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Zen oder Entweder
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"Östliches Erkennen ist am Bewußtsein selbst interessiert, westliches Erkennen an den Objekten des Bewußtseins. Das eigentliche Wesen des Bewußtseins ist es, von jedem Objekt frei zu sein. Daher ist das Fehlen eines Inhalts nicht gleich dem Fehlen des Bewußtseins. Das Bewußtsein lernt, sich von Objekt zurückzuziehen, um das Wirkungsfeld der Objekte zu begrenzen und so zu sich selbst zu stehen.

Die wissenschaftliche Methode, die Wirklichkeit zu untersuchen, besteht darin, einen Gegenstand vom sogenannten objektiven Standpunkt aus zu betrachten. Nehmen wir beispielsweise an, eine Blume hier auf dem Tisch sei Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung. Die Wissenschaftler werden sie allen möglichen botanischen, chemischen und physikalischen Analysen unterziehen und uns mitteilen, was sie von diesen Blickwinkeln aus über die Blume gefunden haben, und sie werden uns sagen, daß die Untersuchung der Blume abgeschlossen ist und nichts weiter über sie zu sagen sei.

Das Hauptmerkmal, das die Wissenschaft auszeichnet, besteht nun darin, daß sie einen Gegenstand beschreibt,  über  ihn spricht,  um  ihn  herum  geht, alles, festhält, was unsere Sinne und unseren Verstand erregt und es vom Gegenstand selbst fortabstrahiert, und wenn sie glaubt, fertig zu sein, diese analytisch gebildeten Abstraktionen synthetisiert und das Ergebnis für den Gegenstand hält.

Aber es bleibt immer noch die Frage offen: "Ist wirklich der ganze Gegenstand im Netz gefangen?" Keineswegs, denn der Gegenstand, den wir glauben gefangen zu haben, ist bloß eine Summe von Abstraktionen und nicht der Gegenstan selbst. Für praktische und nützliche Zwecke scheinen all diese sogenannten wissenschaftlichen Formen mehr als ausreichend zu sein, aber der sogenannte Gegenstand ist nicht ganz da. Wenn wir das Netz eingeholt haben, finden wir, daß etwas durch die feinen Maschen geschlüpft ist. Es gibt jedoch noch einen anderen Weg, der Wirklichkeit gegenüber zu treten, der vor oder nach den Wissenschaften kommt. ERICH FROMM nennt ihn  Zen. 

Während die wissenschaftliche Methode darin besteht, den Gegenstand zu töten, den Leichnam zu sezieren, die Teile wieder zusammenzusetzen und so zu versuchen, den ursprünglichen, lebendigen Leib wiederherzustellen, was in Wirklichkeit unmöglich ist, wird im Zen das Leben so genommen, wie es gelebt wird, anstatt es in Stücke zu zerhacken und zu versuchen, es mit Hilfe des Verstandes wieder zum Leben zu erwecken oder in Gedanken die zerbrochenen Stücke zusammenzuleimen. Die Methode des Zen erhält das Leben als solches; es wird von keinem chirurgischen Messer berührt. Der Objektivierungsdrang und seine Objekthaftigkeit ist das entscheidende Merkmal des westlichen Geistes. Es ist der Begriff, der das Objekt im westlichen Sinne möglich macht, genau wie der Begriff selbst auf der objektiven Struktur des westlichen Geistes beruht. Westliche Erkenntnis wird durch begriffliches Denken erworben und bewahrt. Aber östliche Erkenntnis geht mit anderen Mitteln vor und bewahrt ihre Errungenschaften in anderen Schatzkammern, d.h. in Bewußtseinszuständen. Östliches Erkennen ist am Bewußtsein selbst interessiert, westliches Erkennen an den Objekten des Bewußtseins. Das eigentliche Wesen des Bewußtseins ist es, von jedem Objekt frei zu sein. Daher ist das Fehlen eines Inhalts nicht gleich dem Fehlen des Bewußtseins. Das Bewußtsein lernt, sich von Objekt zurückzuziehen, um das Wirkungsfeld der Objekte zu begrenzen und so zu sich selbst zu stehen.(1)

