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MARIANNE GRABRUCKER
Gesellschaft und Sprachverhalten
"Zwischen Sprache und Recht besteht eine enge Strukturverwandschaft. Beide gründen sich auf gleiche Prinzipien: Sie sind Ordnungselemente der Gesellschaft."

Das sinnorientierte Handeln des Menschen ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß alle das Zusammenleben regelnden Einrichtungen, wozu auch das Recht gehört, eine soziale Funktion für die Gemeinschaft haben. Diese Fähigkeit der Menschen beruht auf der Tatsache, daß ihr Verstand in der Lage ist, zu abstrahieren und sprachliche Ausdrucksformen herauszubilden. Abstraktes Denken und Sprache sind notwendige Voraussetzungen für Recht.

Die an WILHELM von HUMBOLDT anknüpfende sprachwissenschaftliche Tradition geht hiervon aus, wenn sie sagt, daß mit der Sprache auch eine gewisse Sicht der Welt vermittelt wird, da sie alle Vorstellungen enthält, die eine Sprachgemeinschaft von der Welt ausgebildet hat, und zwar bezogen auf die alltägliche Wahrnehmung der "kleinen Dinge". (Die Eskimos zum Beispiel haben 36 verschiedene Worte für Schnee entwickelt, der in ihrer Existenz eine entscheidende Rolle spielt.)

Die Psychologie der Sprache hat sich in der sprachlichen Relativitätstheorie, in der sog. WHORF-SAPIR-Hypothese, ebenfalls mit dem Verhältnis zwischen Wahrnehmung und Abstraktion, Denken und Sprache beschäftigt. Nach ihr ist die Art, wie Menschen die Welt wahrnehmen, davon abhängig, wie in der Muttersprache die Welt strukturiert und dargestellt ist. Diese Theorie geht davon aus, daß eine Beeinflußung des Denkens und der Wahrnehmung durch sprachliche Strukturen stattfindet.

Für die gesellschaftliche Vorrangstellung des Mannes geschieht dies z.B. in Alltagsmetaphern wie "jemand ist Herr der Lage", "Herr im eigenen Haus", "der kluge Mann baut vor", "herrisch", "herrenlos". Gleiches gilt für sog. "eingefrorene Ausdrücke", wie z.B. Hänsel und Gretel, Brüder und Schwestern, Mann und Frau. Sprache und Denken stehen in einem Verhältnis relativer Beeinflußung zueinander.

Die Sozialpsycholinguistik ist darüber hinaus damit beschäftigt, daß die Sprache auch sozial signifikante Unterschiede zwischen den Menschen, so z.B. schichtspezifische Sprachunterschiede, widerspiegelt und daß sich in der Sprache auch die Dominanz und Unterwerfung ausdrücken, was für das Verhältnis zwischen Frauen und Männern ebenso gilt.

Sprache vermittelt daher ganze Gesellschaftssysteme, insbesondere für zukünftige Generationen. Auf diese Weise bildet sich Tradition heraus. Das kollektive Wissen einer Generation lebt von den in Sprache geformten und ausgebildeten Erfahrungen früherer Generationen und deren Vorstellungen von der Funktion einzelner sozialer Einrichtungen, insbesondere der Rechtsnormen. Da nach der funktionalistischen Gesellschaftstheorie Rechtsnormen einsetzbar sind, um menschliches Handeln zu steuern und in der Gesellschaft etwas zu bewirken, ist mit der Übernahme tradierter Normen und ihrer Sprachformen auch deren Steuerungsfunktion mit eingeflossen, die vor dem Hintergrund sozialen Zusammenlebens vergangener Generationen notwendig erschien.

Das Recht kann also vom sog. "Zeitgeist" der Vergangenheit bestimmt sein, soweit es von überkommener Sprache geprägt ist. Andererseits läßt sich am Verschwinden von Begriffen wie  Hungerturm, Schuldturm, Zuchthaus, Arbeitshaus  aus unserem Wortschatz parallel zu der Tatsache, daß solche Strafen aus dem Recht gestrichen wurden, erkennen, wie sich neue Generationen vom alten Zeitgeist und seiner Sprache befreien.

