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JULIUS LORSCH
Die Lehre vom Gefühl
bei Johann Nicolas Tetens


"Wir empfinden nicht allein Farben, Töne usw., wir  empfinden  auch unsere Vorstellungen, unsere Gedanken und unser Wollen. Die Empfindung der Vorstellung des Gedankens und des Wollens ist von der Vorstellung, dem Gedanken und dem Wollen selbst wohl zu unterscheiden. Die Reproduktion einer vergangenen Empfindung ist eine Vorstellung. Dieser Vorgang wirkt wiederum auf die Seele, und wir haben zwei Äußerungen derselben: einmal die Vorstellung und dann die Empfindung des Eindrucks, den wir davon haben, daß wir uns eine Sache vorstellen. Für diese Empfindung ist die Vorstellung Objekt, wie für die Empfindung  rot  die rote Farbe."

"Die Vorstellung selbst in dem eben bezeichneten Sinn beschäftigt sich mit vergangenen Eindrücken. Unser Streben und Wollen andererseits geht auf Zukünftiges, das verwirklicht werden soll. Die Empfindung aber, die durch die Vorstellung oder das Wollen hervorgerufen wird, hat nicht etwas Vergangenes oder Zukünftiges zum Gegenstand, so wenig wie etwa eine Empfindung des Gesichts oder des Gehörs."


Einleitung
Tetens' historische Stellung

Es gehört zu den charakteristischen Merkmalen der deutschen Aufklärungsepoche, daß sie in allen Zweigen der philosophischen Wissenschaft den Menschen als Individuum in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Diese Periode in der Geschichte der deutschen Philosophie ist deshalb auch ein Zeitalter reger Entwicklung der Psychologie, und kein Philosoph aus jener Epoche hat es unterlassen, über psychologische Themata mehr oder weniger ausgedehnte Betrachtungen anzustellen.

Die Psychologie der Aufklärungszeit nimmt in der Hauptsache ihren Ausgang von der LEIBNIZ-WOLFFschen Behandlung dieser Wissenschaft. Daneben aber dürfen die Einflüsse englischer und französischer Philosophie nicht unterschätzt werden. Ihren Höhepunkt erreicht sie in dem Philosophen, dem diese Darstellung gewidmet ist, in JOHANN NICOLAS TETENS (1).

TETENS behandelt in seinen Schriften, insbesondere in seinem Hauptwerk, den "Philosophischen Versuchen über die menschliche Natur und ihre Entwicklung" (1777), so ziemlich alle philosophischen Probleme, die in seiner Zeit zur Diskussion standen; im wesentlichen ist er aber doch Psychologe; und so kommt es, daß er auch da, wo er nicht über rein psychologische Fragen handelt, eine psychologische Erörterung der Sache zur Grundlage des weiteren Forschens macht.

Seine Methode ist die empirische. Damit steht er von vornherein auf einem anderen Standpunkt als die Anhänger der rationalistischen Psychologie. Für die rationalistische Schule war die Psychologie im Grunde nur ein Zweig der Metaphysik. Als ihre Hauptprobleme galten die Unsterblichkeitsfrage und das Verhältnis von Leib und Seele, und die Auffassung der seelischen Vorgängen war immer von den in der Metaphysik aufgestellten Prinzipien beeinflußt. Als LEIBNIZ' Monadologie ergaben sich mit Notwendigkeit seine psychologischen Ansichten. WOLFF schrieb zwar außer einer rationalen Psychologie auch eine  Psychologia empirica;  aber, was in diesem Werk niedergelegt ist, war doch keine reine Erfahrungsseelenlehre. Seine Metaphysik schweigt nicht darin: in der der LEIBNIZschen Monadenlehre entnommenen Auffassung, daß das Wesen der Seele eine  vis representativa  ist, haben wir den Grund für den intellektualistischen Charakter seiner ganzen empirischen Psychologie zu erblicken. TETENS' Psychologie hingegen hat mit der Metaphysik nichts zu tun. Sie geht nicht von einem obersten Prinzip aus, sondern entlehnt von den Naturwissenschaften die Methode, sie hält sich lediglich an die Erfahrung. Das Experiment findet natürlich beiihm noch keine ausgedehnte Anwendung. Aber es ist immerhin ein nicht zu unterschätzendes Verdienst TETENS' hier einen Anfang gemacht zu haben. Er stellt interessante Versuche an über die Nachempfindungen des Gesichts, des Gehörs und des Tastsinns (2), ferner mit Hilfe der LAMBERT'schen Farbenpyramide (3) über die Vermischung von Farben in der Phantasie. Abgesehen von solchen Ansätzen zum Experimentieren ist TETENS jedoch lediglich auf die Beobachtung und zwar hauptsächlich die Selbstbeobachtung angewiesen. (4)

Die psychologische Empirie war die Methode LOCKEs und HUMEs gewesen, und sie war in Deutschland zum erstenmal von ANDREAS RÜDIGER als Grundsatz psychologischer Forschung aufgestellt worden. Sie hat alsdann noch weitere Anhänger unter den deutschen Philosophen gefunden, wie ADOLF FRIEDRICH HOFFMANN und den Berliner Akademiker MERIAN (5), ohne jedoch überall mit völliger Strenge durchgeführt zu werden. Bei TETENS werden die Erfordernisse der empirischen Methode nirgends außer Acht gelassen und dieselbe, innerhalb der oben bezeichneten Grenzen, zu einer gewissen Vollendung ausgebildet. Mit scharfem Blick beobachtet er den Ablauf der psychischen Vorgänge und deren Natur, und vielen seiner Beobachtungen kann man einen aktuellen Wert nicht absprechen.

