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ALBERT AFFOLTER
Rechtsbegriffe und Wirklichkeit

"Das Heraussuchen und Hervorheben aller in der Wirklichkeit vorhandenen Momente als Merkmale des Rechtsbegriffs ist eine geistige Tätigkeit, aber im Grunde keine andersgeartete als die bei der Begriffsbildung anderer wirklicher Dinge. Der Geist ordnet auch die Beobachtungen, aber er fügt nichts hinzu, das nicht in Wirklichkeit da wäre und läßt auch nichts weg, das in einem wesentlichen Zusammenhang steht."

"Der Mensch ist so oft Person, als es Rechtsordnungen sind, die auf ihn einwirken; jeder Verband hat seine eigene Rechtsordnung und der Mensch ist Mitglied des Verbandes nur als Person gemäß dieser Rechtsordnung. So ist der Mensch Mitglied eines Vereins als Persönlichkeit gemäß dem Vereinsrecht; er ist Mitglied der Gemeinde als Persönlichkeit gemäß dem Gemeinderecht; er ist Mitglied des Gliedstaates als Rechtssubjekt gemäß dem gliedstaatlichen Recht; er ist Mitglied des Staates als Rechtssubjekt nach staatlichem Recht."


I.

Die Frage nach der Wirklichkeit der Rechtsbegriffe ist die Frage, ob den Vorstellungen, aus denen der Rechtsbegriff sich zusammensetzt, nach allen Richtungen hin Tatsachen der äußeren Erfahrung zugrunde liegen.

JELLINEK, in seiner "Allgemeinen Staatslehre", verneint diese Frage. Er sagt Seite 155: "Den Rechtsbegriffen als solchen entspricht keine Realität außerhalb von uns." Ferner: "Der Begriff der Körperschaft aber ist ein rein juristischer Begriff, dem, wie allen Rechtsbegriffen, in der Welt der Tatsachen nichts objektiv Wahrnehmbares entspricht." Und in seinem System der subjektiven öffentlichen Rechte, Seite 17: "Die juristischen Begriffe haben keine Wesenheiten zum Objekt."

Es scheint mir aber, daß nur etwas Wirkliches, nur etwas, das voll und ganz der empirischen Betrachtung zugänglich ist, auf dem Gebiet des gesellschaftlichen Lebens zu wirken vermag. Der Rechtsbegriff muß Vorstellungen äußerer Wirklichkeit enthalten; die in Sprachsätze ausgedrückten Rechtsbegriffe haben Vorstellungen hervorzurufen, die genau der Welt der Tatsachen entsprechen und nicht mehr und nicht weniger enthalten.

Nun rechnen wir aber nicht nur dasjenige, das wir unmittelbar sinnlich wahrnehmen können zum Wirklichen, sondern auch all das, was wir aus dem sinnlich Wahrgenommenen als in der Außenwelt vorhanden zu folgern vermögen. So sind z. B. die gesetzmäßig wirkenden Naturkräfte nicht unmittelbar der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich; wir folgern sie aus den wahrgenommenen Wirkungen usw.

Das Recht selbst, soweit es gilt, ist etwas Wirkliches, etwas das außerhalb der Vorstellungswelt des Beobachters existiert und wirkt. Freilich kann man das geltende Recht nicht unmittelbar wahrnehmen, da es seine Existenz nur im Wissen der Übenden hat; aber man kann es durch die Mitteilungen der Wissenden erfahren und man kann die Geltung aus sinnlich wahrnehmbaren Vorgängen folgern.

Das Recht bewirkt Verhältnisse zwischen Menschen, Rechtsverhältnisse. Diese Rechtsverhältnisse sind etwas Wirkliches; ihre Existenz und ihre Wirkungen können wir aufgrund sinnlicher Wahrnehmungen beobachten, bzw. folgern. Das Verhältnis ist allerdings nicht etwas, das selbst sinnlich wahrnehmbar wäre; es ist bloß der kurze sprachliche Ausdruck für das Vorhandensein einer Reihe von wirklichen Tatsachen. Dem Rechtsbegriff des Besitzes, um ein Beispiel anzuführen, entspricht die Wirklichkeit des Gegenstandes der Innehabung, die Tatsache der Beherrschung des Gegenstandes durch ein Subjekt und die Existenz des objektiven Rechts, das das Subjekt in der Innehabung gegenüber anderen Subjekten schützt. Alle Vorstellungen, die im Rechtsbegriff enthalten und durch den sprachlichen Ausdruck desselben wieder erweckt werden sollen, sind Vorstellungen von Wirklichem; fehlt nur ein Teil von diesem vorgestellten Wirklichen, so ist das, was wir mit dem Begriff bezeichnen wollen nicht da. Das dem Rechtsbegriff entsprechende Wirkliche ist allerdings nicht etwas, das man mit einem Blick überschauen, mit einem Griff fassen kann, es sind vielmehr eine Reihe sinnlicher Wahrnehmungen nötig, um das zusammenhängende Wirkliche zu erschließen. Das Heraussuchen und Hervorheben aller in der Wirklichkeit vorhandenen Momente als Merkmale des Rechtsbegriffs ist allerdings eine geistige Tätigkeit, aber im Grunde keine andersgeartete als die bei der Begriffsbildung anderer wirklicher Dinge. Der Geist ordnet auch die Beobachtungen, aber er fügt nichts hinzu, das nicht in Wirklichkeit da wäre und läßt auch nichts weg, das in einem wesentlichen Zusammenhang steht. Man wird vielleicht sagen, die Ordnung und Zusammenfassung des Wahrgenommenen zumindest sei etwas rein Geistiges, das durch die Wirklichkeit nicht gedeckt wird. Aber dieser Einwand ist unzutreffend. Der Zusamenhang muß, wenn die innerliche Ordnung und Zusammenfassung begründet sein soll, schon objektiv zwischem dem Wahrgenommenen bestehen. Der wirkliche Zusammenhang muß uns zur innerlichen Zusammenfassung nötigen, ohne daß eine subjektive Zutat erfolgt. Der äußere Zusammenhang drängt sich uns allerdings nicht immer sofort auf; er muß entdeckt, aber in der Welt der Wirklichkeit entdeckt werden.

Die Rechtsbegriffe sind nicht Abstraktionen, sie sind so konkret wie jeder andere Begriff von etwas Wirklichem; sie werden nur abstrakt, wo jeder andere Wirklichkeitsbegriff abstrakt wird, d. h. dann, wenn man nur den Gattungsbegriff hervorheben will.

