tb-3Wertorientierte LogikAlfred KorzybskiLandkarte und Gelände    
 
ANATOL RAPOPORT
Semantik und Allgemeine Semantik

Alfred Korzybski
Die Abstraktionsleiter
A.B. Johnson
Landkarte und Gelände
Wissenschaft und Macht
"Unsere gebräuchlichsten Wörter haben äußerst weite Bedeutungsbereiche. Pferde laufen; Nasen und Strumpfmaschen laufen aber auch. Wir halten an uns, halten Hühner und halten Vorträge."

Semantik (vom griechischen  sema , "Zeichen"), ist jener Teil der Sprachwissenschaft, der sich mit der Bedeutung befaßt. Da indessen "Bedeutung" viele Aspekte hat, läßt sich der Bereich der Semantik nicht leicht definieren.

Die Bedeutung der Bedeutung
Am verbreitetsten ist die Vorstellung, daß man die Bedeutung der Wörter in Wörterbüchern findet. Ein Wörterbuch kann uns aber nur sagen, welche Wörter oder Sätze annähernd dieselbe Bedeutung haben. Wir schlagen "Geisha" nach und finden, daß "ein japanisches Sing- und Tanzmädchen" etwa dasselbe bedeutet. Wir verstehen die Bedeutung von "Geisha" nur dann, wenn wir aus "japanisches", "Sing", "Tanz" und "Mädchen" eine sinnvolle geistige Vorstellung bilden können. Dies wiederum hängt von unseren früheren Erfahrungen ab.

So stellt sich heraus, daß Bedeutungen nicht in den Wörtern selbst liegen, sondern in unserer Erfahrung. Semantik im allgemeinen Sinne erforscht also die Beziehung zwischen Wörtern, Zeichen oder Symbolen und dem Bezeichneten (referents), das heißt zwischen Wörtern, Zeichen oder Symbolen und dem, für das sie in der Erfahrung der Menschen stehen.

Indem wir Wörter auf dasjenige beziehen, für das sie stehen, stellen wir uns eine Welt von "Dingen" vor, deren jedes ein Etikett, seinen Namen, trägt. Beim weiteren Nachdenken erscheint dies Bild unvollständig und nicht dazu geeignet, um zu erklären, in welcher Beziehung die Wörter zu den Bedeutungen stehen. Zunächst werden wir gewahr, daß es  Homonyme  gibt. Das sind Wörter, die zwei oder mehr nicht miteinander zusammenhängende Bedeutungen haben, wie "Bank", "Feder", "Pfeife", "Stock".

Solcher Doppelsinn ist nicht auf Homonyme beschränkt. Wörter, die eine einzige Bedeutung zu haben scheinen, beziehen sich gänzlich auf verschiedene Dinge. Das Wort "Tisch" zum Beispiel mag für einen altmodischen Sekretär (Schreibtisch), einen eleganten antiken Eßtisch oder für einen Ganzmetall-Bürotisch mit Einbauten stehen. Wenn wir "zu Tisch gehen", gehen wir essen. Wir schließen daraus, daß derselbe Name verschiedenen Dingen gegeben wird, wenn sie dieselben "Eigenschaften" haben.

Dadurch entsteht eben nun das Problem, diejenigen Eigenschaften herauszufinden, die es rechtfertigen, verschiedene Dinge mit demselben Namen zu bezeichnen. Im Deutschen verwenden wir das Wort "Gabel" für bestimmte Gegenstände (Eßgabel, Stimmgabel) und für bestimmte Situationen (Weggabelung). Dies erscheint uns als natürlich, weil alle diese Gegenstände und Situationen "Gabelhaftigkeit" gemeinsam haben. Es wird uns aber überraschen, zu hören, daß in einer anderen Sprache,  Wintun  (das von einem nordamerikanischen Indianerstamm gesprochen wird), dasselbe Wort "Wurzel" (poq) Situationen beschreibt, die "Pilzhaftigkeit" gemeinsam haben, zum Beispiel "Pilze züchten", "einen Holzpflock in den Boden treiben", "ein Mann, der auf einem Pferde hockt" und sogar "steifbeinig in kurzem Rock gehen"!

Unsere gebräuchlichsten Wörter haben äußerst weite Bedeutungsbereiche. Pferde "laufen"; Nasen und Strumpfmaschen laufen aber auch. Wir "halten" an uns, "halten" Hühner und "halten" Vorträge. Wir "gehen" in Urlaub und "gehen" pleite. Die verschiedenen Bedeutungen dieser kurzen Wörter scheinen uns irgendwie miteinander zusammenzuhängen, im Gegensatz zu der Bedeutung einer "Bank", auf der man sitzt, und dem Geldinstitut; oder einem "Ball", den man wirft, und einer Tanzveranstaltung, Begriffe, die nichts miteinander zu tun haben scheinen. Dabei ist es sehr schwierig, zu verstehen oder zu erklären, wie die verschiedenen Bedeutungen von "laufen" oder "halten" miteinander verwandt sind.

