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Ludwig Feuerbach und die Philosophie unserer Zeit [2/2]
4. Der Widerspruch der Freiheit des Denkens und seiner Abhängigkeit FEUERBACH kennt solche Gedanken, er ist deshalb in dem Widerspruch befangen, die Freiheit des Denkens zugleich mit seiner Abhängigkeit zu behaupten. Ich will nicht fragen, wie FEUERBACH dazu kommt, die gebildete Empfindung zum Prinzip der Philosophie zu machen, also nicht nur die Empfindung, sondern auch das Denken mit Bewußtsein zu bejahen, er geht nirgends auf diese Kritik seiner Philosophie ein; und ich will nur die Gedanken zu Zeugen nehmen, welche er selbst ausspricht. Diese Reflexion des Menschen auf sich selbst und auf die Handlungen seiner Intelligenz ist nach FEUERBACH unbegreiflich. Wenn aber FEUERBACH von einem Ansich der Natur spricht, das er der menschlichen Erkenntnis entzieht, so hat er freilich weder der Abhängigkeit des Denkens, noch seiner formellen Tätigkeit widersprochen. Das bloß formelle Denken, das seinen Inhalt nur aus der Empfindung nimmt, kann allerdings die Rätsel der Natur nicht lösen. Aber woher kommt jenes unbegreifliche Ansich? Aus der Empfindung nicht, auch nicht aus dem Denken, also woher? So hingestellt ist es ein direkter Wegweiser ins Jenseits und es bleibt uns nichts übrig, als verzweifelnd auszurufen: "Schelling, ich folge Dir!" Aber auf der anderen Seite läßt FEUERBACH die ganze volle ungeteilte Wirklichkeit ohne Rest in den ganzen, vollen, ungeteilten Menschen eintreten. Der Mensch soll das Sein als Subjekt seiner selbst fassen, d. h. mit anderen Worten: er soll das freie Universum, die autonome Welt erkennen. In der Empfindung kann sich mir die Freiheit der Welt nicht offenbaren, weil ich die Welt nicht empfinden kann. Vielleicht in der denkenden Empfindung? Ich müßte mir von der Empfindung die Freiheit und vom Denken die Welt schenken lassen, um zu einer freien Welt zu gelangen. Aber dieses Kunststück könnte nur für einen Augenblick täuschen. Was ich empfunden habe, habe ich nicht gedacht und was ich gedacht habe, habe ich nicht empfunden. Ich kann mithin nicht die Welt aus der Freiheit und die Freiheit aus der Welt beweisen. Wie sollte sich auch dem abhängigen Denken die Freiheit der Welt, das Sein als Subjekt seiner selbst offenbaren? Ich würde wähnen Jehova im feurigen Busch zu erblicken. Nur der Freiheit kann sich die Freiheit offenbaren, sie bleibt dem Sklaven ein undurchdringliches Geheimnis, dem Gläubigen ein unbegreifliches Wunder. Ist es also FEUERBACH wirklich damit Ernst, daß die Philosophie die Wissenschaft des Wirklichen in seiner Totalität sein, daß der Mensch das Universum in seiner Autonomie, das Sein als Subjekt seiner selbst, also als freies Sein erfassen soll, so hat er damit die Freiheit des Denkens behauptet. Die Selbstbestimmung der Welt erfüllt sich im Menschen, das ist der Sinn des Denkens und seiner Freiheit. Der Mensch denkt nur, weil das Sein Subjekt seiner selbst ist, aber eben deshalb denkt auch der Mensch als Subjekt seiner selbst, nicht als Prädikat seiner Sinne. Also ist es doch klar, daß die Welt sich selbst im denkenden Menschen begreift, daß das Denken, welches seine Gesetze erfüllt, zugleich das Herz der Welt durchdringt, daß es sich um den Mittelpunkt der Welt und zugleich um seinen eigenen bewegt, es ist mithin nicht nötig, daß es sich der Empfindung unterwirft, um statt des einförmigen Kreislaufs die reale Bahn der Ellipse zu beschreiben. Das Denken ist das Resultat der Sinnlichkeit, das Prädikat des Seins - sagt FEUERBACH - und man wird in dieser Auffassung die relative Wahrheit nicht verkennen, aber man löse ihre Einseitigkeit auf, indem man hinzufügt, das Denken ist ebenso die innere Wahrheit, wie es das Subjekt des Seins ist. Wir halten fest am Prinzip