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SAMUEL ICHYIÉ HAYAKAWA
Allgemeine Semantik

Die aristotelische Strukur...
Umgang mit Kindern
"Worte fassen einmalige Individuen unter einem Sammelnamen (Etikett) zusammen. Namen bewirken den fälschlichen Eindruck einer Identität von nicht-identischen Dingen und Vorgängen."

Semantik könnte definiert werden
  • in der modernen Logik als das Studium der Gesetze und Bedingungen, in denen Zeichen und Symbole einschließlich Worten als sinnvoll erscheinen;
  • als das Studium des Verhältnisses zwischen Worten und Dingen; dann erweitert als das Studium der Beziehungen zwischen Sprache, Denken und Verhalten, das heißt, wie das menschliche Verhalten durch Worte beinflußt wird, seien sie von anderen gesprochen oder beim Denken zu einem selbst. Das Wort Semantik wurde ursprünglich verwendet, um
  • das historische Studium von Veränderungen in der Bedeutung von Worten in der Philologie zu bezeichnen.
Das weit verbreitete öffentliche Interesse an Semantik erwachte in den Vereinigten Staaten in den späten dreißiger Jahren hauptsächlich als Antwort auf das Problem der Propaganda, die besonders durch das Radio einen früher unerreichten Grad der Verbreitung und des Einflußes erreicht hatte. Angesichts des Lärms unzähliger politischer, kommerzieller und ideologischer Propagandaschreiber, die gegensätzliche Überzeugungen anzupreisen hatten, auch angesichts des Auftretens und der plötzlichen Machtergreifung von skrupellosen Demagogen in Deutschland und anderswo, die die modernen Mittel der Massenkommunikation als ihr Hauptinstrument verwendeten, begannen nachdenkliche und verantwortliche Leute ein verstärktes und alarmiertes Interesse an öffentlicher Meinung und Propaganda zu nehmen. Von diesen interessierten sich nicht wenige besonders für den Stoff, aus dem öffentliche Meinung und Propaganda gemacht wird, nämlich für Worte und Symbole und für ihren Einfluß auf das Denken.

Bedeutungsträger und Logischer Empirismus
Wenn man so will, kann man Semantik bis auf die Griechen zurückführen. Doch kann man auch die moderne Semantik beginnen lassen mit Lady Viola Welby's "significs" ("Die Wissenschaft oder das Studium der Bezeichnung insoweit, als ihrem praktischen Aspekt als Denklehre genügend Rechnung getragen wird") und mit A.N.WHITEHEAD und BERTRAND RUSSELLs "Principia Mathematica" (Cambridge, England 1910).

Lady WELBY, eine große Vorkämpferin für bessere Erziehung, war mit dem "sinnlosen Formalismus" der damals gängigen Lehrmethoden mehr als unzufrieden, in denen das Studium der Bedeutung eine rein verbale Disziplin war. Ihre "significs" waren nicht bloß eine Reform eines veralteten und unzureichenden Sprachunterrichts gedacht, sondern als eine Anleitung, eine gänzlich neue Einstellung zu den Erfahrungen zu gewinnen, auf denen jede Sprache beruht. Obgleich ihr Buch WHAT IS MEANING? bereits 1903 veröffentlicht wurde, ist sein Einfluß in den "psycho-linguistischen" Untersuchungen der  International Society for Significs,  mit dem Hauptsitz in Amsterdam, noch heute spürbar.

WHITEHEAD und RUSSELL interessierten sich für die Grundlagen der Mathematik. Bei dem Versuch, bestimmte anscheinend unvermeidliche logische Widersprüche zu lösen, stellte RUSSELL die Theorie der Typen auf. Ihr Hauptpunkt ist, daß Mehrdeutigkeiten der Sprache bestimmte "illegitime Totalitäten" verbergen, die, wenn sie unerkannt bleiben, zu einem "Circulus vitiosus (bzw. Teufelskreis) von Trugschlüssen" führen.

Muß zum Beispiel eine Aussage über alle Aussagen auf sich selbst zutreffen? Die folgende Feststellung ist ein Beispiel für diese Art von Behauptungen:

(Alle Aussagen in diesen Klammern sind falsch.)

Wenn wir die Aussage für wahr halten, müssen wir folgern, daß sie falsch ist. Wenn wir annehmen, sie sei falsch, müssen wir folgern, daß sie wahr sei. Das "alle" in solchen Behauptungen ist eine "illegitime Totalität". Das "alle" muß so eingeschränkt werden, daß eine Aussage über jene Totalität ihrerseits außerhalb der Totalität liegt.

