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THEODOR LIPPS
Philosophie und Wirklichkeit
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"Hierbei ist wiederum von vornherein klar: die Dinge werden nicht als aufeinander bezogene oder durch ihr eigenes Tun aufeinander sich beziehende  vorgefunden.  Sie werden auch nicht als Einheiten vorgefunden. Sondern  ich mache  sie zu Einheiten durch mein zusammenfassendes Tun. Und ich beziehe sie aufeinander und mache sie dadurch zu aufeinander bezogenen. Ich finde nicht in ihnen, etwa vermöge eines besonders feinen Mikroskops, da und dort ein verbindendes Band und hin- und herübergehende Fäden. Sondern  ich webe  das alles."

Es gibt eine Gefahr, welche die Philosophie und alle Wissenschaft vom Wirklichen in unseren Tagen, vielleicht mehr als je, bedroht, eine umfassende und darum besonders große Gefahr. Ich sage nicht, daß oder wieweit jemand hier oder dort dieser Gefahr unterlegen sei oder zu unterliegen im Begriff ist, ich rede nur davon, daß diese Gefahr besteht.

Diese Gefahr ist keine geringere als die des Verlustes des eigentlichen  Tatsachensinnes,  der Verschiebung oder Verrückung unserer Begriffe von dem, was wahrhaft Tatsache oder was letzten Endes  wirklich  zu heißen verdient.

Man hat in jüngster Zeit von einer Wiedergeburt der Philosophie gesprochen. Ich weiß nicht, ob diese Wiedergeburt sich vollzogen hat oder sich eben jetzt vollzieht. Nur das weiß ich: sie kann sich nur vollziehen, wenn diese Gefahr des Verlustes oder der Verschiebung des Tatsachen- oder des Wirklichkeitssinnes überwunden wird.

Ich erwähne ein Beispiel dieser Gefahr. Dinge sind, so sagt man, Komplexe von Empfindungen. Das ist wohl nur eine unbedachte und lässige Redewendung. Aber solche Redewendungen sollte man eben ein für allemal vermeiden. Wäre die Redewendung ernst gemeint, so würde sie den völligen Verlust des Tatsachensinnes bedeuten. Empfindungen sind Vorkommnisse in einem Bewußtsein; und dieses Bewußtsein ist jederzeit dieses oder jenes individuelle Bewußtsein. Ein Komplex von Empfindungen ist also ein Komplex von solchen Vorkommnissen in einem individuellen Bewußtsein. Wessen Empfindungen nun sind es, die man meint, das heißt, in welchem individuellen Bewußtsein sollen die Vorkommnisse, Empfindungen genannt, stattfinden, von denen dieses oder jenes bestimmte Ding vermeintlich ein Komplex ist. Es ist kein Zweifel: die sämtlichen hier etwa in Frage kommenden Empfindungen kommen und gehen und wandeln sich von Moment zu Moment. Es ist nur erforderlich, daß eines der Individuen seine Augen schließt oder seine Hände in eine neue Lage bringt und gewisse Empfindungen sind unweigerlich dahin. Und so können alle Empfindungen und Empfindungskomplexe, auch diejenigen, die man etwa mit einem bestimmten Ding identifizieren könnte, zu existieren aufhören. Ist nun auch dem Ding das Dasein genommen? Und wie steht es, wenn die Empfindungskomplexe in einem Individuum schwinden, in einem anderen bleiben? Wie ist es dann mit den Dingen bestellt?

Empfindungen wachsen nicht auf den Bäumen, sondern es bleibt dabei, sie kommen nur in einem individuellen Bewußtsein vor, als Empfindungen von jemand oder als Empfindungen eines Ich. Dinge dagegen wachsen allerdings eventuell auf Bäumen, z. B. solche Dinge wie Äpfel. Und wir alle meinen, wenn wir von einem Ding sprechen, etwas, das existiert, völlige unabhängig davon, ob dieses oder jenes Individuum diese oder jene Empfindungen oder Komplexe von solchen hat. Also meinen wir mit einem "Ding" etwas  anderes,  als einen Empfindungskomplex. Das hindert nicht, daß jemand erklären könnte, er wolle nun einmal das Wort "Ding" zur Bezeichnung dessen, was sonst Empfindungskomplex heißt, verwenden. Aber hier handelt es sich doch darum, was man  allgemein  unter einem Ding versteht.

Besser scheint es schon, wenn man sagt, ein Ding sei ein Komplex von Empfindungs inhalten.  Man bemerke zunächst einmal den Unterschied, Ein Empfindungsinhalt ist ein Inhalt einer Empfindung, also nicht die Empfindung, deren Inhalt er ist. Indessen auch die Rede, ein Ding sei ein Komplex von Empfindungsinhalten, trifft, wie jeder weiß, nicht zu. Empfindungsinhalte kommen nur als Inhalte von Empfindungen vor. Sie haben darum das gleiche Schicksal wie die Empfindungen. Derselbe Komplex von Empfindungsinhalten kann sich in vielen Individuen finden. Existiert dann das angeblich mit ihm identische Ding mehrfach? Und jeder der Empfindungskomplexe kann verschwinden, z. B. wenn alle die Individuen, in denen er vorkommt, zu schlafen beginnen. Wir aber verstehen nun einmal unter einem Ding etwas, das nicht durch das Einschlafen von Individuen seiner Existenz beraubt wird.