FEUERBACHs und lassen ihn selbst seine Einseitigkeiten lösen. Ist es ihm Ernst mit der Freiheit des Seins, mit der autonomen, auf sich selbst beruhenden Wirklichkeit, so lösen sich seine Widersprüche in das freie, sich selbstbestimmende Denken auf, und FEUERBACH steht also doch auf der Warte des Idealismus. Freilich ist das Denken, das sich selbst in der realen Welt erkennt, weil die Welt ihre Selbstbestimmung im Denken vollendet, nicht die abgeschiedene, von den Sinnen unberührte Tätigkeit, die aus der formellen Identität mit sich nicht hinaus zu der realen Einheit mit dem Sein kommen kann. Wäre das Denken in der Tat dieser tote, abgeschiedene, drückende Formalismus, so wäre die Kritik FEUERBACHs ganz gerechtfertigt, er könnte sogar noch weiter gehen. Die Sinne können das Denken entbehren, wenn sie es bloß beschränken können. "La mort sans phrase" [Er verdient den Tod ohne weiteren Kommentar. - wp] urteilte SIÉYES über den König, nachdem er den dritten Stand für die Seele des Staates erklärt hatte. Wer sich den Thron LOUIS XVI. anmaßt, der gehört auf die Bank der Angeklagten, wo LOUIS CAPET saß! Ein Bourbone vor dem Gerichtshof des Volkes ist ein herrlicher Anblick! Aber wo hättest Du Deine Augen, als Du den Helden der Gironde für einen Despoten ansahst? Man greift die Gironde an, schützen wir sie mit unseren Schilden! FEUERBACH kann seine Anklagen gegen das Denken nicht beweisen oder vielmehr beweist sie aus einer unbewiesenen Voraussetzung. Das Denken hat eine Wahrheit im denkenden Menschen. Gewiß! Und der denkende Mensch ist der sinnliche, also kann das Denken über die Sinnlichkeit nicht hinausgehen, seine ganze Tätigkeit ist mithin eine durch die Empfindung bestimmte, abhängige Tätigkeit. Die Sache scheint sonnenklar. Aber wer sagt mir, daß der Mensch nur als sinnliches Individuum denkt? Feuerbach sagt es, aber er beweist es nirgends. Er widerspricht vielmehr dieser Voraussetzung, indem er das Sein, die Welt überhaupt als Subjekt ihrer selbst faßt. Die universale Freiheit kann offenbar nur einem universalen Wesen aufgehen, und wenn sich die Selbstbestimmung der Welt im denkenden Menschen vollendet, so ist der Schluß wohl einfach genug, daß der Mensch nicht als sinnliches Individuum, sondern als universales Wesen denkt. - Aber wie ist mir denn? Sind wir nicht in den alten Dualismus der Theologie und Spekulation zurückgekehrt, von dem uns FEUERBACH befreit hat? Haben wir uns deshalb einen Augenblick am Licht des Tages erquickt, um auf einem Umweg wieder in die Unterwelt hinabzusteigen? Ist der Philosoph dazu verdammt, dem Menschen das Schattenreich zu verkünden? Können wir den Streit um den Menschen zwischen Denken und Sinnlichkeit nur schlichten, wenn wir (mit salomonischer Weisheit) den Menschen in Stücke reißen? Ein abscheulicher Dualismus, wenn der Mensch beides in sich vereinigt, ohne das eine zugleich im andern zu sein, wenn er nur auf Kosten der Sinne denken und nur auf Kosten des Denkens sinnlich sein kann. Dieser Widerspruch wäre nicht zu ertragen. Er ist nur scheinbar gelöst, wenn FEUERBACH auf eine unmittelbare, sinnliche Einheit beider dringt, seine eigenen Prinzipien durchbrechen die Schranken des sinnlichen Individuums und lösen damit jene Einheit wieder auf, - er ist wirklich gelöst durch die Prinzipien des Idealismus. Der Idealismus beschränkt den Menschen nicht auf das Denken, er erhebt ihn zur Freiheit des Denkens. Diese Freiheit ist nicht der einsame Selbstgenuß des Philosophen, sie ist die ganze volle menschliche Freiheit. Allerdings löst sich in dieser Freiheit das Individuelle in das Allgemeine, das Sinnliche in das Geistige, das Natürliche in das Sittliche auf, aber die Auflösung des einen ist keine unfreie Vernichtung, sondern eine selbständige Entwicklung, und in der Hingabe an das Andere