Wo das Mittel der Beobachtung nicht mehr hinreicht und es sich um metaphysische Probleme zu handeln beginnt, tritt TETENS äußerst vorsichtig auf und geht selten über die Aufstellung einer wahrscheinlichen Hypothese hinaus. Er ist kein Dogmatiker, der bei metaphysischen Streitfragen nur nach Beweisgründen sucht, um sich entweder auf die eine oder auf die andere Seite schlagen zu können, sondern er scheidet mit kritischem Geist, was an jeder der miteinander kämpfenden Meinungen haltbar ist, aus und gelangt so gewöhnlich zu einer Synthese derselben. "In dieser Beziehung", sagt HARMS treffend, "ist eine Annäherung von TETENS an KANT vorhanden, von dem gleichfalls diese durch die geschichtliche Entwicklung gegebenen Philosophen nicht als Lösung der Probleme, sondern selbst nur als Versuche zu ihrer Lösung aufgefaßt werden, welche der Kritik bedürfen." (6) Auch J. E. ERDMANN hat schon darauf hingewiesen, wie TETENS in den Streitfragen über die Sprache, über Determinismus und Indeterminismus, über den Wert des Zeugnisses des gesunden Menschenverstandes und über das Gedächtnis "eine Vermittlung der Extreme" anstrebet, "die ihn als einen auf der Schwelle zur nächsten Periode Stehenden kennzeichnet." (7)

Die Verwandtschaft unseres Philosophen mit KANT in der gesamten Geistesrichtung kommt auch dadurch zum Ausdruck, daß er "den erkenntnistheoretischen Erörterungen eine bei weitem selbständigere Stellung einräumt, als es in der bisherigen Philosophie der Fall zu sein pflegte." (8) Hier gelangt er mehrfach zu ähnlichen Resultaten wie KANT, z. B. in der Frage des Verhältnisses von Sinnlichkeit und Verstand und indem ihm sowohl die Empfindungen der äußeren Sinne als auch die des inneren Sinnes nur als "Schein" oder "Phänomen" gelten. (9)

Unter den Psychologen, mit denen sich TETENS in seinen "Philosophischen Versuchen" kritisch auseinandersetzt, ist CHARLES BONNET wohl der am meisten berücksichtigt. (10) BONNET gehört zu den Begründern der physiologischen oder mechanischen Psychologie. Die physiologische Grundlage für die seelischen Erscheinungen zu finden, ist in seinen psychologischen Untersuchungen das leitende Moment (11). Demgegenüber erkennt zwar TETENS an, daß die Betrachtung der Seelenvermögen von der Seite, wo das Gehirn daran teil hat, ein neuer Gesichtspunkt sei, der Gelegenheit geben könne, "sie besser und völliger zu sehen". Im übrigen aber ist er der Ansicht, daß diese Methode die psychologische Erkenntnis nicht wesentlich zu fördern vermag, weil von den Gehirnvorgängen so gut wie gar nichts bekannt ist und man in der Kenntnis derselben auch wohl kaum je bedeutende Fortschritte machen wird. Die sogenannte analytische oder anthropologische Methode hat eher geschadet als genützt (12).
    "Was fast jedesmal in den Wissenschaften geschieht, wenn Epoche gemacht wird, das ist auch hier geschehen. Die neue Betrachtungsart, welche gemeinhin auch eine Umänderung des Redegebrauchs nach sich zieht, zeigt die Sachen aus einem neuen Standort, an den man noch nicht gewöhnt ist, und wo man sie daher auch nicht so bestimmt und deutlich faßt, als man sie vorher aus dem alten gefaßt hatte; man sieht sie also am Anfang verwirrter und schlechter. Die Begierde, Seelenbeschaffenheiten als Gehirnveränderungen vorzustellen, hat einige neuere Beobachter manches in den Gesetzen des Denkens übersehen lassen, was ihrer Scharfsinnigkeit nicht entwischt sein würde, wenn sie diesen Teil unseres Innern nicht in der unvorteilhaften Stellung der Hypothese gesehen hätten." (13)
Der Betonung der physiologischen Seite des Seelenlebens entsprechen bei BONNET Anschauungen über das Verhalten der Seele in den psychischen Vorgängen, denen TETENS Widerspruch entgegengesetzt.

In seiner Auffassung von der  Natur  der Seele kann TETENS noch mit BONNET zusammengehen. (14) Denn auch dieser hält an der Annahme eines immateriellen Seelenlebens fest (15). Hierbei sei bemerkt, daß TETENS den Beweis der Einfachheit der Seele aus der Einheit des Ichs, d. h. aus der Tatsache, "daß das Ich, welches sieht, das nämliche ist, welches hört, schmeckt, riecht, fühlt, denkt, will" (16), nicht für stichhaltig erachtet. Er beweist sie vielmehr aus der Einfachheit des psychischen Vorgangs im Gefühl, die ihm nur dadurch erklärbar erscheint, daß das dieses bedingende Vielfache der organischen Vorgänge in einem einfachen Wesen  kolligiert  [zusammengesammelt - wp] wird. (17)

über den Anteil der Seele aber an den psychischen Vorgängen weicht die Meinung TETENS' von der BONNETs wesentlich ab. Jede Empfindung läßt nach BONNET in der erregten Gehirnfiber eine Disposition zurück, dieselbe Empfindung von neuem entstehen zu lassen, ohne daß wieder eine Einwirkung von außen auf die betreffende Fiber stattfindet. Wenn mehrere Gehirnfibern zugleich oder nacheinander durch äußere Eindrücke erregt worden sind, so wird eine spätere abermalige Affektion einer jener Fibern auf dem beim erstenmal geschaffenen Verbindungsweg auf die anderen fortgepflanzt, und die in diesen disponierten Ideen werden wiedererweckt. Die Fibern für ähnliche Empfindungen liegen nach BONNET nahe beieinander (18), so daß hier für die Fortpflanzung der Erregung nicht erst ein Verbindungsweg vorbereitet zu werden braucht, vielmehr eine derselben die anderen wachzurufen vermag, wenn sie auch ehemals nicht zugleich oder unmittelbar nacheinander vorkommen waren (19). Das Gedächtnis ist also wesentlich Sache des Gehirns. Die Seele selbst kann Empfindungen nicht reproduzieren; sie hat nur die Macht, eine reproduzierte Empfindung anderen vorzuziehen und dadurch zu verstärken oder zu verlängern. Dies tut sie bei lustvollen Ideen, von unlustvollen wendet sie die Aufmerksamkeit ab. Die Seele darf die Zuschauerin machen, freilich eine solche, welche dem Schauspiel gegenüber nicht ganz gleichgültig ist. (20)

TETENS gibt zu, daß diese mechanische Erklärung der Ideen-Reproduktion und Assoziation vor der bisher landläufigen, wonach Spuren der Empfindungen nur in der Seele zurückbleiben, also die Reproduktion der Ideen vom Gehirn gänzlich unabhängig ist, den Vorzug besitzt, daß sie pathologische Vorgänge, wie den Verlust des Gedächtnisses durch Krankheit und das Kindischwerden im Alter viel leichter als jene verstehen läßt. Dagegen kann mit der BONNET'schen Hypothese "die Selbstmacht unseres Ichs über die Vorstellungen und das Selbstbestreben, wenn wir uns auf etwas mit Fleiß besinnen, nicht ohne Mühe" vereinigt werden (21). Aus dieser Sachlage ergibt sich für TETENS die Wahrscheinlichkeit einer dritten vermittelnden Hypothese, wonach den im Gehirn zurückbleibenden Spuren der Empfindungen gewisse Dispositionen in der Seele entsprechen, beide sich gegenseitig voraussetzen und eine Entwicklung derselben zu Vorstellungen sowohl im Gehirn als auch in der Seele ihren Ausgang nehmen kann. (22)

