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ERNST ROBERT CURTIUS
Das Schematismuskapitel in der
Kritik der reinen Vernunft

[Philologische Untersuchung]
[2/2]

Das Schema sollte nach Kant ein Drittes sein zwischen Anschauung und Verstandesbegriff, und worin besteht es tatsächlich? Es ist nichts mehr und nichts weniger als die Verbindung von Anschauung und Begriff selber, die doch eben das Problem war: die Zeit ist die Anschauungsform, die Kategorie ist der Verstandesbegrif, das Schema ist eine Vereinigung beider, sonst nichts; anstatt eines Dritten, welches wir suchten, legt Kant Eins und Zwei kurzerhand zusammen. Das Problem wird dadurch höchst einfach gelöst, daß es ignoriert wird. So heterogen Anschauung und Begriff sein mögen, wie Kant zunächst behauptet hat, im Schema verbindet er sie durch den Machtspruch: Fügt euch zusammen! Das Dritte zur Anwendung wird Kant unter den Händen die Anwendung selber.

Diese Spezifikation der transzendentalen Schemata erfolgt erst fünf Seiten später (Seite 182f). Und was liegt dazwischen? Eine neue, zweite Ableitung des Schemas! Diese auffallende Erscheinung, zu welcher der immer neu ansetzende Beweisgang in der transzendentalen Deduktion der Kategorien eine Parallele bildet, wird zwar nicht hinreichend erklärt, verliert aber viel von ihrem überraschenden Charakter durch folgende Bemerkung von VAIHINGER:
    "Die Publikationen der Losen Blätter, der Reflexionen und des Opus postumum aus Kants Nachlaß haben uns über die Arbeitsmethode Kants belehrt: wir finden überalle einzelne oder längere Ausführungen, wobei Kant in immer neuen Ansätzen den spröden Gegenstand zu bewältigen sucht, und bei diesen neuen Ansätzen nimmt Kant auf seine eigenen früheren Darstellungen fast nie Rücksicht. Er setzt fast immer wieder neu ein, ohne Beziehung auf die schon vorliegenden älteren Aufzeichnungen. Dadurch erklären sich sowohl die immer neuen Behandlungen desselben Themas wie auch die auffallenden Abweichungen derselben voneinander." (Hans Vaihinger, Die transzendentale Deduktion der Kategorien, 1902, Seite 1)
Sehen wir nun die neue Ableitung des Schemas an. Der Anfang schließt sich an das Vorausgehende in keiner Weise an:
    "Nach demjenigen, was in der Deduktion der Kategorien gezeigt wurde, wird hoffentlich niemand in Zweifel stehen, sich über die Frage zu entschließen: ob diese reinen Verstandesbegriffe von bloß empirischem oder auch von transzendentalem Gebrauch sind, d. h. ob sie lediglich als Bedingungen einer möglichen Erfahrung sich a priori auf die Erscheinungen beziehen, oder ob sie als Bedingungen der Möglichkeit der Dinge überhaupt auf Gegenstände ansich (ohne einige Restriktion [Beschränkung - wp] auf unsere Sinnlichkeit) erstreckt werden können. Denn da haben wir gesehen, daß Begriffe ganz unmöglich sind, noch irgendeine Bedeutung haben können, wo nicht entweder ihnen selbst oder wenigstens den Elementen, daraus sie bestehen, ein Gegenstand gegeben ist, folglich auf Dinge-ansich (ohne Rücksicht, ob und wie sie uns gegeben werden mögen) gar nicht gehen können, daß ferner die einzige Art, wie ein Gegenstand gegeben wird, die Modifikation unserer Sinnlichkeit ist; endlich, daß reine Begriffe a priori außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a priori enthalten müssen, welche die allgemeine Bedingung enthalten, unter der die Kategorie allein auf irgendeinen Gegenstand angewandt werden kann. Wir wollen diese formale und reine Bedingung der Sinnlichkeit, auf welche der Verstandesbegriff in seinem Gebrauch restringiert ist, das Schema dieses Verstandesbegriffs und das Verfahren des Verstandes mit diesen Schemata den Schematismus des reinen Verstandes nennen." (B 178-179)
Bei dieser Deduktion des Schemas fällt mir vor allem auf, daß sie ganz ohne Hilfe des Begriffs Subsumtion zustande kommt. Zweitens fällt mir auf, daß sie auf etwas basiert "was in der Deduktion der Kategorien gezeigt worden".