erfüllt das Individuum nur seine eigenen Gesetze, es wird nicht das Opfer eines fremden Gottes. Das Denken befreit den Menschen nicht von den Sinnen, es befreit die Sinne selbst. Der Idealismus beweist mit der Freiheit des Denkens zugleich die Idealität der sichtbaren Welt, mit der Freiheit des denkenden zugleich die Idealität des sinnlichen Menschen. FEUERBACH sagt: "Sehen ist Denken." Allerdings, das ist die Sache. Man hört nicht auf zu sehen, wenn man die Welt mit PLATOs Augen ansieht, im Gegenteil: man fängt erst recht zu sehen an, wenn man den Gegenstand in seiner Idealität empfindet. Das ideale Sehen ist das verwirklichte Denken. Nur der ideale Sinn vermag ein anderes Wesen in seiner Selbständigkeit zu bejahen. Die bloße Empfindung vermag es nicht und wenn ihr FEUERBACH die Energie zuschreibt, ein Objekt in seiner Freiheit, in seiner Beziehung auf sich zu erfassen, so hat ihm dieses Geheimnis nur das Denken verraten. Also ist es nicht die Empfindung, welche denkt, es ist vielmehr das Denken, welches empfindet: nicht die Empfindung, welche das Denken beschränkt, sondern das Denken, welches die Empfindung befreit, also kein beschränktes Königtum, sondern griechische Freistaaten! Und hat das Denken wirklich die Energie, die Sinnlichkeit zu durchdringen, die Welt in sichtbare Gedanken zu verwandeln und die reale Wirklichkeit zu bejahen, ohne sie in ihrer Selbstständigkeit zu verletzen? Wenn das Denken universale Selbstbestimmtung ist, dann hat es diese Energie gewiß, denn offenbar ist das reale Gegenteil des Denkens ein sich selbstbestimmtes Wesen und also im Begriff der Selbstbestimmung mit dem Denken identisch. Die Identität von Denken und Sein ist also eine reale Identität, die auf dem wirklichen Unterschied von Subjekt und Objekt, von Denken und Sein beruth. Wer die Wirklichkeit positiv aus sich selbst erklären oder, um mit FEUERBACH zu reden, das Sein als Subjekt seiner selbst auffassen will, der muß offenbar beides aus seiner immanenten Selbstbestimmung begreifen. Die Dialektiv der Selbstbestimmung ist die Freiheit, in den Gesetzen der Freiheit offenbart sich uns das Wesen der Wirklichkeit, es ist deshalb die Aufgabe der neuesten Philosophie, die Wirklichkeit in diesen Gesetzen zu erkennen. Die Philosophie, die mit dem Charakter der Weltweisheit Ernst macht und nichts weiter als die Wissenschaft des Wirklichen in seiner Totalität sein will, wird daher die Identität von Denken und Sein als ihr notwendiges Prinzip proklamieren müssen. Man wende uns nicht ein, daß wir diese Identität doch nur auf dem Gebiet des Denkens erobert haben, daß sie mithin nur ein Gedanke, nur die Imagination des Subjekts und keine positive Wahrheit wäre. Und selbst wenn sie "nur ein Gedanke" wäre, so wäre die Wahrheit desselben gesichert, sobald das Denken in einem selbständigen Sein nicht mehr seine Schranken, sondern seine Bestätigung, also seine Wahrheit findet. Aber man hat offenbar jene Identität nur von einer Seite gesehen, wenn man sie zu einem bloßen Gedanken erklärt. Solange sie sich nur in der Sphäre des Denkens verwirklicht, ist die Identität von Denken und Sein der ewige Widerspruch mit sich selbst, in keinem Gedanken zum vollen Ausdruck ihrer selbst zu gelangen, ihre Selbständigekeit nur mit der Miene der Unselbständigkeit zu behaupten, ihren weltbewegenden Inhalt in die Form des reinen Denkens einzuschränken. Dieser innere Widerspruch der Idee mit sich treibt über die Bestimmtheit jeder Kategorie und schließlich über das Gebiet des abstrakten Denkens selbst hinaus, seine wahre Lösung ist das selbständige Sein, die Natur und der Mensch. Das Reich der logischen Abstraktion hat das große Verdienst die Dialektik der Selbstbestimmung rein darzustellen, und den Gedanken der Freiheit in seiner einfachen Beziehung auf sich