Kein geringer Teil der Leistungen der logischen, positivistischen oder physikalistischen Schule der Philosophie (des Wiener Kreises) geht auf die Anregungen zurück, die WHITEHEAD und RUSSELL für die Analyse der Sprache gegeben haben. WITTGENSTEIN, ein führender Kopf dieser Schule, zeigte durch logische Analyse, daß praktisch alle traditionellen Probleme der Philosophie von diesem Gesichtspunkt aus "sinnlos" wurden. Die meisten philosophischen Behauptungen entstünden aus dem Mangel an Verständnis für die " Logik unserer Sprache".

Diese Schule leistete einen großen Beitrag zur Semantik, indem sie scharf die verschiedenen Funktionen der Sprache unterschied. Sie wies auf die Arten von Aussagen hin, die unmöglich verifiziert (d.h. als wahr nachgewiesen) werden können, und die zu diskutieren daher nutzlos ist. Sie zeigte auch, daß eine weitere große Klasse von Aussagen in der Analyse sich als Feststellungen keineswegs über die Wirklichkeit sondern über Worte herausstellen. Die "Logische Syntax" von RUDOLF CARNAP unternahm es zu zeigen, daß die  einzige  wahre philosophische Methode die Analyse der Formen und Regeln der Sprache ist. Diese Denkweise wurde um das Jahr 1935 durch den Einfluß der Mathematiker und Logiker der "Polnischen Schule der Semantik" verstärkt, zu deren Führern ALFRED TARSKI, JAN LUKASIEWICZ und LEON CHWISTEK gehören.

Im Jahre 1938 begann eine Gruppe logischer Empiristen, wie sich die Philosophen dieser allgemeinen Richtung nannten (OTTO NEURATH, NIELS BOHR, BERTRAND RUSSELL, JOHN DEWEY, RUDOLF CARNAP, CHARLES MORRIS), die Veröffentlichung der INTERNATIONAL ENCYCLOPEDIA OF UNIFIED SCIENCE, einer Reihe von Untersuchungen, die auf der Überzeugung beruhen, daß eine ausreichende Theorie der Zeichen die Grundlage für die schließliche Vereinheitlichung des Wissens bereitstellen würde. Diese Vereinheitlichung sollte dadurch erreicht werden, daß das Verhältnis der verschiedenen Fachsprachen zu anderen Gebieten menschlicher Tätigkeit untersucht wird.

Auch der amerikanische Pragmatismus, wie er in den Schriften von CHARLES S. PEIRCE, WILLIAM JAMES, JOHN DEWEY und GEORGE HERBERT MEAD und anderen entwickelt wurde, war für die Entwicklung der Semantik äußerst bedeutsam.

Die Bedeutung jedes Wortes oder Symbols liegt nach Ansicht der Pragmatisten ausschließlich in seiner praktischen Wirkung auf das menschliche Verhalten und nicht in irgendeinem tranzsdentalen Ideenreich. Der  Operationalismus  des Physikers PERCY WILLIAMS BRIDGMAN, der ebenso in die wissenschaftliche Tradition von ERNST MACH und HENRI POINCARÉ gehört wie zur pragmatischen Tradition, schliff diese Denkweise weiterhin zu.

Im  Operationalismus  kann eine Aussage nur dann eine Bedeutung haben, wenn ihre Wahrheit und Falschheit sich in physischen Operationen erweisen läßt. Wenn zum Beispiel von einem Tisch gesagt wird, er sei fünf Fuß lang, dann wird man einen Maßstab nehmen, ihn an den Tisch anlegen und die Länge ablesen. Wenn man jedoch (mit FRIEDRICH SCHILLER) aussagt: "Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd' er in Ketten geboren", mittels welcher Operation würde man herausfinden, ob dieser Satz wahr oder falsch ist?

Der  Operationalismus  steht im scharfen Gegensatz zu den gewohnten Verfahren menschlicher Wertungen, worauf populäre Schriftsteller über Semantik rasch hinwiesen. Sind doch die meisten Menschen meist zufrieden, die Wahrheit von Aussagen danach zu beurteilen, ob sie gut klingen, ob sie zu dem passen, was man vorher gehört hat, oder ob sie ihre eigenen Vorurteile bestätigen.

