cr-4ra-2 R. LiefmannJ. SchumpeterTugan-BaranowskiR. Stolzmann    
 
JOHN STUART MILL
(1806-1873)
Über die Worte produktiv und unproduktiv

"Die Worte produktiv und unproduktiv sind überflüssig, da die Worte nützlich und angenehm und nutzlos und wertlos ohne weiteres ausreichen..."

Vermutlich lassen sich kaum zwei Worte finden, über deren richtigen Gebrauch die Meinungen unter den Nationalökonomen stärker geteilt sind als bei den zwei Worten  produktiv  und  unproduktiv,  gleichgültig, ob sie sich nun auf Arbeit, Konsum oder Ausgaben beziehen.

Obwohl es sich hier lediglich um eine terminologische Frage handelt, so rechtfertigt ihre Wichtigkeit doch, daß wir einen weiteren Versuch unternehmen, sie zufriedenstellend zu beantworten. Denn obwohl die Ökonomen sich nicht über die Vorstellungen geeinigt haben, die sie gewöhnlich mit diesen Ausdrücken bezeichnen, so werden diese Termini doch im allgemeinen dazu verwandt, sehr bedeutsamen Ideen Ausdruck zu verleihen, und es ist unmöglich, daß die Ideen selbst durch die Ungenauigkeit der Worte, mit denen sie gewöhnlich ausgedrückt werden, nicht auch in gewisser Weise an Klarheit verlieren. Außerdem sind, solange der pedantische Widerstand gegen die Einführung neuer technischer Ausdrücke bestehen bleibt, die sorgfältigen Denker, die sich mit Fragen der Moral und der Politik auseinandersetzen, auf ein sehr kärgliches Vokabular angewiesen, wenn sie ihren Gedanken Ausdruck verleihen wollen.

Es ist daher sehr wichtig, daß die Worte, die den Menschen vertraut sind, so gut wie nur möglich zu Instrumenten des Denkens umgeformt werden; daß ein Wort nicht dazu verwendet wird, einen Gedanken zu bezeichnen, der mit einem anderen Terminus bereits hinreichend genau ausgedrückt werden kann; und daß Worte, die zur Bezeichnung sehr wesentlicher Gedanken nötig sind, nicht dafür in Anspruch genommen werden, relativ unwichtige Gedanken auszudrücken.

Die Ausdrücke  produktive  Arbeit und  produktiver Konsum  sind von einigen Autoren der Nationalökonomie mit sehr großem Bedeutungsspielraum verwandt worden. Diese Ökonomen haben alle Arbeit, die einen sinnvollen Zweck erfüllt, und allen Konsum, der nicht nutzlos ist, als produktive Arbeit bzw. produktiven Konsum betrachtet und klassifiziert. McCULLOCH hat sehr wortreich behauptet, die Arbeit Madame PASTAs könne mit dem gleichen Recht als produktiv bezeichnet werden wie die eines Baumwollspinners.

In diesem Sinne angewandt, sind die Worte  produktiv  und  unproduktiv  überflüssig, da die Worte  nützlich  und  angenehm  auf der einen Seite und  nutzlos  und  wertlos  andererseits ohne weiteres ausreichen, um alle Gedanken auszudrücken, die hier mit den Worten  produktiv  und  unproduktiv  wiedergegeben werden sollen.

Dieser Gebrauch der beiden Worte ist dem Zweck der Sprache abträglich.

Diejenigen unter den Autoren, die die Termini in einem engeren Sinne benutzt haben, haben unter produktiver oder unproduktiver Arbeit gewöhnlich solche Arbeit verstanden, die Wohlstand produziert, bzw. solche, die keinen Wohlstand schafft. Aber was ist Wohlstand? Somit erhielten die Worte produktiv und unproduktiv hier eine zusätzliche Vieldeutigkeit je nachdem, wie weitgefaßt die verschiedenen Autoren den Begriff  Wohlstand  verstanden.

