W. EnochG. W. CampbellM. D. VernonMFKM. Palágyi | |||
Die Dualität des Urteils [3/4]
10. Wir haben erkannt, daß wir vom Eindruck nur mittels der Erinnerung zum Urteil kommen können, daß es also ein Doppelerlebnis ist, von dem wir ausgehen müssen, wenn wir ein Tatsachenurteil fällen wollen. Hiermit ist aber auch erklärt, weshalb zunächst unsere Tatsachenurteile, wie auch alle Urteile überhauupt, einen zweigliedrigen Bau haben, d. h. aus einem Subjekt und einem Prädikat bestehen müssen. Im Urteil nämlich erhalten sowohl der Eindruck, als auch die Erinnerung, also das ganze Doppelerlebnis, auf welches wir uns stützen, einen begrifflichen Charakter: sie werden eben zu einem begriffenen oder begrifflichen Doppelerlebnis; und zwar entsprechen dem Eindruck und der Erinnerung als vergänglichen Erlebnissen im Urteil das Subjekt und das Prädikat als Begriffserlebnisse. In der determinierten oder empfindenden Besinnung haben wir einen Eindruck und eine ihm auf dem Fuße folgende Erinnerung; in der determinierenden oder urteilenden Besinnung haben wir dementsprechend einen Subjektbegriff und einen ihm auf dem Fuße folgenden Prädikatsbegriff. Mit dieser Auffassung ist eigentlich der erste Schritt zu einer Theorie des Urteils getan. Die antike Logik hatte es auch bis zu diesem ersten Schritt nicht gebracht: sie nahm die duale Gliederung des Urteils wie eine Selbstverständlichkeit hin und indem sie sich gar nicht darüber verwunderte, daß wir in Subjekten und Prädikaten urteilen, kam sie nicht einmal zum eigentlichen Problem der Logik. Das größte aller Wunder, nämlich daß unsere sprachlichen Sätze aus einem Subjekt und Prädikaten bestehen: dieses eigentliche logische Wunder ließ die Geister gleichgültig. Man ging an der Natur der eigenen Erkenntnisfähigkeit stumpfen Sinnes vorbei. Nun müssen wir uns aber sagen, daß unsere urteilende Besinnung sich auf unsere empfindende Besinnung stützt, und daß die Dualität unserer Urteile nicht aus der Luft gegriffen sein kann, sondern in unserer empfindenden Besinnung begründet sein muß. Wir lassen ja im Tatsachenurteil nur gelten, was wir soeben empfunden haben; wir lassen insbesondere den Eindruck gelten, wodurch er zum Subjektbegriff erhoben wird, und wir lassen die Erinnerung als aus dem Eindruck geschöpft gelten, wodurch sie zu einem Prädikatsbegriff erhoben wird, der sich auf den Subjektbegriff bezieht. Wir dürfen jedoch diese Auffassung nicht derartig mißdeuten, als ob wir schon innerhalb der determinierten empfindenden Besinnung den Eindruck von der Erinnerung unterscheiden und diese letztere auf den ersteren beziehen könnten! Wäre dies der Fall, so wäre unser Empfinden schon ein Urteilen. Erst indem wir über unser Urteilen nachsinnen und Eindrucksurteile mit Erinnerungsurteilen vergleichen, erschließen wir es, daß unsere Urteilstätigkeit schon im Empfinden vorbereitet sein mußte durch den Gegensatz von Eindruck und Erinnerung. Ganz vergebens würde man aber versuchen, sich in sein Empfinden einzusenken, und so in die bloße Empfindung aufgehend, das Verhältnis von Eindruck und Empfindung verifizieren oder besser erforschen zu wollen. Es gehört zu den komischsten Selbsttäuschungen der Psychologen, daß sie meinen, aus der urteilenden Besinnung sich gewaltsam herausreißend, sich in das Empfinden versenken zu können, um durch die sogenannte "innere Wahrnehmung" das Empfinden erforschen zu können. Denn kommt die Empfindung wirklich über uns, dann können wir uns noch nicht urteilend verhalten und verhalten wir uns urteilend, so sind wir zumindest im Moment des Urteilens nicht mehr in die Empfindung versenkt. Wenn ich also gegen die "innere Wahrnehmung" ohne Unterlaß ankämpfe, so hat dies den Sinn, daß wir innerhalb der Empfindungszustände diese selbst nie erforschen können, sondern erst durch die Untersuchung unseres Urteilens die geheimnisvollen Zustände unseres Empfindens aufzudecken vermögen. 