Die Probleme der Semantik werden durch die Tatsache kompliziert, daß viele Wörter sich überhaupt auf nichts in der wirklichen Welt zu beziehen scheinen, zum Beispiel "Kobold". Sicherlich glauben manche Leute daran, daß es Kobolde gibt. Das Wort "Kobold" aber auf etwas dem Wort Zugrundeliegendes zu beziehen, ist viel schwerer, als dies bei "Telefon" zu tun.

Wir wissen, daß sich viele Wörter auf etwas in der wirklichen Welt beziehen. Doch ist es fast unmöglich zu sagen, wie es sich damit bei "Freiheit", "Eleganz", "Kummer", "Korruption", "Gewissen", "Würde", "Gedanke" verhält. Solche Wörter nennen wir Abstrakta im Gegensatz zu Wörtern wie "Busch", "Ofen" oder "Schere", die wir Konkreta nennen.

Den meisten Menschen scheinen konkrete Wörter genauere Bedeutungen zu haben als abstrakte Wörter; dies ist aber nicht notwendigerweise so. Manche wissenschaftlichen Begriffe (wie "Entropie" und "charakteristische Wurzeln einer Matrix") sind äußerst abstrakt in dem Sinne, daß sie nicht für irgendwelche leicht wiederzuerkennende Gegenstände, Eigenschaften oder Vorgänge stehen. Ihre Bedeutungen sind dabei viel genauer als die Bedeutungen der meisten konkreten Wörter in der Umgangssprache.


Logischer Positivismus
Das zunehmende Bewußtsein von den mit der Bedeutung verbundenen Problemen hat die Semantik aus ihrem sprachlichen Spezialgebiet heraus an eine zentrale Stelle in der Philosophe geführt. VIOLA WELBYs Buch "What is Meaning?" (1903) und "The Meaning of Meaning" (1923) von C. K.OGDEN und I.A.RICHARDS waren wichtige Meilensteine auf dem neuen Weg, der zu der unter dem Namen Logischer Positivismus bekannten philosophischen Bewegung führte. Diese Bewegung hatte in den frühen dreissiger Jahren unseres Jahrhunderts ihr Zentrum in Wien. Sie ist mit Namen wie LUDWIG WITTGENSTEIN, RUDOLF CARNAP, MORITZ SCHLICK, PHILIPP FRANK und anderen verbunden.

Die logischen Positivisten argumentierten, daß eine Aussage Bedeutung im strengen Sinne nur dann habe, wenn sie sich auf Dinge, Verhältnisse oder Vorgänge in der realen, d.h. beobachtbaren, Welt bezöge. Mit dieser Definition der Bedeutung war die Definition der Wahrheit eng verbunden. Eine Aussage sollte als wahr (oder falsch) nur dann angesehen werden, wenn es klar ist, wie man sie beweisen (oder widerlegen) kann.

Zum Beispiel ist die Aussage: "Wasser kocht bei 100°C" entweder wahr oder falsch, denn wir wissen, was wir tun müssen, um sie zu beweisen (ein Thermometer im kochenden Wasser ablesen). Andererseits sind Aussagen wie: "Der Mensch ist frei geschaffen, ist frei, und würd' er in Ketten geboren" (Schiller) oder "Hannibal war ein größerer Feldherr als Napoleon" in dieser Form als weder wahr noch falsch anzusehen, weil es offensichtlich keinen Weg gibt, sie zu beweisen oder zu widerlegen.

Die Gedanken des logischen Positivismus hatten ihre nachhaltigste Wirkung auf die Wissenschaftsphilosophie. Strenge semantische Analysen von Aussagen im Hinblick darauf, die Beziehungen zwischen Wörtern und dem mit ihnen Gemeinten (referents) nachzuweisen, haben dazu beigetragen, viel von dem zu erklären, was in neuen wissenschaftlichen Theorien, besonders in der Relativitätstheorie und in der Quantentheorie, rätselhaft zu sein schien. Ähnliche Entwicklungen in der mathematischen Logik, besonders jene, die von den polnischen Logikern ALFRED TARSKI, JAN LUKASIEWICZ und anderen ausgingen, werden auch häufig als Beiträge zur Semantik angeführt.