Einige verwandten den Begriff Wohlstand für  alle Dinge,  die dem Nutzen oder der Freude der Menschen dienen und einen Tauschwert besitzen. Diese letztere Einschränkung hat man hinzugefügt, um Luft, Sonnenlicht und andere ähnliche Dinge auszuschließen, die ohne Arbeit und Verzicht in unbegrenzter Menge erhältlich sind, sowie auch alle Dinge, die zwar mit Arbeit erzeugt werden, aber im allgemeinen nicht für so wertvoll erachtet werden, daß sie auf dem Markt einen Preis haben.

Doch als man sich daran machte, diese Definition zu erklären, war man vielfach geneigt, den Satz " alle Dinge,  die dem Nutzen oder der Freude der Menschen dienen" so zu interpretieren, daß er sich lediglich auf alle  materiellen  Dinge bezog. Viele Autoren weigerten sich,  immaterielle  Güter als Wohlstand anzuerkennen, und charakterisierten Arbeit oder Ausgaben, die lediglich immaterielle Güter hervorbrachten, als unproduktiv.

Die Anwort darauf lautete, oder hätte lauten können, daß dieser Klassifikation zufolge die Arbeit eines Zimmermanns, der sein Handwerk ausübt, produktive Arbeit ist, die Arbeit desselben Zimmermanns aber, wenn er sein Handwerk erlernt, unproduktive Arbeit ist. Es steht jedoch außer Frage, daß in beiden Fällen seine Arbeit ausschließlich zu dem diente, was als Produktion anerkannt worden ist, nämlich dem Endergebnis, und eins von dem anderen nicht zu trennen ist. Darüber hinaus wären wir bei Annahme der obigen Definition gezwungen, zu behaupten, eine Nation, deren Handwerker doppelt so viel können wie die einer anderen Nation, sei  ceteris paribus  [unter sonst gleichen Bedingungen - wp] nicht reicher als die andere, obwohl es doch offensichtlich ist, daß das erstere Land jedes einzelne Resultat des Wohlstandes und jedes einzelne Gut, um dessentwillen der Wohlstand angestrebt wird, in höherem Maße besitzt als das letztere.

Jede Klassifikation, die es erlaubt, einen Korb mit Kirschen, die gepflückt und in der nächsten Minute aufgegessen werden, als Wohlstand zu bezeichnen, während sie den erworbenen Fähigkeiten von Arbeitern, die man als produktive Arbeiter anerkennt, diese Bezeichnung abspricht, ist rein willkürlich und entspricht nicht dem Zweck, für den Klassifikation und Terminologie bestimmt sind.

Um alle Schwierigkeiten auszuräumen, scheinen einige Ökonomen geneigt, die beiden Worte einen Unterschied ausdrücken zu lassen, der zwar in der Tat ausreichend definitiv, dafür jedoch noch sehr viel willkürlicher ist und sich noch viel weniger auf die Natur gründet als alle früheren Unterscheidungsmerkmale. Sie erkennen einer Arbeit oder einer Ausgabe nur dann die Bezeichnung produktiv zu, wenn das Produkt, das sie hervorbringt, wieder in die Hände derselben Person zurückkehrt, die die Arbeit geleistet oder die Ausgabe getätigt hat. Eine Hecke ziehen oder einen Graben ausheben bezeichnen sie als produktive Arbeit, obgleich diese Arbeiten nur indirekt zur Produktion führen, indem sie nämlich das Produkt vor Zerstörung bewahren.

Doch die Ausgaben, die eine Regierung zwangsläufig hat, um Eigentum zu schützen, sind nach unumstößlicher Meinung dieser Autoren unproduktiver Verbrauch. Daran ändert auch die Tatsache nichts, daß, wie McCULLOCH sehr zu recht festgestellt hat, diese Ausgaben in Relation zum Wohlstand der Nation vollkommen den Löhnen eines Arbeiters entsprechen, der Hecken oder Gräben zieht. Der einzige Unterschied liegt darin, daß der Bauer, der das Hecken- und Grabenziehen bezahlt, hinterher auch diejenige Person ist, die den Nutzen der höheren Produktion hat, wogegen die Regierung, die die Kosten für Polizeibeamte und Gerichte trägt, den aus dem Schutz des Eigentums resultierenden Zuwachs an Volkswohlstand nicht als notwendige Folge ihrer Tätigkeit wieder in ihre Schatztruhen zurückerhält.