Schließlich wird die Sache entschieden besser, wenn man sagt, ein Ding sei ein Komplex von  Gegenstände unserer Empfindung. Solche Gegenstände unserer Empfindung oder unseres Empfindens sind etwa die Farbe, die Form, das Warm oder Kalt an einem Ding. Von diesen Gegenständen nehmen wir allerdings an, daß sie existieren, unabhängig davon, ob wir die entsprechenden Empfindungsinhalte haben. Und mögen viele Individuen einen und denselben Gegenstand der Empfindung, etwa dieselbe Farbe, Form, Temperatur eines Dinges empfinden, der Gegenstand der Empfindung bleibt doch, davon sind wir alle überzeugt, einer und derselbe. Und dieser eine und selbe Gegenstand bestände auch, wenn niemand ihn empfände, also keine entsprechenden Empfindungen oder Empfindungsinhalte in der Welt vorkämen.

Aber ein Ding ist auch nicht ein Komplex solcher Gegenstände der Empfindung oder genauer gesagt solcher empfindbaren Gegenstände. Es ist nicht das Süß, das Hart oder Weich, das alles zusammen an einer und derselben Stelle empfunden wird. Sondern das Ding ist "ein Süßes" und "Hartes" oder "Weiches", das heißt es ist ein Etwas, welches das Süß und zugleich das Hart oder Weich an sich trägt oder die "Eigenschaften" der Süße, Härte oder Weiche besitzt.

Dieses Etwas nun empfinde ich nicht, indem ich das Süß, Hart oder Weich empfinde. Sondern die Sache steht so: Ich kann nicht umhin, dieses Etwas den Gegenständen meiner Empfindung denkend  zugrunde  zu legen. Das heißt: indem ich dem empfundenen Süß, Hart oder Weich Wirklichkeit oder ein Dasein unabhängig von meinen zufälligen Empfindungen zuschreibe, muß ich zugleich dieses Wirkliche an eine Stelle in der Welt der Wirklichkeit überhaupt anknüpfen; es ist für mich nicht wirklich als in der Luft Schwebendes, sondern einzig als an dieser Stelle der Wirklichkeit Haftendes. Diese Stelle der Wirklichkeit nun ist das "Ding". Das "Ding" ist nur der Name für  etwas,  das uns völlig unbekannt ist, für eine im übrigen nicht bestimmte Stelle des Wirklichkeitszusammenhanges.

Und ich sehe auch nicht die Süße, Härte oder Weiche, diese  Eigenschaften  des Dinges. Denn diese entstehen für mich einzig und allein, indem ich die Gegenstände meiner Empfindung, in unserem Fall das Süß, Hart oder Weich, an die bestimmte Stelle der Wirklichkeit in unsagbarer Weise denkend anhefte oder als daran haftend denke oder indem ich dem Süß, Hart oder Weich in unsagbarer Weise das "Ding" denkend "zugrunde" lege. Ich müßte also, um jene "Eigenschaften" zu empfinden, jenes "Haften" empfinden und ich müßte, um das "Haften" zu empfinden, die Stelle der Wirklichkeit, die ich das Ding nenne, mitempfinden. Aber diese empfinde ich eben nicht, sondern diese denke ich nur; freilich mit apriorischer Notwendigkeit. Um es kurz zu sagen, das Ding ist so wenig ein Komplex von Gegenständen meiner Empfindung oder meiner sinnlichen Wahrnehmung, daß es vielmehr die apriorische Bedingung ist, wenn Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung für mich Existenz haben sollen.

Damit, daß ich das Ding in einen Komplex von Empfindungen auflöse, ein Unterfangen, dessen Widersinn jedem deutlich gemacht werden kann,  psychologisiere  ich das Ding, das heißt eben, ich mache es zu einem Komplex von Vorkommnissen in mir oder einem sonstigen individuellen Ich. Diesen Widersinn nun macht man vermeintlich wieder gut, indem man in  potenziert.  Das heißt, es wird nun gewissermaßen als Revanche das Ich, das eigentliche psychische Objekt oder Objekt der Psychologie, mit einem Ding, als mit einem Objekt der Physik, konfundiert [verwechselt - wp] . Dieses Ding ist "mein Körper."

Als Objekt der  Psychologie  bezeichne ich hier das Ich. Statt dessen könnte ich auch sagen: Objekt der Psychologie sind die Iche; denn das Ich kommt in vielen Exemplaren vor. Ich, du, er, sie, dieser, einer, jemand, diese Person, sind Namen dafür. Nur freilich, das mir allein unmittelbar bekannte Beispiel eines Ich bin ich selbst oder ist dieses individuelle Ich.

Vielleicht wünscht man ausdrüclich zu wissen, was für ein Ich ich hier meine. Darauf antworte ich einfach: ich meine das einzige Ich, das ursprünglich diesen Namen verdient. Ich meine das Ich der unmittelbaren Erfahrung. Ich meine das Ich, das jeder meint, wenn er sagt, "ich" empfinden Rot oder Weiß, "ich" stelle mir ein Haus oder einen Baum vor, "ich" denke dieses oder jenes, "ich" bin lust oder traurig. Niemand würde gewiß diese Wendungen gebrauchen, wenn er nicht von "sich" ein Bewußtsein hätte. Dieses aber kann er letzten Endes nur aus der unmittelbaren Erfahrung haben.

