ra-2A. SchäffleGrenznutzenR. LiefmannWirtschaftlicher Wert    
 
FRIEDRICH von WIESER
Der natürliche Wert

"Am allerwenigsten wollte Ricardo die Wirtschaft reformieren. Dem Wert, der ist, stellte er nicht den entgegen, der  sein soll. Nie kam es ihm in den Sinn, den Zins zu verurteilen, und aus seinem System, wenn es im Geist des Autors verstanden wird, folgt dies auch nicht im mindesten. Es ist nicht im mindesten inkonsequent von ihm, wenn er sich nicht gegen den Zins erklärt, und die Sozialisten, wenn sie es aus seinem System heraus tun, heben dasselbe auf, statt, wie sie meinen, es zu vollenden. Nur wenn der Zins eine Sache ist, die ohne Zweifel gut ist, kann man so über ihn hinweggehen, wie Ricardo."

"Wie man über den Wert urteilt, muß man aber, wenn man folgerichtig bleibt, letztlich über die Wirtschaft urteilen. Er ist der Charakter der Dinge in der Wirtschaft, seine Gesetze sind für die Politische Ökonomie das, was das Gesetz der Schwere in der Mechanik ist."

"Wer den Wert erklärt, erklärt in Wahrheit das Verhalten derer, die den Wert schätzen."

Vorwort

Man hat gesagt, daß sich bei ADAM SMITH so ziemlich alle Erklärungen des Wertes finden, die überhaupt versucht worden sind. Gewiß ist es wahr, daß SMITH bei der Erklärung des Wertes zwei einander widersprechende Absichten verbunden hat. Er gibt, um es kurz zu sagen, zwei Theorien zugleich, eine "philosophische" und eine "empirische". Er will für's Erste klar machen, was man unter dem eigentümlichen Attribut des Wertes zu denken habe, welches gewissen Dingen zugeschrieben wird, andern, im äußeren Anschein völlig gleichen dagegen nicht, welches gewissen Dingen in hohem Maß zugeschrieben wird, andern, die mit den äußerlichen Maßen gemessen obenan stehen, dagegen nur in geringem; welches also ein Attribut für sich, mit keinem andern bekannten, am wenigsten mit der Nützlichkeit der Güter zusammenfallend ist. Zu diesem Zweck sieht ADAM SMITH von den verwickelten Tatbeständen der erfahrungsmäßigen Wirtschaft zunächst ab und hält sich an den einfachsten, ersten, natürlichen Zustand. Da findet er, daß die Arbeit es ist, die den Wert entstehen macht; die Güter sind uns wert, was sie an Arbeit kosten und was daher ihr Besitz an Arbeit erspart. Die so gewonnene Idee des Wertes wendet ADAM SMITH auch auf die empirischen Fälle der Werterscheinung an; der Wert, wo er ihm nun auch begegnet, dünkt ihm nichts Unverständliches mehr, er kann ihn von anderen Attributen der Dinge unterscheiden, er kann in sein Wesen eindringen, ja, er vermag ihn sogar durch die Beziehung auf die Arbeit, aus der er seinen Inhalt empfängt, zu messen. Unabhängig hiervon beschreibt SMITH - und damit gelangen wir zu seiner "empirischen" Theorie - die tatsächlich wirksamen Ursachen des Vorkommens und der Größe des Wertes. Er nimmt deutlich wahr, daß die Arbeit, die er "philosophisch" als die einzige Ursache des Wertes erkannt hat, nicht auch dessen einzige tatsächliche Ursache ist. Drei Faktoren, so meint er, setzen in aller Regel den Tauschwert der Erzeugnisse zusammen, neben der Erzeugungsarbeit nämlich auch noch der Zins des geforderten Kapitals und die Rente des erforderlichen Landes. Damit will nicht gesagt sein, daß der erfahrungsmäßig beobachtete Wert anderer Natur sei, als der philosophisch erklärte; auch jener Wertanteil, der durch Land und Kapital geschaffen wird, ist von gleicher Wesenheit mit dem durch die Arbeit geschaffenen, auch für ihn bleibt es die Arbeit, auf die man sich beziehen muß, um seinen Inhalt zu begreifen und zu messen. Das einzige Zeichen, daß er einen Widerspruch zwischen seiner philosophischen und seiner empirischen Erklärung verspüre, gibt ADAM SMITH da, wo er von der Schilderung des ersten natürlichen Zustandes der Wirtschaft auf die des tatsächlich bestehenden mit Kapitalbesitz und privatem Grundeigentum übergeht. Hierbei kann er es nicht unterlassen, einen Vorwurf gegen diejenigen zu erheben, "die ernten wollen, wo sie nicht gesät haben", während er, einmal im Reich der Wirklichkeit angelangt, den Kapitalzins und die Grundrente als selbstverständliche Tatsachen in sein System übernimmt.

Beinahe ein halbes Jahrhundert verging, ehe RICARDO die Lehre seines Meister von ihren Unvollkommenheiten zu läutern suchte. RICARDO fühlte deutlich den Widerspruch, den SMITH kaum bemerkt hatte. Wie suchte er ihn zu beheben? Auf einem Weg, der mehr noch als der Fehler, den SMITH begangen hatte, die große Jugend der ökonomischen Wissenschaft verriet. Es ist heute, wo wir vermöge der Anstrengungen der ersten großen Pfadfinder der Wissenschaft unmittelbar vor den Problemen stehen, die zu lösen sind, kaum mehr möglich, sich in die Auffassungen zurückzudenken, durch welche jene ihren Beobachtungen und Gedanken die erste Ordnung gaben. Sie fanden, um der vollen Ratlosigkeit zu entkommen, freudig Genüge an Erklärungen, die uns heute rätselhafter sind, als die Erscheinungen selber. Was wollte also RICARDO? Sein ganzes Bestreben erschöpfte sich darin, nachzuweisen, daß die philosophische und die empirische Theorie des ADAM SMITH, die er beide in dieser Absicht freilich reinigen und weiterführen mußte, einander nicht so sehr widersprächen, als der nächste Anschein zeigte. Der Wert, wie er ist, und der Wert, wie wir ihn von der Arbeit aus begreifen, kommen in ihrer Größe, wenn man sich an die Regel und den Durchschnitt hält, zwar nicht ganz aber fast überein, mit einem Fehler, der so gering ist, daß er füglich vernachlässigt werden kann. Von den beiden empirischen Faktoren der Wertbildung, die SMITH neben der Arbeit nennt, kommt nämlich - dies war der letzte Gewinn der berühmten Grundrententheorie RICARDOs - die Grundrente ganz in Abfall: die Grundrente bestimmt den Wert der Erzeugnisse nicht, sondern sie folgt aus ihm. Der Kapitalzins allerdings bleibt, aber RICARDO glaubt beweisen zu können, daß er dem Wert der Erzeugnisse annähernd in demselben Verhältnis zuwächst, in welchen die Quantitäten ihrer Erzeugungsarbeiten stehen, so daß diese letzteren schließlich für die Wertrelationen aller Erzeugnisse doch ein ziemlich getreues Maß geben. Den Zins selber sucht RICARDO, weil er ihm solchergestalt in seinem System kein Hindernis bereitet, nicht eigentlich zu erklären, er übernimmt ihn, wie er ihn findet, als eine selbstverständliche Tatsache - dieser von so vielen späteren Schriftstellern mit Verwunderung bemerkte Vorgang ist aus dem Impuls, der RICARDOs Geist in Bewegung setzte, vollkommen zu verstehen. Er wollte nicht alles erklären, was in der Wirtschaft ist, er wollte nur zeigen, daß das, was ist, sich mit dem, was wir - wenn auch nur von einem gewissen Gesichtspunkt aus - begreifen können, so ziemlich deckt. Am allerwenigsten wollte RICARDO die Wirtschaft reformieren. Dem Wert, der ist, stellte er nicht den entgegen, der sein soll. Nie kam es ihm in den Sinn, den Zins zu verurteilen, und aus seinem System, wenn es im Geist des Autors verstanden wird, folgt dies auch nicht im mindesten. Es ist nicht im mindesten inkonsequent von ihm, wenn er sich nicht gegen den Zins erklärt, und die Sozialisten, wenn sie es aus seinem System heraus tun, heben dasselbe auf, statt, wie sie meinen, es zu vollenden. Nur wenn der Zins eine Sache ist, die ohne Zweifel gut ist, kann man so über ihn hinweggehen, wie RICARDO.