Es würde zu keinem Ende führen, wollten wir die Eigentümlichkeiten und Ungereimtheiten aufzählen, die sich aus dieser Klassifikation ergeben. Ob wir nun die Worte  Wohlstand  und  Produktion  im weitesten oder engsten Sinne betrachten, in dem sie jemals verwandt worden sind: niemand wird bestreiten, daß Straßen, Brücken und Kanäle in sehr beträchtlichem Maße und sehr direkt zu einer höheren Produktion und einer Steigerung des Wohlstandes beitragen. Die bei ihrem Bau eingesetzte Arbeit und investierten Geldmittel würden, der obigen Theorie zufolge, nur dann als produktiv gelten, wenn jeder Anlieger durch Gesetz gezwungen würde, ein so langes Stück der Straße oder des Kanals zu bauen, wie durch seinen Landbesitz führt. Baut stattdessen die Regierung oder eine Vereinigung von Einzelpersonen die Straße und übergibt sie der Öffentlichkeit, ohne Zoll zu erheben, so wären Arbeit und Ausgaben nach dem obigen Denkschema eindeutig unproduktiv.

Baut die Regierung oder eine Gruppe von Einzelpersonen jedoch die Straße und erhebt einen Zoll zur Deckung der Ausgaben, so könnten diese Autoren sich unserer Meinung nach nicht weigern, diesen Auslagen die Bezeichnung "produktive Ausgaben" zuzuerkennen. Daraus würde folgen, daß genau dieselbe Arbeit und genau dieselben Ausgaben unproduktiv genannt werden müssen, wenn sie kostenlos zur Verfügung gestellt werden, und produktiv, sobald eine Bezahlung dafür verlangt wird.

Wann immer diese Konsequenzen der rein willkürlichen Klassifikation, auf die wir uns hier beziehen, herausgearbeitet und kritisiert worden sind, war die einzige Antwort, die wir bisher darauf zu hören bekamen, die Trennungslinie müsse nun einmal irgendwo gezogen werden, und bei jeder Klassifikation gäbe es solche dazwischenliegenden Fälle, die mit fast gleicher Berechtigung in jede der beiden Klassen eingeordnet werden könnten.

Diese Antwort läßt unserer Ansicht nach das Fehlen einer hinreichend präzisen und kritischen Vorstellung davon erkennnen, welche Art von Ungenauigkeit sich bei einer Klassifikation im allgemeinen nicht vermeiden läßt und von welcher anderen Ungenauigkeit eine Klassifikation stets frei sein kann und sollte.

Die Klassen selbst lassen sich - theoretisch gesehen - absolut scharf voneinander abgrenzen, obwohl es vielleicht nicht immer leicht ist, zu bestimmen, in welche Klasse ein bestimmtes Objekt gehört. Wenn unklar ist, in welche von zwei Klassen ein Objekt eingestuft werden soll, so kann sich - wenn die Klassifikation richtig durchgeführt und korrekt ausgedrückt ist - die Unsicherheit lediglich um ein Faktum drehen. Es ist also nicht klar, zu welcher Klasse ein Objekt gehört, da man nicht genau weiß, ob es in stärkerem Maße die Merkmale der einen oder der anderen Klasse besitzt. Die Merkmale selbst aber können - und sollten auch stets - mit der schönsten Exaktheit definiert und unterschieden werden.

Dies gilt besonders für einen Fall, wie wir ihn gerade erörtern, denn hier ist lediglich die Unterscheidung der zugrundeliegenden Vorstellung von Bedeutung. Daß es uns möglicherweise nicht leicht fällt, alle praktischen Anwendungen den beiden Klassen zuzuordnen, ist von keinerlei besonderer Bedeutung.

Man sagt oft, Klassifizieren sei nichts anderes als eine Sache der Bequemlichkeit. Diese Behauptung ist in gewissem Sinne richtig, allerdings dann nicht, wenn sie besagen soll, die beste Klassifikation sei die, bei der man am leichtesten sagen könne, daß ein Objekt in die eine oder andere Klasse gehört. Der Sinn der Klassifikation ist es, die Aufmerksamkeit auf die Unterschiede zu lenken, die zwischen den Dingen bestehen, und die beste Klassifikation ist die, die sich auf die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale gründet, gleichgültig, wie leicht es sein mag, bei dieser Klassifikation die verschiedenen in der Natur bestehenden Objekte zu etikettieren und einzuordnen. Wenn wir die Bedeutung der Worte produktiv und unproduktiv festlegen, so sollten wir uns daher bemühen, sie die wichtigsten Unterschiede wiedergeben zu lassen, die wir sie - ohne ein zu offenkundiges Abweichen von ihrem bisherigen Gebrauch - ausdrücken lassen können.