zu entwickeln, aber so wenig die Selbstbestimmung abstrakt bleiben kann, so wenig vermag die Logik der Philosophie einen supranaturalen oder theologischen Hintergrund zu sichern. Sie ist eine wissenschaftliche Abstraktion, nichts weiter. Die logische Idee ist der Diplomat, der seine weltlichen Absichten zu dissimulieren [verheimlichen - wp] weiß; doch nein, das Bild drückt die Sache nicht aus, die Diplomaten sind die Feinde der Freiheit. Also die logische Idee ist Brutus, der das Orakel von Delphi verstanden hat und sich verstellt, um es zu erfüllen. Er erkennt in der Erde seine Mutter und bringt seinem Vaterland die Freiheit. Ihr scheltet den Brutus, weil Ihr ihn nicht versteht. Hütet Euch vor dem Schicksal der Tarquinier! Mensch und Natur. In der Tat, es ist leicht einzusehen, daß die Idee, die Einheit von Denken und Sein, nur ein Gedanke ist, was sollte sie anderes sein, wenn sie der Mensch denkt? Und wenn er sie nicht denkt, so ist sie für ihn gar nicht, diese Tatsache hätten wir bewiesen. Es ist also klar, daß für uns die Idee nur ein Gedanke ist. Aber weit wichtiger war die Einsicht, daß dieser Gedanke sich widerspricht, daß der bloße Gedanke die Idee nicht ausdrückt, weil er nicht imstande ist, ihre Freiheit zu offenbaren. Die wahre Manifestation des Denkens ist das selbständige Sein, die wahre Offenbarung der Idee das autonome Universum, die Natur und der Mensch. Behaupten wir damit, das Denken sei eine übermenschliche, unpersönliche Macht, die als ein logisches Prius in ihrer ideellen Entwicklung der Materie vorangeht? Im Gegenteil, wir nennen es eine wissenschaftliche Abstraktion, die ebensogut ein Posterius, als ein Prius genannt werden kann. Aber diese Abstraktion ist notwendig, wenn wir die Welt in ihrer Einheit und Identität begreifen wollen. Ich verstehe die Welt nicht mehr, wenn diese Gedanken aufhören eine Wahrheit zu sein. Die Natur ist dann ein seelenloses Gewirr ohne Zusammenhang und Gesetz, und die ethische Welt eine reine Chimäre. Die Philosophie hat aufgehört, aber nicht um dem Menschen, sondern nur um dem Sophisten Platz zu machen. FEUERBACH greift in diese Fugen der Welt nicht ein, er bejaht ihre Freiheit und Idealität, aber er tut es auf Kosten des Menschen. Er bleibt den idealistischen Konsequenzen seines Prinzips nicht treu, er leugnet sie nicht, aber er stellt sie als eine unmittelbare sinnliche Wahrheit hin. Die sichtbare Welt ist ihm unmittelbar die ideale, der sinnliche Mensch, als solcher, die Lösung aller Gegensätze, das Hinausgehen über die Sinnlichkeit ohne Weiteres eine Selbstentfremdung des Menschen. Es ist das Schicksal jeder großen Kraft, in ihrer Stärke zugleich ihre Schwäche zu haben. Ich habe die Tugend dieses Mannes erkannt und dadurch ein Recht, seine Einseitigkeit zurückzuweisen. Sie ist eine Folge seiner Tugend. Es ist ein fruchtbarer Gegensatz, die Unmittelbarkeit mit ihren lebendigen Interessen gegen die tote Wissenschaft und die sterilen Spekulationen einer abgeschiedenen Scholastik heraufzubeschwören. FEUERBACH hat das Verdienst, diese wohltätige Gärung in einem Augenblick erzeugt zu haben, wo die Philosophie ihre weltbewegenden Interessen in einer seltsamen Allianz mit der kirchlichen und politischen Orthodoxie zu vergessen schien. FEUERBACH hat die Philosophie aus einem abstrakten Verstandesinteresse wieder zu einer Angelegenheit des Herzens, zu einer Sache der Leidenschaft gemacht. Die Allerweltsgerechtigkeit jener Zeit war eine Lüge, man benutzte die Prinzipien einer freien Philosophie bloß, um sie zu verleugnen, man bewies jede mögliche Unfreiheit unter dem Schein spekulativer Weisheit. Diese lüge konnte eine Zeitlang als der naive Irrtum einer Philosophie erscheinen, die durch die Erkenntnis der Weltvernunft betäubt war, um zur vorhandenen Wirklichkeit ein