Mehr noch als den psycho-physischen Hypothesen BONNETs ist TETENS den Bemähungen HARTLEYs und PRIESTLEYs, eine bestimmtere Vorstellung von den "materiellen Ideen" zu gewinnen, abgeneigt. HARTLEY hatte die Ansicht ausgesprochen, daß die Gehirnbewegungen, welche die Empfindungen begleiten, in gewissen Schwingungen der Gehirnfasern oder auch des Äthers im Gehirn bestehen, und PRIESTLEY hatte diese Anschauung in etwas modifizierterer Form beibehalten (23). Diesen Versuchen gegenüber betont TETENS (24) immer wieder die große Unsicherheit und die völlige Unfruchtbarkeit aller Hypothesen auf diesem in dichte Finsternis eingehüllten Gebiete.

Besonders bekannt ist TETENS in der Geschichte der Philosophie dadurch geworden, daß er die Selbständigkeit des Gefühls gegenüber den anderen Seelenvermögen zum erstenmal entscheidend zur Geltung brachte. Dennoch ist bis heute eine eingehendere Darstellung seiner Gefühlslehre nicht gegeben worden, wie ja überhaupt dieser Philosoph von der Nachwelt wohl noch nicht seiner Bedeutung entsprechend gewürdigt und von der Geschichtsschreibung etwas stiefmütterlich behandelt wurde.

Die folgenden Darlegungen über die Lehre vom Gefühl bei TETENS suchen jene Lücke auszufüllen, indem sie sich dabei im wesentlichen auf die Ausführungen des zweiten Versuches in dem oben genannten Hauptwerk des Philosophen stützen.


§ 1.
Wortbestimmungen

Bevor wir in die Darstellung von TETENS' Gefühlslehre selbst eintreten, ist es nötig zur Orientierung zu bemerken, daß TETENS das Wort "Gefühl" nicht von vornherein im engeren Sinn des modernen Sprachgebrauchs anwendet, sondern hinsichtlich der Ausdrücke "Empfindung" und "Gefühl" an die zu seiner Zeit landläufige Terminologie anknüpft. Er hat für das, was  wir  mit dem Wort "Empfindung" bezeichnen, zwei Ausdrücke: "Empfindung" und "Gefühl" (25). Für die Empfindung aber  samt  dem damit verbundenen Phänomen, für welches  wir  das Wort "Gefühl" haben, gebraucht TETENS außer der Bezeichnung "rührende Empfindung" das auch bei THOMAS ABBT (26) schon so angewendete Wort "Empfindnis", mit welchem er jedoch oft auch den Gefühlsbestandteil, die "Rührung", allein meint.

Der Übergang zur modernen Unterscheidung der Begriffe  Empfindung  und  Gefühl  kennzeichnet sich bei TETENS durch die Bemerkung, daß der Geist der Sprache doch gewisse Unterschiede zwischen den beiden Benennungen lehrt. Er weist gelegentlich darauf hin, daß als Gefühle nicht sowohl diejenigen seelischen Inhalte zu bezeichnen sind, in denen das objektive Erkennen der sie bedingenden äußeren Gegenstände gegeben ist (also nicht die heute spezifisch so genannten Empfindungen), als vielmehr das subjektiv Zuständliche, also das, was man gegenwärtig mit dem Ausdruck "Gemeingefühl" benennt, Zustände wie Hunger und Durst und dgl. (27) Er führt des weiteren aus, daß, wenn wir von  Empfindung  einer Sache reden, wir damit gewöhnlich meinen, daß wir dieselbe "gewahrnehmen" (apperzipieren), von anderen unterscheiden, in welchem Sinn das Wort "Fühlen" wohl nicht gebraucht wird. Bei der ferneren Untersuchung der Empfindnisse macht TETENS, indem er das "Rührende" derselben, das, was sie gerade zu Empfindnissen macht, Gefühl und das übrige an ihnen Empfindung nennt, vorübergehend dieselbe sprachliche Unterscheidung von "Empfindung" und "Gefühl" wie die moderne Psychologie. Doch bringt er in der Terminologie seines Werkes diese Unterscheidung der beiden Ausdrücke eben nur gelegentlich und nicht im allgemeinen zur Geltung.


§ 2.
Der Empfindungsvorgang

Wie kommt eine Empfindung zustande? Die Selbstbeobachtung lehrt uns, daß bei diesem Vorgang eine Veränderung im Zustand der Seele, eine Modifikation derselben (28) eintritt, und zwar infolge eines Eindrucks, der auf die Seele bewirkt wurde. Diese Veränderung ist es, die wir fühlen oder empfinden. Zu definieren, was dieses Empfinden sei, ist unmöglich. "Es ist eine einfache Seelenäußerung, die ich nicht in noch einfachere zu zerfasern weiß." (29) Ist aber auch eine Bestimmung dessen, was das Fühlen in diesem Sinne ist, nicht angängig, so ist es dennoch möglich, darüber manches auszusagen, seine Beschaffenheiten und seine Beziehungen zu anderen seelischen Vorgängen zu beschreiben. Es kommt allerdings eine Empfindung niemals allein, d. h. ohne die Wirkungen anderer Seelenvermögen auf sie selbst vor, zumindest für unsere Beobachtung nicht. Das Fühlen, Vorstellen und Gewahrnehmen einer Sache folgt so schnell aufeinander, daß uns die Vorgänge als gleichzeitig erscheinen. TETENS hält es auch nicht für unmöglich, daß dieselben wirklich gleichzeitig stattfinden, "wie die mehreren gleichzeitigen Töne, welche eine gespannte Saite auf einmal angibt." (30) Dennoch läßt sih die Empfindung wie auch die Vorstellung und Gewahrnehmung oft auch für sich allein betrachten und beobachten, da es Fälle gibt, "wo die eine oder die andere dieser Äußerungen hervorsticht" (31) und in Gedanken die übrigen eliminiert werden können.


§ 3.
Äußere Sinne und innerer Sinn. -
Passivität der Empfindungen.

