ra-3Die TechnikKultur und TechnikSprache der Technik    
 
MARSHALL McLUHAN
Das Medium ist die Botschaft

Unsere übliche Antwort, mit der wir alle Medien abtun, nämlich, daß es darauf ankomme, wie wir sie verwenden, ist die befangene Haltung des technischen Dummkopfs.

In einer Kultur wie der unseren, die es schon lange gewohnt ist, alle Dinge, um sie unter Kontrolle zu bekommen, aufzusplittern und zu teilen, wirkt es fast schockartig, wenn man daran erinnert wird, daß in seiner Funktion und praktischen Anwendung das Medium die Botschaft ist. Das soll nur heißen, daß die persönlichen und sozialen Auswirkungen jedes Mediums - das heißt jeder Ausweitung unserer eigenen Person - sich aus dem neuen Maßstab ergeben, der durch jede Ausweitung unserer eigenen Person oder durch jede neue Technik eingeführt wird. So zielen beispielsweise mit dem Aufkommen der Automation die neuen Formen menschlichen Zusammenlebens bestimmt auf die Abschaffung der Routinearbeit, des Jobs hin. Das ist das negative Ergebnis.

Auf der positiven Seite gibt die Automation den Menschen Rollen, das heißt eine tieferlebte Beteiligung der Gesamtperson an der Arbeit und der menschlichen Gemeinschaft, welche die mechanische Technik vor uns zerstört hatte. Viele Menschen sind wohl eher geneigt zu sagen, daß nicht in der Maschine, sondern in dem, was man mit der Maschine tut, der Sinn oder die Botschaft liege. Für die Art und Weise, wie die Maschine unsere Beziehungen zueinander und zu uns selbst verändert hat, ist es vollkommen gleichgültig, ob sie Cornflakes oder Cadillacs produziert. Die Neugestaltung der menschlichen Arbeit und des menschlichen Zusammenlebens wurde durch die Technik des Zerlegens bestimmt, die das Wesen der Maschinentechnik darstellt. Das Wesen der Automationstechnik ist gerade gegenteiliger Art. Es bezieht ganz ein, dezentralisiert und wirkt in die Tiefe, während die Maschine zerlegte, zentralisierte und bei der Gestaltung menschlicher Beziehungen an der Oberfläche haften blieb.

Das Beispiel des elektrischen Lichtes wird sich in diesem Zusammenhang vielleicht als aufschlußreich erweisen. Elektrisches Licht ist reine Information. Es ist gewissermaßen ein Medium ohne Botschaft, wenn es nicht gerade dazu verwendet wird, einen Werbetext Buchstabe um Buchstabe auszustrahlen. Diese für alle Medien charakteristische Tatsache bedeutet, daß der "Inhalt" jedes Mediums immer ein anderes Medium ist. Der Inhalt der Schrift ist Sprache, genauso wie das geschriebene Wort Inhalt des Buchdrucks ist und der Druck wieder Inhalt des Telegrafen ist. Auf die Frage: "Was ist der Inhalt der Sprache?" muß man antworten: "Es ist ein effektiver Denkvorgang, der an sich nicht verbal ist." Ein abstraktes Bild stellt eine direkte Äußerung von schöpferischen Denkvorgängen dar, wie sie etwa in Mustern von Elektronenrechnern erscheinen könnten. Was wir jedoch hier betrachten, sind die psychischen und sozialen Auswirkungen der Muster und Formen, wie sie schon bestehende Prozesse verstärken und beschleunigen. Denn die "Botschaft" jedes Mediums oder jeder Technik ist die Veränderung des Maßstabs, Tempos oder Schemas, die es der Situation des Menschen bringt.

Die Eisenbahn hat der menschlichen Gesellschaft nicht Bewegung, Transport oder das Rad oder die Straße gebracht, sondern das Ausmaß früherer menschlicher Funktionen vergrößert und beschleunigt und damit vollkommen neue Arten von Städten und neue Arten der Arbeit und Freizeit geschaffen. Und das traf zu, ob nun die Eisenbahn in einer tropischen oder nördlichen Umgebung fuhr, und ist völlig unabhängig von der Fracht oder dem Inhalt des Mediums Eisenbahn. Das Flugzeug andererseits führt durch die Beschleunigung des Transporttempos zur Auflösung der durch die Eisenbahn bedingten Form der Stadt, der Politik und der Gemeinschaft, ganz unabhängig davon, wie und wofür das Flugzeug verwendet wird.

Kehren wir zum elektrischen Licht zurück. Ob das Licht nun bei einem gehirnchirurgischen Eingriff oder einem nächtlichen Baseballspiel verwendet wird, ist vollkommen gleichgültig. Man könnte behaupten, daß diese Tätigkeiten in gewisser Hinsicht der "Inhalt" des elektrischen Lichts seien, da sie ohne elektrisches Licht nicht sein könnten. Diese Tatsache unterstreicht nur die Ansicht, "daß das Medium die Botschaft ist", weil eben das Medium Ausmaß und Form des menschlichen Zusammenlebens gestaltet und steuert. Der Inhalt oder die Verwendungsmöglichkeiten solcher Medien sind so verschiedenartig, wie sie wirkungslos bei der Gestaltung menschlicher Gemeinschaftsformen sind. Ja, es ist nur zu bezeichnend, wie der "Inhalt" jedes Mediums der Wesensart des Mediums gegenüber blind macht.