Wir sollten ferner, wenn wir auf die Verwendung überkommener Worte angewiesen sind, soweit als möglich zu vermeiden suchen, daß wir später gegen die Assoziationen kämpfen müssen, die von früher her mit diesen Worten verbunden sind. Wir sollten, wenn es möglich ist, die Bedeutung der Worte so wählen, daß die Umstände, unter denen die Menschen die Worte zu verwenden gewöhnt sind, so weit wie möglich bestehen bleiben, und daß die Gefühle, die sie gewohnheitsmäßig hervorrufen, mit den Gefühlen übereinstimmen, welche die Dinge, die wir mit diesen Worten bezeichnen wollen, auch wirklich hervorrufen sollen. Wir werden uns bemühen, als Ergebnis der folgenden Untersuchung diese Bedingungen miteinander zu verbinden.

Gleichgültig, auf welche Weise die verschiedenen Ökonomen das Problem der Definition von produktiver und unproduktiver Arbeit bzw. produktivem und unproduktivem Konsum auch gelöst haben, die Schlußfolgerungen, die sie aus der Definition gezogen haben, sind praktisch dieselben. In Relation zu der Menge seiner produktiven Arbeit und seines produktiven Konsums, so versichern sie alle, wird ein Land reicher; entsprechend der Menge seiner unproduktiven Arbeit und seines unproduktiven Konsums wird das Land ärmer. Produktive Ausgaben werden allgemein als Gewinn, unproduktive Ausgaben - so nützlich sie auch sein mögen - allgemein als ein Verlust angesehen.

Unproduktives Ausgeben von Mitteln, die für produktive Ausgaben bestimmt waren, werden stets als eine Verschwendung von Mitteln bezeichnet. Das produktive Ausgeben von Mitteln, die unproduktiv hätten ausgegeben werden können, ohne daß dadurch das Kapital angegriffen worden wäre, wird Sparen genannt. Mangel, Misere und Hunger gelten als das Los einer Nation, die von Jahr zu Jahr einen kleineren Teil ihrer Arbeitskraft und ihrer Ressourcen in der Produktion anlegt, wachsender Wohlstand und Überfluß als das Resultat eines jährlichen Anstiegs der produktiv verwandten Menge des Vermögens.

Untersuchen wir nun, welche Eigenschaften der Ausgaben und der Arbeit wirklich für alle oben erwähnten Folgen verantwortlich sind.

Das Ziel, auf das alle Arbeit und alle Ausgaben ausgerichtet sind, ist zweifacher  Natur.  Zuweilen ist es der sofortige, (d.h. unmittelbare)  Genuß,  die Erfüllung jener Wünsche also, deren Befriedigung um ihrer selbst willen angestrebt wird. Sobald Arbeit oder Kosten nicht  unmittelbar um  des Genusses willen aufgewandt, dennoch aber nicht gänzlich verschwendet werden, müssen sie  indirekt  oder unmittelbar dem Zweck des Genusses dienen, d.h. indem sie die  permanenten Quellen  des Genusses entweder wiederherstellen und perpetuieren oder aber sie vergrößern.

Die Quellen des Genusses lassen sich akkumulieren und lagern, der Genuß selbst kann weder akkumuliert noch gelagert werden. Der Wohlstand eines Landes besteht in der Gesamtheit der permanenten Quellen des Genusses materieller oder immaterieller Art, die es besitzt. Arbeit oder Ausgaben, die darauf gerichtet sind, diese permanenten Quellen zu vergrößern oder in ihrem Bestand zu bewahren, sollten unserer Vorstellung nach produktiv genannt werden.

