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HANS RUIN
Erlebnis und Wissen
[Kritischer Gang durch die englische Psychologie]
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"Die Empfindungen und Vorstellungen bilden durchaus die einzig wirklichen Bestandteile des Seelenlebens. Nicht bloß die Gefühle werden darin aufgelöst, auch der Wille wird dazu gerechtnet. Die Assoziationen brauchen klar abgegrenzte Größen, die sich willig hin und her wie Federbälle in einem Spielhaus dirigieren lassen. Die Gefühle und der Wille müssen auf diese oder jene Weise in Empfindungen und Vorstellungen transponiert werden, damit das bedeutungsvolle Spiel der Assoziationen ungestört und genügend anschaulich vor sich gehen kann."


III. David Hartley

Der Radikalismus bei HUME erweckte Anstoß. Man konnte sich nicht damit abfinden, die einleuchtendsten Sätze auf den Kopf gestellt zu sehen. Die Opposition kam daher ziemlich schnell in Form einer neuen philosophischen Richtung, der sogenannten schottischen Schule. Aber vorher wurde noch mit DAVID HARTLEY ein Schritt vorwärts auf der Linie LOCKE-HUME getan.

Für HARTLEY sind gewiß LOCKE und NEWTON die nächsten Vorgänger. Doch HUMEs Einfluß ist gleichwohl in der Weise deutlich zu spüren, auf die er seine große Aufgabe zu lösen sucht: für die menschliche Natur dasselbe auszuführen, was NEWTON für das Sonnensystem ausgeführt hatte. Er erhob die Assoziation zu einem für die innere Welt gleich universellem Gesetz, wie es die Gravitation für die äußere ist, hierbei deutlich einer Anweisung folgend, die schon HUME gegeben hatte, als er die Assoziation der Vorstellungen als eine Art Anziehung betrachtete, die keine geringere Bedeutung für das Seelenleben besitzen sollte als die Gravitation für die äußere Welt.

Als guter Sensualist ist HARTLEY angelegen festzustellen, daß sämtliche Daten des Bewußtseins einen sensuellen Ursprung haben. Der Satz HUMEs von den Vorstellungen als bloßen Abdrücken der Empfindungen kommt folglich unverändert wieder. Doch im Übrigen ist HARTLEY noch radikaler als HUME. Die Annahme LOCKEs von einem inneren Sinn, "reflection", als Quelle für neue Eindrücke, eine Annahme, die inkonsequent genug noch von HUME gebilligt wurde, wurden von HARTLEY verworfen. Er sah in diesem Punkt klar: Soll der Sensualismus durchgeführt werden und wünscht man alle Seelenerscheinungen zu erklären als entsprungen aus dem assoziativen Spiel der Elemente, so gibt es keinen Platz für eine derartige Mystifikation wie einen inneren Sinn. HARTLEY kappte entschlossen das letzte Tau, das, wenn auch nur zum Schein, den Seelenbegriff der englischen Psychologen doch noch an etwas band, was Selbsttätigkeit einschloß.

Damit hatte HARTLEY den Boden für einen schnellen Erfolg seines NEWTONschen Planes bereitet. Die Lösung des Problems in gewünschter Richtung war dadurch gewährleistet, daß er von einem fingierten seelischen Urzustand ausging, wo die Elemente gleich den Himmelskörpern weit verstreut im Raum lagen. Die vielen feinen Fäden der Assoziationen konnten ausgeworfen und zu dichten Maschen verknüpft werden. Die Elemente wurden ins Netz hineingesponnen und als neue Gebilde ergebend dargestellt. Die einfachen Empfindungen und Vorstellungen wurden zu zusammengesetzten verwandelt, die zusammengesetzten zu immer höheren intellektuellen Gebilden. Die Gefühle wurden mit in diesen Wirbel des Werdens gezogen. Es wurde erklärt, sie seien nichts anderes als Aggregate von Empfindungen und Vorstellungen mit einer besonderen Intensitätsbetonung. (1) Die Assoziationen triumphierten. Aus dem Schoß ihres allmächtigen Verlaufes stieg die vollreife Seele hervor wie die Göttin aus dem Wogenschwall (2).

Dieser Psychologie ist der intellektualistische Zug in besonders hohem Grad wesentlich. Die Empfindungen und Vorstellungen bilden durchaus die einzig wirklichen Bestandteile des Seelenlebens. Nicht bloß die Gefühle werden darin aufgelöst, auch der Wille wird dazu gerechtnet (3). Das ist übrigens eine völlig erklärbare Tendenz. Die Assoziationen brauchen klar abgegrenzte Größen, die sich willig hin und her wie Federbälle in einem Spielhaus dirigieren lassen. Die Gefühle und der Wille müssen auf diese oder jene Weise in Empfindungen und Vorstellungen transponiert werden, damit das bedeutungsvolle Spiel der Assoziationen ungestört und genügend anschaulich vor sich gehen kann.