Es wird insbesondere die Persönlichkeit als eine Abstraktion hingestellt. Was zunächst die Persönlichkeit des Menschen anbetrifft, so ist es richtig, daß die Natur nur Menschen schafft und keine Rechtssubjekte und daß es also eigentlich keine natürlichen, sondern nur juristische Personen gibt (LABAND, "Staatsrecht des Deutschen Reiches", Bd. 1, Seite 89, Anm. 1). Allein auch die Rechtsordnung, welche den Menschen Rechte verleiht und Pflichten überbindet, ist wirklich. Der Mensch und etwas weiteres, das aus der Rechtsordnung stammt, bilden vereint das Wirkliche, das dem Begriff der sogenannten natürlichen Person entspricht. Die Verbindung des rechtlichen Moments mit dem Menschen ist objektiv gegeben. GIERKE, "Deutsches Privatrecht", Bd. 1, Seite 470 bemerkt, die Persönlichkeit als Rechtsbegriff beruhe auf einer Abstraktion, die aus der Wirklichkeit einen Teilinhalt heraushebt. Das Herausheben von Momenten aus der Wirklichkeit ist aber durchaus nicht bloß der Bildung von Rechtsbegriffen eigentümlich. Bei jeder Begriffsbildung wird man das Zusammengehörende aus der übrigen Wirklichkeit herausheben müssen. Das Herausheben ist nicht Abstraktion, es wird nichts weggezogen, das sich nicht schon objektiv vom Übrigen als abhebbar erweist; es wird auch nichts weggelassen und weggedacht, das nicht schon objektiv als nicht zum Inhalt gehörig, dem Inhalt fremd, abseits steht. So ist der Begriff der Baumkrone, der Pflanzenwurzel, des Hausdaches, der Stuhllehne, der Messerklinge, der Nase, des Ohres usw. keine Abstraktion, obwohl man aus der Wirklichkeit einen Teilinhalt heraushebt. Der Rechtsbegriff ist, wie jeder Wirklichkeitsbegriff, Begriff von einem in der Außenwelt erkennbaren Geschlossenen. Die Teile oder Momente der Geschlossenheit können gleichzeitig Teile oder Momente von anderen Geschlossenheiten bilden; denn alles Wirkliche steht in einem Zusammenhang. Man kann z. B. die Muskeln der Hand als Bestandteile der Muskulatur überhaupt und hinwiederum als Bestandteile der Hand als solcher ansehen. Es vermag etwas zugleich Moment in verschiedenen Begriffen zu sein, je nachdem man den Gesichtspunkt wählt. Die Anordnung, welche dem Menschen die Rechtssubjektivität begründet, ist Bestandteil der Rechtsordnung, zugleich aber auch Bestandteil der Persönlichkeit. JELLINEK, "System der subjektiven öffentlichen Rechte", Seite 28 bemerkt: "Die Persönlichkeit gehört nicht der Welt der Dinge-ansich an, ist überhaupt kein Sein." Wenn man unter Ding-ansich sinnlich wahrnehmbare Körper versteht, so ist die Persönlichkeit allerdings nicht ein Ding-ansich; denn sie wirkt nicht in ihrer Totalität auf die Sinne. Wohl aber ist sie seiend, objektiv gegeben, in ihrer geschlossenen Wirklichkeit erkennbar. Wäre sie es nicht, so hätte sie keine Bedeutung in der Welt der Wirklichkeit. Die Person ist so gut wirklich wie der Freund, der Feind, die Geliebte, die Braut, der Vater, der Bruder etc. Da wie dort treten zur Wirklichkeit des Menschen wirkliche, objektiv erkennbare Beziehungen hinzu.


II.

Treten wir der Frage näher, ob dem Begriff des menschlichen Verbandes in der Welt der Tatsachen etwas Wirkliches entspricht. Wirklich sind die Menschen, die den Verband bilden; allein mit dieser Wirklichkeit haben wir noch nicht diejenige des Verbandes selbst. Wirklicht ist im Ferneren aber auch der Zusammenhang, der unter den Mitgliedern des Verbandes besteht. Die Beobachtung zeigt uns, daß diese Menschen in bestimmter Weise miteinander verkehren und sich zueinander verhalten, mit anderen Worten: in bestimmte gegenseitige Verhältnisse treten. Wir erkennen diese Verhältnisse als Wirkungen der geltenden Verbandssatzung, Wirkungen, die unserer Erfahrung zugänglich sind. Dieser objektiv gegebene Zusammenhang ist allerdings kein naturgesetzlicher oder physischer, wie der Zusammenhang der Zellen eines organischen Körpers; er ist lediglich ein rechtsgesetzlicher, bzw. ein vereinssatzungsmäßiger Zusammenhang, aber darum nicht weniger wirklich.

Die Zusammenschließung der einzelnen Menschen durch das Vereinsgesetz begründet eine Verbindung; das Verbundene hebt sich gegenüber anderem, nicht damit Verbundenem ab; es entsteht eine Geschlossenheit, ein Verband, eine äußere Einheit. Äußere Einheiten bilden sich durch die Geschlossenheit zusammenhängender kleinerer Einheiten; sie kehren ihre Einheit nach Außen und unterscheiden sich so vom Übrigen. So ist z. B. der Tisch, das Gebäude, der Felsblock usw. eine Einheit im Verhältnis zur Umgebung; der organische Körper ist eine Einheit im Verhältnis zu seinesgleichen und anderem. Die Geschlossenheiten sind Einheiten nur in Bezug nach außen; ihrem Inhalt nach sind sie Zusammensetzungen. Solange aber die Zusammensetzung nicht zerstört, der Zusammenhang nicht aufgehoben ist, erscheint uns das Geschlossene äußerlich als Eines und, wenn die Trennung nur unter Zerstörung der Zweckmäßigkeit der Verbindung geschehen könnte, als Individuelles. Die äußere Einheit ist aber nicht zugleich eine solche nach innen; Einheit in sich ist nur das nichtvorstellbare Atom.

Der Verband als eine im innern zusammenhängende Masse von Menschen und als nach außen sich abhebende Geschlossenheit oder Einheit, ist etwas Wirkliches, weil alles, was dabei zur Erscheinung kommt, wirklich ist, die Menschen und die geltenden Vereinssatzungen. Die Einheit ist dabei eine Folge des Sichabhebens der Verbindung, eine natürliche Folge, eine Folge, die ohne weiteres eintritt.

Die Einheiten sind für ihre Umgebng entweder Objekte oder Subjekte. Objekte sind sie, wenn sie bloß Einwirkungen von Außen erfahren; Subjekte sind sie, wenn sie von sich aus auf die Umgebung einwirken. Die Verbände erscheinen uns als Subjekte oder Individuen, nicht als Gegenstände, weil wir ein vernünftiges Wirken derselben auf ihre Umgebung beobachten können. Dabei ist das Subjekt des Verbandes noch nicht Rechtssubjekt, sondern wird es erst durch die Verleihung der über dem Verband stehenden Rechtsordnung. Die Verfassung des Verbandes macht den Verband nicht schon zum Rechtssubjekt. Allerdings wird der innere Zusammenhang der Teile des Verbandes durch die Rechtsnormen des Verbandsrechts bewirkt, allein die Einheit der Subjektivität ist keine Anordnung des Verbandrechts.

Zu betonen ist, daß der Zusammenhang unter den Mitgliedern des Verbandes durch die Vereinssatzungen bewirkt werden. Dieser Zusammenhang ist also ein rechtlicher und zwar bei allen menschlichen Verbänden, vom gewöhnlichen Verein aufwärts bis zum Staat; er ist geschaffen durch das objektive Recht der Vereinssatzungen. Die Entstehung des Verbandes fällt zusammen mit dem Inkrafttreten des Verbandsgesetzes, vorher finden nur Vorbereitungshandlungen statt. Vor dem Inkrafttreten der Verbandsverfassung besteht kein Verband, die Entstehung des Verbandes ist bedingt durch das Auftreten des geltenden Verbandsgesetzes. Das Verbandsrecht existiert auch nicht neben, unter oder über dem Verband, sondern nur im Verband. Es gibt Auffassungen, als ob die Verbindung der Glieder des Verbandes durch etwas anderes als durch Rechtsnormen bewirkt wird, durch irgendetwas Geistiges, so daß dann das Verbandsrecht neben dem Verband als besondere Wesenheit existiert. Diese Auffassung ist unzutreffend; nur das Recht verknüpft die Menschen durch die Begründung gegenseitiger Rechte und Pflichten, durch die Schaffung von Rechtsverhältnissen. Sitte und Gefühl kann dabei mitwirken aber nicht einzig die Verbindung begründen. Damit ist aber dargetan, daß das Verbandsrecht etwas Internes, etwas den inneren Zusammenhang bewirkendes, das Gesetzmäßige in der Geschlossenheit ist. Das Verbandsrecht ist nicht Gegenstand des Verbandes, so daß der Verband als Subjekt das Verbandsrecht zu erzeugen und abzuändern vermöchte. Der Verband hat das Verbandsrecht nicht geschaffen; denn er hat die Entstehung des Verbandsrechts zur Voraussetzung seiner Entstehung. Aber auch nach der Entstehung des Verbandes kann sich dieser nicht über das sein Inneres zusammenhaltende Recht erheben und es beeinflussen. Die Einheit oder Subjektivität, die ja nur in der nach außen sich kehrenden Unterscheidung des Ganzen besteht, kann sich nicht nach innen wenden. Die Änderung des Verbandsrechts wird nur durch Faktoren im Verband bewirkt, nicht durch den Verband selbst als Einheit. Das neu- oder weitergebildete Recht schmiegt sich dem bisherigen Recht an und übt die nämliche Funktion, d. h. die des Zusammenfassens der Mitglieder aus. Das Verbandsrecht steht aber auch nicht über dem Verband, es vermag nicht den Verband selbst zu beherrschen, es kann nicht aus dem Verband heraustreten und sich über ihn stellen, ihn mit Rechten und Pflichten, mit Rechtsfähigkeit oder Persönlichkeit ausstatten. Nur eine Rechtsordnung, die über dem Verband herrscht und höheren Ranges ist als das Recht der Verbandssatzungen, vermag der Einheit oder Individualität des Verbandes Rechte und Pflichten und damit die Persönlichkeit zu verleihen. Beim Staatsverband ist es nicht das staatliche Recht, sondern das Völkerrecht, das der nach außen sich kehrenden Einheit oder Individualität des Verbandes die Persönlichkeit verleiht. Der Rechtsbegriff des Verbandes ist überhaupt stets ein solcher des über dem Verband herrschenden Rechts und nicht des inneren Verbandsrechts, wenn auch der soziale Verbandsbegriff, worauf der Rechtsbegriff basiert, sich gleich bleibt.