Den Begriff "Empfindung" braucht TETENS nun aber nicht bloß in Bezug auf die  äußeren  Eindrücke. Er führt aus: Bei den Empfindungen des Gesichts, des Gehörs, des Geruchs, des Geschmacks, des Getasts und des körperlichen Gefühls (Gemeinsinns) kommt der Eindruck, der auf die Seele wirkt, von außen her; zumindest glauben wir das. Wir fühlen dann mit dem äußeren Sinn. Aber nicht alle Empfindungen gehören dem äußeren Sinn an. Es gibt einen inneren Sinn als zweite Quelle von Empfindungen. Wir empfinden nicht allein Farben, Töne usw., wir "empfinden" auch unsere Vorstellungen, unsere Gedanken und unser Wollen. Die Empfindung der Vorstellung des Gedankens und des Wollens ist von der Vorstellung, dem Gedanken und dem Wollen selbst wohl zu unterscheiden. Die Reproduktion einer vergangenen Empfindung ist eine Vorstellung. Dieser Vorgang wirkt wiederum auf die Seele, und wir haben zwei Äußerungen derselben: einmal die Vorstellung und dann die Empfindung des Eindrucks, den wir davon haben, daß wir uns eine Sache vorstellen. Für diese Empfindung ist die Vorstellung Objekt, wie für die Empfindung "rot" die rote Farbe. Vermöge des inneren Sinnes beobachten wir unser eigenes Seelenleben.

Die Vorstellung selbst in dem eben bezeichneten Sinn beschäftigt sich mit vergangenen Eindrücken. Unser Streben und Wollen andererseits geht auf Zukünftiges, das verwirklicht werden soll. Die Empfindung aber, die durch die Vorstellung oder das Wollen hervorgerufen wird, hat nicht etwas Vergangenes oder Zukünftiges zum Gegenstand, so wenig wie etwa eine Empfindung des Gesichts oder des Gehörs. Wir  erinnern  uns eines ehemaligen Zustandes, wir  wollen  einen zukünftigen, aber nur den  gegenwärtigen fühlen  wir. Das Gefühl, ob es dem äußeren oder dem inneren Sinn angehört, hat es nur mit gegenwärtigen Dingen zu tun.

Wenn die Vorstellung Vergangenes hervorholt, das Wollen eine Tendenz auf weitere Veränderungen in sich schließt, so ergibt sich daraus, daß diese Vorgänge Wirkungen der tätigen Kraft der Seele sein müssen. Das Gleiche gilt auch von dem den Empfindungsstoff bearbeitenden Denken. Diese Äußerungen der Seele stellen nicht einfach ein Bewußtwerden eines sie von außen oder von innen treffenden Eindrucks dar. Sie mögen wohl durch andere Vorgänge in der Seele veranlaßt werden; das ändert aber nichts daran, daß, indem sie vorstellt, denkt und will, die Seele nicht leidend, sondern tätig ist. In der Empfindung jedoch, die gänzlich im Augenblick aufgeht, offenbart sich die rezeptive Seite der Psyche. Die durch einen Eindruck, den die Seele erleidet, hervorgerufene Veränderung ist es, die gefühlt wird. Der Eindruck kommt entweder von außen oder geht - bei den Empfindungen des inneren Sinnes - von der Seele selbst aus.

Der passive Charakter der äußeren Empfindungen leuchtet ohne weiteres ein; für die Empfindungen der Tätigkeiten der Seele jedoch bedarf diese Auffassung einer besonderen Erörterung. Ist denn nach allem, was TETENS zum Vorstellen, Denken und Wollen urteilt, das Bewußtwerden derselben keine Tätigkeit? Hierauf antwortet TETENS, daß ja doch die Empfindungen des Vorstellens, Denkens und Wollens nicht das Vorstellen, Denken und Wollen selbst sind. Wenn wir empfinden, daß wir denken, so ist zwar eine Tätigkeit in der Seele vor sich gegangen. Aber diese Tätigkeit ist das Denken, nicht das Empfinden des Denkens. Oder, wenn wir etwas wollen, nach einer Sache streben, und wir empfinden dieses Streben, so ist wiederum eine Tätigkeit in der Seele zu konstatieren; aber diese ist wiederum das Wollen, nicht das Empfinden des Wollens.
    "Es ist niemals die Tätigkeit, nie das Bestreben selbst, welches wir unmittelbar fühlen. (32)
Wir fühlen vielmehr nur eine bleibende Folge von ihnen, nämlich den Eindruck, den sie auf die Seele hervorbringen. Die  Tätigkeit  des Denkens und Wollens ist nicht zugleich  Bewußtsein  ihrer selbst als Tätigkeit; denn die Seele kann ihr Vermögen des Bewußtseins nicht zerspalten. Sie kann zu gleicher Zeit verschiedenen Gegenständen ihre Aufmerksamkeit zuwenden, aber sie kann nicht, wenn sie auf einen Gegenstand aufmerkt, im selben Augenblick auch auf diese ihre Aufmerksamkeit aufmerken (33). Demnach muß also jede Tätigkeit der Seele, wenn wir sie als solche fühlen, insoweit dies geschieht, bereits vollendet sein. "Man wird sie, sozusagen, nur von hinten gewahr im Weggehen." (34) Was hier  empfunden  wird, ist die  passive  Veränderung, welche jene Tätigkeiten hinterlassen.

Daß Aktivität der Seele und Empfindung einander zeitlich ausschließen, gilt aber nur in dem Sinne, daß diejenige Tätigkeit, die eben gefühlt wird, in dem betreffenden Augenblick unterbrochen sein muß. Tätigkeit und Empfindungen können darum noch immer zugleich in der Seele stattfinden.
    "Sinnliche Eindrücke können durch die äußeren Sinne aufgenommen und dann gefühlt werden, ohne daß eine andere Reihe von Gedanken, an der wir arbeiten, durch jene zwischen einfallende Empfindungen gestört wird."
Auch hier gilt der Satz, daß die Seele zu gleicher Zeit mit Verschiedenem beschäftigt sein kann. Wenn einige behauptet haben, daß es unmöglich ist, mehr als eine Vorstellung auf einmal zu haben, so zeigt uns die Beobachtung zweifellos das Gegenteil.
    "Der Handwerker singt bei seiner Arbeit und verrichtet sie dennoch zweckmäßig; man spaziert und unterredet sich mit einem andern oder überläßt sich gar einer Spekulation." (35)
Diese Erscheinungen stehen allerdings unter dem Gesetz, daß eine Beschäftigung die andere einschränkt, daß also, je intensiver sie selbst geschieht, desto schwächer die übrigen verlaufen. Die Seele kann nicht zwei völlig klare Gedanken auf einmal haben. In entsprechender Weise regelt sich auch das Verhältnis der Vorstellungen, Gedanken und Willensbetätigungen zu den Empfindungen, womit zwar eine gegenseitige Beeinträchtigung, nicht aber die Ausschließung aktiver und nicht aus ihnen selbst entstandener passiver Bewußtseinsvorgänge sich ergibt.