Seit dem Erscheinen des RICARDOschen Buches ist nun wieder ein halbes Jahrhundert und mehr verstrichen, seit SMITH mehr als ein ganzes Jahrhundert. Die Anforderungen an die Sozialwissenschaften sind seitdem gewaltig gestiegen. Zu SMITHs Zeiten erklärte man die gewordenen Zustände aus der "ursprünglichen" Menschennatur und dem "ursprünglichen" Stand der Dinge und war zufrieden. Wir wollen die Wirklichkeit aus der Wirklichkeit erklären, die Philosophie selbst ist empirisch geworden, sie läßt kein Beweismittel zu, das nicht aus der Erfahrung beglaubtigter Zustände gezogen ist. Der geschichtliche Staat, das positive Recht, die empirische Wirtschaft sind die Objekte der Untersuchung und zugleich die ausschließlichen Quellen für die Hilfsmittel der Untersuchung. SMITH und RICARDO, wenn sie heute schrieben, wären des heutigen Geistes voll, und selbst, wenn sie nicht die Fülle von Beobachtungen und Erkenntnissen zu Gebote hätten, die Dank dem Genie des Einen und dem Scharfsinn des Andern uns zu Gebote stehen, so würden sie doch ungleich vollkommenere Werke schaffen als zu ihrer Zeit und sicherlich die Fehler vermeiden, denen der Menschengeist seither entwachsen ist.

Ihre Schule jedoch wandelt noch auf ihren Wegen, zwischen unverstandener Empirie und eigentlichster Spekulation schwankend. Und ihre Schule ist groß. Es ist ein eigentümlicher Eindruck. Ganze Richtungen haben in den Fragen der Politik und der Methode der englischen Mutterschule abgesagt, von den Sozialisten bis zu den Anhängern der historischen Richtung in Deutschland, aber im ökonomischen Urproblem des Wertes sind viele von den Neuerern gleichwohl ihren Dogmen treu geblieben. Wie man über den Wert urteilt, muß man aber, wenn man folgerichtig bleibt, letztlich über die Wirtschaft urteilen. Er ist der Charakter der Dinge in der Wirtschaft, seine Gesetze sind für die Politische Ökonomie das, was das Gesetz der Schwere in der Mechanik ist. Jedes große System der Politischen Ökonomie hat bisher als letzte theoretische Begründung seiner praktischen Forderungen eine eigentümliche Meinung über den Wert ausgebildet, und so wird auch jede neue große Reformbestrebung ihre praktischen Forderungen erst dann endgültig begründet haben, wenn sie sie auf eine neue und vollkommenere Theorie des Wertes stützen kann.

Allerdings haben sich die herrschenden Theorien des Wertes vielfach in einen Gegensatz zum SMITH-RICARDOschen System gestellt, namentlich auch in Deutschland (wiewohl geradehier in letzter Zeit die Arbeitstheorie an Ausbreitung gewinnt). Die theoretischen Fortschritte, die hierbei gemacht wurden, sind nich hoch genug zu veranschlagen. Vor allem ist hervorzuheben, daß nun dem Tauschwert auch der Gebrauchswert an die Seite gestellt wurde, und daß neben den privatwirtschaftlichen Rücksichten auch die staatswirtschaftlichen und sonstigen allgemeineren Rücksichten zu Geltung kamen. Der Zusammenhang der Werttheorie mit der praktischen Politik zeigte sich hierbei wieder in auffälliger Weise. Die Polemik gegen die individualistische Fassung des Wertbegriffes gesellte sich der Bekämpfung der individualistischen Richtung in der Volkswirtschaft. Es scheint jedoch, daß auch dieser Zweig der herrschenden Lehre seine Kraft erschöpft hat, daß auch diese Bewegung an ihrem toten Punkt angelangt ist. So wie die Forschung heute steht, untersucht man im großen Ganzen nicht die Werterscheinung, sondern den Sprachbegriff oder die Sprachbegriffe des Wertes. Ich habe an einer anderen Stelle gesagt, daß für die Wissenschaften, die das menschliche Handeln in irgendeinem seiner Gebiete untersuchen, die besondere Gefahr besteht, ihr Objekt zu verfehlen: statt der Handlung und ihrer Motive geraten sie leicht darauf, die Meinungen zu untersuchen, die sich die Menschen von ihrem Tun machen, die "Volkstheorien", insbesondere jene, welche sich aus dem sprachüblichen Sinn der für die bezüglichen Erscheinungen geltenden Namen herausdeuten lassen. Diese Bemerkung scheint mir auf die zuletzt besprochenen Werttheorien vorzugsweise anwendbar zu sein.

Daß die Werttheorie von Grund auf reformbedürftig ist, wird heute wohl von niemand geleugnet. Die Unvollkommenheit der herrschenden Ansichten wird selbst von ihren Anhängern zugestanden. Während die große Mehrheit der Nationalökonomen aber noch ratlos ist, wohin sich zu wenden ist, zuerst unbeachtet und sodann lange nur wenig beachtet, durch die Arbeit von Männern, die großenteils voneinander nicht wußten und deren Forschungen auf diesem Gebiet des Zweifels und der Uneinigkeit dennoch übereinstimmten, bereits auf neuer Grundlage eine neue, auf empirischer Grundlage eine empirische Theorie geschaffen worden. Die neue Theorie geht von dem alten Satz aus, daß der Güterwert vom Nutzen der Güter oder, was dasselbe ist, von den Bedürfnisbefriedigungen kommt, die die Güter sichern. Um die Gesetze des Wertes zu finden, muß man daher zuerst die Gesetze des Bedürfens kennen. Da zeigt sich nun die Tatsache, daß das Bedürfnis nach denselben Dingen - selbst bei derselben Person und in einem gegebenen Wirtschaftszustand - von ganz verschiedener Stärke ist, je nach dem Grad, in dem das Bedürfnis durch die Verwendung von Gütern bereits gesättigt ist. Da die Güterverwendung von der Größe des Güterbesitzes abhängt, so erlangt damit das Quantitätsverhältnis der Güter einen entscheidenden Einfluß auf die Schätzung der Bedürfnisse und damit auf die Quelle des Wertes selber. Diese Beobachtung ist der Ausgang für die weitere Untersuchung. Sie ist ansich von größter Wichtigkeit, weil sie letztlich die Auflösung für die paradoxe Erscheinung gibt, daß der Wert sinkt, wenn die Gütermenge zunimmt; sie ist aber ebenso wichtig durch die methodischen Nachwirkungen, die sich aus ihr ergeben, weil sie die Untersuchung von den Scheinobjekten, auf welche die Spekulation und der Sprachgebrauch hinführen, auf den empirischen Kern der Werterscheinung leitet.

