ra-2C. Prantlvon SteinA. Angel    
 
JULIUS DUBOC
Der Optimismus als Weltanschauung

    "Wir schauen in eine Tiefe, die wir nicht
    mehr durchdringen können. Das aber können
    wir wissen, daß das  Persönliche,  das uns
    daraus entgegenzublicken scheint, nur das
    Spiegelbild des Hineinschauenden ist."
    dummie- David Friedrich Strauß -

    "Ich aber möchte unmaßgeblich raten, den Worten
    ihre Bedeutung zu lassen und wo man etwas anderes meint
    auch ein anderes Wort zu gebrauchen, also die Welt Welt
    und die Götter Götter zu nennen."
    dummie- Arthur Schopenhauer -

Vorwort

Gewitterschwül und sturmverkündend brütet es am geistigen Horizont der Gegenwart und je mehr das Jahrhundert sich seinem Ende zuneigt, desto düsterer scheint sich die Aussicht in die nächste Zukunft umwölken zu wollen. Wohin man blickt im europäischen Kulturleben Gährung, Zersetzung, Befehdung auf das Schärfste zugespitzter Gegensätze, Erschütterung und Gewalttat. Der Kulturkampf in Permanenz und aller Orten: das ist die überall zutage tretende Signatur der Zeit, handle es sich um den Kampf der Staatsgewalt mit Ultramontanen und Jesuiten, um die Hetzjagd abgeneigter Rassen, um das Ringen des Spiritualismus mit dem Materialismus, um Nihilistenverschwörungen, um die dröhnenden Schrittes vordringende sozialdemokratische Bewegung oder um die auf ganz Europa wie ein Bann lastende, immer erneuerte Kriegsgefahr. Alles scheint zu weissagen, daß das geistige Erdbeben, dessen Zuckungen wir verspüren, noch schwere Ausbrüche zutage fördern wird, daß SCHILLERs Ausruf beim Eintritt dieses Jahrhunderts: "Das Jahrhundert ist im Sturm geschieden und das neue öffnet sich mit Mord" vielleicht ebenso gültig bei seinem Ausgang sein wird.

Wo die Zeit so viel Drangsal, Not, Unruhe und unvermeidliches Elend erzeugt, da ersteht das Bedürfnis nach einer Ausgleichung mit doppelter Gewalt. NIcht eine Ausgleichung durch Untätigkeit, durch selbstsüchtige Loslösung vom allgemeinen Schicksalsgang, wohl aber eine Erlösung, die Frieden im Kampf, Harmonie im verworrenen Getöse bietet. Wor aber besteht eine solche? Wohl öffnet das Reich des Schönen und des Ideals seine Freistatt und bietet uns die Einkehr.
    In des Herzens heilig stille Räume
    Mußt du fliehen aus des Lebens Drang!
    Freiheit ist nur im Reich der Träume
    Und das Schöne blüht nur im Gesang.
Wohl verweist der Glaube auf überirdische Schätze der Tröstung und Verheißung, wohl erlöst uns die Philosophie von jedem Schmerzensanteil, wenn wir, SPINOZAs Ausspruch folgend uns bemühen, über die irdischen Dinge weder Freude noch Trauer zu empfinden, sondern sie nur zu begreifen. Aber keiner dieser Wege führt für sich allein zum Ziel, keiner schützt ohne gleichzeitig preiszugeben: das Ideal, indem es der rauhen  Wirklichkeit  entflieht, der Glaube, indem er sich der  Wahrheit  gleichstellt, ja vielmehr ihre Stelle einnimmt, die Philosophie, indem sie die  Wärme  ausscheidet. Die ersten beseelen, aber im Dichten und Träumen, die andere weckt aus dem Traum, aber entseelt. Wirklichkeit, Wahrheit, Wärme im Verein aber, das ist religiöse Empfindung auf dem Grund philosophischer Erkenntnisarbeit - und sie ist nicht die letzte Aufgabe unserer Zeit. In welchem Sinn diese Schrift dieselbe aufgefaßt und durchzuführen versucht hat, darüber geben die nächstfolgenden Seiten weiteren Aufschluß.