ganz freies Verhältnis einzunehmen; so weit war jener Irrtum begreiflich. Aber als man anfing, aus jener Lüge eine bewußte Forderung zu machen, als man ohne Scheu die Philosophie zu Sklavendiensten für christlich germanische Pflanzungen nötigen wollte, war aus dem Irrtum die Lüge und aus der Lüge eine raffinierte Frivolität geworden. Die Philosophie sollte christlich sein, sie sollte das mit Bewußtsein bejahen, was sie in ihrem Prinzip bereits verneint hatte, sie mußte entweder eine ungeheure Selbsttäuschung, oder die frechste Lüge werden. Der Anblick dieser Philosophie war traurig genug, sie war im besten Fall dem Gelächter und im schlimmsten der Verachtung preisgegeben. So war es zumindest komisch, wenn ein Philosoph (GÖSCHEL) sogar GOETHEs Gedichte nicht mehr genießen konnte, ehe er sie bekreuzt und eingesegnet hatte. Aber diese Tatsache war charakteristisch. - Der Kampf FEUERBACHs gegen die philosophische Restauration wurde durch jenes Unwesen hervorgerufen, FEUERBACH setzt jenem Unwesen das offene ehrliche Wesen der Philosophie gegenüber und spricht zum erstenmal mit voller Entschiedenheit aus, daß die freie Philosophie nicht den Heiden, nicht den Christen, sondern den Menschen zu ihrem Prinzip macht. Der Humanismus FEUERBACHs kennt in seinem Kampf gegen die Theologie und in seiner Kritik der Religion keine Vermittlung. Dieses Dilemma war von der höchsten sittlichen Wirkung, denn es handelt sich mit einem Mal umd die ganze ethische Stellung der Philosophie. FEUERBACH will das Wesen des Menschen mit dem Bewußtsein des Menschen in Einklang bringen und dadurch den Dualismus für immer vernichten, in dem das menschliche Wesen dem Bewußtsein oder das Bewußtsein dem Wesen entrückt ist. Es soll das eine sich nicht durch das andere täuschen lassen. Die Religion ist ihm die bewußtlose, die Theologie die bewußte Selbstentfremdung des Menschen. FEUERBACH beginnt gegen beiden den Kampf auf Leben und Tod, die Parteikämpfe der Philosophie entzünden sich eine Zeitlang an seinen Gedanken. Jede Theorie und jede Einrichtung, die sich aus dem menschlichen Wesen nicht rechtfertigt, wird konsequent verworfen. Aber es kam alles auf das Verständnis des menschlichen Wesens an. Ich glaube, daß FEUERBACH in diesem Punkt vielleicht nur einen Moment mit den freien Philosophen seiner Partei übereinstimmte. Ich nenne als den vorzüglichsten RUGE. Die Übereinstimmung beider Männer ist ein so ausgemachtes Dogma, daß es sich der Mühe lohnt, ihre Differenz zu betonen. RUGE hat von jeher das Wesen des Menschen in seiner Idealität, in seiner wesentlichen Allgemeinheit gefunden. FEUERBACH ist diesem Idealismus, wie wir sehen, nicht treu geblieben. FEUERBACH will im Wesen des Menschen zugleich die Unmittelbarkeit desselben erhalten wissen, er findet es zuletzt in der sinnlichen Individualität, während RUGE es im freien Denken und Wollen des Menschen findet, er wird Sensualist, während jener Idealist bleibt, FEUERBACH wird Naturalist, während RUGE Politiker wird. Es ist natürlich, daß dem so ist. Die Wahrheit der sinnlichen Individualität ist die Natur, die Wahrheit des denkenden und wollenden Menschen ist die sittliche Welt. Beide machen das menschliche Wesen zum Prinzip, beide sind also Humanisten, aber sie weichen von einander ab in der Auffassung ihres Prinzips. Es ist von Bedeutung, über jene Einheit im Prinzip diesen Unterschied in der Auffassung desselben nicht zu übersehen. Sie sind verschiedene Interpreten derselben Sache. - Es handelt sich nämlich im Verständnis des menschlichen Wesens um die Lösung eines Problems: Wie verhält sich das Wesen zur empirischen Erscheinung, das Allgemeine zum Einzelnen, die Gattung zum Individuum? Erst aus diesem Verhältnis heraus kann die Frage nach dem Wesen des Menschen mit Bestimmtheit gelöst werden. Es