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Darstellung der kantischen Erkenntnistheorie [mit besonderer Berücksichtigung der verschiedenen Fassungen der transzendentalen Deduktion der Kategorien] [3/4]
I. Die subjektiven Faktoren der Erkenntnis [Fortsetzung] 2. Die Formen des Denkens [Fortsetzung] Die Einbildungskraft, welche als dritte im Bund plötzlich auftritt, nachdem vorher mit aller Bestimmtheit, Sinnlichkeit und Verstand als die einzigen Erkenntnisvermögen bezeichnet worden waren, muß entweder ganz auf die Seite des Verstandes, sei es der Sinnlichkeit fallen, oder einzelnen Funktionen des Verstandes mit einzelnen Funktionen der Sinnlichkeit zur Einheit zusammenfassen. Zu letzterer Auffassung könnte uns die Stelle (Seite 678) veranlassen, da Sinnlichkeit und Verstand als die äußersten Enden bezeichnet werden, welche mittels der transzendentalen Funktion der Einbildungskraft notwendig zusammenhängen müssen, wenn wir nicht gar geneigt wären, die Bedeutung dieser Erklärung darin zu finden, daß die ursprüngliche Zweiteilung des Erkenntnisvermögens als eine nur vorläufige, ungenaue aufgehoben und durch eine Dreiteilung ersetzt werden soll. Doch das letztere Auskunftsmittel, ansich unwahrscheinlich bei dem Nachdruck, welchen KANT sonst auf die Zweiteilung zwischen Sinnlichkeit und Verstand legt, ist auch, wie sofort sich zeigen wird, unnötig. Daß aber die Einbildungskraft weder ganz noch teilweise zur Sinnlichkeit gehören kann, geht aus dem oft und nachdrücklich von KANT ausgesprochenen Satz hervor, daß die Sinnlichkeit nur rezeptiv ist, daß die Sinne Eindrücke nur zu liefern, nicht aber zusammenzusetzen imstande sind (28) während das eigentliche Geschäft der Einbildungskraft ja gerade die Synthesis ist. Bleibt also nur übrig, die Einbildungskraft zum Verstand zu rechnen, genauer noch in KANTs Sprachgebrauch einen Verstand im weiteren und engeren Sinn zu unterscheiden, von welchen der erstere die Einbildungskraft ein-, der zweite sie ausschließt. Dies ist die Auffassung, wie sie sich aus unserer Darstellung der transzendentalen Deduktion ergibt; daß allein diese Auffassung mit den sonstigen Aussprüchen KANTs über das Verhältnis von Einbildungskraft und Verstand zusammenstimmt, mag für die Richtigkeit jener Darstellung die Rechenprobe abgeben. KANT nennt die Einbildungskraft eine blinde, wenngleich unentbehrliche Funktion der Seele, deren wir uns selten nur einmal bewußt sind (§ 10, Seite 119); ihr Geschäft ist eine Synthesis des Mannigfaltigen, und das Resultat dieser Synthesis sind Anschauungsbilder. Gewöhnlich werden unsere Anschauungen, unsere Wahrnehmungen auf die Sinnlichkeit zurückgeführt (weshalb auch KANT (Seite 672) als Subjekt der Wahrnehmungen den Sinn bezeichnet), aber genauer angesehen, ist bei der Entstehung der Anschauungswelt, wie sie als kontinuierliche uns gegeben ist, immer schon die Einbildungskraft tätig gewesen, daher die letztere (Seite 675, Anm.) ein Ingrediens der Wahrnehmung heißt. Besteht das Geschäft der Einbildungskraft in der Konstruktion von Anschauungsbildern, so das des Verstandes im engeren Sinn in der Bildung von Gedanken, von Begriffen und Urteilen; ist die Tätigkeit der Einbildungskraft eine unbewußte, da ihre Resultate schon als fertige ins Bewußtsein treten, so ist die des Verstandes eine bewußte. Wohl ist letzterer Unterschied manchmal ein fließender; auch die Tätigkeit der Einbildungskraft, wie sie auf die Erzeugung von Anschauungsbildern gerichtet ist, mag jeweils ins Bewußtsein treten, wenn ich etwa dem Fixieren einzelner Punkte, wodurch ich das Gesamtbild einer Bergkette gewinne, meine besondere Aufmerksamkeit zuwende (29); ebenso ist die Tätigkeit des denkende Verstandes oft eine mehr instinktive, nicht vom klaren Bewußtsein ihrer selbst begleitete (30). Doch ist im Großen und Ganzen der Unterschied festzuhalten, wonach die Tätigkeit der Einbildungskraft als unbewußte, die des Verstandes als bewußte vor sich geht. Diejenigen Gesetze, nach welchen die Einbildungskraft bei ihrer Konstruktion der Anschauungsbilder zu Werke gegangen war, bringt der Verstand in Form von Begriffen und Urteilen sich zum Bewußtsein. Er bringt die Synthesis der Einbildungskraft auf Begriffe (§ 10, Seite 120 oben); der Verstand wird definiert als die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis der Einbildungskraft (Seite 674), als das einheitliche Bewußtsein von der durch die Einbildungskraft vollzogenen Verknüpfung. KANT redet (ebendaselbst) von einer Einheit der Synthesis der Einbildungskraft, einer Verbindungsform (einem System von Verbindungsformen), deren Einbildungskraft bei ihrem Verknüpfungsgeschäft sich bedient; diese Einheit liegt im System der Kategorien, von welchen somit schon die Einbildungskraft bei ihrer Konstruktion der Anschauungsbilder unbewußt geleitet worden ist. Wenn (§ 10, Seite 120) drei Stücke als zur Erkenntnis gehörig aufgezählt werden: das Mannigfaltige der reinen Anschauung, die Synthesis