Auch von "meinem"  Körper  habe ich ja freilich eine Erfahrung. Vielleicht auch von "meinem" Gehirn. Und auch mein Körper oder mein Gehirn und außerdem allerlei, z. B. "meine" Seele, "meine" Kleider und Stiefel, "meine" Äcker und Wiesen, bezeichne ich in manchen Redewendungen als Ich oder als micht. Aber ein solches Ich meine ich hier nicht, ich meine nicht eines dieser sekundären, sondern ich meine das primäre Ich, das Ich, das in jedem solchen "Mein" als Voraussetzung enthalten liegt. Ich meine als das Ich, das diesen Körper  hat  und das "diesen" Körper erst zu "meinem" macht. Ich meine das Ich, dem der Physiologe "mein" Gehirn oder Psychologe "meine"  Seele  denkend  zugrunde  legt. Ich meine das Ich,  dessen  Kleider "meine" Kleider,  dessen  Äcker und Wiesen "meine" Äcker und Wiesen sind usw. Vielleicht sind auch diese sekundären Iche, vielleicht also ist irgend etwas von dem, was "mein" ist, gleichfalls Objekt der Psychologie, dann ist es doch nur ihr Objekt, sofern es eben "mein" ist, das heißt "mir"  zugehört,  mit "mir" in der hier nicht näher zu bestimmenden Weise, die ich mit dem "mein" meine, zusammenhängt. Auch dann also bleibt es dabei, daß das Ich der Psychologie jenes unmittelbar erlebte Ich ist, jenes in allem "mein" als Voraussetzung steckende Ich.

Aber dieses in jedem "mein" notwendig steckende, dieses primäre Ich übersieht man nun. Und so kommt man zu der Versicherung, ein Ich, das sei der  Körper  dieses Ich; ich z. B. sei "mein" Körper. Man sieht nicht, daß hierbei in der Definition das zu Definierende liegt. und nicht einmal in versteckter Weise. Ich bin ein Körper, ein körperliches Ding. Und was für eines oder welches Ding? Man antwortet: ich bin  mein  Körper, das heißt, ich bin dasjenige unter den vielen in der Welt vorkommenden Dingen, das "mir" in der eigentümlichen Weise zugehört oder genauer gesagt, das sich als in der eigentümlichen Weise "mir" oder "meinem" Wollen untertan zeigt, die ich damit meine, daß ich das Ding als "meinen" Körper bezeichne.

Damit dreht man sich im Kreis. Man führt in der offenkundigsten Weise das Ich auf das Ich zurück.

Fassen wir jetzt diese  Identifizierung  des Ich mit "seinem" Körper und jene vorhin erwähnte Gleichsetzung der Dinge mit Komplexen von Empfindungen zusammen, dann ist der Gesamtsachverhalt dieser: Vorhin hörten wir, das Ding sei ein Komplex von Empfindungen, also von Vorkommnissen in einem individuellen Ich. Und nun fragen wir: was ist ein individuelles Ich? Als Antwort hierauf erfahren wir, das Ich sei sein Körper, das heißt, es sei der Körper dieses Ich. Natürlich ist auch dieses Ding, Körper eines Ich genannt, jener Theorie zufolge ein Komplex von Vorkommnissen in einem Ich. Hier nun wäre ich begierig zu erfahren: ist ein bestimmtes Ich, bin z. B. ich, ein Komplex von Empfindungen in  meinem  Ich, also mir oder im Ich eines andern oder bin "ich" ein Komplex "meiner" Empfindungen oder ein Komplex von Empfindungen "meines" Herrn Nachbarn? Und welches Herrn Nachbarn, des zur Rechten oder des zur Linken? Natürlich sind alle solche Fragen widersinnig. Man hat eben durch jene doppelte Konfundierung das Ich und die Dinge beide zumal in nichts aufgelöst. Man hat die Peripherie eines Kreises mit seinem Zentrum und wiederum sein Zentrum mit der Peripherie verwechselt und so beide in leere Worte verwandelt.

Aber ist das Ich, von dem ich hier rede, das von mir unmittelbar erlebte Ich also, das Ich, das nicht eine und dieselbe Sache ist weder mit meinem Körper, noch mit meinem Gehirn, noch mit meiner Seele, auch nicht mit meinen Äckern und Wiesen, mit meinen Kleidern usw., das Ich, das überhaupt keine Sache, sondern das absolute Gegenteil einer Sache, nämlich eine  Person  ist, ist dieses Ich wirklich ein Gegenstand der Erfahrung? Darauf ist die Antwort schon gegeben. Ich erlebe dieses Ich. Ich erlebe, als erfahre mich  unmittelbar  in jedem Bewußtseinserlebnis. Immer wenn ich empfinde, erlebe ich mich als den Empfindenden, immer wenn ich lustig oder traurig bin, erlebe ich mich als den Lustigen oder Traurigen, immer wenn ich denke, urteile, überlege, schließe, erlebe ich mich als den Denkenden, Urteilenden, Überlegenden, Schließenden.

