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Kritischer und spekulativer Idealismus [ 3/4 ]
HEGEL hat seiner Methode diese Leistung zugetraut; er hat sich nicht mit der bloßen Versicherung ihrer Fähigkeit dazu begnügt, sondern hat in unendlicher Mühe sowohl die Welt der reinen Begriffe, wie die Welt des konkreten Daseins aus und nach dem Prinzip dieser seiner Methode zu einem System des Begriffs, zu einem Wissen des Geistes von sich selbst - zum Sichselbsterkennen im absoluten Anderssein - zu entwickeln gesucht. Zur Beurteilung seines Werkes muß man deshalb zwei Fragen sorgfältig auseinander halten, erstens die, ob sein Prinzip vor dem Forum des methodischen Denkens bestehen kann und zweitens die, wieweit er imstande gewesen ist, dieses Prinzip am konkreten Stoff rein und mit vollkommenem Gelingen durchzuführen. Es liegt auf der Hand, daß, selbst wenn man die erste Frage bejaht, man sich bei der zweiten Frage mit Notwendigkeit zu den stärksten Vorbehalten wird gedrängt sehen müssen. Denn die Aufgabe, den unendlichen Stoff der Erscheinung nach allen ihren Besonderheiten wissenschaftlich zu begreifen, ist nicht nur niemals von einem einzelnen Denker, sondern auch vom philosophischen Denken der gesamten Menschheit nicht eher zu lösen, als bis etwa der ewige Wechsel der Erscheinung zum Stillstand würde gekommen sein, also dem Erkennen nichts mehr übrig geblieben sein würde. Gesetzt also, der Vorwurf, mit dem CASSIRER seine Darstellung HEGELs schließt, bestände zurecht, daß nämlich HEGEL "in der Geistesphilosophie das Ideelle an das Faktische, in der Naturphilosophie das Faktische an das Ideelle verloren habe" (Seite 377), so würde damit zunächst nur gesagt sein, daß er in der Ausführung seines Prinzips hinter der Konzeption zurückgeblieben sei, die ihn geleitet hat; inwiefern das die Schuld der Konzeption und des Prinzips und nicht vielmehr einfach der allem Menschlichen anhaftenden Unvollkommenheit sei, darüber wäre noch gar nichts ausgemacht. Das Prinzip nun, in dem das HEGELsche Denken wurzelt und von dem seine Methode unzweideutig bestimmt wird, hat er nicht erst in der Auseinandersetzung mit seinen philosophischen Zeitgenossen und in dem Bestreben gefunden, die bei ihnen entdeckten Unklarheiten oder Unzulänglichkeiten zu verbessern; es hat längst sein Bewußtsein gestaltet, ehe er es sich selbst zum wissenschaftlichen Begriff entwickelt hat und es hat ihm von Beginn seines philosophischen Nachdenkens an selbst über die nächstverwandten Denker seiner Zeit eine Überlegenheit gegeben, deren er sich auch als bescheiden Lernender immer bewußt gewesen ist. Es ist für CASSIRERs Darstellung schade, daß sie den Begriff, von dem HEGELs Denken ebenso getragen wird, wie es ihn offenbart, nicht zum Ausgangspunkt nimmt, ja, ihn durchweg zurücktreten läßt, den Begriff des absoluten Geistes. Was CASSIRER am nächsten interessiert, ist eben der Vergleich HEGELs mit KANT; darum beginnt er die Betrachtung Hegels mit einem Abschnitt über den Begriff der Synthesis bei KANT und HEGEL und es ist verständlich, daß er von diesem Gesichtspunkt aus wohl bis zum HEGELschen Begriff des Ich, der Persönlichkeit, des Subjektes gelangt, das in sich als Einzelnes die Einheit des Allgemeinen und des Besonderen darstellt und dadurch die Objektivität konstituiert. Damit ist nicht zweifellos HEGELs Meinung richtig wiedergegeben; aber die Synthesis, die seinem Geist die ursprüngliche und grundlegende ist, wird dadurch noch nicht erreicht: sie tritt erst in den Sätzen ans Licht, das Wahre sei nicht als Substanz, sondern ebensosehr als Subjekt aufzufassen; oder die Substanz sei wesentlich Subjekt, die Bestimmung des Absoluten als Geist sei wesentlich Subjekt, die Bestimmung des Absoluten als Geist sei der erhabenste Begriff und der der neueren Zeit angehörige und die Wirklichkeit des Begriffs des Absoluten, das Subjekt ist, sei die Selbstbewegung. Mit diesem Prinzhip ist die Methode der Philosophie zugleich gegeben, die das Wahre nicht bloß als ein System, sondern als ein sich aus sich selbst durch die Selbstbewegung seiner Glieder entfaltendes System betrachtet und sich