ist klar, daß das Wesen erst in der Erscheinung, das Allgemeine im Einzelnen, die Gattung im Individuum eine Wahrheit wird. Aber ist diese Einheit eine unmittelbare, in der sich beide Seiten des Verhältnisses ohne weiteres decken? Warum unterscheidet man dann das Wesen von der Erscheinung, wenn beide unmittelbar identisch sind? Man kann noch weiter fragen: wie ist es überhaupt möglich, sie dann zu unterscheiden? FEUERBACH tut beides, er unterscheidet die Gattung vom empirischen Individuum, aber dieser Unterschied ist zugleich unmittelbar in der sinnlichen Individualität gelöst. Das Individuum ist so ohne weiteres der Gattung gemäß, es braucht sich nicht erst durch Tugend seine Gottheit zu erkämpfen. Der Unterschied, den FEUERBACH zwischen Gattung und Individuum macht, ist mithin nur eine subjektive Abstraktion. Ein wirklicher in der Sache begründeter Unterschied kann es nicht sein. Die Gattung drückt nur die wesentlichen Mächte des Individuums aus, d. h. nur die Mächte, welche allen Individuen gemeinsam sind. Also die Gattung ist nicht die wesentliche Einheit der Individuen, die sich in ihnen als der schöpferische Trieb bekundete, über sich hinaus zur ethischen Welt, zur Kunst und Wissenschaft fortzugehen, sie ist nur eine psychologische Abstraktion, der Reflexionsbegriff aller Individuen, sie bezeichnet nur die individuellen Mächte, ohne sie auf eine Einheit zurückzuführen, diese Einheit ist das lebendige Individuum selbst. Die Gattung ist nach FEUERBACH nur die Tautologie des Individuums. Die Gattung richtet sich nach dem Individuum. Wo dieses letztere in seinem Wesen geistige Mächte enthält, sind auch diese in der Gattung enthalten. So werden im "Wesen des Christentums" nicht bloß das Herz, sondern auch Vernunft und Wille als die wesentlichen Mächte des Menschen bezeichnet. Aus dieser idealistischen Auffassung des Individuums folgt eine idealistische Auffassung der Gattung. Mit der ersteren ändert sich daher auch die letztere. Wo das Individuum jene geistigen Mächte nur noch als die Attribute seiner Sinnlichkeit in sich schließt, drückt auch die Gattung nur das sinnliche Wesen des Individuums, die Natur aus. Es ist klar, daß die ganze philosophische Tätigkeit FEUERBACHs darin besteht, das Individuum zu interpretieren. Das Individuum ist ihm eine empirische Voraussetzung, die er mit den Augen des Naturforschers beobachtet, er analysiert diese Voraussetzung, er spricht nur aus, was sie enthält, er begreift sie nicht, er erklärt sie nur. Das Individuum selbst ist diese Tautologie, es analysiert sich fortwährend selbst, es kann über sein Wesen, gleichviel ober wir es als Vernunft oder Sinnlichkeit bestimmen, nicht hinaus, es muß dasselbe fortwährend entweder direkt oder indirekt aussprechen. Wenn das Individuum Philosoph und der Philosoph Mensch geworden ist, dann steht das Individuum auf einem Standpunkt, von dem aus es sein Wesen direkt bejaht, seine Harmonie ist dann vollendet. Es bejaht sein Wesen indirekt, indem es dasselbe scheinbar verneint, also sein Wesen als ein anderes oder ein anderes Wesen als sein Wesen anschaut. Dies ist der Fall in der Religion. So ist namentlich die Religion für FEUERBACH ein vorzügliches Objekt seiner Erklärung. Sein ganzes Interesse ist, die religiöse Explikation des Individuums in ihre letzten Gründe zu verfolgen, diese letzten Gründe liegen im Wesen des Individuums, aber dieses Wesen ist für FEUERBACH selbst eine empirische Voraussetzung. Indem er diese analysiert, entdeckt er den zureichenden Grund für die religiösen Objekte, die psychologische Möglichkeit, aus der sie entstehen. Jene letzten Gründe sind also nicht die caussae primae der Wissenschaft, es sind die caussae secundae der Empirie. FEUERBACH entwickelt seine Objekte nicht, indem er ihre immanente Notwendigkeit im