Weiterhin mag entsprechend der Relativitätstheorie ein gegebener Zeit- (oder Raum-) abschnitt sich beim Nachmessen als länger oder kürzer, je nach dem Bezugspunkt des Beobachters, herausstellen. Die Frage: "Wie lang ist etwas  wirklich?"  (oder: Wie groß ist etwas in den Augen Gottes?") ist sinnlos, weil es keine denkbaren Operationen gibt, mittels deren eine Antwort gefunden werden könnte. Die ganze Bedeutung dieser Einstellung wurde von dem Physiker PHILIPP FRANK erkannt, als er feststellte, daß EINSTEINs Relativitätstheorie "eine Reform in der Semantik, nicht in der Metaphysik" sei.

Es war kein zufälliges Zusammentreffen, sondern ein aufschlußreiches Symptom für die Bedürfnisse der Zeit, daß auf dem Gebiet des Rechtswesens, zu dem scheinbar keine Beziehungen bestanden, fast identische Überlegungen angestellt wurden. "In unserem Rechtssystem finden sich zahlreiche Begriffe, die nicht anhand von Erfahrung definiert werden können und aus denen angeblich alle möglichen empirischen Entscheidungen hervorgehen", schrieb FELIX S. COHEN im Jahre 1935. "Diese nicht verifizierbaren Begriffe lehnt die moderne Jurisprudenz definitiv ab. Jedes Wort, das nicht auf Verlangen in der Währung der Tatsachen eingelöst werden kann, muß als bankrott erklärt werden, und wir dürfen mit ihm nichts mehr zu tun haben."

OLIVER WENDELL HOLMES leistete einen wesentlichen Beitrag zur Semantik mit seiner berühmten Bemerkung: "Unter Recht verstehe ich die Vorhersage dessen, was die Gerichte tatsächlich tun werden und nichts weiter." Die modernen Forscher der Jurisprudenz haben die semantische Literatur dadurch bereichert, daß sie das kritische Licht der modernen Psychologie, Soziologie und Anthropologie auf die traditionellen Rechtsbegriffe richteten, damit die Juristen ihre Neigung etwas verringern, sich von ihrer eigenen Terminologie hypnotisieren zu lassen.

Linguistik und Anthropologie
Philologen und Linguisten, die vielfach glauben, mehr als andere Spezialisten über die Sprache zu wissen, waren hinsichtlich semantischer Fragen besonders zurückhaltend. In die Probleme der Phonologie (der Lautlehre), Morphologie (Formenlehre) und Syntax (Satzlehre) vertieft, waren Sprachforscher von jeher geneigt, Probleme der Bedeutung zu vermeiden.

Die wenigen Sprachforscher jedoch, die sich mit Semantik abgaben - meist waren sie zugleich Anthropologen -, leisteten grundlegende Beiträge. Mit den Problemen des Verständnisses der Sprachen primitiver und exotischer Kulturen konfrontiert, warfen sie zunächst neues Licht auf die Wichtigkeit eines Studiums sprachlicher Vorgänge im  vollen  Zusammenhang dessen, was vorgeht und was sich ereignet, sobald Worte ausgesprochen werden. Der Wortschatz polynesischer Fischer kann völlig nur verstanden werden, wenn man mit ihnen auf Fischfang geht. Wie sich der Leser erinnern wird, ist dieser Gesichtspunkt eng mit dem von BRIDGMAN empfohlenen operationalen Studium der Bedeutung verbunden.

Weiterhin bestätigen solche Gelehrte wie EDWARD SAPIR (1884-1939), BRONISLAW MALINOWSKI (1884-1942), BENJAMIN LEE WHORF (1887-1941) deutlich die von früheren Semantikern gemachte Beobachtung, daß Sprache, weit davon entfernt, nur "Gedanken auszudrücken", tatsächlich den Charakter der wahrgenommenen Wirklichkeit bestimmt. Zum Beispiel neigt, wer europäische Sprachen spricht, dazu, Vorgänge miteinander durch imaginäre Linien zu verbinden (eine  Reihe  von Bäumen, der  Faden  eines Gesprächs, die Verkaufskurve,  die  Zweige  der Wissenschaft). Nach LEE haben die Trobiander in ihrer Sprache keine solchen linearen Vorstellungen. Sie sehen vielmehr Gruppen oder Haufen. Andererseits werden in europäischen Sprachen raumlose Situationen häufig in Metaphern zum Ausdruck gebracht, die sie in einem imaginären Raum ansiedeln: "Ihre Gesichtspunkte  sind weit voneinander  entfernt",  "Er  drang tief  in menschliche Motive ein", "Semantik geht  über  meinen Verstand wegen ihrer  hohen  Abstraktionen."