Arbeit, die zu dem Zweck geleistet wird, direkten Genuß zu verschaffen, z.B. Arbeit von jemand, der ein Musikinstrument spielt, nennen wir unproduktiv. Was ein solcher Musiker verbraucht, betrachten wir als unproduktiven Konsum: die akkumulierte Gesamtsumme der Quellen des Genusses, die eine Nation besitzt, wird um den Betrag verringert, den er konsumiert hat. Wäre ihm dagegen das, was er konsumiert hat, als Gegenleistung für seine Dienste bei der Erzeugung von Nahrung oder Kleidung gegeben worden, so wäre die Gesamtsumme der permanenten Quellen des Genusses des Landes möglicherweise nicht vermindert, sondern vergrößert worden.

Der Musikant ist also, so weit es die Tätigkeit des Musizierens betrifft, nicht ein produktiver, sondern vielmehr ein unproduktiver Arbeiter. Was sollen wir aber von dem Handwerker sagen, der das Musikinstrument gemacht hat? Er ist, so würde die Mehrheit der Befragten urteilen, ein produktiver Arbeiter. Und sie hätten recht, denn das Musikinstrument ist eine permanente Quelle des Genusses; sie beginnt weder mit dem Genuß, noch endet sie mit ihm, sie kann daher akkumuliert werden.

Doch das  Können  des Musikers ist ebenso eine Quelle des Genusses wie das Instrument, auf dem er spielt. Und obwohl Fertigkeit kein materielles Objekt, sondern eine Eigenschaft eines Objekts, nämlich der Hände und der Seele des Musikers, ist, besitzt sie nichtsdestoweniger einen Tauschwert, wird mit Arbeit und Kapital erworben und läßt sich lagern und akkumulieren. Fertigkeit ist daher als ein Element des Wohlstandes anzusehen, und Arbeit und Mittel, die dazu verwendet werden, die Fertigkeit von etwas zu erlernen, was den Menschen nutzt oder ihnen Vergnügen bereitet, müssen als produktive Arbeit bzw. produktive Mittel angesehen werden.

Die Fertigkeit eines produktiven Arbeiters entspricht den Geräten, mit denen er arbeitet: weder das eine noch das andere ist Genuß oder führt direkt zu Genuß, doch beide führen indirekt und in gleicher Weise dorthin. Wenn eine Spinnmaschine ein Element des Wohlstandes ist, dann gehört die Fertigkeit des Spinners ebenso zum Wohlstand. Wenn der Mechaniker, der die Spinnmaschine gemacht hat, produktive Arbeit geleistet hat, so hat der Spinner ebenfalls produktive Arbeit geleistet, als er sein Handwerk lernte, und was beide verbrauchten, war produktiver Konsum. Das heißt, er führte nicht dazu, die Summe der permanenten Quellen des Genusses in dem Land zu vermindern, sondern sie vielmehr zu vergrößern, denn es wurden mehr solche Quellen neugeschaffen als verbraucht.

Die Kunstfertigkeit eines Schneiders und die Werkzeuge, die er benutzt, tragen in gleicher Weise zu der Bequemlichkeit dessen bei, der den Rock trägt; und zwar ist ihr Beitrag nur mittelbar, denn unmittelbar dient der Rock selbst der Bequemlichkeit des Trägers. Die Kunst Madame PASTAs und das Gebäude sowie die Dekorationen, die zur Wirkung ihres Auftritts beitragen, sind in gleicher Weise an dem Genuß des Publikums beteiligt, und zwar unmittelbar, ohne ein vermittelndes Medium. Das Gebäude und die Dekoration sind unproduktiver Verbrauch. Madame PASTA arbeitet und konsumiert unproduktiv. Denn das Gebäude wird unmittelbar zum Genuß des Publikums benutzt und abgenutzt und Madame PASTA spielt ebenso unmittelbar zum Vergnügen des Zuschauers und ohne daß als Folge der Vorführung ein bleibendes Resultat erzielt würde, das Tauschwert besitzt: folglich muß sowohl der allmähliche Verschleiß der Mauersteine und des Mörtels, der allabendliche Verbrauch der weniger haltbaren Requisiten des Theaters als auch die Arbeit der Madame PASTA bei ihrer Vorstellung und des Orchesters bei seinem Spiel mit dem Wort unproduktiv gekennzeichnet werden.

