ra-1Julius DubocLudwig SteinCarl Prantl     
 
ANNY ANGEL
Einige Bemerkungen
über den Optimismus


"Der Steinklopferhans schildert, wie er zu seiner so wohltuend heiteren Sicherheit gelangt ist. Er erzählt, daß er erst eine Offenbarung erleben mußte, um der lustige Steinklopferhans zu werden. Vorher war es ganz anders gewesen. Er war ein Armhansl, den eine Kuhdirn auf die Welt brachte und zu dem sich kein Vater finden hatte wollen. Bald nach der Geburt starb auch die Mutter und als Gemeindekind ließ man ihn jeden Groschen, den man für ihn zahlen mußte, entgelten. Er mußte in Kirche und Schule zurückstehen. Nach dem Militär setzten sie ihn schließlich hinauf in den Steinbruch und ließen ihn wie einen Einsiedler sitzen, ohne Ansprache. Da erkrankte er und war zuerst trotzig und wollte sich sterben lassen. Doch beschließt er nicht in seiner dumpfigen Hütte, sondern draußen zu sterben.  Wenn die grüne Wiesen dir a weiche Tuchet unterbreit und die Sonn' dir die Augen zudruckt, schlafst ein und wirst nimmer munter. Was kann dir gschehn." 

Wir alle kennen Menschen, die man als Optimisten bezeichnet. Es handelt sich um Leute, die fast ständig gut gelaunt, heiter und sicher erscheinen, mit der Gegenwart offenbar zufrieden sind und von der Zukunft nur Gutes erwarten. Es hat beinahe den Anschein, als ob solchen Menschen auf geheimnisvolle und wunderbare Weise Mißgeschicke des Lebens nichts anhaben können. Manchmal ist es nur bei flüchtiger Betrachtung so und es stellt sich bei näherer Bekanntschaft bald heraus, daß solche Menschen keineswegs im Gleichgewicht sind, sondern vielfach von schweren Neurosen geplagt werden. Man ist daher geneigt anzunehmen, daß Fälle von wirklich echtem Optimismus nur vereinzelt sind. Ich möchte Ihnen hier drei Beispiele kurz schildern. Wirklich echte Optimisten pflegen selten in Analyse zu kommen. So bezieht sich auch mein Material vorwiegend auf die Formen des scheinbaren Optimismus, vielleicht wird es uns aber gelingen, von der Pathologie her etwas zum Wesen des wirklichen Optimismus zu erfahren.

Der erste Fall von dem ich ihnen berichten will, zeichnete sich durch eine merkwürdige Art des Optimismus aus, den wir in der Analyse als eine Art von Wunderglauben auffassen lernten. So hegte die Patientin die mysteriöse Erwartung, daß etwas geschehen würde und sie gesund machen werde, ohne daß von ihrer Seite eine Anstrengung nötig wäre. Dieses Verhalten erwies sich in der Behandlung als ein schwer zu bekämpfender Widerstand, dessen Auflösung uns zum Verständnis ihres angeblichen Optimismus führte. Genauso wie in der Analyse benahm sie sich auch im Leben. Kam ihr z. B. zum Bewußtsein, ihre Ehe sei nicht das Richtige, war sie sofort überzeugt, das könne noch gut werden, das werde sich schon ändern. Oder sie pflegte sich nackt in den Spiegel zu schauen, sie gefiel sich dabei nicht, fand sich zu dick, doch ging ihr dieser Eindruck nicht zu nahe, da sie dabei die sonderbare Vorstellung hatte, das könne sich alles noch ändern, sie könne noch schlank werden, ohne daß es nötig wäre, irgendetwas dazu zu tun. Alles, was sie sich irgendwie wünsche, werde noch in Erfüllung gehen. Man habe nichts zu tun als zu warten, nichts sei verloren. Im Leben draußen wir in der Analyse galt die Formel: Es wird schon werden. Auf diese Weise konnte sie Unangenehmes von sich fernhalten, denn die gegenwärtige Realität war nicht beunruhigend und die Zukunft schien ihr ohnedies rosig.