11. Um der gefährlichen Verwechslung von empfindender und urteilender Besinnung zu entgehen, ist es zweckmäßig, den Blick geradezu auf den Übergang vom Empfinden zum Urteilen zu richten. Daß es jeweilig einen Augenblick geben muß, wo wir aus der empfindenden Besinnung in die urteilende herüberkommen, kann sich jedermann sagen: was aber in jenem Augenblick geschieht, das ist eine höchst verfängliche Frage. Wir sprechen von einem Geschehen nur, weil wir die Fähigkeit des Empfindens haben, und ganz besonders auch darum, weil unsere Empfindungen von Gefühlen der Lust und Unlust begleitet sind. In jenem Augenblick aber, wo wir aus dem Empfinden zum Urteil schreiten, kann zum Empfinden nicht wiederum eine neue Empfindung oder ein neues Gefühl der Lust oder Unlust hinzukommen, weil wir uns dann noch immer innerhalb der empfindenden Besinnung besinnen würden. Der Übergang aus dem Empfinden ins Urteilen kann also durch keinerlei neu hinzukommende Empfindungen oder Gefühle gekennzeichnet sein. Hierin besteht die wunderbare Eigentümlichkeit jenes Augenblicks, indem wir anfangen uns erkennend zu verhalten. Keine Empfindung und kein Gefühl verkündet uns diesen Augenblick; denn wir können wohl eine Lust (oder Unlust) daran haben, daß wir erkennen, aber diese Lust oder Unlust ist nicht das Erkennen. Das Moment des Erkennens ist weder eine Empfindung, noch ein Gefühl, noch irgendein diesen verwandtes Erlebnis. Es ist also leicht begreiflich, daß eingefleischte Sensualisten diesem Moment nie gerecht zu werden vermögen. Dem Sensualisten gilt nur das Empfundene und Gefühlte, da aber der Augenblick des Erkennens nicht empfunden oder gefühlt werden kann, so läßt ihn der Sensualist nicht gelten. Freilich ist es ein Selbstwiderspruch, das Empfundene oder Gefühle gelten zu lassen, aber die Tatsache dieses Geltenlassens nicht gelten zu lassen; trotzdem wird ein Mensch von sensualistischer Veranlagung des Geistes immer fordern, daß jener Augenblick des Erkennens ihm in Gestalt einer Empfindung oder eines Gefühles vorgeführt wird. Dies zu leisten ist aber eine Unmöglichkeit, denn sollte im Moment des Erkennens zum Empfundenen oder Gefühlten noch eine Empfindung oder ein Gefühl hinzukommen, dannwäre dies eine Verfälschung jener Empfindung, die wir eben erkennen sollen. Wir müßten also den Augenblick des Erkennens samt dem zu Erkennenden verfälschen, wollten wir den Sensualisten überzeugen, daß es einen Augenblick des Erkennens gibt. Vergebens weisen wir auch darauf hin, daß aus jenem Augenblick des Erkennens eine Urteilshandlung entspringen kann, die sich sprachlich in einem Satz darstellt; denn der Sensualist wird das Vorhandensein des Satzes nur deshalb anerkennen, weil er aus Lauten besteht, die empfindbar sind. Aber diese Laute sind ja nicht bloß da, um Laute zu sein; sie sollen doch einen Sinn repräsentieren! Auch dies gibt er zu; denn wenn wir die Laute hören, stellen wir uns in unserer empfindenden Phantasie jene Tatsache vor, welche den Sinn des gesprochenen Satzes ausmacht. So ist alles Urteilen der Sensualisten darauf gerichtet, den Augenblick des Erkennens, wo wir weder empfinden noch fühlen, aus unseren Erlebnissen zu streichen, ihn für null und nichtig zu erklären. Dies und nichts anderes ist die Tendenz des Sensualismus. Eindrücke, Erinnerungen, Gefühle der Lust und Unlust usw. sollen in großer Mannigfaltigkeit zusammenkommen, und so gewissermaßen einen Empfindungsteig bilden, der in der geistigen Werkstätte geknetet und zum Kuchen geformt, gebacken wird, um dann als Erkenntnis regelrecht verzehrt und verdaut zu werden. Denn wozu Wahrheit, wenn sie nicht gegessen werden kann? Dies ist der tiefste und geheimste Sinn des Sensualismus. Man wird mir entgegenhalten, es gebe doch Sensualisten von verschiedener Nuance; rohe materialistische Sensualisten, feinere skeptische Sensualisten, vornehme pantheistische Sensualisten, ja auch monotheistische Sensualisten, wie z. B. BERKELEY. Ich aber glaube, daß zwischen ihnen kein prinzipieller Unterschied besteht. Dem gemeinen Sensualisten ist die Wahrheit eine Bratwurst, dem feineren eine Auster. Die Hauptsache bleibt, daß sie eßbar sein muß. So sehr man sich aber sträuben mag, den Übergangspunkt vom Empfinden zum Urteilen anzuerkennen, läßt er sich mit guten Mitteln nicht verleugnen. Da dieser Augenblick kein Empfinden und kein Fühlen ist, so muß er als mathematischer Zeitpunkt aufgefaßt werden. In diesem mathematischen Jetzt nehmen wir vom Eindruck und von der Erinnerung, die soeben stattfanden, nichts weg; wir fügen ihnen auch nichts hinzu, as bloß ihre Geltung; und zwar ihre ewige Geltung. Denn der Eindruck ist ja schon vergangen, und die Erinnerung an denselben ist soeben an ihre Schlußgrenze gelangt; und unsere Anerkennung gilt also einem schon Vergangenen. Wir finden in der Erinnerung und demzufolge im Eindruck ein Unvergängliches, und dieses Finden des Ewigen im Vergänglichen ist es, was den Inhalt des Erkenntnismomentes ausmacht. Wir erfassen das Flüchtige sub specie aeterni [im Licht der Ewigkeit - wp]. Soll aber dieses Finden des Ewigen im Vergänglichen eine Bedeutung für unsere weitere Erkenntnis erlangen, so muß, von ihm ausgehend, ein vitaler Akt, ein Urteilsakt, der sich als Sprechhandlung