also der subjektiven Zutaten enthält, um den Begriff sich selbst von einer seiner Bestimmungen zur anderen forttreiben zu sehen, bis er wieder, durch die Freiheit seines eigenen Selbstbewußtseins oder durch das Bewußtsein seiner Gültigkeit bereichert, in seinen Anfang zurückgekehrt. Sehr mit Recht bemerkt CASSIRER, daß in der kantischen Philosophie die Richtung auf eine solche Gestalt der Metaphysik bestanden hat, deren "Ziel im vollständigen Begriff von der Organisation des Geistes selbst" lag (Seite 285). Er erkennt demgemäß auch an, daß die dialektische Methode in streng kontinuierlicher Entwicklung aus den für die gesamte nachkantische Philosophie gemeinsamen Prämissen hergeleitet sei (Seite 305). So erscheint in gleichem Maße das Prinzip wie die Methode HEGELs als der Abschluß und die Vollendung des in der kantischen Lehre zum ersten Ausdruck gekommenen Idealismus des vernünftigen Selbstbewußtseins und eben wegen dieser Grundlage seiner Philosophie, die schlechthin auf der transzendentalen Anschauung beruth, das Absolute in die Subjektivität verlegt und den Satz ausspricht, daß der Geist höher ist, als die Natur, steht er gegen die gesamte vorkantische Philosophie auf einem Boden mit KANT. Nur möchten wir bezweifeln, ob man mit CASSIRER der vorkantischen Metaphysik in Bausch und Bogen, statt bloß den kleinen Geistern des nachleibnizschen Dogmatismus, den Vorwurf machen könne, sie habe, um ihre Aufgabe zu erfüllen, ein "Wissen von den absoluten Dingen" sein müssen, die "als schlechthin äußere in einem transzendenten Bezirk jenseits des Geistes bestehen"; der ontologische Gedanke, der nichts als seinsnotwendig anerkennt, als was denknotwendig ist, trennt offenbar das Sein keineswegs äußerlich vom Geist, sondern spricht nur in unbefangener Weise den Begriff eben der Identität von Denken und Sein aus, den erst die vom Gesichtspunkt des Kritizismus ausgehende Philosophie sich in methodischer Vermittlung zu beherrschenden Leitsatz machen konnte. Daß nichts diesen Begriff im Bewußtsein der Menschheit so wirksam belebt hat, wie die Gottesidee der Offenbarungsreligion, erhellt sich von selbst; sie ist deshalb auch der Boden gewesen für die bewußte Ausprägung des Ontologismus. Zugleicht hat auf diesem Boden der religiösen Kultur auch der Begriff des absoluten Geistes früher als in der Philosophie seine Ausgestaltung erfahren. Von der religiösen Grundlage seines persönlichen Bewußtseins her ist auch HEGEL die Anschauung des absoluten Geistes aufgegangen; CASSIRER hat ganz richtig empfungen, daß die Religion für HEGEL das Moment der Wirklichkeit ist, aus dem er seinen Begriff des Absoluten gewinnt. Aber es ist nicht so, daß sich ihm die drei kantischen Absoluta, "wie sie im Geiste der Erkenntnis, in dem der Sittlichkeit und in dem der Kunst festgestellt sind", etwa hinterher erst in das eine Absolutum der Religion zusammenfassen (Seite 290), sondern dieses steht ihm als beherrschendes Prinzip und leitender Gedanke ihm bereits in Form der Intuition fest, wenn er daran geht, die Erscheinungen der geschichtlichen Geisteskultur zu untersuchen, denen ja seine frühesten Studien gegolten haben. Daß CASSIRER auf diese zentrale Stellung der Religion in der HEGELschen Gedankenwelt aufmerksam macht, ist umso verdienstlicher, als bei der Neubelebung des Interesses für HEGEL, die wir zur Zeit beobachten können, bisher das Hauptgewicht meist auf HEGELs Stellung zum Staat und zur Geschichte gelegt wird. Ihm selbst war die religiöse Idee selbst in der Staats- und Geschichtsauffassung das Bestimmende: der Staat beruth auf Religion, die Geschichte ist Theodizee [Rechtfertigung Gottes - wp]. Das ist HEGELs Auffassung immer gewesen und geblieben; man wird sagen dürfen, daß er sich damit von der letzten Absicht KANTs keineswegs entfernt hat. Denn was CASSIRER meint, daß im Unterschied von KANT das Problem der Synthesis und der synthetischen Einheit durch HEGEL vom Boden der reinen Erkenntnis auf denjenigen des konkreten geistigen Lebens in der Totalität seiner Äußerungen versetzt wird (Seite 291), das trifft doch nur zu, wenn man von der ganzen Arbeit KANTs ausschließlich