desselben durch die Einbildungskraft, und endlich Begriffe, welche dieser Synthesis Einheit geben und auf dem Verstand beruhen, so zeigt doch der Zusammenhang, daß es sich nicht um eine Einheit handelt, welche zur schon vollzogenen Synthesis durch das Denken dieser Begriffe erst hinzukäme; die Begriffe bestehen ja lediglich in der Vorstelung dieser notwendigen synthetischen Einheit, d. h. sie bringen die Einheit, zu welcher jenes Mannigfaltige durch die verknüpfende Tätigkeit er Einbildungskraft verbunden worden ist, und damit die Regel, nach welcher jene Verknüpfung geschah, als eine notwendige zu Bewußtsein. Jene Begriffe beruhen nicht bloß in dem Sinn auf dem Verstand, als der Verstand es ist, der sie denkt; die Verbindungsformen, welche in jenen Begriffen (Kategorien) sich ausdrücken, leiten auch die unbewußte Tätigkeit der vom Verstand beherrschten Einbildungskraft; die Einbildungskraft selbst ist nichts als der unbewußte Verstand, das unbewußt Anschauungsbilder konstruierende Ich. Und wenn wir (Seite 677) am Schluß der Deduktion der ersten Auflage lesen, die Apperzeption sei es, welche zur reinen Einbildungskraft hinzukommen muß, um ihre Funktion intellektuell zu machen, so heißt das nichts anderes, als daß der Verstand (der ist ja die Apperzeption in ihrer Beziehung zur Einbildungskraft) die von der Einbildungskraft vollzogene sinnlich-anschauliche Verknüpfung sich zum Bewußtsein bringt, indem er sich auf die Regel, nach welcher sie vor sich gegangen ist, denkend besinnt. Doch um die Bedeutung der Einbildungskraft für KANTs Erkenntnistheorie zum vollen Verständnis zu bringen, müssen wir eine wichtige Unterscheidung beachten, die im Bisherigen schon angedeutet wurde. Eine doppelte Einbildungskraft und demgemäß auch ein doppelter Verstand wird von KANT unterschieden. Wenn im Bisherigen von einer mehrfachen Synthese die Rede war, durch welche die im äußeren Raum sich darstellende sinnlich plastische Anschauungswelt konstruiert worden ist, so war dies die empirische, reproduktive (31) Synthesis der Einbildungskraft. Die ansich isolierten Einzelanschauungen, als in Raum und Zeit sich darstellende Empfindungen, diesen anderswoher gegebenen Stoff hatte sie zu bearbeiten und zu kontinuierlich zusammenhängenden Anschauungsbildern zu verknüpfen. Das Material, auf welches sie ihre Tätigkeit zu richten hatte, war empirisch gegeben; die Regel allerdings, nach welcher sie hierbei verfahren ist, war auch bei dieser empirischen Synthesis ein apriorische, in den Gesetzen der verknüpfenden Selbsttätigkeit mit Notwendigkeit begründete; es war dieselbe Regel, deren begrifflichen Ausdruck das System der Kategorien bildet. Von dieser Synthesis zu unterscheiden ist eine reine, apriorische, produktive, transzendentale, deren Subjekt dieselbe Einbildungskraft ist. Hier ist nicht bloß die Regel, nach welcher, sondern auch der Stoff, welcher verknüpft wird, a priori, abgesehen von der Erfahrung, gegeben. Verdeutlichen wir diesen, von KANT selbst gebrauchten, befremdlichen Ausdruck, so handelt es sich allerdings nicht um ein im strengen Sinn, ohne unser Zutun, Gegebenes (denn das ist alles empirisch), sondern um ein durch unsere eigene Selbsttätigkeit Gegebenes, von uns Konstruiertes. In Raum und Zeit als apriorischen Anschauungen sind eine Reihe von Formen und Verhältnissen als mögliche, gleichsam als latente mitenthalten (32); will ich diese Formen (Punkte, Linien, Figuren) mir innerlich vorstellen, so muß ich sie in Gedanken konstruieren, und wie eine Line, eine Figur nicht innerlich konstruiert werden kann, ohne deren einzelne Teile (und die wären a priori gegebenes Mannigfaltiges) miteinander zu verbinden, so können jene Formen selbst wieder mit anderen kombiniert werden. So können alle Funktionen der Einbildungskraft, welche an dem gegebenen Stoff der empirischen Einzelanschauungen vorgenommen werden, um die kontinuierliche sinnliche Anschauungswelt daraus zu gestalten, auch an dem innerlich konstruierten Stoff der reinen Raum- und Zeitverhältnisse ausgeübt werden (33). KANT denkt sich offenbar eine Art innerer Bewußtseinsgeometrie, da nach den immanenten Normen des verknüpfenden Ich eine innere Figurenwelt frei konstruiert wird. Jetzt erst verstehen wir, inwiefern Raum und Zeit nicht bloß Anschauungsformen, sondern selbst als innere Anschauungen bezeichnet werden können (vgl. oben), jetzt erst verstehen wir, wie die Apriorität von Raum und Zeit näher zu fassen ist. Daß Raum und Zeit nicht als fertige Formen von Anfang an in uns liegen, hatte allerdings schon KANTs Inaugural-Dissertation (34) entschieden betont. Nicht angeboren, hatte er dort schon ausgeführt, ist dei Raum- und Zeitvorstellung, sondern erworben; erworben freilich nicht auf dem Weg der Sinnesempfindung, sondern auf dem der Beobachtung unserer eigenen geistigen Tätigkeit, welche gerade dieser Formen sich zu bedienen innerlich genötigt ist. Aber die Kritik selbst hatte den Schein noch nicht zerstreut, welchen einige