Erklärungsbedürftig ist der Umstand, daß ein und derselbe Mensch Mitglied verschiedener Verbände sein kann. Die Erklärung liegt jedoch darin, daß mehrere Rechtsordnungen zugleich die Menschen zu beherrschen vermögen. Der Mensch ist dann so oft Person, als es Rechtsordnungen sind, die auf ihn einwirken; jeder Verband hat seine eigene Rechtsordnung und der Mensch ist Mitglied des Verbandes nur als Person gemäß dieser Rechtsordnung. So ist der Mensch Mitglied eines Vereins als Persönlichkeit gemäß dem Vereinsrecht; er ist Mitglied der Gemeinde als Persönlichkeit gemäß dem Gemeinderecht; er ist Mitglied des Gliedstaates als Rechtssubjekt gemäß dem gliedstaatlichen Recht; er ist Mitglied des Staates als Rechtssubjekt nach staatlichem Recht.

Mit den Vereinssatzungen werden Zwecke zu erreichen gesucht. Der Zweck kann zunächst in der Befriedigung der Interessen der Einzelnen als solchen liegen. Die Vereinssatzungen ordnen dann die Interessen gegenseitig, es entstehen gegenseitige Rechte und Pflichten, Rechtsverhältnisse der Mitglieder. Der Zweck kann aber auch in der Verfolgung gemeinsamer Interessen oder Bestrebungen liegen, die Vereinssatzungen ordnen dann die Art und Weise des gemeinsamen Vorgehens. Während die Befriedigung gegenseitiger Interessen das innere Leben des Verbandes, d. h. den gegenseitigen Kontakt der Mitglieder zum Ausdruck gelangen läßt, bringt das gemeinsame Vorgehen das Ganze, die Einheit des Verbandes in Kontakt mit der äußeren Umgebung.

Der Schutz und die Befriedigung der Genosseninteressesn soll durch das Wirken der Gesetze erzielt werden. Das Gesetz sieht dabei einzelne Genossen oder Gruppen von Genossen vor, die das innere Recht weiterbilden, für die Durchführung desselben sorgen und die gemeinsamen Interessen nach außen wahren. Man spricht von Behörden oder Organen. Die Organe sind im Verband enthalten, sind wirkliche Teile des wirklichen Ganzen. Wenn man aber diese Organe als von den ihre Umgebung bildenden weiteren Teilen des Verbandes abgehoben betrachtet, so erscheinen sie im Verhältnis zu dieser ihrer Umgebung ebenfalls als Einheiten. Es sind also Einheiten in der Einheit möglich. So können wir auch das Auge, das Herz usw. als Einheit in der Einheit des animalischen Körpers betrachten. Allerdings ist dann diese Einheit nur ein Teil des Inhaltes einer größeren Einheit und steht mit den übrigen Teilen der letzteren im Zusammenhang; allein eine gewisse Unterscheidung von den übrigen Teilen, eine gewisse Gegensätzlichkeit dazu kann beobachtet werden. So ist der einzelne Genosse Einheit in der Einheit des Verbandes sowohl in seiner Eigenschaft als Bürger, als auch in seiner Eigenschaft als Organ. Besteht das Organ aus mehreren Genossen, so beobachten wir zunächst einen besonderen gesetztlichen Zusammenhang dieser Genossen, herbeigeführt durch die Kollegialverfassung; diese Verbindung wird dann durch ihre, den übrigen Teilen des Verbandes sich zukehrende Unterscheidung zur Einheit. Die Organe als Einheiten erhalten vom Gesetz ihre Aufgaben zugewiesen, sie sind staatsrechtliche Rechtssubjekte oder Persönlichkeiten. Die Willensäußerung von Organen, die aus mehreren Genossen zusammengesetzt sind, ergibt sich aus den Beschlüssen derselben.

Der menschliche Verband vermag einen Willen gegenüber Seinesgleichen oder Gleichgestellten zu äußern. Der Staat gibt seine Willenserklärung gegenüber anderen Staaten dadurch ab, daß Organe, welche verfassungsmäßig dazu berufen sind, erklären. Der Wille der betreffenden Organe ist nach der Verfassung bindend für alle Teile des Verbandes, und was für sämtliche Teile verbindlich ist, erscheint völkerrechtlich für das Ganze, für die Einheit verbindlich.

Der Wille der Verbandseinheit richtet sich, weil die Einheit nur in der Unterscheidung nach außen besteht, an gleichgestellte Subjekte, d. h. an Subjekte mit Persönlichkeit gemäß der gleichen Rechtsordnung, er äußert sich nur in äußeren Angelegenheiten. Der Wille der Organe in Bezug auf die inneren Angelegenheiten ist dagegen nicht Wille der staatlichen Einheit, sondern Wille der Organe als staatsrechtlichen Persönlichkeiten; er richtet sich an andere Organe und an die Mitglieder des Verbandes. In den inneren Angelegenheiten gibt es nur einen Organwillen, nicht einen Willen der Einheit. Es solte einleuchten, daß der Wille, der im Erlaß eines Gesetzes, in einem richterlichen Urteil oder in einer administrativen Verfügung zum Ausdruck gelangt, nicht der nämliche Wille, nicht der Wille des nämlichen Subjekts sein kann, der Verträge mit dem Ausland abschließt, Krieg erklärt und Frieden schließt. Dort handelt es sich um Einwirkungen von Teilen auf Teile um das Walten von Organen gegenüber Organen und Genossen; hier handelt es sich um ein gemeinsames Auftreten, um ein Wirken des Ganzen gegenüber anderen Staaten, um eine Betätigung nach dem Völkerrecht. Dort der Organwille als solcher; hier ein Organwille als Wille des Gesamten.