Da die logischen Positivisten und ihre Verbündeten in erster Linie an Wissenschaftsphilosophie interessiert waren, störten sie sich nicht an der Tatsache, daß kaum irgendwelch Aussagen, wissenschaftliche ausgenommen, ihrem Kriterium der Wahrheit (und damit der Bedeutung) genügen konnten. Andererseits haben Angehörige anderer philosophischer Richtungen diesen unangenehmen Schlußfolgerungen natürlich widersprochen, aber niemand hat bisher eine freiere aber ebenso präzise, Theorie der Wahrheit und der Bedeutung vorgelegt, wie die der logischen Positivisten.


Allgemeine Semantik
Die nächste Entwicklung in der Semantik wurde durch das wachsende Interesse an der Sprache als Werkzeug für die Manipulierung des Massenverhaltens angeregt. In den dreissiger Jahren dieses Jahrhunderts schien das Aufkommen eines kämpferischen Nationalismus in Deutschland das Ergebnis einer in der Bevölkerung absichtlich hochgepeitschten Hysterie zu sein. Die Naziführer verschafften sich die Herrschaft über die Massenmedien der Kommunikation (Presse, Radio). Dadurch kamen sie in die Lage, in den meisten Deutschen einen intensiven Hass auf alles Nichtdeutsche, die Überzeugung von ihrer eigenen Überlegenheit (den Gedanken der Herrenrasse) und die Bereitschaft zu Eroberungskriegen zu erzeugen.(1)

Dies wurde durch geschickte, von theatralischem Pomp begleitete Manipulierung von Symbolen, ohne Rücksicht auf das Dahinterstehende, erreicht. Lebhafte, zu Gewaltanwendung aufreizende geistige Vorstellungen wurden durch ständige Wiederholung von Ausdrücken wie "edle Arier", "entartete Juden", "hinterlistige Bolschewiken", "Blut und Boden", "Rassenreinheit", "dekadente Demokratie" erzeugt.

Diese von Propagandisten längst angewandten Praktiken waren nicht wesentlich neu. Sie erreichten aber in Deutschland und in anderen totalitären Staaten in den dreissiger Jahren eine vorher nie dagewesene Intensität. Auch in den Vereinigten Staaten wurden Symbole zum Zwecke der Manipulierung der Massen verwendet. Doch geschah dies am auffälligsten auf wirtschaftlichem, weniger auf politischem Gebiet.

Techniken der Manipulierung von Worten, Slogans und Bildern wurden in Anzeigen gern angewendet. Oft lag den Symbolen nichts zugrunde, oder sie hatten keinen Bezug auf die Waren. Nichtsdestoweniger waren die Symbole wirksam, indem sie willfähriges Massenverhalten, insbesondere Impulse zum Kauf der angepriesenen Waren, erzeugten.

Die skrupellose Verwendung der Sprache zum Zwecke der Manipulierung der Bevölkerungen wurde in den Vereinigten Staaten für viele zum Gegenstand ernster Sorge, vor allem aus zwei Gründen. Erstens stellte sich heraus, daß die Herrschaft über die Massenmedien eine ungeheure Quelle der Macht und als solche ein potentielle Bedrohung für die Demokratie wurde, wofür die Vorgänge in den totalitären Staaten Beweise lieferten. Zweitens erfaßten die Kommunikationsforscher die Sprache in ihrer Rolle als Träger von Gedanken und Überlegungen als ein wichtiges  Mittel zum Überleben  der menschlichen Rasse. Symbole von dem Zugrundeliegenden zu trennen, erschien als eine Perversion der Sprache. Das drohte die wichtigste Technik des Menschen für das Überleben zu gefährden.

Diese Gedanken wurden von ALFRED KORZYBSKI, einem polnischen Ingenieur, der sich in den Vereinigten Staaten niederließ, in seinem umfangreichen Buch "Science and Sanity" (1933) eindrücklich vorgetragen. In diesem Buch wurde der Versuch unternommen, die grundlegenden Begriffe der Semantik mit denen der geistigen Gesundheit (mental health) zu einer Synthese zu bringen.

KORZYBSKI stellt den Menschen als in zwei Welten lebend dar: in einer Welt der realen Dinge und deren Beziehungen und in einer Welt der Symbole. Der Mensch nimmt seine Umwelt nur durch das Prisma seiner Sprache wahr. Die Sprache ist die "Landkarte" der Wirklichkeit. Aber diese Landkarte kann ohne jede Beziehung zum Gelände, das sie angeblich darstellt, hergestellt oder verändert werden. Das menschliche Nervensystem kann darauf trainiert werden, allein auf die Landkarte zu reagieren, ohne zu prüfen, ob sie genau die Realität darstellt.