ihrer Äußerungen hervorrufen konnten, als ob Raum und Zeit als fertige Behältnisse von Anfang an jedem Subjekt immanent wären (35); jetzt erst, mit der Lehre von der Einbildungskraft, tritt auch dieser Punkt in sein volles Licht. Raum und Zeit sin in dem Sinn apriorisch, daß sie im Wesen des Geistes mit Notwendigkeit begründet sind, daß das Ich durch seine eigenen Gesetze zu ihrer Konstruktion sich genötigt findet. Nicht in eine fertige Raum- und Zeitvorstellung werden von der reinen Einbildungskraft die verschiedenen Raum- und Zeitverhältnisse (das a priori gegebene Mannigfaltige) hineinkonstruiert, vielmehr entstehen Raum und Zeit als wirkliche innere Anschauungen erst in und mit der Konstruktion dieser ihrer einzelnen Formen und Verhältnisse. Und wenn man sagen kann, daß in dieses von der reinen produktiven Einbildungskraft innerlich konstruierte Fachwerk nun durch die empirische, reproduktive Einbildungskraft der von außen kommende Empfindungsstoff eingezeichnet wird, so wird der genauere Ausdruck für dieses Verhältnis doch der sein, daß in und mit jeder Konstruktion äußerer Anschauungsbilder, deren Stoff aus der Empfindung stammt, Raum und Zeit als apriorische Anschauungen immer mitkonstruiert werden. Unter dem von der Empfindung gelieferten rein formlosen Stoff läßt sich dann schließlich nichts weiteres denken als ein von der Einwirkung realer Dinge herrührender Anstoß, durch welchen die Einbildungskraft zur Tätigkeit veranlaßt wird. Empirisch, reproduktiv heißt diese Tätigkeit, eben insofern sie durch solche äußeren Anstöße unmittelbar veranlaßt ist. Immer ist aber, wie aus dem Bisherigen hervorgeht, in solcher Tätigkeit die apriorische produktive mitenthalten, und Sache der zerlegenden wissenschaftlichen Reflexion ist es, die letztere rein für sich ins Auge zu fassen als die Bedingung, unter welcher allein die erstere möglich ist. Von hier aus kann dann gesagt werden, daß jene produktive Synthesis der Einbildungskraft, jene freie Konstruktion innerer Raum- und Zeitverhältnisse, die Affinität, und damit die Verknüpfbarkeit der Erscheinungen erst hervorbringt (Seite 677), indem in diesem Schematismus (dieser erst später von KANT eingeführte Ausdruck läßt sich hier schon anwenden) der Grundriß gegeben ist, an welchen die empirische Einbildungskraft bei ihrer Konstruktion sinnlicher Anschauungsbilder sich zu halten hat. Nur dürfen wir KANTs Meinung nicht dahin verstehen, als ob in einer aller Bewußtseinsentwicklung vorangegangenen Zeit die produktive Einbildungskraft noch ohne die reproduktive tätig gewesen wäre. Nie hat KANT die Wahrheit verkannt, daß jedes Menschen geistige Entwicklung durch äußere Einflüsse bedingt ist, daß auch das innerste Wesen des Geistes mit Notwendigkeit Begründete äußerer Anreizungen bedarf, um ans Tageslicht zu treten. Erst in den mathematischen Konstruktionen des geistig Entwickelten, hier tritt die produktive Synthesis der Einbildungskraft, ohne auf äußere Anstöße warten zu müssen, rein für sich in Ausübung. Durch das Bisherige dürfte die von KANT gemachte Unterscheidung einer doppelten Einbildungskraft genügend erläutert sein. Klar ist auch, warum die apriorische, produktive Synthesis der Einbildungskraft zugleich eine transzendentale genannt wird, indem sie die Verknüpfung und damit die Erkennbarkeit der Erscheinungen bedingt. Der doppelten Einbildungskraft entspricht nun ein doppelter Verstand. Der gewöhnliche (empirische) Verstand bringt die reproduktive Synthesis der Einbildungskraft zu Bewußtsein, er erkennt in der Natur die Gesetze, welche die unbewußt konstruierende Einbildungskraft hineingelegt hatte; dagegen der reine Verstand bringt die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft zu Bewußtsein, er schafft als Bezeichnung für das Wesen jenes frei konstruierten Schematismus ein System von Begriffen, die Kategorien (36). Natürlich handelt es sich bei all dem nicht um eine Vielheit selbständig, gleichsam als besondere Substanzen, nebeneinander existierender Erkenntnisvermögen. Sofern das Ich rezeptiv, für die Einwirkungen realer Dinge empfänglich, auf dieselbe angewiesen ist, indem es nur in der Reaktion gegen solche Einwirkungen Vorstellungen zu bilden vermag, insofern ist von einer Sinnlichkeit desselben die Rede. Raum und Zeit, wenngleich sie sich schließlich in der Tat als Formen der Selbsttätigkeit darstellen, heißen doch Formen der Sinnlichkeit; denn in der Rezeptivität des Ich ist es begründet, daß es diese Formen in erster Linie zu konstruieren gezwungen ist. Sofern das Ich spontan, selbsttätig ist, heißt es Verstand; der Ausdruck Verstand im engeren Sinne beschränkt sich auf diejenige Seite seiner Spontaneität, vermöge welcher es (bewußt) Begriffe reproduziert, während die andere Seite, die (unbewußte) Produktion von Anschauungsbildern, Einbildungskraft heißt. Die ganze Spontaneität des Ich (Verstand wie Einbildungskraft) ist eine empirische, wenn sie auf die Rezeptivität und deren Empfindungen in