Obwohl Rechtsnormen eigentlich nur Vorschriften sind, die ein bestimmtes Verhalten vorschreiben und keine Beschreibung sozialer Tatbestände darstellen, spiegelt sich in ihnen doch die gesellschaftliche Wirklichkeit wider. Dies trifft besonders für die Gesetze zu, die eine soziale Steurungsfunktion haben und dazu dienen, das gesellschaftliche Zusammenleben planmäßig in einer bestimmten Richtung zu gestalten. (Aus der Tatsache, daß Abtreibung unter Strafe gestellt ist, läßt sich der Schluß ziehen, daß abgetrieben wird.) In diesem Prozeß spielen Interessen und Machtverhältnisse eine wesentliche Rolle. Bereits die Tatsache, daß im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren Interessenverbände, vermittelt durch Parteien, befragt und gehört werden, zeugt von der Einflußnahme des "Zeitgeistes" auf die inhaltliche Gestaltung von Recht.

Interessenkonflikt mußten auf diese Weise im Lauf der Geschichte sozialer Entwicklungen ständig durch das Recht reguliert werden. Rechtssätze gründen daher nicht nur auf Tradition und sind nicht nur Ergebnis, sondern auch Hebel der gesellschaftlichen Entwicklung. Sie sind für einzelne Gruppen oder Parteien ein Mittel, in ihrem Machtkreis die Dinge nach ihrem Willen zu gestalten. Durch Rechtssätze erlangt der Mensch eine wenn auch beschränkte Macht über gesellschaftliche Entwicklungen und kann sie steuern, er kann Rechtssätzen eine andere Funktion geben und so die Menschen "umerziehen".

Es ist möglich, eine unbeliebte Vorschrift durch entschlossene Durchführung der Exekutive sich im Laufe der Zeit im Bewußtsein einnisten und zur Gewohnheit werden zu lassen. Positive Beispiele aus jüngster Zeit sind die Anschnallpflicht im Auto oder die gemeindlichen Satzungen, die zur Mülltrennung verpflichten. Ein negatives Beispiel gibt hingegen die Geschichte der Entrechtung der Frau. Einen Blick in die Vergangenheit zu werfen, erscheint daher notwendig und bestätigt die Feststellungen der angeführten Theorien.

Es gibt eine enge Verknüpfung zwischen dem politischen und rechtlichen Status von Frauen sowie der Wertschätzung, die Frauen in der Gesellschaft entgegengebracht wird, und der Lenkung durch Recht. Dabei sind die Sprachformen, derer mann sich im Recht bediente, im oben ausgeführten Sinn Teil der Wahrnehmung unserer Kultur.

Aber weil die Sprache der Wechselwirkung zwischen der Widerspiegelung gesellschaftlich vorhandener Konventionen und sozialen Weiterentwicklungen unterworfen ist, verändert sie sich entsprechend dem Bedeutungswandel, den ein Ausdruck im Lauf der Zeit erfährt, und sie wird ständig aktualisiert. Die Menschen, die sprechen, sind daher nicht der in Sprache überlieferten Weltansicht für alle Zeiten ausgeliefert, sondern verändern diese selbst durch ihr aktives Sprechen, in das sie ihre subjektiven Bedeutungen in Varianten einbringen, wodurch neue Ideen und Vorstellungen die Sprache erobern.

Somit unterliegen eine Sprache und die von ihr getragenen Weltansichten dort, wo lebendiger Austausch demokratisch gewährleistet ist, auch kulturellem Wandel. Die aktive Teilnahme an diesem ständig wandelnden schöpferischen Prozeß ist Grundlage "kultureller Identität". Da mann die aktive Teilnahme der Frauen an der Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse verhinderte, konnten sie bis vor kurzem im Recht auch nicht als aktive Sprachteilnehmerinnen sprachverändernd ihren kreativen Anteil mit einbringen. Das nicht existierende Femininum in Allgemeinsprache und Rechtssprache manifestiert diesen Ausschluß vom schöpferischen Prozeß der Mitgestaltung "kultureller Identität".

