verwendbarkeit zu neuen Kombinationen wiederum zergliedert werden. Weder diese Gliederung ansich, noch die Art derselben ist durch die perzipierte Gesamtvorstellung und ihre Beziehung zum Bewußtsein unmittelbar motiviert. Auch hier tritt wieder der Wille dem gebotenen Stoff selbständig gegenüber, geleitet von intellektuellen Motiven, die ansich mit der Qualität der zu zergliedernden Vorstellungen nicht viel zu tun haben. Daher die einfache Gesetzmäßigkeit der apperzeptiven Gliederung bei der wechselnden Beschaffenheit der Vorstellungsmassen, eine Gesetzmäßigkeit, in der sich das Wesen der Apperzeption deutlich ausspricht. Das  Gesetz der Zweiteilung,  welches überall die Entwicklung des Gedankenverlaufs beherrscht und in der Form des Urteils seinen Ausdruck findet, ist darin begründet, daß sich der Natur der Apperzeption gemäß in einem Moment nur ein einziger apperzeptiver Denkakt vollzieht; soll derselbe ein zerlegender sein, so muß er eine einfache Zerlegung, also eine Zweiteilung sein.

Während die passive Apperzeption an den reproduzierten Vorstellungen hingleitet, ohne die sukzessiven Apperzeptionsakte ihrer Bedeutung nach zu unterscheiden, verharrt die aktive Apperzeption im Akt des Urteils bei einer bestimmten Gesamtvorstellung und macht dem Bewußtsein den Unterschied der einzeln apperzipierten Bestandteile derselben fühlbar. Jeder Gedanke, dessen Zerlegung ihren Ausdruck in einem Urteil findet, muß zunächst in seiner Totalität perzipiert werden. Wenn sich dabei auch regelmäßig zwei herrschende Elemente aussondern, die in sukzessiver Apperzeption in den Blickpunkt des Bewußtseins treten, so beeinflußt doch die in dunkleren Regionen des Blickfeldes liegende Gesamtvorstellung den Vorgang, und als Resultat des ganzen Zerlegungsaktes tritt gerade das Gesamtbild wieder in einer deutlicheren Auffassung hervor. Wenn sich bei der Apperzeption der beiden herrschenden Elemente diese sich wieder als zusammengesetzt erweisen, so werden sie neuen Zweiteilungen unterworfen, und durch die so bedingte Sukzession verschiedener apperzeptiver Zerlegungen bilden sich die Gedankenketten. Allerdings vermischen sich im zusammengesetzten Gedankenverlauf immer assoziative mit apperzeptiven Verbindungen. Aber je entschiedener die Zwecke der Gedankenarbeit dem Bewußtsein als intellektuelle Motive vorschweben, und je dringlicher die klare Erfassung der einzelnen Bestandteile der zergliederten Vorstellungsgruppen von der Aufmerksamkeit verlangt wird, umso deutlicher empfindet das denkende Subjekt an der gesteigerten Innervationsgröße die Kraftäußerung einer aktiven Apperzeption.


3. Direktion der assoziativen Vorstellungs-
verbindung durch die aktive Apperzeption.

Die aktive Apperzeption begnügt sich, wie oben erwähnt, nicht damit, das durch die Zusammenhänge der äußeren Eindrücke und durch die Assoziation vorgebildete Material von Anschauungs- und Erinnerungsbildern zu verbinden und zu zerlegen; sie vermag auch von vornherein auf den Verlauf der Assoziation einen bestimmenden Einfluß geltend zu machen. Der resultierende Vorstellungsverlauf bleibt seiner Form nach assoziativ, gewinnt aber subjektiv durch die fühlbare Mehrdeutigkeit der Motivbestimmung in hohem Grad den Charakter der apperzeptiven Verbindung. In der Tat sind die Eingriffe der Apperzeption in den assoziativen Verlauf der Vorstellungen meist von starken Spannungsgefühlen begleitet. Die Beeinflussung der Assoziation durch den Willen erscheint teils als eine bloße Modifikation der assoziativen Verbindungen aus Anlaß ferner liegender Motive, teils als eine direkte Leitung des assoziativen Verlaufs der Vorstellungen nach vorbedachten Zielen.