Dieses Fundament der Deduktion ist in dem oben besprochenen § 24 zu erblicken, denn das ist der Ort, wo bewiesen worden war,
    "daß reine Begriffe a priori außer der Funktion des Verstandes in der Kategorie noch formale Bedingungen der Sinnlichkeit (namentlich des inneren Sinnes) a priori enthalten müssen."
Dort waren die formalen Bedingungen unter dem Namen der synthesis speciosa oder der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft zusammengefaßt worden. Dort war eben, wie oben gezeigt, dasselbe Problem wie im Schematismuskapitel behandelt worden. Und während das Schematismuskapitel in seiner Lösung des Problems bisher ganz andere Wege gegangen war als der § 24, wird jetzt in dieser zweiten Ableitung des Schemas, der Faden des früheren Gedankengangs (in § 24) wieder aufgenommen. Die Beziehung zwischen den beiden Gedankenreihen (Schema einerseits, synthesis speciosa andererseits) wird deutlicher im folgenden Satz:
    "Das Schema ist ansich jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft, aber indem die Synthesis der letzteren keine einzelne Anschauung, sondern die Einheit in der Bestimmung der Sinnlichkeit allein zur Absicht hat, so ist das Schema doch vom Bild zu unterscheiden."
Hier kehrt also der Begriff "Synthesis der Einbildungskraft" wörtlich wieder, mit der wichtigen Bestimmung, die Schemata der Verstandesbegriffe seien Produkte dieser Synthesis (7). Diese Bestimmung klärt das Verhältnis zwischen dem Schema und der transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft, und damit das Verhältnis zwischen dem § 24 und dem Schematismuskapitel völlig auf. Das Problem der Anwendung der Kategorien auf die Erscheinungen wird schon in § 24 aufgestellt und gelöst. Die Problemlösung, die in der zweiten Ableitung des Schemas im Schematismuskapitel geboten wird, ist nichts weiter als eine Wiederholung und genauere Ausführung der in § 24 vorgetragenen Lösung. Die in § 24 eingeführte Mittelinstanz zwischen Kategorie und Erscheinung wird im Schematismuskapitel in Beziehung auf die einzelnen Kategorien spezifiziert. Aus der einen transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft werden zwölf transzendentale Schemata, gerade wie seiner Zeit aus der einen intellektualen Synthesis zwölf Kategorien wurden. Daß die transzendentalen Schemata Zeitbestimmungen sind, das konnte man auch schon aus § 24 wissen, denn dort war gesagt, daß es der "innere Sinn", die Form der sinnlichen Anschauung a priori, folglich die Zeit ist, welche durch die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft bestimmt wird. Will man noch einen Beweis für die enge Beziehung, welche zwischen dem Schematismuskapitel und dem § 24 besteht, so findet man einen solchen in einer handschriftlichen Eintragung KANTs in seinem Handexemplar der Kritik der reinen Vernunft. Er fügt dort, nach ERDMANNs Bericht,
    "zu dem Wort Schematismus die Überschrift: Die Synthesis des Verstandes, wenn sie den inneren Sinn der Einheit der Apperzeption gemäß bestimmt, heißt so. Damit, sagt der Herausgeber Erdmann, ist eine für ihren Zusammenhang wichtige nähere Bestimmung der transzendenten Schemate ausgesprochen, die zwar der Sache nach, aber nich in dieser präzisen Formulierung von Kant gegeben ist." (Nachträge zu Kants Kr. d. r. V., aus Kants Nachlaß hg. von Benno Erdmann, Kiel 1881, Seite 27-28)
Es ist bemerkenswert, daß auch in dieser nachträglichen Definition des Schematismus der Gedanke der Subsumtion ganz fallen gelassen ist. Jedenfalls bedarf es keines Beweises, daß die beiden Auffassungen des Schematismus (d. h. der Anwendung der Kategorien), diejenige als Subsumtion und die als Synthesis, einander schroff entgegengesetzt sind. Die Schwierigkeit und Dunkelheit des Schematismuskapitels aber beruth nicht zum wenigstens auf der Einführung des Begriffs der Subsumtion. Bisher ist Schema immer mit "transzendentalem Schema" identisch gewesen, wir haben keine anderen Schemata gekannt als die transzendentalen, und diese waren uns auf transzendentalen Erwägungen erwachsen, nicht aus der psychologischen Empirie übernommen. Diese transzendentale Ableitung des Schemas ist der Grund, weshalb man in Übereinstimmung mit KUNTZE (Die kritische Lehre von der Objektivität, 1906, Seite 145) alle psychologistischen Deutungen des Schematismus als verfehlt bezeichnen darf. Aber der nächste Absatz ergänzt und bereichert unser Wissen vom Schema. Wir werden erstens darüber aufgeklärt, daß das transzendentale Schema nur eine Art der Gattung Schema ist, und zweitens wird uns der ausgedehnte Gebrauch der Schemata als Tatsache der empirischen Erkenntnispsychologie an einigen Beispielen dargelegt hat, d. h. der transzendenten Deduktion des Schemas wird eine metaphysische zur Seite gestellt. Hierdurch präzisiert sich unsere Vorstellung von dem, was wur uns unter einem Schema zu denken haben. Zunächst werden wir darauf aufmerksam gemacht, daß das Schema nicht mit einem Bild verwechselt werden darf.
    "So, wenn ich fünf Punkte hintereinander setze ... ist dieses ein Bild von der Zahl fünf. Dagegen, wenn ich eine Zahl überhaupt nur denke, die nun fünf oder hundert sein kann, so ist dieses Denken mehr die Vorstellung einer Methode, einem gewissen Begriff gemäß eine Menge (z. B. tausend) in einem Bild vorzustellen, als dieses Bild selbst, welches ich im letzteren Fall schwerlich würde übersehen, und mit dem Begriff vergleichen können."
Eine Erläuterung zu dieser Stelle bietet SCHELLING.
    "Das Schema", sagt er in seinem System des transzendentalen Idealismus, "muß unterschieden werden sowohl vom Bild als vom Symbol ... Das Bild ist immer von allen Seiten so bestimmt, daß zur völligen Identität des Bildes mit dem Gegenstand nur der bestimmte Teil des Raumes fehlt, in welchem sich der letztere befindet. Das Schema dagegen ist nicht ein von allen Seiten bestimmte Vorstellung, sondern nur Anschauung einer Regel, nach welcher ein bestimmter Gegenstand hervorgebracht werden kann." (Sämtliche Werke, 1. Abteilung, 3, Seite 508)
Nachdem der Irrtum, das Schema sei ein Bild, abgewiesen ist, kann KANT eine präzise Definition des Begriffs geben:
    "Die Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriff."
Diese Definition können wir zwar intellektuell apprehendieren [Zusammenfassung mannigfaltiger Sinneseindrücke zu einer Vorstellungseinheit - wp], aber wir sind noch außerstande, eine lebendige Vorstellung mit dem, was darin intendiert ist, zu verbinden. Darum führt KANT den "Gängelwagen [Lauflernhilfe] der Urteilskraft", d. h. Beispiele (B 174 oben), ein. Vom Standpunkt einer Phänomenologie des Bewußtseins aus geht KANT dazu über, Schemata und Schematismus als tatsächlicch vorhanden und funktionierend aufzuzeigen. Bedauerlicherweise leiden auch diese Ausführungen KANTs an einer Dunkelheit, welche nicht aus Tiefsinn, sondern aus unklarer und hilfloser Ausdrucksweise entspringt. Das Schema ist die Vorstellung von einem Verfahren, einem Begriff sein Bild zu verschaffen. Der Begriff hat also im Verhältnis zum Schema logische Priorität und das Schema steht in der Mitte zwischen Begriff und Bild. Nun will KANT beweisen, daß überall da, wo einem Begriff sein Bild verschafft werden soll, dies durch das Schema des Begriffs vermittelt wird. Zuerst beweist er dies bei reinen sinnlichen Begriffen. Solche Begriffe sind die Begriffe von geometrischen Figuren. Man erwartet nun, KANT wird sagen: unseren Bildern von reinen sinnlichen Begriffen liegen nicht diese Begriffe, sondern deren Schemata zugrunde. Stattdessen sagt KANT:
    "In der Tat liegen unseren reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemate zugrunde."
Diese Überleitung mit "In der Tat" erinnert an das oben charakterisierte "nun ist klar". Beide Ausdrücke bedeuten, daß der logische Faden gerissen ist und sollen einen Sprung in der Darstellung verbergen. So steht es dann auch mit dem eben zitierten Satz. Hier ist das Verhältnis: Begriff ⇒ Schema ⇒ Bild ganz verschoben, und es sieht so aus, als hätten die Schemata logische Priorität im Verhältnis zu den Begriffen. Das muß man wenigstens aus dem Ausdruck "zugrunde liegen" folgern. Das widerspricht aber der Definition des Schemas. Das Schema ist ja gerade durch seine Abhängigkeit von einem Begriff gekennzeichnet und definiert. Daran läßt sich nicht rütteln. Die Schwierigkeit scheint unlösbar. Sie läßt sich jedoch vielleicht lösen, wenn wir den Wortsinn des "zugrunde liegen", nicht in seiner Starrheit bestehen lassen. Zu dieser freieren Auslegung fühlen wir uns dadurch autorisiert, daß KANT später an entsprechender Stelle einen anderen Ausdruck wählt, wie wir weiter unten sehen werden. Es handelt sich um das Verhältnis Begriff ⇒ Schema ⇒ Bild. Das hat er in dem Anstoß erregenden Satz einfach umgedreht und gesagt: Bild ⇒ Schema ⇒ Begriff. (8)