seine Kritik aller möglichen sinnlichen Erfahrung betrachtet. Cassirer hat aber selbst als den wahrhaften Abschluß des Objektivitätsproblems der kritischen Philosophie die Synthese bezeichnet, die KANT in der Kritik der Urteilskraft erreicht, den Standpunkt, auf dem die Idee der Natur selbst unter dem Gesichtspunkt der Freiheit, die Idee der Freiheit selbst unter dem Gesichtspunkt der Natur erscheint (Seite 288). In seiner Religionslehre wie in seinen Betrachtungen über die Probleme der Weltgeschichte hat KANT, der systematisch diesen Standpunkt am gesamten Erfahrungsstoff zu bewähren nicht mehr vermocht hat, die fruchtbarsten Ansätze zu solcher Arbeit geliefert, die es über jeden Zweifel erheben, daß er nicht gemeint war, die Synthesis im luftleeren Raum der abstrakten Erkenntnistheorie eingesperrt zu halten, sondern sie als konkrete Erscheinung in der Wirklichkeit aufzuweisen beabsichtigt hat. Gerade in ihren Gedanken hinsichtlich dieser sozusagen angewandten Synthesis befinden sich KANT und HEGEL vielfach in vollkommener Übereinstimmung. Was HEGELs Größe ausmacht, das ist das erstaunliche Gleichgewicht zwischen der Gabe der Intuition und der Sorgfalt des methodischen Denkens, zwischen dem Interesse am Leben und an der Wirklichkeit und dem rastlosen Bohren der Abstraktion nach dem geistigen Quelle allen Daseins. Dieses Gleichgewicht drückt sich gleichsam symbolisch darin aus, daß er in seinen zwei grundlegenden Werken, in der Phänonomenologie und in der später zur Enzyklopädie ergänzten Logik, sein System von zwei ganz verschiedenen Ausgangspunkten aufbaut. Daß etwa die Phänomenologie als ein propädeutisches [als Vorschule - wp] Werk gedacht gewesen wäre, ist ein noch immer viel verbreiteter Irrtum. Sie ist nur für Leser geschrieben, die bereits im Gedankenkreis der Identitätsphilosophie heimisch und in der Dialektik des Begriffs geübt sind. Auch daß sie ein früheres Stadium seiner Philosophie darstelle als seine Logik, trifft nicht zu. Durch die vor sechs Jahren erfolgte Drucklegung seines ersten Systems ist nun urkundlich bezeugt, daß die Phänomenologie bereits die HEGELsche Logik in ihrer Eigenart voraussetzt. CASSIRER hat auf jene Logik von 1802 leider nicht Bezug genommen; sie ist gerade für den Neukantianer besonders interessant, da sie den ersten Teil, dem HEGEL später die Überschrift "das Sein" gibt, mit dem Titel, "die einfache Beziehung bezeichnet und den beiden andern, nachher "das Wesen" und "der Begriff" benannten Teilen die Namen "das Verhältnis" und "Proportion gibt. Wie weit auch dieser erste Entwurf seiner Logik an genauer Durchbildung hinter dem späteren Werk zurückbleiben mag, nicht bloß die Methode ist dort bereits vollkommen klar und bewußt ausgearbeitet, auch alle leitenden Gesichtspunkte finden sich schon vor. Vergleicht man die Phänomenologie mit jener ersten Logik HEGELs, so wird der Titel, den er anfangs für die Phänomenologie gewählt und erst nach Abfassung seiner berühmten Vorrede durch ihren jetzigen ersetzt hat, erst ganz verständlich; er hatte sie die "Wissenschaft von der Erfahrung des Bewußtseins" genannt und hat also, während er in der Logik die reinen Gedankenbestimmungen entwickelt, die jeder Erfahrung zugrunde liegen, hier zeigen wollen, wie sich diese Bestimmungen in der Erfahrung selbst verwirklichen. Dem kantischen Kritizismus haftet der ursprüngliche Mangel an, daß er mit der Frage der Erkenntnistheorie nach den Bedingungen, unter denen Erfahrung überhaupt möglich ist, gleich von vornherein die zwei zunächst disparaten Elemente des abstrakten Denkens und des empirischen Bewußtseins zusammenwirf und deshalb gerade bewirkt, daß sie sich beständig fliehen und nie zur vollen Einheit gelangen. HEGEL ist über diesen Mangel dadurch hinweggekommen, daß er das logische Fundament des Bewußtseins für sich entwickelt, die Natur der reinen Wesenheiten darstellt, die über den Unterschied von Subjektivität und Objektivität hinübergreifend, als die reinen Gedanken das Leben des Geistes und die gesamte Welt der Wirklichkeit konstruieren. Auf diesem Fundament hat er das System der Subjekt - Objektivität