Erst jetzt haben manche Industriezweige erkannt, mit was für Geschäften sie eigentlich zu tun haben. Als IBM entdeckten, daß ihre Tätigkeit nicht die Erzeugung von Bürobedarf oder Büromaschinen ist, sondern die Verarbeitung von Information, begannen sie, ihr Unternehmen mit klarem Blick zu leiten. Die  General Electric Company  zieht einen beträchtlichen Teil ihrer Gewinne aus Glühlampen und Beleuchtungsanlagen. Diese Gesellschaft hat aber noch nicht herausgefunden, genausowenig wie  A.T.&T.,  daß ihr Geschäft in der Informationsbewegung liegt.

Das elektrische Licht entzieht sich der Betrachtung als Kommunikations- medium nur deswegen, weil es ohne "Inhalt" ist. Gerade das macht es zu einem sehr wertvollen Nachweis dafür, wie manche Menschen bei der Untersuchung der Medien am Ziel vorbeischießen. Denn bevor nicht das elektrische Licht dazu verwendet wird, den Namen irgendeines Markenartikels in Buchstaben zu zeigen, beachtet man es nicht als Medium. Dann wird aber nicht das Licht, sondern der "Inhalt" (oder das, was in Wirklichkeit ein anderes Medium ist) beachtet. Die Botschaft des elektrischen Lichts wirkt wie die Botschaft der elektrischen Energie in der Industrie extrem gründlich, erfaßt alles und dezentralisiert. Denn elektrisches Licht und elektrischer Strom bestehen getrennt von ihren Verwendungsformen, doch heben sie die Faktoren Zeit und Raum im menschlichen Zusammenleben genauso auf wie das Radio, der Telegraf, das Telefon und das Fernsehen, und schaffen die Voraussetzungen für eine Beteiligung der Gesamtperson.

Bei der Verleihung eines Ehrentitels an der Universität von Notre Dame machte General DAVID SARNOFF vor ein paar Jahren folgende Feststellung: "Wir neigen nur zu leicht dazu, die technischen Mittel zum Sündenbock jener zu machen, die sie handhaben. Die Schöpfungen der modernen Wissenschaft sind an sich weder gut noch schlecht; die Art und Weise verwendet werden, bestimmt ihren Wert". Das ist die Stimme der üblichen Nachtwandlermentalität.

Nehmen wir an, wir wollten sagen, "Apfelkuchen ist an sich weder gut noch schlecht; nur die Art, wie er verwendet wird, bestimmt seinen Wert". Oder, "der Pockenvirus ist an sich weder gut noch schlecht; nur die Art, wie er verwendet wird, bestimmt seinen Wert". Oder auch, "Schußwaffen sind an sich weder gut noch schlecht; nur die Art, wie sie verwendet werden, bestimmt ihren Wert". Das heißt, wenn die Kugeln die richtigen Leute treffen, sind Schußwaffen gut. Wenn die Fernsehröhre auf die richtigen Leute mit der richtigen Munition trommelt, ist das Fernsehen gut. Ich will jetzt nicht boshaft sein. In dieser Behauptung SARNOFFs steckt einfach gar nichts, was einer genaueren Überprüfung standhielte, denn es entgeht ihm das Wesen des Mediums, jedes einzelnen Mediums und aller Medien in der echt narzißtischen Art des Menschen, der von einer Abtrennung und Ausweitung seiner eigenen Person durch eine neue Form der Technik hypnotisiert ist. General SARNOFF legte dann seine Stellungnahme zur Drucktechnik dar und führte aus, daß durch den Buchdruck zwar viel Schund unter die Menschen gekommen sei, aber er habe auch die Bibel und die Gedanken von Visionären und Philosophen verbreitet. Es ist General SARNOFF nie aufgefallen, daß ein Medium etwas anderes tun könnte, als sich dem bereits Vorhandenen anzuschließen.

Volkswirtschaftler wie ROBERT THEOBALD, W. W. ROSTOW und JOHN KENNETH GALBRAITH haben schon seit Jahren erklärt, wie es möglich ist, daß die "klassische Wirtschaftslehre" Wandel und Wachstum nicht erklären kann. Und das Paradoxe an der Mechanisierung ist, daß, obwohl sie selbst die Ursache von extremem Wachstum und Wandel ist, das Prinzip der Mechanisierung die Möglichkeit des Wachstums selbst oder die Einsicht in Veränderungen ausschließt. Denn die Mechanisierung kommt zustande, indem man einen beliebigen Prozeß zerlegt und die zerlegten Teile in einer Reihe anordnet. Doch wie DAVID HUME im achtzehnten Jahrhundert gezeigt hat, ergibt sich aus der bloßen Aufeinanderfolge kein Kausalitätsprinzip. Daß etwas auf etwas anderes folgt, heißt noch gar nichts. Nichts folgt aus dem Aufeinanderfolgen außer eine Veränderung. So kam es zum größten Umschwung durch die Elektrizität, die der Aufeinanderfolge ein Ende bereitete, indem sie alles instantan machte. Mit der instantanen Geschwindigkeit wurden uns die Ursachen der Dinge wieder deutlich bewußt, was nicht der Fall gewesen war, als man die Dinge in der Folge und damit in der Verkettung sah. Anstatt die Frage zu stellen, was zuerst war, das Huhn oder das Ei, schien es plötzlich so, daß das Huhn eine Idee des Eis sei, um weitere Eier zu bekommen.