Diese Umkehrung kann man natürlich vornehmen. Sie verhält sich zu der anderen Formel wie Erkenntnisgrund und Realgrund. Sie tangiert also jene Formel in ihrer transzendentalen Wahrheit nicht. Immerhin bleibt es dabei, daß dieses Triangelbeispiel verwirrend wirkt, weil es die Gedankenentwicklung nicht gradlinig fortführt. Eine Abirrung bedeutet es auch, wenn auf die Inadäquatheit des Triangelbildes im Verhältnis zum Triangelbegriff solches Gewicht gelegt wird. Diese Inadäquatheit ist eine Privateigentümlichkeit des Triangels, gehört aber keineswegs zum Wesen des Verhältnisses von Begriff ⇒ Schema ⇒ Bild. Dies sieht man leicht an einem anderen "reinen sinnlichen Begriff", z. B. dem des Kreises oder des Quadrats. Hier ist von einer solchen Inadäquatheit zwischen Bild und Begriff keine Rede. Eben darum aber durfte KANT auch beim Triangel das Existieren und Funktionieren des Schemas nicht auf diese Inadäquatheit stützen.

Auf diesen Passus, den man, wenn es sich nicht um KANT, sondern um einen handschriftlich überlieferten antiken Autor handeln würde, wegen innerer Unstimmigkeiten vielleicht als Interpolation ausmerzen würde, folgt die Bestimmung, das Schema des Triangels bedeute eine Regel der Synthesis der Einbildungskraft in Anbetracht reiner Gestalten im Raum. Damit sind wir wieder in dem uns vertrauten Gedankengang drin.

Hatten die soeben besprochenen Ausführungen KANTs den reinen sinnlichen Begriffen gegolten, so werden sie jetzt durch entsprechende Bestimmungen über empirische Begriffe ergänzt.
    "Noch viel weniger, hören wir, erreicht ein Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben jemals den empirischen Begriff, sondern dieser bezieht sich jederzeit unmittelbar auf das Schema der Einbildungskraft."
Dieser Satz korrespondiert dem oben besprochenen: "In der Tat liegen unseren reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemate zugrunde." Nur sind die Ausdrücke anders gewählt, dieselben Relationen abweichend formuliert. Das ist sehr interessant, für das Verständnis wertvoll. Das Verhältnis der beiden Sätze stellt sich so dar:
    1. Bilder der Gegenstände ⇒ Schemate ⇒ reine sinnliche Begriffe.