Es herrscht da und dort die Auffassung, daß das Subjekt und die Persönlichkeit des Verbandes im Willen desselben besteht, daß also die über dem Verband geltende Rechtsordnung nicht dem aus den Menschen zusammengesetzten Verband selbst, sondern einem von diesen Menschen sich abhebenden gesetzmäßig gebildeten Willen, der als Gesamt- oder Gemeinwille bezeichnet wird, zusteht. Der Wille kann aber nur Ausfluß eines Subjekts, nicht selbst Subjekt sein. Der Wille setzt ein äußerndes Subjekt voraus, ein Subjekt, das einen Willen bildet. Die Persönlichkeit wird vom Recht dem wollenden Subjekt, nicht dem Willen eines Subjektes verliehen. So wie die Rechtsordnung dem Menschen als einem natürlichen Subjekt die Persönlichkeit verleiht, so gesteht sie dem aus Menschen gebildeten Verband als solchem die Persönlichkeit zu. Vgl. auch REGELSBERGER, "Pandekten", Bd. I, Seite 238: "Wir nehmen hiermit Stellung ... gegen die ungesunde Auffassung, nach welcher nicht die Gesamterscheinung, der Mensch oder der Verein der Träger der Persönlichkeit ist, sondern der Wille." Dem Menschen kommt die Persönlichkeit allerdings mit Rücksicht auf sein Willensvermögen zu; das Recht richtet sich an das Willensvermögen des einzelnen, um nach einer bestimmten Richtung hin einen Einfluß auszuüben. Allein der Mensch selbst, nicht der in ihm sich regende Wille ist Person. Und so ist beim Verband das Subjekt nicht ein Wille, den die Mitglieder bilden, sondern der Verband selbst, gebildet aus den unter sich rechtlich verbundenen, willensfähigen Menschen ist Subjekt.


III.

Die Auffassung, daß der Korporationsbegriff ein Abstraktum bedeutet, ist weit verbreitet. Nach LABAND, "Staatsrecht des deutschen Reiches", Bd. 1, Seite 89, Anm. 1, ist Körperschaft "die auf logischer Abstraktion beruhende Vorstellung eines durch die Gesamtheit gebildeten Rechtssubjekts, welches von den einzelnen Individuen begrifflich verschieden ist und ihnen als selbständiger Träger von Rechten und Pflichten gegenübersteht." LABAND bemerkt ferner a. a. O., Seite 79:
    "Wer sich z. B. die Stadt Berlin als juristische Person vorstellt, abstrahiert dadurch von der Vorstellung der einzelnen Bewohner Berlins; er kann diese Vorstellung überhaupt nicht anders gewinnen, als daß er sich die einzelnen Bewohner  wegdenkt,  nicht als wären sie überhaupt nicht vorhanden, aber so, daß sie etwas von der Vorstellung der Stadt Berlin Verschiedenes sind."
Ich denke mir im Gegenteil unter der Stadt Berlin (als Körperschaft) alle Einwohner des Stadtgebietes, untereinander verbunden und organisiert durch eine Gemeindeverfassung und Gemeindesatzungen; diese Verbindung hebt sich ab nach außen, also gegenüber anderen Städten und Gemeinden, gegenüber den preußischen Staatsorganen etc. Sie wird so zum Verband, zur Einheit, zur Individualität. Die vorgestellte Einheit, nicht die Vorstellung der Einheit ist die Stadt Berlin.

Der Grund, warum man die Korporation als ein Abstraktum, als eine Vorstellung, die von den Mitgliedern absieht, behandelt, liegt wohl zunächst in der Erwägung des Umstandes, daß die Mitglieder des Verbandes ständig wechseln; es treten Mitglieder aus und neue treten ein. Wenn also, so argumentiert man, die Korporation in der Wirklichkeit ihrer Mitglieder bestände, so wäre nichts Bleibendes, sondern etwas ständig Wechselndes vorhanden; und doch bedarf man eines festen Pols in der Flucht der Erscheinungen. Dieser Pol sei aber eben die Abstraktion, wobei die einzelnen weggedacht werden. Nun ist aber zur Erklärung der Beharrlichkeit der Korporation trotz eines Wechsels der Mitglieder die Vornahme einer Abstraktion nicht nötig. Bei den Einheiten liegt das Hauptmoment in der Gesetzlichkeit des Zusammenhangs der Teile, nicht in einem Mehr oder Weniger der Teile selbst. Es wird z. B. niemandem einfallen, einen Stein deshalb für einen anderen, vom früheren verschiedenen zu erklären, weil er etwas abgeschliffen wurde; ein Bildrahmen bleibt für uns der nämliche, auch wenn er neu vergoldet wird; der Apfelbaum in meinem Garten ist der nämliche im Winter, wenn er entlaubt ist, wie im Herbst, wenn er Früchte trägt; der einzelne Mensch ist für uns derselbe, auch wenn er aus dem Kind zum Mann, aus dem Mann zum Greis wird, auch wenn er einen Arm oder ein Bein verliert. Das Beharrliche einer Einheit finden wir mit Recht nicht im unveränderlichen Bestand der einzelnen Teile, sondern in der Gesetzmäßigkeit des Zusammenhangs. Dieser gesetzmäßige Zusammenhang ist das Dauernde, Beharrliche. Er ist auch objektiv vorhanden, der äußeren Erfahrung zugänglich und ist nicht eine bloß subjektive Form der Anschauung. Es liegt deshalb vom empirischen Standpunkt aus kein Grund vor, den menschlichen Verband anders zu betrachten und zu behandeln, als eine rein physische Einheit. Beharrlich beim Verband ist die Vereinsverfassung und Vereinssatzung; der Wechsel der Mitglieder ist eine Nebenerscheinung. Wir dürfen also die Stadt Berlin, ohne zu einer Abstraktion Zuflucht zu nehmen als die nämliche betrachten, die sie gestern, vorgestern, vor Jahren war. Selbst eine Änderung des Gesetzes führt keine Unterbrechung des Zusammenhangs und damit des Beharrlichen herbei. Die Änderung des Gesetzes ist ja selbst eine vermittelte, im Zusammenhang mit dem bisherigen Gesetz stehend. Ja sogar bei unvermittelten inneren Umwälzungen, Revolutionen, Usurpationen, Staatsstreichen, illegitimen Neuerungen in einem Staatsverband, bleibt noch genug Gesetzmäßigkeit des Zusammenhangs übrig, um die Kontinuität zu vermitteln. Gewaltsame Umstürze heben die Gesetzmäßigkeit nie vollständig auf; es handelt sich dabei um Änderungen der Organisation oder der Staatsform, allein das ganze große Gebiet des übrigen öffentlichen und des Privatrechts bleibt bestehen. Eine illegitime Umwälzung vermag niemals die gesetzmäßige Verbindung in ihre Atome, in ein Aggregat recht- und pflichtloser Menschen aufzulösen. Vermöchte sie es, ohne daß das bisherige Gesetzmäßige wieder Wurzeln schlägt, dann allerdings könnte vom bisherigen Verband, überhaupt von einem Verband nicht mehr gesprochen werden. Wenn die Verfassung und die Satzung eines Verbandes überhaupt aufhört, dann hat sich der Verband aufgelöst, dann hört er in Wirklichkeit auf. Es sind also keinerlei Abstraktionen notwendig, um die Beharrlichkeit des menschlichen Verbandes trotz Wechsels der Mitglieder zu erklären. Es wird nichts in den Begriff der Korporation hineingelegt, dem nichts Wirkliches entspräche und nichts weggelassen, das in Wirklichkeit bei der Korporation vorhanden ist. Die verstandesmäßigen Elemente, welche die Beharrlichkeit des menschlichen Verbandes feststellen, sind nicht andere als diejenigen, welche irgendeiner physischen Einheit, z. B. dem animalischen Körper Beharrlichkeit zuschreiben. Es ist unsere Betrachtungsweise der Einheiten überhaupt und nicht bloß derjenigen des menschlichen Verbandes, daß wir das Beharrliche im gesetzmäßigen Zusammenhang finden.