Die klassische Wissenschaft lebt vom Dualismus; deshalb versuchen die Wissenschaftler, alls auf quantitative Messungen zuückzuführen. Zu diesem Zweck erfinden sie alle möglichen mechanischen Geräte. Technologie ist der Grundton der modernen Kultur. Alles, dessen Quantität sich nicht bestimmen läßt, lehnen sie als unwissenschaftlich oder vorwissenschaflich ab. Sie stellen eine bestimmte Reihe von Regeln auf, und was sich damit nicht erfassen läßt, wird ganz natürlich mit der Begründung, daß es nicht zu ihrem Forschungsgebiet gehöre, beiseitegeschoben. Wie fein die Maschen auch sein mögen, solange es Maschen sind, werden immer einige Dinge hindurchschlüpfen und sich daher auf keine Weise messen lassen. Quantitäten sind ihrer Bestimmung nach unendlich, und die Wissenschaften müssen eines Tages zugeben, daß sie nicht imstande sind, die Wirklichkeit restlos auf ihre Mühlen zu leiten. Das Unbewußte liegt außerhalb des Gebietes wissenschaftlicher Untersuchung. Alles, was die Wissenschaftler daher tun können, besteht darin, auf das Vorhandensein eines solchen Gebietes hinzuweisen. Und das soll für die Wissenschaft genug sein. Buddha eröffnet seinem Jünger Kaspaya die Erleuchtung in der sogenannten Blumenpredigt; er zeigte ihm eine Blume zur Betrachtung und lächelte; Kaspaya verstand ihr Wesen und damit den Sinn des Daseins. Dies gilt als der Beginn des Dhyana-Buddhismus, der in China den Namen  Chan  und später in Japan  Zen  erhielt.

Die Auslegung der Lehre Buddhas führt nach seinem Tode zu Spaltungen. Die Frage der Rettungsmöglichkeiten erhält verschiedene Antworten. Im  Hinayana  (kleines Fahrzeug) rettet nur jeder sich selbst. Das  Mahayana  (großes Fahrzeug) bietet auch Hilfen für andere Menschen an. Eine chinesisch-japanisch Sonderform des Mahayana stellt  Zen  dar. Zen ist das japanische Wort für das chinesische  Chan.  Chan wiederum übersetzt das indische  Dhyana.  Alle drei bedeuten  Meditation.  Für die Anhänger des Zen ist Zen die "Quintessenz des Buddhismus"(2) Andere sehen darin mehr eine Methode.

Bodhidharma (bis 528 n.Chr.) brachte den Buddhismus nach China und gilt deshalb als erster Patriarch des chinesischen Zen. Mit Hui Neng (608-713), dem sechsten Patriarchen, verliert Zen seinen indischen Charakter und wurzelt ganz im chinesischen Kulturboden.

Nach der Überlieferung begann der Zen- oder Chan-Buddhismus im sechsten Jahrhundert in China, als ein Chinese, Shenkuang, der verwirrt und unbefriedigt von seinen gelehrten und gebildeten Studien, hörte, daß sich in einem nahen buddhistischen Tempel ein Zen-Lehrer aus Indien aufhielt, und sich aufmachte, um ihn zu besuchen. Der indische Meister Bodhidharma, der mit gekreuzten Beinen dasaß und das Gesicht zur Wand kehrt, blieb sitzen und empfing den Besucher gar nicht. Shenkuang, dessen Entschlossenheit aus einer tiefen Unruhe entsprang, kam immer und immer wieder. Schließlich blieb er eines Nachts in einem heftigen Schneesturm stehen, bis ihm gegen Morgen der Schnee bis an die Knie reichte. Gerührt fragte ihn Bodhidharma nach dem Zweck dieser Handlung. Unter Tränen bat der Chinese den indischen Lehrer, er möge den Segen seiner Weisheit spenden, um den unglücklichen Wesen zu helfen. Bodhidharma erwiderte, der Weg sei unerträglich schwierig und mit den größten Beschwernissen verbunden und niemand könne ihn zuende gehen, dem es an Ausdauer und Entschlossenheit fehlt. Als Shenkuang das hörte, nahm er ein Schwert, das er bei sich trug, schlug sich den linken Arm ab und legte ihn vor den indischen Mönch. Erst in diesem Augenblick nahm ihn Bodhidharma als Schüler an und gab ihm den neuen Namen Hui-Ko.