Im Gegensatz zu diesem völlig utopischen, irrealen, ja unsinnigen Wunderglauben stand auf der anderen Seite die verzweifelte Überzeugung der Patientin, nicht vollwertig zu sein, ja einen schweren Defekt zu besitzen und zwar auf geistigem Gebiet. Sie sei unbegabt, unintelligent, dumm, ganz besonders im Vergleich mit ihren Geschwistern. Die um ein Jahr ältere Schwester, die sie zwar für überlegen hielt, beneidete sie nicht übermäßig, obwohl diese sich die Zufriedenheit des Vaters aufgrund ihrer Leistungen erworben hatte. Unsere Patientin hatte aber mit ansehen müssen, wie sehr die Schwester sich anstrengen mußte, um dieses Ziel zu erreichen. Wer sich anstrengt, ist nicht begabt, folgerte sie. Für begabt hielt sie den Bruder. Niemals sah man ihn lernen und doch war er einer der besten Schüler. Es stellte sich bald heraus, daß die Patientin in den ersten zwei Volksschulklassen noch sehr gut lernte und dann plötzlich versagte. Dies war zur Zeit als der Bruder in die Mittelschule kam und von seinen Lehrern und dem Vater für seine Leistungen so außerordentlich gelobt wurde, ohne daß die Patientin ihn je lernen gesehen hätte. Da gab auch sie sofort das Lernen auf mi dem Gefühl, daß, was der Bruder könne, auch ihr gelingen müsse. Sie benahm sich zunächst auf geistigem Gebiet so wie zuweilen Kinder auf sexuellem Gebiet, die die Penislosigkeit mit allen Mittln zu verleugnen trachten. Daher lernte sie für die Schule nichts, versagte natürlich und änderte dieses Verhalten auch späterhin nicht. So ging sie als Erwachsene zu einer Musikstaatsprüfung, ohne für das theoretische Examen auch nur ein Buch angesehen zu haben, mit der realitätswidrigen und völlig unsinnigen Überzeugung, es müsse auch so ghen; natürlich fiel sie durch. Auch bei der Wiederholung des Examens erschien sie vor den Prüfern ebenso unvorbereitet wie das erste Mal und mit der gleichen unsinnigen Überzeugung. In der Musik hatte sich allerdings die Begabung des Bruders besonders gezeigt. Während die Patientin nämlich fleißig üben mußte, um etwas zu erreichen, war der Bruder so begabt, daß er ohne je gelernt zu haben, sich bloß zum Klavier setzen mußte und gut spielte. Der Vater, der die Patientin beim Üben sehr oft tadelte, wenn sie daneben griff und niemals lobte, war begeistert, wenn der Bruder ohne je zu üben, einfach spielte. Es mußte also bei unserer Patientin zur Überzeugung werden, man könne sich nichts erarbeiten, alles müsse von selbst da sein so wie den Bruder, der nichts dazu tun braucht; muß sie sich anstrengen, um ihre Liebe zu erwerben, so hat sie wohl im Gegensatz zum Bruder, dem scheinbar alles ohne Anstrengung zufiel, einen Defekt.

Erst viel später in der Analyse erkannte die Patientin, daß sich hinter ihrem geistigen Defekt ein scheinbar körperlicher verbarg: ihre Penislosigkeit. Sie begriff ihre Peniswünsche und erkannte, daß das eigentliche Wunder, das sie erwarte und ständig von der Zukunft erhoffe, das sei, einen Penis zu haben wie der Bruder, um eben so begabt zu sein wie er, um damit alles ebenso gut zu treffen wie er, um sich die Liebe der Eltern ebenso zu erwerben wie er. Mit dem Glauben, daß nur ein Wunder die Wünsche der Patientin erfüllen könne, zeigte sie, daß sie im Grunde doch wisse, daß auch ihr Peniswunsch nur durch ein Wunder erfüllt werden könne. Sie hat sich nicht abgefunden mit der Penislosigkeit, kennt aber  selbst  die Unerfüllbarkeit dieses Wunsches. Andererseits aber versucht sie doch immer wieder, ob in der Realität nicht doch ein Wunder geschehen könne. Ob man nicht bei Prüfungen durchkomme, auch wenn man nichts gelernt habe, ob die Beziehung zum Mann sich nicht ändern würde, ohne sich im geringsten anzustrengen. Denn wenn es überhaupt Wunder gibt, dann kann sie auch die Hoffnung auf die wunderbare Erfüllung ihres Peniswunsches behalten. Ihr Optimismus war wirklich nur ein scheinbarer. Sie konnte ihn sich nur unter Verleugnung der realen Umstände, nämlich ihrer Penislosigkeit erhalten.