der Art sich bezieht, daß dieselben den Stoff ihrer Tätigkeit bilden; sie ist eine apriorische, reine, wenn sie abgesehen von der Rezeptivität, abgesehen von den Empfindungen nur ihre eigenen Gesetze (sei es anschaulich im Schematismus, sei es begrifflich in den Kategorien) zum Ausdruck bringt. Hat das Ich nach seinen immanenten Normen - allerdings veranlaßt durch äußere Anstöße - das Gewebe der Anschauungswelt zusammengefügt, so darf es mit Recht voraussetzen, bei Betrachtung des Gewebes seine immanenten Normen darin wiederzufinden. Ist dies das Ergebnis unserer bisherigen Erörterung, namentlich der Darstellung der Deduktion, so ist damit auch eine schon zweimal weiter oben von mir aufgeworfene, aber noch nicht beantwortete Frage entschieden: nicht nur eine mittelbare, auch eine unmittelbare Bedingtheit der Anschauungswelt durch die Kategorien ist anzuerkennen. Von hier aus ist der oben in Anmerkung 18 von mir zitierte Satz aus einem Brief KANTs näher dahin zu erläutern, daß in unseren Einzelanschauungen, wie die Sinnlichkeit für sich sie liefert, kein Objekt anzutreffen ist; daß, wer nur jener Einzelanschauungen als solcher sich bewußt wäre, kein Bewußtsein eines Objekts hätte. Erst der mehrere Einzelanschauungen verknüpfende, als notwendige Einheit zusammendenkende Verstand hat, indem er diese Einheit denkt, das Bewußtsein eines Objekts, aber er denkt dabei nur die einheitliche Verknüpfung, die er als unbewußter, als Einbildungskraft, mit den betreffenden Einzelanschauungen schon vorgenommen hatte. Die letztere Seite ist allerdings in unserer Briefstelle nicht berührt; allein sie in KANTs Sinn zu ergänzen, nötigt mir die Auffassung ab, welche aus dem Bisherigen sich ergeben mußte. Mit dieser Auffassung alle einzelnen Dunkelheiten aufgehellt zu haben, will unsere Darstellung gewiß nicht beanspruchen; hat es sich doch nur darum gehandelt, diejenige Auffassung auszusprechen und zu begründen, durch welche die vorliegenden kantischen Ausführungen, wie mir scheinen will, am befriedigsten sich zurechtlegen. Die Deduktion der ersten Auflage, welche wir hiermit verlassen, hat KANT selbst als teilweise dunkel bezeichnet und bei nächster Gelegenheit zu verbessern versprochen (37). In der Deduktion der zweiten Auflage der Kritik liegt diese Verbesserung vor (38); die von mir vorgetragene Auffassung wird hier entschieden bestätigt. In der ersten Auflage war KANT ausgegangen von der Tatsache der Erfahrung, zunächst vom ersten Stück der Erfahrung, der Anschauungswelt als einer in bestimmter Weise geordneten; seinen Ausgangspunkt in der zweiten Auflage bildet die viel allgemeinere Tatsache, daß das Mannigfaltige der Anschauung, wie wir es in uns vorfinden, überhaupt in einer Verbindung miteinander steht, wobei von der genaueren Form dieser Verbindung, wie die erste Ausgabe sie eingehend berücksichtigt, zunächst noch abgesehen wird. Wie jede Verbindung, so ist auch diese Verbindung auf den Verstand, diese von der rezeptiven Sinnlichkeit unterschiedene Spontaneität, zurückzuführen; die Einbildungskraft somit, welche das Mannigfaltige der Anschauung zu kontinuierlichen Bildern kombiniert, ist hiernach klar und entschieden zum Verstand zu rechnen. Auch in der zweiten, wie in der ersten Ausgabe erschwert es allerdings das Verständnis mancher Sätze, daß der Ausdruck Verstand bald im weiteren, bald im engeren Sinn gebrauht wird; daß er aber auch jene weitere, die Einbildungskraft in sich begreifende Bedeutung hat, ist durch die soeben angeführte ausdrückliche Bestimmung unzweideutig sichergestellt (§ 15, Seite 138 oben). Von jener allgemeinen Tatsache einer Verbindung überhaupt, die als solche auf den Verstand zurückzuführen ist, geht KANT nun sofort über zur Einheit des Selbstbewußtseins, zu welcher das Mannigfaltige der Anschauung von Anfang an in einer gewissen Beziehung stehen muß, um durch den Verstand verbunden werden zu können. Eingehend reflektiert er auf diese Einheit des Selbstbewußtseins und auf die Bedingungen, unter welchen allein dieselbe möglich ist. Die Kategorien sind die Bedingungen der Einheit des Selbstbewußtseins: darin vor allem liegt das Charakteristische der Deduktion der zweiten Auflage. (§ 16, Seite 139-142). Diese Einheit des Selbstbewußtseins, dieses Bewußtsein von der Identität des eigenen Selbst, nennt KANT die ursprüngliche, transzendentale Einheit oder Identität der Apperzeption, auch einfach die reine oder ursprüngliche Apperzeption. Er unterscheidet sie von einem empirischen Bewußtsein, in welchem ich, ohne Beziehung auf die Einheit meines Ich, nur meinen jeweiligen Zustand vorstelle. An manchen Stellen allerdings wird die Einheit der Apperzeption von der Apperzeption selbst unterschieden; der erstere Ausdruck bezeichnet dann die Regel, welche das Selbstbewußtsein den mannigfaltigen Vorstellungen vorschreibt, die es zu sich in Beziehung setzt, die Einheit, welche es in dieselben bringt (39). Aber in den meisten Fällen werden wir die Einheit der