Es ist daher vereinfachend argumentiert, wenn zwar die rechtliche Unterdrückung der Frauen in der Vergangenheit bedauert, aber gleichzeitig die Entwicklung der Allgemeinsprache als davon unabhängig verlaufend angesehen und so getan wird, als könnte sich die Rechtssprache einer völlig wertfreien Sprache bedienen. Wer sich also des Arguments bedient, die Rechtssprache habe ihre Berechtigung in festverwurzelter Übung und lang anhaltender Gewohnheit, sie sei Teil unserer Kultur, muß wissen, auf welche "kulturellen" Ursprünge sie zurückzuführen ist und in welchem historischen Kontext sie ihre jetzt vorgefundene Ausformung entwickeln konnte.

Diesen Zusammenhang zu erkennen und zu verstehen erleichtert den Blick zurück - ob mit oder ohne aufsteigenden Zorn: Maskulinum und Femininum sind in der Regel in jahrhundertelanger Tradition in der Rechtssprache für Personen entsprechend dem natürlichen Geschlecht verwandt worden. Rechte bezogen sich auf Männer, dementsprechend waren sie im Maskulinum bezeichnet. Davon ausgeschlossen oder eingeschränkt waren Frauen; ihren Ausschluß von der Norm signalisierte das Femininum in Sondervorschriften. So trug das Recht das seinige dazu bei, daß sich das Maskulinum als das das Normale schlechthin anzeigende Genus herausbildete.

Erst der verfassungsrechtliche Druck der Forderung der Gleichberechtigung der Frauen, zunächst durch Artikel 109 Weimarer Reichsverfassung, dann durch Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes, brachte hier inhaltliche Veränderungen. Mann besann sich des generischen Maskulinums der Allgemeinsprache als geschlechtsindefinit und benutzte es fortan im Recht als auch auf Frauen zutreffend.

Gerade das Grundrecht, das die Gleichberechtigung herstellen und sichern will, hatte im Bereich der Fachsprache zur Definition der Frau im Maskulinum geführt. Unbeachtet blieb dabei, daß einerseits Sprachregeln gekennzeichnet sind als Regeln für soziales Verhalten, die für die Gesellschaft von konventionaler Bedeutung sind, andererseits aber die Gesetze sich erheblich zugunsten der Frauen verändert hatten. Mann sah hier keinen Widerspruch.

Verhältnis der Rechtssprache zur Allgemeinsprache
Regelungen von Vater Staat bedürfen der Worte und der Sprache, um rechtliche Wirkungen zu erzielen - ungeschriebenes Gewohnheitsrecht gibt es fast nicht mehr. Deshalb muß die vorhandene und vorgefundene Sprache benutzt werden. Zwischen Sprache und Recht besteht eine enge Strukturverwandschaft. Beide gründen sich auf gleiche Prinzipien: Sie sind Ordnungselemente der Gesellschaft und für das Handeln der Menschen von motivierendem, sogar suggestiven Einfluß; ihr ständiger Gebrauch trägt zur Verfestigung bei.

Beide beanspruchen und haben Allgemeingültigkeit. Nur in dem Maß, in dem einem Ausdruck sprachliche Bedeutung beigemessen wird, kann er rechtliche Gültigkeit haben und ein Gesetz seine normativen Wirkungen erzielen. Recht "gilt" und "Sprache" bedeutet etwas.