Im Fall einer jungen Frau, bei der ich ebenfalls die Möglichkeit hatte, ein optimistisches Verhalten zu beobachten, war auffällig, wie besonders weiblich ihr äußeres Verhalten Männern gegenüber war, während in ihren Handlungen häufig eine gewisse männliche Note auffiel. Sie trieb gern männlichen Sport, setzte sich gern gefährlichen Situationen aus und war in diesen von auffallender Angstfreiheit und blickte stets mit Sicherheit in die Zukunft. Sie wirkte auf Fernerstehende stets selbstsicher und heiter. Ängstlich verbarg die Patientin vor sich und der Welt, daß sie bei Arbeiten, die in ihr berufliches Gebiet fielen, eine große Unsicherheit habe und das Gefühl, darin nichts leisten zu können. Es stellte sich heraus, daß sie Angst hatte, der Kritik und der Konkurrenz der Berufsgenossen nicht standhalten zu können. Eine Befürchtung, die ihre vorhandene Begabung nicht zur Geltung kommen ließ und im Widerspruch stand zu ihrer sonstigen Unerschrockenheit.

Die Heiterkeit, Furchtlosigkeit und Hoffnungsfreudigkeit dieser Patientin verdeckten in Wahrheit ein tiefes Minderwertigkeitsgefühl. Dieser Vorgang wurde ihr ermöglicht durch eine gewisse Art des Phantasierens: Sie hatte keine bestimmten groß ausgesponnenen Phantasien, sondern für jede Lebenslage, die gefährlich oder unangenhem sein könnte, bildete die Patientin eine Phantasie aus, die die reale Situation glücklich ausgehen ließ. Dabei wurde die Realität vollkommen oder mit möglichst kleinen Änderungen in die Phantasie aufgenommen und auch der Ausgang derselben mußte so sein, daß er unter Umständen leicht in Wirklichkeit hätte vorkommen können. Wenn sich in die Phantasie ein irreales Element einschlich, so hörte sie auf, lustvoll zu sein, weil das eine irreale Element die Phantasie als solche als phantastisch entlarvte. Änderte sich die reale Situation der Patientin so, daß die Phantasie ihr nicht mehr entsprach, so wurde auch die Phantasie der neuen Realität angepaßt. Von unzähligen Phantasien genügt es, einige anzuführn. So etwa phantasierte die Patientin von Reisen, die sie machen wollte, von Erstbesteigungen und einer Erforschung neuer Gegenden. Das Doktorat sollte ihr dazu verhelfen, das weitgesteckte Ziel als Forschungsreisende zu erreichen. Die Patientin spielte in vielen dieser Phantasien zuerst die Rolle einer harmlosen Mitreisenden und trat nur soweit aus dieser bescheidenen Rolle hervor, als es ihre, in der Realität erprobten, Fähigkeiten gestatteten. Oder sie phantasierte, daß sie alle Fragen, die ihr bei einem bevorstehenden Examen gestellt würden, beantwortete, weil es gerade solche Fragen waren, die sie besonders gut studiert hatte. Ihre Dissertation würde als eine wissenschaftliche Leistung ersten Ranges anerkannt werden. In Wahrheit hatte sie Angst von der Prüfung und fürchtete, daß ihre Dissertation nicht angenommen werde. Das Gemeinsame dieser Phantasien lag darin, der Patientin Anerkennung und Bewunderung ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten zu bringen, während die Patientin selbst ihre Kräfte für unzureichend hielt.  Ihre Phantasien mußten realitätsfähig sein, damit sie die dahinter verborgene Phantasie, ein Mann zu sein, ebenfalls als realisierbar annehmen konnte.  Dazu gehörte auch eine Tendenz der Patientin, ihre Phantasien weitgehend zu realisieren, um sich zu beweisen, daß damit auch die Phantasie, ein Mann zu sein, real möglich sei. Trotz dieser Phantasien lehnte sie homosexuelle Beziehungen bewußt und unbewußt vollkommen ab. Der erste Traum in ihrer Analyse ließ die Gründe dieser Ablehnung durchschauen. Der Traum lautete:  Die Patientin liegt nackt auf einer dunkelhaarigen, ebenfalls nackten Frau und will mit ihr verkehren. Da merkt sie, daß sie eine Menstruationsbinde anhat.  In der dunklen Frau erkannte die Patientin unschwer die Mutter. Sie kann mit der Mutter nicht verkehren, da sie selbst kastriert, also eine Frau ist. In der Analyse stellte es sich heraus, warum sie die Homosexualität ablehnte: sie fürchtete, während eines Aktes sich ihre Penislosigkeit eingestehen zu müssen und so in ihrer Phantasie ein Mann zu sein, gestört zu werden. Sie vermied Frauenfreundschaften, um sich nicht sagen zu müssen, daß sie so wie diese Frauen sei. Freundschaften mit Männern hingegen sagten ihr zu, soweit sie ihr bewiesen, daß sie das gleiche leisten könne wie diese. Zu sexuellen Verhältnisse ließ sie es nicht kommen, ebenfalls um ihre Penislosigkeit nicht eingestehen zu müsen. Über Frauen, die ihre männlichen Wünsche nach außen zur Schau trugen, pflegte sie sich lustig zu machen, aus der unbewußten Einstellung: Die  tun  nur so, als ob sie Männer wären, in Wirklichkeit sind sie Frauen. Ich aber gebe mich als Frau, in Wirklichkeit bin ich aber ein Mann. Diese Patientin ist darum im praktischen Leben heiter, in Gleichgewicht und realitätstüchtig, weil nicht nur ihre Phantasien realitätsgerecht sind, sondern auch ihr ganzes Verhalten vollkomen der Realität entspricht. Aber sie ist nicht deshalb realitätsangepaßt, weil sie die Realität wirklich anerkennt, sondern um eine Phantasie behalten zu können. Dadurch stellt sie umso sicherer die unmögliche, realitätswidrige Phantasie, einen Penis zu haben, als real hin. Sie vermeidet jeden Widerspruch zwischen Realität und Phantasie, um nicht in dieser Phantasie gestört zu werden und diese Phantasie aufgeben zu müssen.