errichtet und hat darum auch über die bloße Kritik der Erfahrung hinaus die Erfahrung selbst nach ihrer wirklichen Erscheinung und nach ihrer geistigen Wahrheit darstellen können als das Zusichselbstkommen des Geistes im Bewußtsein des Subjekts. Diese Aufgabe hat er sich in der Phänomenologie gestellt; er will zeigen, wie dem Bewußtsein des Subjekts der Geist innewohnt und in der Entwicklung, die es als denkendes und wollendes Selbstbewußtsein durchmacht, sich zur Erscheinung der geistigen Welt vollendet. HEGELs Ausgangspunkt ist hier die ursprüngliche Synthese, mit der auch die kritische Philosophie beginnt, das Subjekt der sinnlichen Erfahrung. Den Ausgangspunkt der Logik könnte man dem gegenüber als die einfache These bezeichnen, die nur erst abstrakte Wahrheit hat, die reinen Gedankenbestimmungen, durch deren Selbstbewegung die Welt der Gegensätze und das Reich der Versöhnung oder der Geist sich in seiner Totalität entfaltet. Das HEGELsche Denken hat so vor dem Kritizismus folgenden Vorsprung. Dieser geht einseitig von der Synthese, d. h. im Grunde von der Antithese aus, für die er stets die Synthese sucht, ohne sich darüber klar zu werden, daß ohne eine vorausliegende These selbst eine Antithesis nicht möglich wäre; denn Gegensätze sind sich eben immer in irgendeinem Etwas entgegengesetzt. HEGEL dagegen geht auf dieses Etwas, auf den Grund zurück, der die Gegensätze möglich macht, nämlich auf den seine eigenen Bestimmungen setzenden und entfaltenden Geist. Natürlich wird es hier auch klar, daß Thesis und Synthesis identisch sind, daß diese nur die konkrete Verwirklichung jener ist, so daß am Anfang und Ende der Entwicklung so zusammenfallen wie der gewollte und der erreichte Zweck. Ebenso klar ist es deshalb, daß dem Kritizismus auch jener einfache Grund, die anfängliche These nicht fehlt; er hat sie in derjenigen Synthesis, die er als wirklich und ursprünglich anschaut, im vernünftigen Selbstbewußtsein, dem autonomen Ich und gelangt sogar von da aus neuerdings bis zu einem Logismus, der dem HEGELschen außerordentlich ähnlich scheint. Aber er will es nicht wahrhaben, daß er damit zum Einheitsprinzip vorgedrungen ist, das den Gegensatz produziert, zur These, die sich durch die Antithesis zur Synthesis vollendet, sondern er haftet fest an der Antithese und sieht zwar die Bewegung ihrer Vermittlung, aber nicht den unbewegten Beweger, den Geist in der bleibenden Organisation seines vernünftigen Wesens, wie er "vor der Erschaffung der Natur und eines endlichen Geistes ist." Dabei aber beschäftigt er sich unablässig mit diesem ersten Prinzip; denn die reinen Gedankenbestimmungen sind der feste und unveränderliche Maßstab seiner kritischen Denktätigkeit, übrigens ein Beweis dafür, daß der Begriff der Substanz durch den der Funktion nicht "ersetzt", d. h. beseitigt, sondern vielmehr bestimmt wird. Und so ergibt es sich hier aufs neue, daß der kritische Idealismus an sich absoluter Idealismus ist, nur ohne sich selbst dessen Bewußt zu sein. Damit sind wir dann noch einmal darauf angewiesen, prinzipiell den Vergleich zwischen kritischem und absolutem Idealismus zu ziehen, wie es CASSIRER am Schluß seiner sehr eingehenden Wiedergabe der Gedankenentwicklung in HEGELs Phänomenologie und Logik unternommen hat. CASSIRER meint, das System HEGELs habe "den geschichtlichen Beweis für die Unlösbarkeit der Probleme" geliefert, "mit denen schon HEGELs Ausgangspunkt und Fragestellung die Philosophie belastet" (Seite 366). Dieser Satz klingt an sich einigermaßen überraschend; denn man müßte aus ihm schließen, daß es gewisse Ausgangspunkte und Fragestellungen gebe, deren sich die Philosophie zu entschlagen habe, weil sie auf unlösbare Probleme führen. Es könnte dann immerhin als ein geschichtliches Verdienst gelten, wenn ein Denker einmal solche Probleme aufgeworfen hat; aber nachdem er an ihrer Lösung gescheitert ist, scheint es der Philosophie gebühren zu sollen, daß sie von ihnen als von rebus iudicatis [urteilende Bestimmung - wp] sich fernhalte und sie auf sich beruhen lasse. Das ist nun freilich eine Auffassung, die sich mit dem Begriff der Philosophie