    2. Gegenstand der Erfahrung oder Bild desselben ⇒ Schema ⇒ empirischer Begriff.
Der Unterschied zwischen 1. und 2. liegt in der Bedeutung der Pfeile. in 1. bedeuten sie "zugrunde liegen" - und an diesem Ausdruck hatte ich bereits Anstoß genommen. In 2. bedeuten die Pfeile "bezieht sich". Hier ist also der irreleitende Ausdruck "zugrunde liegen" ersetzt durch den neutralen Ausdruck "sich beziehen". So hat sich KANT selbst korrigiert. Der Ausdruck: der Begriffe beziehe sich auf das Schema, nicht auf das Bild, steht mit der logischen Priorität des Begriffes im Verhältnis zum Schema nicht im Widerspruch wie es der Ausdruck tut: dem Begriff liegt ein Schema zugrunde.

Das Verhältnis von Begriff und Schema wird aber ganz klar durch die neue Definition des Schemas, die KANT nun gibt: Das Schema ist eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung gemäß einem gewissen allgemeinen Begriff. Diese zweite Definition ist viel klarer und brauchbarer als die erste. Das Schema ist nicht mehr "die Vorstellung von einem allgemeinen Verfahren", sondern "eine Regel". Und zwar nicht "eine Regel, einem Begriff sein Bild zu verschaffen", sondern "eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung gemäß einem Begriff". Nach dieser Definition läßt sich nicht mehr daran zweifeln, daß der Begriff die logische Priorität vor dem Schema hat. Man wird jene Stelle, aus der sich die umgekehrte Auffassung ergeben hat, als irreführend bezeichnen müssen. Das Schema wird gebildet gemäß einem Begriff, es ist eine Projektion des Begriffs auf die Anschauung. Wollen wir das Verhältnis ganz deutlich machen, so können wir mit einem mathematischen Ausdruck sagen: Jedes Schema ist Funktion eines Begriffs. Dieser Punkt ist sehr wichtig. Daß das Schema Funktion eines Begriffs ist, dies ist das wesentliche Merkmal des Schemas. In diesem Zusammenhang darf darauf hingewiesen werden, daß diese funktionelle Abhängigkeit des Schemas von seinem Begriff in der Subsumtionstheorie gar nicht zum Ausdruck kommt. Im Gegenteil: unsere Erklärung der Subsumtion von Erscheinungen unter Kategorien vermittelnder Schemata verdrehte dieses Verhältnis zwischen Begriff und Schema völlig. Wir hatten die Subsumtion dargestellt mit Anlehnung an die Schlußformel
    Wo A gilt, gilt X
    A gilt bei B
    also: X gilt bei B
wobei A das Schema, X die Kategori, B die Erscheinung bedeutet. In dieser Formel kommt aber der Charakter des A als Funktion von X nicht nur nicht zum Ausdruck, sondern es wird eher der Eindruck erweckt, als ob X sich in einer Abhängigkeit von A befindet. Nun ist aber, nach meinem Erachten, die in dieser Formel niedergelegte Deutung des Subsumtions-Schematismus die einzig mögliche. In dieser Überzeugung bestärkt mich FALCKENBERGs Deutung des Schematismus. FALCKENBERG deutet nämlich den Subusumtions-Schematismus auf dieselbe Weise (wenn auch in einem anderen Ausdruck) wie ich, und vom Synthesis-Schematismus hört man bei ihm nichts. Er sagt zum Beispiel: Das Dasein zu einer bestimmten Zeit sei der Fingerzeigt für die Kategorie der Wirklichkeit (Falckenber, Hilfsbuch zur Geschichte der Philosophie seit Kant, Seite 17). Dieser Satz drückt genau das aus, was ich in jener Schlußformel ausgedrückt habe und zeigt deutlich, daß die Auffassung des Schematismus als Subsumtion inadäquat ist, weil sie das Wesen des Schemas, Funktion eines Begriffs zu sein, verdeckt, antatt es auszudrücken. Nach diesem Exkurs über Subsumtions-Schematismus können wir KANTs Ausführungen über das Schema wieder Gehör leihen. Zuvor empfiehlt es sich jedoch SCHELLINGs Erklärung des Schemas wieder mit der von KANT zu vergleichen. KANT hatte das Schema eine Regel der Bestimmung unserer Anschauung genannt. Vielleicht kommt diese Charakteristik des Schemas zu noch schärferer Ausprägung in SCHELLINGs Worten:
    "Das Schema ist Anschauung der Regel, nach welcher ein bestimmter Gegenstand hervorgebracht werden kann." (Sämtliche Erke, 1. Abteilung, 3, Seite 508)

    "Das Schema zeigt sich im gemeinsten Verstandesgebrauch als das allgemeine Mittelglied der Anerkennung jedes Gegenstandes als eines bestimmten." (ebd. 509)