Wenn dieser - höchst wahrscheinlich legendäre - Bericht hinsichtlich seiner symbolischen Bedeutung für ein Verständnis des Zen-Buddhismus interpretiert wird, sehen wir als erstes, daß ein unentschlossenes und aufgewühltes Ego den Lehrer aufsucht. Der Zen-Meister wartet sozusagen, daß ein suchendes Ego zu ihm kommt. Selbst dann kann es geschehen, daß er von ihm zunächst keine Notiz nimmt. Oberflächlich sieht seine erste Antwort manchmal geringschätzig und entmutigend aus. Diese scheinbare UnAufmerksamkeit oder sogar Ablehnung ist jedoch nur ein Mittel, um zu prüfen, wie ernst die Suche ist. Wenn der Meister von ihrer Ernsthaftigkeit überzeugt ist, wird der Suchende sofort anerkannt und aufgenommen.

Es war tatsächlich nur die zwingende und unerbittliche Not des Seins, die Hui-Ko an Bodhidharma herantreten und immer wieder zu ihm zurückkehren, sich einem Schneesturm aussetzen und seinen eigenen Arm abhacken ließ, die ihn symbolisch zum ersten Zen-Schüler machte. Hui-Ko war durch seinen inneren Widerspruch beunruhigt und unglücklich und von der klassischen Bildung unbefriedigt, und so suchte er bei Bodhidharma Erleichterung und Hilfe. Für dieses Ziel war er bereit, sein ganzes Sein aufs Spiel zu setzen.

Die Zen-Schule ist in verschiedener Hinsicht eine einzigartige Erscheinung in der Geschichte der Religionen. Theoretisch betrachtet gehören ihre Lehren einem spekulativen Mystizismus an, aber sie werden in einer Form dargeboten und erläutert, daß nur der Schüler, der nach langer Übung eine Einsicht in das System gewonnen hat, ihren letzten Sinn zu erkennen vermag. Für diejenigen, die diese tiefdringende Erkenntnis nicht gewonnen haben, für solche also, die das Zen nicht in ihrem tätigen Alltagsleben erfahren haben, erscheinen die Lehren dieser Schulen, oder besser ihre Ausdrucksformen, seltsam, wunderlich, ja rätselhaft. Kritiker, die mehr oder weniger begrifflich über die Zen-Lehre urteilen, halten sie für völlig absurd und lächerlich und meinen, sie mache sich selbst absichtlich unverständlich, um die augenscheinliche Tiefe ihrer Erkenntnis gegen Kritik von außen zu schützen. Umgekehrt bedeuten in den Augen der Zen-Anhänger die offensichtlich paradoxen Äußerungen der Lehre nicht etwa Künstlichkeit, die dazu ersonnen sind, die Lehre hinter einem Schirm von Dunkelheit zu verbergen; sie sind vielmehr nur der Beweis dafür, daß die menschliche Zunge kein geeignetes Organ ist, die tiefsten Wahrheiten des Zen auszudrücken, da Zen niemals zum Gegenstand logischer Erklärungen gemacht werden kann. Die Lehre muß vielmehr in der innersten Seele erlebt worden sein, um überhaupt verständlich zu werden. In Wirklichkeit gibt es auf keinem Gebiet menschlicher Erfahrung klarere und treffendere Ausdrücke, als im Zen. "Kohle ist schwarz." Das ist ebenfalls klar genug; aber Zen protestiert: Kohle ist nicht schwarz. Das ist ebenfalls klar genug, ja sogar noch klarer, als die erste bejahende Bestimmung, vorausgesetzt, daß wir zur tiefsten Wirklichkeit vorgedrungen sind.