ebensowenig reimt, wie mit deren tatsächlichem Verhalten. Das philosophische Denken läßt sich keine Grenzpfähle stecken und wenn es sie sich selbst steckt, so hat es damit schon die Grenze überwunden; denn es kann sie nicht ziehen, ohne diesseits und jenseits von ihr Bescheid zu wissen. Und deshalb legt die Philosophie niemals ein Problem als ein Problem als unlösbar beiseite; entweder sie führt den methodischen Beweis, daß es ansich unlösbar sei und dann hat es aufgehört, ein Problem zu sein und seine Lösung ist im Nachweis gelungen, daß nur der Schein eines Problems vorgelegen habe oder aber das Problem wird dauern als ein solches empfunden und dann genügt kein geschichtlicher Hinweis auf einen mißglückten Versuch, es zu lösen, sondern der denkende Geist macht sich immer aufs neue daran, die Wahrheit zu begreifen, die ihm in Form des Problems entgegentritt. CASSIRER hat selbst den Nachweis geführt, wie sich mit innerer Notwendigkeit aus dem Standpunkt des Kritizismus die Fragestellungen der nachkantischen Philosophie ergeben haben. Es sind also sachlich notwendige Fragestellungen und man kann sie nicht deshalb abweisen, weil sie die Philosophie mit Problemen belasten, die man für unlösbar erklärt und noch weniger, weil man meint, daß sie HEGEL seinerzeit nicht befriedigend beantwortet habe. Nun ist weiter die Frage, wieweit überhaupt die Vorwürfe berechtigt sind, die der Arbeit HEGELs im einzelnen gemacht werden. Daß er die Sache nicht für alle Zeiten endgültig ins Reine gebracht hat, versteht sich von selbst; ob aber die Mängel seiner Darstellung so grob sind und seiner Methode selbst so kraß entgegenstehen, wie man häufig annimmt, ist doch sehr zweifelhaft. Es ist vieles von dem, was ihm zum Vorwurf gemacht wird, reines Mißverständnis. Schon SCHELLING hat, wie CASSIRER erwähnt (Seite 281), gegen HEGELs Logik den seitdem immer wieder erhobenen Einspruch geltend gemacht, daß, wenn man mit dem reinen abstrakten Begriff des Seins anfange, man zu inhaltreicheren Bestimmungen nur durch Erschleichung und Supponierung [Unterstellung - wp] eines Seienden gelangt, eines letzten Subjekts des dialektischen Prozesses, das sich in ihm und durch ihn entfaltet. CASSIRER selbst faßt die Dialektik bei HEGEL so, daß für sie das Absolute nicht mehr den unmittelbaren Anfang der Philosophie, sondern ihr Ende, nicht mehr ihre Voraussetzung, sondern ihr Resultat bedeute (Seite 303). Aber in seiner Kritik der HEGELschen Logik erklärt er selbst, daß dieses Resultat schon in jeder Phase des Prozesses, in jedem neuen Übergang als das eigentlich bestimmende und vorwärtstreibende Prinzip wirke (Seite 367). So wird es wohl ein Irrtum sein, wenn man HEGELs Methode dahin auslegt, er fange mit dem absolut Leeren, dem Sein, an das mit dem Nichts identisch ist und lasse dieses sich durch Selbstbewegung bis zum Begriff der Totalität erweitern, einem schlappen Beutel gleich, den man aufbläst, bis er platzt. CASSIRER meint: "nach der Grundvoraussetzung HEGELs soll jedes einmal gesetzte Moment sich selbst negieren und durch diesen Widerspruch das Denken zu einem anderen und höheren hinaustreiben" (Seite 366). Abgesehen davon, daß die Art der Entgegensetzung der einzelnen sich gegenseitig fordernden Gedankenbestimmungen in den verschiedenen Sphären des Logischen nicht die gleiche und also die bloße Negation bei weitem nicht für den dialektischen Prozeß im ganzen charakteristisch ist, so spricht CASSIRER selbst vom "gesetzten Moment". Ja, wovon ist es denn Moment und wodurch wird es denn gesetzt? Es ist doch offenbar, daß die Totalität und zwar die Totalität als Geist bereits vorausgegeben ist, wenn man von gesetzten Momenten redet. In der Tat ist für alles Philosophieren HEGELs die ursprüngliche Identität, die keinen mittelbaren Beweis zuläßt (Seite 302), die unbedingte Grundlage; das cogito, ergo sum [Ich denke, also bin Ich. - wp], ist der Punkt des unmittelbaren Wissens, von dem es keinen Regreß zu einem ihm vorausliegenden Prinzip geben kann und alles Beweisen in der Philosophie bedeutet nur das Aufzeigen des notwendigen systematischen Zusammenhangs, den dieses Prinzip fordert