Individuum aufweist, er kritisiert uns ihre Genesis, seine Methode ist die genetische Kritik, im Unterschied zur Dialektik. Wir sehen klar, die Kritik FEUERBACHs treibt uns auf einen Punkt, es war der, von dem wir ausgingen, zurück. Ist Wesen und Erscheinung, Gattung und Individuum unmittelbar identisch, dann ist das Wesen des Menschen für mich eine empirische Voraussetzung, und die Philosophie FEUERBACHs ist dann zumindest in ihrem Prinzip und in ihrer Methode vollständig gerechtfertigt. Wir hätten uns dann bloß von der Richtigkeit seiner Resultate zu überzeugen. Aber man gestatte uns vorher noch eine Frage: hat FEUERBACH wirklich bewiesen, was er vorausgesetzt hat? Ich fürchte das Gegenteil, er hat vorausgesetzt, was er bewiesen hat. FEUERBACH zeigt, daß die Religion die indirekte Bejahung der menschlichen Individualität und der Natur ist, daß die spekulative Philosophie im Denken nur das Attribut, nicht das Wesen des Menschen bejaht, daß die wahre Philosophie die Affirmation der ganzen Individualität, die Position des wirklichen Menschen ist. Also das Geheimnis aller menschlichen Tätigkeit heißt: die Individualität ist das Wesen des Individuums, Wesen und Erscheinungen, Gattung und Individuum sind unmittelbar identisch. Das aber war für FEUERBACH eine unmittelbare Voraussetzung, er hat sie nicht bewiesen, er hat sie nur analysiert. Die Einheit von Wesen und Erscheinung soll eine unmittelbare, sinnliche sein. Gerade hierin besteht der Gegensatz FEUERBACHs gegen den Idealismus, der diese Einheit nicht leugnet, aber sie nur als Resultat ihrer selbst, d. h. als unendliche Selbstvermittlung begreifen kann (2). Die unmittelbare Einheit läßt sich nicht beweisen, denn das Beweisen würde offenbar den Charakter dieser Einheit, die Unmittelbarkeit, zerstören. Aber wie kommen wir zu jener Voraussetzung, wenn es nicht möglich ist, sie zu beweisen? Wie kann ich die Menschheit im Individuum erfassen, wenn ich nicht über das Individuum hinausgehen soll? Die neue Philosophie löst dieses Rätsel in der Empfindung. Die Empfindung, in der mir das Sein als Subjekt seiner selbst aufgeht, kann mir allein das Individuum in seiner Idealität, in seiner Einheit mit der Gattung offenbaren. Wir stehen vor denselben Problemen, die wir eben zu lösen versuchten, die Widersprüche, welche die unmittelbare Einheit von Denken und Empfinden bezeichnen, wiederholen sich in der unmittelbaren Einheit von Gattung und Individuum. Wir konnten die freie Empfindung, den idealen Sinn, der den Gegenstand in seiner Idealität bejaht, selbst im Geist FEUERBACHs nur aus der Freiheit des Denkens begreifen, wir können ebenso die freie Sinnlichkeit, das ideale Individuum nur aus der Freiheit des Geistes begreifen. Der Sinn von FEUERBACHs Prinzipien führt uns unwiderstehlich in den Idealismus zurück, aber ebenso unwiderstehlich treibt er den Idealismus aus dem abstrakteren Gedankenwesen in die reelle Wirklichkeit hinein. Der Idealismus verwüstet die Welt nicht, indem er sie erkennt, die Welt ist selbst idealistisch. Wenn man das Allgemeine nicht dem Einzelnen ohne weiteres hingibt, so folgt daraus noch nicht, daß das Individuum seine Selbständigkeit an das Allgemeine einbüßen, daß es nur eine Fulguration [plötzliches Auftauchen - wp] der Gottheit, nur eine Akzidenz [Begleiterscheinung - wp] der Substanz wäre. Die freie Philosophie vermeidet beide Extreme, FEUERBACH hat als Idealist nicht ganz das Letztere und als Sensualist nicht ganz das erstere vermieden. Ich begreife nicht, wie die Geistesfreiheit die individuelle Energie ertöten sollte, im Gegenteil sie ist das einzige Element, in dem sie bestehen kann. Nur die Freiheit des Geistes kann die Freiheit des Individuums ertragen. Das Bewußtsein seiner unendlichen Freiheit idealisiert das Individuum, ohne es zu