Beim Kollegialorgan liegt, wie beim Verband überhaupt, das Beharrliche schon in der Gesetzmäßigkeit der Verbindung der Mitglieder, so daß unabhängig vom Wechsel derselben die Behörde als etwas Kontinuierliches erscheint. Es kommt aber hinzu, daß die vom Recht geschaffene Persönlichkeit des Organes eine gesetzmäßige Dauer aufweist, die selbst das zeitweise völlige Fehlen der Mitglieder überbrückt. Während sonst die Persönlichkeit des Menschen und des menschlichen Verbandes gesetzlich nur solange vorgesehen ist, wie der Mensch lebt, bzw. der Verband besteht (so daß beim Aufhören des Verbandes, bzw. beim Austritt oder Aussterben sämtlicher Mitglieder auch die Persönlichkeit zerfällt), ist die Persönlichkeit der Organe ausdrücklich auf unbestimmte Dauer und unabhängig vom Wechsel der sie bildenden Menschen angeordnet. Wenn der Funktionär eines Einzelorgans durch Rücktritt oder Tod in Wegfall kommt oder wenn Kollegialorgane zur Zeit ganz unbesetzt sind, so besteht doch in Wirklichkeit all dasjenige Gesetzmäßige, das die rechtliche Seite der Persönlichkeit ausmacht, unverändert fort; es ist nur nötig, daß gemäß einem rechtlichen Vorgang, neue Funktionäre, neue Mitglieder auftreten, um von der, die rechtliche Seite der Persönlichkeit ausmachenden Gesetzmäßigkeit erfaßt zu werden. Das Beharrliche des Organs liegt also in der auf die Dauer berechneten Gesetzmäßigkeit seiner Persönlichkeit. Dieses Moment gehört durchaus der Wirklichkeit an, es ist in seiner Gegebenheit der äußeren Erfahrung zugänglich, ohne Zuhilfenahme subjektiver Zutagen oder von Abstraktionen.

Einen weiteren Grund für die Annahme einer Abstraktion beim Korporationsbegriff führt LABAND (a. a. O. Seite 89) an, wenn er ausführt, daß das von den einzelnen Mitgliedern begrifflich verschiedene Rechtssubjekt der Korporation denselben als selbständiger Träger von Rechten und Pflichten gegenübersteht. Es ist klar, daß das nur möglich ist, wenn die Korporation etwas von den Mitgliedern Verschiedenes bedeutet. Wenn man unter der Korporation den wirklichen Verband sämtlicher Mitglieder versteht, so kann die Korporation als Ganzes nicht seinen einzelnen Teilen gegenüberstehen. Es ist folgendes zu bemerken: Die Vereinssatzung stellt für die Mitglieder Rechte und Pflichten auf; diese besonderen Rechte und Pflichten begründen eine besondere vereinsrechtliche Rechtsfähigkeit oder Persönlichkeit der Mitglieder. Die Persönlichkeit des Verbandes selbst wird diesem aber nicht von der Vereinssatzung, sondern von Rechtssätzen höherer Ordnung erteilt. Der Verband hat nicht zwei Persönlichkeiten, eine nach innerem Vereinsrecht und eine nach dem Recht höherer Ordnung, sondern er hat Persönlichkeit nur nach letzterem, wie er überhaupt nur nach letzterem Rechtsbegriff ist. Die Vereinssatzung kann sich nicht über den Verband als dem Ganzen erheben und demselben Persönlichkeit verleihen. Die Mitglieder des Verbandes in ihrer Eigenschaft als Persönlichkeiten nach Vereinssatzung haben nur Rechte und Pflichten gegeneinander und nicht gegenüber dem Verband als einer Persönlichkeit höherer Ordnung. Andererseits hat der Verband als Ganzes, als Persönlichkeit gemäß höherer Rechtsordnung keine Rechte und Pflichten gegenüber den Mitgliedern als vereinsrechtlichen Persönlichkeiten. Die Pflicht z. B., an den Vereinssitzungen teilzunehmen, Vorträge zu halten usw. ist eine vereinsrechtliche Pflicht gegenüber den übrigen Mitgliedern, keine Pflicht gegenüber dem Verband als Persönlichkeit; der Anspruch, daß Beschlüsse der Generalversammlung ausgeführt werden, daß die Organe ihre Pflichten erfüllen, ist vereinsrechtlicher Anspruch gegenüber den Organen und nicht Anspruch gegenüber dem Verband als solchem. Logischerweise können Rechtsverhältnisse nur bestehen zwischen Subjekten, die nach der nämlichen Rechtsordnung Persönlichkeiten sind, nicht aber zwischen Subjekten, die es nach verschiedenen Rechtsordnungen sind. Nun sind aber die Mitglieder eines gewöhnlichen Verbandes, um zunächst von diesem zu sprechen, nicht bloß Persönlichkeiten nach der Vereinssatzung, sondern auch nach staatlichem Recht, also nach der nämlichen Rechtsordnung, nach welcher auch der Verband Persönlichkeit ist. Auf dem Boden der staatlichen Rechtsordnung sind also Rechtsverhältnisse zwischen einem Mitglied des Verbandes und dem Verband selbst möglich; ein Mitglied kann mit dem Verband zivilrechtliche Geschäfte abschließen; es tritt hier das Mitglied in ein Rechtsverhältnis zum Verband nicht in seiner Eigenschaft als Persönlichkeit nach Vereinssatzung, sondern als Staatsbürger, als Persönlichkeit nach staatlicher Rechtsordnung. Auch da, wo die staatliche Rechtsordnung Rechte und Pflichten der Mitglieder eines Verbandes direkt ausspricht (vgl. z. B. das deutsche BGB, §§ 26f) kann die Geltendmachung gegen den Verband selbst geschehen. - Der staatliche Verband ist Rechtsbegriff und Persönlichkeit nach einem über ihm schwebenden Recht, nach Völkerrecht. Er hat nicht auch zugleich Persönlichkeit nach dem in seinem Innern waltenden Recht; er ist nicht staatsrechtliche Persönlichkeit, weil seine Individualität nur gegenüber Seinesgleichen zum Ausdruck gelangt. Die Mitglieder des Staates sind Persönlichkeiten nach staatlichem Recht, stehen also nicht auf der nämlichen Stufe, wie der Staat als Rechtssubjekt. Die Mitglieder des Staates sind für den Staat nicht Seinesgleichen, Persönlichkeiten nach der nämlichen Rechtsordnung. Man hat zwar auch schon den einzelnen Menschen in beschränktem Maße als völkerrechtliche Persönlichkeit erklären wollen, insoweit nämlich, als ihm bestimmte Ur- oder Menschenrechte zuständen. Wäre dem so, daß der Mensch Rechte aus dem Völkerrecht selbst besäße und in dieser Beziehung auch völkerrechtliche Persönlichkeit wäre, so stände er mit dem Staat im selben Rechtsrang: der Staat wäre dann dem einzelnen Bürger als Persönlichkeit der nämlichen Ordnung verpflichtet. Auf dem Boden der inneren staatlichen Rechtsordnung können aber keine Rechtsverhältnisse zwischen der Individualität des Staates und der Individualität der Bürger bestehen; hier sind nur Rechtsverhältnisse der einzelnen Staatsbürger untereinander und zu den Organen als staatsrechtlichen Persönlichkeiten möglich.

