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CURT LIEBMANN
Die Logik von Port Royal
[im Verhältnis zu Descartes]
[2/2]

"Wir betrachten z. B. zwei Steine, abstrahieren dabei aber vollständig davon, daß es zwei Steine sind und richten unser Augenmerk vielmehr darauf, daß es zwei sind, und erhalten so den Begriff der Zahl zwei, den wir nunmehr in analogen Fällen stets anwenden können, so, wenn wir beim Anblick zweier Bäume davon abstrahieren, daß es sich um Bäume handelt usw. Ebenso wie mit den Zahlbegriffen ist es mit denen von Zeit und Dauer; auch sie existieren lediglich in unserem Denken und haben kein reales Objekt, welches ihnen entspricht. Dementsprechend betont auch unsere Logik, daß alle Dinge, welche existieren, Einzeldinge sind, daß wir aber gleichwohl mit Hilfe von Abstraktion mehrere Arten von Ideen bilden, von denen einige mehrere Einzelobjekte repräsentieren können."

"Die Logik von Port-Royal steht vollkommen auf dem Standpunkt der kartesianischen Philosophie. Die einzelnen Anschauungen Descartes' sind derartig eigener Besietz der Verfasser geworden, daß eine nähere Kennzeichnung derselben bisweilen gar nicht für notwendig erachtet wird. Wenn vielleicht auch nicht der ganze Inhalt dieser Philosophie hier wiederzufinden ist, so doch sicher die wertvollsten Bestandteile derselben."

5. Die Ideen nach ihren
Objekten betrachtet.

Alles, was wir begreifen (concevons) stellt sich nach der "l'art de penser" unserem Geist entweder als chose [Ding - wp] oder als maniére de chose [Art und Weise - wp] oder als chose modifiée [modifizierte Sache - wp] dar. Versuchen wir, uns diese Begriffe klar zu machen, indem wir dabei von DESCARTES ausgehen. Dieser nennt zunächst die Substanz als "nihil aliud quam re quae ita existit, ut nulla alia re indigeat ad existendum" [nichts anderes als ein Ding, das so existiert, daß es kein anderes Ding braucht, um zu existieren - wp] (Princ. philos. I, 51), hält aber an dieser Definition nicht streng fest, denn nach ihr dürfte er nur die eine ungeschaffene Substanz, Gott, als Substanz anerkennen. Statt dessen fährt er fort:
    "et quidem substantia quae nulla plane re indigeat, unica tantum potest intelligi, nempe Deus. Alias vero omnes non nisi ope concursus Dei existere percipimus." [und tatsächlich kann eine Substanz, die offensichtlich nichts braucht, nur als Eines verstanden werden, nämlich Gott. Alles andere nehmen wir nur mit der Zustimmung Gottes wahr, daß es existiert. - wp]
So unterscheidet er gewissermaßen eine Substanz ersten und Substanzen zweiten Grades, und er bemerkt ausdrücklich, daß die Bezeichnung "Substanz" einerseits Gott und andererseits der denkenden und ausgedehnten Substanz nicht in demselben Sinn zukommt. Daneben findet sich noch eine andere Definition der Substanz, die die Zahl der Substanzen wesentlich vermehrt. Dieselbe lautet:
    "Omnis res, cui inest immediate, ut in subjecto, sive per quam existit aliquid quod percipimus, hoc est aliqua proprietas sive qualitas, sive attributum, cujus realis idea in nobis est, vocatur substantia."
    [Jedes Ding, das eine unmittelbare Präsenz hat, wie ein solches im Subjekt, oder durch das etwas existiert, das wir wahrnehmen, das heißt eine Eigenschaft oder Qualität oder Eigenschaft, deren eigentliche Vorstellung in uns ist, wird Substanz genannt. - wp] (39)
Durch diese Definition wird jedes einzelne Ding zur Substanz, sofern es überhaupt erkennbare Eigenschaften hat. Betrachten wir im Verhältnis dazu den Substanzbegriff in unserer Logik:
    "J'apelle chose ce que l'on concoit comme subsistant par soi-même, et comme le sujet de tout ce que l'on y concoit. C'est ce que l'on apelle autrement substance"
    [Ich nenne Ding, was man sich als aus sich selbst bestehend und als Subjekt von allem, was man sich darunter vorstellt, begreift. Das nennt man sonst Substanz - wp] (Seite 41)
So erkennen wir in ihm sofort deutlich eine Vereinigung der beiden Substanzbegriffe DESCARTES', ohne daß wir jedoch behaupten könnten, die Sache wäre dadurch wesentlich klarer geworden. Als Beispiel wird angeführt:
    "wenn ich einen Körper betrachte, so stellt mir die Idee, die ich davon habe, eine Substanz dar, weil ich ihn als eine durch sich existierende Sache betrachte, die zu ihrer Existenz keines Grundes bedarf" (Seite 41),
und dann noch hinzugefügt, daß die Wörter, die zur Bezeichnung der Substanzen dienen, Substantiva oder Absoluta heißen, wie Erde, Sonne, Geist, Gott (ausgeschlossen werden müssen hier die Abstrakta). Ob das Beispiel mit dem Körper richtig gewählt ist, kann nach der ersten Hälfte der gegebenen Definition verneint, nach der zweiten bejaht werden. Denn es widerspricht der in unserer Logik vertretenen Philosophie durchaus, daß der Körper - der einzelne natürlich ebenso wie die gesamte körperliche Substanz - ohne göttliche Wirkung entstanden ist und existiert, andererseits wird der Körper erkannt aus oder an seinen Eigenschaften, der Körper also z. B. an seiner Ausdehnung nach den drei Dimensionen, an seiner bestimmten Gestalt etc., er wird nicht unmittelbar erkannt, sondern mittelbar, aber seine Existenz ist gewiß nach dem Grundsatz, daß das Nichts nicht Träger bestimmter Eigenschaften sein kann. (40)

Unter den Eigenschaften selbst schied DESCARTES zunächst Attribut und Modus und verstand dabei unter Attribut die bleibende Eigenschaft der Substanz, unter Modus die wechselnden, die dabei als Arten des Attributs gelten. So ist das Denken das Attribut der denkenden Substnz, denn wie schon im Namen zum Ausdruck kommt, besteht deren Wesen eben im Denken; dieses selbst kann sich aber in verschiedener Art und Weise äußern, im Zweifeln, Wollen, Wünschen etc. und so wurde der Begriff des Modus gewonnen. Diese Begriffe sind aber nicht streng auseinandergehalten, so heißt es in Princ. philos. I, 56: "et hic per modos plane idem intelligimus quod alibi per attributa vel qualitates" [und hier verstehen wir unter Modus klar dasselbe wie anderswo unter Attributen oder Qualitäten - wp]; darauf folgt zwar eine nähere Unterscheidung dieser drei Begriffe, doch brauchen wir aus diese nicht näher einzugehen, zumal da unsere Logik dieselben überhaupt nicht mehr auseinanderhält, sondern in der Definition:
    "j'apelle maniére de chose, ou mode, ou attribut ou qualité, ce qui, étant concu dans la chose et ne pouvant subsister sans elle, la détermine á être d'une certaine facon, et la fait nommer telle"
    [Ich nenne Art der Sache oder Modus oder Eigenschaft oder Qualität das, was, da es in der Sache gedacht ist und ohne sie nicht bestehen kann, auf eine bestimmte Weise veranlaßt, daß es so oder so genannt wird. - wp] (Seite 41)
zusammenbringt. Wir wollen uns diesen Begriff ebenfalls durch das angeführte Beispiel näher klar machen.
    "Mais quand je considére que ce corps est rond, l'idée que j'ai de la rondeur ne me représente qu'une maniére d'être ou un mode que je concois ne pouvoir subsister naturellement sans le corps dont il est rondeur"
    [Aber wenn ich bedenke, daß dieser Körper rund ist, stellt die Vorstellung, die ich von Rundheit habe, für mich nur eine Seinsweise oder einen Modus dar, von dem ich glaube, daß er ohne den Körper, dessen Rundheit er ist, nicht natürlich bestehen kann. - wp]
Auch diese Begriffe werden, wie wir sehen, durch Substantiva ausgedrückt, aber nur durch Abstrakta; Härte, Gerechtigkeit, Wärme, Klugheit sind die dafür angeführten Beispiele. Diese Begriffe entstehen dadurch, daß die betreffenden Eigenschaften substantiviert werden, es sind aber keineswegs Substanzen, denn die Härte, die Wärme etc. können immer nur als Eigenschaften an einem Ding erkannt werden, es sind, wie wir in Anlehnung an das maniére d'être [Art zu sein - wp] sagen könnten, Zustände oder bestimmte Seinsweisen der Substanz. Diese können natürlich nicht existieren, ohne daß zugleich die Substanz existiert, ich kann mir z. B. die Klugheit nie denken, ohne zugleich an ein kluges Wesen zu denken etc. (Seite 42) Unsere Logik legt auf eine genaue Auseinanderhaltung dieser Begriffe großen Wert und erklärt die Verwechslung der Modi mit den Substanzen (und umgekehrt) für eine Hauptquelle unserer Irrtümer und betont deshalb nochmals, daß es zur Natur des wahrhaften Modus gehört, daß man ohne ihn klar und deutlich die Substanz, an welcher er Modus ist, erkennen kann, nicht aber umgekehrt diesen Modus ohne Beziehung auf seine Substanz; auf dieses Wort "Beziehung" ist wohl zu achten, denn es handelt sich darum, daß, wenn auch nicht unbedingt ausdrücklich auf die zugehörige Substanz Rücksicht genommen werden muß, doch die Beziehung zu ihr keinesfalls geleugnet werden darf (Seite 42).