Die Tatsache, daß Vater Staat in all seinen Erscheinungsformen - in den Parlamenten, den Behörden seiner Verwaltung und den Gerichten - bei Personen- und Funktionsbezeichnungen nur die männliche Form benutzt, wird mit der Grammatik der deutschen Sprache begründet. Das Bürgerliche Gesetzbuch zum Beispiel, eines der zentralen Stammgesetze unseres Rechtssystems, verwendet in 2385 Paragraphen 186 Personenbezeichnungen im Maskulinum.

Die bislang nicht in Frage gestellte Annahme, daß dieses Maskulinum als Genusbegriff im Sinne einer Grammatikregel der deutschen Allgemeinsprache in der Rechtssprache gebraucht wird, beruht auf der Vorstellung, daß diese zwar Fachsprache ist, wenn auch unterschiedlich intensiv, ja nach Text, aber dennoch stärker als z.B. streng formalisierte naturwissenschaftliche Sprachen der Allgemeinsprache verbunden bleibt. Sie wird sogar als "fachliche Umgangssprache" bezeichnet.

Ob sie sich nur an Fachleute richten, sich der Umgangssprache der Gebildeten anschließen oder aber für alle und insbesondere auch für einfache Menschen verständlich sein sollten, darüber gingen die Ansichten der Juristen in den letzten 200 Jahren Rechtsdiskussion auseinander. Eines ist jedenfalls klar: An das Verständnis der Frauen dachte niemand, weder Ende des 18. Jahrhunderts unter FRIEDRICH II., als SVAREZ lehrte, die Gesetze seien so abzufassen, "daß jeder Mann von einiger Erziehung und Ausbildung sie selbst lesen, verstehen und von seinen Rechten und Pflichten sich daraus belehren kann", noch zur Zeit der heftigen Diskussion um Entstehung der großen Gesetzeswerke zur Jahrhundertwende, wenn es hieß:
"Das Gesetz muß aus den Gedanken des Volkes heraus gesprochen sein. Der verständige Mann, der es liest, der über die Welt und die Zeitläufe nachgedacht hat, muß die Empfindung haben, das Gesetz sei ihm vom Herzen gesprochen."
Verständnishorizont war allein der des Mannes, "das Volk" als Ganzes vertretend, denn  er  sollte sich in  seiner  Sprache und mit  seinen  Vorstellungen von der Welt in dem von  ihm  geschaffenen Recht wiederfinden.

Aber auch die Vertreter einer gegenteiligen Überzeugung, so z.B. WINDSCHEID, ein Rechtswissenschaftler, dr maßgeblich den 1. Entwurf des BGB mitbestimmt hatte, gingen nur von männlichem Verständnis aus:
"Gesetzbücher werden nicht für den Laien gemacht, sondern für den Richter. Der Wert eines Gesetzbuches liegt darin, daß es für den Richter verständlich ist. Der Laie braucht es nicht zu verstehen."
Frauen waren damals noch weit davon entfernt, "Richter" sein zu können. Beide Standpunkte werden heute noch diskutiert, ohne daß das Verständnis von Frauen und ihr Verhältnis zur Rechtssprache über Ansätze hinaus problematisiert worden wären.

Im Ergebnis glaubten die Juristen bei diesem Meinungsstreit sich für eine modifizierte Allgemeinverständlichkeit der Sprache entschieden zu haben. Dies mag zum Teil so sein. Die Rechtssprache ist wie jede andere Fachsprache von der Allgemeinsprache her aufgebaut. Alles fachsprachliche Sprechen setzt naturgemäß ihre Beherrschung voraus, denn von Allgemeinsprache abweichende Fachbegriffe müssen wiederum in ihr zu definieren sein.

Diese Definition der Allgemeinsprache als "Basissprache" der Fachsprache, zu der auch das System ihrer Sprachregeln gehört, geht also von der Allgemeinsprache aus, weil Fachsprache nichts anderes ist als eine Präzisierung allgemeinsprachlicher Ausdrücke. Sie wird deshalb als "Subsystem" der Allgemeinsprache angesehen, das von den Inhalten des Rechts abhängig ist.