Aber nichtdestoweniger war der Architekt, der das Theater errichtet hat, ein produktiver Arbeiter. Produktive Arbeiter waren auch diejenigen, die die Requisiten hergestellt oder die Musikinstrumente gebaut haben. Das gleiche gilt auch - wenn wir dies hinzufügen dürfen - für die Personen, die die Musiker ausgebildet haben, sowie für alle diejenigen, die durch das, was sie Madame PASTA gelehrt haben mögen, zur Ausbildung ihres Talents beigetragen haben. Alle diese Menschen haben in gleicher Weise zum Genuß des Publikums beigetragen, und zwar mittelbar, d.h. durch die Schaffung einer  permanenten Quelle des Genusses. 

Der Unterschied zwischen diesem Fall und dem bereits erwähnten Fall des Baumwollspinners ist folgender: Die Spinnmaschine und die Fertigkeit des Baumwollspinners sind nicht nur das Ergebnis produktiver Arbeit, sie werden darüber hinaus auch selbst produktiv konsumiert. Das Musikinstrument und die Kunst des Musikers sind gleichfalls das Ergebnis produktiver Arbeit, werden selbst aber unproduktiv verbraucht.

Denken wir nun einmal darüber nach, welche Arten von Arbeit, Konsum oder Ausgaben nach dieser Regel als produktiv bzw. als unproduktiv eingestuft werden.

Immer produktiv sind: Arbeit und Ausgaben, deren unmittelbarer Zweck oder unmittelbare Folge die Schaffung eines für die Menschen nützlichen oder angenehmen materiellen Gutes ist.
Arbeit und Ausgaben, deren unmittelbarer Zweck oder unmittelbare Folge es ist, Menschen oder andere Lebewesen mit Fähigkeiten oder Eigenschaften auszustatten, die für die Menschheit nützlich und angenehm sind und einen Tauschwert besitzen.

Arbeit und Ausgaben, die zwar nicht unmittelbar der Schaffung eines nützlichen materiellen Gutes bzw. einer nützlichen körperlichen oder geistigen Fähigkeit oder Eigenschaft dienen, doch mittelbar dazu neigen, das eine oder andere dieser Ziele zu fördern und die ausschließlich zu diesem Zweck geleistet werden.
Teils produktiv, teils unproduktiv sind folgende Arbeiten und Ausgaben, die sich nicht korrekt und eindeutig in eine der beiden Klassen einordnen lassen: Arbeit oder Ausgaben, die zwar tatsächlich ein nützliches materielles Gut oder eine nützliche körperliche und geistige Fähigkeit oder Eigenschaft schaffen, bzw. deren Schaffung fördern, die jedoch nicht ausschließlich zu diesem Zweck geleistet werden, deren anderer - und vielleicht sogar wichtigster - Zweck jedoch der Genuß oder die Förderung des Genusses ist.

In diese Kategorie gehört die Arbeit des Richters, Gesetzgebers, Polizeibeamten oder Soldaten sowie die Ausgaben, die für ihre Unterhaltung getätigt werden. Diese Beamten schützen und sichern den ausschließlichen Besitz der Menschen an den ihnen gehörenden Gütern oder erworbenen Fähigkeiten. Durch die Sicherheit, die sie somit gewähren, tragen sie indirekt zur Erhöhung der Produktion bei, und zwar in einem Ausmaß, das die für ihren Unterhalt erforderlichen Ausgaben weit übersteigt. Doch ist dies nicht der einzige Zweck, dem sie dienen: sie schützen nicht nur den Besitz der permanenten Ressourcen der Menschen, sie schützen auch ihren eigentlichen Genuß. Und insofern können wir sie, nach der Unterscheidung, die wir aufzustellen versucht haben, nicht als produktive Arbeiter bezeichnen.