Vor allem die Zen-Tradition hat ein System von nichtverbalen Unterweisungen durch scheinbar unsinnige Aufgaben entwickelt, die man Koan nennt und die sich nicht mit Hilfe des Denkens lösen lassen. Sie zielen darauf ab, den Denkprozess zu unterbrechen und so den Zen-Schüler für die nichtverbale Erfahrung der Wirklichkeit zu öffnen. Im Zen muß die Befreiung (Satori) plötzlich über den Menschen kommen. Nicht stufenweise Übungen führen dazu, sondern harte Reden und rohes, schockierendes Benehmen des Zen-Meisters, die die Ich-Verkrustung des Menschen allein aufreissen können. Nehmen wir das Beispiel des Stocks in der Hand des  Meisters.  Er hält ihn hoch und spricht: "Ich nenne das nicht Stock, und wie würdet ihr es nennen?" Das sieht so aus, als würde es eine dialektische Antwort erfordern, denn die Erklärung ist gleichbedeutend mit: "Wenn A nicht A ist, was ist es dann?" Das logische Gesetz der Identität wird hier verletzt. Manchesmal sagt der Meister auch etwas anderes: "Der Stock ist kein Stock und ist doch ein Stock." Wenn der Schüler dem  Meister  logisch kommt und die Herausforderung als völlig unsinnig bezeichnet, wird er bestimmt einen Schlag mit dem Stock aus der Hand des Meisters bekommen. Der Schüler wird zwangsläufig in eine Sackgasse getrieben, denn der Meister bleibt fest und weigert sich absolut, einem noch so starken intellektuellen Druck nachzugeben. Der Verstand muß seinen Platz dem Willen überlassen.

Zen ist ausdrücklich kein System, das sich auf Logik und Analyse gründet. Wenn es irgendetwas ist, so ist es das Gegenteil von Logik, unter der Suzuki die dualistische Denkweise versteht. Wohl mag im Zen ein intellektuelles Moment stecken, denn Zen ist Geist als Ganzes, und in ihm ist vieles enthalten. Aber der Geist ist nicht etwas zusammengesetztes, das in soundso viele Vermögen eingeteilt werden könnte, ohne daß nach dieser Zergliederung irgend etwas übrigbliebe. Weder hat Zen uns auf dem Wege einer intellektuellen Analyse etwas zu lehren, noch enthält es irgendeine feste Lehrmeinung, die seine Anhänger annehmen könnten. In dieser Beziehung ist  Zen  völlig chaotisch, wenn man so sagen will. Wahrscheinlich werden  Zen-Anhänger  eine Menge von Lehrmeinungen haben, aber sie haben sie auf ihre eigene Rechnung und zu ihrem eigenen Besten; sie verdanken sie nicht dem Zen. Die Lehre des Zen ist eine Absage an jedes System. Das Zen besteht weder auf einem Gott, noch leugnet es ihn. Das Zen will absolute Fryhide, selbst Freiheit von Gott. Sogar von Buddha will es gleichermaßen frei sein; deshalb der Ausspruch des Zen: Reinige deinen Mund, wenn du das Wort  Buddha  ausgesprochen hast.

So gibt es im Zen auch weder heilige Bücher, noch dogmatische Lehrsätze, noch irgendwelche symbolischen Formeln, die uns das Wesen des Zen zugänglich machen könnten. Wird Suzuki gefragt, was Zen lehrt, so muß er antworten, daß Zen  nichts  lehrt. Was immer es für Lehren im Zen gibt, sie kommen aus dem eigenen Inneren jedes einzelnen. Wir sind selbst unsere Lehrer; Zen weist nur den Weg. Mag dieses Wegweisen eine Lehre sein, so gibt es im Zen doch nichts, was als eine grundsätzliche Lehre oder eine philosophische Basis bezeichnet werden könnte.