Die Annahme, daß der Staat eine Abstraktion ist, wird des Ferneren auch deshalb festgehalten, weil dadurch ermöglicht wird, nicht nur von den Mitgliedern des Staates zu abstrahieren und so den Staat seinen Mitgliedern gegenüberzustellen, sondern auch von der, dem Staat innewohnenden Gesetzmäßigkeit, der Rechtsordnung abzusehen und so Staat und Recht einander entgegenzusetzen. Der Staat als Abstraktion wird dann zum Schöpfer und Ergänzer des staatlichen Rechts, oder auch, je nachdem man das Bedürfnis fühlt, zum Unterworfenen unter das staatliche Recht. Es ist aber gewiß unannehmbar, als Gesetzgeber eine bloße Abstraktion hinzustellen; es liegt doch gewiß näher und entspricht der Wirklichkeit, als Gesetzgeber dasjenige Organ zu bezeichnen, welches die Gesetze erläßt. Die gesetzgebenden Organe handeln dabei allerdings als Organe des Staates, aber sie handeln lediglich in der Eigenschaft als innere Organe, in ihrer Gegenüberstellung zu den übrigen Organen und zu den Genossen; ihr Wille ist bloß Organwille, Wille in internen Angelegenheiten, Wille von Teilen gegenüber Teilen des Ganzen, nicht Wille des Ganzen. Der Wille des Ganzen ist nur als Wille gegenüber anderen völkerrechtlichen Persönlichkeiten denkbar.

Es ist nun zuzugeben, daß sich der Ausdruck  Staat  auch eingebürgert hat zur Bezeichnung des Wirksamen im Staatsverband; es wird von einem Staat gesprochen, der in die Verhältnisse der einzelnen eingreift, helfend, beschützend, ordnend, verpflichtend, zwingend, strafend etc. Gemeint wird damit aber nicht das Ganze des Staates, die nach außen sich kehrende Einheit und Individualität, sondern das wirksame Moment im Staat, die Macht, die von den staatlichen Organen ausströmt. Dabei wird unentschieden gelassen, bei welchem konkreten Organ dieses wirksame Moment zur Geltung kommt (vgl. meine Ausführungen im "Archiv für öffentliches Recht, Bd. 20, Seite 389f.) Eine solche Abstraktion ist gewiß zulässig, sie bedeutet eine Erleichterung des Gedankenausdrucks da, wo es sich bloß darum handelt, die bei den Staatsorganen liegende Macht oder Kompetenz allgemein zu betonen. Staat hat dann den gleichen Sinn, wie Staatsgewalt oder Obrigkeit. Das Subjektive, das diesen Ausdrücken beigelegt wird, wenn man sagt: der Staat, die Staatsgewalt, die Obrigkeit ordnet an, befiehlt etc., beruth aber nicht auf der Annahme einer eigenen Subjektivität dieser Abstraktionen, sondern ergibt sich mit Rücksicht auf die von den Abstraktionen umfaßten wirklichen Subjekte, die Staatsorgane. Es verhält sich damit gleich wie mit anderen Abstraktionen, die in subjektiver Bedeutung verwendet werden, so wenn man z. B. sagt, die Schule erzieht, die Kirche lehrt, die Presse klärt auf.  Schule, Kirche, Presse  sind nicht selbst Subjekte; Subjekte sind nur die durch solche Abstraktionen gedeckten Personen, die Lehrer, Priester, Journalisten. Wenn aber der Staat in der Bedeutung als maßgebendes staatliches Organ  in abstracto  kein eigenes Subjekt ist, so kann er natürlich auch nicht Rechtssubjekt oder Persönlichkeit sein; Persönlichkeit ist nur das hinter dieser Abstraktion stehende konkrete staatliche Organ.

Der Ausdruck  Staat  wird also in erster Linie zur Bezeichnung des wirklichen Ganzen gebraucht, das aus dem Verband der durch Verfassung und Gesetz verbundenen Genossen besteht und gegenüber anderen Staaten als Einheit und völkerrechtliche Persönlichkeit auftritt; Staat im völkerrechtlichen Sinne. Sodan wird der Ausdruck  Staat  im staatsrechtlichen Sinn verwendet, um entweder die maßgebenden Organe zu bezeichnen oder überhaupt die innere staatliche Einrichtung hervorzuheben. Endlich ist es auch die staatsrechtliche Institution des Fiskus, die häufig als Staat bezeichnet wird.


IV.

Man wird der Frage nicht ausweichen können, ob das Gebiet Bestandteil oder Objekt des Staates als des wirklichen Verbandsganzen ist. Ist das Gebiet Bestandteil des Ganzen, so müßte angenommen werden, daß das staatliche Recht nicht bloß zwischen den Menschen einen Zusammenhang bewirkt, sondern auch das Gebiet mit den Menschen in Verbindung bringt, so daß das zusammenhängende Ganze des Staates aus den unter sich verbundenen Menschen und dem mit letzteren verbundenen Gebiet besteht. Zum Verband gehört dann das Gebiet als Bestandteil; das Ganze des Staates enthielte auch das Gebiet. Die nach außen sich kehrende Einheit umschlösse in ihrem Innern nicht bloß die rechtlich verbundenen Menschen, sondern auch das mit diesen rechtlich verbundene Gebiet. Das letztere wäre nicht etwas außerhalb der Einheit des Verbandes Stehendes, ein Objekt, auf das die Einheit einwirkt, sondern es wäre etwas in der Einheit selbst Liegendes. Eine Verletzung des Gebietes bedeutete sonach nicht die Verletzung eines Objektes des Staates, sondern des Staates selbst als Persönlichkeit. Die Auffassung, daß das Gebiet ein Moment im Wesen des Staates bildet, wird namentlich von FRICKER, "Gebiet und Gebietshoheit", vertreten. Es ist nicht zu verkennen, daß hierfür manches zu sprechen scheint. Zunächst die Erscheinung, daß der Staat heute ausnahmslos ein festbegrenztes Gebiet aufweist. Ohne Gebiet ist heute der Staat gar nicht möglich. Zwischen den Menschen und dem Gebiet sind auch rechtliche Beziehungen, die eine Verbindung zzu bewirken vermöchten, nachweisbar. Das Recht begründet die Eigentumsbeziehungen der Bürger zum Gebiet, dem Wirkungskreis der Behörden etc. Ist aber das Gebiet im Staatsganzen enthalten, so kann es völkerrechtlich nicht als besonderer Begriff in Frage kommen, keine besondere völkerrechtliche Bedeutung haben. Der Staat kann dann nicht Gebiet erwerben und verlieren, sondern nur sich vergrößern und verkleinern. Nur ein Völkerpersonenrecht, nicht ein Völkersachenrecht ist möglich, das Gebiet kann nicht völkerrechtliches Eigentum des Staates sein. Staatsrechtlich kann das Gebiet überhaupt nicht als Objekt des Staatsganzen betrachtet werden, weil letzteres als äußere Einheit keine Rechte nach seiner im Innern waltenden Rechtsordnung haben kann. Wenn FRICKER die Inkonsequenz hervorhebt, daß mehrere Schriftsteller das Gebiet einerseits als Moment des Staates selbst bezeichnen aber andererseits wieder als Objekt hinstellen, so ist er gewiß im Recht; denn das Ganze kann nicht Subjekt gegenüber einem Teil sein. FRICKER bemerkt (a. a. O., Seite 65):
    "Es ist höchst eigentümlich, daß nach den zur Zeit bestehenden Ansichten das Gebiet als Raum (bzw. Bestandteil) des Staates aufgefaßt, aber daneben auch seine Auffassung als Rechtsobjekt festgehalten wird. Wie soll das zusammengedacht werden und wozu? Ich finde nirgends eine klare Auskunft hierüber."
Die Auskunft liegt darin, daß die Auffassung des Staates als eines bloßen Abstraktums das sonst Unmögliche möglich macht. Die Abstraktheit des Staates soll gerade dazu dienen, je nach Bedürfnis von den ihn ausmachenden Momenten abzusehen, zu abstrahieren. Wie man sich die Menschen, aus denen der Staat besteht, wegdenkt, um ihn als Subjekt jedem einzelnen Genossen gegenüberstellen zu können und wie man von der Rechtsordnung, obgleich sie die Verbindung der Bürger zum Staat bedingt, abstrahiert, um Staat und Recht als zwei sich gegenüberstehende Wesenheiten behandeln zu können, so kann man auch von dem Gebiet, das man als Bestandteil des Staates erklärt, abstrahieren und den abstrakten Staat wieder seinem Gebiet gegenüberstellen.