Daß ein Unterschied von AKtion und Passion im Leben der Seele vorhanden ist, das ist auch vom gemeinen Verstand bemerkt worden und im Sprachgebrauch zum Ausdruck gekommen. Wir behaupten etwas zu leiden, "wenn ein sinnlicher Eindruck auf unsere Ohren durch einen unvermuteten Kanonenschuß und auf unser Gesicht durch ein unerwartetes Licht hervorgebracht wird", und etwas zu bewirken, zu tun und zu verrichten, "wenn wir denken, wenn wir wollen und wenn wir die Arme ausstrecken." (36) Für den gegensätzlichen Charakter des Vorstellens, Denkens und Wollens einerseits und der Empfindungen aus solchen Vorgängen andererseits führt TETENS verschiedene Beobachtungen an. Wenn wir uns recht lebhaft irgendwelche vergangenen Geschehnisse vorstellen, so wissen wir in diesem Augenblick nichts davon, daß wir das tun. Ein Bewußtsein davon haben wir erst in dem Augenblick, wenn die Vorstellungen an Lebhaftigkeit abnehmen und verflachen. Erst dann entsteht mittels des Eindrucks, den die Vorstellungen auf die Seele machen, die Empfindung von ihnen. Wenn wir intensiv über ein wissenschaftliches Problem nachdenken, so haben wir keine Zeit, uns
    "nach der Art unseres Verfahrens, nach dem Gegeneinanderstellen und Vergleichen der Ideen, nach Urteilen, die ich am Ende vornehmen muß, umzusehen."
Wir fühlen das alles nur in "den Zwischenzeitpunkten, wenn die Arbeiten selbst unterbrochen werden". Desgleichen gilt auch von unserem Willenstätigkeiten, daß wir erst dann etwas von ihnen erfahren, "wenn sie schon gebrochen und geschwächt sind." (37) Dies alles, meint TETENS, berechtigt zu der Anschauung, daß unser Gefühl in allen Fällen  passive  Veränderungen der Seele zu seinem  unmittelbaren  Gegenstand hat.

Wenn man nun mit BONNET die Empfindung als eine "Rückwirkung" der Seele ansehen will, so hat TETENS umso weniger gegen diese Auffassung eine Einwendung zu machen, als gerade damit der Charakter der Empfindung als eines wesentlich passiven und sich nur auf Gegenwärtiges beziehenden Bewußtseinsvorgangs recht deutlich bezeichnet ist. Die Vorstellung der Empfindung als einer Art geistiger Reaktion ist aus der Mechanik abgeleitet, wo unter der Rückwirkung eines Körpers die Tätigkeit verstanden wird, mit welcher derselbe eine auf ihn einwirkende Aktion eines anderen Körpers erwidert; die Reaktion geht weder aus sich selbst hervor, noch enthält sie eine Tendenz, mehr zu wirken, als es der sie verursachenden Aktion entspricht. Denkt man sich dementsprechend das Gefühl als etwas Bewirktes und nicht über den Augenblick des Bewirktwerdens Hinausgehendes, so erscheint TETENS die Auffassung desselben als einer Reaktion der Seele als eine durchaus passende.

Wenn nun aber BONNET, die Analogie weiter ausdehnend meint, daß ebenso, wie die Rückwirkung eines Körpers einen anderen Körper, nämlich den wirkenden, zum Gegenstand hat, so auch die Seele im Empfindungsvorgang auf etwas außer ihr Befindliches zurückwirkt, nämlich auf das durch den Empfindungseindruck veränderte Gehirn, daß also dessen Modfifikationen das sind, was gefült wird, so glaubt TETENS sich dieser, in den Zusammenhang des BONNETschen Systems freilich wohl einstimmenden psycho-physischen Hypothese nicht anschließen zu sollen. Im Gegensatz zu CONDILLAC, BONNET und EDWARD SEARCH (Pseudony für ABRAHAM TUCKER) hält er es für mindestens ebenso nahe liegend anzunehmen, daß durch die äußeren Eindrücke und die inneren Tätigkeiten auch in der Seele Veränderungen hervorgerufen werden, und daß diese entweder allein oder mit denen des Gehirns zusammen das unmittelbare Objekt der Empfindung bilden. Für das Gebiet des inneren Sinnes hatte SEARCH den Satz vertreten, daß die Seele die Empfindungen aus ihren Tätigkeiten nicht unmittelbar in sich selbst erzeugt; vielmehr wirken diese zunächst auf das Gehirn, dessen hieraus folgende Veränderungen nun erst von der Seele gefühlt werden. Ohne zu leugnen, daß die Aktionen der Seele in der Tat auf den Zustand des Gehirns einen Einfluß ausüben, gibt TETENS doch nicht ohne weiteres zu, daß die Gehirnveränderungen allein in den inneren Empfindungen zum Bewußtsein gelangen. Wenn die Empfindung ein Zurückwirken der Seele ist, muß dann nicht, so fragt er, immer erste eine Einwirkung auf die Seele vor sich gehen, durch welche diese modifiziert und zu einer Reaktion bestimmt wird? Bei den äußeren Empfindungen geschieht diese Einwirkung nur durch das Gehirn, bei denen des inneren Sinnes entweder unmittelbar durch die Tätigkeit der Seele selbst oder unter Vermittlung des durch die tätige Seele erregten inneren Organs. Gibt es also bei diesen Vorgängen notwendig auch solche Modifikationen der Seele, so ist, bemerkt TETENS weiter, nicht einzusehen, warum nicht ebenso gut wie die Gehirnprozesse auch jene Veränderungen der Seele selbst sollten gefühlt werden können. Wir begegnen jedoch auch hier wieder in unserem Philosophen dem besonnenen Forscher, der sich nicht zu erinnern vergißt, daß, wo die Beobachtungen uns im Stich lassen, wir nichts weiter zu tun vermögen, als unter den möglichen Mutmaßungen die besten auszuwählen.

Die Auffassung des Gefühls als einer Reaktion nimmt übrigens demselben den Charakter  vollständiger  (absoluter) Passivität. Hier hat das Gefühlsvermögen eine Seite, wo es mit den rein aktiven Vermögen möglicherweise zusammenhängt. TETENS hält es nicht für ausgeschlossen, daß Verstand, Wille und Gefühl sich aus einer gemeinsamen Grundkraft entwickelt haben. Die Möglichkeit, das letztere als eine Reaktion aufzufassen, dürfte ein hauptsächlicher Grund für diese seine Ansicht gewesen sein.