In extremen Fällen wird, nach KORZYBSKI, die ausschließliche Abhängigkeit von Symbolen, die mit der Wirklichkeit identifiziert werden, zur Grundlage des Wahnsinns. KORZYBSKI schlug eine Methode vor, um das Seelenleben (das Nervensystem) umzuerziehen, um die Aufmerksamkeit von den Symbolen weg auf die hinter ihnen liegende Wirklichkeit zu lenken. Diese Methode nannte er allgemeine Semantik.
"Unsere Vernunft hängt mit dem Gebrauch richtiger Symbole zusammen. Mit zunehmender Vernunft würde sich unser  sittliches  und  ethisches  Niveau natürlich heben. Es erscheint zwecklos, metaphysische Ethik und  Sittlichkeit  zu predigen, wenn wir keine Maßstäbe für geistige Gesundheit haben. Eine grundlegend anormale Person kann sich weder  moralisch  noch  ethisch  verhalten, auch wenn ihr noch so viel gepredigt wird. Es ist wohlbekannt, daß selbst der umgänglichste Mensch mürrisch und irritierbar wird, wenn er krank ist und seine sonstigen semantischen Charakteristiken sich dann in ähnlicher Weise verändern. Der Mißbrauch von schädlichen Symbolen ist so schädlich, wie der von Nahrung und Getränken; er macht die Menschen krank, und dann verwirren sich ihre Reaktionen."(2)

Die Prinzipien von Korzybskis Allgemeiner Semantik
Nach KORZYBSKI - und sein Grundgedanke wird durch zahlreiche psychologischen und psychiatrische Befunde bestätigt - verhalten sich die Menschen so, als ob sie Wort und Sachen identifizieren. Identifizieren bedeutet nicht "verbal gleichsetzen". Faktisch wird jedermann zugeben, das das Wort  Neger  nicht dasselbe ist wie  Mister Smith , auf den das Etikett  Neger  angewandt wird. Nichtsdestoweniger reagieren viele Menschen, die über Mister Smith urteilen, mehr auf das Etikett als auf Mr. Smith. Um ein anderes Beispiel zu nehmen: Jemand mag auf eine Sachlage, wie das Scheitern seiner Bewerbung um eine bestimmte Stellung, damit reagieren, daß die Sachlage mit den Worten kennzeichnet: "Ich bin ein Versager." Dann wird er möglicherweise auf dieses Etikett in einer Weise reagieren, die keineswegs eine wirksame Abhilfe für seine Situation darstellt.

Die von KORZYBSKI empfohlene Haltung, die das Individuum von der Tyrannei der Worte befreien soll, wurde von ihm "extensional" genannt. Sich "extensional" zu verhalten, soll, grob gesagt, heißen, sich bewußt sein, wie Dinge, Tatsachen und Vorgänge in der Wirklichkeit miteinander verknüpft sind, also nicht wie sie in den Worten, in denen man über sie spricht, erscheinen. Der "extensional" orientierte Mensch differenziert besser als der wortgebundene - intensional orientierte - Mensch. Er weiß um die grundsätzliche Einmaligkeit von "Dingen", "Vorgängen" usw. Dadurch werden ihm  Veränderungen  eher bewußt als einem intensional orientierten, wortgebundenen Menschen, der die im Fluß befindliche dynamische Welt, die ihn umgibt, irrtümlich für die statische, starre Welt der Etiketten, der "Eigenschaften" und der "Kategorien" in seinem Kopf hält.

Die "extensionale" Orientierung KORZYBSKIs entspricht völlig dem  Operationalismus  der Semantik. Eine operationale Definition ist im wesentlichen eine "extensionale", realistische Definition. Besagt sie doch was man tun muß (anstatt sagen muß), um die definierte Sache in die Reichweite der Erfahrung zu bringen. Gleicherweise ist das Kriterium des Voraussagewertes bei der Feststellung der Wahrheit im Grunde "extensional".

Diesem Kriterium entsprechende werden Feststellungen, Behauptungen, Urteile, Grundsätze, kurz alle Arten des Sprechens etwa so eingeschätzt, wie Schecks in unserer Wirtschaft: man nimmt sie an, wenn man einigermaßen sicher ist, daß sie gedeckt sind. Für einen "extensional" und realistisch eingestellten Menschen sind Worte, die nicht durch Handlungen definiert werden können, und Aussagen, die nicht durch Implikation Erfahrung vorhersagen, wie Schecks über nicht vorhandene Guthaben.