Nach WHORF kommt ein solches "Verräumlichen" nichträumlicher Vorgänge in der Sprache der Hopi nicht vor. Anthropologische Sprachforscher, die Fakten solcher Art entdeckten, wiesen nachdrücklich darauf hin, daß jeder Gedanke und jedes Verhalten, ebenso wie abstruse philosophische Spekulationen, bei allen Menschen durch die strukturellen Besonderheiten der Sprache bestimmt werden, die sie gerade sprechen. WHORF brachte dies überaus treffend zum Ausdruck als er sagte: "Newtons Raum, Zeit und Materie sind keine Intuitionen. Sie sind Übernahmen (recepts) aus der Kultur unserer Sprache. Von daher hat sie Newton übernommen."

Allgemeine Semantik
Die meisten der bisher aufgeführten Untersuchungen über Sprache, Denken und Verhalten würden weithin der öffentlichen Aufmerksamkeit entgangen und sogar weithin voneinander isoliert geblieben sein, hätte es nicht die "Allgemeine Semantik" gegeben. Diese Theorie wurde von den meisten der bekannten Erzieher und Schriftsteller nachhaltig vertreten, die seit dem Jahre 1938 "semantics" zu einem vertrauten Begriff in den Vereinigten Staaten machten.

Allgemeine Semantik war der Name, den ALFRED KORZYBSKI (1879-1950), polnisch-amerikanischer Ingenieur und Forscher, einem neuen Erziehungszweig gab, dessen Zweck es nach seinen Worten war, die Menschen in "richtigen Bewertungen" zu üben. Den ganzen Tag über müssen Menschen Vorgänge, Worte und Symbole in ihrer Umwelt "bewerten", (auf sie reagieren, sie denken und fühlen). KORZYBSKI fand, daß scharfe Kontraste zwischen bestehen zwischen Bewertungsgewohnheiten ("Denkgewohnheiten"), die in der Naturwissenschaft und der Technologie üblich sind, in denen der Fortschritt mit jedem neuen Erfolg rascher anwuchs, und jenen auf anderen Gebieten wie Philosophie, Ethik und Politik, in denen häufig Verwirrung herrscht und ein Fortschritt oft unmöglich zu sein scheint.

Für KORZYBSKI war dieser Gegensatz zwischen Fortschritt und Stillstand entscheidend. Er schrieb diesen Unterschied den andersartigen Bewertungsgewohnheiten zu, die die Leute bei wissenschaftlichen und bei nicht-wissenschaftlichen Problemen anwenden. Nach KORZYBSKI unterscheiden sich die unausgesprochenen Annahmen über die Beziehung von Sprache zur Wirklichkeit, die der modernen Naturwissenschaft zugrunde liegen, radikal von denen, auf denen die älteren westlichen philosophischen (und daher pädagogischen) Traditionen beruhen.

Würde das auf nichtwissenschaftliche Probleme angewandte unkritische Denken so revidiert, daß es mit den Denkannahmen übereinstimmt, die der modernen Naturwissenschaft zugrunde liegen, dann würden soziale Überlegungen die Chance bekommen, mit den Problemen Schritt zu halten, die von dem rapiden Fortschritt der Technologien geschaffen werden.

KORZYBSKIs Vorschlag der Allgemeinen Semantik als einer Disziplin, die eine solche Revision einleite, stellte daher das Manifest einer kulturellen Revolution dar. Es war die Forderung, daß die Menschen westlicher Kultur (und voraussichtlich der anderen Kulturen ebenso) ihre Bewertungsgewohnheiten im Hinblick auf menschliche, soziale, philosophische und ethische Probleme radikal ändern sollten.

Allgemeine Semantik wurde auf einem außerordentlich breiten Überblick über verschiedene Wissensgebiete begründet, unter ihnen Mathematik, mathematische Logik, Physik, Biologie, Neurologie, die verschiedenen Schulen der Psychologie und Psychiatrie seit FREUD. KORZYBSKI untersuchte auf jedem dieser Gebiete die Tendenzen des Denkens, die Bewertungsgewohnheiten, die verschiedenen Arten, wie Probleme angegangen wurden.