Beide Fälle wollen sich über Penislosigkeit hinwegtäuschen, um sich vor depressiver Hoffnungslosigkeit zu schützen. Während die erste es sich mit Hilfe ihres Wunderglaubens und der Verleugnung der realen Tatbestände (ihre Penislosigkeit) ermöglicht, erreicht die zweite dieses Ziel, indem sie die Realität überbetont. Selbst ihre Phantasien zeigen eine auffällige Realitätsangepaßtheit. Sie will mit der Art ihrer Phantasien ausdrücken: So wie, was ich phantasiere, ja der Realität so gut entspricht, daß es heute oder morgen erfüllbar wäre, so erfüllbar ist auch mein Peniswunsch. Mit dieser Jllusion kann sie sich ihre optimistisch gute Laune erhalten.

Bei unserem dritten Fall handelte es sich um eine junge Frau, die sich in allen Lebenslagen, auch in schwierigen und gefährlichen, mit Leichtigkeit und Heiterkeit zurechtfand. Auch für die manchmal unsichere oder selbst nicht verlockende Zukunft hatte sie nur ein Lachen oder Achselzucken und war immer von vornherein überzeugt, daß sich alle Schwierigkeiten lösen würden und der Ausgang nicht zu fürchten sei. Irgendeine Angst vor der Zukunft war ihr fremd. Schon in der Kindheit konnte sie ihre Angst merkwürdig leicht überwinden. Zwischen ihrem 2. und 13. Lebensjahr fielen eine Rihe kleinerer Unfälle und Operationen. Knieverletzung, Zahnoperation, ein Finger, der genäht werden mßte. In allen diesen Fällen erhob sie zuerst ein ängstliches Geschrei, stellte aber dann ganz von selbst plötzlich das Weinen ein mit dem Gedanken: es kann gar nicht so arg sein. Und damit war die Angst verschwunden. Die spätere Analyse ergab, daß dieser Gedanke etwa ausdrücken sollte: Was ist das alles im Vergleich zur Kastration. Die habe ich hinter mir und was Ärgeres kann nicht mehr kommen. Dieser Gedanke ist als späteres Lebensmotto des Falles fast bewußt. Er lautet: Mir kann nichts geschehen. Was zu ergänzen ist durch den Nachsatz: Weil ich ohnehin schon kastriert bin. Dieses Gefühl half der Patientin über die verschiedensten schwierigen Situationen hinweg. Bei Prüfungen war die Patientin vollkommen angstfrei, auch wenn sie völlig unvorbereitet war. Hatte sie die erste Frage beantwortet, was ihr meist gelang, blieb sie bei den nächsten Fragen vollkommen gleichgültig mit dem Gefühl, es könne ohnehin nichts mehr passieren und sie gab daher bei Fragen, die sie nicht beantworten konnte dem Prüfer ruhig Ihre Unkenntnis zu. Hinzuzufügen ist, daß sie alle Prüfungen leicht bestand.