a) Modifikation der assoziativen
Vorstellungsverbindungen

Schon bei der  assoziativen Synthese  kann die Apperzeption einen aktiven Charakter annehmen, wenn die Auswahl des herrschenden Empfindungselementes den natürlichen Intensitätsverhältnissen der Elemente widerspricht. So wenn wir in einer Klangempfindung statt des an Intensität bei weitem überwiegenden Grundtons einen schwachen Oberton mit der Aufmerksamkeit festhalten. Der Wille bringt dann oft selbständige Hilfsmittel herbei, um den nötigen Zwang auszuüben. Er erhöht sozusagen künstlich den Motivwert eines perzipierten Vorstellungselementes, wozu er natürlich seinerseits von stärkeren Motiven veranlaßt wird. Wir erwecken z. B., von irgendeinem wissenschaftlichen Interesse geleitet, das isolierte Erinnerungsbild des Obertons, den wir aus dem erwarteten Klang heraushören wollen. Die Übereinstimmung der reproduzierten Vorstellung mit einem Element der perzipierten Klangvorstellung wird dann zunächst die Aufmerksamkeit auf das letztere ziehen, aber bald würde die Apperzeption der natürlichen Macht des intensiveren Empfindungselementes nachgeben, wenn der Wille dasselbe nicht unterdrückte, indem er den Blickpunkt möglichst auf das schwächere Element konzentriert. Dabei empfindet das Bewußtsein deutlich den Zwang, welchen die Unterdrückung des sinnlich bevorzugten Empfindungselementes ausübt. Ebenso wie die assoziative Synthese kann die  Assimilation  infolge eines Motivkonflikts ihre rein assoziative Natur einbüßen. So wenn der Wille durch irgendwelce Motive veranlaßt wird, einen sinnlichen Eindruck an gewisse vorgefaßte Vorstellungsbilder anzupassen, obwohl die unwillkürliche Reproduktion andere mit sich bringt, die dem Eindruck weit mehr entsprechen mögen. Auf ähnliche Weise erfährt der rein assoziative Verlauf der  Komplikationen  und  sukzessiven Assoziationen  nicht selten Störungen durch die mannigfach motivierten Eingriffe der aktiven Apperzeption. Überall sind diese Eingriffe dadurch charakterisiert, daß die unmittelbar mit den beteiligten Vorstellungselementen mitgegebenen Motive gehemmt und durch andere mehr oder minder gewaltsam herbeigezogene verdrängt werden. In dem gesteigerten Gefühl der Anstrengung findet der dabei hervorgerufene Konflikt der Motive seine subjektive Bestätigung.


b) Leitung des assoziativen Vorstellungsverlaufs

Neben die bloße Modifizierung der assoziativen Vorstellungsverbindung stellt sich die direkte Leitung der Assoziation durch den Einfluß des Willens. Diese apperzeptive Tätigkeit tritt in ihrer einfachsten Form hervor, wenn wir uns auf etwas besinnen, d. h. eine Vorstellung, die uns nur unbestimmt in schattenhaften Umrissen vorschwebt oder deren Dasein in unserer Seele wir nur vermuten, reproduzieren und in den Blickpunkt unseres Bewußtseins heben wollen. Der Wille gibt in einem solchen Fall den Anstoß zu einer Vorstellungsbewegung, die ungefähr die gewünschte Richtung hat; nun überläßt er diese Bewegung der treibenden Kraft der Assoziation, beherrscht sie aber mit fortdauernder Aufmerksamkeit, insofern er jedes durch assoziative Verwandschaft gebotene Abschweifen vom vermutlich richtigen Weg verhindert und so direkt die Vorstellungsreihen zwingt, mehr und mehr gegen das vorgestellte Ziel zu konvergieren. Der Akt des Besinnens verflicht sich im zusammengesetzteren Vorstellungsverlauf auch mit den simultanen und sukzessiven Denkverbindungen; die verwickelteren Formen der Gedankenverdichtung und Gedankengliederung stehen fast regelmäßig mit der eigentlicen Gedankenleitung in Wechselwirkung. Wenn uns beispielsweise bei der Lektüre eines wissenschaftlichen Buches ein Gedanke für den Moment unverständlich erscheint, d. h. nur eine dunkle Gesamtvorstellung in uns erweckt, so läßt der Wille, während er diese zu zerlegen bemüht ist, gleichzeitig assoziative Reihen reproduzierter Vorstellungen, deren Richtung er nach Maßgabe jener dunklen Vorstellung fixiert, vor dem geistigen Auge vorüberziehen, bis sich Vorstellungen finden, die durch ihre nähere Verwandtschaft mit der leitenden Gesamtvorstellung zu deren Aufklärung beitragen können. Der Verlauf der reproduzierten Vorstellungen ist hierbei seiner allgemeinen Form nach assoziativ, wenn er auch öfters von den apperzeptiven Verknüpfungsweisen der logischen Gedankenarbeit unterbrochen wird und als Resultat des ganzen, planmäßig geleiteten Vorgangs ein logischer Begriff hervorgehen mag. Die dunkle Gesamtvorstellung, um deren Bearbeitung es sich handelt, braucht aber nicht durch den äußeren Eindruck der Schriftzeichen erweckt und festgehalten zu sein, sondern kann irgendwie im Verlauf einer sukzessiven Reproduktion ihren Ursprung genommen haben. Wir werden z. B. durch zufällige Reproduktion zweier Vorstellungskomplexe auf einen Widerspruch zwischen denselben aufmerksam. Die unbestimmte Vorstellung von der Möglichkeit einer Lösung des Widerspruches bildet den Mittelpunkt einer apperzeptiven Gedankenarbeit. Der Wille gibt allerdings zu einer assoziativen Bewegung Veranlassung, um das nötige Material zum Vergleichen und Abwägen zu erlangen; doch fehlt es an allgemeinen logischen Regeln für die Herbeischaffung dieses Materials; denn diese ist wesentlich assoziativer Natur. Aber daß die schaffende Kraft der Assoziation geschlossenen Bahnen gleichen, die immer wieder in ihren Ausgangspunkt zurücklaufen, das ist nicht im Wesen der Assoziation begründet, sondern lediglich der Erfolg der aktiven Apperzeption.