Als Vorläufer dieser Theorie kann man im weitesten Sinn alle die nennen, die den Wert vom Nutzen abgeleitet haben, insbesondere diejenigen, die konsequent genug waren, auch den Tauschwert durchaus auf den Nutzen zu gründen und namentlich dem offenbaren Einfluß der Produktionskosten gegenüber das Prinzip nicht zu verleugnen. Gewöhnlich werden die Darstellungen an diesem Punkt entweder inkonsequent oder unklar oder sie erhalten ihre Konsequenz und Klarheit nur dadurch, daß sie auf Vollständigkeit verzichten, indem sie nicht von den Kosten sprechen. Im engeren Sinn sind als Vorläufer der neuen Theorie jene Schriftsteller zu nennen, die mit dem Nutzen zugleich noch die Quantitätsverhältnisse der Güter in eine Untersuchung ziehen. Gewöhnlich geschieht dies freilich nur so weit, daß die Veränderungen der Wertgröße bemerkt werden, welche die Folge der Veränderungen in Angebot und Nachfrage sind. Aber es ist dies noch vereinzelt in viel exakterer Weise geschehen, indem die "Seltenheit", die "Eingschränktheit des Vorrats" als Bedingng erkannt wurde - und zwar nicht nur, wie es auch RICARDO tut, für gewisse Raritätsgüter, sondern allgemein, für alle Güter - damit der Nutzen Wert erzeugt. Unter den hierher gehörigen Schriftstellern, die als unmittelbare Vorläufer unserer Theorie gelten können, sind AUGUSTE WALRAS ("De la nature de la richesse et de l'origine de la valeur", 1831) ferner CONDILLAC, GENOVESI und SENIOR hervorzuheben. (1)

diese zahlreichen Vorarbeiten nicht gerechnet, sind nicht weniger als vier Autoren zu nennen, die die eigentliche Theorie selbst unabhängig voneinander ausgearbeitet haben: GOSSEN (2), JEVONS (3), MENGER (4), LEON WALRAS (5). GOSSENs Darstellung ist bei vielen, geradezu klassischen Vorzügen im Ganzen die unvollkommenste, die in ihrer Art ausgezeichnete Darstellung von LÉON WALRAS leidet meines Erachten an einem Überwiegen des mathematischen Elements. Die Größengesetze des Wertes lassen ohne Zweifel einen mathematischen Ausdruck zu, noch mehr, die verwickelteren unter ihnen sind genau nur mathematisch auszudrücken und die Mathematik hat hier gewiß noch eine große Aufgabe zu lösen, aber es handelt sich in der Werttheorie nicht bloß um den Ausdruck der Größengesetze. Der dunkle Wertbegriff ist verständlich zu machen, alle seine vielfachen Formen sind zu beschreiben, der Dienst des Wertes in der Wirtschaft ist auseinanderzusetzen, der Zusammenhang des Wertes mit so vielen anderen Erscheinungen der Wirtschaft ist zu zeigen, kurz eine Philosophie des Wertes ist zu geben, welche Worte braucht, nicht Zahlen; und außerdem ist noch das empirische Vorkommen der behaupteten Tatsachen nachzuweisen. Die Darstellung bei JEVONS endlich muß, trotz ihres bewunderungswürdigen Reichtums an Beobachtung und Reflexion, trotz ihre vollendeten Ausdrucks, trotz des umfassenden Geistes, der aus ihr spricht, doch der MENGERs nachgesetzt werden, welche den Gegenstand noch tiefer durchdringt, indem sie von einem allgemeineren Begriff des Wertes ausgeht. MENGER verdankt denselben der deutschen Schule der Nationalökonomie, die eine geduldige, unaufhörliche Arbeit daran gewendet hat, die allgemeinen wirtschaftlichen Begriffe zu bilden und von der konkreten Erscheinung bis zu jener Höhe der Abstraktion zu gelangen, von der aus die Erscheinungen logisch zu ordnen sind. Man kann sagen, daß sie die Begriffsformen zum guten Teil längst gewonnen hatte, die nur noch durch eine zutreffendere Beobachtung materiell gefüllt zu werden brauchten. Die deutsche Theorie hat damit einen Schatz aufgespeichert, von dem für eine nicht absehbare Zeit hinaus folgenden wissenschaftlichen Bestrebungen zu zehren vermögen.

Von JEVONS' System ist ein Teil, die Bedürfnislehre (theory of utility, wie er sie nennt), in die englische Literatur übergegangen. Unter den kontinentalen Bearbeitungen der Werttheorie, die die neue Lehre übernahmen, sind die schönen Darstellungen von PIERSON (6) und CHARLES GIDE (7) zu nennen; in Deutschland eine an JEVONS und LÉON WALRAS anschließende Arbeit von LAUNHARDT (8). Insbesondere aber sind Bearbeitungen der Werttheorie in dem Sinne im Anschluß an MENGER in Österreich versucht worden. Ich selbst (9) habe eine solche herausgegeben, worin ich die MENGERsche Theorie auf die Kostenerscheinungen anwendete. Hierauf folgte noch eine Arbeit von BÖHM-BAWERK (10), welche, abgesehen von dem überaus klaren Vortrag und von der sorgfältigen und fruchtbaren Revision vieler einzelner Materien, insbesondere durch die Behandlung der Theorie des objektiven Werts - des Preises - von Bedeutung ist; endlich ein umfassendes Werk von EMIL SAX (11), welches die Theorie des Wertes auf eine ganz neue, bisher von keinem Schriftsteller mit ihr in Zusammenhang gebrachte Materie, auf die öffentlichen Abgaben ausdehnte und ihr dadurch eine ihrer folgenreichsten Anwendungen gab.

Die Grundzüge der neuen Theorie sind gezogen, aber es bleibt noch viel zu tun, nicht nur, daß sie allgemein verbreitet, sondern auch, daß sie in sich vollendet werde. Einen Versuch, das noch Fehlende zu ergänzen, enthält die folgende Arbeit. Im Gegensatz zu meiner früheren Arbeit habe ich diesmal die Voraussetzungen der Werttheorie ganz unerörtert gelassen und mich streng auf das Thema des Wertes uns seinen trockensten Inhalt beschränkt, dagegen habe ich mich bestrebt, das  ganze  Gebiet der Werterscheinunen ohne irgendeine Ausnahme zu erschöpfen und außerdem auch die bereits früher behandelten Materien, so gut ich es vermocte, noch einmal genauer zu durchdenken. Das Buch ist demnach keineswegs ein Wiederholung des ersten, sondern eine durchwegs neue, zum größten Teil ganz neue Gegenstände betreffende Arbeit, die nur die allgemeinen Grundsätze mit jenem gemein hat. Ich hoffe diesmal dem Einwand begegnet zu haben, den man gegen den "Ursprung des Wertes" erheben konnte, daß von den aufgestellten Prinzipien die Verbindungen, die "Brücken" - wie ein Kritiker sagte - fehlen, um zu den bekannten konkreten Werterscheinungen zu gelangen. Ich darf wohl sagen, daß niemals eine Werttheorie veröffentlicht wurde, die äußerlich vollständiger wäre.