Übersicht

Das religiöse Wesen - man lasse den Ausdruck in dieser unbestimmten Fassung einstweilen unbeanstandet gelten - läßt sich nach zwei Richtungen unterscheiden, in zwei gesonderte Gebiete auseinander legen, die trotz der mannigfachsten inneren Wechselbeziehungen jedes für sich einen Mittelpunkt ihres ganzen Bestandes haben, jedes für sich einen selbständigen Wirkungskreis im Menschen beschreiben. Es kann also auch eine gesonderte Inbetrachtnahme und Würdigung derselben möglich und unter Umständen vielleicht zweckmäßig und wünschenswert erscheinen. Diese beiden Gebiete lassen sich in der Art auseinanderhalten und gesondert betrachten, daß man dem einen alle Momente zurechnet, die mit der  Not  des Menschen irgendeinen Zusammenhang haben, dem anderen das, was außerhalb dieser Beziehungen liegend, unbehelligt von ihnen, frei vom Lebensschatten, sich in Gemüt und Phantasie des Menschen eigenartig gestaltet. Unter Not des Menschen sei hier im weitesten Wortsinn alles verstanden, was eine  Belastung  desselben oder was ihm als solche erscheint, ausmacht.

Diese beiden so gesonderten Gebiete setze ich, mehr um eine kurze Bezeichnung derselben vornehmen zu können, als mir dadurch in erschöpfend richtiger Weise ihr Inhalt charakterisiert oder angedeutet erschiene, als die  praktisch und  ästhetische  Sphäre des religiösen Wesens einander gegenüber. Soweit der Mensch auf dem religiösen Vorstellungsgebiet, namentlich in seiner populären Form, dem Gottes- und Unsterblichkeitsglauben, den helfenden, ratenden, tröstenden Gott berücksichtigt, den obersten Lenker und Gesetzgeber, soweit er diesem als solchen geistig in der Vorstellung oder gemütlich mit Wunsch und Dankesempfindung nahe tritt, soweit bewegt er sich und verharrt er in der praktischen Sphäre. Und das Gleiche tut er, soweit er sich in der Annahme einer ewigen Fortdauer vom lastenden Druck des Gedankens einmal der Vernichtung anheimzufallen, zu befreien sucht. Trauer und Freude, Bitte und Dank, das mächtige Hallelujah des befreiten Herzens, die stumme Ergebung in einen "höheren Willen" und ihre Schmerzgebärde gehören dieser Sphäre an. Sie nehmen den mächtigsten Teil des religiösen Empfindens, wo dasselbe noch in lebendiger Kraft und Geltung besteht, in des Menschen Inneren ein. Aber daneben und darüber spannt sich wie ein glänzender Regenbogen, eine andere Sphäre aus. Sie ist wie von einem jenseitigen, geheimnisvollen Licht durchleuchtet, wie von einem jenseitigen geheimnisvollen Klang durchtönt. Ja, sie ist in der Tat in ihrem Verhältnis zu des Menschen Innerem nichts als die Einwirkung auf Phantasie und Gemüt, die sich dem Eindruck zugesellt, daß in allen diesen religiösen Momenten, im Dasein eines obersten Lenkers, der gerecht richtet, in der unsere sichtbare, sinnfällige Vergänglichkeit aufhebenden Fortdauer über Grab und Tod usw. um den Menschen ein  hohes, hehres und einer verstandesmäßigen Ergründung unerreichbares Seinsverhältnis  webt und besteht. Soweit die Wirkung  dieses  Eindrucks im Menschen reicht, soweit  er  ihn trägt, belebt und ausfüllt, so weit auf  dieser  Grundlage sich sein religiöses Wesen eigenartig aufbaut, soweit ist dasselbe ausschließlich der  ästhetischen  Seite zuzurechnen.