und herstellt. Es gibt darum für HEGEL auch keinen eigentlichen Anfang in der Philosophie; sie ist ein in sich geschlossener Kreis, mit dessen Betrachtung das denkende Subjekt an jedem beliebigen Punkt müßte anfangen können und sich nur nach Zweckmäßigkeitsgründen für diesen oder jenen Anfang entscheiden wird. Auch der Anfang mit der Logik ist der Anfang mit einem Moment des Ganzen und insofern ebenso zufällig, wie wenn in der Phänomenologie mit dem natürlichen Bewußtsein angefangen wird. Nur weil das Logisch das übergreifende Moment, sowohl eine besondere, als auch die allgemeine Weise der absoluten Idee ist (Seite 363), erscheint HEGEL der Anfang mit der Logik besonders zweckmäßig. Aber immer handelt es sich hier um die Darstellungs form und dieser liegt die Idee selbst voraus. Kein Teil der Philosophie und kein einzelner Begriff der Logik kann für sich allein gedacht oder entwickelt werden; das Ganze liegt ihm zugrunde, trägt uns bestimmt ihn. Das philosophische Denken ist Nach denken; es saugt sich das Wahre, das Konkrete nicht aus den Pfoten der Abstraktion und klaubt nicht aus dem Begriff des leeren Seins und des reinen Nichts die Fülle der göttlichen Gesichte heraus, sondern es hat den ganzen Reichtumg des lebendigen Bewußtseins und der wissenschaftlichen Erkenntnisse vor sich, es trägt die Anschauung der geistigen Totalität und das Bewußtsein seiner schöpferischen Freiheit in sich und es gestaltet sich aufgrund dieser seiner vernünftigen Bestimmtheit seine Welt zum begriffenen System, sich selbst zu absoluten Wissen, zum focus realis [Brennpunkt - wp] des absoluten Geistes. Die Art, wie HEGEL Sein, Nichts und Werden dialektisch aneinander, ganz deutlich nicht auseinander, entwickelt, gilt gewöhnlich als das eigentliche Merkmal seiner Philosophie überhaupt. Wie man KANT auf die transzendentale Ästhetik festbindet, so sieht man im ersten Kapitel der HEGELschen Logik den ganzen HEGEL und schlägt vor Verwunderung über den Einfall, das leere Sein zum Fundament des Universums zu machen, die Hände über dem Kopf zusammen. CASSIRER hat selbstverständlich mit diesem Verhalten nichts gemein. Er weiß, daß HEGEL seine Logik nicht bloß damit anfängt, zu sagen, das leere Sein sei mit dem Nichts identisch, sondern daß diesem besonderen Satz der allgemeine vorausliegt, das Sein und das Denken sei identisch. So ist für HEGEL das Sein Gedanke, das Nichts Gedanke, das Werden Gedanke und er bringt nicht drei disparate Dinge gewaltsam zueinander, sondern er zeigt auf, wie diese drei Gedankenbestimmungen durch das innere Leben des sie produzierenden Begriffs miteinander in Zusammenhang stehen. Ganz richtig sagt deshalt CASSIRER: "daß Sein und Nichts identisch sind, kann gar nicht anders, als vom Werden her deutlich gemacht werden" (Seite 366). Natürlich, das "Umschlagen der einen Gedankenbestimmung in die andere ließe sich nicht aufzeigen, wenn sie nicht sämtlich dem Denken in ihrer besonderen Bestimmtheit bereits bekannt wären. Daß aber nun, wie CASSIRER meint, dieser Gesichtspunkt dem Prinzip der dialektischen Methode nicht entspräche (Seite 367), trifft keineswegs zu. Auch für die dialektische Methode ist das philosophische Denken kein Konstruieren ins Blaue hinein und der Gedanke des Systems steht ihr fest, wenn sie die Beziehung seiner Glieder sich entfalten läßt. Ohnehin besteht diese Beziehung durchaus nicht bloß im "Umschlagen" eines Begriffes in den anderen, wie es bei jenen ersten abstraktesten Begriffen der Fall ist; sie nimmt im Fortgang zu konkreteren Bestimmungen die Form einer immer tieferen Zusammengehörigkeit an, bis die ideale Einheit der Momente des gedanklichen Organismus erreicht ist. Das ist natürlich ohne die vorausgehende Anschauung dieses Organismus gar nicht möglich. Darum ist es nur eine Seite der HEGELschen Methode, die CASSIRER mit dem Satz ausdrückt: "Das Absolute soll wesentlich Resultat sein, also erst am Ende des Gesamtprozesses heraustreten" (Seite 367). HEGEL selbst zeigt beständig auf, daß ebenso das Absolute das erste Prinzip und daß der gesamte Verlauf der Entwicklung nichts als das Hervortreten der im Absoluten