In diese Kategorie gehören auch Arbeit und Löhne von Hausangestellten. Diese dienen hauptsächlich dem Zweck des bloßen Genusses, doch die meisten von ihnen leisten gelegentlich und manche von ihnen ständig Dienste, die als produktiv angesehen werden müssen, z.B. Kochen, die letzte Stufe der Nahrungsproduktion, oder Gartenbau, ein Zweig der Landwirtschaft.
Gänzlich unproduktiv sind: Arbeit und Ausgaben, die direkt und ausschließlich dem Zweck des Genusses dienen und nichts, sei es nun ein Ding oder eine Eigenschaft schaffen, das nicht mit dem Genuß begönne und mit ihm verlöschte.
Arbeit und Ausgaben, die nutzlos sind oder rein der Verschwendung dienen, und die weder unmittelbaren Genuß noch bleibende Quellen des Genusses hervorbringen.

Man kann einwilligen, daß selbst Ausgaben, die nur um des Genusses willen getätigt werden, indirekt die Produktion fördern, nämlich durch Ansporn und Beispiel. So nehmen einige Autoren an, der Glanz eines reichen Hauses lasse in einem weniger bemittelten Betrachter den brennenden Wunsch entstehen, denselben Luxus zu genießen, und wecke in ihm demzufolge die Absicht, viel und fleißig zu arbeiten und sein Einkommen zu sparen, so daß er das Produktivkapital des Landes vergrößert.

Es ist richtig, daß die Menschen in den meisten Fällen einzig und allein dadurch zu produktiver Arbeit angeregt werden, daß sie anschließend das Resultat ihrer Arbeit und Akkumulation konsumieren wollen. In Wirklichkeit ist also der unproduktive Konsum, d.h. der Konsum, dessen direktes Ergebnis der Genuß ist, das Ziel, und die Produktion ist nur das Mittel, mit dem dieses Ziel erreicht werden soll. Und das Streben nach dem Ziel ist das einzige, was die Menschen dazu zwingt, auf das Mittel zurückzugreifen.

Aber nichtdestoweniger ist es von äußerster Wichtigkeit, den Unterschied aufzuzeigen von Arbeit und Konsum, deren unmittelbarer Zweck der Genuß ist, und Arbeit und Konsum, die unmittelbar der Reproduktion dienen. Obwohl der Anblick der ersteren den Wunsch nach den Genüssen, die der Reichtum bietet, vielleicht noch stärker stimuliert, als es das bloße Wissen darum - ohne diesen direkten Anblick - schon zur Genüge tut (wobei wir uns nicht mit der Überlegung befassen wollen, daß das Beispiel einer großen Ausgabe, wenn es einen Menschen zur Akkumulation anregt, gleichzeitig zwei andere zu verschwenderischen Ausgaben ermutigt), so macht er doch, wenn wir die Wirkungen betrachten, die beabsichtigt sind, oder die eine direkte Folge des Konsums darstellen und deren Zusammenhang mit dem Konsum sich deutlich verfolgen läßt, ohne Zweifel ein Land ärmer an permanenten Quellen des Genusses; reproduktiver Konsum dagegen macht das Land an eben diesen Quellen des Genusses reicher. Ganz abgesehen davon: wenn das, was zum bloßen Genuß ausgegeben wird, indirekt dem Anwachsen des Wohlstandes förderlich ist, so kann es dies nur, indem es andere dazu bewegt,  keine  Ausgaben zum bloßen Genuß zu tätigen.

Bevor wir diese Frage verlassen, sollten wir noch eine weitere Bemerkung machen. Man darf nicht davon ausgehen, daß die Mittel, die für unproduktive Arbeit ausgegeben werden, zwangsläufig in vollem Umfang unproduktiv konsumiert werden. Die unproduktiven Arbeiter können einen Teil ihres Lohnes sparen und in einer produktiven Tätigkeit investieren.

Nicht selten wird von den Mitteln, die als Lohn an einen Arbeiter bezahlt werden, als von  Verbrauch  gesprochen, als ob der gesamte Gewinn und der gesamte Verlust der Nation nur im Kontobuch des Kapitalisten stünde. Was für produktive Arbeit bezahlt wird, gilt als produktiv konsumiert; was für unproduktive Arbeit bezahlt wird, gilt als unproduktiv konsumiert. Wenn wir korrekt sein wollen, so müßten wir sagen, nicht daß es produktiv oder unproduktiv  konsumiert,  sondern daß es produktiv oder unproduktiv  ausgegeben  wird. Andernfalls sind wir gezwungen, festzustellen, daß es zweimal konsumiert wird, das erste Mal vielleicht unproduktiv, das zweite Mal möglicherweise produktiv.