Der Akt des Besinnens, der sich als selbständigste Äußerung apperzeptiver Energie in den verschiendensten Färbungen auf dem Gebiet geistiger Arbeit wiederfindet, bildet auch die Elementarform der eigentlichen Phantasie- und Verstandestätigkeit. Diese höheren, in einem prägnanten Sinne schöpferischen Apperzeptionstätigkeiten komplizieren sich in ihren Einzelheiten immer mehr, aber je vielseitiger ihre Verknüpfung wird und je mehr sich die Fäden ihrer Begründung im Labyrinth endloser Motivreihen verlieren, umso deutlicher tritt die gesteigerte Innervationsempfindung als subjektives und die Planmäßigkeit als objektives Merkmal der Apperzeptionsakte hervor. Die Planmäßigkeit findet ihre Begründung in der Konstanz des leitenden Motivs, welches die Richtung der Assoziation und die Abwägung der untergeordneten Motive bestimmt. Dieses leitende Motiv ist wiederum an eine mehr oder minder unfertige Gesamtvorstellung, sei es von anschaulichem, sei es von begrifflichem Charakter geknüpft. Auch bei den höchsten Formen produktiver Geistesarbeit ergänzen sich Assoziation und Apperzeption gegenseitig. Der Wille allein ist nicht imstande, eine neue Vorstellung zu erwecken und auszubilden, ohne sich auf den Zusammenhang der mit ihr verwandten Gebilde zu stützen. Die eigentliche Schöpfung ist das Werk der Assoziation, welche aus jeder gegebenen Vorstellung neue Vorstellungsreihen erzeugt und in ihrer eigenen Tätigkeit ihre Nahrung findet. Aber der Wille beherrscht gesetzgebend die ungebundene Schöpfungskraft der Assoziation und zwingt sie in den Dienst seiner höheren Zwecke. Überall ruht das Maß der geistigen Produktion auf der Ergiebigkeit assoziativer Veranlagung, aber was dem schaffenden Geist Ziel und Wert seiner Arbeit sichert, ist die Spontaneität der Apperzeption und die Beharrlichkeit ihrer Motive.