Diese seelische Gravitationsmechanik stößt jedoch auf eine Schwierigkeit, die sich nicht verwischen läßt. Wie ist es möglich, daß unsere einheitlich wirkende Seele sich auf ein mechanisches und blindes Spiel mit Assoziationen stützen kann? Hier begegnet uns im Grunde dieselbe Schwierigkeit, über die EPIKUR und LUKREZIUS nie Herr werden konnten, als sie die Entstehung der Welt aus der ununterbrochenen fallenden Bewegung der Atome erklären wollten. Das Ganze solte nach ihrer Erklärung so zugegangen sein, daß ein einzelnes Atom "zufällig" von der senkrechten Fall-Linie abgewichen und an angrenzende Atome angestoßen ist, die nun ihrerseits aus dem Gleichgewicht gebracht wurden und den Stoß von Atom zu Atom fortpflanzten. Aus der Bewegung, die hieraus entstand, so dann der Kosmos hervorgegangen sein und nicht Chaos, wie man mit gutem Grund hätte erwarten sollen.

Bei HARTLEY tritt die genannte Schwierigkeit bei der Erwägung der Urteilstätigkeit am schärfsten zutage. Er vermag keinen wirklichen Unterschied zwischen einer automatischen Vorstellungskoppelung und einer bewußten Gedankenverbindung zu machen. Er sagt z. B. ausdrücklich:
    "Ein mathematischer Satz, der die vernünftige Zustimmung oder Abweisung unserer Seele einschließt, ist nichts anderes als eine Gruppe Vorstellungen, die assoziativ vereinigt worden sind, d. h. nichts anderes als eine sehr zusammengesetzte Vorstellung." (4)
Wir wollen uns nicht bei den Schwierigkeiten verschiedener Art aufhalten, in die sich diese Urteilstheorie verwickelt. Stattdessen wollen wir eine Neigung andeuten, die sich in HARTLEYs Psychologie deutlich wahrnehmen läßt und bezweckt, auf ihre Weise das Problem zu "lösen", wie aus der automatischen Fügung der Assoziationen eine solche klare und widerspruchslose "Vorstellung" wie ein logisches Urteil hervorgehen konnte. Als Basis für die Seelenvorgänge hatte HARTLEY gewisse physiologische Verhältnisse, sogenannten Schwingungen im Gehirn angegeben. Auf diesen Bewegungen in einem anatomischen System, so wurde erklärt, beruhe das Bewußtsein, und zwar so im Einzelnen, daß das geringste Schwingungsverhältnis als einer psychischen Eigentümlichkeit entsprechend aufgefaßt werden mußte. In dieser Lehre lag eine Einladung, die Mechanik des Seelenlebens als eine Übersetzung eines physischen Mechanismus zu betrachten. Es braucht kaum erwähnt zu werden, daß HARTLEY nicht der letzte war, diese Einladung anzunehmen. Ein Exempel statuierend, das von den folgenden Psychologen nicht unbenutzt gelassen wurde, schob er unmerklich das ganze Problem eines wunderbaren Zusammenspiels der psychischen Elemente auf das physische Gebiet. Dort sollte das Geheimnis des ganzen Zusammenspiels stecken.

Die materialistische Spitze, die bei HARTLEY zum Vorschein kommt, war die notwendige Konsequenz gegebener Voraussetzungen. HARTLEYs System macht, um mit LESLIE STEPHEN zu reden, die Seele überflüssig, ja zu einer Anomalie. Man kann unter solchen Umständen nicht PRIESTLEY beschuldigen, HARTLEYs Lehre stärker mißdeutet zu haben, als er, sich auf ihn berufend, erklärte, die Seelenzustände resultieren nicht bloß aus Gehirnvibrationen, sondern werden ganz einfach von solchen gebildet.

In HARTLEY und PRIESTLEY erntete die englischen Psychologie die rechte Frucht ihrer mechanischen Auffassung des Seelenlebens: eine materialistische Anschauung. Sobald man dem Bewußtsein jede Positivität abgesprochen hatte, hatte man es damit zum überflüssigsten Ding in der Welt gemacht, über das sich der Forscher hinwegzusetzen hat.

Für diese Stiefmütterlichkeit bringt die englische Psychologie reichlich Beispiele.
LITERATUR - Hans Ruin, Erlebnis und Wissen, Helsingfors 1921
    Anmerkungen
    1) DAVID HARTLEY, Observations on Man, Bd. 1, Seite 381-386
    2) PRIESTLEY, HARTLEYs Jünger, formuliert diesen Assoziationismus auf folgende Weise: "Nicht nur all unser intellektuelles Vergnügen und all unser intellektueller Schmerz, sondern auch all die Phänomene des Gedächtnisses, der Einbildungskraft, des Wollens, Argumentierens und jeder andere mentale Affekt und Operation, sind verschiedene Modi oder Fälle einer Assoziation von Ideen." (Angeführt von WILLIAM JAMES, Principles of Psychology, Bd. 1, Seite 597)
    3) Observations an Man, Bd. 1, Seite 106-107.
    4) Observations an Man, Bd. 1, Seite 340