vernichten. Erst wenn man vom Hauch der Geistesfreiheit belebt ist, kann man sich ohne Eitelkeit dem Individuum in seiner Besonderheit hingeben, denn sie färbt sich im Licht des Geistes. Jedes holländische Genrebild beweist diese Wahrheit. Ohne den Humor der Geistesfreiheit wäre es unmöglich. Ich höre nicht auf, ein lebendiges Individuum zu sein, wenn ich die Macht habe, mich in jedem Moment von meinen Schwächen zu befreien und meine Stärke durch die höchsten Interessen zu beseelen. Im Helden der Komödie wie in dem der Tragödie triumphiert ohne Zweifel die freie Idealität des Menschen, wer wollte deshalb die Selbständigkeit des Individuums in Abrede stellen, weil es dort sich von seiner Schwäche befreit und hier mit seinem Untergang seine Leidenschaft besiegelt? Man würden den Toren auslachen, der es täte, und so würden zumindest die Komödien nicht aufhören. - Es ist klar, die individuellen Kräfte des Menschen werden nicht erschlafft, im Gegenteil sie werden gesteigert durch den Gedanken seiner ewigen Freiheit. Und selbst da, wo diese Freiheit nur die abstrakte und negative Macht ist, in der das individuelle Leben erstirbt, ergreift ihr Gedanke doch enthusiastisch die menschliche Seele, ich empfinde sie ganz, indem ich sie denke. Ich möchte wissen ob das Herz SPINOZAs nicht ebenso hoch geschlagen hat bei dem Gedanken der Substanz als in den Armen seiner Geliebten. Das Denken hat immer die Macht, sich zu einer feurigen seelenvollen Empfindung zu verdichten, selbst da wo es noch zu abstrakt ist, um die ganze Lyrik der menschlichen Empfindung zu ertragen, aber die individuelle Energie ertötet es nie, und die Sinne befreit es immer. Das abstrakte Denken befreit sie abstrakt, während dei konkrete Geistesfreiheit sie ganze befreit. Ist das Denken der Pluto, der die Proserpina in das Schattenreich entführt, so mögt ihr die Klagen der Ceres anstimmen, aber selbst diesem Denken könnt ihr die Gewißheit nicht rauben, "daß auch fern vom goldenen Tag, wo die Schatten traurig ziehn, liebend noch der Busen schlägt, zärtlich noch die Herzen glühn." Die echte Geistesfreiheit, das Bewußtsein des wahren Idealismus bedarf dieses Trostes nicht, sie raubt dem Individuum nichts, sie verwandelt alles. Innerhalb jenes abstrakten Idealismus ist es ein wohltätiges Ferment, die Unmittelbarkeit gegen die plutonischen Gelüste des Denkens zu schützen, aber man hüte sich, aus diesem Ferment ein Dogma zu machen, wenn man nicht überhaupt die Grenze des Idealismus überschreiten und die Religion verlieren will. Das Dogma der Unmittelbarkeit würde unfruchtbar sein, wenn es nicht geradezu unmöglich wäre. Der Philosoph, der die Unmittelbarkeit behauptet, ist nicht viel klüger als der Theologe, der die Tatsachen seiner Religion beweist. Flüchten wir von den Behauptungen des einen und den Beweisen des anderen zurück zum Genuß des ächten Idealismus, dort werden wir die Dogmen beider vergessen. Der wahre Idealismus ist keine traurige Askese, welche die Sinnlichkeit verleugnet, auch nicht die Unschuld des Paradieses, wo mit dem ersten Menschen der erste Philosoph geboren würde; er ist das weltbefreiende Denken, das Gastmahl PLATOs, an dem der größte Philosoph auch der größte Zecher ist. ![]() ![]()
2) Der darum Religion ist, d. h. der Trieb dieser Selbstverwirklichung aus der Differenz von Wesen und Existenz heraus; siehe den Aufsatz RUGEs: "Die Religion unserer Zeit". Es versteht sich, daß FEUERBACHs ethischer und wissenschaftlicher Eifer ebenfalls diese Religion und dieser Idealismus sind. Hier ist nur die Rede von der Erscheinung seiner Philosophie, von ihrer Fassung. Diese bleibt hinter seinem Wesen zurück. In seiner Begeisterung für seine Sache und für die höchsten Güter der Menschheit erfüllt FEUERBACH die Forderungen des Idealismus oder der Religion. |