Eben die große Menge der einzelnen Materialien, die ich zu berühren hatte, hat mich bewogen, fast jede kritische Auseinandersetzung mit fremden Meinungen, ja fast jede literturgeschichtliche Verweisung zu unterlassen, außer den Berufungen jener Autoren, die der gleichen Richtung angehören und denen ich unmittelbar die von mir vertretenen Lehrsätze entnahm; wie ich auch alle ökonomischen Begriffe, die ich außer dem des Wertes anzuwenden hatte, in die Untersuchung eingeführt habe, ohne sie irgendwie zu disentieren [in Frage zu stellen - wp]. Ich will den Vorwurf, hierin unvollständig gewesen zu sein, gerne ertragen, wenn es mir nur gelungen sein sollte, damit den inneren Zusammenhang des Buches klarer zu machen. Dagegen möchte ich nicht gern dem Verdacht ausgesetzt sein, als hätte ich aus einer Mißachtung der fremden theoretischen Bestrebungen so gehandelt. Am wenigsten möchte ich diesbezüglich der Arbeiten der Theorie in Deutschland. Ich habe eben vorher ausgesprochen, wie tief meines Erachtens jeder heutige theoretische Versuch den Arbeiten der deutschen Theorie verschuldet ist. Ihr steht dann auch die neue Werttheorie am nächsten - dieselbe ist so recht die Erfüllung dessen, was jene längst gefordert hatte.



1. Teil
Der Wert in der Privatwirtschaft

1. Abschnitt
Elementare Theorie des Wertes

§ 1. Der Ursprung des Wertes

Wenn ein verständiger und geschäftskundiger Mann, der nie etwas davon gehört hat, wie die Gelehrten versuchen, den Wert zu erklären, und dessen freies Urteil auch nicht beeinflußt wird von den Formeln, welche als Nachhall der gelehrten Theorien in die Sprache des Lebens und des Marktes eingedrungen sind, wenn ein solcher Mann, der nur auf seine persönliche Erfahrung hin urteilt, gefragt würde, woher der Wert der Dinge seinen Ursprung hat, so wird er ohne Zweifel antworten "vom Nutzen der Dinge": hat ja doch auch die Theorie zuerst diesen Ursprung vermutet. Er würde sehr verwundert sein, zu erfahren, daß einige Beobachtungen jene Vermutung sehr unwahrscheinlich machen, daß einige, zum Teil allgemein bekannte, auch ihm selbst geläufige Tatsachen fast mit Gewißheit zu beweisen scheinen, daß der Nutzen die Quelle des Wertes sein kann.

Diese Tatsachen sind folgende:

Erstens, Güter, welche im Überfluß vorhanden sind, so daß jedermann sie sich ohne weiteres aneignen kann, wie er will, werden von niemandem bezahlt, und mögen sie auch noch so nützlich sein. Wasser ist an vielen Orten im Verkehr ohne Wert, wiewohl es überall, wo Menschen sind, von Nutzen ist. Allerdings bezieht sich diese Beobachtung zunächst bloß auf den Wert in Geld, den sogenannten Tauschwert, und man könnte meinen, daß sie sich nicht auf den Wert bei der Benützung der Güter bezieht, den sogenannten Gebrauchswert, aber ein genaueres Nachforschen zeigt, daß sie sich auch auf den letzteren bezieht. Was überflüssig ist, wird nicht bloß auf dem Markt, sondern auch im Haushalt für wertlos gehalten und genau von dem geschieden, wovon man keinen Überfluß hat. Wenn es wirklich in immer gesicherter Überfülle zu haben ist, so wird in keiner Beziehung mit ihm gewirtschaftet, wie sparsam man auch sonst mit anderen Dingen wäre. Nicht einmal seinen Besitz sucht man sich zu sichern, es gibt an ihm kein Eigentum; keine Sorge, kein Interesse wird ihm zugewendet, es wird gebraucht, aber weiter nicht beachtet.

Zweitens, die nützlicheren Dinge haben häufig geringeren Wert als die minder nützlichen. So hat Eisen einen geringeren Wert als Gold. Das gilt auch vom Geldwert und vom Gebrauchswert, auf dem Markt und im Haushalt. Auch im sozialistischen Staat, falls man noch den Sinn für das Gefällige behalten hat, wird es eine mindere Sache sein, ein Pfund Eisen als ein Pfund Gold zu verlieren.

Drittens, die größere Menge hat unter Umständen geringeren Wert, als eine geringere Menge derselben Dinge. Es ist bekannt, daß die holländisch-ostindische Handelsgesellschaft Teile ihrer Gewürzvorräte und Plantagen vernichtete, um die Nachfrage zu beleben und dem Rest einen größeren Wert zu sichern, als vordem der ganze Besitz hatte. Dasselbe weiß man von dem Erlös, der für Mißernten und der für reiche Ernten einging: die Mißernte trug mehr als die reiche. Auch das gilt, wie ich später noch klar zeigen werden, vom Gebrauchswert wie vom Tauschwert.

Viertens, während das Maß des Nutzens sich mit dem des Werts so häufig und so auffallend im Widerspruch befindet, besteht ebenso häufig und auffallend eine Übereinstimmung des letzteren mit einer Tatsache, die geradezu das Gegenstück des Nutzens zu sein scheint, nämlich mit den Kosten. Das Gegenstück, denn wenn sich die Güter durch den Nutzen, den sie geben, den Menschen als freundlich erweisen, so erweisen sie sich feindlich durch die Kosten, deren Aufwand sie notwendig machen.

Ein großer Teil der Schriftsteller, welche sich mit der Erklärung des Wertes beschäftigten - und man kann hinzufügen, durch lange Zeit gerade die besten Köpfe unter ihnen - haben daher die Meinung ausdrücklich verworfen, daß der Wert vom Nutzen stammen kann, und sie behaupten, daß er den Gütern nur wegen der Schwierigkeit ihrer Erwerbung und nach dem Maß derselben zukommt. Diejenigen wieder, die sich gleichwohl auf den Nutzen berufen, haben dies zum großen Teil in einer offenbar ungenügenden Weise getan; entweder indem sie sich mit den angeführten Tatsachen in Widerspruch setzten, ohne den Widerspruch aufzuklären, oder indem sie dem Gewicht derselben so weit nachgaben, daß sie sich schließlich von denen, die den Nutzen grundsätzlich verwarfen, kaum mehr anders als durch dessen grundsätzliche Anerkennung unterschieden. Nur wenige Schriftsteller, deren wichtigste im Vorwort genannt sind, haben den rechten Weg getroffen. Sie fassen die Idee des Nutzwertes in der Weise, daß dieselbe durch jene Beobachtungen nicht nur nicht aufgehoben, noch verkümmert, sondern vielmehr auf das Vollste befriedigt wird.

Im Sinne dieser Schriftsteller will ich jetzt die Theorie des Wertes darstellen. Ich möchte der Untersuchung nur eine einzige Bemerkung über die Art der Führung derselben, insbesondere über die Art der gebrauchten Beweismittel vorausschicken.

Wer den Wert erklärt, erklärt in Wahrheit das Verhalten derer, die den Wert schätzen. Er faßt den Sinn eines von allen Menschen ungezählte Male geübten Verfahrens in klare Worte. Er tut im Großen und an einem schwierigen Gegenstand dasselbe wie der, der eine Hantierung oder eine mechanische Verrichtung beschreibt, die auszuführen jedem geläufig ist, während es nicht leicht ist, sie mit all ihren Voraussetzungen ohne sinnliche Nachhilfe im Bewußtsein wachzurufen und zu verfolgen. Ähnlich dem Dichter, der ein Gefühl in Worte faßt, welches alle Menschen von Empfindung kennen, ähnlich dem Schauspieler, dessen Gabe darin besteht, die Leidenschaft zu zeigen, auch wenn er nicht von ihr ergriffen ist, beschreibt der wissenschaftliche Darsteller der Handlungen, die alle zu vollziehen gewohnt sind, dieselben in Worten und losgelöst von der Vollziehung, also ohne daß er einen tatsächlichen Fall vor sich zu haben und daß er die Beschreibung mit dessen wirklicher Ausführung zu begleiten brauchte.