TETENS schließt die Erörterung dieses Gegenstands mit einer weiteren Folgerung, die sich aus der Vorstellung des Gefühls als einer seelischen Reaktion ergibt. Auch der leiseste Anstoß, den ein Körper erleidet, zieht eine Rückwirkung desselben nach sich. So muß auch jede, selbst die geringste Modifikation, die die Seele empfängt, ihre Kraft zu reagieren rege machen, also ein Gefühl erzeugen. Allerdings mögen die aus Eindrücken von geringer Intensität herrührenden Empfindungen oft von den gleichzeitigen intensiveren soweit unterdrückt werden, daß es nicht mehr möglich ist, sie deutlich wahrzunehmen. Daß aber solche Eindrücke mitunter überhaupt kein Gefühl zustande bringen, dies anzunehmen gibt uns die Erfahrung keine Veranlassung, und die Wahrscheinlichkeit spricht dagegen.


§ 4.
Gradverschiedenheit der Empfindungen

Nach allem Vorigen ist ein Gefühl in TETENS' Sinn, wenn es auch auf einer Reaktion der Seele beruhen mag, doch wesentlich als das Bewußtwerden einer durch einen äußeren oder inneren Eindruck bewirkten passiven Modifikation der Seele anzusehen. Das Gefühl in diesem Sinne (der sich mit demjenigen, was wir heute Gefühl in einem spezifisch psychologischen Sinn nennen, nicht deckt), kann stärker oder schwächer, ausgedehnter oder minder ausgedehnt, kürzer oder länger dauernd als ein anderes sein. Die Gefühle haben einen Grad der Intensität, der Quantität und der Zeitdauer. Ein Gefühl kann so matt oder so kurz an Dauer sein, daß es nicht als besonderes Gefühl zu Bewußtsein kommt. TETENS sagt nicht, daß es absolut unbewußte Empfindungen gibt, und mit Recht, denn das wären eben keine Empfindungen mehr. In einem vermischten Ton können zwar die einzelnen miteinander verbundenen Töne nicht für sich empfunden werden. Sie bleiben aber doch nicht gänzlich unempfunden; denn "woher entstünde sonst das Gefühl des Ganzen?" (38) TETENS nennt solche nicht für sich allein bewußt werdende Teile einer Gesamtempfindung "dunkle Gefühle". (Sie gehören zu den petites perceptions, die in der LEIBNIZ'schen Philosophie eine so wichtige Rolle spielen.)

Er stellt die Frage, ob die "dunklen Gefühle" überhaupt diesen Namen verdienen, ob sie nicht eigentlich eine von den Gefühlen verschiedene Seelenäußerung sind. "Jedes Einfache kann etwas Heterogenes sein im Hinblick auf ein Zusammengesetztes." (39) Er denkt hier wohl an die chemischen Verbindungen, deren Elemente ihrem Gesamtprodukt nicht gleichartig sind. Es ist ihm aber nicht wahrscheinlich, daß etwas Derartiges hier vorliegt. Die Beobachtung übrigens, bemerkt er, kann hierüber nicht entscheiden.


§ 5.
Empfindnisse

Es ist schon gesagt worden, daß TETENS unter Empfindnissen solche Empfindungen versteht, die etwas "Rührendes" an sich haben, und daß dieses "Rührende" sich mit dem Phänomen deckt, das wir heute Gefühl nennen. Er nennt die Empfindnisse, diese "qualifizierten Empfindungen, die mehr sind, als die bloßen Empfindungen der Dinge selbst", auch affizierende Empfindungen. "Die Disposition der Seele, solche Empfindnisse leicht anzunehmen", ist die "Empfindsamkeit". "Solche Empfindungen, in denen wir weiter nichts bemerken, als das Gefühl ihrer selbst und ihrer Verhältnisse", sind gleichgültige oder bloß lehrende Empfindungen. Empfindnisse aber sind angenehme oder unangenehme Empfindungen. Lust oder Unlust, die mit einer Empfindung verbunden sind, charakterisieren diese als ein Empfindnis (40). Das Gefühl des Schönen rechnet TETENS zu den Empfindnissen, das Gefühl des Guten aber unterscheidet er vom Gefühl im Sinne des Angenehmen.
    "Einen Zustand als gut oder böse empfinden, ist so viel fühlen und empfinden, daß er  Ursache  einer Vollkommenheit oder von so etwas ist, das uns Vergnügen oder Verdruß macht." (41)
Was ist es nun, das die Empfindungen zu Empfindnissen macht? was ist die Ursache, daß uns Gegenstände angenehm oder unangenehm berühren? TETENS antwortet: Eine gewisse Beziehung der Gegenstände und ihrer Eindrücke auf den jeweiligen Zustand der Seele. Insofern eine Empfindung etwas an sich hat, "das von uns als ein Zeichen von ihrer Ursache, als ein Bild von ihr" gebraucht werden kann, insofern ist sie eine bloße Empfindung, Empfindung  einer Sache. 
    "Es ist dies das Klarere, am leichtesten Erkennbare und am leichtesten zu Reproduzierende im gesamten Eindruck." (42)
Insofern aber der betreffende Eindruck in ein bestimmtes Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand tritt, insofern eine Veränderung von uns selbst dabei gespürt wird, ist es ein Empfindnis (43). Die Empfindnisse als solche sind also etwas spezifisch Individuelles.