Als die Patientin auf einer Bergtour einmal tatsächlich abstürzte und nur eben noch am Seil hing, reagierte sie komisch beleidigt, daß ihr also doch etwas passieren könne. Sie gewann aber gleich darauf ihr Gefühl der Sicherheit wieder, asls sie sah, daß doch wieder nichts passiert war. Als sie einmal im Freien übernachten mußte, trieben sich in ihrer nächsten Umgebung verdächtige Elemente herum. Obgleich die Gefahr eine Überfalls ziemlich nahe lag, schlief sie ruhig ein, mit dem Gedanken: Weils eh wurscht ist! Dieses selbe Verhalten zeigte sie bei ihrem ersten sexuellen Verkehr, bei dem sie die Angst mit dem gleichen Gedanken: weil's wurscht ist, zu bannen verstand. Weitere intime Beziehungen ging sie jedesmal ein mit dem gleichen Gefühl: Was kann schon sein, ich riskiere ja nichts. Wenn sie daran dachte, daß sie mit einer Situation einmal nicht fertig werden könnte, war ihr der Gedanke an den Tod kein Schrecken, sondern eher eine Zuflucht. Dann könne ihr bestimmt nichts mehr passieren.

Diese Patientin mußte sich keine Phantasien und Systeme bilden, um sich vor der Erkenntnis ihrer Penislosigkeit und den daraus resultierenden Depressionen zu schützen, denn sie hat ihre Penislosigkeit akzeptiert. Das einfache Gefühl, es könne ihr nichts geschehen, genügte, um ihr jene heitere Sicherheit zu geben, die man an Optimisten so schätzt. Sie hatte ihre Penislosigkeit akzeptiert und war mit ihrer weiblichen Rolle ausgesöhnt, im Vergleich zum gut überstandenen Trauma der Kastration können ihr die Gefahren, die das Leben mit sich bringt, nichts mehr anhaben.

Ich glaube, Sie werden mir zustimmen, daß der letzte Fall von den ersten zwei Fällen in der Betrachtung gesondert werden muß. Die ersten zwei Fälle müssen sich auf die verschiedenste Art und Weise vor der Erkenntnis der Penislosigkeit schützen, um eine anscheinend heitere Stimmung oder Angstfreiheit zu erreichen. Der dritte Fall dagegen verfügt einfach über ein Lebensmotto, das ihr in schwierigen Situationen vollständig ausreicht. Es ist weiter nichts als ein Memento, daß sie sich gleichsam zuruft, das eigentliche Trauma der Kastration sei ja längst vorüber und gut überstanden und nun könne ihr ja nichts geschehen. Nur diese letzte Patientin war wirklich im Gleichgewicht und angstfrei und ist die einzige, die man als echte Optimistin bezeichnen kann.

Bei den zwei ersten Fällen handelt es sich um mehr oder weniger gut geglückte Methoden, die Kastrationsangst zu bannen. Warum die eine Patientin mit primitivem fatalistischem Wunderglauben versuchte, ihre Angst zu bannen, einem Mittel, das unmöglich zureichend sein konnte und sie in der Realität in eine schwere Neurose und zum Scheitern führen mußte, und warum es der zweite Fall zusammenbrachte, sich ein ausgezeichnet geschlossenes System von Phantasien zu schaffen, die sie vor schweren neurotischen Symptomen schützten und realitätstüchtig werden ließen, ist nicht ohne weiteres klar.