C. Rückblick auf Wundts
Theorie der Apperzeption

Trifft die neue Auffassung der Apperzeption auch in ihren Einzelheiten durchaus nicht mit der LEIBNIZ'schen zusammen, so könnte man doch in ihr das Ziel verkörpert sehen, welches LEIBNIZ angestrebt hat. Denn sie zeichnet die Apperzeption nicht nur durch das Merkmal der Spontaneität vor der bloßen Perzeption aus, sondern stellt sie als Grundform und Elementarbestandteil einer jeden Äußerung des menschlichen Willens hin. Trotz dieser fundamentalen Betonung des Willens geht für den neuen Apperzeptionsbegriff der Einfluß des Seeleninhaltes auf den Erkenntnis- und Denkvorgang nicht verloren. Nur wird dieser Einfluß nicht unter dem unbestimmten Bild einer Machtäußerung der einen Vorstellung auf die andere gesucht, wie von den Vertretern der HERBART'schen Apperzeptionstheorie, sondern im Motivwert der Vorstellungen gefunden. Der Wille ist nicht unabhängig vom Vorstellungsinhalt der Seele; denn seine Motive sind an die Vorstellungen der Seele gebunden. Aber diese Vorstellungen bilden keine unbegrenzte Zahl selbsttätiger Subjekte, sondern enthalten nur eine Mehrheit von Bestimmungsgründen ein und desselben Willens. Im Willen laufen die Fäden der unzähligen Motivreihen der entwickelten Seele zusammen, und von ihm als dem Kraftmittelpunkt gehen die angeregten Kräfte wiederum aus. Die Vorstellungen der Seele sind die Vorstellungen  einer  Seele, weil es  ein  Wille ist, der ihre Bewegungen leitet. Dieser eine Wille ist  unser  Wille, weil es  unsere  Gefühle sind, die ihn bestimmen. Die Apperzeption aber ist das Handeln unseres Willens auf dem Gebiet unserer Vorstellungen, und nur in diesem Handeln empfinden wir selbst die Einheit unseres Willens. Deshalb ist die Apperzeption, wie auch LEIBNIZ und KANT annahmen, die Grundlage unseres Selbstbewußtseins.

Überdies dürfte die aktive Apperzeption auch im LEIBNIZ'schen Sinne den Vorzug der denkenden Seelen vor den niederen Seele begründen. Wenn man nämlich den Tieren willkürliche Bewegungen zugesteht, so muß man auch annehmen, daß sie die Bewegungsvorstellungen zu apperzipieren vermögen. Ihre Apperzeptionstätigkeit wird freilich wenig über die einfachste Erscheinungsform der passiven Apperzeption hinausgehen. Wie aber die Unterscheidung der aktiven und passiven Apperzeption einzig und allein in der Art der Motivbestimmung liegt, so wird auch die sukzessive Entwicklung der Apperzeption von den niederen zu den höheren Stufen weniger in einer qualitativen Veränderung der Willenstätigkeit, als vielmehr in einer fortwährenden Bereicherung und detaillierten Gruppierung des Motivinhaltes der Seele bestehen.

Was das Wirkungsgebiet der Apperzeption als einer inneren Willenstätigkeit betrifft, so ist dasselbe, wie aus der vorstehenden Darstellung hervorgeht, von bedeutendem Umfang und reicht insbesondere in all die psychischen Vorgänge hinein, welche die Vertreter der HERBART'schen Schule unter ihren Apperzeptionsbegriff gefaßt haben. Darum ist es aber doch nicht, wie bei STEINTHAL, jeder psychische Vorgang, der sich auf jenem Wirkungsgebiet vollzieht, schlechthin eine Apperzeption genannt. Überall, wo im Erkenntnisakt und im Denken der Geist seinen Vorstellungen gegenübertritt, erscheint die Apperzeption als die eigentliche geistige Tätigkeit, ohne sich deshalb in eine Menge von Apperzeptionsarten zu spalten. So mannigfaltig die Apperzeptionsprozesse in ihren Zusammenhängen und Motivierungen sein mögen, die Qualität der Willensaktion bleibt ihr gemeinsames und unveräußerliches Merkmal.
LITERATUR Otto Staude, Der Begriff der Apperzeption in der neueren Psychologie, Philosophische Studien, Bd. 1, Leipzig 1883
    Anmerkungen
    1) Die beigefügten Nummern bedeuten die Seitenzahlen von LAZARUS, Leben der Seele II, 2. Auflage.
    2) Die beigefügten Nummern bedeuten die Paragraphen von STEINTHAL, Abriß der Sprachwissenschaft I, 1. Auflage.
    3) WUNDT, Logik I, Seite 74
    4) LAZARUS, Leben der Seele II, Seiten 41 und 42. WUNDT, Physiologische Psychologie I, Seite 271
    5) WILHELM WUNDT, Physiologische Psychologie, 2. Auflage, Kap. 15, 2.
    6) WUNDT, a. a. O. Kapitel 16
    7) WUNDT, a. a. O. Kapitel 17, 1
    8) WUNDT, Logik I, Seite 26f