Knapp bevor ein Flugzeug die Schallmauer durchbricht, werden die Schallwellen an den Tragflächen des Flugzeugs sichtbar. Das plötzliche Sichtbarwerden des Schalls gerade dann, wenn der Schall aufhört, ist ein treffendes Beispiel jener großen Seinsgesetzmäßigkeit, die neue und gegensätzliche Formen offenbart, wenn frühere Formen gerade den Höhepunkt ihrer Entwicklung erreichen. Die Mechanisierung war nie so deutlich atomistisch oder kontinuierlich wie bei der Geburt des Films, dem Zeitpunkt also, der uns über die Mechanisierung hinaus in die Welt des Wachstums und der organischen Wechselbeziehungen hineinführte. Der Film brachte uns, durch bloße Beschleunigung der Mechanik, von der Welt der Folge und Verbindung zur Welt der schöpferischen Gestalt und Struktur. Die Botschaft des Mediums Film ist die des Übergangs von linearer Verbindung zur Gestalt. Es ist der Übergang, der zu der nun vollkommen richtigen Bemerkung geführt hat: "Wenn es funktioniert, ist es überholt." Wenn die elektrische Geschwindigkeit noch mehr von den mechanischen Filmsequenzen übernimmt, werden die Kraftlinien in Strukturen und Medien laut und deutlich. Wir kehren zur allumfassenden Form des Bildsymbols zurück.

Einer hochalphabetisierten und mechanisierten Kultur erschien der Film als eine Welt triumphierender Illusionen und Träume, die man mit Geld kaufen konnte. In diesem Augenblick der Geschichte des Films kam der Kubismus auf, der von E. H. GOMBRICH in seinem Buch "Art and Illusion" als "der gründlichste Versuch, Mehrdeutigkeit auszuschließen und einer Lesart des Bildes Geltung zu verschaffen - der eines von Menschenhand geschaffenen Werkes, einer mit Farbe behandelten Leinwand" bezeichnet worden ist. Denn der Kubismus setzt alle Aspekte eines Gegenstandes gleichzeitig anstelle des "Augenpunktes" oder des Aspekts der perspektivischen Illusion. Der Kubismus ersetzt die spezialisierte Illusion der dritten Dimension auf der Leinwand durch ein Wechselspiel von Ebenen und Widersprüchen oder durch einen spannungsgeladenen Widerstreit der Muster, Lichter und Anordnungen, die durch das Miteinbeziehen "die Botschaft an den Mann bringen". So werden, wie viele behaupten, wirklich Gemälde geschaffen und nicht Illusionen.

Mit andern Worten, der Kubismus gibt Innen und Außen, Oben, Unten, Hinten, Vorne und alles übrige in zwei Dimensionen wieder und läßt damit die Illusion der Perspektive zugunsten eines unmittelbaren sinnlichen Erfassens des Ganzen fallen. Mit diesem Griff nach dem unmittelbaren, totalen Erfassen verkündete der Kubismus plötzlich, daß das Medium die Botschaft ist. Ist es nicht klar, daß im selben Augenblick, in dem das Aufeinanderfolgen der Gleichzeitigkeit weicht, wir uns in der Welt der Struktur und Gestalt befinden? Ist nicht gerade das in der Physik wie in der Malerei, Dichtung und auf dem Gebiete der Kommunikation eingetreten? Die Aufmerksamkeit gilt nicht mehr speziellen Teilaspekten, sondern wendet sich der Gesamtwirklichkeit zu, und wir können jetzt ganz natürlich sagen, "das Medium ist die Botschaft".

Vor der elektrischen Geschwindigkeit und der Berücksichtigung der Gesamtwirklichkeit war es nicht klar, daß das Medium die Botschaft ist. Die Botschaft, so schien es damals, sei der "Inhalt", als die Leute noch fragten, was ein Gemälde bedeute. Doch wäre es ihnen nie eingefallen zu fragen, was eine Melodie, ein Haus oder ein Kleid bedeute. In solchen Dingen haben die Menschen eine gewisse ganzheitliche Auffassung der Struktur, Form und Funktion als eine Einheit beibehalten. Aber im Zeitalter der Elektrizität ist diese ganzheitliche Auffassung der Struktur und Gestalt so vorherrschend geworden, daß die Pädagogik diese Angelegenheit aufgegriffen hat. Anstatt sich mit speziellen Problemen der Arithmetik zu beschäftigen, folgt die strukturelle Methode der Kraftlinie im Feld der Zahlen und läßt Kinder über Zahlentheorie und "Mengen" nachdenken.