Im Anschluß daran kommt unsere Logik auf den DESCARTES'schen Wesensunterschied von Leib und Seele oder von ausgedehnter und denkender Substanz zu sprechen. Kann ein Modus oder Attribut niemals in der Weise gedacht werden, daß man die Beziehung zu seiner Substanz leugnet, so findet naturgemäß im umgekehrten Fall keine Zugehörigkeit statt, d. h. wenn ich die Beziehung zwischen einem beliebigen Modus und einer Substanz leugne, ohne daß dadurch dieser Substanzbegriff irgendetwas einbüßt, so gehört eben dieser Modus zu einer anderen Substanz. Da ich aber von der denkenden Substanz alle Modi der ausgedehnten leugnen kann und umgekehrt alle Modi der ausgedehnten von der denkenden, ohne daß dabei diese Substanzbegriffe aufhören, völlig klar und deutlich zu sein, so ist damit erwiesen, daß die ausgedehnte und die denkende Substanz zwei real verschiedene Substanzen sind (Seite 42). Unsere Logik steht also hier vollständig auf dem dualistischen Standpunt von DESCARTES.

Außer der Substanz und den Attributen kennt unsere Logik noch die chose modifiée [modifizierte Sache - wp], die vorhanden ist, "lors qu'on considére la substance déterminée par une certaine maniére ou mode" [wenn wir die Substanz betrachten, die durch eine bestimmte Weise oder Weise bestimmt ist - wp], sie entsteht durch die Verbindung eines Modus mit seiner Substanz; so stellt die Idee des runden Körpers die chose modifiée dar. Ein entsprechender Begriff dafür fehlt bei DESCARTES, und er könnte auch hier entbehrt werden. Die chose modifiée, d. h. also die durch ein bestimmtes Attribut oder durch einen Modus modifizierte Substanz soll offenbar den Begriff für die Einzeldinge abgeben, aber wie wir sahen, sind diese scon in der Substanzdefinition mitdefiniert worden, denn da ich an der Kugel (= runder Körper) die bestimmten Eigenschaften wahrnehme, die zum Rundsein gehören, so ist die Kugel in diesem Fall die zum Rundsein gehörige Substanz. Ansich wäre ja auch die Auffassung möglich, daß bei der Substanz, an der man etwas erkennt, immer nur an die ausgedehnte oder an die denkende Substanz zu denken ist, für unsere Logik ist dieselbe jedoch nicht möglich, da z. B. bei der Beziehung der Klugheit zu ihrer Substanz als diese der kluge Mensch oder sonst ein intelligentes Wesen genannt ist, nicht die denkende Substanz schlechthin. Die dritte Gruppe der Objekte, die modifizierten Substanzen, brauchen daher von den eigentlichen Substanzen nicht geschieden zu werden, zumal da doch auch jene nur aus ihren Attributen zu erkennen sind.

Wir sehen aus den vorangehenden Erörterungen, daß der Substanzbegriff bei DESCARTES wie in unserer Logik eine merkwürdige Stellung hat. Die Substanz wird, so gewiß auch ihre Existenz ist, immer erst mittelbar in der im nächsten Kapitel näher zu beschreibenden Weise erkannt. Dabei sei noch einmal auf die Gottesvorstellung hingewiesen; wenden wir auf diese an, was wir eben festgestellt haben, so ergibt sich, daß der Gottesbegriff sich in letzter Linie auf nichts weiter gründet, als auf die Vorstellung einer Reihe von einzelnen Eigenschaften in uns, als deren Träger Gott gedacht wird.

Im Anschluß hieran wollen wir uns noch die Stellung der Universalien in unserer Logik klar machen. Der Streit um diese hat ja, in seinen Grundlagen bis auf PLATO und ARISTOTELES zurückgehend, lange Zeit die Geister erregt und wurde namentlich, als man die dabei gewonnenen Resultate auf das theologische Gebiet (Trinitätslehre) anwandte, auch von praktischer Bedeutung. Man fragte, ob die Universalien nur Namen sind, die aus den Einzeldingen durch Abstraktion gebildet werden oder ob sie das ursprüngliche Existierende sind, die Einzeldinge dagegen nur nach ihnen gebildet oder metechein [teilnehmen - wp] an den Ideen zustande gekommen. Die Beantwortung dieser Fragen ergab einmal den Nominalismus, der im Sinne der ersten dieselbe entscheiden wollte, sodann den Realismus, der die Ideen für die Urbilder, die Einzeldinge dagegen nur für Abbilder erklärte. Wir wollen hier zunächst DESCARTES' Auffassung darlegen, da sie noch deutlicher als unsere Logik den Standpunkt zum Ausdruck bringt, der, wie wir dann sehen werden, von beiden gemeinschaftlich vertreten wird. DESCARTES sagt "Princ. philos. I, 59:
    "fiuntque haec universalia ex eo tantum, ut una et eadem idea utarmur ad omnia individua quae inter se similia sunt cogitanda."
    [diese Universalien sind nur dazu da, daß wir mit ein und derselben Vorstellung an alle einander ähnlichen Individuen denken. - wp]
Danach existieren die Universalien nur in unserem Denken von dem sie gebildet werden, um eine größere Anzahl ähnlicher Individuen zusammenfassend zu bezeichnen. Wir betrachten z. B. zwei Steine, abstrahieren dabei aber vollständig davon, daß es zwei Steine sind und richten unser Augenmerk vielmehr darauf, daß es zwei sind, und erhalten so den Begriff der Zahl zwei, den wir nunmehr in analogen Fällen stets anwenden können, so, wenn wir beim Anblick zweier Bäume davon abstrahieren, daß es sich um Bäume handelt usw. Ebenso wie mit den Zahlbegriffen ist es mit denen von Zeit und Dauer (Princ. philos. I, 57); auch sie existieren lediglich in unserem Denken und haben kein reales Objekt, welches ihnen entspricht. Dementsprechend betont auch unsere Logik, daß alle Dinge, welche existieren, Einzeldinge sind, daß wir aber gleichwohl mit Hilfe von Abstraktion mehrere Arten von Ideen bilden, von denen einige mehrere Einzelobjekte repräsentieren können.

Wir wollen uns dies am Begriff Dreieck klar machen, der von DESCARTES in den "Princ. philos. I, 59 und von unserer Logik Seite 52f behandelt wird. Letztere geht dabei von einem bestimmten Dreieck aus, einem gleichseitigen. Zeichne ich ein solches Dreieck auf Papier, so hat e außer der Gleichheit der Seiten immer noch andere bestimmte Eigenschaften; die Seiten nämlich haben eine bestimmte Länge. Abstrahiere ich von dieser, und fasse nur den Umstand ins Auge, daß ich eine von 3 gleichlangen Geraden begrenzte Figur habe, so kann ich hieraus die Idee eines gleichseitigen Dreiecks bilden. Dieser Idee kann aber naturgemäß kein reales gleichseitiges Dreieck entsprechen, denn jedes reale Dreieck hat Seiten von bestimmter Länge. Abstrahiere ich zuerst nur von der Größe der Seiten, so kann ich nun auch von ihrer Gleichheit abstrahieren; so gewinne ich die universale Idee des Dreiecks überhaupt. Sehe ich nun weiter auch noch von der Anzahl der Seiten ab, so erhalte ich die universale Idee des Vielecks usw.