Ein bestimmtes Verhältnis des Eindrucks zum jeweiligen Zustand der Seele macht nach TETENS die Empfindung zu einer von Lust oder Unlust begleiteten. Hier kann man nun fragen: Wie geartet muß dieses Verhältnis sein, wenn es Lust erzeugen soll, und wie im entgegengesetzten Fall? Es gibt hierauf die allgemeine Antwort: Wenn die Empfindungen den Vermögen und Kräften, die sich mit ihnen beschäftigen, gemäß sind, so bereiten sie uns Vergnügen, andernfalls mißfallen sie uns. Ob jenes aber der Fall ist, das hängt einmal von den Gegenständen der Empfindungen und dann vom empfindenden Subjekt ab.
    "Wirkungen, die von denselben sinnlichen Eindrücken, von einerlei Vorstellungen und Gedanken in uns entstehen, sind doch verschieden, wenn die gegenwärtige Seelenverfassung verschieden ist, die sie in sich aufnimmt. Einem Gesättigten ekelt vor dem Genuß einer Speise, die dem Hungrigen eine Wollust erweckt. Der Anblick eines Menschen ist dem Freund angenehm, dem Feind widrig; der Musik, die uns jetzt ergötzt, sind wir nach einigen Stunden überdrüssig." (44)
Gegen die Allgemeinheit dieser Ansicht scheint freilich eine bekannte Erfahrung zu sprechen. Trotz der Verschiedenheit des Seelenzustandes verschiedener Menschen und derselben Menschen zu verschiedenen Zeiten gibt es doch "schöne Gegenstände ..., die es vor allen Menschen sind, von jedem Alter, zu allen Zeiten, unter allen Himmelsgegenden, deren Empfindung allen ohne Ausnahme wie das Anschauen der Blumen" gefällt, "und die man als absolute objektivische Schönheiten ansehen kann". Dies beweist aber nicht mehr,
    "als daß die Einrichtung der Seele, die Anlage, die bestimmte Beschaffenheit des Empfindungs- und Vorstellungsvermögens, worauf solche Gegenstände auf eine angemessene Art wirken können, zu den  gemeinschaftlichen  Zügen der Menschheit gehören. Für Wesen anderer Art würden jene absoluten Schönheiten doch entweder gleichgültige oder gar Gegenstände des Mißvergnügens sein können, wie sie es wirklich sind." (45)

§ 6.
Subjektives und Objektives
der Empfindnisse

Subjektive Voraussetzung für das Zustandekommen eines Empfindnisses ist ein gewisser Grad von "Empfindsamkeit" der Seele. Dieselbe muß in vielen Fällen bereits einen Vorrat von Vorstellungen und Ideen gesammelt haben, wenn dieser Grad von "Empfindsamkeit" vorhanden sein soll. Wo das Seelenleben ein noch so unentwickeltes, noch so wenig reiches ist wie bei zarten Kindern, da ist auch die Empfindsamkeit sehr gering. Diese "hören die eindringendste Musik; man sieht sie davon gerührt, aber bei weitem nicht so, wie im folgenden Alter, wo ihre Empfindsamkeit sich mehr entwickelt hat." (46)

Da Lust oder Unlust entsteht, je nachdem der Eindruck der Beschaffenheit der Seele gemäß oder nicht gemäß ist, so fragt es sich nun weiter, welches Vermögen der Seele, "der subjektivische Grund ist, warum die Empfindung des Objekts in diese oder jene Art von Empfindnis" (47) übergehet, ob die Erkenntniskraft oder die Triebe der Willenskraft. Die erstere Annahme würde in gewissem Sinne den Anschauungen der WOLFFschen Philosophie zuneigen, die Lust und Unlust als Vorstellungen von Vollkommenheit oder Unvollkommenheit ansah, die letztere der Auffassung der Psychologen, die, etwa wie CRUSIUS, den Grund des Vergnügens und des Schmerzes in einem Verhältnis finden, "welches eine Sache gegen den Willen des Geistes hat". (48) Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit, nämlich, daß es "bald dieses, bald jenes Vermögen je nach der Verschiedenheit der Gegenstände" ist.
    "Auf welche Fiber der Seele muß das Objekt anschlagen, um angenehm oder unangenehm empfunden zu werden?" (49)
TETENS läßt die Frage offen. Ebensowenig, fügt er hinzu, können wir etwas über den Grad der Spannung ausmachen, der in der Seele erforderlich ist, wenn ein Eindruck ihr gemäß, und wenn er ihr nicht gemäß sein soll.

Die dunkelste Seite dieser Seelenvorgänge aber, erklärt TETENS, berührt man, wenn man die Natur der Veränderung zu ergründen versucht, die sich in der Seele ereignet, wenn ein Vergnügen oder ein Mißvergnügen in ihr entsteht. Er erwähnt als einigermaßen plausibel die von DESCARTES übernommene Ansicht der alten Philosophen, daß die Lust ein Gefühl der Wirksamkeit, die Unlust ein Gefühl der Ohnmacht und Schwäche ist.

Wenn wir nun aber nach den objektiven Bedingungen von Lust und Unlust fragen, nach der Art, wie die Gegenstände beschaffen sind, die in uns Lust und Unlust erregen, d. h. welche Objekte der natürlichen Beschaffenheit der Seele entsprechen, bzw. nicht entsprechen, so ist die Aufgabe, zunächst diese natürliche Beschaffenheit der Seele festzustellen. Die von LEIBNIZ ausgehende Theorie hat in einem Erweiterungs- oder Entwicklungstrieb den alleinigen Grundtrieb der Seele zu entdecken geglaubt. Die Seele ist eine tätige Kraft, die sich fortwährend zu verändern, zu entwickeln strebt. Demnach findet sie Befriedigung in der Mannigfaltigkeit der Eindrücke. Die Seele ist aber gleichzeitig eine Einheit, darum verlangt sie als ihr angemessen Mannigfaltigkeit mit Einheit.

TETENS glaubt demgegenüber noch zwei andere Triebe der Seele konstatieren zu müssen: einmal einen Hang der Seele "sich einzuwickeln, sich zusammenzuziehen, ihre Vorstellungen und Empfindungen zu vermindern und zu verdunkeln" (50) - dieser Trieb kennzeichnet sich als die Neigung zur Untätigkeit und zum Schlaf im Ermüdeten - und dann einen Erhaltungstrieb oder eine Trägheitskraft, die sowohl der Erweiterung als auch der Einschränkung des gegenwärtigen Zustandes widersteht. Allerdings ist es nicht notwendig, den Erhaltungstrieb als besondere Kraft anzusehen; er kann "aus dem Gleichgewicht des Erweiterungstriebes und des entgegenstehenden Triebes sich zusammenzuziehen erklärt werden." (51) Ob aber der Einschränkungstrieb sich auf den Erweiterungstrieb als eine Folge desselben zurückführen läßt, das erscheint TETENS noch ebenso fraglich, wie in der Physik die Möglichkeit der Reduktion der abstoßenden Kraft auf die anziehende.