Gegen die Annahme, daß das Gebiet im Staat inbegriffen ist, machen sich gewaltige Bedenken geltend. Zunächst ist auf die Wesensgleichheit aller menschlichen Verbände hinzuweisen; Staat und Gemeinde würden eine Ausnahme von der allgemeinen Erscheinung machen, daß der Verband nur Menschen, kein Gebiet in sich schließt. Der Verband ist ferner in seiner nach außen sich kehrenden Einheit ein willensfähiges Subjekt. Die Willensfähigkeit wird nur dadurch erklärlich, daß der Verband aus willensfähigen Menschen besteht; fügt man das Gebiet in die Einzheit hinein, so ergibt sich ein für die Willensbildung ungeeigneter, toter Bestandteil. Im Innern des Verbandes herrscht ein gesetzmäßiges Walten, hervorgebracht durch das gegenseitige rechtliche Wirken der willensfähigen Genossen; man bezeichnet ja den Verband geradezu als einen lebensvollen Organismus. Eine leblose Materie bedeutet aber einen Fremdkörper in diesem Lebenden. Das Gebiet ist ja für den Staat durchaus notwendig, unentbehrlich, aber doch nur deshalb, weil die Menschen, aus denen der Staat besteht, etwas Festes unter den Füßen haben müssen. Wäre die Erde zum größten Teil unbewohnt und für wenige Staaten eine ungehinderte Ausdehnungsfähigkeit vorhanden, so würde man kaum zu der Vorstellung gelangen, das Gebiet, worauf sich der Verband bewegt, sei Betandteil des Verbandes selbst. Die Erscheinung, daß heute alles, oder doch alles in Betracht kommende Endgebiet von den Staaten in Beschlag genommen ist und daß diese eifersüchtig auf die Wahrung des Besitzstandes achten, läßt die Idee, daß das Gebiet dem Staat inhäriert [innewohnt - wp], allerdings eher aufkommen. Es muß zugestanden werden, daß der Staat notwendigerweise ein Gebiet haben muß. Die Notwendigkeit ist aber eine natürliche, keine begriffliche; das Gebiet ist eine sachliche Unentbehrlichkeit. Die Lehre FRICKERs läßt auch den möglichen Fall unerklärt, daß ein Staatswesen sein Gebiet von einem anderen Staat für eine bestimmte Zeitdauer pachtet, also kein eigenes Gebiet besitzt. Für die völkerrechtliche Anschauung ist die Annahme, daß das Gebiet Objekt des Staates die natürlichste und naheliegendste. Gebietsveränderungen werden nicht als teilweise Aufgabe der bisherigen völkerrechtlichen Persönlichkeit betrachtet, Vindikationsansprüche [Herausgabeansprüche - wp] sind nicht Ansprüche auf eine Erweiterung oder Einschränkung der Staatspersönlichkeit. Kolonien und Schutzgebiete stellen sich als Objekte des Heimatstaates dar, Staatsservituten sind nicht bloß obligatorische Verhältnisse zwischen Staatspersönlichkeiten sondern Tatbestände dinglicher Natur etc.

Wenn das Gebiet Objekt des Staates ist, so bestimmt sich die Beziehung der völkerrechtlichen Persönlichkeit des Staates zum Gebiet nach Völkerrecht; denn nur das Völkerrecht kann, als über den Staaten stehend das Verhältnis der Staaten zum Gebiet ordnen. Danach liegt das Gebiet im völkerrechtlichen Eigentum oder Besitz des Staates. Gehen wir vom völkerrechtlichen Eigentum, bzw. der eigentumsgleichen Innehabung als dem Normalfall aus. Das Eigentum hat nach allgemein geteilter Ansicht eine positive und eine negative Seite. Die positive Seite wird bezeichnet als das Recht des Subjekts, über das Objekt nach Belieben zu schalten und walten, die Sache dem Willen total zu unterwerfen, oder, wie man sich auch ausdrückt, die ausschließliche Herrschaft über die Sache auszuüben; als hervorragendste Eigentumsbefugnisse werden genannt: die Sache für die eigenen Bedürfnisse zu gebrauchen und zu benutzen, über die Sache zu verfügen, sie zu veräußern. Die negative Seite des Eigentum besteht darin, daß die übrigen in Betracht kommenden Rechtssubjekte, also hier die übrigen Staaten, von der Herrschaft ausgeschlossen werden, verpflichtet sind, das Eigentum zu respektieren.

Das Eigentumsrecht des Staates an seinem Gebiet ist ein Recht gemäß Völkerrecht, nicht nach eigenem Staatsrecht. Abgesehen davon, daß das Staatsrecht etwas Internes ist und den Staat als Gesamtes nicht zu berechtigen vermag, wäre der bloße Ausspruch des staatlichen Rechts, daß der Staat Eigentumsbefugnisse an einem Gebiet hat, für die anderen Staaten nicht maßgebend. Der Eigentumstitel kann nicht in einer Erklärung des staatlichen Rechts gefunden werden, sondern er muß, um Anerkennung zu finden, völkerrechtliche Gültigkeit haben. Eigentumsbefugnisse am Gebiet leiten sich aber nur ab aus einem völkerrechtlichen Erwerbstitel, wie: unvordenklicher Besitzstand, Okkupation, Eroberung oder staatsvertragliche Abtretung. Der Staat hat allerdings einen Willen auf das Gebiet. Dieser Wille kann aber ein rechtlicher nur gemäß Völkerrecht sein. Die rechtliche Herrschaft des Staates über sein Gebiet ist rechtlich nur nach Völkerrecht, nicht nach Staatsrecht denkbar. So bemerkt ROSIN, "Das Recht der öffentlichen Genossenschaft", Seite 46:
    "Daß die Gebietshoheit als Sachenrecht des Staates nur soweit aufzufassen ist wie ich diesem Staat andere Staaten gegenüberstelle, daß also, kurz gesagt, eine sachenrechtliche Gebietsherrschaft nur als Institut des Völkerrechts, nie aber als Institut des inneren Staatsrechts logisch möglich ist."
Es scheint, daß LABAND die positive Seite des Rechts am Territorium, die unbeschränkte Befugnis des Staates, das Gebiet für die staatlichen Bedürfnisse zu verwenden, darüber zu schalten und zu walten, als eine staats- und nicht als eine völkerrechtliche Befugnis betrachtet, indem er ("Staatsrecht des Deutschen Reiches", Bd. 1, Seite 174, Anm. 4) die positive Seite des Rechts als staatsrechtlich bezeichnet. Er sagt: "gerade die ausschließliche rechtliche Herrschaft des Staates über sein Gebiet ist der Grund für diese (d. h. negative) völkerrechtliche Behandlung der Staatsgebiete." Die positive Seite aber wie die negative sind Seiten desselben Rechts. Dieses subjektive Recht kann nicht auf der einen Seite staatsrechtlicher auf der anderen Seite völkerrechtlicher Natur sein. LABAND gibt zu, daß die negative Seite des Eigentums am Gebiet völkerrechtlicher Natur ist; dann muß es aber auch die positive Seite sein. Er bemerkt ja selbst: "beide Wirkungen bedingen sich gegenseitig; eine ist ohne die andere nicht denkbar."