Ich halte es für außer Frage stehend, daß der praktischen Sphäre des religiösen Wesens sich immer die ästhetische zugesellt, d. h. beim Bestehen der die praktische Sphäre voraussetzenden und bedingenden Faktoren, vor allem also des Gottesbewußtseins in einer für das praktische Bedürfnis zulänglichen Form wird auch die ästhetische Seite - und zwar ganz gesondert nebenher gehend - zu wirksamer Geltung, zu irgendeiner Betonung gelangen.  Wie  wirksam,  wie  stark oder schwach betont, ist freilich rein von der individuellen  Kapazität  (was Bildungsstufe, Kulturzustand, Temperament und andere Momente umfaßt) abhängig. Gewiß wird in vielen und nehmen wir die Totalität der Menschheit, in den allermeisten Fällen die Betonung kaum mehr als das leiseste, rasch vorübergehende Erzittern einer Gemütssaite, nur die dumpfe Anwandlung eines ästhetischen Eindrucks bedeuten. Gleichwohl, ihr Vorhandensein wird durch Form und Gehalt der praktischen religiösen Sphäre ursächlich, unvermeidlich bedingt. Nur der würde sich ihr gegenüber ganz eindruckslos erhalten können, der den auch für die praktische religiöse Sphäre unerläßlichen geistigen Aufschwung nicht zu vollziehen vermöchte. Es ergibt sich hier etwa ein ähnliches Verhältnis, wie es der Mensch zum  Licht  hat, das ihm nützt, ihn erwärmt, kurz seine bedürftige Natur praktisch berührt, unmittelbar daneben aber noch und zwar ohne daß der Mensch an irgendwelchen direkten Nutzen denkt, ihn herzerfreuend ästhetisch erquickt. Freilich trifft der Vergleich nicht ganz zu, da die segenbringene  sinnliche  Einwirkung des Lichts eine zu überwiegende ist, um die ästhetische Seite in der Vorstellung rein von ihr zu sondern.

Wenn wir in dieser Weise das Verhältnis der ästhetischen zur praktischen Seite des religiösen Wesens auffassen, letzterem eine unbedingt grundlegende Bedeutung zuschreiben, so ist damit ja noch nicht gesagt, daß diese Bedeutung  ausschließlich  ihm zukommt, daß die ästhetische Seite des religiösen Wesens nicht auch noch auf anderer Grundlage aufgebaut werden könnte. Wie dasselbe schon  innerhalb  des in bestimmten Glaubensvorstellungen eingeschlossenen Gebietes eine selbständige Stellung behauptet, kann es ja auch vielleicht  außerhalb  derselben für sich bestehen. Diese Frage zu stellen liegt aber da sehr nahe, wo die das praktische religiöse Gebiet beherrschenden, für dasselbe maßgebenden Faktoren verneint werden und ihre Beantwortung oder vielmehr ihre Bejahung und die Folgerungen aus dieser Bejahung bilden das Thema der vorliegenden Schrift. Dieselbe verfolgt keine  Tendenz,  aber aus ihrem ganzen Gedankengang ergibt sich von selbst, daß sie sich  gegen den Niedergang des religiösen Bewußtseins  in der Gegenwart richtet. Indem sie die ästhetische Seite desselben verteidigt, glaubt sie nicht ein willkürlich abgegriffenes Stück, sondern gerade den Teil desselben für sich zu behaupten, der als der wertvollste, lauterste, sublimierteste zu gelten, den vollberechtigten Anspruch erheben darf. Ich gründe diesen Anspruch auf die zugrunde gelegte Charakteristik desselben, auf seine Unberührtheit von allem, was mit der Not des Menschen im Zusammenhang steht. Dieser enthoben sein heißt soviel als von Staub und Schweiß und Unruhe befreit sein, die mit dem  Bedarf der Grundlage aller Not und dem Ringen, ihm abzuhelfen, verbunden ist. Bedürfnislos, von dem der Steuerung des Bedürfnisses zugewendeten Dichten und Trachten unbewegt, schwingt das Herz in einem reinen Geistesäther und sammelt alle Strahlen des Himmels, die es beleuchten, zu einem verklärten Licht.