oder dergleichen kundgibt, ausgehen. Durch eine solche Handlung wird das bloße Wissen des erkennenden Augenblicks zu einer sinnlich faßbaren Tatsache, und wir haben nunmehr dem Wunsch des Sensualisten entsprechend, eine sinnliche Tatsache vor uns, die Zeugnis ablegt von jenem bedeutsamen Augenblick, wo die Sonne der Wahrheit in unsere Empfindungen hineinleuchtete. Man könnte diese Darstellung leicht so mißdeuten, als ob der Augenblick des Erkennens etwas für sich Bestehendes ist, und nunmehr das ganze Doppelerlebnis des Eindrucks und der Erinnerung zusammenhanglos auseinanderfallen müßte. Es muß also betont werden, daß wir das Ewige nicht wie ein Fremdes dem Eindruck und der Erinnerung hinzufügen (denn in diesem Fall wäre unsere Erkenntnis eine Fälschung des Erlebten), sondern daß wir das Ewige im Eindruck und in der Erinnerung finden: und zwar als solches finden, das in ihnen ist, ehe wir es noch gefunden hatten. Kurz: das Vergängliche ist eine Erscheinung des Ewigen, und die Erkenntnis ist das Finden des Ewigen in der Erscheinung; der ganze Prozeß des Eindrucks und der Erinnerung ist aber nur ein Ringen nach jenem Moment, wo das in ihm verhüllte Ewige uns offenbar wird. Wäre dieses Ringen ein kräftigeres, d. h. ein zehnmal, hundertmal, tausendmal schnelleres, so würden wir 10-, 100-, 1000mal mehr Erkenntnismomente in einer Sekunde haben, als wir deren jetzt fähig sind, und dann würden wir statt der jetzigen Eindrücke homologe Eindrücke haben, die 10mal, 100mal, 1000mal größere Mannigfaltigkeiten, als die unsrigen sind, enthalten. Allerdings scheint es uns, wenn wir irgendwelche Dinge wahrnehmen, als ob unser erkennender oder findender Blick kontinuierlich in Tätigkeit wäre; dieser Schein entsteht jedoch nur dadurch, weil nach unseren Begriffen der zehnte Teil einer Sekunde ein sehr geringes Zeitintervall ist, das füglich auch vernachlässigt werden darf. Weil wir den Finderblick unseres Geistes stets in Bereitschaft halten, glauben wir, daß diese Bereichtschaft zur Erkenntnis schon auch der findende Blick selbst ist. Die Tatsache ist aber die, daß Eindrücke und Erinnerungen an unserem findenden Geist gleichsam wie ein Wolkenflor vorüberziehen und daß unser Ewigkeitsblick rhythmisch durch denselben hindurch zu leuchten vermag. Jener Wolkenzug von Eindrücken und Erinnerungen hört aber während unseres ganzen wachen Lebens nicht auf, und es gibt keine solche noch so geringe Zeitdauer, während welcher der Schleier der Eindrücke und Erinnerungen eine Unterbrechung erleiden würde. Dies ist es, was die Sensualisten merken, und der Wahrheitskern in ihrem Irrtum ist der, daß für uns nie und nimmer ein Geisteszustand erreichbar ist, wo der dunkle Wolkenzug unserer vergänglichen Erlebnisse unseren Ewigkeitsblick nicht umnachten würde. Ihr Irrtum besteht aber darin, daß sie unseren Finderblick, der in mathematischen Zeitpunkten durch das Gewölk unserer Erlebnisse hindurchstrahlt, leugnen. Statt ihn zu leugnen, sollten sie sich vielmehr darauf besinnen, wie schwach jener Finderblick ist, und wie sehr es die Natur unserer Organisation unmöglich macht, ihn in seinem intermittierenden [unterbrochenen - wp] Aufleuchten zu beschleunigen. Sie würden dann erkennen, daß es eines Wahrheitsforschers nicht würdig ist, jenen Ewigkeitsblick zu verneinen, sondern daß es seine Aufgabe sein muß, irgendeinen Ersatz für die natürliche Schwäche unseres menschlichen Finderblicks herbeizuschaffen. Das tut nun die Naturwissenschaft wirklich, und sie tut es, weil in ihr ein immanentes logisches Streben enthalten ist, echtes, unverfälschtes Wahrheitsstreben, das aber nicht bloß immanent bleiben darf, sondern in der Logik zu einem Selbstbewußtsein gebracht werden muß, damit es befruchtend auf die Naturwissenschaft zurückwirkt. Also im Namen dieser produktiven Naturwissenschaft und im Namen einer produktiven Logik glaube ich den Sensualismus bestreiten zu müssen. Freilich bestreite ich auch zugleich den Rationalismus, der da meint, jenes Gewölk von Eindrücken und Erinnerungen, das den Finderblick verschleiert, könnte für eine Weile ganz zerrissen werden. Die rationalistische Verstiegenheit glaubt den Vorhang unserer Erlebnisse beiseite schieben zu können und durch die offene Lücke das Ewige von Angesicht zu Angesicht zu schauen und aus ihm Wahrheiten zu schöpfen. Der Rationalist mißversteht die Natur jenes "stillen Nachdenkens", das er gerne übt, und glaubt jenes stille Nachdenken könne sinnlichkeitsfrei sein; er überschätzt es und verfällt einem Dünkel, welcher der Wissenschaft ebenso gefährlich werden kann, wie