Wenn das Trauma und die Verleugnung desselben, sowie die daruf einsetzende Penisphantasie zu einem Zeitpunkt der Entwicklung erfolgen, zu dem der Wirklichkeitssinn des Kindes schon stark entwickelt und es genötigt ist, Realitätsprüfungen vorzunehmen, dann ist das Kind nur mit Hilfe eines so komplizierten realitätsangepaßten Systems imstande, die Realität zu verleugnen, wie der zweite Fall, der sich bemühte, möglichst realitätsangepaßte Phantasien zu haben.

Wenn hingegen das Trauma zu einem Zeitpunkt erfolgt, wo der unentwickelte Wirklichkeitssinn es noch gestattet, an Wunder zu glauben, so scheint sich das Kind auch im späteren Leben des magischen Mechanismus zu bedienen (Fall 1).

So schreibt FERENCZI in den "Entwicklungsstufen des Wirklichkeitssinnes": "Alle Kinder leben im glücklichen Wahn der Allmacht, der sie irgendwann, wenn auch nur im Mutterleib, wirklich teilhaftig waren. Es hängt von ihrem DAIMON und ihrer TYCHE [griech. Schicksalsgöttin - wp] ab, ob sie die Allmachtsgefühle auch in spätere Leben hinüberretten und Optimisten werden können oder ob sie die Zahl der Pessimisten vermehren werden, die sich mit der Versagung ihrer unbewußten irrationalen Wünsche nie versöhnen, sich durch die nichtigsten Anlässe beleidigt, zurückgesetzt fühlen und für Stiefkinder des Schicksals haltn, weil sie nicht seine einzigen und Lieblingskinder bleiben können."

Mir scheint, daß jene, die das Allmachtsgefühl ins spätere Leben hinübertragen und nicht realitätsangepaßt sind, scheitern müssen im Moment, wo sie ihre Ohnmacht erkennen. Diejenigen, die die Allmachtsgefühle ins spätere Leben hinüberretten und sie dazu verwenden, um sich unbewußte, irrationale Wünsche als erfüllbar hinzustellen, also in der Irrealität leben, sind nur Scheinoptimisten, nach dem Muster meiner ersten zwei Fälle. Auch dann, wenn es ihnen dadurch gelingt, sich Enttäuschungen vom Leib zu halten. Ein echter Optimist ist meiner Ansicht nach nur derjenige, der die Realität weitgehend akzeptiert hat. Das hängt allerdings stark von DAIMON und TYCHE ab. FERENCZI sagt selbst an einer anderen Stelle der Arbeit, daß übertriebene Allmachtsgefühle an die die Patientin in ihrer Kindheit fixiert wurden, es ihnen später unmöglich machen können, sich an spätere Versagungen anzupassen. Er denkt dabei an Fälle von manifestem neurotischem Größenwahn, hinter dem sofort das Minderwertigkeitsgefühl steckt.

Diese Frage berührt das Thema der Neurosenwahl, zu dem FREUD schreibt: "Die Entscheidung über die spätere Erkrankungsart hängt davon ab, in welcher Phase der Ich- und der Libidoentwicklung die disponierende Entwicklungshemmung eingetroffen ist." FERENCZI vermutet, daß der Wunschgehalt der Neurose, das heißt Art und Ziel der Erotik, die die Symptome als erfüllt darstellen, von der Phase der Libidoentwicklung an der Fixierungsstelle abhängt, während über den Mechanismus der Neurosen wahrscheinlich jenes Stadium der Ich-Entwicklung entscheidet, in dem sich das Individuum zur Zeit der disponierenden Hemmung befand.

Der Optimismus einer Frau kann natürlich nicht nur davon abhängig sein, zu welchem Zeitpunkt und auf welche Weise sie ihre Penislosigkeit akzeptiert hat. Das letztere ist abhängig davon, wie sich ihre Umgebung zu ihr als dem kastrierten Wesen eingestellt hat. So hörten wir von der ersten Patientin, daß beide Eltern sich wenig um die Patientin kümmerten, während sie den Bruder mit besonderer Liebe umgaben, so daß die Patientin infolge des elterlichen Verhaltens sich gedrängt fühlte, in ihrer Penislosigkeit einen Defekt zu sehen.

