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OTTO von der PFORDTEN
Versuch einer Theorie
von Urteil und Begriff

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    I. Einleitung
II. Vorstufe des Urteils
III. Impersonalien und Existenzialsätze
IV. Wesen des Urteils
V. Gültigkeit - Definition
VI. Frage - Negation
VII. Eindruck und Begriff
VIII. Beschreibung und Erklärung

"Das Urteil ist das Bewußtsein über die objektive Gültigkeit einer subjektiven Verbindung von Vorstellungen; Dadurch scheidet sich das Urteil von den Kombinationen geistreicher und witziger Vergleichung und ebenso von den bloßen Vermutungen, Meinungen, Wahrscheinlichkeiten."


II. Vorstufe des Urteils

Von den in der Einleitung kurz skizzierten Ideen lege ich den Hauptwert auf die klare Feststellung einer Vorstufe des Urteilens auch für die Logik. Nicht als sei das etwas absolut Neues; im Gegenteil soll dieser Abschnitt zeigen, daß ein großer Teil der Philosophen diese Auffassung teils halb ausspricht, teils vorbereitet und nur nicht voll zum Ausdruck bringt.

Offen steht die Untersuchung ihrer Richtigkeit vom rein psychologischen Standpunkt, eventuell durch das Experiment. Nur glaube ich nicht, daß dieses etwas anderes ergeben wird, als sich im Bewußtsein des Menschen schon seit langem kund getan hat. Allgemein geläufige Sätze, wie: "Ich habe mir  noch  kein Urteil gebildet, kann mir  noch  kein Urteil erlauben" sprechen dafür. Solche Fassungen sich oft wiederholender psychischer Tatsachen scheinen mir die Bedeutung einer  Gesamtselbstbeobachtung  zu besitzen und ebensoviel wissenschaftlichen Wert zu haben als einzelne Selbstbeobachtungen. Sie geben dem deutlichen Bewußtsein Ausdruck, daß man denken kann, ohne gleich zu urteilen, (1) und daß nicht jede Kombination usw. schon ein Urteil genannt werden darf. Und das sollte als beweiskräftig gelten.

In die logische Literatur ist diese Frage erst durch die psychologische Verfeinerung gekommen. Die folgende Übersicht ist von dem Gesichtspunkt geleitet, die Stellung der wichtigsten Theoretiker dazu zu besprechen. Dies für die ganze große Literatur über die Urteilstheorie durchzuführen, scheint mir ein nutzloses Unternehmen und ich glaube zudem, daß sich manche Logiker anders zu dieser Frage stellen würden, nachdem sie einmal scharf in den Vordergrund gerückt ist, als sie dies vorher taten, wo andere Gesichtspunkte der Urteilstheorie ihre Aufmerksamkeit vorwiegend in Anspruch nahmen.

Dies scheint mir sogar bei WUNDT (2) der Fall zu sein. Denn er definiert das Urteil als "eine Zerlegung einer Gesamtvorstellung in ihre Bestandteile". In der 1. Auflage hieß es an dieser Stelle "Zerlegung eines Gedankens"; ganz wie auch in der 2. Auflage, Seite 158 "Gedanken in ihre begrifflichen (3) Bestandteile zerlegt werden". Der "Gedanke" ist eben die Vorstufe des Urteils; WUNDT betont das nicht, weil er von psychologischen Gesichtspunkten aus den Hauptwert auf die Ansicht legt, das Urteil verbinde nicht Begriffe oder Vorstellungen, sondern scheide aus einer einheitlichen Vorstellung Begriffe aus. Wenn man etwas vereinigen will, muß man es vorher getrennt haben; aber diese Trennung ist eine unbewußte Tätigkeit, die sich nicht in Worten äußert noch äußern kann und darum der Psychologie zufällt. Für die Logik kommt nur das wiedervereinigende Feststellen im Urteil in Betracht; das Trennen ergäbe lose und zwecklose Gedankenfetzen. Deren kann man aus einer Gesamtvorstellung  beliebig viele  absondern; zwei (oder mehr) davon verbindet das Urteil wieder zu einer Einheit.

Das Trennen von irgendetwas zuerst einheitlich Erfaßtem in eine Zweiheit ist nichts dem Urteil Eigentümliches, sondern eine primäre, elementare, unbewußte Funktion der menschlichen Anlage. Der einfachste Fall ist die schon zu jeder  Anschauung  nötige in das "Ich" und das Angeschaute. Höchst charakteristisch dafür ist auch die Redensart: "Bis  drei  zählen können." Bis zwei  zählt  man nicht, das ist eine weit primitivere Funktion; erst von drei ab muß man zählen; die Dreizahl ist nicht mehr ganz ursprünglich.