Einen der prägnantesten Züge der Gegenwart, ihre - um es mit einem Wort zu bezeichnen -  Diesseitigkeit,  einen Zug, dessen Wirkungsgebiet in der ethischen und intellektuellen Sphäre richtig anzugeben und scharf zu markieren mit besonderer Schwierigkeit verknüpft ist, habe ich gleich im nächstfolgenden Abschnitt, der von der  Erschütterung des Jenseits  im Bewußtsein handelt, einer hoffentlich unbefangenen, Übertreibungen nach rechts und links sorgsam vermeidenden Würdigung unterzogen. An diese schließt sich dann im weiteren Verfolg meiner Aufgabe ein ausgedehntes Spekulationsgebiet an. Es steht dasselbe im strikten Zusammenhang mit dem der ästhetisch-religiösen Sphäre zugerechneten Inhalt. Dieser, ich wiederhole es, wird von mir darin gesetzt, daß des Menschen Inneres in der Berührung mit der Vorstellung Gottes, seiner Wesenheit, seiner Leitung der Welt, ferner in der Berührung mit den religiösen Verheißungen vom Eindruck eines  geheimnisvollen  und  hehren  Zusammenhangs in allem Geschehenden, in der Gestaltung dessen, was sich überhaupt gestaltet, ergriffen wird. Und es handelt sich nun zunächst also um die Berechtigung, diesen Eindruck auch außerhalb der positiven Religionsnormen zu ergreifen und festzuhalten. Die für diese Berechtigung geltend zu machende Reihe von Erwägungen betont für den ersten Teil ihrer Aufgabe zwei Momente, von denen das erste dem Blick der Gegenwart eben wegen ihrer Diesseitigkeit farblos entschwindet oder das ihr wenigstens unbelangreich, gleichgültig, uninteressant erscheint, das sie, stößt sie ja einmal darauf, mehr wie ein toter, unnützer Ballast beschwert, als daß ihr Bewußtsein, ihr Gemütsleben dadurch in eine tiefere Strömung gelenkt würde - dieser Moment ist die  Unendlichkeit.  Das zweite Moment ist die  Unübersehbarkeit  des kosmischen Entwicklungsprozesses oder, um der näheren Schaubühne getreu zu bleiben, der Entwicklungsarbeit unseres Planeten, die rastlos fortwirkt, wie gering auch die in jedem Augenblick, ja in Zeiträumen, die uns groß erscheinen, zutage tretende Wirkung derselben ist. Die ausgesprochene Vorliebe der Gegenwart, sich immer nur der praktischen Seite zuzuwenden, mit "realen Faktoren" zu rechnen, "Aktualitäten" zu studieren, verblendet uns über diese Tatsache, die doch auch eine Aktualität ist und zwar eine von der einschneidensten Bedeutung, denn es ist die Aktualität des  Mysteriums.  Selbst fruchtbringende und hoch interessante Forschungen, wie die jetzt mit Recht so sehr bevorzugten der Anthropologie verstärken, wenn in Selbstüberschätzung über ihren eigentlichen Wert veranschlagt, nur diese Verblendung und verrücken völlig unsere Stellung dem Ganzen gegenüber.

Zu folgender Betrachtung fühlte sich vor einiger Zeit eine Zeitschrift aus Anlaß des gerade in Berlin tagenden Anthropologischen Kongresses ermutigt: "Die Anthropologie bildet das Geniekorps der Wissenschaften, denn ihr Objekt ist Anthropos, der Mensch, das letzte Glied in der Reihe der Schöpfungen, welche die waltende Naturkraft erzeugt hat. Er ist emporgestiegen auf den Schultern zahlloser Tiergeschlechter, deren Vorbedingung die Pflanzenwelt ist, welche ihre Wurzeln wiederum in das anorganische Gestein getrieben hat, es langsam in Erde verwandelnd. Die Naturarbeit von Hunderttausenden oder Millionen Jahren findet in ihm seinen gegenwärtigen Abschluß; er ist der Kernpunkt, in welchem sich die höchsten Gesetze der chemischen wie der mechanischen Welt konzentrieren und zur Erscheinung kommen; darum ist er der Schlüssel zum "Geheimnis" der Natur und wenn alle Ursachen und Bedingungen seines Entstehens, Wachsens und Wirkens sich dem Forscher erschließen, wird auch  jenes Geheimnis erschlossen  vor uns liegen."