Die wichtige Frage ist die, ob eine positive Seite des völkerrechtlichen Eigentums nachweisbar ist. Ich möchte die Frage bejahen. Die positive Seite liegt darin, daß der Staat das Gebiet für sein vegetatives Leben benützt, auf dem Gebiet schaltet und waltet. Die Benutzung von Grund und Boden, das Schalten und Walten auf demselben kann sich aber bei einem Verband tatsächlich nur so vollziehen, daß die Glieder des Verbandes, die Genossen, den Boden benutzen, darauf schalten und walten, ihre Tätigkeit entfalten. Der Verband wird in Wirklichkeit tätig und waltend dadurch, daß seine Mitglieder tätig und wirksam werden. Der Verband hat keine von seinen Mitgliedern losgelöste Existenz, er ist kein Abstraktum, das abgesehen von den Mitgliedern des Verbandes eine Einwirkung auf das Gebiet vorzunehmen vermöchte. Den Besitz des Gebietes vermag die Einheit nur dadurch auszuüben, daß die Glieder es tun.

Die Ausübung der dem Staat am Gebiet völkerrechtlich zustehenden Herrschaftsrechte durch die Glieder, muß aber eine geordnete sein. Das Schalten und Walten der Glieder des Verbandes auf dem Gebiet unterliegt der Regelung durch die staatliche Rechtsordnung. Diese letztere bringt die Ordnng auf dem Gebiet, sie hat im Gebiet ihren räumlichen Bereich. Die Verhältnisse der Mitglieder zueinander in Bezug auf das Gebiet werden geordnet. Das staatliche Recht ordnet das Privateigentum, die dinglichen Nutzungsverhältnisse, die Gebäude- und Straßenpolizei, das Niederlassungswesen, die örtliche Zuständigkeit der Behörden etc. Der Staat übt also die positive Seite des völkerrechtlichen Eigentums dadurch aus, daß seine Glieder nach gesetzlicher Ordnung die totale Herrschaft über das Gebiet ausüben. Zu dieser Auffassung führt auch die umgekehrte Betrachtungsweise. Indem Menschen auf einem Gebiet nach gesetzlicher Ordnung die totale Herrschaft über das Gebiet ausüben, darüber und darauf schalten und walten, erscheint völkerrechtlich auch der durch diese Menschen gebildete Verband selbst die totale Herrschaft über das Gebiet auszuüben. Und wenn das Völkerrecht anerkennen muß, daß diese Menschen, bzw. ihre Vorfahren den Besitz unvordenklich ausgeübt haben, wird er dem durch diese Menschen gebildeten Verband die Befugnisse des Eigentums zuerkennen. Vom Standpunkt des Völkerrechts aus liegen die Verhältnisse so: Berechtigt am Gebiet ist nur der Staat als Ganzes, nur der Staat hat eine völkerrechtliche Persönlichkeit; die Mitglieder des Staates haben keine völkerrechtliche Berechtigung, sie sind keine völkerrechtlichen Persönlichkeiten, sie üben die Berechtigung des Ganzen tatsächlich aus. Diese nach Völkerrecht bloß tatsächliche Ausübung wird durch die innere Rechtsordnung des Staates zu einer geregelten und rechtlichen.

CURTIUS ("Archiv für öffentliches Recht, Bd. 9, Seite 1f) anerkennt mit LABAND die negative Seite des Rechts des Staates am Gebiet, also den völkerrechtlichen Anspruch auf Ausschließung anderer Staaten vom Gebiet. Er verwirft in dieser Beziehung die Theorie von der Bestandteilsnatur des Gebietes. Er sagt (Seite 5f):
    "Die Notwendigkeit eines Gebietes für den Staat wird niemand bezweifeln, da der Staat, so wenig wie der Mensch in der Luft leben kann. Es ist nur zu bestreiten, daß diese Notwendigkeit eine rechtliche ist ... Jedenfalls wird im völkerrechtlichen Verkehr von den Staaten über ihr Gebiet verfügt, wie der Eigentümer über sein Grundstück verfügt und die angeblich wissenschaftlich unmögliche Anschauung vom Staat als Subjekt, dem Gebiet als Objekt des Staates ist ohne Frage diejenige, welche die Praxis des internationalen Verkehrs beherrscht."
Dagegen fehlt nach CURTIUS die positive Seite des völkerrechtlichen Eigentums, die totale Herrschaft des Subjekts über das Objekt. Er findet keine Befugnisse am Gebiet, "welche im Herrscherrecht über die Untertanen keine Erklärung finden". Wenn CURTIUS dies nachzuweisen unternimmt, so geht er vom Begriff des Staates als eines Abstraktums aus. Der Staat, der ein "Herrschaftsrecht über die Untertanen" ausübt und so den Gliedern des Verbandes entgegengestellt wird, ist etwas Unwirkliches. Mit diesem Unwirklichen läßt sich aber nicht operieren. Neben dem abstrakten Begriff des Staates kennt aber CURTIUS (a. a. O. Seite 9) noch den Begriff des Staates in seiner Wirklichkeit als "das Volk, welches durch die staatliche Organisation (völkerrechtliche) Person wird". Diese Wirklichkeit nun übt zwar nach CURTIUS ebenfalls keine Herrschaft über das Gebiet aus, hingegen wird das Gebiet doch das Domizil dieser wirklichen Persönlichkeit des Staates. Man wird gegen die Bezeichnung des Gebietes als des Domizils des Volkes nichts einzuwenden haben, nur wird man diese Domizilnahme als Ausfluß des völkerrechtlichen Anspruchs des Staates auf eine Beherrschung des Gebietes, als Ausfluß der positiven Seite des völkerrechtlichen Eigentums zu betrachten haben. Warum darf das Volk auf dem bestimmten Gebiet Platz nehmen, auf dem Gebiet und über das Gebiet schalten und walten? Deshalb wohl, weil dieses Volk als völkerrechtliche Persönlichkeit positive Eigentumsbefugnisse am Gebiet hat und weil sich diese Befugnisse tatsächlich so vollziehen, daß die Glieder dieser wirklichen Persönlichkeit, die Volksgenossen sich seßhaft machen, sich bewegen, untereinander verkehren, den Boden bebauen und benutzen. Die Ausübung des dem Ganzen zustehenden Rechts durch die Teile des Ganzen ist dann Gegenstand der Ordnung durch die im Verband geltenden Gesetze. Das völkerrechtliche Recht des Staates am Staatsgebiet erhält seine Ausführung nicht bloß durch die staatlichen Rechtssätze über Staatsangehörigkeit, sondern durch das staatliche Recht überhaupt, namentlich auch durch das Zivilrecht.

Es wird von RADNITZKY, "Archiv für öffentliches Recht", Bd. 20, Seite 337 der Einwand erhoben, daß ein doppeltes Eigentum, das völkerrechtliche Eigentum des Staates selbst und das Privateigentum der Bürger am Grund und Boden also "eine doppelte ausschließliche und totale Herrschaft" nicht möglich ist. Es ist aber darauf hinzuweisen, daß es zwei verschiedene Rechtsordnungen sind, welche die Beziehungen zum Gebiet ordnen, einerseits das Völkerrecht und andererseits die staatliche Rechtsordnung. Das völkerrechtliche Eigentum des Staates schließt nicht aus, daß das staatliche Recht in näherer Ausführung der völkerrechtlichen Berechtigung des Ganzen, die Ausübung durch die Teile des Ganzen ordnet und hierbei das gewährt, was wir Privateigentum nennen. Die "ausschließliche und totale Herrschaft" des Privateigentums ist bloß eine relative; sie hat sich innerhalb der gesetzlichen Schranken zu bewegen. Die Ordnung wäre auch so denkbar, daß Kollektiveigentum, eine periodische Neuverteilung des Bodens etc. eingeführt würde. Das Privateigentum kann bestehen, auch wenn sich das völkerrechtliche Eigentum des Staates ändert und Änderungen des Privateigentums berühren andererseits das völkerrechtliche Eigentum in keiner Weise.
LITERATUR Albert Affolter, Rechtsbegriffe und Wirklichkeit, Archiv für öffentliches Recht, Bd. 21, Tübingen 1907