Während also mit WUNDTs Darstellung die Annahme einer Vorstufe des Urteilens nicht ganz unvereinbar erscheint, schließen die extremen Psychologisten eine solche völlig aus, denn Gedanke und Urteil fällt ihnen (nicht immer gleich scharf ausgesprochen) in eins zusammen. Aus der Logik des Vaters dieser Richtung, JOHN STUART MILL (4), ist freilich wenig für diese Frage zu gewinnen. Die ganze Entwicklung aus "Namen" und "Sätzen", dann Aufstellungen, wie diese "ein Satz ist ein Abschnitt der Rede, in dem ein Prädikat von einem Subjekt bejahend oder verneinend ausgesagt wird" (Seite 69), mutet eher grammatikalisch als logisch an; die Polemik (Seite 79f) gegen die früheren Logiker ist geradezu naiv realistisch. Die Bedeutung dieses Buches liegt in anderen Fragen und Gesichtspunkten.

Auch aus HERMANN LOTZEs (5) "Logik" ist Wesentliches für diese Urteilstheorie nicht herauszulesen, als daß er von der Annahme einer Vorstufe nicht weit entfernt erscheint, wenn er z. B. sagt: "eine bestimmte Beziehung zwischen  S  und  P  ... denken wir uns durch ein Urteil:  S  ist  P  als einen  noch fraglichen Gedanken  ausgedrückt; diese Beziehung bildet den Gedankeninhalt, über den zwei ... Nebenurteile gefällt werden" usw. Man darf das noch Fragliche eben nicht "Urteil" nennen, sonst dreht man sich ewig im Kreis.

Wesentlich neue Gesichtspunkte bringen BRENTANO (6) und BERGMANN. (7) Sie betonen hauptsächlich psychologische und ethische Gesichtspunkte und stellen sie in den Vordergrund der Urteilstheorie. BRENTANO mit noch mehr Berechtigung, da er ja eine "Psychologie" schrieb; das auf derselben Basis geplante Werk über Logik ist nie erschienen. Er trennt zunächst scharf Vorstellung und Urteil, worin ihm (z. B. gegen LIPPS, siehe später) nur beizustimmen ist; dann aber soll (Seite 292f) mit  Liebe  und  Haß  eine neue Gattung von Intensität zu den Vorstellungen hinzukommen und mitbestimmend für das Wesen des Urteils sein.

Noch weit schärfer rückt BERGMANN die psychischen Momente an erste Stelle. Nachdem er (Seite 1; dann Seite 29) das Denken dem Urteilen gleichsetzt und man daher gar keine normativen Bestimmungen mehr erwartet, beginnt dann eine Belastung des Begriffs "Urteil" mit verschiedenen Beziehungen, die in den Sätzen gipfelt: "Das Urteilen ist ein  kritisches Verhalten  gegen eine Vorstellung, eine Reflexion auf ihre Geltung ... es ist eine Äußerung der Seele, an welcher ihre praktische Natur, das  Begehrungsvermögen,  beteiligt ist": In einer "reinen" Logik eine auffallende Definition.

Eine dritte Auffassungsweise, WINDELBANDs (8) Theorie der  Beurteilungen,  scheint mir durch die Polemik SIGWARTs (9) genügend beleuchtet, um eine Diskussion hier zu erübrigen. Meine Auffassung berührt sich in vielem mit der WINDELBANDs; allein Kombination und problematisches Urteil ist nicht dasselbe.

Die scheinbar entstehenden Schwierigkeiten, die sich aus dem Hereinziehen solcher Gesichtspunkte in die Logik ergeben, lassen sich beseitigen, wenn man prinzipiell festhält, daß die "praktische Natur", das "Begehrungsvermögen", der "Wille zur Wahrheit" - kurz die Betrachtung des Urteilens von seiten des Fühlens, Wollens und Strebens in die Psychologie bzw. Ethik gehört. Für die Logik kommt nur das  Resultat  in Betracht und dieses kann nur ein  Grad von Gültigkeit  sein, den der Urteilende seinen Urteilen zu verleihen begehrt. Es muß daher die Frage nach der Gültigkeit der Urteile speziell erörtert werden, wie ich das im fünften Abschnitt tun will.

Jedenfalls aber liegt hier ein wichtiges Argument für eine  Vorstufe  des Urteilens vor; alle, die den Willensakt beim Urteil betonen, geben diesem etwas  Normatives  (10) und scheiden es von anderen Formen des Denkens. Nur ist diese Konsequenz von den Verfassern nicht gezogen worden, wie auch nicht in den kurzen Grundzügen der Logik von LIPPS (11).