Jeder "Laie" kennt den ganzen Stoff der Werttheorie aus eigener Erfahrung und ist nur darin Laie, daß er ihn eben noch nicht theoretishe, d. h. selbständig für sich, sondern bloß praktisch, d. h. in der jeweils gegebenen Situation und in Verbindung mit der Ausnützung derselben erfaßt hat. Wo anders sind aber, wenn dies richtig ist, die Beweismittel der wissenschaftlichen Darstellung zu findenn, als in der Berufung auf die Erinnerung, die jeder von seinem wirtschaftlichen Tun und Lassen besitzt! Deshalb ist für die Forschung jede Äußerung willkommen, welche als ein Zeugnis dieser Erinnerung gedeutet werden kann - wenn z. B. das unbefangene Urteil des Laien lautet, daß er den Nutzen für die Quelle des Werts hält, so ist dieses Urteil ein Wegweise, dem man erst dann nicht mehr folgen dürfte, wenn die genaueste und ängstlichste Untersuchung bewiesen haben sollte, daß er auf einen Abweg führt. Und wer anders ist der letzte Richter der Theorie als das Publikum? Bloß diejenige Theorie der Wertschätzung kann wahr sein, der die Praxis ihre volle Zustimmung gibt. Nur freilich, daß der Richter selbst erst unterrichtet werden muß. Sein Urteil geht dahin, ob er sich  wiedererkennt  in einer Beschreibung, die ihn über sein eigenes Wesen belehrt und die er  persönlich zu geben ohnmächtig ist. 

Möge meine Arbeit den Beifall derer finden, die nicht bloß wirtschaftlich handeln, sondern auch über ihr Handeln nachdenken wollen. Ich habe keinen anderen Wunsch als diesen Beifall zu erwerben, aber ich kann denen das Recht des Urteils nicht zugestehen, welche abweisen wollen, ohne nachgedacht zu haben. Welche Mühe kostet es nicht, eine deutliche Beschreibung von den einfachsten und geläufigsten Hantierungen oder Verrichtungen zu geben, und so kann gewiß beim theoretischen Studium einer Sache, die so vielfältig und verwickelt ist wie die Wertschätzung, auch wenn sie allen noch so vertraut ist, ja gerade weil sie allen so vertraut ist, die größte Anstrengung des Nachdenkens nicht erspart werden.


§ 2. Der Wert der Bedürfnisbefriedigungen

Dem Sprachgebrauch der volkswirtschaftlichen Schriftsteller nach bedeutet Bedürfnis jedes menschliche Begehren, das größte wie das geringste, ob nun gerechtfertigt oder nicht, ob notwendig oder entbehrlich, ob materiell oder immateriell. Leibliche Wohlfahrt, Freuden der Eitelkeit, künstlerisches Gefallen und moralische Genugtuung sind sämtlich als Ziele der Bedürfnisse eingeschlossen.

In diesem Sinne geht aller Nutzen, den die Güter geben, schließlich auf Befriedigung von Bedürfnissen hinaus, und die Meinung, daß der Wert der Güter von ihrem Nutzen stammt, läßt sich genauer dahin ausdrücken, daß er von den Bedürfnisbefriedigungen herrührt, die sie verschaffen. Die Befriedigungenn der Bedürfnisse sind es, die in erster Linie für die Menschen  Wert  - oder man von ihnen gewöhnlicher sagt -  Wichtigkeit  haben, sie sind das eigentlich Begehrte und  Begehrenswerte  und wie man die Güter nicht um ihrer selbst, sondern um der Befriedigung willen verlangt, so schätzt man sie auch nur um dieser willen. Der  Güterwert  ist vom Bedürfniswert abgeleitet.

Die Theorie des Wertes hat darum vor allem vom Bedürfniswert zu handeln, in welchem der Wert zuerst zur Erscheinung kommt.

Was den Befriedigungen selber Wert gibt, das soll jedoch hier nicht untersucht werden. Genug, daß wir das Symptom angeben, woran man die Abstufungen der Wichtigkeit erkennt. Es kommt auf den Nachdruck an, womit man die Befriedigung vollzogen wünscht. Bringt man die sämtlichen Befriedigungen demnach in eine Reihe, so ist wohl zu bemerken, daß obenan keineswegs diejenigen stehen, welche den reinsten Genuß bereiten, welche das Leben am meisten verschönern. Die dringendsten Geschäfte gelten vielmehr der Abwehr der Not, der Beschwichtigung von Sorge und Pein: erst muß die Notdurft gesichert sein "bis wir zum Guten dieser Welt gelangen". Es ist ein Unterschied zwischen dem, was die Menschen lieber haben wollten, und dem, was sie zuerst zu sichern sich entschließen müssen; nicht nach jenem Rang, sondern nach diesem bildet sich die tatsächliche Wertreihe der Interessen. Die tatsächliche Rangordnung der Wichtigkeit ist, wie immer auch das moralische Urteil oder die ausschmückende Phantasie sie gestalten wollen, doch nur jene, welche die Menschen durch ihre Handlungen anerkennen, wenn sie vor die Wahl gestellt sind, das Eine um des Anderen willen zu unterlassen.

Die Größe des Bedürfniswertes in diesem Sinne hängt von der Art des Bedürfnisses, sie hängt aber innerhalb der einzelnen Art wieder vom jeweils erreichten Grad der Sättigung ab.

Über den letzteren Punkt haben wir nun genauer zu sprechen. Wir werden hierbei die erste Gelegenheit haben, den Einfluß der Menge auf den Wert zu beobachten. Nicht erst der Güterwert, schon der Bedürfniswert wird durch diesen Faktor verändert.


§ 3. Das Gossen'sche Gesetz
der Bedürfnissättigung

Jedermann weiß, daß das Verlangen nach Nahrung mit zunehmender Befriedigung abnimmt, bis zuletzt bei ausreichender Sättigung das Begehren für gewisse Zeit beschwichtigt ist, ja sich in sein Gegenteil, in Überdruß und Ekel verwandelt. Denselben Verlauf kennt jedermann an zahlreichen anderen Begierden, wo gleichfalls die Befriedigung den Antrieb vermindert und endlich völlig aufhebt und verkehrt.

Mehrere Autoren haben unabhängig voneinander das Verdienst, diese landläufige Beobachtung wissenschaftlich erweiter und zum Ausgang der Werttheorie gemacht zu haben. Sie sind in der Vorrede genannt. Unter ihnen ist besonders merkwürdig GOSSEN durch die Schicksale des Buches, in welchem er seine Entdeckung und seine Ideen über die Volkswirtschaft überhaupt niederlegte, "Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließenden Regeln für das menschliche Handeln", erschienen zu Braunschweig im Jahre 1854 und in Deutschland so gut wie verschollen, obwohl er für dasselbe den Ruhm eines KOPERNIKUS erhofft hatte. Wer das Buch liest, wird diese Wirkung begreiflich finden, sowohl um seiner Vorzüge als um seiner Fehler willen, die beide gleich groß sind. Man findet bei JEVONS in der Einleitung zur 2. Auflage der "Theory of Political Economy", sowie in einem Aufsatz von LÉON WALRAS im Jahrgang 1885 des "Journal des Economistes" genauere Nachrichten über Buch und Autor. Die Wissenschaft hat GOSSEN eine Schuld abzutragen, und es ist in diesem Gefühl, daß ich das Gesetz der Bedürfnissättigung wenn auch nicht ganz in seiner Darstellung, so doch unter seinem Namen entwickle.