Dem nichtgelehrten Leser mag hier gesagt werden, daß jedes dieser Gebiete entweder neu war oder einen revolutionären Fortschritt im zwanzigsten Jahrhundert gemacht hatte. Auf jedem wurden Dogmen und Annahmen, die jahrhundertelang nicht in Frage gestellt worden waren, über Bord geworfen - in der Physik solche grundlegenden Begriffe wie  "Zeit", "Raum"  und  "Materie" ; in der Logik der Glaube, daß Aussagen entweder  "wahr"  oder  "falsch"  sein müßten, usw...

Dann faßte KORZYBSKI in wenigen einfachen und sehr originellen Formulierungen das zusammen, was er für die hauptsächlichsten Voraussetzungen hielt, die den von den fortgeschrittensten modernen Denkern geteilten Bewertungsgewohnheiten zugrunde liegen. Seiner Meinung nach beruhten die modernen Bewertungsgewohnheiten auf drei fundamentalen nicht-aristotelischen Prämissen. Indem er die Beziehung der Sprache (ebenso des Denkens, des Gedächtnisses, der inneren Bilder) zur Wirklichkeit mit dem Verhältnis von Landkarten zu dem von ihnen dargestellten Gelände verglich, stellte er diese drei Prämissen auf:
  • Eine Landkarte  ist  nicht das Gelände (Worte  sind nicht  die Dinge, die sie darstellen)

  • Eine Landkarte  stellt nicht alles  von einem Gelände  dar  (Worte  können nicht alles  über etwas  sagen) 

  • Eine Landkarte ist in dem Sinne  selbst-reflexiv,  daß eine ideale Landkarte eine Landkarte von der Landkarte einschließen müßte, welche ihrerseits eine Landkarte von der Landkarte usw. usw. einschließen müßte (es ist möglich Worte über Worte, Worte über Worte über Worte usw. zu sagen. In Begriffen des Verhaltens bedeutet dies, daß es möglich ist, auf unsere Reaktionen usw. zu reagieren).
Auf solche Prämissen gestützte Gewohnheiten des Denkens haben nach Ansicht von KORZYBSKI eine Beweglichkeit des Geistes, eine Abwesenheit von Dogmatismus, ein emotionales Gleichgewicht und seelisch-charakterliche Reife zur Folge, wie es die besten naturwissenschaftlichen Köpfe, wenigstens bei ihrem Denken auf ihren Spezialgebieten, aufweisen.

Aber fast überall herrscht traditionell ein starres Werten. In der westlichen Kultur ist man bei allen Themen, bei denen eine wissenschaftliche Orientierung noch nicht allgemein üblich ist, Dogmen-Gebäuden, "ewigen Wahrheiten", Slogans und Schlagworten verhaftet. Derartige Bewertungsgewohnheiten schrieb KORZYBSKI der  Internalisierung  (Verinnerlichung) der grundlegenden aristotelischen Annahmen zu:
  • Eine Sache  ist,  was sie  ist.  ("Schweine sind Schweine", "Aggressionsakte sollen beim richtigen Namen genannt werden")

  • Etwas ist  entweder A oder nicht A  ("Du bist entweder für oder gegen uns; es gibt kein Zwischending")

  • Nicht ist  sowohl  A als auch nicht-A ("Du kannst nicht gleichzeitig ein Kommunist und ein Nicht-Kommunist sein")
Um den Übergang von aristotelischen zu nicht-aristotelischen Denkweisen zu erleichtern, stellte KORZYBSKI eine Anzahl von Regeln auf, mit Hilfe deren Individuen  ihre eigenen Bewertungsprozesse beurteilen  können.

Zu diesen Regeln gehören die folgenden:
I. Verwendung von Indexzahlen
Worte fassen einmalige Individuen unter einem Sammelnamen (Etikett) zusammen. Namen bewirken den fälschlichen Eindruck einer Identität von nicht-identischen Dingen und Vorgängen. Ein solcher in ein Verhalten umgesetzter Eindruck bewirkt gleichartige Reaktionen gegenüber allen Individuen, denen derselbe Name, dieselbe Bezeichnung, zugesprochen werden kann. Manche Leute haben zum Beispiel feststehende Reaktionen gegenüber "Republikanern", "Gewerkschaftlern", "Subventionen" usw. Daher sollte man alle von uns gebrauchten Begriffe mit Indexzahlen versehen: Republikaner1, Republikaner2 ... Subventionen1, Subventionen2 usw., um uns daran zu erinnern, daß es sowohl Unterschiede als auch Gleichheiten zwischen Individuen derselben Bezeichnung gibt.