Vielleicht verlangt man nun noch, daß ich dieses Ich  beschreibe.  Darauf gebe ich zur Antwort: dieses Ich sieht genauso aus, wie das, was du in all deinem Empfinden, Vorstellen, deinem Fühlen, deinen Denkakten usw. als gemeinsamen Zentralpunkt miterlebst. Diese Antwort aber muß genügen, so gewiß demjenigen, der fragt, was ist "Rot" oder was macht den Sinn des Wortes Rot aus, die Antwort genügen muß: Rot ist das, was du siehst, wenn du diese rote Fläche ansiehst und es ist das Gemeinsame, was du übereinstimmend siehst, wenn du diese rote Fläche, diese rote Linie, diese rote Rose usw. ansiehst. Im übrigen kann ich das Ich, ebenso wie das Rot, niemandem weiter beschreiben. Wer nicht Farben sehen könnte, für den hätte das Wort  Rot  keinen Sinn. So hätte auch für den, der sich nicht erlebte, z. B. als Empfindenden, als lustig oder traurig, das Wort "Ich" keinen Sinn.

In der Tat gibt es Farbenblinde, die nie Rot oder eine sonstige Farbe gesehen haben. So scheint es auch, wenn man manche Psychologen hört, Ich-Blinde zu geben, solche, die sich nie erlebt haben. Nur unter dieser Voraussetzung wenigstens ist es begreiflich, daß manche sich einbilden, sie seien ihr Körper, daß der Körper, den sie haben, für sie zum eigenen Selbst wird, zum Ich,  das  den Körper hat, daß sie das sehende Auge verwechseln mit dem gesehenen Gegenstand, daß ihnen diese sonderbarste aller Verwechslungen begegnet. Oder wie in aller Welt kann man sich selbst mit seinen Objekten verwechseln? Oder sehen sie vielleicht sehenden Auges nicht oder wollen sie das, was sie sehen, einer Modetheorie zuliebe nicht sehen?

Und ist dieses Ich ein  greifbar  Wirkliches? Auch diese frage kann bejaht werden. Ja, das Ich ist das einzig greifbar Wirkliche. Mich selbst und genauer mein Gegenwartsich erfasse oder greife ich geistig unmittelbar. Von den Dingen glaube ich nur zu wissen aufgrund der sinnlichen Wahrnehmung. Ich sehe oder schmecke etwas und halte instinktiv das Gesehene und Geschmeckte, etwa das Rot oder Süß, für objektiv wirklich, das heißt für existierend unabhängig von meinem Bewußtsein. "Was mein Auge sieht, das glaubt mein Herz." Und nun kann ich nicht umhin, diese für wirklich gehaltenen Gegenstände einem Ding anzuheften, ein Rot etwa, das ich sehe und für objektiv wirklich halte, als das Rot an einem Ding anzusehen. Das Erstere ist, wie ich schon zu verstehen gab, eine instinktive Tatsache, das Letztere ist eine Denknotwendigkeit, aber auf der Basis des Instinktes. Indem ich beides zusammenfasse, kann ich danach auch sagen, der Glaube an die Dinge ist instinktiv. Diesen Instinkt, oder was daran instinktive ist, betrachte ich aber nicht einmal als absolut zuverlässig. In manchen Fällen wird die Wirkung des Instinktes durch andere Wahrnehmungen und gleichartige Wirkungen des gleichen Instinktes korrigiert oder Lügen gestraft. Dann nenne ich meine Wahrnehmung eine Halluzination. Und ich nenne das Ding ein Scheinding. In anderen Fällen dagegen kann ich bei der Aussage des Instinktes bleiben. Und nun nenne ich dieselbe Wahrheit.

Im Gegensatz dazu erfasse ich mich unmittelbar; und indem ich mich erfasse, habe ich mich in der Hand, nämlich geistig in der Hand, so gewiß ich die Dinge nicht unmittelbar geistig in der Hand habe, sondern sie nur gleichsam in der Ferne sehe oder zu sehen meine. Kein Wunder,  mir  bin ich doch tatsächlich der Nächste. Wenn ich aber auch ganz dahingestellt lasse, ob im gegebenen Fall jener Instinkt standhält oder Lügen gestraft wird, so hat es doch jedenfalls  Sinn,  ein Ding, an das ich aufgrund der Wahrnehmung glaubte, für bloßen Schein zu erklären. Dagegen hat es keinen Sinn, an der Existenz des unmittelbar erlebten Ich, das heißt meiner selbst, zu zweifeln.

Und die  Beschaffenheiten  der Dinge sind bloße Erscheinungsweisen derselben. Auch der Naturforscher steht nicht an, die spezifischen sinnlichen Qualitäten, die Farben und Töne, Gerüche und Geschmäcke, das Hart, Warm usw. für bloße Erscheinungsweisen zu erklären. Zwar erklärt er die räumlichen Qualitäten für Qualitäten der Dinge selbst oder betrachtet sie als solche, aber offenbar ist das nur eine Betrachtungsweise. Die Räumlichkeit ist ja in Wahrheit nicht eine Form der Dinge, sondern sie ist eine Form, in welcher ich die Gegenstände der Wahrnehmung, also die Erscheinungsweisen der Dinge, anschaue. Räumlichkeit ist, allgemein gesagt, eine diesen Gegenständen der sinnlichen Wahrnehmung eigene Bestimmung. Und wären die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung, etwa das Warm, Kalt usw. an sich wirklich und nicht bloße Erscheinungsweisen, dann würde auch wohl diese Bestimmung der Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung an solcher Wirklichkeit teilnehmen. Aber die den Gegenständen der sinnlichen Wahrnehmung zugrunde gelegten Dinge sind doch nicht diese Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung selbst. Wir  denken  diese Dinge und legen sie den Gegenständen der sinnlichen Wahrnehmung denkend zugrunde. Sie sind nicht Phänomena, sondern Noumena. Und sie sind ein  X von dem wir eben, weil es ein  X  ist, doch unmöglich wissen können, ob es überhaupt seiner Natur nach Träger von Räumlichkeitsprädikaten sein  kann. 