Über diese Kenntnis durch Abstraktion handelt das 5. Kapitel des 1. Teiles (41). Dabei werden drei Arten unterschieden und als Zweck wird angegeben, bei der Unfähigkeit des menschlichen Geistes, kompliziertere Dinge gleich vollkommen zu erfassen, durch Teilung derselben die Schwierigkeit zu vermindern. Jedoch ist bei der verschiedenen Zusammensetzung der dinge nicht jede Kenntnis, die durch die Teile eines Ganzen von diesem gewonnen wird, eine Kenntnis durch Abstraktion. Handelt es sich um integrierende Bestandteile, wie bei den einzelnen Teilen des menschlichen Körpers, so kann man eine Kenntnis des gesamten Körpers gewinnen, indem man nacheinander die einzelnen Teile betrachtet. In diesem Fall liegt eine distinctio realis vor (Princ. philos. I, 60), welche nach DESCARTES einmal zwischen verschiedenen Substanzen stattfindet, wie zwischen der denkenden und der ausgedehnten Substanz, und sodann zwischen verschiedenen Teilen derselben Substanz. (Naturgemäß kann dabei nur die ausgedehnte in Betracht kommen, da die denkende einheitlich ist, also keine Teile hat.) Die zweite distinctio (modalis) findet nach DESCARTES zwischen einer Substanz und ihrem Modus statt oder zwischen mehreren Modi derselben Substanz. Also unterscheiden sich modal Figur und Bewegung von der ausgedehnten Substanz, Zweifeln und Erinnerung von der denkenden oder auch Figur von der Bewegung, Zweifeln von der Erinnerung. Dementsprechend kennt unsere Logik an zweiter Stelle eine connaissance par parties [Wissen nach Teilen - wp], welche stattfindet, wenn man einen Modus betrachtet, ohne dabei ausdrücklich auf seine Substanz zu achten, oder wenn man von zwei Modis derselben Substanz jeden getrennt betrachtet. Als Beispiel hierfür wird die Geometrie angeführt. Die Geometer haben als Gegenstand ihrer Forschung den Körper in seiner Ausdehnung nach Länge, Breite und Tiefe. Um den Gesamtkörper besser kennen zu lernen, betrachten sie ihn zunächst nur in seiner Ausdehnung nach einer Dimension, der Länge, und kommen so zum Begriff "Linie", dann nehmen sie eine zweite Dimension, die Breite, hinzu und handeln von der Fläche, bis sie endlich dann erst unter Hinzunahme der Tiefe vom Körper selbst, ihrem eigentlichen Gegenstand handeln. Diese Art der geometrischen Untersuchung ist wohl berechtigt, und es ist lächerlich, dagegen einzuwenden, in der Natur gäbe es doch gar keine Linien und Flächen, denn das hat noch kein Geometer behauptet, sondern nur das eine, daß man die Länge betrachten kann, ohne auf die Breite Rücksicht zu nehmen. Wenn man die Entfernung zweier Städte voneinander messen will, so mißt man doch auch nur die Länge und kümmert sich nicht um die Breite. In je mehr Modi der Geist die Dinge zerlegen kann, desto fähiger wird er, sie genau zu erkennen. Als ein deutlicher Beweis dafür wird das zweite Kapitel der Dioptrik des DESCARTES angeführt.

Die dritte Distinktion findet nach DESCARTES zwischen zwei Attributen derselben Substanz statt oder zwischen einer Substanz und einem seiner Attribute, ohne welches dieselbe nicht gedacht werden kann, wenn wir es tatsächlich ausschließen wollten. Hier ist nur eine Trennung der beiden Begriffe im Denken möglich, daher handelt es sich hier um eine distinctio rationis. Als Beispiel wird angeführt, daß wir keine klare und deutliche Vorstellung von der Substanz mehr haben, wenn wir die Dauer von ihr ausschließen, denn tatsächlich existiert eine solche Trennung nicht. Unsere Logik erwähnt nur die auf diese Art der Distinktion gegründete Kenntnis als Kenntnis durch Abstraktion und zeigt in dem an zweiter Stelle angeführten Beispiel, wie man von einem Dreieck, das man sich auf Papier zeichnet, zu einer Repräsentatividee für sämtliche möglichen Dreiecke kommen kann, als zu einer Universalidee. Daß dabei der höhere Grad immer den nächstliegenden niederen mit umfaßt und dieser wiederum den höheren mit einer Determination begreift (comprend), ist selbstverständlich.


6. Methodenlehre

Wenden wir uns nunmehr dem vierten Teil unserer Logik zu, welcher von der Methode handelt und als "zweifellos einer der nützlichsten und wichtigsten" der gesamten Logik bezeichnet wird (Seite 296). Haben wir bisher in der Hauptsache die Frage beantwortet, was wir erkennen können, so handelt es sich in diesem Abschnitt darum, zu zeigen, wie wir erkennen können, oder auf welchem Weg wir am Besten zu Wissen (la science, Seite 296) gelangen.

Suchen wir uns zunächst klar zu machen, was unsere Logik unter einem solchen Wissen versteht. Zunächst gibt es ein Wissen von den ersten Prinzipien: deren Gewißheit gründet sich lediglich auf ihre Klarheit und Deutlichkeit, oder wie unsere Logik sagt, auf ihre Evidenz. Ist aber ein Satz nicht ansich evident, so brauchen wir, damit wir von einem Wissen reden können, dazu Stützen, die entweder in der Autorität oder in der Vernunft (raison) (42) liegen können. Stützt sich das Wissen eines Satzes auf Autoritäten, so ist es kein eigentliches Wissen, sondern ein Glauben, stützt es sich auf die raison, so kann entweder dieselbe keine vollständige Überzeugung (conviction) hervorrufen, und wir reden dann von einer Meinung, bei welcher immer noch ein geringer Grad an Zweifel bestehen bleibt, oder sie überzeugt uns vollständig. Aber auch hier sind wieder zwei Möglichkeiten vorhanden,
    a) der Satz oder überhaupt die Sache, um die es sich handelt, ist nur scheinbar klar und die durch die raison hervorgerufene Überzeugung ist entweder ein Irrtum, wenn nämlich die Überzeugung tatsächlich falsch war, oder zumindest ein jugement téméraire [vorschnelles Urteil - wp] wenn man nur nicht genügen raison hat, ihn für wahr zu halten.

    b) Wenn aber diese raison nicht nur scheinbar ist, sondern tatsächlich "solide et véritable ce qui se connaît par une attention plus longue et plus exacte, par une persuasion plus ferme, et par la qualité de clarté qui est plus vive et plus pénétrante, alors la conviction que cette raison produit s'appelle science" [fest und wahr ist, was durch längere und genauere Aufmerksamkeit, durch festere Überzeugung und durch die Qualität der Klarheit, die lebendiger und durchdringender ist, erkannt wird, dann wird die Überzeugung, die diese Vernunft hervorbringt, Wissenschaft genannt. - wp](Seite 297)
Also nicht jeder Satz, den wir aussprechen, enthält ein Wissen unsererseits, vielmehr gehört dazu, wenn er nicht ansich klar ist, eine auf richtige Beweisführung gegründete Überzeugung von seiner Richtigkeit. Versuchen wir, die eben nach unserer Logik angeführten Möglichkeiten durch ein Schema uns deutlicher zu machen:

ein Satz wird erkannt:
    1. durch intelligence (vollständiges Wissen erreicht)
    2. Autorität (Glauben)
      a) göttliche Offenbarung
      b) menschliche Autorität
    3. Beweisführung (Deduktion) Durch diese ist er
      a) nicht vollständig überzeugend, ein geringer Zweifel bleibt (opinion)
      b) vollständig überzeugend
        α) nur scheinbar infolge eines Mangels an Aufmerksamkeit
          αα) ein Irrtum, wenn die Überzeugung falsch wahr
          ββ) ein vorschnelles Urteil, falls ungenügend begründet.
        β) auch in der Tat Wissen (science)
Aufgabe der Methodenlehre ist es nun zu zeigen, wie man in diesem dritten Fall durch richtige und überzeugende Beweisführung zu Wissen kommt. Ehe wir uns der Ausführung dieses Satzes zuwenden, wollen wir kurz die Erkenntnis durch intelligence und foi [Glaube - wp] betrachten.