II. Datierung
HERAKLIT hat gesagt, man könne nicht zweimal in denselben Fluß steigen. Die Welt und alles in ihr befindet sich in einem Prozess der Veränderung. Jedoch vielen Verhaltensmustern, Ansichten, Glaubensmeinungen wohnt die Tendenz inne, trotz Veränderung der Umstände statisch fixiert zu bleiben. "Landkarten" von gestern werden als Führer fürs Gelände von heute verwandt. Deshalb sollten alle Begriffe, Aussagen, Ansichten und Überzeugungen mit dem Datum versehen werden: Oberster Gerichtshof 1950, Oberster Gerichtshof 1951... John SmithMontag, John Smith/ Dienstag...
Dieser Grundsatz berücksichtigt auch die Tatsache, daß derselbe Gegenstand oder dasselbe Individuum in verschiedenen Umgebungen verschieden ist: z.B. Violine 1(Regentag) ist nicht identisch mit Violine 1(trockener Tag). Die Angewöhnung, alle Begriffe und Aussagen zu datieren, wenn sie zu Verhaltensreaktionen führen, macht starre Einstellungen unmöglich und erzieht zu einer dynamischen, zeitbewußten Orientierung.
III. Und so weiter.
Alle Aussagen sollten von einem impliziten "und so weiter" begleitet sein, um an den Grundsatz zu erinnern, daß keine Aussage über Objekte oder Vorgänge in der realen Welt jemals endgültig sein kann. (Aus diesem Grunde heißt die  Review of General Semantics  ET CETERA = Und so weiter)

 IV. Das  Ist  der Identität
Die übliche Aufforderung: "Die Dinge beim rechten Namen zu nennen", enthält die äußerst irreführende Implikation, daß wir ein Ding so nennen, weil es so  ist  ("Schweine werden mit Recht Schweine genannt, weil sie so dreckige Tiere sind"). Sich vor dem  ist  der Identität zu hüten, heißt, sich dagegen zu wappnen, Worte mit Dingen oder verbale Beschreibungen mit tatsächlichen Vorgängen zu verwechseln.

V. Anführungsstriche
Viele Begriffe der Alltagssprache sind voller vorwissenschaftlicher, metaphysischer oder struktureller Implikationen. Auch unser gewöhnlicher Wortschatz enthält of keine besseren Begriffe. Deshalb sollten Begriffe wie "Geist", "Rasse", "Materie", "objektiv", "subjektiv", "gleich" usw. in Anführungsstriche gesetzt werden, um daran zu erinnern, daß man ihnen nicht ohne weiteres trauen darf.

VI. Bindestriche
Die traditionelle Sprache trennt verbal viele Dinge, die in Wirklichkeit nicht getrennt werden können. Einsteins Nachweis, daß Raum und Zeit nicht getrennt betrachtet werden dürfen und daß man in Begriffen von Raum-Zeit denken sollte, hat eine Revolution in der Physik ausgelöst. In ähnlicher Weise trennt die psycho-somatische Medizin nicht physische und geistige Erkrankungen. Die Bio-Physik wendet ihre Grundsätze zugleich auf lebende und tote Materien an. Der Gebrauch solcher Bindestrich-Begriffe (psycho-biologisch, kultur-soziologisch, geo-politisch) schärft das Bewußtsein für den gegenseitigen Zusammenhang von Vorgängen, die in herkömmlicher Sprechweise als beziehungslos behandelt werden.
KORZYBSKI war nicht dafür, diese Regeln bloß auswendig zu lernen. Vielmehr sollte jede von ihnen über sich hinaus auf verbale Ebenen hinweisen, um die durch die Sprache verzerrten nichtsprachlichen Vorgänge als unmittelbar wahrgenommene Daten zu beobachten, zu empfinden und aufzunehmen. Diese Regeln zielen, um vorwissenschaftliche Begriffe zu verwenden, auf eine Erziehung der "Sinne", der "Gefühle" und des "Geistes" oder, bei Verwendung moderner Begriffe, auf die Erziehung des "Organismus-als-Ganzem".

Nach KORZYBSKI würde die ständige Befolgung dieser Regeln das Individuum allmählich aus seinen aristotelischen Orientierungen lösen und aus ihm einen nicht-aristotelischen, modernen Menschen machen.
LITERATUR, S. I. Hayakawa, Semantik und verwandte Disziplinen in "Wort und Wirklichkeit", Beiträge zur Allgemeinen Semantik, Darmstadt 1968