    "Das Schema ist die sinnlich-angeschaute Regel der Hervorbringung eines empirischen Gegenstandes." (ebd. 510)
Halten wir dies fest: das Schema ist eine Regel! KANT erläutert nun seine Schematheorie noch an einem Beispiel.
    "Der Begriff vom Hund bedeutet eine Regel, nach welcher meine Einbildungskraft die Gestalt eines vierfüßigen Tieres allgemein verzeichnen kann, ohne auf irgendeine einzige besondere Gestalt, die mir die Erfahrung dazu bietet, oder auch ein jedes mögliche Bild, was ich in concreto darstellen kann, eingeschränkt zu sein."
Dieser Satz enthält eine neue Überraschung: "Der Begriff vom Hund bedeutet eine Regel". Und da Regel = Schema, können wir sagen: Der Begriff vom Hund bedeutet ein Schema. Hier fließt also der Begriff eines Dings mit seinem Schema zusammen! Diese sehr interessante Peripetie [entscheidender Wendepunkt - wp] steht zwar im Widerspruch zu dem ganzen vorhergehenden Passus, wo zwischen Begriff eines Dings und Schema desselben immer scharf geschieden wurde, harmoniert dafür aber umsomehr mit unserer eigenen psychologischen Erfahrung. Es ist uns kaum möglich, aus unserem inneren Erleben heraus die Koexistenz von Schema und Begriff eines Hundes, oder eines Triangels, als distinkter [unterschiedener - wp] Faktoren nachzufühlen. Das, was KANT Schema nennt deckt sich mit dem, was wir uns unter Begriff denken! In diesem Sinn sagt RIEHL:
    "Um die Allgemeinheit des Begriffs mit der Individualität der Anschauung auszugleichen, bedarf es nach Kant einer Klasse von Zwischengebilden, die die Natur der begrifflichen Vorstellungen mit der der anschaulichen teilen: eben der Schemata. Irre ich nicht, so sind es gerade diese Schemata selbst, welche allein im eigentlichen Sinn Begriffe sind und was darüber hinaus liegt, ist nur noch das Wort, das die Vorstellungen bezeichnet, aber keine für sich irgendwie faßbare Vorstellung mehr." (Der philosophische Kritizismus, Bd. 1, Seite 533)
Indessen: diese Auffassung, wonach Begriff und Schema ein und dasselbe sind, wird bei KANT nur durch die eine Stelle (Hundebeispiel) gestützt, läuft aber im Übrigen der ganzen Schematismuslehre zuwider. Sie wird dadurch begünstigt, daß es uns in praxi schwer fällt, aufgrund unserer inneren Erfahrung Begriff und Schema eines Dings zu unterscheiden. Und doch muß dem aus transzendentalen Gründen eingeführten Begriff des Schemas eine psychologische Realität entsprechen - sonst stürzt das ganze transzendentale Gebäude zusammen. Deshalb hat ja KANT der transzendentalen Deduktion des Schemas eine "metaphysische" zur Seite gestellt. Wie die reinen Anschauungsformen und die reinen Verstandesbegriffe werden die Schemata nicht nur in ihrer transzendentalen Bedeutung für die Möglichkeit der Erkenntnis, sondern auch als empirische Tatsachen der Phänomenologie des Bewußtsein aufgezeigt. So ist auch der Satz zu verstehen:
    "Dieser Schematismus unseres Verstandes in Anbetracht der Erscheinungen ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wird der Natur schwerlich jemals abraten und sie unverdeckt vor Augen legen werden."
Noch deutlicher drückt sich SCHELLING aus. Er erklärt den Schematismus für einen Vorgang,
    "welcher jeder nur aus eigener innerer Erfahrung kennen lernen, und den man, um ihn kenntlich zu machen und die Erfahrung zu leiten, nur beschreiben und von allem andern, was ihm ähnlich ist, absondern kann." (Sämtliche Werke, 1. Abteilung, 3, Seite 505)
Trotz dieser psychologischen Einsprengungen aber ist an der transzendentalen Grundtendenz des Schematismuskapitels festzuhalten. Ob das Schema als psychologische Realität aus dem Trümmerhaufen der kantischen Psychologie zu retten ist, und ob die moderne Psychologie etwas damit anzufangen weiß, das zu untersuchen wäre zwar sehr interessant, gehört jedoch nicht hierher.