Ich sage, wir legen die Dinge den sinnlichen Erscheinungsweisen denkend zugrunde. Nun damit legen wir sie auch der Räumlichkeit dieser Gegenstände zugrunde. Oder umgekehrt gesagt: die Räumlichkeit wird als eine Bestimmtheit der Erscheinungsweisen der Dinge notwendig selbst zu einer Erscheinungsweise der Dinge.

Man verstehe hier wohl: die Räumlichkeit, die wir kennen, ist völlig zweifellos eine Erscheinungsweise der Dinge oder eine Bestimmtheit ihrer Erscheinungsweisen. Von einer sonstigen Räumlichkeit wissen wir schlechterdings nichts. Einzig als Qualität von Erscheinungen ist uns Räumlichkeit überhaupt bekannt. Dagegen hat die Räumlichkeit, so wie wir sie allein kennen, mit den Dingen auch nicht das mindeste zu tun. Die Dinge werden, indem wir ihre Erscheinungsweisen in unseren Gedanken von ihnen ablösen oder indem wir die "Dinge ansich" im Gegensatz zu ihren Erscheinungsweisen denken, damit eo ipso [in der Tat - wp] auch von der räumlichen Form oder räumlichen Daseinsweise dieser Erscheinungen befreit. Mögen wir dann den Dingen an sich die Räumlichkeit, die wir ihnen erst ehrlicherweise haben nehmen müssen, wiederum zuschreiben. Aber ich frage: Welchen Grund in aller Welt haben wir dazu, mit welchem Recht tun wir dergleichen? Wir können doch nicht etwa sagen, die Räumlichkeit der Dinge sei uns in der Erfahrung gegeben. Da uns die Dinge nicht in der Erfahrung gegeben sind, so hat das vielmehr ganz und gar keinen  Sinn.  Das Einzige, was uns gegeben ist, sind ja doch die Erscheinungsweisen und ihr Räumlichkeitscharakter. In ihnen meinen wir zugleich ein Ding zu erfassen, aber wir vermögen es eben nur  in  der Erscheinungsweise zu erfassen, also implizit und nicht explizit. Kurz, es zergeht mit dem Glauben an die Realität der Erscheinungsweisen, der Farben, der Temperaturen usw., ganz von selbst auch der Glaube an die Realität der Bestimmung dieser Erscheinungsweisen, welche wir mit dem Namen der Räumlichkeit belegen. Und schließlich, was soll es heißen, die Dinge an sich, das heißt die von ihren Erscheinungsweisen unterschiedenen Dinge, tragen doch den Charakter dieser Erscheinungsweisen an sich. Das wäre ja, als ob man sagte, Farben sind gewiß nicht Töne, aber wir wollen trotzdem die Farben mit einer Daseinsweise oder Bestimmung der Töne, etwa ihrer Tonhöhe, behaftet denken.

Indessen dringen wir hier nicht weiter auf die Sinnlosigkeit des Gedankens, daß die Dinge ansich Raumbestimmungen an sich tragen. In jedem Fall ist ja doch die Räumlichkeit zunächst unsere Anschauungsform. Und ob diese mit den Dingen selbst etwas zu tun hat, das wissen wir jedenfalls nicht. Kurz, es sind die Dinge ansich für uns etwas schlechthin Unbekanntes.

Dagegen ist uns das eigene Gegenwarts-Ich etwas schlechthin Bekanntes. Ich erscheine mir nicht bloß als so oder so beschaffen oder bestimmt, sondern, indem ich mir so erscheine, bin ich es; mit anderen Worten: der Begriff der Erscheinung, der nur aus dem  Gegensatz  zu dem, was tatsächlich  ist,  seinen Sinn gewinnt, verliert hier völlig allen Sinn. Es geht nicht etwa an, zu sagen: die Lust, die ich fühle, sei Erscheinung und es sei denkbar, daß ich an sich in einer völlig anderen Gemütsverfassung sei. "Erscheinung" und "ansich" fällt hier durchaus in eins zusammen.

Aber man verwechselnt nun die greifbare Wirklichkeit mit der Wirklichkeit des Greifbaren. Man übersieht, daß auch das Greifen uns nichts gibt als Erscheinungsweisen, etwa das Hart, Warm etc. Auch hier aber wissen wir nichts von den Dingen. Ja, es hat trotz aller Greifbarkeit, das heißt trotz allen Greifens und der mir dabei zuteil gewordenen Erscheinungsweisen, Sinn, an der Existenz des gegriffenen Dinges überhaupt zu zweifeln.