Im zweiten Fall wußte das Kind, daß statt ihrer ein Bub erwartet worden war. Der Vater, der das kleine Mädchen liebte, bestärkte ihre Jllusion, ein Bub zu sein, indem er sie stets mit einem Bubennamen rief und jegliche männliche Betätigung förderte, was natürliche ihren Glauben an die Allmacht ihrer Wünsche verstärken mußte.

Im Fall unserer letzten Patientin war die Beziehung des Kindes zu den Eltern eine relativ ungestörte gewesen. Die Patientin war das einzige Kind, von beiden Eltern zärtlich geliebt, eben als das Mädchen, das sie war. Ihre Kindheit war fast reibungslos verlaufen, ihre Säuglingsperiode befriedigend. Ihre Mutter hatte in allen Schwierigkeiten des Kindes auf eine stille und sichere Art ihm zu verstehen gegeben, daß sie zu ihm halte und gegebenenfalls auch den Vater beeinflussen könne, helfend und schützend einzugreifen. Aus diesem Verhältnis zur Mutter, das durch ein inniges Verbundenheitsgefühl gekennzeichnet war, erwuchs ihre Sicherheit, mit schwierigen Situationen fertig zu werden und auf eine gute Lösung zu hoffen. Sie hatte die schützende, tröstende Haltung, die die Mutter ihr gegenüber als Kind hatte, in ihr späteres Über-Ich aufgenommen.

Wirklicher Optimismus scheint nach einigen wenigen Beobachtungen, die ich machen konnte, nur dort möglich, wo das Kind wie in diesem Fall sich wirklich geliebt und geschützt weiß.

ABRAHAM hat in seinen Studien zur Charakterbildung darauf hingewiesen, daß es sich bereits in der oralen Phase entscheiden kann, ob ein Mensch zum Optimisten wird. Er meint, daß Menschen, deren Säuglingszeit ungestört und lustreich verlaufen ist, aus dieser glücklichen Lebenszeit eine tief in ihnen wurzelnde Überzeugung mitbringen, es müsse ihnen immer gut gehen. Sie stehen dem Leben mit unerschütterlichem Optimismus gegenüber, der ihnen oftmals zur tatsächlichen Erreichung praktischer Ziele behilflich ist. Daß bei vielen Menschen auch im erwachsenen Alter die gute Laune vom guten Essen abhängig ist, daß die Zukunft uns nach einer ausgiebigen Mahlzeit erfreulicher erscheinen kann, ist eine Binsenwahrheit. Ebenso wie es allgemein bekannt ist, daß die Pessimisten, die Unzufriedenen, sich aus jenen rekrutieren, die aus irgendwelchen Gründen oral unbefriedigt waren oder sind.

Ich hatte leider nicht die Gelegenheit, männliche Optimisten näher zu untersuchen. Ich habe im Leben flüchtig einige Fälle gekannt, denen eines gemeinsam zu sein schien: eine ungewöhnliche Liebe zur Natur und ein besonderes Gefühl in ihr förmlich aufgehen zu können. (1) Dasselbe zeigt auch ein männlicher Optimist, der mir aus der Literatur bekannt ist. Es handelt sich um die reizende Gestalt, die ANZENGRUBER in seinen "Kreuzelschreibern" geschaffen hat, um den Steinklopferhans. Dieser schildert in dem Stück, wie er zu seiner so wohltuend heiteren Sicherheit gelangt ist. Er erzählt, daß er erst eine Offenbarung erleben mußte, um der lustige Steinklopferhans zu werden. Vorher war es ganz anders gewesen. Er war ein Armhansl, den eine Kuhdirn auf die Welt brachte und zu dem sich hatte kein Vater finden wollen. Bald nach der Geburt starb auch die Mutter und als Gemeindekind ließ man ihn jeden Groschen, den man für ihn zahlen mußte, entgelten. Er mußte in Kirche und Schule zurückstehen. Nach dem Militär setzten sie ihn schließlich hinauf in den Steinbruch und ließen ihn wie einen Einsiedler sitzen, ohne Ansprache. Da erkrankte er und war zuerst trotzig und wollte sich sterben lassen. Doch beschließt er nicht in seiner dumpfigen Hütte, sondern draußen zu sterben. "Wenn die grüne Wiesen dir a weiche Tuchet unterbreit und die Sonn dir die Augen zudruckt, schlafst ein und wirst nimmer munter. Was kann dir gschehn." Er tut so wie er denkt und draußen in der Natur hat er seine Eingebung. Es kommt ein tiefer Frieden über ihn, auf der Wiese haben die Käfer und Heupferdchen sich getummelt und gelärmt, die Vögel haben gezwitschert. Da kommt die Eingebung: Du gehörst zu dem allen und alles gehört zu dir. Es kann dir nix gschehn. Egal ob du sechs Schuh tief unter der Erde liegst oder ob du das alles vor dir noch viel tausendmal siehst, es kann dir nix gschehn. - Da war er zum erstenmal lustig und ist es seither geblieben.