Kardinal NEWMAN sagte von NAPOLEON: "Er kannte die Grammatik des Schießpulvers." NAPOLEON hatte sich auch für andere Medien interessiert, und besonders der optische Telegraf machte ihn über seine Feinde überlegen. Er soll gesagt haben: "Drei feindliche Zeitungen sind mehr zu fürchten als tausend Bajonette."

ALEXIS de TOCQUEVILLE beherrschte als erster die Grammatik des Drucks und der Typographie. So konnte er die Botschaft von kommenden Veränderungen in Frankreich und Amerika ablesen, als ob er einen ihm übergebenen Text herunterlesen würde. Tatsächlich war gerade das neunzehnte Jahrhundert in Frankreich und Amerika für ihn ein offenes Buch, weil er die Grammatik des Drucks gelernt hatte. So wußte er denn auch, wann diese Grammatik nicht galt. Man fragte ihn, warum er nicht ein Buch über England schreibe, da er England doch kenne und bewundere. Er antwortete:
"Man müßte ein ungewöhnliches Maß philosophischer Tollkühnheit besitzen, um zu glauben, man könne England in sechs Monaten beurteilen. Ein Jahr schien mir schon zu kurz, um die Vereinigten Staaten richtig einschätzen zu können, und es ist viel leichter, sich über die Amerikanische Union klare und genaue Vorstellungen zu machen als über Großbritannien. In Amerika leiten sich in gewissem Sinne alle Gesetze vom gleichen philosophischen Grundsatz ab. Die ganze Gesellschaft ist sozusagen in einer einzigen Tatsache begründet. Alles ergibt sich aus einem einfachen Prinzip, sozusagen. Man könnte Amerika mit einem Wald vergleichen, der von einer Menge gerader Straßen durchbrochen ist, die alle im selben Punkt zusammenlaufen. Man muß nur den Mittelpunkt finden, und alles wird mit einem Blick offenbar. Aber in England verlaufen die Wege kreuz und quer, und nur wenn man jeden von ihnen befahren hat, kann man sich ein Bild vom Ganzen machen."
De TOCQUEVILLE hatte schon in einem früheren Werk über die Französische Revolution erklärt, wie gerade das gedruckte Wort im achtzehnten Jahrhundert eine kulturelle Sättigung herbeiführte und die französische Nation einheitlich gestaltete. Die Franzosen waren dieselbe Art Menschen von Norden bis Süden. Die typographischen Grundsätze der Uniformität, Kontinuität und Linearität hatten die komplexen Formen der alten feudalen und oralen Gesellschaftsordnung überlagert. Die Revolution wurde von den neuen Literaten und Juristen getragen.

In England jedoch war die Macht der alten mündlichen Überlieferung des Gewohnheitsrechts, gestützt von der mittelalterlichen Institution des Parlaments so groß, daß die Uniformität und Kontinuität der neuen visuellen Zivilisation des Buchdrucks sich nie vollkommen durchsetzen konnte. Das Ergebnis war, daß das wichtigste Ereignis in der englischen Geschichte, nämlich die englische Revolution nach den Grundsätzen der französischen, nie stattfand. Die amerikanische Revolution mußte keine mittelalterliche Institution abschütteln oder ausrotten, abgesehen von der Monarchie. Und vielfach wurde schon die Meinung vertreten, daß die amerikanische Präsidentschaft viel persönlicher und monarchischer geworden sei, als es irgendein europäischer Monarch je hätte sein können.

Bei de TOCQUEVILLE beruht der Gegensatz zwischen England und Amerika eindeutig auf der Tatsache, daß die Zivilisation des Buchdrucks und der Typographie Uniformität und Kontinuität bringt. England, so sagt er, hat diesen Grundsatz zurückgewiesen und sich an die dynamische und mündliche Tradition des Gewohnheitsrechts geklammert. Daher die Diskontinuität und der unberechenbare Charakter der englischen Kultur. Die Grammatik des Buchdrucks kann nicht mithelfen, die Botschaft der mündlichen und nichtschriftlichen Kulturen und Institutionen zu deuten. Der englische Adel wurde von MATTHEW ARNOLD mit Recht als barbarisch eingestuft, weil seine Macht und Stellung nichts mit dem Alphabetentum oder mit den kulturellen Formen des Buchdrucks zu tun hatte. So sagte der Herzog von Gloucester zu EDWARD GIBBON anläßlich der Veröffentlichung seines Buches "Decline and Fall": "Wieder so ein verdammt dickes Buch, nich', Mister Gibbon? Kritzeln, kritzeln, immer kritzeln, nich', Mister Gibbon?". De TOCQUEVILLE war ein hochgebildeter Aristokrat, der sich durchaus von den Werten und Postulaten des Buchdrucks distanzieren konnte. Deshalb verstand er allein die Grammatik des Buchdrucks. Und nur unter diesen Bedingungen, abseits jeder Struktur und jedes Mediums, ist es möglich, ihre Grundsätze und Kraftlinien zu erkennen. Denn jedes Medium hat die Macht, seine eigenen Postulate dem Ahnungslosen aufzuzwingen. Voraussage und Steuerung bestehen darin, diesen unterschwelligen narzißtischen Trancezustand zu vermeiden. Aber am meisten hilft in diesem Fall einfach die Erkenntnis, daß der Zauber sofort nach Kontaktnahme, wie bei den ersten Takten einer Melodie, wirken kann.