Die relative Gültigkeit von Theorien als temporären Hilfsmitteln zur Erklärung von bestimmten Tatbeständen, die in einem fortgeschrittenen Stadium wie Krücken weggeworfen werden können, erinnert an jenen Zen-Buddhisten, der sein Buddha-Statue verbrannte, weil inzwischen eine  höhere  Bewußtseinsebene erreicht hatte und diese  Krücke  nicht mehr benötigte. In die gleiche Kategorie gehören die Ansichten gewisser Zen-Meister, daß die Verehrung "heiliger Schriften" oder Dogmen des Buddhismus nur Götzendienst sei, weil diese im Grunde nicht heilig und kein "geschriebener Buddha" sind. Sie mögen auf dem beschwerlichen Weg der Erkenntnis uns eine Weile lang nützlich sein, später werden sie einfach zurückgelassen. Ein Meister sagte: "Bevor man  Zen  studiert, sind einem die Berge Berge und Gewässer Wässer. Wenn man jedoch einen Einblick in die Wahrheit des Zen bekommt durch die Unterweisungen eines guten Meisters, so sind die Berge nicht mehr die Berge und die Gewässer nicht mehr Wässer. Aber später, wenn man wirklich den Ort des Friedens erreicht hat (d.h. wenn man im Satori, dem Zustand der Erleuchtung ist), sind für einen die Berge wieder Berge und die Gewässer wieder Wässer."

Was ist das Hauptziel des Zen? Mit Suzukis Worten: "Zen ist seinem Wesen nach die Kunst, in die Natur des Seins zu blicken, und es zeigt den Weg von der Knechtschaft zur Freiheit. Wir können sagen, daß das Zen alle Energien freisetzt, die in jedem von uns richtig und natürlich aufgespeichert, aber unter normalen Bedingungen verkrampft und verzerrt sind, so daß sie keinen angemessenen Kanal zu Betätigung finden. Es ist das Ziel des Zen, uns davor zu bewahren, geisteskrank oder sonst irgendwie verkrüppelt zu werden. Das verstehe ich unter Freiheit, daß ich allen schöpferischen und wohlwollenden Impulsen, die im Herzen schlummern, freien Spielraum lassen kann. Gewöhnlich sind wir blind der Tatsache gegenüber, daß wir alle notwendigen Eigenschaften besitzen, die uns glücklich und anderen gegenüber liebevoll machen."(3)

Im 11. Jahrhundert drohen zwei Gefahren: Verflüchtigung des Zen ins Begriffliche und Auflösung des Zen ins Beschauliche. Die Meister ändern ihre Methode. Sie führen das Koan ein. Koan bedeutet eine Art Test, wörtlich "eine öffentliche Urkunde, die einen Urteilsstandard aufstellt". Das Koan führt das Denken in eine Sackgasse, verschärft die Unruhe des Suchenden, bewirkt eine fast unerträgliche Spannung, damit der Panzer der Sinnenwelt und die Ichverhaftung gesprengt wird und die Schau ins eigene Wesen explosionsartig aufbricht. Dafür einige Beispiele: Ein Mönch fragt Tung Shan: "Wer ist der Buddha?" Antwort: "Drei Pfund Flachs." Chao-Chou wird gefragt: "Hat auch ein Hund die Buddha-Natur?" Er antwortet: "Wu" (auf japanisch  mu,  d.h. nicht oder nichts). Oder die berühmte Frage: "Was ist der Ton der einen Hand?" In der strengen Selbstdisziplin des  Zazen  such der Übende nach der Lösung des Koans. 1700 Beispiele sind aus dem Chinesischen überliefert. Eine einzige echte Erfahrung löst sie alle.

Die Aufgabe des Zen-Lehrers besteht darin, den Schüler zu dem Punkt zu treiben, wo er aufgeben muß. Der Schüler erkannt dann, daß es keinen gedanklichen Ausweg mehr gibt aus seiner prekären Lage und daß diese missliche Situation in gewisser Weise selbst eine Illusion ist. Die berühmten Koans des Zen, die rätselhaften Fragen, die zu lösen dem Schüler als Hilfe auf dem Weg zur Erleuchtung aufgegeben werden, bringen ihn dazu, an dem Versuch zu zweifeln, die Situation analytisch zu erfassen. Was der Zen-Meister tut, ist helfen zu erkennen, daß wirkliches Verstehen mit einem nur rational-logischen Geist unmöglich ist.