Da die Rechtssprache eine Fülle von Begriffen verwendet, die erst durch Erläuterung, Paraphrasierung und Kommentierung verständlich werden, und Gesetze sich im wesentlichen solcher Worte bedienen, die juristischen Präzisionsanforderungen unterliegen, hat sie den für die Fachsprache im landläufigen Sinne charakteristischen Sonderstatus einer Sprache, die nur unter Fachleuten verständlich ist.

Die durch Definitionen in der Wissenschaft, in Gesetzen, Kommentaren oder auch in Urteilen geprägten Begriffe bilden das Charakteristikum der eigentlichen Fachsprache. Sie sind zumeist in einem Prozeß langanhaltender Diskussion unter Fachleuten gefunden worden. Eine Mehrheit hat sich für die Verwendung des Begriffes in einem einheitlichen Sinn entschieden, und aufgrund dieses Konsenses wurde die Verwendung des Begriffes im juristischen Kontext "üblich".

Allerdings sind auch diese Definitionen wiederum in allgemeinspracheliche Worte zu fassen. Den Vorgang, daß jeder von der allgemeinsprachlichen Bedeutung eines Begriffes abweichende Sinn wiederum in Worten zu definieren ist, die der Allgemeinsprache angehören, nennt man in der Sprachwissenschaft "Sprachnormung". Durch Sprachnormung können neben Wortneuschöpfungen auch Begriffe, die in der Allgemeinsprache vorhanden sind, von juristischem Bedeutungsgehalt erfüllt sein. Ihr allgemeinsprachlicher Sinn ist dann verdrängt oder überlagert, wie z.B. bei den Worten "fremd", "Besitz", oder "dinglich".

Eine solche Sprachnormung, die auch durch gesetzliche Definition erfolgen kann, läge, auf das Thema übertragen, vor, wenn in einem Gesetz eine Vorschrift lauten würde: "Im Sinne des Gesetzes werden alle in maskuliner Form gebrauchten Personenbezeichnungen auch auf Frauen angewandt." Damit wohnt dann den Maskulina in bezug auf Frauen eine spezifisch juristische Bedeutung inne.

Andererseits kann die Fachsprache durch ihre Wortprägungen auch auf den allgemeinsprachlichen Bestand einwirken. Dadurch ist Fachsprache in der Lage, Allgemeinsprache zu ändern, was sie, historisch gesehen, tatsächlich getan hat. Beispiele dafür aus der Vergangenheit sind Worte wie "Geschworene", "etwas auf dem Kerbholz haben", "an den Pranger stellen", und ein Beispiel aus neuerer Zeit ist die Entwicklung - entsprechenden den rechtlichen Einsichten - des Ausdrucks "väterliche Gewalt" zu "elterliche Gewalt".

Diese Begriffe sind aus den rechtlichen Verhältnissen früherer Zeit entstanden, mit deren Änderung aber auch verschwunden oder allgemeines Sprachgut geworden. In dem Maße, in dem Rechtssprache und Rechtsbegriffe aus der Allgemeinsprache stammen und Fachsprache sich als Allgemeinsprache speist, kann sie ihre Fachbegriffe in diese wieder zurückführen.

Davon ausgehend ist die Forderung an Vater Staat nach sprachlicher Gleichhandlung von Frauen in der Gesetzessprache an die richtige Adresse gerichtet, und gesamtgesellschaftliche Wirkung für die Allgemeinsprache kann erwartet werden. Die Sprache der Gesetze prägt die Sprache der Verwaltung, der Politik in entscheidender Weise und wirkt, vermittelt über diese, auf die Allgemeinsprache ein.