der Sensualismus. Namentlich beruth die Unterscheidung von Erkenntnissen a priori [von vornherein - wp] und a posteriori [im Nachhinein - wp] auf der Einbildung, daß der Mensch im "stillen Nachdenken" frei oder unabhängig ist von der Sinnlichkeit und aus der Quelle der Ewigkeit eine neue Klasse von Einsichten schöpfen kann. 12. Im Obigen habe ich versucht jene natur der Erkenntnis darzulegen, welche man ihre Objektivität nennt. Der Ewigkeitsblick ist objektiv, weil er an der zu konstatierenden Tatsache nichts ändert, nichts von ihr wegnimmt, und im Grunde genommen auch nichts zu ihr hinzufügt, weil ja auch das Ewige nicht zur Empfindung hinzugefügt, sondern in ihr nur aufgefunden wird. Ich muß jedoch bemerken, daß der Terminus "objektiv" zu den in der Philosophie am stärksten mißbrauchten, zweideutigen Ausdrücken gehört. Eine jede Erkenntnis kann schließlich subjektiv genannt werden, weil sie die Erkenntnis eines Subjekts ist. Es ist mit den Ausdrücken "subjektiv" und "objektiv" absolut nichts anzufangen, und man geht beinahe sicher, wenn man behauptet, daß, wo ein Philosoph diese Kunstausdrücke gebraucht, er wissentlich oder unwissentlich einer Sophistik das Wort redet. Bei einem Urteil ist nie das die Frage, ob es subjektiv oder objektiv, sondern ob es wahr oder falsch ist. Denn subjektiv ist es wie gesagt, jedenfalls, weil es von einer Person gefällt ist, und auch objektiv dürfte es in allen Fällen sein, denn irgendeinen Gegenstand oder ein Objekt wird doch schließlich selbst das irrtümlie oder falsche Urteil haben. Die Ausdrücke objektiv und subjektiv haben sich in der Logik nur deshalb eingebürgert, weil man den Begriffen der Wahrheit und des Irrtums aus dem Weg gehen wollte. Ganz besonders mußte aber der Begriff der Wahrheit vermieden werden, weil man im Geheimen gar nicht an sie glaubte und trotzdem Logik treiben wollte. Möchte man aber der Ausdrücke "subjektiv" und "objektiv" doch nicht entraten, so kann man das Vergängliche in unseren Erlebnissen subjektiv, das Ewige in denselben objektiv nennen. Auch der Finderblick, der das Ewige im Vergänglichen findet, kann objektiv (oder wahr) genannt werden. In diesem Sinne nun, sage ich, daß wir in unserer Erkenntnis eine objektive Haltung haben, und daß unser ganzes Menschentum auf dieser wunderbaren Fähigkeit einer objektiven (wahrheitsgemäßen) Haltung beruth. Durch den objektiven erkennenden Blick finden wir im Vergänglichen ein Ewiges und stellen es deshalb auch als ewig geltend hin: als geltend nicht nur für uns, sondern für alle Menschen, ja für alle urteilenden Wesen überhaupt. Wer eine Tatsache konstatiert, tut dies im Namen der Menschheit, die ihm die Gesamtheit der urteilenden Wesen repräsentiert; zumindest in der Logik und in den übrigen Wissenschaften, versteht man unter dem Konstatieren einer Tatsache das Konstatieren im Namen des Menschengeschlechts. Dessen sind sich ganz besonders die Naturforscher wohl bewußt; sie wissen, daß sie sozusagen das beobachtende Auge der Menschheit repräsentieren. Dem wahren Tatsachenurteil kommt Allgemeingültigkeit zu; d. h. es ist so gefällt, als ob alle Menschen und alle urteilenden Wesen überhaupt daran teilhaben könnten. Ich spreche von allen urteilenden Wesen, weil, wenn es auch noch Wesen von schnellerer Besinnung geben würde, als es die unsrige ist, dies an der Wahrheit unserer Tatsachenurteile nichts ändern könnte. Wenn andere Wesen zehn Tatsachen finden könnten, wo wir bloß eine zu finden vermögen, so würde es sich bloß darum handeln, unsere Anschauungsweise in die ihrige, und die ihrige in die unsrige zu übersetzen. Ein Analogon hierfür haben wir z. B. darin, daß wir die Empfindungsweise des Hörens in die Anschauungsweise der Wellenbewegung zu übersetzen vermögen, so wie dies die Akustik lehrt. Ein anderes noch leichter verständliches Analogon ist es, wenn wir das Bild, das wir mit freiem Auge haben, in dasjenige übersetzen, welches eine mäßig vergrößernde Lupe darbietet, dieses wieder in das Bild eines Sonnenmikroskops usw. Ich kann hier auf den logischen Charakter der sogenannten "naturwissenschaftlichen Hypothesen" vom Licht, von der Wärme, der chemischen Verbindung usw. nicht näher eingehen, und behalte mir dies für eine besondere Arbeit vor. Die Grundlage für eine logische Theorie aller naturwissenschaftlichen Hypothesen ist in dem Satz enthalten, daß die Schnelligkeit unserer urteilenden Besinnung eine beschränkte ist und daß größere Schnelligkeiten denkbar sind, wodurch das, was wir als einfache Qualität wahrnehmen, als in eine Vielheit zerlegt gedacht werden