Der konsequent psychologistische Standpunkt kennzeichnet sich gleich (Seite 2) durch die Auffassung der Logik als einer  psychologischen Disziplin;  dann durch die erste Definition des Urteils (Seite 19) als "das Bewußtsein der objektiven Notwendigkeit" usw. Sobald man den Terminus "Bewußtsein" nicht nur als erklärendes Moment, sondern als Hauptprädikat verwendet, hört die Selbständigkeit der Logik auf. Später aber gelangt LIPPS zum Begriff  "Vorstufen des Urteils"  (Seite 31) worunter er die Fragen und die verschiedenen Stufen der Vermutung versteht. Im Gegensatz dazu stellt er das fertige oder eigentliche (logische) Urteil. Es gehört nur noch ein Schritt dazu, eben  nur  dieses eigentliche, logische Urteil "Urteil" zu nennen, um volle Klarheit zu gewinnen, die LIPPS wieder verwischt, wenn er gleich am Anfang seines Abschnittes über das Urteil (Seite 16: "also jedes ... Objektivitätsbewußtsein") doch wieder Denken und Urteilen gleichbedeutend nimmt.

Aber auch eine vom rein psychologischen Standpunkt aus unternommene Untersuchung des Urteils durch SCHRADER (12) führt zu verwandten Annahmen. So wenn er (Seite 15) sagt: "In der Entwicklung des Urteils ... können  früher bewußte  Prozesse jetzt unbewußt geworden sein." Das wird bei der Vorstufe, den Gedanken oder Kombinationen sehr häufig der Fall sein; man urteilt oft sofort,  muß  dies aber nicht gleich und immer tun. Dann (Seite 65) "ein Gedanke, den man vernünftigerweise  noch nicht  zum Urteil fixiert"; (Seite 85) "die einfachste Form des kritischen Denkens liegt zwischen völliger Annahme und völliger Verwerfung in der Mitte". Kombination. (13)

Als Hauptvertreter einer Richtung der Logik, welche die psychologische Forschung zwar mit vollster Vertiefung benutzt, aber doch ihr die eigene Tätigkeit nicht  unter ordnet, erscheint CHRISTOPH SIGWART (14). Er ist keineswegs gemeint, Denken und Urteilen gleichzusetzen, sondern verlangt für die Definition des Urteils  mehr,  als die bloße Verknüpfung von Vorstellungen (oder Begriffen). Ich komme darauf bei der Gültigkeitsfrage zurück. SIGWART weiß sich in Übereinstimmung mit ÜBERWEG (15), der so definiert: "Das Urteil ist das Bewußtsein" (besser der Ausdruck des Bewußtseins!) "über die objektive Gültigkeit einer subjektiven Verbindung von Vorstellungen"; und fährt fort: "Dadurch scheidet sich das Urteil von den ... Kombinationen geistreicher und witziger Vergleichung ... und ebenso von den bloßen Vermutungen, Meinungen, Wahrscheinlichkeiten".

Letztere können wegbleiben, denn Vermutungen sind die Formulierung von Wahrscheinlichkeiten; mit der Erwähnung des  Witzes  usw. streift SIGWART an dieser einzigen Stelle ein Gebiet (16), dem sonst alle Logiker vielleicht mit Unrecht weit aus dem Weg gehen. Es ist sehr geeignet, der Identifizierung von Denken und Urteilen den Boden zu nehmen.

Leider hält SIGWART an dieser ursprünglichen klaren Trennung nicht fest. Schon bei der Erörterung der Frage (§ 19, Seite 153) wird  das  wieder ein Urteil genannt, was noch keines ist: "das Urteil ist fertig konzipiert, aber es bedarf noch des Siegels der Bestätigung"; und in § 20 (Seite 155) hören wir auf einmal von einem "versuchten" Urteil. Wie sich ein solches von einer Vermutung unterscheiden soll, wird nicht gesagt; nach SIGWARTs und jeder Definition, die dem Urteil ein normatives Element zuspricht, kann es ein versuchtes Urteil niemals geben. Es ist eben lediglich eine Gedankenkombination, die aber SIGWART als Vorstufe des Urteils schroff ablehnt. Dennoch erscheint (Seite 159) gar der bloße  Gedanke:  "denn eben dieser Gedanke, den ja auch die Frage enthält, wird für falsch erklärt". In § 31 erfahren wir von einem "Stadium zwischen Synthese und Urteil" (die Frage) und in § 35 von einem "Stadium des Denkens, das zwischen Frage und Entscheidung liegt." (Hypothetisches und disjunktives Urteil. (17)