Ich führe diese Worte hier nur an, weil sie so charakteristisch dartun und beinahe naiv aussprechen, wie geringfügig sich unwillkürlich auf dem Standpunkt der "Diesseitigkeit" das Weltengeheimnis ausnimmt.

Auch der ansich, in seiner Anwendung auf das historische und politische Gebiet und für die Praxis so richtige Gedanke einer "historischen Kontinuität" in der menschlichen Entwicklung, verführt leicht dazu, daß sich ein übertrieben konservatives Element in der Schätzung aller dieser Verhältnisse und damit ein sehr enger Gesichtspunkt ausbildet. Er gibt leicht dazu Anlaß, daß sich eine der ärgsten fixen Ideen befestigt, nämlich die, daß sich im Morgen, auch im fernsten Morgen, ungefähr das Heute wiederholen müsse. Ein ungefährer Spielraum wird natürlich zugegeben, aber dieser ist sehr unbedenklich, da der mit dieser fixen Idee Behaftete ihn nur auf Nebensächliches bezieht. Dieser Gedanke ist aber nicht nur positiv falsch, sondern lähmend. Er hemmt von vornherein jegliche von Phantasiekraft getragene Erhebung zu einem Eindruck vom Überragenden der Weltenkraft, die sich im Allsein ausspannt und die auch unser Erdenschicksal bildet. Denn das Allbekannte, das in der fixen Idee ein für allemal festgehalten wird, oder das, was uns in seinen wesentlichen Umrissen bekannt erscheint, ist eben für uns nichts Überragendes und so geht uns das einfach verloren. Vergessen wird, daß das für uns unfaßbare Verhältnis mangelnder Analogie, das in Bezug auf den ganzen Seinsinhalt, das Daseinsbild zwischen jeder Pflanze und dem Samen, aus dem sie hervorging besteht, sich ähnlich im Entwicklungsprozeß der Welt wiederholt, wo jedes Stadium neuen Samenstaub, dem dieselbe Unberechenbarkeit anhaftet, in die Entwicklung des Ganzen hineinstreut. Wie vermögen wir heute zu ermessen, wie das Menschheitsbild sich in Aeonen gestalten wird, wenn wir auch noch so viele historische Kontinuitätsellen anlegen.

Im zweiten Teil ihrer Aufgabe hat meine Entwicklung es mit der Rechtfertigung des  Hehren  als religiös-ästhetischen Eindruck gegenüber dem Weltganzen und außerhalb der positiven Religionsnormen zu tun. An die Stelle des sic volo sic jubeo-Prinzips [So will ich, so befehle ich. - wp] des religiösen allmächtigen Wunschverlangens hat die Auffassung und Bewältigung des Tatbestandes zu treten. Diese Entwicklung trifft zuerst auf die ihr den Weg versperrende  pessimistisch Theorie und das Gebiet mehr oder minder verwandter Ansichten, deren Würdigung und Richtigstellung sie unternehmen muß. Sie versucht dann eine systematische Begründung des Optimismus als  Sinn  des Weltprozesses in einer vom gewöhnlichen Sinn abweichenden, durch das Wesen der Erscheinung aber, wie ich hoffe, gerechtfertigten Auffassung. Im Abschnitt "Die Preisgebung des Individuums" zieht sie aus diesem philosophischen Standpunkt die Konsequenz für das religiös-ästhetische Empfinden in Bezug auf die auch vom Optimismus ja nicht zu leugnende aufgehäufte Not der Individuen, mit einem Wort in Bezug auf das Unheil, auf das  Weltübel.  Der letzte Abschnitt untersucht die Tragweite des religiösen Optimismus in Bezug auf das  praktisch-sittliche  Verhalten und begründet seine Stärke.