Die Einstellung des Zen-Meisters zu seinem Schüler ist für den modernen westlichen Leser verwirrend, der in der Alternative zwischen einer irrationalen Autorität, die die Freiheit beschränkt und ihr Objekt ausbeutet, und einem Geschehenlassen, das jede Autorität vermissen läßt, gefangen ist. Das Zen stellt eine andere Form der Autorität dar. Der Meister ruft den Schüler nicht; er will von ihm nichts, nicht einmal, daß er erleuchtet wird; der Schüler kommt freiwillig und geht freiwillig. Aber wenn er von dem Meister lernen will, muß er die Tatsache anerkennen, daß der Meister ein Meister ist, das heißt, daß der Meister weiß, was der Schüler wissen will und selbst noch nicht weiß. Für den Meister gibt es nichts von der Art einer heiligen Lehre. Dreißig Stockschläge, ob du zustimmst oder ablehnst. Steh nicht schweigend da, noch ergehe dich in Reden.

Ein Mönch fragt Joshu: "Was ist mein Ich?" Joshu sagte: "Siehst du die Zypresse im Hof?" Nicht das Sehen, sondern den Sehenden will Joshu haben. Auch wenn das Ich niemals objektiviert oder zur Tatsache gemacht werden kann, ist es dennoch da und das Zen befiehlt usn, es mit bloßen Händen zu ergreifen und das zu zeigen, was eigentlich ungreifbar, auch nicht objektivierbar und unerreichbar ist (japanisch "fukatoku", chinesisch "pu-ko-te", sanskrit "anupalabdha"). Hier liegt die Diskrepanz zwischen der Wissenschaft und dem Zen. Wir dürfen jedoch nicht vergessen, daß das Zen gegen die wissenschaftliche Erfassung der Wirklichkeit nichts einzuwenden hat; das Zen will nur den Wissenschaftlern sagen, daß deren Methoden nicht die einzige ist, sondern daß es noch eine andere gibt, von der das Zen sagt, sie sei direkter, innerlicher, wirklicher und persönlicher. Im allgemeinen nehmen wir an, daß der Satz "A ist A" absolute Gültigkeit besitzt, und daß die Annahme "A ist nicht A" oder "A ist B" unvollziehbar sei. Wir waren nie imstande, die Denkbedingungen unseres Verstandes zu durchbrechen; sie waren zu achtunggebietend.

Aber nun erklärt Zen, Worte seien Worte und nichts weiter. Wenn die Worte aufhören, mit den Tatsachen übereinzustimmen, ist es Zeit für uns, mit den Worten zu brechen und zu den Tatsachen zurückzukehren. Wo die Logik ihren praktischen Wert besitzt, soll man sie gebrauchen, wo sie aber versagt oder gar versucht, ihre eigenen Grenzen zu überschreiten, da müssen wir ihr Einhalt gebieten. Gemäß der Einstellung des Zen zur verstandesmäßigen Einsicht ist sein Lehrziel nicht wie im Westen eine immer größere Verfeinerung des logischen Denkens, sondern seine Methode besteht darin, jemanden in eine Zwangslage zu bringen, aus der er sich bemühen muß, nicht durch Logik, sondern durch einen Geist einer höheren Stufe zu entkommen. Demgemäß ist der Lehrer nicht ein Lehrer im westlichen Sinne. Er ist ein Meister, weil er seinen eigenen Geist gemeistert hat und daher imstande ist, dem Schüler das einzige mitzuteilen, was sich mitteilen läßt: sein Sein. Trotz allem aber, was der Meister tun kann, kann er doch den Schüler nicht das Ding erfassen lassen, wenn dieser nicht vollkommen vorbereitet ist.
Literatur
- ZENKEI SHIBYAMA, Zu den Quellen des Zen, Bern/Mchn/Wien 1976
- D.T SUZUKI, Die große Befreiung, Weilheim 1972
- ROBERT A. WILSON, Zen ohne Meister, Linden 1979
- ROBERT M. PIRSIG, Zen oder die Kunst ein Motorrad zu warten, Ffm 1974
- FROMM / SUZUKI / de MARTINO, Zen-Buddhismus und Psychoanalyse, Ffm 1980
    Anmerkungen
    1) Vgl. WILLIAM S. HAAS, Westliches und östliches Denken, Reinbek 1966, Seite 140
    2) D.T. SUZUKI, Leben aus Zen, München 1955, Seite 21
    3) D.T. SUZUKI, Zen-Buddhismus, Weilheim 1956, Seite 53