kann. Ich muß hier noch eines weit verbreiteten Irrtums über die Natur unseres erkennenden Blicks gedenken. Man hält das Erkennen oft für ein Bild, das wir uns von der Welt machen, und meint, daß die Wahrheit in der Übereinstimmung dieses Bildes mit dem wirklichen Weltbild besteht. Die Welt wäre dann in zwei Exemplaren vorhanden, einmal als wirkliches Weltbild, das anderemal als ein mit dem ersten übereinstimmendes Weltbild. Wenn nun aber das erste Weltbild durch ein zweites Weltbild erkannt wird, so müßte dieses zweite durch ein drittes, das dritte durch ein viertes usw. ins Unbegrenzte erkannt werden, d. h. wir kämen überhaupt nie zu einer Erkenntnis. Ein Bild oder ein Abbild ist kein Erkennen. Eine Camera obscura ist noch kein erkennendes Wesen, weil in ihr etwas abgebildet wird. Die Verwechslung des Erkennens mit einem Bild entspringt daraus, weil man das Erinnerungsbild schon für ein Erkennen hält. Unser Empfinden enthält ein Doppelerlebnis und dieses Doppelerlebnis verleitet die Denker immer wieder das Erkennen für ein Abbilden zu halten. Das Erkennen aber findet in einem mathematischen Zeitpunkt statt und ist als ein Ewigkeitserlebnis wohl zu unterscheiden von diesem vergänglichen Doppelerlebnis des Eindrucks und der Erinnerung. Zum Schluß sei noch bemerkt, daß wir in unseren Erlebnissen nie bloß eine einzelne Empfindung, sondern gleichzeitig eine große Mannigfaltigkeit von Empfindungen haben. Dieser Mannigfaltigkeit gleichzeitiger Empfindungen wird vom erkennenden Blick mit einem Mal erfaßt, und kann dann in einer ganzen Reihe von konstatierenden Urteilen dargelegt werden. Viele Logiker und Psychologen sprechen von einer sogenannten Enge unseres Bewußtseins; es ist jedoch nicht gut verständlich, was damit gemeint ist. Man scheint anzunehmen, daß eine Mannigfaltigkeit gleichzeitiger Empfindungen nicht gleichzeitig erfaßt werden kann; aber es bleibt unverständlich, wie man sich das Erfassen von Empfindungen denkt, und warum man diesem Erfassen zumutet, daß es gleichzeitig auftretenden Empfindungen nicht auf einmal gerecht werden kann. Man scheint sich vorzustellen, als ob das Eingangstor zum erkennenden Geist ein schmaler Spalt wäre, der es nicht gestattet, daß viele gleichzeitige Empfindungen auf einmal zur Kenntnis genommen werden können, sondern immer nur etlichen Empfindungen einen Zugang gewährt. Jener Spalt nun ist freilich schmal genug, so daß er überhaupt nicht mehr schmäler sein kann; er ist der mathematische Zeitpunkt, in welchem das Licht der Erkenntnis auf unsere Erlebnisse fällt; aber dies ist kein Hindernis dafür, daß dieses Licht eine große Mannigfaltigkeit der Empfindungen gleichzeitig erhellt. Gäbe es einen solchen Erkenntnisspalt, wie man ihn anzunehmen scheint, dann würde, wenn auch auf eine kurze Weile, alles Empfinden überwunden sein; der sinnliche Vorhang, der die Ewigkeit verdeckt, wäre zumindest für eine Weile gelüftet, und jeder von uns wäre für diese Weile kein Mensch, sondern ein Gott. Dann gäbe es auch Erkenntnisse a priori, die aus einer wesentlich anderen Quelle stammen, wie die Erkenntnisse a posteriori; denn wenn jemand auch nur für kurze Zeit ein Gott zu sein vermag, so kann er allerdings aus jenem Zustand mancherlei Erkenntnis mit sich bringen, die uns übrigen im Diesseits weilenden Menschenkindern versagt bleibt. Unbegreiflich ist es nur, wie solche Menschen, die zeitweilig Götter zu sein vermögen und sich solchermaßen Erkenntnisse a priori angeeignet haben, es noch der Mühe wert halten, wieder Menschen zu werden, ja auch ihre göttliche apriorische Erkenntnis mit unserer menschlichen aposteriorischen Erkenntnis zu einem Brei zu vermischen. 13. Soll das, was wir mit einem erkennenden Blick nicht finden, nicht in Verlust geraten, sondern selbst zum Anlaß eines weiter dringenden Erkennens werden, so müssen wir uns aus dem erkennenden Blick heraus zu einer Handlung aufraffen, durch welche wir jenem Augenblick ein Denkmal setzen: diese Handlung ist das Urteil, welches sprachlich als Satz dasteht. In ihm leben wir noch einmal in determinierenden Weise durch, was wir empfindend in determinierter Weise erlebten. Statt des Eindrucks und der Erinnerung haben wir nunmehr einen Subjekt- und Prädikatbegriff bzw. Subjekt- und Prädikatsymbole. Ja, der Finderblick selbst stellt sich im Satz durch einen eigenen Begriffe (der seinem Wesen nach eben deshalb in allen Sätzen derselbe bleibt), durch die sogenannte Kopula dar. Die Kopula drückt das aus, was wir in jedem Erkennen finden, nämlich das Ewige oder das Seiende in der flüchtigen Erscheinung; zugleich