Das Gesetz bedarf kaum einer Erläuterung. GOSSEN selbst hat es durch einen Zusatz noch klarer gemacht. Neben der abschwächenden Wirkung, die die fortgesetzte Befriedigung auf das Begehren hat, zeigt sich nämlich unter Umständen auch die entgegengesetzte, daß das Begehren durch Wiederholung und Übung größer wird, indem es sich hierbei entwickelt, sich selber, seine Ziele und seine Mittel kennen lernt, sich reinigt und sich erhebt. So begegnet während der Dauer der Entwicklung das Gesetz der Abschwächung einer Gegentendenz, uneingeschränkt gilt es nur vom vollkommen ausgebildeten Bedürfnis.

Hier aber gilt es für alle Bedürfnisse welcher Art auch immer ohne Ausnahme.

Zweifellos gilt es für solche gröbere materielle Bedürfnisse, die periodisch wiederkehren, wie z. B. das Bedürfnis nach Nahrung. Man muß hier nur den Trieb im Ganzen und die einzelnen Regungen gehörig unterscheiden. Der Trieb allerdings bleibt in gleicher Stärke, so lange der Mensch in gleicher Kraft bleibt; Befriedigung schwächt ihn nicht, sondern reizt ihn eher, indem sie immerfort zu seiner Ausbildung beiträgt, insbesondere da sie ein Verlangen nach Abwechslung erzeugt. Anders dagegen steht es um die einzelnen Regungen des Triebes. Diese sind zeitlich und stofflich eng begrenzt. Wer eine gewisse Menge von Nahrungsmitteln gewisser Art zu sich genommen hat, verlangt unmittelbar nachher eben dieselbe Menge nicht mit der gleichen Stärke.  Innerhalb einer jeden Bedürfnisperiode wird jeder hinzukommende Akt der Befriedigung weniger hoch veranschlagt als ein vorausgehender, der mit einer Gütermenge gleicher Art und Größe vorgenommen ist. 

Manche materielle Bedürfnisse entspringen nicht aus intermittierend [unterbrechend - wp] wirkenden Trieben, sondern verlangen ununterbrochen ihre Befriediung, wie z. B. das Wärmebedürfnis. Der menschliche Körper fordert die ununterbrochene Erhaltung eines gewissen Wärmestandes. Auch hier gilt das GOSSEN'sche Gesetz. Derjenige Akt, welcher notwendig ist, um die Erhaltung des erforderlichen Minimalstandes an Wärme zu sichern, d. h. der zur Warmhaltung unentbehrlichste Aufwand von Kleidern, Brennstoffen usw. wird mit dem größten Nachdruck verlangt, die Vermehrungen dieses notwendigsten Aufwandes bewirken nicht mehr im gleichen Maß eine Erhöhung des Wohlseins und werden mit viel minderem Nachdruck begehrt. Endlich muß Widerwillen gegen jede Steigerung eintreten.

Was die feineren Bedürfnisse anbelangt, diejenigen, welche entstehen, sobald die Notdurft des Lebens gesichert ist, so gilt auch von ihnen dasselbe Gesetz, nur ist es der gemeinen Beobachtung minder auffällig, ja der Anschein ist sogar dagegen. Die Bedürfnisse des Reichtums scheinen die Umkehrung von denen der Armut zu sein. Diese sind dringend, aber eng abgegrenzt, jene sind entbehrlich, aber wenn sie sich regen, so zeigen sie sich vielfältig und ausgedehnt; vielfältig, indem sie vom Ursprung an reich an Arten sind und sich dann noch immer reicher entwickeln, wobei immer eins das andere erweckt, und ausgedehnt, indem sie häufig Objekte von großem Umfang betreffen, um so größer, je verfeinerter die Bildung ist. Daher könnte man wohl meinen, diese Bedürfnisse seien ohne Grenzen und ohne Abnahme. Man prüfe aber nur einmal genau, wie sich die Menschen verhalten, wenn ohne Abwechslung eben derselbe Akt des Genusses öfters wiederholt wird, eben derselbe und nicht etwa ein ergänzender oder ein verwandter; und man wird finden, daß auch hier Müdigkeit und Überdruß die letzte Folge ist. Die Lust eiens Sammlers scheint unersättlich zu sein, und in der Tat hat sie ein Objekt von ungemeinem Umfang, selbst wenn sie auf einen einzigen Artikel eingeschränkt ist. Wer z. B. Bücher oder wer Bilder sammelt, bedarf eines großen Vermögens und wird doch seiner Lust nicht völlig Genüge tun können. Jedes neuerworbene Buch steigert sein Verlangen, statt es abzuschwächen, und das nicht aus einer krankhaften Übertreibung, sondern mit guten Recht, weil es ihn seinem Ziel näher bringt, eine vollständige Bibliothek, eine vollständige Galerie zu besitzen. Wie aber, wenn ihm ein Duplikat eines Werkes, das er schon einmal hat, zum Kauf angeboten wird? Dies allein ist der Fall einer genauen Wiederholung, einer nochmaligen Befriedigung desselben Antriebes, wie schon GOSSEN bemerkt; und hier wird ohne Zweifel das Verlangen sehr beträchtlich gemindert, vielleicht ganz beschwichtigt sein. So wird man es immer finden, wenn man die Untersuchung genau auf den identischen Gegenstand richtet. Selbst Bedürfnisse, wie das nach Macht oder das nach Wissen, selbst die Herrschsucht, der Ehrgeiz und der Erkenntnisdrang sind von der behaupteten Regel nicht ausgenommen. Die Summe dessen, was sie verlangen, wenn sie auf das Äußerste gespannt sind, ist unermeßlich, keines Menschen Leben noch Kraft reicht aus, um sie auch nur ein einziges Mal bis zur Neige zu befriedigen, geschweige denn um den Genuß zu wiederholen, aber die einzelnen Akte, aus denen sich die ganze Summe zusammensetzt, die einzelnen Erfolge, Machtausübungen und Erkenntnisse sind wiederholbar und ihrer wird man müde; das eben ist der Reiz des Ganzen, daß man den Wechsel des Einzelnen hat. Nichts Irdisches ist derart, daß man unverwandt genießend in seine Anschauung versinken möchte. Das gilt von allen Regungen, vom Hunger bis zur Liebe.


§ 4. Die Sättigungs-Skalen

Bezeichnen wir die Sättigung eines Bedürfnisses verfolgend, jeden Akt der Befriedigung mit dem ihm zukommenden Wert, so erhalten wir eine abnehmende Skala, deren Nullpunkt bei voller Sättigung erreicht ist, während der Höhepunkt dem ersten Akt der Befriedigung zukommt. Hätten wir ein allgemeines und exaktes Maß für Lust und Unlust, so vermöchten wir die Sättigungs-Skala aller Bedürfnisse in Ziffern auszudrücken und miteinander zu vergleichen. Doch davon sind wir weit entfernt. Immerhin vermögen wir aber mit Bestimmtheit zu erklären, daß zwischen den einzelnen Skalen große Ungleichheiten bestehen. Nicht nur die Höhepunkte sind verschieden, ja außerordentlich verschieden - wie jedermann zur Genüge aus seiner Erfahrung weiß - sondern auch die Abstufungen von einem Akt zum nächsten wechseln. Manche Bedürfnisse springen von den höchsten Graden der Erregung in wenigen Sätzen bis zur vollen Sättigung - so die groben Lebensbedürfnisse - andere, obschon niedrig beginnend, halten sich lange mit fast unmerklicher Abschwächung in Kraft, wie sehr viele feinere Bedürfnisse. Selbst für das einzelne Bedürfnis ist die Abnahme häufig ungleichmäßig, sie ist bald zu Anfang, bald zu Ende der Skala langsamer. Nicht im mindesten darf man erwarten, daß jede Skala alle Grade aufweist, die im Begehren überhaupt unterschieden werden. Gesetzt, es ließen sich im Ganzen 100 Grade der Intensität des Begehrens unterscheiden, so wird man gewiß keine einzelne Skala finden, die genau alle 100 Grade zeigt, jede wird den einen oder den anderen oder selbst viele Grade überspringen, ja man wird vielleicht keine Skala finden, die mit Regelmäßigkeit z. B. immer von 10 zu 10 Graden überspringt, sondern die einzelnen Skalen werden wohl alle irgendwie unregelmäßig gebildet sein. Reihen wie  100-90-80-100-0  oder wie  20-14-5-4-3-2-1-0  usw. werden es sein, die sich zeigen.