Um festzustellen, wie die Löhne des Arbeiters konsumiert werden, müssen wir sie bis in die Hände des Arbeiters selbst verfolgen. Was notwendig ist, um den produktiven Arbeiter völlig gesund und arbeitsfähig zu halten, kann als produktiv konsumiert bezeichnet werden. Dazu müssen die Ausgaben hinzugerechnet werden, die er tätigt, um seine Kinder aufzuziehen, bis sie alt genug sind, um produktive Arbeit leisten zu können. Wenn die Arbeitsmarktlage so ist, daß der Arbeiter mehr verdient, als er braucht, so kann er dies entweder sparen oder wie man gewöhnlich sagt - er kann es ausgeben. Spart er einen Teil (solange er ihn nicht nur hortet), so will er ihn produktiv verwenden, und dann ist dieser Teil produktiv konsumiert. Gibt er das Geld aus, so dient der Konsum unmittelbarem Genuß und ist daher unproduktiv.

Dies läßt eine weitere Korrektur des etablierten Sprachgebrauchs notwendig erscheinen. Die Nationalökonomen definieren das "Nettoprodukt" allgemein als den Anteil des jährlichen Bruttoprodukts eines Landes, der übrig bleibt, nachdem das in dem Jahr konsumierte Kapital ersetzt worden ist. Dieses Kapital, so erklären sie weiter, besteht aus Profit und Rente. Die Löhne werden dem anderen Teil des Bruttoprodukts zugerechnet, also dem, der das Kapital ersetzen soll. Nach dieser Definition erzählen sie uns gewöhnlich weiter, das Nettoprodukt - und nur dieses allein - stelle den Fonds dar, aus dem die Nation akkumulieren und ihr Kapital vergrößern könne, und das sie auch, ohne einen Verlust an Wohlstand, unproduktiv oder für den Genuß ausgeben könne. Nun ist es unmöglich, daß beide oben gemachte Behauptungen zutreffen.

Wenn das Nettoprodukt das ist, was nach dem Wiederauffüllen des Kapitalbestandes übrigbleibt, dann ist es nicht der einzige Fonds, aus dem Akkumulation möglich ist, denn akkumuliert werden kann auch aus Löhnen. Die Löhne stellen vielmehr in allen Ländern eine der großen Quellen der Akkumulation dar, in Ländern wie Amerika vielleicht sogar die größte. Wenn es andererseits wünschenswert ist, den Namen Nettoprodukt für die Bezeichnung der für Akkumulation oder unproduktiven Konsum verfügbaren Mittel zu reservieren, so müssen wir das Nettoprodukt anders definieren. Die Definition, die mit den üblichen Lehren über das Nettoprodukt am besten übereinzustimmen scheint, wäre folgende:

Das Nettoprodukt eines Landes ist die Gesamtheit dessen, was pro Jahr mehr produziert wird als notwendig ist, um den Bestand an Materialien und Geräten aufrechtzuerhalten, um das Leben und die Arbeitsfähigkeit aller produktiven Arbeiter zu sichern und um ihre zahlenmäßige Stärke ohne Zuwachs gerade aufrechtzuerhalten. Was für diese Zwecke benötigt wird, oder in anderen Worten: was für die Aufrechterhaltung der produktiven Ressourcen des Landes benötigt wird, kann nicht anders verwandt werden, ohne daß die Nation in ihrer Gesamtheit dadurch ärmer wird.

Alles jedoch, was darüber hinaus produziert wird, ob es sich nun in den Händen des Arbeiters, des Kapitalisten oder eines der zahlreichen verschiedenartigen Rentenbezieher befindet, kann zum unmittelbaren Genuß verwandt werden, ohne daß die produktiven Mittel der Gesamtheit dadurch Schaden erleiden. Jeder Teil, der davon nicht unproduktiv verwandt wird, stellt zweifellos einen Zuwachs des Kapitals einer Nation oder der permanenten Quellen des Genusses einer Nation dar.
LITERATUR,John Stuart Mill, Einige ungelöste Probleme der politischen Ökonomie, Hrsg. Hans G. Nutzinger, Frankfurt/Main 1976