drückt sie aber auch das Finden dieses Ewigen, nämlich das Wissen vom Seienden aus; nur ist diese ihre zweite Bedeutung weniger betont. Wir denken bei der Kopula "ist" vorwiegend an das bloße Sein und nur in undeutlicher Weise an das Gelten dieses Seins in unserem Wissen. Woher das kommt, wird später erklärt werden. Die Kopula braucht sprachlich nicht selbständig aufzutreten, sondern kann als angehängte Silbe mit dem Prädikat verschmelzen oder (in manchen Sprachen) zuweilen auch ganz wegbleiben. Man braucht sie nicht als ein drittes Glied des Satzes zu betrachten, weil sie im Grunde genommen ein allen Urteilen gemeinsames Glied ist und nur anzeigt, daß geurteilt wird. Die Lehre vom Urteil führt uns nunmehr zur Lehre vom Begriff hinüber. Es ist ein Hauptcharakterzug der scholastischen Logik, daß sie die Begriffslehre zum Fundament der Logik machen will. Im Gegensatz zur scholastischen Logik stellt die dynamische Logik die methodologische Fundamentalregel vom Primat des Urteils auf. Die Urteilstat ist es, welche Begriffe schafft; ja es gibt eigentlich außerhalb des Urteilens gar keine Begriffe. Denn richten wir unser Denken auf einen Einzelbegriff, z. B. den Begriff A, so sollten wir es uns auch sagen, "daß wir an den Begriff A denken", und dies ist schon ein Urteil. Es gibt konstatierende Urteile, in den wir konstatieren, daß wir an einen Begriff denken; nur werden diese Art von Urteilen gewöhnlich nicht beachtet. Die Logik aber fordert von uns, daß, wenn wir etwas denken, wir uns gleich auch darauf besinnen sollen. Denken wir also an den Begriff A, so müssen wir uns in der Logik auch auf das Urteil besinnen, durch welches wir an den Begriff A denken. Hieraus ist ersichtlich, daß Einzelbegriffe für sich abgesondert in unserem logisch besonnenen Denken nicht auftreten können. Erst indem wir urteilen, haben wir Begriffe, und es kann dann sein, daß uns die Begriffe bloß als Mittel dienen, um das Urteil zu fällen; es ist aber auch möglich, daß das Urteil uns nur als Mittel dient, um an einen Begriff zu denken. Wir können uns auf diesen sehr wichtigen Unterschied nicht näher einlassen, weil dies den Ausbau einer systematischen Urteilslehre und einer auf ihr begründeten systematischen Begriffslehre erfordern würde. Es genügt hier angedeutet zu haben, daß Begriffe eine zweifache Rolle in unserem logischen Denken spielen können: entweder sind sie in das Urteil eingespannt, um Träger einer Wahrheit zu sein, und dann heißen sie unselbständig; oder aber ist unser Urteil eingespannt, um zum Träger eines Begriffes zu werden, und dann ist der Begriff verselbständigt. Diese zwei Urteilsweisen entspringen zweierlei Besinnungsweisen, die wir später als die direkte und inverse Besinnung kennen lernen werden. Durch die Verselbständigung der Begriffe hat sich ein endloser Mißbrauch in die Logik eingenistet, ja sie ist hierdurch verfälscht worden, denn indem man von verselbständigten Begriffen ausging, die ein Resultat eines sehr weit fortgeschrittenen logischen Denkens sind, stellte man das ganze System der Logik auf den Kopf. Es ist also zweckmäßig, vorderhand von Begriffen nur insofern zu sprechen, als sie unselbständig, d. h. in ein Urteil eingespannt sind, um seine Wahrheit zu tagen. Die Unselbständigkeit solcher Begriffe gibt sich darin kund, daß sie, vermöge ihrer Rolle im Urteil einen spezifischen Charakter zu haben, demzufolge Subjektbegriffe von Prädikatbegriffen unterschieden werden müssen, die ihrer Natur nach als ebenso gegensätzlich bezeichnet werden können, als es der Eindruck und die Erinnerung sind, von denen sie ihren Charakter erhalten. Würden wir aber Begriffe von vornherein verselbständigen und sie zum Ausgangspunkt einer Logik machen, dann wäre es unmöglich, zu einer Urteilslehre zu kommen, denn sind einmal Begriffe von vornherein als selbständig gefaßt, so widerstreben sie aller Verbindung, und es ergeht dem Logiker mit ihnen, wie einem Herrscher, dessen Untertanen alle plötzlich zu Anarchisten geworden sind. Kurz: Es läßt sich mit von vornherein verselbständigten Begriffen keine Urteilslehre, also keine Logik aufbauen. Begriffe entstehen durch eine Urteilshandlung und zwar zunächst durch ein Tatsachenurteil. Der erkennende Blick unterlegt das Ewige, das er im Vergänglichen findet, sowohl der Erinnerung als auch dem Eindruck und bildet so zwei Begriffe aus, um durch die Beziehung des einen auf den anderen bloß eine Tatsache darzustellen. Begriffe sind also Taten des erkennenden Blicks innerhalb der determinierenden oder urteilenden Besinnung. Was zunächst die Subjektbegriffe