"A Passage to India" von E. M. FORSTER ist eine dramatische Studie der Unfähigkeit der auf mündlicher Überlieferung und Intuition aufgebauten östlichen Kulturen, mit den rationalen, visuellen Formen der Erfahrung des Europäers zurechtzukommen. "Rational" bedeutet natürlich für den Westen schon lange "uniform, kontinuierlich, seriell". Mit andern Worten, wir haben Vernunft mit Schriftkundigsein und Rationalismus mit einer einzelnen Technik verwechselt. So scheint für den konventionellen Westen der Mensch im Zeitalter der Elektrizität irrational zu werden. In FORSTERs Roman kommt der Augenblick der Erkenntnis und des Erwachens aus dem typographischen Trancezustand des Westens in den Höhlen von Marabar. ADELAR QUEDSTEDTs Urteilskraft kann mit dem total erlebten Resonanzraum Indien nicht fertig werden. Nach dem Besuch der Höhlen, "ging das Leben wie gewöhnlich weiter, hatte aber keine Bedeutung, das heißt, die Laute waren ohne Widerhall, und Gedanken kamen nicht auf. Alles schien an der Wurzel abgeschnitten und daher mit Illusion verpestet".

"A Passage to India" (der Ausdruck stammt von WHITMAN, der Amerika dem Osten zugewandt sah) ist eine Parabel des westlichen Menschen im Zeitalter der Elektrizität und ist nur zufällig auf Europa oder den Orient bezogen. Wir erleben die Entscheidungsschlacht zwischen Sehen und Hören, zwischen der schriftlichen und mündlichen Form der Wahrnehmung und Organisation des Daseins. Da Verstehen das Handeln unterbindet, wie NIETZSCHE bemerkt hat, können wir die Härte dieser Auseinandersetzung nur dadurch mildern, daß wir die Medien verstehen, die uns ausweiten und diese Kriege in uns und um uns verursachen.

Die Zerstörung der Stammesorganisation durch das Alphabetentum und ihre traumatischen Auswirkungen auf den Stammesangehörigen ist das Thema des Buches "The African Mind in Health and Disease" des Psychiaters J. C. CAROTHERS (Welt-Gesundheits-Organisation, Genf, 1953). Große Teile des von ihm verwendeten Materials erschienen in einem Artikel in der Zeitschrift "Psychiatry" vom November 1959: "Kultur, Psychiatrie und das geschriebene Wort". Auch hier wieder ist es die elektrische Geschwindigkeit, die die Kraftlinien aufgezeigt hat, die von der westlichen Technik aus bis in die entlegensten Gebiete im Busch, der Savanne und der Wüste hinein wirken. Ein Beispiel dafür ist der Beduine auf dem Kamel mit seinem Kofferradio. Die Eingeborenen mit einer Flut von Begriffen zu überschwemmen, auf die sie in keiner Weise vorbereitet sind, ist die normale Wirkungsweise unserer ganzen Technik. Aber mit den elektrischen Medien erlebt der westliche Mensch dieselbe Überflutung wie der ferne Eingeborene. Wir sind in unserem alphabetischen Milieu nicht besser auf eine Begegnung mit dem Radio oder Fernsehen vorbereitet, als der Eingeborene von Ghana fähig ist, mit dem Alphabetentum fertigzuwerden, das ihn aus der Welt der Stammesgemeinschaft herausreißt und in der Absonderung des Einzelmenschen stranden läßt. Wir sind in unserer neuen elektrischen Welt befangen, wie der Eingeborene in unserer alphabetischen und mechanisierten Welt verstrickt ist.

Die elektrische Geschwindigkeit verschmilzt vorgeschichtliche Kulturen mit dem Ramsch der industriellen Markthändler, vereinigt Nichtalphabeten mit Halbalphabeten und Nachalphabeten. Geistige Zusammenbrüche verschiedenen Ausmaßes sind sehr oft das Ergebnis der Entwurzelung und Überflutung mit neuen Informationen und immer neuen Formen der Information. WYNDHAM LEWIS machte dies zum Thema seiner Romanreihe "The Human Age". Im ersten dieser Romane, "The Childermass", befaßt er sich mit der Veränderung durch schnellere Medien, in welcher er eine Art Massenmord an den unschuldigen Kindern sieht. In unserer eigenen Welt verlieren wir mit zunehmendem Gewahrwerden der Auswirkungen der Technik auf die Prägung und Äußerungen des Seelenlebens jedes Vertrauen auf unser Recht, schuldig zu sprechen. Alte, vorgeschichtliche Kulturen betrachten schwere Verbrechen als etwas Bemitleidenswertes. Der Mörder wird so gesehen, wie wir einen Krebskranken sehen. "Wie schrecklich es sein muß, so schlimm dran zu sein", sagen sie. J. M. SYNGE griff diesen Gedanken in seinem "Playboy of the Western World" sehr wirkungsvoll auf.