KANT muß nun, nachdem er vom Schemata im Allgemeinen gesprochen hat, den Weg zurückfinden zum transzendentalen Schema. Er tut dies in folgenden Sätzen:
    "Das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raum) ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden, die aber mit dem Begriff, nur immer mittels des Schemas, welches sie bezeichnen, verknüpft werden müssen und ansich demselben nicht völlig kongruieren. Dagegen ist das Schema eines reinen Verstandesbegriffs etwas, was in gar kein Bild gebracht werden kann, sondern ist nur die reine Synthesis gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorie ausdrückt, und ist ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft, welches die Bestimmungen des inneren Sinnes überhaupt, nach Bedingungen seiner Form (der Zeit) in Anbetracht aller Vorstellungen betrifft, sofern diese der Einheit der Apperzeption gemäß a priori in einem Begriff zusammenhängen sollen." (B 181)
Also das Schema einer Kategorie ist
    "die reine Synthesis gemäß einer Regel der Einheit nach Begriffen überhaupt, die die Kategorien ausdrückt".
Hier bezieht sich das Relativum die (quam) doch wohl auf die Regel. "Regel der Einheit nach Begriffen" wäre dann also eine Umschreibung für Kategorie, und wir könnten lesen: "das Schema einer Kategorie ist die reine Synthesis gemäß dieser Kategorie". Also: das transzendentale Schema ist eine Modifikation der Synthesis, keine Subsumtion. Aber mit dieser Bestimmung ist der Begriff des transzendentalen Schemas noch nicht erschöpft. Er ist ein transzendentales Produkt der Einbildungskraft - das Schema überhaupt war "jederzeit nur ein Produkt der Einbildungskraft" gewesen - und es bestimmt den inneren Sinn, wie das Schema überhaupt "eine Bestimmung unserer Anschauung" ist, und zwar bestimmt es den inneren Sinn nach Bedingungen seiner Form (der Zeit) in Anbetracht aller Vorstellungen. Das transzendentale Schema ist also eine von der Einbildungskraft ausgeübte Synthesis der Vorstellungen in der Zeit (als Form des inneren Sinnes), gemäß einer Kategorie. Vergleichen wir wieder die Formulierung SCHELLINGs:
    "Das empirische Schema wurde erklärt als die sinnlich angeschaute Regel, wonach ein Gegenstand empirisch hervorgebracht werden kann. Das transzendentale wird also die sinnliche Anschauung der Regel sein, nach welcher ein Objekt überhaupt oder transzendental hervorgebracht werden kann." (a. a. O., Seite 516)
Die Definition des transzendentalen Schemas, zu der wir jetzt gelangt sind, schließt sich wieder auf das Engste an die Ausführungen in § 24 (B 150 unten) an. Wir können jetzt einen Schritt weitergehen und die einzelnen transzendentalen Schemata spezifizieren.
    "Die Schemate sind daher nichts als Zeitbestimmungen a priori nach Regeln, und diese gehen nach der Ordnung der Kategorien auf die Zeitreihe, den Zeitinhalt, die Zeitordnung, endlich den Zeitinbegriff in Anbetracht aller möglichen Gegenstände." (B 184)
KANT macht nun die einzelnen Schemata namhaft. Wir brauchen hierauf nicht im Detail einzugehen, da für die prinzipiellen Fragen, die sich aus dem Schematismuskapitel ergeben, nichts dabei herauskommt. Ein kurzer Überblick über die Ausgestaltung der Schematheorie wird genügen. KANT hat bekanntlich zwölf Kategorien. Er mußte also auch zwölf transzendentale Schemata aufzählen können. Das gelingt ihm aber nicht. Er bringt nur 9 zustande. Das Schema der Quantität ist die Zahl. (Die Quantität ist aber keine von den 12 Kategorien, sondern der gemeinsame Titel für die drei ersten.) Das Schema der Realität ist das Sein in der Zeit, das Negation das Nichtsein in der Zeit. Das Schema der Substanz ist die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit, das der Kausalität "die Sukzession des Mannigfaltigen, insofern sie einer Regel unterworfen ist", das der Gemeinschaft ist das Zugleichsein d Bestimmungen einer Substanz mit denen einer anderen. Schema der Möglichkeit ist die Zusammenstimmung der Synthesis verschiedener Vorstellungen mit den Bedingungen der Zeit überhaupt, das der Notwendigkeit endlich das Dasein eines Gegenstandes zu aller Zeit. Über diese Tafel der Schemata urteilt ZSCHOKKE:
    "Es ist ganz unmöglich, das auszuführen, was Kant unterlassen hat und wenn wir die einzelnen Schemata genau nachprüfen, die angegeben sind, so geraten wir in ein Nebelmeer von Unklarheiten hinein." (Kant-Studien, Bd. 12, Seite 169)
Demseben Autor entnehme ich folgende kurze, aber einschneidende Kritik der Schemata, die durch ihre vorzügliche Formulierung zur wörtlichen Anführung zwingt:
    "Das Schema sollte nach Kant ein Drittes sein zwischen Anschauung und Verstandesbegriff, und worin besteht es tatsächlich? Es ist nichts mehr und nichts weniger als die Verbindung von Anschauung und Begriff selber, die doch eben das Problem war: die Zeit ist die Anschauungsform, die Kategorie ist der Verstandesbegrif, das Schema ist eine Vereinigung beider, sonst nichts; anstatt eines Dritten, welches wir suchten, legt Kant Eins und Zwei kurzerhand zusammen. Das Problem wird dadurch höchst einfach gelöst, daß es ignoriert wird. So heterogen Anschauung und Begriff sein mögen, wie Kant zunächst behauptet hat, im Schema verbindet er sie durch den Machtspruch: Fügt euch zusammen! Das Dritte zur Anwendung wird Kant unter den Händen die Anwendung selber." (Kant-Studien, Bd. 12, Seite 169)
ZSCHOKKE kommt zu dem Schluß,
    "daß Kants Begriff des Schemas an keiner Stelle wirklich klar erkennen läßt, daß es ein Tertium zwischen Begriff und Anschauung ist." (ebd. 170/171)
Diese Krtitik bestätigt die Bedenken, die ich gleich anfangs erhoben habe, als ich am Begriff des Tertium zwischen Begriff und Anschauung Anstoß nahm.

Ich fasse nun die Ergebnisse meiner bisherigen Untersuchungen zusammen: Ich war zu folgendem Resultat gelangt: Das Schematismusproblem ist das Problem der Anwendung der Kategorien auf Anschauungen. Dieses Problem entwickelt sich organisch aus der Analytik der Begriffe. Nachdem das Erkenntnisvermögen zerfasert worden ist in reine Anschauungsformen und in reine Verstandesformen, muß sich die Frage erheben: "Wie beziehen sich die reinen Verstandesformen auf die Anschauungen?" Diese Frage hat KANT gegen Ende der Analytik, in § 24, beantwortet. Die Antwort lautet:
    "Die Anwendung der Kategorien auf Gegenstände der Sinne wird vermittelt durch ihre Anwendung auf die reinen Anschauungsformen Raum und Zeit. Diese Anwendung vollzieht sich in Form einer apriorischen Synthesis, welche die Kategorien auf diese reinen Anschauungen ausüben. Diese Systhesis heißt synthesis speciosa. Da sie durch die Einbildungskraft vollzogen wird, heißt sie auch transzendentale Synthesis der Einbildungskraft."
Diese Gedanken werden nun im Schematismuskapitel wieder aufgenommen und dahin ergänzt, daß die Formen, in welchen sich diese Synthesis der Einbildungskraft vollzieht, als transzendentale Schemata bezeichnet und spezifiziert werden. Die Schematismuslehre ist also nur eine organische Weiterbildung und Ausgestaltung der Kategorienlehre. Deshalb meint auch RIEHL, sie hätte "ebensogut, ja natürlicher im Zusammenhang der Deduktion der Kategorien behandelt werden können" (Der philosophische Kritizismus, Bd. 1, Seite 523). Neben dieser Gedankenreihe finden wir im Schematismuskapitel eine andere Ableitung der Schemata, die von § 24 ganz unabhängig ist, die Anwendung der Kategorien auf die Anschauungen als Subsumtion der letzteren unter die ersteren auffaßt und aus dieser Subsumtion den Begriff des Schemas herleitet. Es erhebt sich nun die Frage: wie verhalten sich die beiden Auffassungen des Schematismus zueinander? Wie verhält sich der Subsumtionsschematismus zum Synthesis-Schematismus? Und da sich die beiden Auffassungen widersprechen, stellt sich die Frage so: welche Auffassung verdient den Vorzug? Aus meiner ganzen Darlegung ergibt sich, daß alle Chancen zugunsten des Synthesis-Schematismus, zu Ungunsten des Subsumtions-Schematismus sprechen. Denn
    1. Der Subsumtions-Schematismus drängt sich unorganisch in die vom § 24 zum Synthesis-Schematismus gradlinig verlaufende Gedankenreihe hinein.