Die Wertungssysteme des Menschen sind sowohl Ursache wie Wirkung des einzigartig menschlichen Charakteristikums, der Kultur. Die Kultur untscheidet weit mehr als die Anzahl der Beine den Menschen von Tier und Pflanze. Alle bestehenden Kulturen beruhen zum Teil auf sachgerechten, zum Teil auf nicht-sachgerechten Orientierungen. Ein Stamm kann hochentwickelte Techniken des Fischfangs und des Kanubaues haben, während seine Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit in einem Netz von Aberglauben befangen sind, die ihn gegenüber neuen Epidemien hilflos machen.

Unsere eigene Kultur hat hinsichtlich einer tatsachengerechten Orientierung in Technologie und Hygiene ein hohes Niveau erreicht, aber unsere soziale Organisation ist derart beschaffen, daß die Technik uns um unsere Existenz zu bringen droht. Ein Großteil unseres Wissens über Gesundheit, und besonders geistige Gesundheit, kann nicht angewandt werden.

KORZYBSKI untersuchte diese Gegensätze im Licht des Sprachverhaltens. Er fand, daß dieses Verhalten in unserer Kultur sehr unterschiedlich wirkt. An dem einen Ende steht das Sprachverhalten der Wissenschaftler und Techniker in ihrer Arbeitt. Dieses Verhalten ist höchst leistungsfähig. Seine Aufgabe ist, die Welt zu erklären und sie, wo immer möglich, beherrschen zu lernen, um bestimmte Bedürfnisse zu befriedigen. Am anderen Ende steht das Sprachverhalten der Psychopathen und der Leute, die in der Faszination von Aberglauben und Demagogie stehen.

KORZYBSKI fand das Sprachverhalten der Naturwissenschaftler in ihrer Arbeit im Einklang mit seinen nicht-aristotelischen Grundsätzen: Naturwissenschaftler sind sich bei ihrer Arbeit der Grenzen der Sprache bewußt; den Bedeutungsgehalt und den Voraussagewert ihrer Vorstellungen und Urteile unterziehen sie ständig der experimentiellen Erfahrung. Sie sind sich der verschiedenen Abstraktionsebenen bewußt.

Das Sprachverhalten von Psychopathen, von verbohrten "Gläubigen", von Demagogen und Opfern der Demagogie verletzt andererseits semantische Grundsätze. Solche Individuen verwechseln Wörter mit Sachen, sie bringen Abstraktionsebenen durcheinander. Der Schamane eines vorwissenschaftlichen Stammes und der Demagoge eines modernen faschistischen Staates halten sich beide an der Macht, weil die Wähler auf Worte reagieren, als ob sie Tatsachen seien. Wortmagie wie Demagogie legen es darauf an, Reaktionen der Menschen auf Symbole in enge Kanäle zu leiten, um dadurch ihre Antworten automatisch, unkritisch und unmittelbar zu machen. KORZYBSKI nennt das "Signal-Reaktionen". Solche Reaktionen ermöglichen Riesenumsätze ohne Bezug auf die Qualität des Produktes. Sie tragen zu dauernden Feindschaften zwischen Gruppen bei und machen Kriege unvermeidlich.

KORZYBSKI stellte sich die Aufgabe, die Struktur der Sprache zu analysieren (in Bereichen, die von der Sprache des Wahnsinnigen bis zu der des mathematischen Physikers reichen) und diese Struktur zum menschlichen Verhalten, zu seiner Theorie der Kultur und Geschichte, in Beziehung setzen. Diese Aufgabe war Mittel und Zweck. KORZYBSKIs letztes Ziel war es, ein Programm zu erarbeiten, durch das das menschliche Nervensystem an gesünderes neuro-linguistisches Verhalten gewöhnt würde, das heißt an größere geistige Gesundheit.
LITERATUR, Anatol Rapoport, Was ist Semantik?, in Wort und Wirklichkeit, Beiträge zur Allgemeinen Semantik, Hrsg. Günther Schwarz, Darmstadt 1968
    Anmerkungen
  1. Anmerkung des Übersetzers: Hitler und die NSDAP kamen 1933 gegen den nahezu einhelligen Widerstand von Presse und Rundfunk zur Macht. Es ist auch irrtümlich, zu sagen, daß sie  in den meisten Deutschen  einen intensiven Hass auf alles Nichtdeutsche usf. erzeugten. Die damals herrschende Schicht war davon erfüllt, während breite Massen allerdings ihre Ideologie hinnahmen. Die Bereitschaft, Hitlers Angriffskrieg mitzumachen, beruhte mit auf dem Bedürfnis, für die Niederlage von 1918 eine Kompensation zu finden. Allerdings war niemand in der Lage, sich dem Diktator zu widersetzen.
  2. Alfred Korzybski