Eine präzise Abgrenzung von Allgemein-, Gebrauchs- oder Umgangssprache zu Fachsprache ist nicht möglich. Die Einordnung könnte allenfalls gelingen beim Vergleich eines theoretischen dogmatischen Aufsatzes zu einem strafrechtlichen Problem mit den Ausführungen einer jugendlichen Straftäterin über ihren Prozeß in einem Brief an eine Freundin. Die fach- bzw. allgemeinsprachlichen Elemente werden auch unterschiedlich verteilt sein, je nachdem ob z.B. eine Sachbearbeiterin in Sozialhilfeangelegenheiten mit einer Antragstellerin spricht, ob bei Gericht ein Fall aus dem Sozialhilferecht verhandelt wird, ob ein Prüfungsgespräch dazu in der 2. juristischen Staatsprüfung geführt wird oder die Bürgermeisterin auf einer Bürgerschaftsversammlung die Ansprüche der Asylantinnen auf Sozialhilfe erklärt.

Nicht nur die Sprache des Rechts stellt mit ihren Begriffsdefinitionen Regeln für ihren fachsprachlichen Gebrauch auf. Auch die Allgemeinsprache wird als ein System von Regeln für den Gebrauch von Worten definiert, die befolgte und zur Verständigung benutzte Regeln für soziales Verhalten sind. Dies ergibt sich aus der Analyse der konventionellen Bedeutung von Sprachzeichen. Lassen sich dabei nicht immer ohne weiteres allgemeinsprachliche Worte mit der sozialen Struktur der Gesellschaft und der vorliegenden Fachsprache verknüpfen und treten hier Verschiebungen, Ungereimtheiten auf, so ist dies darauf zurückzuführen, daß Begriffe sich "von ihrem veränderten strukturellen Ursprung lösen und unabhängig vn dessen Fortbestehen als unabhängige Steuerungsinstanz sozialen Verhaltens weiterwirken". Es wird also deutlich, daß allgemeinsprachliche Begriffe als soziale Regel vergangener Zeiten dennoch in der jetzt gebräuchlichen Fachsprache weiterleben und sogar steuernd wirken können.

Dieser Vorgang gegenseitiger Beeinflußung von Fach- und Allgemeinsprache findet nun durchgängig in den verschiedensten Texten, die sich mit Recht befassen, statt. Sprachliche Zeichen sind in ihrer Bedeutung als soziale Regeln nicht danach zu unterscheiden, ob sie in einem Gesetz, in Behördenschreiben, bei Gericht oder im Beratungsgespräch der Anwältin vorkommen. Die allgemeinsprachlichen Worte, auch wenn sie als Rechtsbegriffe zu verstehen sind, finden einen komplexen Einsatz und sind nicht auf den Verwendungszweck des jeweiligen Textes, dem sie entstammen, beschränkt.

Die Absicht eines Gesetzes, z.B. Verhältnisse zu ändern, bedarf stets der Vermittlung durch menschliche, in Sprache gefaßte exekutive Handlung. Die Verwaltungssprache steht dabei im Zentrum aller Durchsetzungshandlungen. Sie wird sich, um vom Gesetz betroffene Personen anzusprechen, dessen spezifischer Begriffe bedienen, insbesondere dann, wenn Handlungen verlangt werden oder wenn sie den Status einer Person betreffen. Dementsprechend ist z.B. "der Steuerpflichtige" und der "Hilfsbedürftige" nicht nur in Gesetzen, sondern auch in Bescheiden des Finanz- oder Sozialamtes zu lesen.

"Der Lehrer" ist nicht nur in den "fachsprachlichen" Schulgesetzen ein solcher, sondern auch in den Anschreiben des Herrn Schulrats an "die Lehrer" seines Schulsprengels, in den Schulbüchern der Kinder und den Gesprächen des Alltags. So kann für mich bei der Forderung nach sprachlicher Gleichbehandlung nicht zwischen der Sprache des Gesetzes einerseits und Verwaltungssprache andererseits unterschieden werden. Hier wird Gesetzestext in Zitaten wiederholt, um die normative Wirkung des Gesetzes zu erzielen. Auf diese Weise beeinflußt und prägt der sprachliche Ausdruck der Gesetze die übrige Sprache.