Apperzeption im gleichen Sinn wie Identität der Apperzeption selbst identifizieren müssen. Wenigstens gilt dies von der analytischen Einheit der Apperzeption, indem die synthetische allerdings, wovon gleich die Rede sein soll, eine Kombination der ursprünglichen Apperzeption (des Selbstbewußtseins) mit anderen Bewußtseinsmomenten darstellt. Nur die ins Bewußtsein getretene Identität des eigenen Selbst nennt KANT die ursprüngliche Apperzeption, hierin allerdings abweichend vom Sprachgebrauch der ersten Auflage. Dort war entschieden eine doppelte ursprüngliche Apperzeption zu unterscheiden: auf der einen Seite das noch unbewußte, dem ganzen Geistesleben zugrunde liegende, einheitliche Ich, dem als solchem nur das Vermögen zukommt, sich zum Bewußtsein zu erheben (40); und auf der anderen Seite das wirkliche klare Bewußtsein von dieser Einheit. Für die ursprüngliche Apperzeption im ersteren Sinn gebraucht KANT in der zweiten Auflage den zutreffenderen Ausdruck "identisches Selbst". Der Gedankengang seiner Argumentation läßt sich nun präzise dahin zusammenfassen: Die Einheit des Selbstbewußtseins ist eine gegebene Tatsache, allerdings nicht in dem Sinn, daß sie in jedem Moment wirklich wäre; aber Tatsache ist, daß ich die Identität meines Ich mir zu Bewußtsein zu bringen vermag, daß ich, so oft ich darauf reflektiere, die Vorstellung "ich denke" hervorbringen kann. In der letzteren Vorstellung ist enthalten, daß, wenn ich denke, eben damit kein anderer denkt, daß ich immer dieselbe von allen anderen unterschiedene Persönlichkeit bin. Das letztere ist ein selbstverständlicher, analytischer Satz; jenes Selbstbewußtsein, von welchem als Tatsache ausgegangen wird, heißt deshalb die analytische Einheit der Apperzeption. Welche Bedingungen mußten vorausgehen, damit sie möglich wurde? Jene analytische Einheit ist nur möglich unter Voraussetzung einer synthetischen. Ich muß eine Vielheit von Vorstellungen zur Einheit verknüpft haben, ich muß dieser Verknüpfung als einer durch mich vollzogenen gewiß geworden sein, erst dann kann ich die Identität meiner selbst als des verknüpfenden Subjekts mir zu Bewußtsein bringen. Jene (analytische) Einheit des Selbstbewußtseins ist also nur möglich unter der Voraussetzung einer bewußten Verknüpfung von Vorstellungen, sie setzt demnach überhaupt eine Verknüpfbarkeit meiner Vorstellungen voraus, zur Einheit des Bewußtseins sich verbinden zu lassen (41). Eine Vorstellung, welche dieser Verknüpfung widerstrebt, welche gar nicht unter der ursprünglichen synthetischen Einheit der Apperzeption stehen würde (der Aufnahme in dieselbe unfähig wäre), könnte gar nicht meine Vorstellung sein. Die Verknüpfbarkeit meiner sämtlichen Vorstellungen durch mein Bewußtsein, somit ihre Übereinstimmung mit den Verknüpfungsnormen, welche im Wesen meines Bewußtseins begründet sind, mit den Kategorien, dies ist die Voraussetzung für die Einheit des Selbstbewußtseins, von der als Tatsache ausgegangen worden war. Wenn somit schon behauptet wurde, daß das Ich, der Verstand (42) bei KANT keine dem Erkenntnisprozeß vorangehenden, ihn bedingenden subjektiven Vermögen sind und vielmehr erst durch diesen Prozeß entstehen, so gilt dies vom Ich als zum Selbstbewußtsein entwickeltem, es gilt vom Verstand, sofern er ein wirkliches Denken, namentlich ein Bewußtsein der Kategorien ist (43); sofern man aber unter dem Ich (welches, als des Denkens fähig, Verstand heißt) die Einheit des Seelenlebens versteht, welche als mit sich identisches und des Bewußtseins dieser Identität fähiges Selbst dem ganzen Geistesleben, somit auch dem Erkenntnisprozeß als produzierendes Subjekt desselben zugrunde liegt: ist es entschieden in KANT hineingetragen, wenn man ihn so deutet, als habe er in HERBARTscher Weise das Ich in diesem Sinn geleugnet und als Ich nur den Akt des Selbstbewußtseins als Resultat eines Prozesses stehen lassen. Daß allerdings bei KANT nicht an eine Vielheit gesondert existierender Seelenvermögen, sondern nur an eine Vielheit von Seiten, von Beziehungen des eigenen Ich gedacht werden darf, ist schon oben bemerkt worden. Wenn ich die in diesem Abschnitt entwickelte Argumentation als das Charakteristische der Deduktion der zweiten Auflage bezeichnet habe, so ist dazu allerdings ein doppeltes beizufügen. Einmal ist diese Argumentation von KANT selbst nicht ausdrücklich zu Ende geführt worden. Nur bis zu dem Punkt hat er sie verfolgt, da die Notwendigkeit sich ergeben hat, all unsere Vorstellungen als solche zu denken, welche zur Einheit unseres Selbstbewußtseins sich verknüpfen lassen. Daß aber die Gesetze dieser Verknüpfung die Kategorien sind, versteht sich nach der ganzen kantischen Darstellung von selbst, durfte somit zur Vollendung des Beweises in KANTs Sinne von mir ergänzt werden. Ein zweites, das ich anzufügen habe, hängt mit dem ersten unmittelbar zusammen. Mit dem von uns Entwickelten ist die Deduktion der zweiten Auflage noch nicht zu Ende. KANT nimmt noch einige