enthaltenen und darin sich entfaltenden Bestimmungen sei; und es geht wirklich nicht an, dieses Moment der Betrachtung als eine Preisgabe seines dialektischen Prinzips aufzufassen. Vielmehr ist "das Prinzip des Fortschrits, das ihn durch die gesamte Reihe der untergeordneten Momente bis zur höchsten Idee hinaufführt" (Seite 366), eben nur die eine Seite in seiner Darstellung der logischen Idee und das Prinzip der Totalität, die sich die Bestimmungen der einzelnen Momente gibt, ist die andere, mindestens ebenso wichtige Seite. Das "Nacheinander der Momente" ist in der Logik natürlich eine vollkommen zeitlose Aufeinanderfolge und insofern wird man sagen können, daß sich das Absolute in einem ewigen Nun nach der Fülle seiner Bestimmungen durchsichtig ist, während das denkende Subjekt im diskursiven Denken nicht alles zu gleicher Zeit präsent haben kann. Aber das bedeutet nicht, daß die begriffliche Entwicklung nichts als der "Fortgang einer bloß subjektiven Reflexion" sei. HEGEL behauptet ja nicht, daß die Selbstbewegung des Begriffs, zu deren Darstellung der Denker natürlich Zeit braucht, eine zeitliche Bewegung sei; er will "die reinen Gedanken, den sein Wesen denkenden Geist" darstellen, von denen er sagt: "ihre Selbstbewegung ist ihr geistiges Leben". Dieses geistige Leben ist zeitlos und "wesentlich itzt". Das subjektive Denken aber, das dieser Selbstbewegung nachdenkt, stellt den objektiven Gang der Sache dar, indem es sich dazu erzieht, die wesentlichen Zusammenhänge jener Gedankenbestimmungen aufzufassen, wonach die eine mit innerer Notwendigkeit zur anderen führt, sich in ihr aufhebt und wiederfindet usw. Den Gegensatz dazu bildet dann die subjektive Reflexion, die aus irgendwelchem partikularen Interesse ein paar beliebig Einzelbestimmungen aufrafft und im Raisonnement, das sich an sie hält, über einseitige Abstraktionen nicht hinauskommt. Sorgfältiger als HEGEL kann man sich nicht bemühen, diesen Fehler zu vermeiden: was an seiner Darstellung des objektiven Ganges der Sache notwendig subjektiv, Angelegenheit des Zuschauers bleibt, ist nur das zeitliche Aufzählen; die gedankliche Sukzession der Momente sucht er rein aus deren eigenem Charakter zu entwickeln. Freilich versteht er unter dieser Sukzession nicht einen in einer Richtung geradlinig verlaufenden Fortschritt, sondern eher das Hin- und Herwandeln der "Mütter": "Gestaltung, Umgestaltung, des ewigen Sinnes ew'ge Unterhaltung". Es bleibt immer merkwürdig, daß man ihm seine eigenen Worte nicht glauben will. Er beschreibt selbst das Wahre mit den Worten: es sei ein bacchantischer Taumel, an dem kein Glied nicht trunken ist und zugleich die einfache und durchsichtige Ruhe. Und dennoch mein CASSIRER, daß bei HEGEL schließlich die Bewegung auf die Seite des Subjekts und die Ruhe auf die Seite des Gegenstandes falle und Denken und Sein in offenbarem Dualismus auseinandertreten (Seite 368). Die Erklärung dafür, wie CASSIRER auf diesen Vorwurf gekommen ist, den eigentlich jeder Satz bei HEGEL widerlegt, ist darin zu finden, daß er die immanenten Geltungsunterschiede übersieht, die zwischen den verschiedenen Gebieten des denkenden Bewußtseins bestehen. Was für die Sphäre der zeitlosen Beziehungen der reinen Begriffe gilt, die über die Trennung von Objektivität und Subjektivität erhoben sind, das hat nicht ohne weiteres die gleiche Geltung für die Sphären, in denen sich der Gegensatz zwischen Bewußtsein und Gegenstand auswirkt. Als allgemeines Moment ist das Logische selbstverständlich auch in diesen Sphären wirksam und gegenwärtig; aber als besonderes Moment steht es gleichzeitig ihnen beiden in eigenartiger Bestimmtheit gegenüber. Der Gedanke konstruiert vom Logischen über die Natur zum Geist einen dialektischen Fortschritt; aber dieser Fortschritt ist ein anderer, als der in der Realität, einfach weil das Logische ja nicht am Anfang, nicht vor der Realität steht, sondern sie als ihr einheitlicher Bestimmungsgrund von Anfang bis Ende durchdringt. Während so jene drei Sphären in ihrer Einheit eine in sich befriedigte und - wenn man die Zeitvorstellung einmal dabei will gelten lassen - in