Juristische Fachsprache ist auch die Sprache der Politik, zahlreicher Fensterreden und politischer Berichterstattung in den Medien. Die Sprache der Gesetze entwickelt sich zur Sprache des öffentlichen Lebens, auch in Gewerbe und Handel, eben überall dort, wo Rechtsbeziehungen zwischen Menschen auftreten. So ist z.B. für das Allgemeine Landrecht Preußens von 1794 dessen eminent wichtige Bedeutung als "Werkzeug der Erziehung zur Sprachgesinnung" unbestritten.

Natürlich beziehen sich Kaufleute untereinander in Verträgen auf Begriffe, die der Gesetzestext vorgibt, um sich innerhalb des Rechtssystems konform zu bewegen und bestimmte Konstellationen für den Streitfall zu regeln. Entsprechend werden Briefe abgefaßt, und Besprechungen etc. verlaufen in diesen vorgegebenen sprachlichen Bahnen. Auch in Texte von Privatpersonen sickert Gesetzessprache ein und beeinflußt wiederum die Beziehungen der Menschen untereinander. Der nächste - kleine - Schritt zur Umgangssprache ist vorgegeben.

Unabhängig von exekutiven Handlungen ergibt sich des weiteren, daß Menschen ihr Verhalten auch danach ausrichten, ob sie sich z.B. "Arbeiter" oder "Angestellter", "Arbeitnehmer", "Gewerbetreibender" oder "Selbständiger" nennen müssen oder sollen. Für in die Zukunft gerichtetes Verhalten z.B. bei Versicherungen oder auch bei Vereinsmitgliedschaften kann diese Einordnung entscheidend sein. Das hat zur Folge, daß dieser Begriff als Statusbezeichnung auch in die Alltagssprache übernommen zu werden pflegt. Der Vorgang läßt sich mit der vielzitierten Nahrungskette aus dem Bereich des Umweltschutzes vergleichen: Ein einmal aufgetretener Schadstoff, das Maskulinum, wird beständig weitergegeben.

Folgende Beispiele für das generische Maskulinum mögen dies verdeutlichen:

"Der Eigentümer" eines Grundstücks und "der Käufer" eines Hauses, entsprechend den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches, finden sich hartnäckig in den notariellen Kaufverträgen. Mir jedenfalls gelang es nicht, bei der notariellen Beurkundung meines Hauskaufes den Notar zum Vorrang meines Geschlechts und damit meiner Bezeichnung "Käuferin" gegenüber dem Fachbegriff "Käufer" zu überzeugen, der zwar maskulin sei, aber mich im Sinne des Gesetzes genau bezeichne, wie mir der Herr Notar versicherte.

Dementsprechend figuriere ich bei den Banken in der Führung meiner Schuldenkonten ebenfalls als "der Käufer" und "der Schuldner", dann als "der Eigentümer des Objekts" sowie "der Grundschuldner"; ich bin "der Bausparer", "der Antragsteller" bei Darlehen, und mich wundert, daß ich überhaupt noch einen weiblichen Vornamen tragen darf. Springt eine Freundin finanziell ein, so ist auch sie mit der Verrechtlichung unserer Freundschaft in der Form einer Bürgschaft zum Mann geworden. Uns verbindet nun endlich echte, nie gekannte Männerfreundschaft als "der Schuldner" und "der Bürge".

Brautpaare sollten vorsichtig sein, wenn sie auf dem Standesamt sind, und genau hinsehen, wenn ihr "Standesbeamter" im Sinne von §13 und §14 des Ehegesetzes die Ehe beurkundet. Es wird nämlich ernsthaft behauptet, da das Gesetz nur den Begriff "der Standesbeamte" kenne, seien von einer Standesbeamtin geschlossene Ehen, die sie mit der Bezeichnung "Standesbeamtin" beurkunde, ungültig.
LITERATUR - Marianne Grabrucker, Vater Staat hat keine Muttersprache, Frankfurt/Main 1993