Anläufe, geht noch von anderen Seiten aus, bis er zu einem endgültigen Resultat kommt. Unsere obige Entwicklung gab den Inhalt von § 16; erst in § 20 ist ausdrücklich von den Kategorien die Rede, und erst der eine Anmerkung hierzu bildende § 21 erklärt wenigstens den Anfang einer Deduktion der reinen Verstandesbegriffe für gemacht. Nach einer Reihe von Zwischenbemerkungen § 22-25 folgt erst in § 26 die Beeindigung der Deduktion, welche somit in der zweiten Auflage zwei Hauptstadien durchläuft. Da jedoch die auf § 16 folgenden Abschnitte meist die Gedanken der ersten Auflage, allerdings schärfer und durchsichtiger, wiederholen, so mag es genügen, durch eine kurze Übersicht über den Gedankengang von § 17-26 zu zeigen, wie meine Auffassung der Deduktion durch die Ausführungen der zweiten Auflage bestätigt wird. War § 16 von der Tatsache des Selbstbewußtseins ausgegangen, um als deren Voraussetzung die Verknüpfbarkeit all unserer Vorstellungen zur Einheit des Bewußtseins zu erkennen, so sucht § 17 dieselbe Verknüpfbarkeit als die Bedingung nachzuweisen, unter welcher allein Verstandeserkenntnis (Erfahrung nach dem Sprachgebrauch der ersten Auflage) möglich ist. Mit § 18 beginnt eine neue Entwicklungsreihe, und erst sie führt (§ 20) zur ausdrücklichen Nennung der Kategorien als der Formen, welche auf das Mannigfaltige der Anschauung anwenbar sein müssen. KANT beginnt mit der Bestimmung des Begriffs der objektiven Einheit des Selbstbewußtseins (44), die er beschreibt als diejenige einheitliche Verknüpfung des in der Anschauung gegebenen Mannigfaltigen, welche in den Gesetzen des Bewußtseins mit Notwendigkeit begründet und daher für jedes denkende Subjekt gültig ist, welche sich daher unterscheidet von der subjektiven, nur individuell gültigen Einheit des Bewußtseins. (45) Von dieser einleitenden Bestimmung geht er (§ 19) über zu einer Definition des Urteils als der Form, in welcher jene notwendige Verknüpfung sich vollzieht, um (§ 20) hieraus die notwendige Übereinstimmung der Anschauungen mit den aus den Urteilsformen abgeleiteten Kategorien zu erschließen, indem ja (worauf schon die Erörterung in § 16, wie die in § 17 geführt hatte) alle Anschauungen einer solchen notwendigen Verknüpfung fähig sein müssen. Hiermit ist, wie KANT § 21 sich ausdrückt, der Anfang einer Deduktion gemacht. In jener schon öfters von mir zitierten Stelle aus den "metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft" (RV, Seite 314-316), da KANT eine faßlichere Darstellung dieser dunklen Parti in Aussicht gestellt hatte, war ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß man nur von einer genauen Definition des Urteils ausgehen darf, um eine Antwort auf die Frage zu finden: "wie Erfahrung durch die Kategorien und nur durch dieselben möglich ist?" Merkwürdig allerdings, daß dort die Lösung dieser Frage als etwas zwar Wichtiges, aber zur Deduktion nicht mehr notwendig Gehöriges bezeichnet wurde, während die Antwort, welche hierauf gegeben wird, nur der Anfang einer Deduktion sein soll, der seiner Vollendung noch entgegensieht. In diesem Ausgehen von der genauen Definition des Urteils als der Verknüpfung von Vorstellungen zu objektiver, notwendiger Einheit haben wir somit noch einen zweiten Punkt zu erkennen, in welchem die Deduktion der zweiten Auflage von der der ersten sich unterscheidet; aber der Deduktion der zweiten Auflage eigentümlich ist dieser Ausgangspunkt nicht. Er findet sich bereits in den Prolegomenen. Dort allerdings wird subjektives Wahrnehmungsurteil und objektives Erfahrungsurteil unterschieden, während hier, in der zweiten Auflage der Kritik, das Urteil im engeren Sinne genommen und dem Erfahrungsurteil gleichgesetzt wird. Nur durch die Kategorien kommen die erkenntnisbildenden Urteile zustande, in welchen diejenige einheitliche Verknüpfung sich vollzieht, deren alle Anschauungen fähig sein müssen: mit diesem Resultat hat die Deduktion der zweiten Auflage ihr erstes Stadium durchlaufen. Ehe sie in ihr zweites eintritt, schiebt KANT, wie wir oben hörten, eine Reihe von Bemerkungen ein (§ 22-25), aus denen hier einiges hervorgehoben werden soll, was teils zur Bestätigung, teils zur Erläuterung unserer früheren Ausführungen über KANTs psychologischen Grundbegriffe, namentlich den der Einbildungskraft, dienen kann. Wir wissen, daß alle Synthesis des Mannigfaltigen eine Handlung des Verstandes ist, erinnern und aber von der ersten Auflage her, daß wir dort eine doppelte Synthesis des Verstandes zu unterscheiden hatten, die bewußte Synthesis des Verstandes im engeren Sinn, deren Produkte Begriffe und Urteile sind, und die Synthesis des unbewußten Verstandes, der Einbildungskraft, als deren Produkte sich uns Anschauungsbilder darstellen. Diese Unterscheidung wird § 24 der zweiten Auflage durch die Entgegensetzung einer figürlichen und intellektuellen Synthesis bestätigt. Die letztere besteht im Denken der Kategorien als der in Begriffe gefaßten Verknüpfungsformen