Wenn der Verbrecher als Nonkonformist erscheint, der der Forderung der Technik, daß unsere Verhaltensmuster uniform und kontinuierlich sein sollen, nicht nachkommen kann, ist der alphabetische Mensch durchaus geneigt, andere, die sich nicht fügen können, als gewissermaßen bemitleidenswert zu betrachten. Besonders das Kind, der Krüppel, die Frau und die Farbigen erscheinen der Welt der visuellen und typographischen Technik als Opfer der Ungerechtigkeit. Andererseits schaffen sich in einer Welt, die den Leuten Rollen anstatt Routinearbeiten zuweist, der Zwerg, der Schiefhalsige und das Kind ihre eigene Welt. Man erwartet von ihnen nicht, daß sie in ein einheitliches Schablonenfach passen, das sowieso nicht nach ihrem Maß gefertigt ist. Beachten Sie den Ausdruck: "Wir leben in einer Welt des Mannes." Als eine auf Quantität bezogene Bemerkung, die aus einer - gleichgeschalteten Kulturauffassung heraus endlos wiederholt wurde, ist diese Aussage auf Männer in einer solchen Kultur zurückzuführen, die gleichgeschaltete Dagwoods (Comic-Strip-Papas) sein müssen, um dazuzugehören. Gerade mit unseren Intelligenztests haben wir uns die größte Flut von falschverstandenen Normen selbst zuzuschreiben. In Unkenntnis der Tendenzen unserer typographischen Kultur halten unsere Tester die uniformen und kontinuierlichen Verhaltensweisen für Zeichen von Intelligenz und schließen damit den auditiven und den taktilen Menschentypus aus.

C.P. SNOW beschreibt in der Rezension eines Buches von A.L. ROWSE ("The New York Times Book Review" vom 24. Dezember 1961) über  Appeasement  und den Weg nach München die Spitzen der britischen Intelligenz und die Erfahrungen in den dreißiger Jahren. "Ihre Intelligenzquotienten waren viel höher, als es gewöhnlich bei Politikern der Fall ist. Warum waren sie solche Versager?"SNOW pflichtet der Ansicht von ROWSE bei: "Sie hörten einfach nicht auf Warnungen, weil sie nicht hören wollten." Als Gegner der Kommunisten konnten sie unmöglich die Botschaft HITLERs lesen. Aber ihr Versäumnis war noch nichts im Vergleich zu unserem eigenen heute. Alles was Amerika mit dem Alphabetentum geschaffen hat, das als Technik oder Uniformierung auf allen Stufen der Bildung, Erziehung, der Regierung, der Industrie und des gesellschaftlichen Lebens Anwendung findet, ist überall von der Technik der Elektrizität bedroht. Die Bedrohung durch STALIN oder HITLER kam von außen. Die Technik der Elektrizität ist aber mitten unter uns, und wir sind benommen, taub, blind und stumm bei ihrem Zusammenprall mit der Technik GUTENBERGs, durch die der amerikanische Lebensstil geprägt wurde.

Es ist aber jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt, Methoden vorzuschlagen, wenn noch nicht einmal erkannt wurde, daß die Bedrohung besteht. Ich bin in der gleichen Situation wie LOUIS PASTEUR, der den Ärzten sagt, daß ihr größter Feind vollkommen unsichtbar ist und sie ihn überhaupt nicht erkannt haben. Unsere übliche Antwort, mit der wir alle Medien abtun, nämlich, daß es darauf ankomme, wie wir sie verwenden, ist die befangene Haltung des technischen Dummkopfs. Denn der "Inhalt" eines Mediums ist mit dem saftigen Stück Fleisch vergleichbar, das der Einbrecher mit sich führt, um die Aufmerksamkeit des Wachhundes abzulenken.

Die Wirkung des Mediums wird gerade deswegen so stark und eindringlich, weil es wieder ein Medium zum "Inhalt" hat. Der Inhalt eines Films ist ein Roman, ein Schauspiel oder eine Oper. Die Wirkung des Films ist ohne Beziehung zu seinem Programminhalt. Der Inhalt von Geschriebenem oder Gedrucktem ist Sprache aber der Leser ist sich des Drucks oder der Sprache fast gar nicht bewußt.

ARNOLD TOYNBEE ist ohne jedes Verständnis für Medien und ihre gestaltende Kraft in der Geschichte, bietet aber eine Fülle von Beispielen, die der Medienforscher verwenden kann. An einer Stelle meint er allen Ernstes, daß die Erwachsenenbildung, wie sie etwa von der  Workers Educational Association  in England betrieben wird, eine brauchbare Waffe gegen die Tagespresse darstelle. TOYNBEE ist der Ansicht, daß es, obwohl alle orientalischen Kulturen in unserer Zeit die industrielle Technik und ihre Folgerungen übernommen haben, bei ihnen "auf kultureller Ebene keine einheitliche entsprechende Tendenz gibt" (SOMERVELL). Das klingt wie die Stimme des alphabetischen Menschen, der sich in einem Wald von Inseraten durchkämpft und prahlt, "ich persönlich schenke der Werbung keine Beachtung".