Wenn man darum in Mannigfaltigkeit mit Einheit den objektivischen Charakter des Angenehmen hat zu sehen geglaubt, so scheint ihm hierbei auf die dem Erweiterungstrieb entgegengesetzte Neidung der Seele zu wenig geachtet worden zu sein. Die bisherige Theorie, meint er, vermag nicht alle Erfahrungen zu erklären, wenn sie auch
    "bei so vielen hinreicht und bei den meisten, wenn nur auf die Art zu empfinden Rücksicht genommen wird, die wir unter den Umständen und in den Jahren bei den Menschen antreffen, wo die Seele noch mit merklichen Schritten in ihrer Entwicklung fortschreitet." (52)
Wie jedoch diesem Mangel abzuhelfen und das Wesen des Objektivischen in den Empfindnissen anders, als bisher geschehen, zu fassen ist, darüber hat TETENS keinen Aufschluß zu geben vermocht.
LITERATUR: Julius Lorsch, Die Lehre vom Gefühl bei Johann Nicolas Tetens, Giessen 1906
    Anmerkungen
    1) Vgl. DESSOIR, Geschichte der neueren deutschen Psychologie, Berlin 1902, Seite 355f.
    2) Philos. Vers. I, Seite 33; vgl. DESSOIR, a. a. O., Seite 346f
    3) Philos. Vers. I, Seite 123; vgl. ROBERT SOMMER, Grundzüge einer Geschichte der deutschen Psychologie und Ästhetik von Wolff-Baumgarten bis Kant-Schiller, Seite 261f und 275f.
    4) Philos. Vers., Vorrede, Seite IIIf
    5) DESSOIR, a. a. O., Seite 100, 195, 358f. Derselbe "Des Nic. Tetens Stellung in der Geschichte der Philosophie" in Vierteljahrsschrift für wissenschaftliche Philosophie, Bd. 16, 1893, Seite 364
    6) FRIEDRICH HARMS, Über die Psychologie des Joh. Nicolas Tetens" in den Abhandlungen der königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 1878, Seite 127
    7) JOHANN EDUARD ERDMANN, Grundriß der Geschichte der Philosophie, Bd. II, Seite 252
    8) DESSOIR, Des Nic. Tetens Stellung in der Geschichte der Philosophie, Seite 366 9) Philos. Vers. II, Seite 152f - Vgl. ERDMANN, a. a. O., Seite 252
    10) Vgl. JOHANNES SPECK, "Bonnets Einwirkung auf die deutsche Psychologie des vorigen Jahrhunderts" im Archiv für Geschichte der Philosophie, Bd. 10, 1897, Seite 508f.
    11) MAX OFFNER, Die Psychologie Charles Bonnets, in den "Schriften der Gesellschaft für psychologische Forschung", Heft 5, 1893, Seite 617.
    12) Philos. Vers., Vorrede Seite XIV und IVf
    13) Philos. Vers. Vorrede, Seite XIVf. - vgl. auch SPECK, a. a. O., Seite 508f
    14) vgl. Philos. Vers. Vorrede, Seite V
    15) OFFNER, a. a. O., Seite 575f
    16) Philos. Vers. II, Seite 191.
    17) Philos. Vers. II, Seite 196f. - Gegen den Einwand PRIESTLEYs, es sei unwahrscheinlich, daß der Mensch aus zwei so heterogenen Wesen wie Leib und Seele besteht, verteidigt er die Annahme der Immaterialität der Seele durch den Hinweis auf LEIBNIZ und WOLFF, nach deren Auffassung vom Wesen des Körperlichen Leib und Seele nicht mehr als unüberbrückbare Gegensätze angesehen werden müßten. (Philos. Vers. II, Seite 181f) - Hiernach ist es auch begreiflich, daß ihm die Vorstellung des  influxus physicus,  die er für die angemessenste Erklärung des Verhältnisses von Leib und Seele hält, keine Schwierigkeiten bereitet (Philos. Vers. II, Seite 213f).
    18) BONNET nimmt auch für verschiedene Empfindungen innerhalb desselben Sinnes verschiedene Fiber von besonderer Organisation an, während TETENS die von BONNET hierfür angeführten Gründe nicht für beweiskräftig hält. (OFFNER, a. a. O., Seite 580f. - TETENS, Philos. Vers. II, Seite 257f.
    19) Vgl. OFFNER, a. a. O., Seite 585 und 594f
    20) OFFNER, a. a. O., Seite 644f und 680f.
    21) Philos. Vers. II, Seite 231, 268f, 293
    22) Philos. Vers. II, Seite 295f
    23) Philos. Vers. I, Vorrede, Seite VIIIf. - Vgl. SCHOENLANK, Hartley und Priestley, die Begründer des Assoziationismus in England, Halle 1882, Seite 6 und DESSOIR, a. a. O., Seite 516, 521
    24) Philos. Vers., Vorrede, Seite VIII.
    25) Nicht selten ist der damalige Gebrauch der beiden Worte dem heutigen geradezu entgegengesetzt: "Empfindung" wird genannt, was  wir  unter "Gefühl" verstehen und umgekehrt (DESSOIR, a. a. O., Seite 433)
    26) vgl. THOMAS ABBT, Vermischte Werke, Berlin 1772, 1. Teil, Seite 151, 160 u. a.
    27) vgl. DESSOIR, Des J. N. Tetens Stellung in der Geschichte der Philosophie, a. a. O., Seite 365
    28) vgl. zu diesem Ausdruck OFFNER, a. a. O., Seite 576
    29) Philos. Vers. I, Seite 170
    30) Philos. Vers. I, Seite 168
    31) Philos. Vers. I, Seite 168
    32) Philos. Vers. I, Seite 174
    33) Philos. Vers. I, Seite 47
    34) Philos. Vers. I, Seite 179
    35) Philos. Vers. I, Seite 176f
    36) Philos. Vers. I, Seite 175
    37) Philos. Vers. I, Seite 178f
    38) Philos. Vers. I, Seite 172
    39) Philos. Vers. I, Seite 173
    40) Philos. Vers. I, Seite 184f
    41) Philos. Vers. I, Seite 187
    42) Philos. Vers. I, Seite 214
    43) TETENS ist hier ungenau, indem er den Bestandteil des Empfindnisses, der bloße Empfindung ist, im Gegensatz zum Rührungsbestandteil desselben als Darstellung einer  Sache  kennzeichnet. Dies paßt nicht für die Empfindnisse des Gemeingefühls; denn bei diesen sind auch die bloßen Empfindungsbestandteile nicht Empfindungen von  Sachen. 
    44) Philos. Vers. I, Seite 184f
    45) Philos. Vers. I, Seite 207
    46) Philos. Vers. I, Seite 224
    47) Philos. Vers. I, Seite 207
    48) CRUSIUS, Anweisung vernünftig zu leben, 1751, Seite 28; vgl. auch DESSOIR, Geschichte der neueren Psychologie, a. a. O., Seite 107
    49) Philos. Vers. I, Seite 207
    50) Philos. Vers. I, Seite 713
    51) ) Philos. Vers. I, Seite 713
    52) Philos. Vers. I, Seite 713f