aller möglichen Anschauungen. Hier wird eigentlich nichts verknüpft, hier werden nur die Formen jeder möglichen Verknüpfung in ihrer Reinheit gedacht; und der Verstand, sofern er sich so der Kategorien bewußt wird, heißt - wie wir von der ersten Auflage her wisen - der reine Verstand. Wirkliche Verknüpfung vollzieht nur die zweite jener Synthesen, die figürliche. Und hier begegnet uns jene schon von der ersten Auflage her bekannte innere Konstruktion von Raum- und Zeitverhältnissen, jene Entwerfung eines Grundrisses, nach welchem die Verarbeitung des empirischen Stoffes zur kontinuierlichen Anschauungswelt sich richtet; hier, wie dort, ist es die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, welche jenes innere Fachwerk konstruiert; ausdrücklich wird hervorgehoben, daß die Einbildungskraft hierbei den Kategorien gemäß verfährt, sowie, daß der Verstand es ist, welcher unter der Benennung einer transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft sich hier eigentlich als tätig erweist. Wenn in diesem Zusammenhang die Einbildungskraft als das Vermögen bestimmt wird, einen Gegenstand auch ohne dessen Gegenwart in der Anschauung vorzustellen (vgl. Anmerkung 25), so gilt dies vollständig von der transzendentalen Synthesis, um die es sich hier handelt; denn wenngleich die letztere nur den Grundriß herstellt, nach welchem die Anschauung empirisch gegebener Gegenstände sich richtet, d. h. nach welchem die Konstruktion der aus dem Empfindungsstoff gewonnenen Anschauungsbilder erfolgt, so kann doch jener Grundriß selbst, ganz abgesehen vom empirischen Anschauungsstoff, für sich konstruiert werden, wie z. B. in der reinen Mathmatik geschieht. Ebenso paßt jene Bestimmung von Einbildungskraft auf die reproduktive Einbildungskraft, von der im selben Abschnitt (Seite 153 oben) die Rede ist, von der es heißt, sie folge lediglich empirischen Assoziationsgesetzen und trage daher zur Erklärung der Möglichkeit apriorischer Erkenntnis nichts bei. Hier ist die Tätigkeit gemeint, welche Erinnerungsvorstellungen produziert und in beliebiger Weise kombiniert. KANT kennt aber auch eine andere, ebenfalls reproduktive Einbildungskraft, die zwar einen empirischen Stoff verknüpft, dabei aber nach apriorischen Normen (Kategorien) verfährt, indem sie an den Grundriß der produktiven sich anschließt; von ihr gilt jene obige Bestimmung von Einbildungskraft nicht: aufgrund der Empfindungen konstruiert sie ja eben den Gegenstand, welcher dann in der Anschauung gegenwärtig ist. So müssen wir uns dann an die oben gemachte Bemerkung zurückerinnern, daß für jene zwei Tätigkeiten, deren eine die äußere Anschauungswelt konstruiert, die andere nur den inneren Bewußtseinsraum mit Vorstellungen bevölkert, KANT - nicht zum Vorteil von Klarheit und Deutlichkeit - den einen Namen der Synthesis der Einbildungskraft gebraucht. Doch nicht bloß bestätigt werden unsere früheren Ausführungen über KANTs psychologische Grundbegriffe durch die Zwischenbemerkung von § 22-25, auch erläutert werden sie. Die produktive, transzendentale Synthesis der Einbildungskraft wird § 24 näher beschrieben als eine Handlung des Verstandes, dadurch der innere Sinn affiziert wird. Form des inneren Sinnes ist, wie wir wissen, die Zeit, in welcher alle unsere Vorstellungen sich uns darstellen. Der innere Sinn ist ein anderer Ausdruck für das dem Fluß der Zeit unterliegende Bewußtsein unseres jeweiligen Zustandes, die empirische Apperzeption (46). Wenn nun die transzendentale Synthesis der Einbildungskraft, die Mutter des Schematismus, in der oben angegebenen Weise näher beschrieben wird, so hat dies eine doppelte Bedeutung. Einmal soll - und darüber haben wir noch später zu reden - auch die Erkenntnis des eigenen Selbst auf die Erscheinung desselben beschränkt werden, indem mein Ich (mein Verstand), wenn es als Erkenntnisobjekt (47) mir gegenübersteht, durch die im Wesen des erkennenden Subjekts begründete Zeitform sich gleichsam erst hindurchbewegen muß, um sich meinem Bewußtsein darzustellen. Damit hängt ein zweites zusammen. In der obigen Formel (Affektion des inneren Sinnes durch den Verstand) drückt sich der nicht intuitive Charakter unseres Verstandes aus. Wäre er intuitiv in einem strengen Sinn, so wäre er eine Anschauungen produzierende, und zwar schlechthin produzierende, an keine äußere Anregung gebundene, schöpferische Selbsttätigkeit (48). Dies kann er als endlicher nicht sein, vielmehr als Selbsttätigkeit eines endlichen Ich ist er mit einer Rezeptivität dieses Ich (Sinnlichkeit) unlösbar verbunden; seine Sache ist die einheitliche Verknüpfung nach dem ihm immanenten Verknüpfungsgesetz, als dessen verschiedene Arten sich die Kategorien darstellen (49), das Mannigfaltige aber, welches er verknüpfen soll, muß ihm als eine Wirkung äußerer Einflüsse, vermöge der Rezeptivität des Ich zukommen, und wenn er auch (als Einbildungskraft) Anschauungen konstruiert, so ist er doch nicht schlechthin intuitiv, er ist in dieser