Die geistigen und kulturellen Vorbehalte, die die orientalischen Völker unserer Technik entgegenbringen, werden ihnen gar nichts nützen. Die Auswirkungen der Technik zeigen sich nicht in Meinungen und Vorstellungen, sondern sie verlagern das Schwergewicht in unserer Sinnesorganisation oder die Gesetzmäßigkeiten unserer Wahrnehmung ständig und widerstandslos. Der ernsthafte Künstler ist der einzige Mensch, der der Technik ungestraft begegnen kann, und zwar nur deswegen, weil er als Fachmann die Veränderungen in der Sinneswahrnehmung erkennt.

Die Verwendung des Mediums Geld in Japan im siebzehnten Jahrhundert hatte Auswirkungen, die jenen des Buchdrucks im Westen nicht unähnlich waren. Das Eindringen der Geldwirtschaft, schrieb G. B. SANSOM (in "Japan", Cresset Press, London, 1931), "verursachte eine langsame, aber unaufhaltsame Revolution, die in einem Zusammenbruch des feudalen Regierungssystems und der Wiederaufnahme der Handelsbeziehungen mit dem Ausland nach mehr als zweihundert Jahren der Isolierung gipfelte". Geld hat das Sinnesleben von Völkern umgestaltet, eben weil es eine 'Ausweitung' unseres persönlichen Sinnenlebens ist. Diese Veränderung hängt nicht von einer Zustimmung oder Ablehnung der in einer Gesellschaft lebenden Menschen ab.

ARNOLD TOYNBEE kam der revolutionierenden Kraft von Medien mit seinem Begriff der "Vergeistigung" näher, die er für das Grundprinzip zunehmender Vereinfachung und Leistungsfähigkeit in jeder Organisation oder Technik hält. Es ist bezeichnend, daß er die Auswirkungen der Herausforderung dieser Formen auf die Reaktionsweise unserer Sinne übersieht. Er stellt sich vor, daß die Reaktion nach unserer Meinung selbst von Belang für die Auswirkungen der Medien und der Technik in der Gesellschaft ist; ein "Standpunkt", der offensichtlich das Ergebnis des Zaubers der Drucktechnik ist. Denn der Mensch in der alphabetischen und gleichgeschalteten Gesellschaft verliert die Fähigkeit, die verschiedengestaltige und diskontinuierliche Existenz der Formen empfinden zu können. Er gelangt zur Illusion der dritten Dimension und des "persönlichen Standpunktes" als Teilergebnis seines narzißtischen Komplexes und ist vollkommen abgeschnitten von der Erkenntnis BLAKEs oder der des Psalmisten, daß wir zu dem werden, was wir sehen.

Wenn wir uns heute in unserer eigenen Kultur orientieren wollen und uns abseits stellen müssen von den Tendenzen und dem Druck, den jede technische Ausdrucksform des Menschen ausübt, dann müssen wir nur eine Kultur aufsuchen, die die betreffende Form noch nicht erlebt hat, oder uns in eine geschichtliche Zeit versetzen, die sie nicht kannte. Professor WILBUR SCHRAMM machte so einen Schachzug in seiner Untersuchung über "Das Fernsehen im Leben unserer Kinder". Er fand Gebiete, die das Fernsehen überhaupt noch nicht erreicht hatte, und führte Tests durch. Da er die besondere Eigenart des Fernsehbildes nicht untersucht hatte, testete er in Wirklichkeit die Beliebtheit des "Inhalts", die Dauer des Zuschauens und den Wortschatz. Er behandelte das Problem, wenn auch unbewußt, rein literarisch. Infolgedessen konnte er nichts aussagen. Hätte man seine Methode im Jahre 1500 n. Chr. verwendet, um die Auswirkungen des gedruckten Buches auf das Leben der Kinder oder der Erwachsenen zu ergründen, würde er nichts über die sich aus dem Buchdruck ergebenden Veränderungen in der Individual- oder Sozialpsychologie herausgefunden haben. Der Druck brachte im sechzehnten Jahrhundert den Individualismus und den Nationalismus hervor. Eine Analyse von Programm und "Inhalt" gibt keine Hinweise auf die Magie dieser Medien oder auf ihre unterschwellige Energie.