Diesen Widersprüchen, die eine Reihe unangenehmer Konsequenzen haben, entgeht man nur, wenn man sich entschließt, mit der Annahme einer geistigen Vorstufe des Urteilens Ernst zu machen. (18)

Eine Ergänzung zu SIGWART, besonders nach der  grammatikalischen  Seite, bietet BENNO ERDMANNs Logik. Im Zusammenhang mit dieser Grundrichtung wird die "Prädikation" als das Wesen des Urteils hervorgehoben und das Normative der ganzen Logik besonders betont. Diese Auffassung steht und fällt mit der (psychologisch vielleicht kontrollierbaren) Behauptung, daß alle Urteile "Aussagen" sind. Da ich für die Definition immer das einfachste Urteil im Auge behalte, habe ich angenommen, daß es auch Urteile ohne Sprache gibt und gehe nicht vom vollendeten Idealurteil aus, sondern von den elementaren psychischen Vorgängen. Faßt man die  ganze  Logik von vornherein normativ, so bleibt für das Urteil jedenfalls auch ein normativer Bestandteil wesenhaft; die "Prädikation" besitzt dann eo ipso [ganz von selbst - wp] Gültigkeit (Seite 6f) und die psychologische Gleichstellung von Denken und Urteilen ist bei ERDMANNs Auffassung unmöglich, wenn er sie auch nicht ausdrücklich abweist.

Wenn er aber (Seite 265) eine "vergleichende Wahrnehmung ohne Worte, also auch ohne Urteile" postuliert, so ist damit auch eine Art  Vorstufe  des Urteils gegeben, die auf die Kombination hindeutet. Jedenfalls erleichtert die Annahme dieser, als nicht nur "nicht häufig", sondern immer dem Urteil vorhergehend, die Begründung einer Urteilstheorie, die diese Vergleichung nicht als das Wesen des Urteils faßt.

Ebenso scheint mir seine Theorie des "Allgemeinen", die an die Stelle der Begriffslehre tritt, den "Individualbegriff" prinzipiell auszuschließen (Abschnitt VII), wenn er auch (Seite 87f) nicht ausdrücklich abgewiesen wird. Da aber der Terminus "Begriff" wohl nicht aus der Logik zu vertreiben sein wird, so interessant seine Umbildung in die Vorstellung des Allgemeinen auch ist, so halte ich es dennoch für nötig, den Individualbegriff ausdrücklich für unmöglich zu erklären und jedenfalls mit ERDMANN (19) das Allgemeine der Begriffslehre zugrunde zu legen.

Damit ist schon auf den Inhalt der letzten beiden Abschnitte übergegriffen, an deren Anfang noch einige Literaturhinweise gegeben sind; die übrigen sind in Anmerkungen im Text verstreut. Die Fragen der Begriffsbildung greifen so tief in die Kontroversen auf allen logischen und erkenntnistheoretischen Gebieten ein, daß eine Literaturübersicht auch hierzu zweifellos zu weit führen würde.