Aber das naive Bewußtsein und die Naturwissenschaft haben uns so sehr gewöhnt, uns mit "greifbaren" Dingen zu beschäftigen und auf ihre Wirklichkeit zu vertrauen, daß diese Wirklichkeit uns nicht nur als gewiß, sondern als primäre oder  unmittelbar  gewisse Wirklichkeit erscheint. Nun, das ist eben eine begreifliche Jllusion. Das primär Wirkliche sind das Ich und seine Betätigungsweisen oder ist das Bewußtseins-Ich. Auch die Dinge, die wir statuieren, mögen wirklich sein, aber ihre Wirklichkeit ist in jedem Fall eine sekundäre und sie ist die Wirklichkeit eines Unbekannten.



Was ich im obigen zunächst wollte, war dies: ich wollte den Gegensatz aller Gegensätze, nämlich den zwischen dem  Subjekt  und dem Objekt und genauer, zwischen dem Ich und der Welt der Dinge, betonen und ich wollte auf die Selbstverständlichkeit dringen, daß nicht das Objekt, sondern das Subjekt das unmittelbar Gewisse und uns zunächst Bekannte ist. Die Existenz des Ich und seiner Bestimmtheiten oder Inhalte ist die uns zunächst bekannte  Tatsache.  Das Selbst und was wir in uns unmittelbar erleben, ist das  Wirkliche,  das wir allein unmittelbar erfassen. Das kann ich auch so ausdrücken: mit dem Ich ist ein Punkt bezeichnet, wo wir das "Ding ansich" haben. Ich meinte schon oben, hier von Erscheinung zu reden sei sinnlos. Hier fallen Erscheinung und "ansich" zusammen. Ich wollte darauf dringen, daß uns das Selbstverständliche jederzeit in seiner Selbstverständlichkeit völlig klar einleuchten müsse. Ich wollte daran erinnern, daß es nichts sei mit der Rede, welche die Wirklichkeit des Greifbaren mit der greifbaren Wirklichkeit verwechsle. Das einzig greifbar Wirkliche sei das schlechthin Ungreifbare. Die Wirklichkeit des Greifbaren dagegen sei nicht selbst greifbar, sondern absolut ungreifbar. Ich wollte dem Wahn entgegentreten, der auch in der Rede von der unmittelbaren sinnlichen  Gegenwart  des Gesehenen oder Gehörten usw. liegt. Ich wollte zu Bewußtsein bringen, daß "sinnliche Gegenwart" ein Widerspruch mit sich selbst sei. Das Sinnliche ist uns in der Tat, eben als Sinnliches,  nicht  gegenwärtig, sondern fern. Eben durch die Sinne ist es von uns getrennt. Was uns in Wahrheit gegenwärtig ist, ist einzig das nicht Sinnliche.

Hat man aber einmal diese Einsicht gewonnen, so sollte man damit wissenschaftlich vollen Ernst machen nicht wiederum etwa davon reden, daß "man sich erscheine" und so oder so erscheine, das heißt, man sollte nicht wiederum Wirklichkeit und Erscheinung miteinander konfundieren.

Das Ich, sagte ich, ist ein Punkt im Ding ansich. So ist die Psychologie die Wissenschaft vom Ding ansich in den Punkten, die eben durch das Wort Ich bezeichnet sind. Die sonstige Wissenschaft vom Wirklichen dagegen ist richtiger gesagt Wissenschaft von der Erscheinung des Wirklichen.

Hiermit ist aber schon auf eine weitere mögliche Verschiebung des Tatsachensinnes hingedeutet. Es gibt auch eine Überspannung des Gegensatzes zwischen dem Subjekt und den Dingen. Es gibt, wie jenen falschen Psychologismus, der das Ding in Vorkommnisse in einem Ich auflösen will, um dann wiederum vielleicht as Ich mit einem Ding zu identifizieren, so auch einen falschen Anti-Psychologismus oder Objektivismus. Und die Gefahr, die darin liegt, ist nicht geringer, als die Gefahr des Psychologismus. In ihm liegt nicht minder an im Psychologismus eine Verschiebung des Tatsachensinnes.

Die Beschaffenheit der Dinge, die uns die Sinne zeigen, sind, wie gesagt, Erscheinungsweisen. Und die Form der Räumlichkeit ist eine Form eben dieser Erscheinungsweise. Wir sehen das Wirkliche nicht, wie es an sich ist, sondern wie wir es eben sehen und wir geben ihm die Form der Anschauung, die wir ihm unserer Natur zufolge geben müssen. Die farbigen Dinge, auch die Dinge mit räumlichen Qualitäten, so können wir das auch ausdrücken, sind die in unsere Sinne und in unsere sinnliche Anschauung hineingenommenen Dinge. Und indem die Dinge in diese Sphäre hineingenommen sind, nehmen sie notwendig teil an der in dieser Sphäre, in dieser Region oder auf diesem Schauplatz herrschenden Atmosphäre oder Beleuchtung. Die Sinne, so können wir auch sagen, färben auf die Dinge ab. Und so kommen etwa die Farben oder Geschmäcke usw. der Dinge zustande, andererseits ihre räumlichen Bestimmungen. Dabei liegt es freilich jedesmal am Objekt, das heißt, es liegt an der eigenen Natur des Dinges,  welche  Beleuchtung es erfährt, das heißt,  wie  es von der in der Sphäre herrschenden Beleuchtung  getroffen  wird. Aber die Beleuchtung,  von  der es getroffen wird, ist doch Sache der Sphäre, in der die Beleuchtung herrscht. Wie die Dinge uns erscheinen würden, abgesehen von solcher Beleuchtung, diese Frage kann nicht einmal gestellt werden. Nur durch die Sinne und die Anschauungsform des Raumes hindurch "erscheinen" uns eben die Dinge. Die Dinge in jener Beleuchtung, das sind eben die Dinge, wie sie  für uns da  sind. Dagegen wissen wir von den Dingen, wei sie an sich sind, nichts, ihr Begriff ist gänzlich leer, der bloße Begriff von einem Punkt in der Einheit des Wirklichen überhaupt.