jedem Augenblick vollendete Totalität bilden, den "seligen Gott", zeigt sich jede von ihnen in ihrer dialektischen Verschiedenheit als eine besondere Bestimmtheit des Ganzen mit einer ihr eigenen Bewegung. Unter diesem Gesichtspunkt erledigt sich auch der immer wieder gegen HEGEL erhobene Vorwurf wegen des Übergangs von der logischen Idee zur Natur: die Idee entläßt sich frei in ihr Gegenteil. Das darf man ebensowenige für die Sprache des Mythos halten, wie wenn FICHTE sagt: das Ich setzt das Nicht-Ich oder SCHILLER: es ist der Geist, der sich den Körper baut. HEGEL redet hier von logischen Beziehungen der Begriffe, nicht von Dingen der Wahrnehmung. Wenn man vom Logischen als der ersten Sphäre des Systems beginnt, dann erscheint die Natur als seine Entäußerung, der Geist als seine Verwirklichung. Setzt man die Natur als die erste Sphäre, so enthüllt sich in ihr das Logische als ihr Einheitsprinzip, die Seele dieses organischen Ganzen und der Geist als ihr Ziel und beherrschender Zweck. Geht man vom Geist aus, so erfaßt sich dieser im Logischen nach seinem an sich seienden Wesen und in der Natur als in dem von ihm gesetzten Mittel seiner universalen Selbstdarstellung nach seinem unterschiedenen Fürsichsein. Keiner dieser drei Aspekte des Systems ist für sich allein das ganze System; jeder hat einen Schein von Abstraktion an sich, den erst ihre spekulative Zusammenfassung beseitigt. Darum aber kann man auch nicht, wie es CASSIRER tut, einfach den letzten Abschnitt der Enzyklopädie, die Geschichte der Philosophie, als das Ende der Bewegung bezeichnen, die in der Logik anfängt (Seite 368). Als zeitlos dialektischer Prozeß ist die Bewegung om Begriff des bloßen Seins bis zum Begriff es sich selbst begreifenden Wissens wohl anzusehen; wenn aber auf den Fortschritt im subjektiven Geist reflektiert wird, wie es CASSIRER hier tut, dann handelt es sich um eine in der besonderen Sphäre der geistigen Kultur verlaufenden Bewegung und die beginnt mit dem Begriff des natürlichen Bewußtseins, um bis zum absoluten Wissen fortzuschreiten. So kann man auch nicht folgern, daß für HEGEL das Absolute die Gestalt eines einzelnen geschichtlichen Zustandes, nämlich seiner geschichtlichen Gegenwart habe annehmen müssen. Es ist richtig, daß HEGEL "die jetzige Zeit auf dem Standpunkt angelangt sieht, wo das endliche Selbstbewußtsein sich mit dem absoluten in begrifflicher Erkenntnis eins setzt." Er bietet seinen Schülern die Befriedigung, daß in seiner Philosophie, die ja "ihre Zeit, in Gedanken gefaßt" sein will, der Kampf zwischen den Abstraktionen der Unendlichkeit und der Endlichkeit aufhört, der noch in der dualistischen Reflexion seiner unmittelbaren Vorgänger zur schärfsten Ausprägung gekommen ist. Aber wenn er meint, daß "für jetzt" die Reihe der geistigen Gestaltungen geschlossen sei, bemerkt er doch gleichzeitig, daß eine neue Epoche in der Welt eingesetzt habe. So kann man ihm nicht die Schuld geben, daß er die Weltentwicklung mit dem Erscheinen seines Systems aufhören läßt, umso weniger, als sich bei ihm zahlreiche Äußerungen finden, die auf weiteren Fortschritt und auf später zu vollbringende Lösungen von "Knoten" hinweisen, an denen der Weltgeist in der Gegenwart steht. Jedenfalls berechtigt der Umstand, daß er den Gesamtertrag der bisherigen Geistesgeschichte als die bisher vom Weltgeist erreichte höchste Stufe der Entwicklung ansieht, nicht zum Vorwurf, er habe "ein Einzelnes und Zufälliges zum Absoluten erhoben" (Seite 369); eher würde zutreffen, daß er in jedem klassischen philosophischen System, weil es das zum Begriff gestaltete Selbstbewußtsein einer ganzen Zeit und damit ein ewig gültiges Moment der Totalität ist, die Weltentwicklung zur Ruhe kommen sieht. So erklärt denn freilich HEGEL nicht dieses oder jenes jeweilig erreichte und bestimmte Wirkliche (Seite 369), sondern alles Wirkliche schlechthin für vernünftig; darin eine "Gefahr" zu sehen, ist nur dann möglich, wenn man das Faktische und das Ideelle als zwei getrennte und nie wirklich zu vereinbarende Dinge betrachtet. Aber daß diese Betrachtung richtig sei, müßte erst bewiesen werden. |