LITERATUR - Otto von der Pfordten, Versuch einer Theorie von Urteil und Begriff, Heidelberg 1906
    Anmerkungen
    1) Vgl. auch HEINRICH RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, 2. Auflage, Tübingen 1904, Seite 90 (Das Töne-Beispiel).
    2) WILHELM WUNDT, Logik I, Erkenntnislehre, 2. Auflage, Seite 156. - Seine speziellen Ausführungen, z. B. über die Entwicklung des Gedankenverlaufs, Verkettung der Gedanken können teilweise auch herangezogen werden, bleiben jedenfalls bestehen, auch wenn man festhält, daß Gedanken noch keine Urteile sind.
    3) Daß nach meiner Auffassung nicht schon "Begriffe" beim einfachsten Urteil in Frage kommen, da ja Begriffe erst durch Urteile entstehen, ist klar. Ich komme darauf im VII. Abschnitt nochmals zurück.
    4) JOHN STUART MILL, Gesammelte Werke (Hg. GOMPERZ) 2. Band, System der Logik - Die Schwierigkeiten der Terminologie häufen sich, durch die Blutsverwandtschaft von Logik und sprachlichem Ausdruck, beim Hereinziehen fremdsprachlicher Werke; dies zeigt evident die vielfache Polemik bei SIGWART, WUNDT, BERGMANN gegen MILL und BAIN. Ehe nicht eine Kommission internationale Definitionen aufgestellt hat, wird man sich besser auf die eigene Sprache beschränken, in der die Begriffe schon ohnehin schwankend genug sind.
    5) HERMANN LOTZE, Logik, § 40
    6) FRANZ von BRENTANO, Psychologie I, Seite 266f
    7) JULIUS BERGMANN, Reine Logik I, Seite 46f
    8) WILHELM WINDELBAND, Präludien, 2. Auflage, Seite 33. - Nahe steht auch RIEHL, Beiträge zur Logik, Seite 15f, wenn er z. B. sagt: "Der eigentliche Akt des Urteilens tritt zur Vorstellung, über die er ergeht, hinzu."
    9) CHRISTOPH SIGWART, Logik I, 3. Auflage, § 20, Seite 160, Anmerkung
    10) Das tun auch alle, die die  evidenten  Urteile in den Vordergrund stellen; sie müssen besonderen Wert darauf legen.
    11) THEODOR LIPPS, Grundzüge der Logik, 1893
    12) ERNST SCHRADER, Psychologie des Urteils, Leipzig 1903. Sein experimentelles Beispiel: "Dame-Arbeitsmann" fügt sich meines Erachtens völlig ungezwungen meinem Schema ein; zuerst wird eine Bewegung (Farbe) fixiert, dann ein Subjekt kombiniert; zuerst falsch, dann richtig usw.
    13) Interessant ist ferner, daß eine andere, neuere rein psychologische Arbeit (KARL MARBE, Untersuchungen über das Urteil, Leipzig 1901) zu der Behauptung führt: "Unsere logischen Untersuchungen werden niemals geeignet sein, die logischen Probleme  direkt  zu fördern" und "die Logik wird sich daher künftig so unpsychologisch als möglich zu gestalten haben". Das geht wohl zu weit und gilt nur für z. B. HUSSERLs "reine" Logik; aber es ist von Wert, daß man sich bei einem Versuch, Psychologie und Logik schärfer gegeneinander abzugrenzen, als dies bisher geschah, auch auf die Ansicht eines Psychologen berufen kann. Siehe auch RICKERT, Gegenstand der Erkenntnis, Seite 94
    14) Ich zitiere die letzte, 3. Auflage, aber auch die Paragraphen, da sich in den meisten Händen die älteren Auflagen befinden dürften.
    15) CHRISTOPH SIGWART, System der Logik, § 67. - ÜBERWEG gibt an dieser Stelle eine Übersicht über die  Definitionen des Urteils  von PLATO bis LOTZE, auf die hiermit verwiesen sei.
    16) Ein anderes, dessen psychologische und logische Bearbeitung ein Desiderat wäre, ist das der Unwahrheit, bzw. der Lüge. Diese ruht teils auf Kombinationen, teils auf Urteilen; der sogenannte "Schwindel" oder das "Aufschneiden" z. B. auf Kombinationen. Vgl. auch Abschnitt VII, Anmerkung.
    17) Die in § 20, Seite 165 auftauchende  "versuchte"  Behauptung ist  keine  Vorstufe des Urteils. Definiert man eine Behauptung als ein zum Zweck der Diskussion aufgestelltes Urteile und trennt sie dadurch von diesem (wie auch SIGWART von § 31 an zweifellos tut), so ist die "versuchte" Behauptung sicher schon ein Urteil.
    18) Ich folgere das noch indirekt aus dem Versuch einer "monistischen" Logik, die MELCHIOR PALAGY unter dem Titel: "Die Logik auf dem Scheideweg", Berlin 1903, gegeben hat. Der Inhalt enttäuscht nach dem Titel, denn die verwirrende Einführung des Terminus "Ewigkeit" statt "Sein" (Seite 203: das Ewige oder das Seiende!) blendet zunächst, fördert aber nicht. Wenn er (Seite 146) sagt: "in die Definitionen der Logiker vom Urteil schleichen sich Ausdrücke ein, wie: bejahen, verneinen, beilegen, absprechen, verbinden, trennen, einsehen, verwerfen, aussagen, usw., die den Begriff des Urteils schon vorwegnehmen", so liegt die Sache wohl so, daß eben im  Wesen  des Urteils und darum auch in der Definition etwas von dem liegt, was alle diese Worte treffen wollen und ein einziges nur schwer genügend trifft. Dasjenige Denken, auf das die Worte  nicht  passen, ist eben noch kein Urteilen; alle diese Worte zielen auf die Gültigkeit und das Normative und schleichen sich nur ein, weil sie zu deren Fixierung erforderlich sind.
    19) BENNO ERDMANN, Logik I, Logische Elementarlehre, 1892