a. Erkenntnis durch "intelligence" (intuitus) Durch intelligence erkennt man die ersten Prinzipien, wie unsere Logik sagt (Seite 296). Da die ersten Prinzipien aber, wie wir gesehen haben, der Philosophie DESCARTES' entlehnt sind, so liegt es nahe, anzunehmen, daß auch die Art und Weise, wie man diese erkennen kann, der bei DESCARTES entsprechen muß. Schon die Bezeichnung intelligence gibt uns die nötige Direktive; ein Grundprinzip soll durch Einsicht erkannt werden, d. h. ein solcher Satz soll uns ohne alle äußeren Gründe, ohne Autorität und ohne Beweisführung nur durch seine Evidenz gewiß sein. DESCARTES nannte diese Erkenntnisart "intuitus" und bezeichnete damit ebenso wie unsere Logik einen solchen Satz als durch bloßes "Anschauen" gewiß. Wir finden für diesen Begriff eine ausführliche Definition:
    "per intuitum intelligo non fluctuantem sensuum fidem, vel male componentis imaginationis judicium fallax; sed mentis purae et attentae tam facilem distinctumque coneptum, ut de eo quod intelligimus nulla prorsus dubitatio relinquatur; seu quod idem est, mentis purae et attentae non dubium conceptum, qui a sola rationis luce nascitur."
    [Mit Einsicht meine ich nicht den schwankenden Glauben der Sinne oder das trügerische Urteil einer schlecht gefaßten Vorstellung; denn mit einem reinen und aufmerksamen Geist ist es so leicht und deutlich zu verstehen, daß absolut kein Zweifel darüber besteht, was wir verstehen; oder was dasselbe ist: die unbestreitbare Vorstellung eines reinen und aufmerksamen Geistes, der allein aus dem Licht der Vernunft geboren wird. wp] (43)
Durch diesen "intuitus" werden aber - das ist wohl zu beachten - nicht nur die Axiome selbst erkannt, sondern auch das, was unmittelbar daraus abgeleitet wird; so geschieht die Erkenntnis, daß 2 + 2 ebenso viel ergibt wie 3 + 1 durch den intuitus, auch das cogito ergo sum wir ja durch den intuitus erkannt, und da unsere Logik diesen Satz unter den angeborenen und den ansich klaren, deutlichen und unbezweifelbaren aufzählt, dürfen wir wohl mit Recht annehmen, daß sie auch hierin ihrem Meister folgt. Erst wenn wir diese Theorie der intuitiven Erkenntnis erkennen, verstehen wir, daß dieser Satz kein Schlußsatz sein soll (wenn auch der Sache nach dadurch nichts geändert wird). Denn wie schon oben angedeutet wurde, kann aus dem cogito als dem Attribut der Substanzbegriff immer erst aufgrund des Axioms "das Nichts kann nicht Träger einer Eigenschaft sein" oder "Jedes Etwas muß etwas haben, an dem es ist" gewonnen werden (44). Intuitus ist daher nur ein anderer Name.

b. Erkenntnis durch Vermittlung von Autoritäten (Glaube) Ist die Autorität Gott, so gilt der Glaube mehr als das sicherste Wissen:
    "dans les choses de la foi, l'autorité de l'èglise universelle est entiérement décisive et tant s'en faut qu'elle puisse être un sujet d'erreur, qu'on ne tombe dans l'erreur qu'en s'écartant de son autorité et en refusant de s'y soumettre."
    [in Glaubensdingen ist die Autorität der Gesamtkirche ganz entscheidend und weit davon entfernt, ein Gegenstand des Irrtums zu sein, der nur dadurch irrt, daß man von ihrer Autorität abweicht und sich weigert, sich ihr zu unterwerfen. - wp] (Seite 287, vgl. 348
)Auf die Übereinstimmung, die in diesem Abschnitt mit DESCARTES herrscht, wurde schon im 2. Abschnitt hingewiesen. Etwas anders steht es mit der menschlichen Autorität. Zwar lassen sich für ein korrektes Verhalten auf diesem Gebiet keine bestimmten Regeln geben, aber es kann zumindest auf einige grobe Fehler, die häufig begangen werden, hingewiesen werden. Vor allem ist es ganz verkehrt, sich ddurch eine große Menge von Autoren verblenden zu lassen; gerade in schwierigen Fragen ist es viel eher möglich, daß einer allein die Wahrheit findet. Man erinnert sich hier sofort, daß auch DESCARTES im 2. Teil seines discours nicht in der Menge der Autoren eine Garantie für das Richtigsein einer Meldung oder einer Tatsache erblickt hat. Auch das reifere Alter und der hohe Rang oder vielleicht der hervorrangende Charakter der Gewährsmänner bürgt nicht für die Wahrheit ihrer Angaben (Seite 288). Nach der Schrift ist jeder ein Lügner, und wie leicht kann derjenige, der uns irgendetwas versichern will, selbst von anderen getäuscht worden sein (Seite 348). Und doch gibt es Dinge, die wir durch menschliche Autorität kennen, und deren Wahrheit darum doch unumstößlich sicher ist; so würden wir jemanden für toll (fou) halten, der daran zweifeln wollte, daß es Antipoden gibt, oder daß CÄSAR, POMPEJUS, CICERO etc. gelebt haben. Jedoch ist es unmöglich, genaue Vorschriften zu geben, nur läßt sich soviel sagen, daß im Allgemeinen jeder auf menschliche Autorität sich stützende Glaube noch einer weiteren Stütze durch die Vernunft bedarf, insofern als wir kaum etwas glauben werden, was unseren Verstand übersteigt (Seite 349).

c. Erkenntnis aufgrund von methodischer Beweisführung Als dritte Erkenntnisart ergab sich nach unserer Logik die aufgrund von methodischer Beweisführung; par la raison wird sie genannt, der Verstand muß als dabei tätig sein. Die Regeln für den Beweis sind dabei eng mit den für die Methode aufgestellten verschmolzen. Wir wollen, ehe wir ein Gesamturteil über sie abgeben, sie näher untersuchen.
    "On peut appeler généralement méthode l'art de bien disposer une suite de plusieurs pensées, our pour découvrir la vérité quand nous l'ignorons, ou pour la prouver aux autres quand nous la conaissons déja." (45) (Seite 308f)
    [Wir können allgemein "Methode" als die Kunst bezeichnen, eine Reihe von mehreren Gedanken gut zu arrangieren, um die Wahrheit zu entdecken, wenn wir sie nicht kennen, oder sie anderen zu beweisen, wenn wir sie bereits wissen. - wp]
Schon in dieser Definition der Methode kommt ihre doppelte Aufgabe deutlich zur Geltung, sie soll einmal Forschungsmethode, sodann Darstellungsmethode sein. Dem ersten Zweck dient die analytische, auch "méthode de résolution" oder "methode d'invention" genannt, dem zweiten die synthetische oder "méthode de composition", die man auch "méthode de doctrine" nennen kann. Diese Unterscheidung von analytischer und synthetischer Methode geht unmittelbar auf DESCARTES zurück. Dieser war in den zweiten Objektionen aufgefordert worden, den Inhalt seiner Meditationen einmal in synthetischer Form darzustellen, und kommt am Schluß seiner Responsionen diesem Wunsch nach, indem er in geometrischer Form das Dasein Gottes und den Wesensunterschied von ausgedehnter und denkender Substanz nachzuweisen sucht, wenn er auch diese Art der Darstellung für metaphysische Dinge nicht für sonderlich geeignet hält (Seite 72f). Die Analyse zeigt danach den wirklichen Weg, auf welchem eine Sache gefunden worden ist, eine Methode, welche den aufmerksam folgenden Leser dermaßen überzeugt, als ob er selbst die Sache gefunden hätte; die Synthese hingegen beweist auf dem umgekehrten Weg, was erschlossen worden ist: sie bedient sich dazu einer langen Reihe von Definitionen, Postulaten, Axiomen, gewährt aber denen, die lernen wollen, nicht dieselbe Befriedigung wie die Analysis, da sie nicht den Weg zeigt, auf welchem eine Sache gefunden worden ist. Das hängt mit der Ansicht DESCARTES' zusammen, daß nur das Wissen Wert hat, welches man durch eigenes Denken gewonnen, in diesem Fall mitgedacht oder erdacht hat.

Vergleichen wir unsere Logik mit DESCARTES hinsichtlich der Auffassung dieser Methoden, so finden wir zunächst eine Übereinstimmung für die analytische, welche der Forschung dienen soll, aber DESCARTES glaubt, auch als Lehrmethode sei diese geeigneter, während l'art de penser dafür nur die synthetische verwendet. Dabei ist allerdings zu erwägen, daß DESCARTES am Schluß der Respensionen von diesen Methoden spricht, wo es sich nur um die Beantwortung einzelner Fragen handelt bzw. um deren Untersuchung, unsere Logik dagegen eine Methode geben will, die für die Darstellung jeder Wissenschaft verwendbar sein soll. Als solche bezeichnet sie die Synthese, die sich der Analyse gewissermaßen als einer Hilfsmethode bei der Untersuchung einzelner Fragen (46) bedient. In ihrer definitiven Anwendung sind sich demnach hier Analyse und Synthese nicht entgegengesetzt, sondern sie ergänzen sich vielmehr (Seite 309). Diese Methoden dürfen nun aber nicht in der Weise verstanden werden, daß die eine von den Gegenständen der Erfahrung ausgeht und diese analysierend zu den Prinzipien aufsteigt, die Synthese umgekehrt von den Prinzipien ausgeht. Vielmehr setzen beide Methoden, wie wir gleich sehen werden, die Prinzipien voraus, denn diese werden, wie oben gezeigt wurde, intuitiv erkannt, bedürfen daher keiner Ableitung und keines Beweises. Gemeinsam ist beiden Methoden auch, daß man immer vom Bekannten zum weniger Bekannten fortschreitet, "car il n'ya point de vraie méthode qui puisse se dispenser de cette régle" [denn es gibt keine wirkliche Methode, die auf diese Regel verzichten kann - wp] (Seite 315). Der Unterschied dagegen liegt darin, daß man bei der synthetischen Methode mit einer vollständigen Aufzählung der klaren und deutlichen Maximen (= Axiome) beginnt, während man sie bei der analytischen nur vereinzelt je nach Bedarf heranzieht (Seite 315, Nr. 3) Sie unterscheiden sich ferner darin,
    "que l'on prend ces vérités connues dans l'examen particulier de la chose que l'on se propose de connaître, et non dans les choses plus générales, comme on fait dans la méthode de doctrine"
    [daß man diese bekannten Wahrheiten in die besondere Prüfung dessen nimmt, was man zu wissen beabsichtigt, und nicht in allgemeineren Dingen, wie man es in der Methode der Lehre tut. - wp] (Seite 315, Nr. 2)
Zur Erläuterung fügt unsere Logik noch hinzu, daß sich diese Methoden unterscheiden wie der Weg, den man vom Tal ins Gebirge hinauf macht, von dem, welchen man beim Abstieg aus dem Gebirge ins Tal zurücklegt, oder wie die zweifache Art, auf welche man Genealogien nachweisen kann, von denen die eine mit dem letzten Sproß beginnend immer zum nächsthöheren Vorfahren aufsteigt, die andere mit dem Urahn beginnt, dessen Kinder aufzählt usw. In diesem Fall sehen wir gleichzeitig, daß wir, um eine Genealogie zu finden, vom Sohn ausgehen müssen und zum Vater aufsteigen, und erst, wenn wir die beiden Endpunkte kennen, synthetisch verfahren können.