    2. Der Subsumtions-Schematismus spielt im weiteren Verlauf des Schematismuskapitels gar keine Rolle mehr.

    3. Die Ausführungen über Subsumtion leiden an inneren Widersprüchen.

    4. Der Subsumtions-Schematismus bringt das Wesen des Schemas nicht zum Ausdruck.

    5. Subsumtion ist ein logischer, Synthesis ein erkenntnistheoretischer Begriff. Das Wesen des Schematismus ist aber erkenntnistheoretisch, wird also durch den Ausdruck Synthesis adäquater bezeichnet, als durch den Ausdruck Subsumtion. Aus diesen Gründen verdient der Synthesis-Schematismus entschieden den Vorzug.
Man fragt sich nur: Wie ist KANT dazu gekommen, diesen gekünstelten und seine Aufgabe so mangelhaft erfüllenden Subsumtions-Schematismus einzuführen, wo er doch in dem - schon in " 24 angedeuteten - Synthesis-Schematismus eine viel befriedigendere und organischere Lösung des Problems bereit hatte? Die Einführung des Subsumtions-Schematismus liegt meines Erachtens nicht im Problem selbst begründet, sondern - in dem Zwang, den die von KANT gewählte Systematik auf die schriftstellerische Darstellung seiner Gedanken ausgeübt hat. Man vergegenwärtige sich die Stellung des Schematismuskapitels im architektonischen Grundriß der Kritik der reinen Vernunft. Das Kapitel steht am Anfang des zweiten Buches der transzendentalen Analytik, der Analytik der Grundsätze. Nun ist aber, wie wir zu Anfang dieses Buches erfahren,
    "die allgemeine Logik" "über einem Grundriß erhaut, der ganz genau mit der Einteilung des oberen Erkenntnisvermögens zusammentrifft. Diese sind Verstand, Urteilskraft und Vernunft. Jene Doktrin handelt daher in ihrer Analytik von Begriffen, Urteilen und Schlüssen" (B 169),
wobei also die Begriffe dem Verstand, die Urteile der Urteilskraft, die Schlüsse der Vernunft entsprechen. Im Wesen der transzendentalen Logik ist es nun bedingt, daß sie das Einteilungsprinzip der "allgemeinen Logik" nur mit der Modifikation übernehmen kann, daß von der Vernunft nicht in der Analytik, sondern in der Dialektik gehandelt und die Analytik zwischen Verstand und Urteilskraft geteilt wird. Nun entsprach das erste Buch der transzendentalen Analytik, die Analytik der Begriffe, dem Verstand.
    "Die Analytik der Grundsätze (deren erstes Kapitel das Schematismuskapitel ist) wird demnach lediglich ein Kanon für die Urteilskraft sein, der sie lehrt, die Verstandesbegriffe, welche die Bedingung zu Regeln a priori enthalten, auf Erscheinungen anzuwenden." (B 171)
Also: alle Ausführungen der Analytik der Grundsätze, folglich auch das Schematismuskapitel, stehen unter dem Zeichen der Urteilskraft. Darum heißt die Analytik der Grundsätze auch "transzendentale Doktrin der Urteilskraft" (B 176). Was ist aber dann die Urteilskraft? Darauf erhalten wir die Antwort:
    "Wenn der Verstand überhaupt als das Vermögen der Regeln erklärt wird, so ist Urteilskraft das Vermögen, unter Regeln zu subsumieren, d. h. zu unterscheiden, ob etwas unter einer gegebenen Regel (casus datae legis) steht oder nicht." (B 171)
Die Urteilskraft wird bestimmt als das Vermögen zu subsumieren! Also muß das, was in dem "transzendentalen Doktrin der Urteilskraft" betitelten Abschnitt zur Sprache kommt, in irgendeiner Beziehung zum Subsumieren stehen! Nun sollte die transzendentale Doktrin der Urteilskraft
    "zwei Hauptstücke enthalten: das erste, welches von der sinnlichen Bedingung handelt, unter welcher reine Verstandesbegriffe allein gebraucht werden können, d. h. von einem Schematismus des reinen Verstandes, das zweite aber von denjenigen synthetischen Urteilen, welche aus reinen Verstandesbegriffen unter diesen Bedingungen a priori herfließen und allen übrigen Erkenntnissen a priori zugrunde liegen, d. h. von den Grundsätzen des reinen Verstandes." (B 175)
Also mußte im Schematismus von Subsumtion die Rede sein. Darum hat KANT, obwohl er den Synthesis-Schematismus schon bereit hatte, versucht, den Schematismus noch in das Schema einer Subsumtion zu bringen - und so ist der Subsumtions-Schematismus entstanden. Merkwürdig bleibt allerdings noch immer, weshalb KANT das Schematismuskapitel mit dem irreführenden Passus über die Subsumtion von Gegenständen unter Begriffe eingeleitet hat, anstatt gleich den Begriff der Subsumtion einzuführen, den wir uns aus JÄSCHEs Logik und aus B 386 herausgeklaubt haben, und der auch schon in der oben zitierten Definition der Urteilskraft (B 171) steckt.

