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BERTOLT BRECHT
Über "Das Ding an sich"

"Erkenntnistheorie muß vor allem Sprachkritik sein."
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Die Frage nach dem Ding an sich wird gestellt in einer Zeit, wo auf Grund der ökonomisch-gesellschaftlichen Entwicklung die Verwertung aller Dinge in Angriff genommen wird. Die Frage aber zielte nicht nur ab auf die Auffindung neuer Brauchbarkeiten an den Dingen, sondern bezeichnete auch den Widerspruch zu einer Betrachtung der Dinge nur nach Verwertbarkeit hin: Die Dinge sind nicht nur für uns, sondern auch für sich. Allerdings sind sie auch in diesem absoluten Zustand noch verwertbar....

2
Man darf nicht vergessen, daß das Besitzgefühl eine ungeheure Rolle zu spielen begann. Der feudale Besitz war eine Folge der Macht. Jetzt wurde die Macht eine Folge des Besitzes. Sogar Wissen war Macht, weil es Besitz war oder werden konnte. Der diesen Satz aufstellte, BACON, definierte ausdrücklich das Wissen als "zu verwerten wissen". Die Menschen nahmen sich nicht mehr nur von den Dingen, was sie brauchten, sondern ein Ding besitzend, suchten sie neue Brauchbarkeiten an ihm ausfindig zu machen. Es war jetzt auch zu verwerten, was andere brauchten. Das Ding wurde ungeheuer gedrängt, möglichst viel herzugeben.

3
Das Ding als Ware wiederum wurde ungewohnt undurchsichtig, um so mehr, als auch der Mensch selber als Arbeitskraft Ware wurde, so daß der substantive Charakter des Dinges zu schwinden begann. Es entstanden dem Betrachtenden Dinge, welche eigentlich Verhältnisse waren, und Beziehungen zwischen Menschen oder Dingen nahmen Dingcharakter an. Heute kann überhaupt kein Ding mehr genannt werden von der Art, wie KANT es behandelte: Anderes als das KANTsche Ding ist unkennbar.

4
Die Dinge sind für sich nicht erkennbar, weil sie für sich auch nicht existieren können.

5
Der Baum erkennt den Menschen mindestens so weit, als er die Kohlensäure erkennt.

6
Zur Erkenntnis des Baums gehört für den Menschen die Benutzung des Sauerstoffs. Der Begriff des Erkennens muß also weiter gefaßt werden.

7
Erkenntnistheorie muß vor allem Sprachkritik sein.

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Das Leben selber ist ein Erkennensprozeß. Ich erkenne einen Baum, indem ich selber lebe.

LITERATUR - Bertolt Brecht, Gesamtausgabe, Bd.20, Frankfurt/Main