Für die beiden Methoden werden als gemeinsame Regeln die bekannten vier aus dem discours DESCARTES' angeführt. Von diesen fordert die erste: niemals eine Sache als wahr anzunehmen, die man nicht mit Evidenz als solche erkennt, d. h. sorgfältig alle Überstürzung zu vermeiden, und in seine Urteile nichts weiter aufzunehmen, als das, was sich dem Geist so klar darstellt, daß man nicht mehr daran zweifeln kann. Diese Regel erfordert also die strenge Durchführung des oben aufgestellten Satzes, daß nur in der Klarheit und Deutlichkeit einer Vorstellung das Kriterium ihrer Wahrheit enthalten ist. Die zweite fordert eine Teilung der Schwierigkeiten, die man zu prüfen hat, in so viele Teile als möglich und zur Auflösung notwendig ist. Als Hilfsmittel ist hier wertvoll die Kenntnis der möglichen Distinktionen, über welche oben gehandelt wurde. Drittens wird verlangt, seine Gedanken in die gehörige Ordnung zu bringen, indem man immer mit dem Einfachsten beginnt und dem, was am leichtesten zu begreifen ist, um stufenweise zu immer höherer und komplizierterer Kenntnis aufzusteigen. Um sich aber zu vergewissern, daß man nichts ausgelassen hat, soll man überall vollständige Aufzählungen und allgemeine Übersichten machen (Seite 317). Treten bei DESCARTES diese Regeln noch mit dem Anspruch auf, daß man bei ihrer genauen Befolgung vom rechten Weg nicht abirren kann, so erkennt unsere Logik doch schon an, daß die Befolgung derselben mit großen Schwierigkeiten verknüpft ist, daß es aber stets vorteilhaft ist, sie im Geist zu haben und zu beobachten, wenn man Wahrheiten durch Beweisführung auffinden will.

1. Die Analyse dient, wie wir sahen, zur Auflösung einzelner Fragen. Das erste, was man in einem solchen Fall zu tun hat, ist, daß man sich ganz klar darüber wird, was man aufzusuchen hat, damit es einem nicht geht wie dem Diener, der von seinem Herrn mit einem Auftrag zu einem Freund geschickt wird, und davonläuft, ehe er sich erkundigt hat, zu welchem Freund er gehen soll (Seite 310f). Man sieht, auch hier ist Klarheit das erste Erfordernis, das Ziel muß von vornherein wenigstens so weit gekennzeichnet sein, daß man nicht an ihm vorbeischießt, wenn man zu ihm kommt. Man darf nichts hinzunehmen, was nicht zur Frage gehört, und ebensowenig etwas Wesentliches auslassen. Die Logik bringt hier eine Reihe von Beispielen, die wörtlich mit DESCARTES (regulae Seite 45f) übereinstimmen, wenn auch der Name "analytische Methode" sich hier nicht findet. Also das Unbekannte so weit wie möglich zu kennzeichnen und dann vom Bekannten aus in das Unbekannte vorzudringen ist das Wesen der analytischen Methode. Als Beispiel führt unsere Logik die Untersuchung der Frage an, ob die menschliche Seele unsterblich ist, und beantwortet sie im engsten Anschluß an DESCARTES Meditationen. Man untersucht hier das Wesen der Seele und findet, daß dasselbe im Denken besteht (mit Hilfe des methodischen Zweifels). Was ist aber das Denken? Man sieht, daß in seiner Idee absolut nichts enthalten ist von dem, was in der Idee des Körpers oder der ausgedehnten Substanz enthalten ist, und daß man infolgedessen alle Eigenschaften der ausgedehnten Substanz vom Denken leugnen kann, ohne dessen Idee dadurch im Geringsten zu stören. Daraus schließt man, daß das Denken kein Modus der ausgedehnten Substanz ist, vielmehr einer anderen Substanz angehörten muß, und so haben wir nebeneinander zwei Substanzen, die denkende und die ausgedehnte, die realiter verschieden sind. Die Vernichtung der einen, des Körpers, braucht aber nicht die Vernichtung der anderen, der Seele, nach sich zu ziehen, zumal die Zerstörung des Körpers nicht eigentlich ein Untergang ist, sondern nur eine Auflösung in die einzelnen Teile der Materie, die in ihrer Quantität immer dieselbe bleibt. Die Seele aber hat keine Teile, kann sich also auch nicht auflösen, folglich ist sie unsterblich. Sehen wir diese Beweisführung näher an, so finden wir, daß eine ganze Reihe von Axiomen dabei vorausgesetzt sind, die an den betreffenden Stellen immer nur gedacht, nicht aber auch ausgesprochen zu werden brauchen, da ja auch aus den ersten Prinzipien intuitiv erkannt wird, nicht nur diese selbst.

2. Neben dieser nur für einzelne Fragen anwendbare Methode gibt nun die Logik von Port-Royal noch eine solche, welche zur Darstellung aller Wissenschaften geeignet ist, die Synthese (la méthode des sciences, Seite 345; "c'est celle dont on se sert pour expliqueur, tout les sciences" [Es ist dasjenige, das wir verwenden, um alle Wissenschaften zu erklären - wp], Seite 318) Das Vorbild für diese Methode hat die Geometrie abzugeben (47), die bisher die überhaupt relativ vollkommenste Methode besaß; doch hat diese immer noch einzelne Mängel. Diese bestehen vor allem darin, daß die Geometer in allererster Linie eine Überzeugung hervorrufen wollen, während sie lieber auf die Klarheit ihr Hauptgewicht legen sollten. An einer großen Reihe von Beispielen, namentlich aus EUKLID wird dies näher erläutert. Ein weiterer Vorwurf wird gegen die Art der Anordnung erhoben, sodann dagegen, daß über die selbstverständlichsten Dinge lange Erörterungen gepflogen und ausführliche Beweise geführt werden (48). Die Methode, die unsere Logik bringt, will von diesen letzten Fehlern befreien und fügt daher den für die Geometer allein in Betracht kommenden Regeln noch einige hinzu, die diesen Mängeln abhelfen sollen und somit die wahre Methode liefern. Dieselbe besteht aus Definitionen, Axiomen (zu beweisenden Sätzen) und Beweisen. Sie soll mit dem Allgemeinen beginnen und zum Besonderen fortschreiten, denn damit Ordnung herrscht, muß erst das genus [Art - wp] behandelt sein, ehe man auf die species [Individuum - wp] eingehen kann; man würde sonst nicht Wiederholungen vermeiden können. Betrachten wir die einzelnen Bestandteile dieser Methode:

a. Die Definition. Die Notwendigkeit, bevor man über irgendetwas zu disputieren beginnt, sich über den Begriff der einzelnen Wörter, deren man sich bedienen muß, klar zu werden, ergibt sich aus der Philosophie DESCARTES'. Es ist darauf noch einmal hinzuweisen, daß verschiedene Menschen demselben Wort einen ganz verschiedenen Sinn beilegen, daß manche Wörter sogar verschiedene Bedeutungen haben, ein Disputieren ebenso wie die Darstellung einer Wissenschaft setzt daher Klarheit über die zur Anwendung kommenden Termini voraus. Die große Bedeutung, welche der Definition von unserer Logik beigelegt wird, zeigt sich schon äußerlich darin, daß in drei verschiedenen Teilen des Werkes von ihr gehandelt wird (49). Für uns wird in den meisten Fällen ein Hinweis auf das dort Gesagte genügen. Zu unterscheiden ist zunächst die Satzdefinition von der Wortdefinition (analog den Satz- und Wortfragen; Seite 86f), doch ist in beiden Fällen leicht ein Mißbrauch möglich. Naturgemäß ist es nämlich unmöglich, daß wir alles definieren. Jede Definition kann immer wieder nur in Worten ausgedrückt werden, und da hier kein regressus ad infinitum [Teufelskreis - wp] möglich ist, muß es Worte geben, die allen so klar sind, daß sie selbst keiner Definition bedürfen. Für klar werden all die Ausdrücke erklärt, welche von allen Menschen, soweit sie dieselbe Sprache reden, in dem gleichen Sinn verstanden und gebraucht werden (Seite 92). Hieraus geht später die zweite Regel für die Definitionen (Seite 346) hervor: "N'employer dans les définitions que des termes parfaitement connus ou déja expliqués. [Verwenden Sie in den Definitionen nur Begriffe, die vollkommen bekannt oder bereits erklärt sind. - wp] Auch diese gilt ebenso wie die Regeln DESCARTES' und wie das Kriterium der Gewißheit nur für das Subjekt; der erforderte Zweck kann mit ihr kaum stets erreicht werden, wird es doch in den meisten Fällen erst Aufgabe der Definition sein, zu konstatieren, ob der betreffende Ausdruck von allen in demselben Sinn verstanden wird. Als solche werden angeführt: être, pensée, étendue, égalité, durée, temps [Sein, Gedanke, Ausdehnung, Gleichheit, Dauer, Zeit - wp] und ähnliche. Nehmen wir von diesen nur den Begriff der Ausdehnung, so wird uns sofort klar, wie wenig diese Ausdrücke allen Menschen klar sind, d. h. von allen in demselben Sinn verstanden werden; denken wir nur an die Opposition, die sich gegen die Identifizierung dieses Begriffs mit dem der Materie durch DESCARTES von allen Seiten erhoben hat und welche Mißverständnisse dadurch hervorgerufen worden sind! Die Klarheit selbst ist immer ein viel zu weiter Begriff, als daß er hier ausreichen könnte, aber vom Streben nach subjektiver Klarheit, die dann gleichzeitig eine objektive sein soll, ist die ganze Methodenlehre, die hier gegeben wird, durchdrungen; so wird Seite 165 als Haupterfordernis für eine Definition (abgesehen davon, daß sie nicht zu eng und nicht zu weit sein darf) aufgestellt, daß sie klar ist, d. h. daß sie uns eine klarere und deutlichere Kenntnis von der zu definierenden Sache gibt. Daraus ergibt sich von selbst auch die erste Regel, daß man keinen Ausdruck, der nicht ganz klar oder noch ein wenig zweideutig ist, undefiniert lassen darf (Seite 322, 346). Wollen wir die beiden Regeln zusammenfassen, so lautet die erste Forderung, die die Methodenlehre aufstellt: ehe man an die Darstellung einer Wissenschaft geht, werde man sich vollständig über alle in ihr zur Anwendung kommenden Termini klar.

b. DieAxiome (c'est-á-dire les propositions claires et évidentes par elles-mêmes [d. h. die Aussagen, die klar und selbstverständlich sind - wp], Seite 328) Unbedingt vor aller Erfahrung geltende allgemeine Sätze (communes notions, Axiome) bilden die Voraussetzung einer jeden methodischen Erkenntnis. Dieser Begriff "Axiom" spielt also in unserer Philosophie eine große Rolle; die Existenz von solchen allgemeinen Sätzen, heißt es Seite 328, wir von allen Menschen zugestanden, sie bilden die notwendige Voraussetzung einer jeden Demonstration und könnten, wenn sie auch nur ein wenig ungewiß wären, nicht die Grundlage einer gänzlich sicheren conclusio [Schlußfolgerung - wp] bilden. Jedoch besteht diese Klarheit und Deutlichkeit eines Satzes nicht darin, daß niemand ihm widerspricht, so daß umgekehrt jeder Satz zu beweisen wäre, der den geringsten Widerspruch findet. In diesem Fall gäbe es überhaupt keine Axiome, denn es gibt Philosophen, "qui ont fait profession de douter généralement de tout" [die es sich zur Aufgabe gemacht haben, generell an allem zu zweifeln - wp] (Seite 329) (50),
    "mais il faut tenir pour clair ce qui paraît tel á tous ceux qui veulent prendre la peine de considérer les choses avec attention, et qui sont sincéres á dire ce qu'il en pensent intérieurement".
    [aber wir müssen für selbstverständlich halten, was all jenen so scheint, die sich die Mühe machen wollen, die Dinge sorgfältig zu prüfen, und die aufrichtig sagen, was sie innerlich darüber denken. - wp]
Für die Aufstellung von Axiomen wird dann (Seite 331) ein Prinzip aufgestellt, welches maßgebend sein soll, später aber selbst als erstes Axiom erscheint (Seite 336):
    "Tout ce qui est contenu dans l'idée claire et distincte d'une chose, peut s'affirmer avec vérité de cette chose."
    [Alles, was in der klaren und deutlichen Vorstellung einer Sache enthalten ist, kann als Wahrheit dieser Sache bejaht werden. - wp]
Dieses Prinzip ist echt kartesianisch und vor allem für den Gottesbeweis DESCARTES', wie wir sahen, von größter Bedeutung. Unsere Logik zeigt die Anwendung dieses Satzes an dem Axiom: das totum ist größer als sein Teil. Dieses Axiom hat unbedingte Gültigkeit nicht etwa, weil wir von Jugend auf stets diese Erfahrung gemacht haben, sondern weil die Idee des totum und des pars es in sich schließt, daß das eine größer ist; wenn es aber in der Idee so enthalten ist, kann man es auch in Wahrheit behaupten. Der frühere Satz: "was ich klar und deutlich kenne, ist wahr" wird jetzt dahin erweitert: "wenn in der Idee eines Objekts Attribute oder Modi klar und deutlich enthalten sind, so hat das Objekt in Wirklichkeit die betreffenden Eigenschaften". Wollte man an der Gewißheit dieses Satzes zweifeln, so müßte man alle Gewißheit überhaupt leugnen; denn
    "wir können über die Dinge nur durch die Ideen, die von ihnen in uns sind, urteilen. Beziehen sich diese Urteile nur auf unsere Gedanken und nicht auf die von ihnen vorgestellten Objekte, so hört damit jedes Wissen von den Dingen auf." (Seite 332)
Jedoch genügt dieses eine Prinzip noch nicht vollständig, um zu zeigen, was nun tatsächlich in der klaren und deutlichen Idee einer Sache enthalten ist, und so werden noch zwei Regeln angeführt. Da diese selbst deutlicher, als es sich sonst darstellen läßt, zeigen, wie außerordentlich vage diese ganze Sache ist, mag die erste dieser zwei Regeln trotz ihrer unförmigen Länge wörtlich angeführt werden:
    "Lorsque, pour voir clairement qu'un attribut convient á un sujet, comme pour voir qu'il convient au tout d'être plus grand que sa partie, on n'a besoin que de considérér les deux idées du sujet et de l'attribut avec une médiocre attention, en sorte qu'on ne puisse la faire sans s'apercevoir que l'idée de l'attribut est véritablement renfermée dans l'idée du sujet: on a droit alors de prendre cette proposition pour un axiome qui n'a pas besoin d'être démontré, parce qu'il a de lui-même toute l'évidence que pourrait lui donner la démonstration, qui ne pourrait faire autre chose, sinon de montrer que cet attribut convient au sujet en se servant d'une troisiéme idée pour montrer cette liaison; ce qu'on voit déja sans l'aide d'aucune troisiéme idée."
    [Um klar zu sehen, daß ein Attribut zu einem Subjekt gehört, um zu sehen, daß es dem Ganzen gebührt, größer zu sein als sein Teil, braucht man die beiden Ideen von Subjekt und Attribut nur mit mittelmäßiger Aufmerksamkeit zu betrachten, was nicht möglich ist, ohne zu bemerken, daß die Idee des Attributs wirklich in der Idee des Subjekts enthalten ist: man ist dann berechtigt, diesen Satz für ein Axiom zu halten, das nicht bewiesen zu werden braucht, weil es von selbst alle Beweise hat, die die Demonstration ihm geben könnte, in der nichts anderes getan wird, als zu zeigen, daß dieses Attribut für das Subjekt geeignet ist, indem eine dritte Idee verwendet wird, um diesen Zusammenhang festzustellen; was wir bereits ohne Zuhilfenahme einer dritten Vorstellung sehen. - wp] (Seite 333)
Hierzu kommt eine zweite Regel, die besagt, daß Axiome eventuell auch nicht ganz klar sein können und dann einer Explikation bedürfen, die aber mit einem Beweis absolut nichts zu tun hat, sondern nur der Deutlichkeit wegen das im Axiom Enthaltene mit etwas anderen Worten ausdrückt. Bei der Zusammenstellung der acht Hauptregeln für die wissenschaftliche Methode erscheinen für die Axiome zwei kürzere Regeln, von welchen die erste verlangt, als Axiome nur vollkommen evidente Sätze zuzulassen, die zweite, als evident das anzuerkennen, was nur einer geringen Aufmerksamkeit bedarf, um als wahr erkannt zu werden (Seite 346). Auch hier handelt es sich hauptsächlich also um die Klarheit und Deutlichkeit der Ideen.