Das Ding dringt nun aber, nachdem es seine Erscheinungsweisen und seine Anschauungsform, diese Arten der Beleuchtung, gewonnen oder sozusagen angezogen hat, noch weiter in uns oder in das Subjekt ein. Es tritt zunächst ein in die Sphäre des sich selbst erlebenden Subjektes überhaupt und aller seiner Weisen sich zu erleben. Das Ding ansich ist uns unbekannt, sein Begriff ist, wie ich sagte, der leere Begriff von etwas Wirklichem überhaupt. Indem aber das Ding in die Sphäre des sich erlebenden Ich eintritt, wird diese Leere ausgefüllt. Das Ding bekommt einen Inhalt. Ich gebe ihm von meiner Fülle oder von meinem Leben.

Ich spiele hier, wie man sieht, an auf die Tatsache der Einfühlung. Durch diese werden die Dinge für uns zu Trägern von Kräften, Strebungen und Tätigkeiten, sie wirken und empfangen Wirkungen, kurz, sie werden aktiv und passiv. Das ist die Vermenschlichung, die wir allen Dingen gegenüber üben.

Daß das in der Tat eine Vermenschlichung ist, eine bloße Betrachtungsweise der Dinge nach Analogie unserer selbst, daran kann kein Zweifel bestehen. Wir können ja nur in uns, als Bestimmtheit unserer selbst, so etwas wie Tätigkeit oder Wirken finden, nur in uns können wir Kraft fühlen, nur als Namen für gewisse Inhalte oder Besonderheiten unseres Selbstgefühles haben solche Worte, wie Aktivität und Passivität, überhaupt Sinn. Aber wir erfüllen eben mit unserem Leben und den Inhalten unseres Selbstgefühles die Dinge. Damit nehmen wir ihnen jene erschreckende Leere und Abstraktheit und machen sie uns vertraut.

Indessen von dieser Vermenschlichung oder Einfühlung können wir im gegenwärtigen Zusammenhang absehen. Vielleicht beseitigt man durch Nachdenken ihr Ergebnis wiederum. Die Worte freilich, die zweifellos einzig der Einfühlung ihr Dasein oder ihren Gebrauch verdanken, werden beibehalten. Aber ihr ursprünglicher Sinn wird den "Kräften", "Strebungen" und "Tätigkeiten" in den Dingen nachträglich wieder genommen. So bleiben nur die Worte. Aber indem der in ihnen ursprünglich liegende Anthropomorphismus als bloßer Anthropomorphismus erkannt, also theoretisch jene "Leere" der Dinge wiederhergestellt wird, erscheinen sie, erscheinen also die Kräfte, Strebungen, Tätigkeiten usw. in den Dingen, also bloße Worte oder als bloße zweckmäßige Symbole zur kurzen Zusammenfassung erkannter und feststehender Tatsachen, die an sich mit Kraft, Streben, Tätigkeit usw., das heißt mit dem ursprünglichen Sinn diese Worte, nichts zu tun haben.

Nun, ist es so, dann wendet sich unser Blick von da nach der anderen Seite. Das Ding tritt auch ein in die Sphäre des rein  wissenschaftlichen  Geistes. Ich meine damit zunächst nur die Sphäre des das Ding  erfassenden  denkenden Geistes. Zunächst ist ja keine Frage, daß das Ding  für mich  besteht, nur wenn ich es erfasse, daß ich es erst durch mein Ergreifen habe. Natürlich ist das "Erfassen" hier als geistiges Erfassen gemeint, als Erfassen durch den Blickpunkt des geistigen Auges, das "Greifen" als ein Greifen mit der geistigen Hand.

Aber wenn ich nun dieses tue, wenn ich also die Dinge geistig erfasse oder greife, so  forme  ich sie jederzeit in irgendwelcher Weise. Schon wenn ich nur einfach ein Ding aus dem Sehfeld des geistigen Auges herausnehme, es umgreife, umgrenze, mit dem Blick des geistigen Auges umschreibe und für sich geistig hinstelle, so  forme  ich das Ding, wenn auch in einfachster Weise. Ich mache aus ihm das, was der Ausdruck  ein Ding  oder allgemeiner  ein Objekt  besagen will. Was mit dieser Rede gemeint ist, das ist doch eben das selbständige, das heißt geistig oder gedanklich verselbständigte, das geistig umgrenzte und für sich gestellte Objekt. Ein solches Objekt meinen wir immer, wenn wir von "einem" Objekt sprechen. Und ein solches Objekt ist auch immer schon vorausgesetzt, wenn wir einem Objekt einen einzigen nur ihm zugehörigen Namen geben. Wir haben dann diese einfachste Formung von Gegenständen jedesmal schon vollzogen. Schon die einfache Benennung schließt also eine solche innere oder geistige Formung in sich.