Diese Betrachtung, so roh und unvollkommen sie auch ist, wird sich in der Folge aber als sehr fruchtbar erweisen. Wir werden an mehreren wichtigen Stellen auf sie zurückzugreifen haben. Schon jetzt eröffnet sie uns eine  erste  Aussicht, wie eine der fundamentalenn Schwierigkeiten des Wertproblems wohl gelöst werden könnte, diejenige nämlich, welche durch die Beobachtung des Gegensatzes von Wert und Nützlichkeit gegeben ist.

Wenige Worte werden das klarer machen.

Eine Bedürfnisregung, welche einer sehr wichtigen Bedürfnisart zugehört, kann gleichwohl selber von sehr geringer Wichtigkeit sein. Die Wichtigkeit der ganzen Art bemißt sich eben nach dem Maß der ganzen Sättigungs-Skala, vornehmlich nach dem Maß der obersten Grad derselben, dagegen bemißt sich die Wichtigkeit der einzelnen Regung nach einem bestimmten, vielleicht sehr tief gelegenen Punkt der Skala, mit Rücksicht auf den jeweils bereits erreichten Stand der Sättigung. Das Bedürfnis nach Nahrungsmitteln ist seiner Art nach wichtiger als das nach Gegenständen des Schmuckes oder Putzes, nichtsdestoweniger werden einzelne Regungen des Nahrungstriebes bei genügender Sättigung den Regungen der Eitelkeit, wenn sich diese in ihren ersten Befriedigungen gefällt, weitaus nachstehen.

Den Bedürfnisarten entsprechen die  Güterarten  und dem Urteil über die Wichtigkeit der ersteren entspricht das über die  Nützlichkeit  der letzteren. Das  einzelne  Gut braucht aber die Nützlichkeit seiner Gattung so wenig zu verwirklichen, als die einzelne Bedürfnisregung die Wichtigkeit der ihrigen. Das Nahrungsmittel, welches von einem schon fast Gesättigten verzehrt wird, gibt nur mehr einen gering geschätzten Nutzen, obwol es die Eigenschaften in sich hat, um von der Pein des Hungers zu erlösen. Wenn man eine genügend große Menge von Gütern höchster Nützlichkeit besitzt, wird man einige von ihnen nicht anders als mit sehr geringem  Nutzen  verwenden können, ja, wenn man Überfluß hat, wird man von dem Teil des Vorrats, der über den Bedarf hinausgeht, gar keinen Nutzen haben.

In der Wirtschaft kommt es nicht bloß auf die Art der Bedürfnisse und Güter, sondern immer auch auf den jeweiligen Stand der Sättigung, bzw. des Vorrates an. Folgerichtig beurteilt man die Güter nicht einfach auf ihre Nützlichkeit hin, sondern auf den im Einzelnen erzielbaren Nutzen - und folgerichtig muß sich der Güterwert  mindestens  so weit von der Nützlichkeit entfernen, als sich der tatsächliche Nutzen von ihr entfernt.


§ 5. Der Grenznutzen

Selbst dort, wo die Natur mit ihren Schätzen am freigiebigsten ist, sind die Menschen doch nur in wenig Güterarten bis zum Überfluß versorgt, so daß sie alle selbst die geringfügigsten Regungen der Bedürftigkeit befriedigen könnten. In aller Regel sind die verfügbaren Gütervorräte so knapp, daß man mit der Befriedigung auf einem Punkt der Sättigungs-Skala, der vor der vollen Sättigung liegt, abbrechen muß. Der Grad, bei dem man, die vollste überhaupt durchführbare Ausnützung der Güter vorausgesetzt hat, abzubrechen genötigt ist, der  geringste noch erreichbare Nutzen  ist für den Akt der Wertschätzung, wie für die ganze Wirtschaft, von besonderer Bedeutung. Auf ihn bezieht sich die Bezeichnung "Wert des letzten Atoms" bei GOSSEN, "final degree of utility" oder auch "terminal utility" bei JEVONS und "intensité du dernier besoin satisfait" ("rareté") bei WALRAS. MENGER gebraucht keinen eigenen Namen. Ich habe ("Ursprung des Wertes", Seite 128) den Namen  "Grenznutzen"  vorgeschlagen, der seither auch mehrfach angenommen wurde.

Wo die Gütervorräte zu knapp sind, als daß alle Regungen des Begehrens befriedigt werden könnten, soll doch der notwendige Abbruch tunlichst gering gemacht werden. Das wird erreicht, indem man, mit der Beschwichtigung der intensivsten Regungen beginnend, den Umfang des Genusses möglichst weit ausspannt, oder mit anderen Worten, indem man  bei lückenloser Befriedigung einen möglichst tiefen Grenzpunkt des Genusses gewinnt.  Die Wirtschaftlichkeit fordert, den Grenznutzen in diesem Sinne so niedrig als möglich zu machen. Die Mittel zur Erreichung dieses Zieles sind einerseits möglichste quantitative Ausnützung der Güter und andererseits eine möglichst sorgfältige Auswahl ihrer Verwendungen dort, wo mehrfahe Verwendungen miteinander konkurrieren. Eine derartige Konkurrenz kann durch zweierlei Umstände gegeben sein, entweder durch das Vorkommen von  Gütern mehrfacher und vielfacher Nützlichkeit  oder durch die Anhäufung von  Vorräten,  die erst in  längeren  Zeiträumen aufgezehrt werden sollen. Im ersteren Fall handelt es sich darum, zwischen den einzelnen Formen der Verwendung zu wählen und das wirtschaftliche Gleichgewicht herzustellen, im zweiten Fall darum, die Güter möglichst angemessen auf die Bedürfnisse des ganzen Zeitraums aufzuteilen.

Bei  Gütern mehrfacher Nützlichkeit  kommt die Verschiedenheit der Sättigungs-Skalen der Bedürfnisse (§ 4.) zur Geltung. Jede Verwendungsart hat ihre eigentümliche Sättigungs-Skala, mit einem eigentümlichen Kulminationspunkt und einem eigentümlichen Verlauf. Dadurch wird die Bestimmung des Grenznutzens im gegebenen Fall zu einer sehr verwickelten Sache. Die Regel der Bestimmung ist am besten an einem Beispiel klar zu machen. An Beispielen fehlt es nicht. Güter mehrfacher Nützlichkeit sind überaus häufig. Die wichtigsten finden sich unter den Produktivmitteln. Wer vermöchte die Dienste aufzuzählen, die Eisen, Holz oder Kohle zu leisten imstande sind? Oder gar diejenigen, zu denen die menschliche Arbeit geeignet ist? Das vielseitigste Gut in jedoch das Geld, es kann durch Umtausch in so ziemlich allen Bedürfnissen dienstbar gemacht werden. An keinem anderen Gut kann man eine so deutliche Vorstellung von der Idee des Grenznutzens gewinnen, ich benütze es daher als Beispiel, wenngleich die Nützlichkeit des Geldes eine mittelbare ist, die den Tausch voraussetzt, von welchem erst im folgenden Abschnitt gehandelt werden soll.