Tritt schon hierin die volle Übereinstimmung mit DESCARTES hervor, so noch mehr, wenn wir die als Beispiel angeführten Axiome betrachten. Über das erste wurde eben gesprochen; das zweite lautet: die Existenz, zumindest die mögliche, ist in der Idee all dessen, was wir klar und deutlich begreifen, eingeschlossen. Auch dies folgt ohne weiteres aus der Erkenntnistheorie DESCARTES' (Med. V.) Die Axiome 3-5 enthalten nur eine weitere Ausführung des DESCARTES'schen Satzes, daß alles einen Grund haben muß, daß also jede Vollkommenheit eines Dings auf die Ursache dieses Dinges zurückgehen muß, das Nichts aber nicht Ursache von einem Etwas sein kann. Die folgenden bilden nur die Anwendung dieser vorhergehenden Axiome auf die Bewegung. Axiome 8 und 9 beziehen sich auf die Sinnlichkeit und die Unendlichkeit: weil man das Verworrene nicht deutlich begreifen kann, soll man nicht an jeder Erkenntnisfähigkeit zweifeln (-8-) und der menschliche endliche Geist kann die Unendlichkeit nur unvollkommen begreifen (-9-). Da all dies schon oben berührt wurde, genügt hier der bloße Hinweis. - Zu diesen neun Axiomen kommen nun noch zwei weitere, von welchen sich das erste (-10-) auf den Glauben in göttlichen, das andere auf den in menschlichen Dingen sich bezieht. Nachdem unsere Logik sich vorher dahin geäußert hatte, daß in Glaubenssachen sich bestimmte Regeln nicht geben lassen, erscheint es seltsam, daß hier sogar Axiome aufgestellt werden. Jedenfalls können wir das eine feststellen, daß mit diesen Axiomen eine Grundlage, auf der ein sicheres Wissen aufgebaut werden könnte, nicht gegeben ist.

c. Der Beweis. Aufgrund der gegebenen Definitionen und der von allen vernünftigen Menschen anerkannten Axiome können wir eine Anzahl Sätze als wahr beweisen; nur eine Anzahl, denn wie oben gezeigt wurde, ist bei Weitem nicht jeder Satz, der durch Beweisführung erkannt wurde, ein sicheres Wissen. Der Beweis braucht nicht unter allen Umständen zwingend zu sein, wir können ja eventuell selbst über die Art der von uns vorgebrachten Beweisgründe uns unklar sein. Zu einer richtigen Beweisführung gehört zweierlei, einmal, daß der Stoff nur sichere und unbezweifelbare Erkenntnisse enthält, und sodann, daß in der Form der Beweisführung keine Fehler vorkommen. Diesen zwei Bedingungen wird genügt, wenn alle zum Beweis angeführten Sätze
    1. entweder Wortdefinitionen sind, welche, da sie willkürlich sind, nicht bestritten werden könenn, oder

    2. Axiome, bei deren Aufstellung natürlich die dafür aufgestellten Regeln zu gelten haben; oder

    3. schon bewiesene Sätze, die durch den für sie gelieferten Beweis ebenfalls klar und deutlich geworden sind, oder endlich

    4. Konstruktionen der betreffenden Sache, um welche es sich handelt (Seite 337f)
Demgemäß werden die beiden Regeln für den Beweis angeführt:
    1. alle nur einigermaßen dunklen Sätze sind nur aufgrund der gegebenen Definitionen, der allgemein anerkannten Axiome und der schon bewiesenen Sätze als wahr zu beweisen.

    2. Niemals darf mit der Zweideutigkeit der Wörter Mißbrauch getrieben werden, indem man es unterläßt, an ihre Stelle im Geist (mentalement) die gegebenen Definitionen einzusetzen.
Die Form der Beweisführung geschieht nach den Regeln des Syllogismus, doch wird deren Erwähnung an dieser Stelle für überflüssig erachtet; auf diese Weise nähern wir uns hier wieder DESCARTES, der auch mit seinen methodischen Regeln vollständig auskommen wollte. Überdies wird es als ein Hauptfehler beim Syllogismus erklärt, daß man sich über die Zweideutigkeit eines Wortes täuscht, indem man es in verschiedenen Sätzen des Syllogismus in verschiedenem Sinn gebraucht, und gegen diesen Fehler richtet sich die zweite der gegebenen Regeln. Die übrigen Fehler in der Beweisführung wird ein Mann von mittelmäßiger Geisteskraft, welcher einigermaßen Verständnis (lumiére) besitzt, von selbst vermeiden, auch ohne daß ausführliche Regeln dafür gegeben werden. Auch die Geometer stellen keine Regeln für die Form ihrer Beweise auf, und doch kommt es kaum vor, daß sie einen Fehler dabei machen. Ganz besonders diese Stelle erinnert uns wieder lebhaft an DESCARTES, dem ja ebenfalls dieses große Vertrauen auf die Fähigkeit des menschlichen Geistes, nur unter Beobachtung der bekannten vier Regeln wahre Erkenntnisse zu gewinnen, eigen ist.

d. Die Methode. Zwar haben wir hier eigentlich über die Methode nichts Besonderes mehr hinzuzufügen, aber der Vollständigkeit halber seien die beiden "Regeln für die Methode" (Seite 346) noch erwähnt. (Es handelt sich dabei um die Darstellungsmethode, oder wie sie in diesem Kapitel genannt wird: méthode des sciences). Die Dinge sind in ihrer natürlichen Reihenfolge zu behandeln, d. h. so weit als möglich darf nicht eher von der species gehandelt werden, als bis das genus vollständig behandelt ist. 2. Die Schwierigkeiten sind durch eine Teilung derselben zu vermindern und zu erleichtern. Diese Regeln fordern dasselbe, was DESCARTES von der Methode verlangt, die Worte, ddie er immer und immer wieder jedem, der logisch denken will, zuruft, lauten: "Klarheit" und "Ordnung". Lösung von schwierigen Aufgaben durch eine Zerlegung derselben ist dabei nur ein Mittel, welches der Klarheit dienen soll, da ja der menschliche Geist einfachere Dinge viel eher zu erfassen vermag, als komplizierte. DESCARTES hatte diese Regeln, als er sie zum ersten Mal der Öffentlichkeit übergab, noch mit einer gewissen Reserve ausgesprochen. Er will sie im "Discours de la méthode" zunächst nur deshalb mitteilen, weil er selbst bei der Beobachtung derselben so ungeahnte Erfolge erzielte, aber er sagt dann später gleich, daß man mit Hilfe dieser Methode noch weitere glänzende Resultate erreichen wird. Die Logik von Port-Royal folgt ihm auf diesem Weg, sie bringt in ihrer "Methode für die Wissenschaften" nicht einen einzigen neuen Gesichtspunkt, es ist vollständig die deduktive Methode des DESCARTES, die hier gelehrt wird, und diese Methode soll noch vollkommener sein als die geometrische (Seite 345).

FOUILLIÈE vermißt (Seite 347 Anm.) unter diesen Regeln solche für die Induktion. Aber dürfen wir überhaupt in diesem Zusammenhang solche erwarten? Nach den Äußerungen über die induktive Methode sicher nicht. Unsere Logik versteht unter dieser Methode die Bildung eines allgemeinen Gesetzes aus der Untersuchung der Einzeldinge (lorsque la recherche de plusieurs choses particuliéres nous méne á la connaissance d'une vérité générale [wenn die Suche nach mehreren besonderen Dingen uns zur Erkenntnis einer allgemeinen Wahrheit führt - wp] Seite 258). Aber diese Induktion allein genügt nicht, uns ein vollkommenes Wissen zu verschaffen, vor allem aber verführt die Induktion sehr leicht zu falschen Verallgemeinerungen und wird so eine Quelle des größten Irrtums (Seite 284), indem die meisten Menschen leicht geneigt sind, aus einzelnen Erfahrungen gleich allgemeine Gesetze zu bilden. Eine Induktion ist aber nur dann gültig, wenn wir sicher sind, daß sie vollständig ist, und nur in diesem einen Fall kann sie uns dazu dienen, ein Ding als wahr zu erkennen (Seite 330); aber diese Gewißheit können wir nie haben (Seite 331). FOUILLÉE sagt in seiner ersten Anmerkung zu Seite 259, ARNAULD habe sein gegebenes Versprechen hinsichtlich der Induktion nicht eingelöst. Gegen diesen Vorwurf möchten wir ihn entschieden verteidigen. ARNAULD bemerkte Seite 258, die Induktion allein könne nie ein vollständiges Wissen herbeiführen, "comme on le fera voir en un autre endroit" [wie wir an anderer Stelle sehen werden - wp] und seite 330f hat er diesem Versprechend nachkommend, die Unzuverlässigkeit derselben gezeigt. Regeln darf man also für diese Methode auf keinen Fall verlangen.