LEONHARD DOOB erzählt in seinem Bericht "Kommunikation in Afrika" von einem Afrikaner, der sich große Mühe gab, die Nachrichten von BBC zu hören, obwohl er kein Wort davon verstehen konnte. Nur jeden Abend um sieben Uhr bei diesen Lauten dabei zu sein war für ihn wichtig. Seine Einstellung zur Sprache war wie unsere der Melodie gegenüber - die klingende Modulation bedeutete ihm genug. Im siebzehnten Jahrhundert noch teilten unsere Vorfahren, wie aus folgender Meinung des Franzosen BERNARD LAM deutlich hervorgeht, die er in "The Art of Speaking" (London, 1696) vertrat, die Ansicht dieses Eingeborenen über verschiedene Formen von Medien:
"Es ist dem Wirken der Weisheit Gottes zuzuschreiben, der den Menschen schuf, damit er glücklich sei, daß alles, was seinem Wandel (seiner Lebensart) nützlich ist, auch angenehm ist ... weil alles Eßbare, das der Ernährung dient, schmackhaft ist, während andere Dinge, die nicht aufgenommen und in jenen Stoff, aus dem wir gemacht sind, verwandelt werden können, schal sind. Eine Rede, die dem Redner nicht leichtfällt, kann der Zuhörer nicht als angenehm empfinden; auch kann sie nicht mühelos vorgetragen werden, wenn sie nicht mit Vergnügen gehört wird."
Hier haben wir eine Theorie des richtigen Verhältnisses zwischen der Kost und Ausdrucksweise des Menschen, wie wir sie jetzt erst, nach Jahrhunderten des Zerlegens und der Spezialisierung, für Medien zu entwickeln bestrebt sind.

Es war ein großes Anliegen Papst PIUS des Zwölften, daß man sich heutzutage mit der Medienforschung befassen soll. Am 17. Februar 1950 sagte er:
"Man kann ohne Übertreibung sagen, daß die Zukunft der modernen Gesellschaft und die Stabilität ihres Innenlebens zum Großteil von der Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen der Macht der Kommunikationstechniken und der Reaktionsfähigkeit des einzelnen selbst abhängt."
Ein Versagen in dieser Hinsicht war für die Menschheit jahrhundertelang typisch und allgemein. Unterschwellige und bereitwillige Hinnahme des Einflusses der Medien hat für die Menschen, die sie verwendeten, Gefängnisse ohne Mauern errichtet. Wie A. J. LIEBLING in seinem Buch "The Press" bemerkte, ist ein Mann, der nicht sehen kann, wohin er geht, nicht frei, auch wenn er eine Schußwaffe hat, die ihm verhilft, dorthin zu kommen. Denn jedes Medium ist auch eine wirksame Waffe, mit der andere Medien und andere Gruppen besiegt werden können. Das Ergebnis ist, daß die Gegenwart eine Zeit der vielen Bürgerkriege ist, die nicht auf den Bereich der Kunst und Unterhaltung beschränkt blieben. In "War and Human Progress" erklärte Professor J. U. NEF: "Die totalen Kriege unserer Zeit waren das Ergebnis einer Reihe von Denkfehlern ... "

Wenn die gestaltende Kraft bei Medien die Medien selber sind, so ergibt sich daraus eine Vielzahl von Fragenkomplexen, die hier nur angeführt werden können, obwohl sie Bände füllen müßten. Technische Medien sind nämlich Erzeugnisse oder Rohstoffe genauso, wie es Kohle, Baumwolle oder Erdöl sind. Jedermann wird zugeben, daß eine Gemeinschaft, deren Wirtschaft von ein oder zwei Hauptprodukten, wie Baumwolle, Korn, Holz, Fisch oder Vieh, abhängt, dadurch eine deutlich ausgeprägte Sozialstruktur erhalten wird. Das Verlegen auf ein paar Hauptprodukte führt zu äußerster Labilität in der Wirtschaft, aber zu großer Zähigkeit bei der Bevölkerung. Das Pathos und der Humor des amerikanischen Südens sind in einer solchen konzentrierten Wirtschaftsform verankert. Denn eine Gesellschaft, deren Struktur von nur wenigen Waren abhängt, betrachtet diese als eine soziale Bindung genau so, wie die Großstadt die Presse sieht. Baumwolle und Erdöl werden genauso wie Radio und Fernsehen zu einer "Dauerbelastung" des ganzen Seelenlebens der Gemeinschaft. Und diese einschneidende Tatsache schafft das besondere kulturelle "Aroma" jeder Gesellschaft. Nicht nur ihre Nase, sondern alle ihre andern Sinnesorgane müssen für jedes Hauptprodukt, das ihr Leben formt, schwer "bluten".

Daß unsere menschlichen Sinne, von welchen alle Medien Ausweitungen darstellen, auch Dauerbelastungen unserer persönlichen Kräfte sind und daß sie auch das Bewußtsein und die Erfahrung jedes einzelnen von uns gestalten, kann man aus einem anderen Zusammenhang, den der Psychologe C. G. JUNG erwähnt, ersehen:
"Jeder Römer war von Sklaven umgeben. Der Sklave überflutete mit seiner seelischen Einstellung das frühere Italien, und jeder Römer wurde innerlich, und natürlich unbewußt, ein Sklave. Denn da er dauernd in der Umgebung von Sklaven lebte, wurde er durch das Unbewußte von ihrer seelischen Einstellung angesteckt. Niemand kann sich gegen einen solchen Einfluß abschirmen." (Beiträge zur Analytischen Psychologie, London, 1928.)

LITERATUR, Marshall McLuhan, Die magischen Kanäle - Understanding Media, Düsseldorf/Wien 1970