betrifft, so können wir ihnen hier noch nicht gerecht werden, weil unsere Untersuchung von allem Anfang an künstlich eingeengt ist, indem wir uns vorsätzlich auf eine Lehre vom Einzelurteil einschränken. Nun tritt aber ein Eindruck nie als einzelner, von keinem anderen Eindruck begleiteter auf; vielmehr ist unsere empfindende Besinnung gleichzeitig durch eine große Mannigfaltigkeit zusammenhängender Eindrücke determiniert, und der einzelne Eindruck ist erst dadurch ein bestimmter Eindruck, daß er der zusammenhängenden Mannigfaltigkeit gleichzeitiger Eindrücke angehört und innerhalb derselben eine bestimmte Stellung einnimmt. Um also einen Eindruck zu determinieren, muß seine Stellung im Zusammenhang einer gleichzeitigen Mannigfaltigkeit von Eindrücken gekennzeichnet werden; es muß über ihn eine ganze Reihe von Urteilen ergehen, welche seine Stellung festlegen. Alle diese Urteile haben den fraglichen Eindruck, bzw. den Subjektbegriff zu ihrem Mittelpunkt; so daß der Subjektbegriffe immer der Ausgangspunkt eines Bündels ihn ihm zusammenhängender Urteile ist. Die Lehre vom Subjektbegriff kann nur durchgeführt werden, wenn man Zusammenhänge von Urteilen untersucht. Einfacher gestaltet sich unsere Aufgabe, wenn wir uns vorläufig bloß auf den Prädikatsbegriff beschränken. Wir können dann bei einem einzelnen Eindruck verharren und uns künstlich auf das einzelne Eindrucksurteil einengen. Der Prädikatsbegriff will also solcher kein Ausgangspunkt eines ganzen Bündels von Urteilen sein, wie der Subjektbegriff; er steht ganz im Dienst des Einzelurteils. Indem wir nun in mehreren Erinnerungen immer auf denselben ursprünglichen Eindruck zurückkommen, werden wir dieser ganzen Reihe von Erinnerungen immer denselben Prädikatsbegriff unterlegen, und erkennen so, daß der Prädikatsbegriff das Gemeinsame all dieser Erinnerungen enthält. Er ist eben der ewige Inhalt, den unser erkennender Blick aschon in der ersten Erinnerung gefunden hatte, und den er, - falls nur unser Gedächtnis nicht versagt -, in wiederholten Erinnerungen an denselben Eindruck immer wiederzufinden vermag. Prädikatsbegriffe sind also ewige Inhalte, die der erkennende Blick in Erinnerungen findet und sie eben deshalb auch den Eindrücken zuerkennt, d. h. auf Subjektbegriffe bezieht. 14. Wir haben das Tatsachenurteil mittels einer Geraden symbolisch dargestellt und können nunmehr den Subjekt- und Prädikatbegriffe als zwei Punkte auffassen, durch welche jene Gerade bestimmt ist: In der obigen Figur bedeutet der Punkt a den Subjektbegriff, der Punkt b den Prädikatbegriff. Nimmt man a nicht als mathematischen, sondern bloß als empirischen Punkt, so bedeutet er den ursprünglichen Eindruck, von dem das Urteilserlebnis ausgeht. Ebenso bedeutet b, als empirischer Punkt, das Erinnerungserlebnis, welches wir auf den Eindruck a beziehen. Die gerade Linie selbst, welche a und b verbindet, repräsentiert die Urteilstat, und zwar als empirische Linie den vitalen Akt, ohne welchen eine Urteilstat nicht stattfinden kann; als mathematische Linie hingegen den unvergänglichen Sinn oder Inhalt unseres Urteils. Die Richtung der Geraden ist das Symbol für die Richtung unserer Besinnung auf die Wahrheit, und der unendlich entfernte Punkt der Geraden: die Wahrheit selbst, die wir im Urteil erkennen. Selbst für die Länge der Strecke zwischen a und b können wir eine symbolische Auslegung finden: sie bedeutet jenes kleine Zeitintervall, welches nötig ist, um über den Eindruck a zur Besinnung zu kommen; sie bedeutet die menschliche Besinnungsgeschwindigkeit. Auf eine Schwäche dieser Symbolik müssen wir aber sofort hinweisen. Der Subjekt- und der Prädikatbegriff, die zumindest im Tatsachenurteil so spezifisch voneinander verschieden sind, sind gleichmäßig durch die mathematischen Punkte a und b dargestellt, so daß unsere Symbolik der Natur des Tatsachenurteils noch gar nicht gerecht wird. Man kann dieser Schwäche unserer geometrischen Darstellungsweise etwa in folgender Weise abhelfen. Man setzt für die Linie einen Anfangspunkt, oder wie der Geometer sagen würde, einen Nullpunkt, fest und gibt ihm die Bedeutung des Subjektbegriffs; den Prädikatbegriff aber kann man durch einen variablen Punkt auf der Linie repräsentieren, weil ja die Erinnerung auf den ursprünglichen Eindruck zu verschiedenen Zeiten erfolgen kann: In der obigen Figur repräsentieren b, b1, b2, b3, b4 ... denselben Prädikatsbegriff, der den gemeinsamen Inhalt mehrerer Erinnerungen bildet, die sich alle auf den Eindruck o beziehen. Indem man den Punkt b (in der Richtung des Pfeiles, der