7. Schluß.

Welches ist das Ergebnis meiner Untersuchung? Die Logik von Port-Royal steht vollkommen auf dem Standpunkt der kartesianischen Philosophie. Die einzelnen Anschauungen DESCARTES' sind derartig eigener Besietz der Verfasser geworden, daß eine nähere Kennzeichnung derselben bisweilen gar nicht für notwendig erachtet wird. Wenn vielleicht auch nicht der ganze Inhalt dieser Philosophie hier wiederzufinden ist, so doch sicher die wertvollsten Bestandteile derselben. Weniges ist bei DESCARTES deutlicher, weil die Ableitung der kartesianischen Prinzipien welche zum Verständnis derselben sehr wesentlich ist, nicht gegeben wird, im Allgemeinen jedoch ist die Darstellung unserer Logik ein Muster an Deutlichkeit. Wir vermißten in der Erkenntnistheorie z. B. den methodischen Zweifel, d. h. seine Erwähnung, nicht die Bekanntschaft mit ihm, die wir in dem häufig wiederkehrenden indubitable [unmßverständlich - wp] antrafen, ähnlich war es mit der Klassifikation der Ideen. Die Philosophie des DESCARTES erscheint, was die Erkenntnistheorie anlangt, vollständig unverändert wieder, wir konnten auch nicht eine Änderung oder Polemik gegen ihn antreffen, fanden andererseits auch keine Weiterbildung.

Dagegen sind die methodischen Regeln zur Grundlage einer sorgfältigen ausführlichen Darlegung einer allgemeinen Methode für die Wissenschaften gemacht worden; auch hier haben wir zwar nichts Neues, aber die kartesianischen Regeln, deren Hauptziel Ordnung und Klarheit ist, sind näher erläuter und ausgeführt. Von ARISTOTELES und Regeln für den Syllogismus hören wir in dieser Methodenlehre ebensowenig wie bei DESCARTES, all die kunstvollen Regeln, die die Dialektik aufgestellt hat, sind ganz gut und schön, der klare Denker befolgt sie, ohne sie zu kennen, ebenso wie der beredte Mensch die Regeln der Beredtsamkeit (Seite 228). Auf diese Weise scheint es, als würde das im ersten discours Gesagte hinfällig, wo es hieß, die Grundlage des Werkes stammt aus ARISTOTELES, und in der Tat sinkt die Bedeutung, die ihm dort zugesprochen wurde, hier auf ein Minimum herab. Das ist ganz besonders von Bedeutung, denn in diesem letzten Teil der Logik haben wir zugleich ihren wertvollsten Bestandteil. Mit den ersten Erkenntnissen allein können wir, so wertvoll und notwendig sie auch für das weitere Erkennen sind, doch nur recht wenig anfangen; die Hauptsache blieb hier immer noch, zu zeigen, wie man von da aus weiter kommt. Dies aber kann, so sagt die Methodenlehre, auch ohne die Beachtung syllogistischer Regeln geschehen, d. h. ohne bewußte Beobachtung, und dasselbe sagte DESCARTES. Wer klar und ordnungsgemäß denkt, wird gegen die Formen nicht verstoßen, er wird sie unbewußt beobachten, ohne sie zu kennen, und wird schließlich befähigt sein, die herrlichsten Früchte, welche die Kenntnis der Logik gewähren kann, zu ernten.
LITERATUR - Curt Liebmann, Die Logik von Port Royal im Verhältnis zu Descartes [Inaugural-Dissertation] Leipzig 1902
    Anmerkungen
    39) siehe "rationes Dei existentiam et animae a corpore distinctionem probantes, more geometrico dispositae" [die Gründe, die die Existenz Gottes und die Unterscheidung der Seele vom Körper beweisen, sind geometrisch angeordnet - wp] am Ende der 2. Objektionen, Seite 75.
    40) Ich muß hierauf noch einmal zurückkommen in der Methodenlehre bei der Besprechung der intuitiven Erkenntnis weiter unten.
    41) Dieser Erörterungen fast übereinstimmend bei Descartes "Princ. philos. I, 60f und in der "Logik von Port-Royal" Seite 49f. Descartes, der dabei zunächst nicht von der Erkenntnis spricht, sondern nur von einem Unterschied, spricht stets von einer distinctio (realis, modalis, rationis), unsere Logik die ersten Male von einer considération bzw. connaissance par parties [Wissen nach Teilen - wp], das dritte Mal von concevoir par abstraction [Entwurf nach Abstraktion - wp]. - Diese Untersuchungen gehören eigentlich in die Methodenlehre, sind aber in der vorliegenden Arbeit im Anschluß an die Logik von Port-Royal in diesem Kapitel mitbehandelt worden, so daß dann ihre Erwähnung genügen kann. Die Disposition ist überhaupt in unserer Logik nicht streng gewahrt; im ersten discours (Seite 16) wird dies damit entschuldigt, daß man das Bestreben gehabt hat, alles, was zu einem Gebiet gehört, an einen Ort zusammen zu bringen. Deshalb habe man Vieles erst im vierten Teil gebracht, was eigentlich in frühere gehört hätte, so das über die Axiome und Demonstrationen Gesagte. Andererseits ist aber über die Definition nicht weniger als dreimal gehandelt, im ersten, zweiten und vierten Teil. Den Zweck, den man dabei im Auge hatte, größere Klarheit zu erzielen, hat man damit jedoch nicht erreicht.
    42) raison bezeichnet hier wohl eine Tätigkeit der Vernunft, oder die richtige Beweisführung.
    43) "Regulae ad directionem ingenii" in den Opuscula posthuma, Amsterdam 1701, reg III, Seite 6. Diese regulae Descartes sind bisher in der vorliegenden Arbeit nicht mit herangezogen worden, weil sie sehr viele Widersprüche mit den Hauptwerken Descartes aufweisen und die Art ihrer Entstehung absolut nicht gesichert ist. Baumann: Dürfen die "Regeln für die Leitung des Geistes" als gültige Quelle bei der Darstellung kartesianischer Philosophie und Methode gebraucht werden? in "Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Halle/Saale 1868, Bd. 53, Seite 189-205 kommt zu dem Resultat, sie sei höchstens zur Darstellung der Entwicklungsgeschichte der kartesianischen Philosophie zu gebrauchen. Im vierten Teil unserer Logik ist die Schrift, wie aus vielfachen wörtlichen Übereinstimmungen hervorgeht, benützt und kann deshalb nicht entbehrt werden.
    44) vgl. Ludwig Fischer, Cogito ergo sum, Dissertation, Leipzig 1890.
    45) Ganz abweichend Descartes' Reg. IV, Seite 9: "per methodum intelligo regulas certas et faciles, quas qui servaverit, nihil umquam falsum pro vero supponat et nulla mentis conatu inutiliter consumpto sed gradatim semper augend scientiam perveniet ad veram cognitionem eorum omnium, quorum erit capax." [Mit Methode meine ich gewisse und einfache Regeln, von denen derjenige, der sie befolgt, nie etwas Falsches für wahr hält, und durch allmähliche Erweiterung seines Wissens wird er zu einer wahren Kenntnis all dessen gelangen, wozu er fähig ist. - wp]
    46) Die Fragen werden von unserer Logik (Seite 309f) in Übereinstimmung mit Descartes' Reg. XIII, Seite 45f in "questions de mots" (Lösung von Rätseln etc.) und "questions de choses", bei denen man 1. die Ursachen durch die Wirkungen sucht, 2. die Wirkung durch die Ursachen, 3. durch die Teile das Ganze, 4. durch das Ganze und einen Teil den andern, eingeteilt.
    47) Auch Descartes hat namentlich in den Responsiones, Seite 72f, auf die geometrische Methode als das Vorbild hingewiesen, aber er bezeichnete damit nicht nur, wie unsere Logik, die synthetische Methode, deren sie sich in der Darstellung bedient haben, sondern auch die analytische, die als Forschungsmethode bei ihnen in Gebrauch gewesen ist. Diese haben sie aber nicht mitgeteilt, weil sie sie quasi arcanum [als Geheimnis - wp] für sich behalten wollten.
    48) Teil IV, Kapitel 9: "De quelques défauts qui se rencontrent d'ordinaire dans la méthode des géométres" [Von einigen Fehlern, denen man gewöhnlich in der Methode der Geometer begegnet - wp] und Kapitel 10: "réponse á ce qui disent les géométres á ce sujet" [Antwort auf das, was die Geometer darüber sagen - wp] (Seite 339f).
    49) 1. Teil, Kapitel 12f; 2. Teil, Kapitel 15f; 4. Teil, Kapitel 4f.
    50) Gegen den Skeptizismus tritt in unserer ganzen Logik eine große Unduldsamkeit zutage.