Ich glaube nicht fehlzugehen, wenn ich annehme, daß das lustvolle Naturgefühl beim Steinklopferhans, so wie STERBA im Anschluß an FEDERNs Ausführungen es hervorgehoeben hat, auf einer Erweiterung seiner Ich-Grenzen in die Außenwelt beruth. Auch SACHS sagt in seiner Arbeit, daß das Naturgefühl der Stufe des Narzißmus entspreche. Aus der Erzählung des Steinklopferhans kann man entnehmen, daß er sich plötzlich eins fühlt mit der Mutter Natur, die Mutter hat ihn gar nicht verlassen, ihn der bösen Umwelt und Einsamkeit überlassen, sie ist ja da, nicht nur allgegenwärtig, er gehört zu ihr und bildet mir ihr ein Ganzes. Es ist die Darstellung einer beglückenden Mutterleibsregression. Nun fühlt er sich so sicher und lebt fortan nach dem Motto: Es kann dir nix gschehn. Was immer geschehe, auch im Tod ist er in der Mutter dring und das hilft ihm seine Todesangst zu überwinden. Dies finden wir übereinstimmend im Fall der echten Optimistin. Sie ist ebenso wie der Steinklopferhans imstande, ihre Todesangst zu überwinden, die Regression in den Mutterleib hat ihren Angstcharakter verloren und gilt nur mehr als der Ort der Ruhe, der Sicherheit, der Geschütztheit.

Es kann wohl kein Zufall sein, daß nicht nur der Steinklopferhans, sondern alle Optimisten, die ich gekannt habe, einen ausgesprochenen Sinn für Humor besaßen und es liegt daher die Vermutung nahe, daß zwischen Optimismus und Humor irgendeine Verwandtschaft besteht.

In seiner Arbeit über Humor frägt sich FREUD: "Worin besteht die humoristische Einstellung, durch die man sich dem Leiden verweigert, die Unüberwindlichkeit des Ichs durch die reale Welt betont, das Lustprinzip siegreich behauptet, all das aber, ohne wie andere Verfahren gleicher Absicht den Boden seelischer Gesundheit aufzugeben?" FREUD beantwortet diese Frage: In einer bestimmten Lage wird das Über-Ich überbesetzt, das nun die Reaktionen des Ichs abändert. Es dient, wenn es die humoristische Einstellung herbeiführt - eigentlich die Realität abweist - einer Jllusion. Als wollte es sagen: "Sieh her! Da ist nun die Welt, die so gefährlich aussieht! Ein Kinderspiel, gerade gut, einen Scherz darüber zu machen!" - Während das Über-Ich beim Humor es nur für wenige Augenblicke fertigbringt, eine milde, tröstende Haltung einzunehmen und es dadurch ermöglicht, sich einer glücklichen Jllusion hinzugeben - scheint das Über-Ich beim echten Optimismus dem Ich gegenüber  dauernd  diese so beruhigende Haltung einnehmen zu können.
LITERATUR - Anny Angel, Einige Bemerkungen über den Optimismus, Vortrag gehalten in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung am 15. Juni 1932 - Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Bd. XX, Heft 2, Wien 1934
    Anmerkungen
    1) "Dieses Eins-sein mit dem All, was als Gedankeninhalt ihm zugehört, spricht uns ja an wie ein erster Versuch einer religiösen Tröstung, wie ein anderer Weg zur Ableugnung der Gefahr, die das Ich als von der Außenwelt drohend erkennt". Freud - Das Unbehagen in der Kultur, Seite 19