die Richtung der Zukunft anzeigt) sich ins Unbegrenzte fortbewegen läßt, so daß er durch die Punkte b1, b2, b3, b4, ... ad inf. hindurchgeht, erhalten wir auch eine symbolische Darstellung für die ewige Geltung der Urteilstat. denn da der beweglich Punkt b sich immer auf ein und derselben Geraden fortbewegt, so heißt dies symbolisch ausgedrückt so viel, daß die Wahrheit der Behauptung für alle zukünftigen Zeiten aufrecht erhalten wird. - Wir repräsentieren also den Subjektbegriff durch einen fixen Punkt, deb Prädikatbegriff hingegen durch einen variablen Punkt und zeigen hierdurch an, daß wir den hochbedeutsamen spezifischen Unterschied zwischen Subjekt- und Prädikatbegriff zumindest im Tatsachenurteil unter allen Umständen gewahrt wissen wollen. Zugleich erkennen wir hier, daß gleichlautende Erinnerungsurteile nicht durch parallele Linien dargestellt werden müssen, wie wir dies im Eingang unserer Untersuchungen getan haben, sondern auf ein und derselben geraden Linie dargestellt werden können, und zwar dadurch, daß man den Prädikatspunkt b als beweglich betrachtet. Es ist vielleicht hier der passende Ort, auch jener logischen Symbolik zu gedenken, die allgemach außer Gebrauch kommt, und die darin bestand, Begriffe durch Kreise und Verhältnisse von Begriffen durch die wechselseitige Lage zweier oder mehrerer Kreise darzustellen. Diese Symbolik ist für die Geschichte der Logik von großer Bedeutung, denn sie liefert den Beweis dafür, daß der menschliche Geist sich bei logischen Untersuchungen gedrängt fühlt zu versinnlichenden Mitteln zu greifen und diese Mittel gern der geometrischen Raumanschauung entlehnt. Aber die Kreissymbolik hat auch noch die weit interessantere Bedeutsamkeit, daß sie uns durch ihre große Anschaulichkeit die fundamentalen Irrtümer der aristotelisch-scholastischen Logik besser enthüllt, als dies mächtig aufgebauschte gelehrte Abhandlungen zu tun vermöchten. Man braucht nur auf diese symbolischen Kreise zu schauen, um sofort zu erkennen, daß hier eigene Symbole wohl für Begriffe, aber nicht auch für Urteile vorliegen. Hätte man erkannt, daß in der Logik alles auf das Urteilen ankommt, und Begriffe nur da sind, weil wir urteilende Wesen sind, so hätte man sich gewiß zunächst bemüht, für das Urteil irgendein Symbol zu finden. Ein zweiter Blick auf jene Kreisfiguren belehrt uns darüber, daß die spezifischen Unterschiede zwischen Begriff und Begriff gar nicht in Betracht gezogen werden, daß also ein Subjektbegriff ebenso nur durch einen Kreis dargestellt ist wie ein Prädikatbegriff. Allerlei Begriff haben den Kreis zum Symbol, so daß der ganze große Reichtum des Satzbaus in ein völliges Einerlei aufgeht und nicht einmal der polare Gegensatz von Subjekt und Prädikat (den ich durch einen fixen und einen beweglichen Punkt darstelle) einer Versinnlichung gewürdigt wird. Dies hängt damit zusammen, daß es sich in dieser Logik eigentlich gar nicht um Urteile, also auch nicht um die Unterschiede von Subjekt- und Prädikatbegriffen, sondern bloß um uniforme Begriffe und um die Verhältnisse ihrer Unter- und Überordnung handelt. Diese Mißachtung des Urteils und des bewunderungswürdigen Gliederbaus der sprachlichen Sätze beruth aber im letzten Grund darauf, daß es dieser Logik gar nicht auf Tatsachenurteile ankommt, in denen wir unsere Erlebnisse darstellen, sondern immer nur auf begriffliche Spielereien. Denn der bedeutsame Unterschied von Subjekt- und Prädikatbegriffen kommt recht eigentlich nur in Tatsachenurteilen zum Vorschein, während in solchen Sätzen (wie z. B. "Gerechtigkeit ist eine Tugend"), die den Sphären höherer Besinnung angehören, der spezifische Unterschied zwischen Subjekt- und Prädikatbegriffen verwischt ist, und die Subsumtion von Begriffen unter allgemeinere Begriffe in ihre Rechte tritt. Wer von der Subsumtion der Begriffe unter allgemeinere Begriffe ausgeht, der baut die Logik von oben, und vermag nie das Wesen des Urteils zu erkennen; ja, er wird es notwendig verkennen, und er wird demzufolge auch unfähig sein, der Natur der Begriffe gerecht zu werden. Dem Empirismus und Sensualismus gegenüber müssen wir betonen, daß die Logik nicht von den Eindrücken, sondern von der Urteilstat ausgeht; den Rationalisten und Scholastikern treten wir aber dadurch gegenüber, daß wir nicht von den Begriffen und ihrer Subsumtion, sondern vom Urteil ausgehen, in dem wir sinnliche Eindrücke konstatieren. Nur so haben wir Aussicht darauf, den wahren Kern des Sensualismus mit dem wahren Kern des Rationalismus zum Aufbau einer monistischen Logik verwerten zu können. |