Schon die Eigenart und Schwierigkeit der unternommenen Aufgabe dürfte eine von mir bereitwillig zugestandene Unzulänglichkeit in der Ausführung einigermaßen entschuldigen. Eine Partie des Buches ist aber außerdem und zwar mit Absicht mehr angedeutet als ausgeführt worden: es ist diejenige, welche sich auf den sittlichen Fortschritt der Menschheit bezieht. Man kann - und das war, worauf es mir im Zusammenhang des Ganzen zunächst ankam und ankommen mußte - die Entwicklung zu einer vollkommeneren und also auch sittlich höher gestellten Daseinsform im  Kosmos  als Sinn des Weltprozesses, d. h. als seine Wesensbeschaffenheit, seine notwendige und daher gewisse Bewegungsform nachzuweisen versuchen, ohne speziell auf die Frage nach dem sittlichen Fortschritt der Menschheit einzugehen. Man kann aber Letzteres nicht tun, ohne das Thema in ausführlicher Weise vorzunehmen, ohne ihm ein eigenes Buch zu widmen. Ich für meinen Teil bin der Ansicht, daß die Beantwortung jener Frage überhaupt nur auf dem Grund und Boden einer  Ethik  des Eudämonismus einer  Trieblehre  auf streng eudämonistischer Unterlage unternommen werden kann. Ich meine, daß der anthropologisch zu führende Nachweis zu liefern ist, daß der Mensch, - d. h. nicht das  Individuum  schlechtweg, sondern der  Gattungsmensch  - in der Glückseligkeit, die sein unverrücktes Ziel bleibt, der Sittlichkeit notwendig nachstrebt, weil er jene nur durch diese erreichen kann. Aber eben dieses Thema beschreitet ein nach allen Seiten hin so ausgedehntes Gedankengebiet, daß sich ihm nur in einer selbständigen Entwicklung eine geeignete Stelle anweisen läßt, während es im Rahmen dieser Schrift nur mit einigen allgemeinen Sätzen einzufügen war. Von der Formulierung dieser mochte ich aber gleichwohl nicht absehen, da beide Themata: die Sicherstellung des Gedankens einer höhere Stufen beschreitenden Entwicklung im  Kosmos  und einer gleichen Entwicklung auf unserem  Planeten,  im  Welten dasein und im  Menschen dasein, so sehr aufeinander hinweisen, daß das Eine zu der allgemeinen Erwägung des Anderen notwendig hinüberführt.

Der Verfasser läßt dieses unzeitgemäße Buch, dessen Thema ihm als Denker am Herzen lag, als Autor mit Ruhe in die Welt hinausgehen. Nichts ist bequemer und daher auch wahrscheinlicher als der Vorwurf der  Phantasterei  für den hier vertretenen Standpunkt von Seiten derer, deren Phantasie durch alles, nur nicht durch das Weltgebäude und unser Bestehen in demselben belebt wird, nichts wird Manchen vielleicht näher liegend erscheinen als die Signatur: "mystisch" für dieses Buch. Wenn aber jeder als Mystiker gelten soll, der ein Mysterium anerkennt, weil er es vor sich sieht und dem es auch etwas für sein Gefühl und nicht bloß für seinen Verstand bedeutet, so können die Nicht-Mystiker nur die  Blinden  und  Gefühllosen  sein und zu diesen nicht gezählt zu werden, muß als Ehre gelten. Im Übrigen ist sich der Verfasser seiner Doppelstellung wohl bewußt. Als Atheist, der sich als solcher  bekennt,  gehört er zu jenen Unüberlegten,
    " die töricht g'nug ihr volles Herz nicht wahrten."
    [Goethe, Faust - wp]
Er verletzt das Dekorum und ist längst dafür bestraft worden. Als Idealist, wenn auch mit der ausgesprochenen Tendenz eine realistische Grundlage auf dem Gebiet seiner Forschungen festzuhalten und keinen einseitigen Gemütskultus zu treiben, gerät er in Widerstreit mit der von der tonangebenden naturwissenschaftlichen Seite ausgehenden, realistisch-materialistischen Gesamttendenz. Für die eine Seite repräsentiert er ein unliebsames Extrem, für die andere nicht minder. Da hilft denn nichts, als daß ihm sein eigener, von beiden Seiten angefochtener Standpunkt umso mehr als die richtige Mitte erscheint.
LITERATUR Julius Duboc, Der Optimismus als Weltanschauung und seine religiös-ethische Bedeutung für die Gegenwart, Bonn 1881