Aus dem Gesagten folgt, daß es irreführend ist, wenn - wie dies gewöhnlich geschieht - in den Darstellungen des Schematismus nur von Subsumtion die Rede ist. Meines Erachtens hat jede Interpretation und Darstellung des Schematismus von der transzendentalen Synthesis auszugehen - und die Subsumtionstheorie kann als unwesentlich und störend beiseite gelassen werden.

Zu bemerken ist noch, daß dem Subsumtions-Schematismus und dem Synthesis-Schematismus die Auffassung des Schemas als transzendentaler Zeitbestimmung gemeinsam ist. In § 24 ist diese Auffassung noch nicht scharf durchgeführt. Zwar wird auch dort gesagt, daß die figürliche Synthesis den inneren Sinn bestimmt - und dessen Form ist ja die Zeit, oder sie bestimmt "die sinnliche Anschauung a priori", d. h. die Zeit, die ja den Raum unter sich befaßt. Aber doch wird diese Synthesis figürlich, speciosa genannt, welche Benennung doch offenbar eine Beziehung auf den Raum ausdrückt: allein, es ist zweifellos konsequenter, wenn der Schematismus ein zeitlicher ist, weil die Zeit die übergreifenden Anschauungsform ist. Deswegen wird man ÜBERWEG nicht zustimmen können, wenn er sagt, aus denselben Gründen wie die Zeit scheine auch der Raum einen Schematismus liefern zu können und zu müssen. (Überweg-Heinze, Geschichte der Philosophie, Bd. III, Seite 328, Anm.)

Die Verwerfung des Subsumtions-Schematismus ist nicht ohne Wirkung auf unsere Auffassung vom Wesen des Schemas. Im Verlauf des Schematismuskapitels traten uns zwei Auffassungen vom Wesen des Schemas entgegen: das Schema als Tertium und das Schema als Regel. Die beiden Auffassungen sind unverträglich, inkommensurabel, und die Auffassung als Tertium war mir von Anfang an verdächtig gewesen. Nun können wir sie mit gutem Gewissen über Bord werfen - denn sie war ja nur bedingt durch den Subsumtions-Schematismus. Wenn der Mantel fällt, muß der Herzog nach! Bemerkenswert ist auch, daß SCHELLING, der KANTs Schematismuslehre in seinem "System des transzendentalen Idealismus ganz orthodox wiedergibt, von einem Subsumtions-Schematismus wie von einem Schema als Tertium nichts weiß und das Schema durchwegs als Regel auffaßt.

Wenn man davon absieht, an der Lehre vom Schematismus Kritik zu üben, und es nur darauf anlegt, KANTs Gedanken wiederzugeben, dann muß man sagen: der Schematismus hat in KANTs Erkenntnislehre eine zentrale Bedeutung, denn durch ihn werden "die beiden äußersten Enden", Verstand und Sinnlichkeit wieder zusammengefügt, nachdem sie völlig isoliert waren. Nur der Schematismus macht das menschliche Denken möglich. Unser ganzes geistiges Leben beruth auf ihm. Ohne Schematismus hätten wir nur einerseits ungeformte sinnliche Eindrücke, andererseits unerfüllte erkenntnistheoretische Formen. Der Schematismus ist fest vernietet in KANTs erkenntnistheoretischem System. Dies seht man auch daraus, daß KANTs Lehre von der Zeit sich hier "als ein unentbehrliches Zwischenglied seiner gesamten psychologisch-erkenntnistheoretischen Konstruktion" zeigt. (Windelband, Geschichte der neueren Philosophie, Bd. II, Seite 82)

Freilich steht und fällt die Schematismuslehre mit einer Voraussetzung: der Diskrepanz und damit der Vermittlungsbedürftigkeit von Verstand und Sinnlichkeit. Wenn man diese Voraussetzung nicht zugibt, dann braucht man auch den Schematismus nicht zu akzeptieren, zumindest nicht in der von KANT ihm gegebenen Form. Das ist die Stellung ZSCHOKKEs. Nach ihm ist die Diskrepanz der beiden "Stämme" ein Überbleibsel aus KANTs vorkritischer Periode. Verstand und Sinnlichkeit ergänzen sich, sie bilden keinen Gegensatz, den der Schematismus erst überbrücken müßte. So meint auch ÜBERWEG:
    "Es bedarf nicht eines besonderen Schematismus, da ja schon die Gestaltungen des sinnlich gegebenen Stoffes durch die beiden Anschauungsformen überhaupt denselben zu der ferneren Gestaltung durch die Kategorien präpariert." (Überweg-Heinze, a. a. O., Bd. III, Seite 328 Anm.)

LITERATUR: Ernst Robert Curtius, Das Schematismuskapitel in der Kritik der reinen Vernunft, Kant-Studien, Bd. 19, Berlin 1914
    Anmerkungen
    7) Die Beziehung zwischen Schema und Einbildungskraft, welche hier in dem Urteil ausgedrückt ist "das Schema ist ein Produkt der Einbildungskraft", wird auf Seite 180 durch das Genitivverhältnis "Schema der Einbildungskraft" ausgedrückt.
    8) Genauer: Bilder der Gegenstände ⇒ Schemata ⇒ reine sinnliche Begriffe.