Das Geldeinkommen selbst des Reichsten reicht gewöhnlich nicht aus, um alle gewünschten Ausgaben zu decken. Wirtschaftlicherweise wird man daher, um - wie GOSSEN sagt -"ein Größtes an Genuß zu bereiten", die Ausgaben so einteilen müssen, daß man von den dringendsten Bedürfnissen an möglichst weit, bis zu möglichst geringen Befriedigunen herab gelangt. Je größer das Einkommen ist, umso tiefer heraub wird man reichen, um so später braucht der Genuß abgebrochen zu werden. Das "Größte an Genuß" könnte aber nicht bereitet werden, wenn man nicht die einzelnen Ausgabezweige gegeneinander gehörig abwägen würde. Nirgends darf die Grenze überschritten werden, die durch den allgemeinen Stand der Vermögensumstände gesteckt ist, in denen man sich befindet. Jede Überschreitung in einem Posten muß durch eine Entbehrung in einem anderen gebüßt werden, die, weil sie durch einen höheren Grad auf der Bedürfnisskala bezeichnet ist, ein größeres Opfer auferlegt als der Genuß war, den jene verschaffte. Man kann insofern ganz gut von einem  "Haushaltungsniveau"  sprechen, von einem allgemeinen Stand der Lebenshaltung, der jedem Haushalt durch die eigentümlichen Größen seines Bedarfs und seiner verfügbaren Mittel vorgeschrieben ist und in allen Zweigen festgehalten werden muß. Nur wäre es ein Irrtum - den aber fast alle Schriftsteller begangen haben, welche sich mit dieser Materie beschäftigten, insbesondere auch JEVONS - zu glauben, daß in allen Ausgabezweigen jeweils ganz genau der gleiche Grad der Befriedigung, das gleiche Niveau, der gleiche Grenznutzen festgehalten werden muß. Das ist wider die Natur der Bedürfnisse, die keineswegs alle eine gleichmäßige, sondern jedes eine eigentümliche Sättigungsskala haben. Wäre das Haushaltungsniveau so zu verstehen, so müßte jede Einkommensvermehrung, die jemand gewinnt, sich in allen Ausgabezweigen seiner Wirtschaft gleichmäßig durch eine entsprechende Ausdehnung derselben bemerkbar machen; in der Tat aber sind es immer nur einzelne Ausgaben, die erweitert werden, während die anderen auf ihrem alten Stand bleiben, oder wenn schon das Einkomen um so viel gesteigert wurde, daß alles aufgebessert werden kann, so ist doch die Aufbesserung in den einzelnen Zweigen sehr ungleichmäßig. Die Sättigungsskalen der Bedürfnisse sind eben verschiedenartig, die Aufnahmefähigkeit des einen ist groß, die des anderen vergleichsweise gering, d. h. das eine gibt einen Ausschlag für Intensitätsgrade, bis zu welchen das andere nicht reicht oder die es überspringt. Die Regel, der wirtschaftlichen Verwendung von Gütern mehrfacher Nützlichkeit ist nicht, in allen Verwendungen den gleichen, möglichst geringen Grenznutzen zu gewinnen, sondern sie geht dahin, in jeder Verwendung den geringsten Grenznutzen zu gewinnen, der noch erreicht werden kann, ohne daß deswegen in einer anderen Verwendung ein höherer Nutzen entbehrt werden müßte.

Was die Bewirtschaftung von  Gütervorräten  anbelangt, die auf  längere Zeit  ausreichen sollen, so ist die Vorschrift ganz ähnlich. Man soll nicht durch vorzeitigen übermäßigen Genuß sich für die Zukunft unnötige Entbehrungen auferlegen. Am besten wäre es, den Genuß auf die ganze Zeit gleichmäßig zu verteilen, dies wird aber häufig durch die Natur der Güter, die eine längere Aufbewahrung nicht zuläßt, sowie durch die Unsicherheit in der Vorausbestimmung der Wechselfälle in der Wirtschaft unmöglich gemacht. So soll die Grenze der Verwendung jeweils derart gewählt werden, daß die größte Ausnützung im Ganzen wahrscheinlich wird. (12)

Eine sonderbare Frage drängt sich hierbei auf: Sind gegenwärtige und zukünftige Befriedigungen denn überhaupt grundsätzlich gleich zu achten? Ist nicht der Vorrang in der Zeit auch ein solcher im Grad der Wichtigkeit? Stehen nicht mit Recht die Genüsse umso weiter zurück im Wert, je entfernter sie im Dunkel der Zukunft liegen? JEVONS hat die Frage bejaht, ebenso seither - zum Teil mit noch größerer Entschiedenheit - noch mehrere andere Autoren, wie ich glaube mit Unrecht. Eine genaue Untersuchung läßt sich füglich nicht umgehen, wenn sie uns auch etwas von der Erfüllung unserer nächsten Aufgabe, der Ableitung des elementaren Wertgesetzes, zurückhält.
LITERATUR - Friedrich von Wieser, Der natürliche Wert, Wien 1889
    Anmerkungen
    1) Auch KARL RAU mit seinem "konkreten Gebrauchswert" zählt hierher. Merkwürdig ist eine Abhandlung des Mathematikers DANIEL BERNOUILLI, "Specimen theoriae novae de mensura sortis", 1738. BERNOUILLI behauptet es als  valde probabile, lucrulum quodvis semper emolamentum afferre summae bonorum reciproce proportionale.  Er besitzt die volle Kenntnis des subjektiven Charakters des Wertes, sowie des wichtigsten Gesetzes des Wertwechsels. Seine Arbeit ist nach einem Auszug, der sich in einem anderen Werk findet, von JEVONS zitiert. Ich verdanke die Einsicht des Originals der Liebenswürdigkeit Prof. MENGERs. Die von JEVONS besproche Schrift DUPUITs, De l'influence des Péages, 1849, konnte ich nicht in die Hand bekommen.
    2) HERMANN HEINRICH GOSSEN, Entwicklung der Gesetze des menschlichen Verkehrs und der daraus fließenden Regeln für das menschliche Handeln, Braunschweig 1854.
    3) WILLIAM STANLEY JEVONS, zuerst in einer 1862 veröffentlichten Notiz und dann ausführlich in der "Theory of Political Economy, London 1871, 2. Auflage 1879.
    4) CARL MENGER, Grundsätze der Volkswirtschaftslehre, Wien 1871
    5) LÉON WALRAS, Elément d'économie politique pure ou Théorie de la richesse sociale, Lausanne 1871 - 77 und Théorie mathématique de la richesse sociale, Lausanne 1883, sowie Théorie de la monnaie, Lausanne 1886.
    6) NICOLAAS PIERSON, Leerboek der staathuishoudkunde, Haarlem 1884
    7) CHARLES GIDE, Principes d'économie politique, Paris 1884
    8) WILHELM LAUNHARDT, Mathematische Begründung der Volkswirtschaftslehre, Leipzig 1885
    9) FRIEDRICH von WIESER, Über den Ursprung und die Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes, Wien 1884
    10) EUGEN von BÖHM-BAWERK, Grundzüge der Theorie des wirtschaftlichen Güterwerts, Jahrbücher für National-Ökonomie und Statistik, Neue Folge, Bd. XIII, Jena 1886
    11) EMIL SAX, Grundlegung der theoretischen Staatswirtschaft, Wien 1887
    12) Siehe hierzu WIESER, Ursprung des Wertes, Seite 146f und SAX, a. a. O., Seite 371f.