Aber meine erfassende Tätigkeit geht über dieses einfache Greifen und geistige Verselbständigen hinaus. Ich scheide auch geistig, lege auseinander und fasse andererseits zusammen. Ich zerlege die Dinge in ihre Elemente und mache aus den Dingen und aus den Elementen der Dinge Einheiten. Ich beziehe sie aufeinander, webe geistige Fäden zwischen ihnen. Damit erst gibt es für mich die Einheiten oder Ganzen, vor allem auch die räumlichen Einheiten oder Ganzen und es gibt für mich die Beziehungen in der Welt der Dinge, es entsteht durch dieses Tun des Geistes für mich erst so etwas wie eine "Welt".

Hierbei ist wiederum von vornherein klar: die Dinge werden nicht als aufeinander bezogene oder durch ihr eigenes Tun aufeinander sich beziehende  vorgefunden.  Sie werden auch nicht als Einheiten vorgefunden. Sondern  ich mache  sie zu Einheiten durch mein zusammenfassendes Tun. Und ich beziehe sie aufeinander und mache sie dadurch zu aufeinander bezogenen. Ich finde nicht in ihnen, etwa vermöge eines besonders feinen Mikroskops, da und dort ein verbindendes Band und hin- und herübergehende Fäden. Sondern  ich webe  das alles. Und nun allerdings sind die Dinge, ob zwar an sich unbekannte, Glieder in diesem Gewebe, das der Geist aus ihnen geschaffen hat. Sie sind die im übrigen völlig unbestimmten Beziehungspunkte für die im Geist hergestellten Beziehungen.

Hier können wir von neuem den Ausdruck gebrauchen: die Dinge rücken in eine Sphäre und die Sphäre färbt auf sie ab oder gibt ihnen eine Beleuchtung. Wir können auch von einer neuen  Erscheinungsweise  sprechen. Doch ist hier nicht mehr an die  sinnliche  Erscheinungsweise gedacht, noch insbesondere an die Erscheinungsweise, welche die Dinge gewinnen, indem sie Sphäre des anschauenden, nämlich in räumlicher Form anschauenden Ich eintreten. Sondern die Erscheinung, von der hier die Rede ist, ist eine  geistige  Erscheinung. Darunter verstehe ich doch nichts als die neuen Bestimmungen oder Färbungen, welche das Ding gewinnt, indem es vom Geist erfaßt und mit geformt wird. Ich verstehe darunter die neue Daseinsweise der Dinge in dem sie in sich aufnehmenden und formenden  Geist.  Solche Bestimmungen oder solche geistige Erscheinungsweisen aber sind vor allem die Einheiten in der Welt der Dinge und die Beziehungen zwischen den Dingen.

Wiederum aber steht die Sache hier so: Der Geist freilich schafft das Gewebe der Einheiten und Relationen und außer ihm hätten diese Worte gar keinen Sinn. Und er schafft die Einheiten und Relationen  mitunter willkürlich.  Aber neben diesen willkürlich geschaffenen stehen die objektiven, oder, wie wir auch sagen: die "wirklichen" Einheiten und Relationen. Damit nun ist nicht gesagt, daß es nun doch Einheiten und Relationen gebe, welche die Dinge bei ihrem Eintreten in den vereinheitlichenden und aufeinander beziehenden Geist bereits mitbrächten. Wohl aber ist damit gesagt, daß die Dinge selbst bestimmen, welche Dinge hier und welche Dinge dort in das Gewebe eintreten und  wie  sie das tun, welche Stellung sie in dem Gewebe einnehmen. Ja, vielleicht ist damit gesagt, daß etwas an den Dingen, eine Seite, Eigentümlichkeit, Bestimmtheit derselben, gar nicht in den Geist eintreten, das heißt von ihm erfaßt werden kann, ohne das vereinheitlichende Tun des Geistes und ohne daß die Dinge vom Geist aufeinander bezogen werden, kurz, ohne in die Sprache oder das Gewand einer dem Geist eigenen Formung sich zu kleiden. Davon sogleich. In jedem Fall aber müssen wir sagen: was das an den  Dingen selbst  ist, vermöge dessen sie in dieser oder jener Weise sich in jenes Gewebe einfügen, oder was das  an sich  ist, was nur vom vereinheitlichenden und aufeinanderbeziehenden Geist, in der ihm eigentümlichen Sprache, erfaßt werden kann, das weiß ich nicht. Das heißt: das An-sich der "objektiven" Einheiten und Relationen bleibt mir verborgen. Es ist nur eben das meiner Vereinheitlichung oder Aufeinanderbeziehung oder der Weise derselben zugrunde liegende X, sozusagen das unbekannte Lokalzeichen oder die unbekannte Anweisung für mein Tun.
LITERATUR - Theodor Lipps, Philosophie und Wirklichkeit, Heidelberg 1908