Konstruktion bedingt durch die in den Empfindungen ihm zukommenden Anregungen. Der gleiche endliche, nicht schöpferisch intuitive Charakter des Verstandes zeigt sich auch in den freien Konstruktionen, welche er unter dem Namen einer transzendentalen Synthesis der Einbildungskraft ausführt. Auch hier ist er wenigstens an die mannigfachen Möglichkeiten gebunden, welche in der Form der Zeit (und - kann ich mit Beiziehung anderer Stellen hinzufügen - des Raumes) begründet sind; sein auf den inneren Sinn sich beziehendes Affizieren kann nur das ins Leben rufen und verknüpfen, was im inneren Sinn als latent bereits enthalten war. Doch wie verlassen die Bestätigungen und Erläuterungen unserer früheren Ausführungen, welche wir aus den Zwischenbemerkungen der §§ 22-25 hervorheben zu müssen glaubten, und suchen noch das zweite Stadium der Deduktion der zweiten Auflage uns vorzuführen. Das Resultat von § 21 war gewesen: die erkenntnisbildenden Urteile über die Anschauungen sind nur durch die Kategorien möglich. Daß sich alle Anschauungen dieser urteilenden Verknüpfung fügen, wurde als selbstverständlich angenommen, weil sie mir sonst nincht zu Bewußtsein kommen, gar nicht meine Anschauungen sein könnten. Daß und warum sich auf alle Anschauungen jene urteilende Verknüpfung anwenden läßt, wird nun im zweiten Stadium (§ 26) aus der Natur der Anschauungen selbst bewiesen. Mit besonderer Schärfe wird der (von mir schon in der ersten Auflage gefundene) Gedanke ausgeführt, daß die ganze Anschauungswelt nach den Normen der Kategorien von der Einbildungskraft konstruiert (gesetzmäßig gestaltet) worden ist, weshalb dieselben Kategorien (bzw. die aus denselben sich ergebenden Naturgesetze) in ihr sich müssen wiederfinden lassen. Ganz entschieden wird behauptet, daß auch die Wahrnehmung erst möglich wird durch eine nach den Kategorien vor sich gehende verknüpfende Tätigkeit (RII 159 oben); ja KANT verdeutlicht dies durch einzelne Beispiele: er zeigt, wie bei der Anschauung eines Hauses die Kategorie der Größe, bei der Wahrnehmung vom Gefrieren des Wassers die Kategorie der Kausalität angewandt wird, ein diese Kategorien darstellendes sinnliches Abbild konstruiert wurde (RII 159, 160); er sagt ausdrücklich gegen den Schluß von § 26, daß die Einbildungskraft, wie sie ihren Stoff von der Sinnlichkeit her bekommt, so ihrer Verknüpfungsform nach vom Verstand abhängig ist (50), weshalb alle Wahrnehmungen unter den Kategorien stehen, durch letztere den ersteren Gesetze vorgeschrieben werden. So dient denn die schärfere, klarere Deduktion der zweiten Auflage meiner Auffassung der dunkleren Darstellung in der ersten Auflage zur entschiedenen Bestätigung: die Anschauungsbilder, deren Komplex die Welt der Erscheinungen konstituiert, sind durch Verarbeitung des Empfindungsstoffs nach den Normen der Kategorien konstruiert worden; deshalb läßt sich eine denkende Erkenntnis dieser Anschauungswelt (Erfahrungswelt) durch deren urteilende Verknüpfung nach denselben Kategorien gewinnen (51). Und wenn KANT in seiner letzten Schrift über theoretische Philosophie, in der schon öfters zitierten "Über die Fortschritte der Metaphysik usw." (RI 508) von der Tatsache eines regelmäßigen Beeinanderseins der Gegenstände der Erfahrung redet, welches dem Verstand ihre gesetzmäßige Zusammenfassung ermöglicht, so sind es dieselben Kategorien, auf denen jene Regelmäßigkeit ruht, und deren der Verstand bei dieser Zusammenfassung sich bedient. Hiermit kann meine Darstellung der kantischen Erkenntnistheorie von der Erörterung der subjektiven Faktoren der Erkenntnis Abschied nehmen. Jetzt wissen wir, in welchem Sinn Raum, Zeit und Kategorien als subjektive Erkenntnisformen bezeichnet werden. Im Wesen des erkennenden Geistes, teils seiner Rezeptivität, teils seiner Spontaneität, mit Notwendigkeit begründet (und insofern apriorisch) bezeichnen sie die Gesetze, nach welchen der von außen, durch die Empfindungen, angeregte Erkenntnisprozeß notwendig sich vollzieht, sie bezeichnen - wenn ich mir diesen etwas äußerlichen Ausdruck erlauben darf - die aus dem Subjekt stammenden Bestandteile der von ihm konstruierten Anschauungs- und Gedankenwelt. Daß die Formen der Rezeptivität (Raum und Zeit) und die in ihnen sich darstellende Erscheinungswelt zusammenstimmen mit den Formen der Spontaneität (den Kategorien), daß daher die letzteren auf die ersteren können angewandt werden, hatte die Deduktion nachgewiesen; wie nun aber diese Anwendung ausführbar ist, zeigt die bekannte Lehre vom Schematismus (RII 168). Aus dem Bisherigen wissen wir von der inneren Konstruktion von Raum- und Zeitverhältnissen, darin die produktive Einbildungskraft sich als tätig erweist; wir wissen, daß das Gesetz, welchem die Einbildungskraft hierbei gehorcht, in den Kategorien liegt, daß das Wesen der Kategorien, wenngleich nur in unbestimmten Umrissen, hier zur anschaulichen Darstellung gebracht wird. Diese unbestimmten, skizzenhaften Bilder, diese Schemata (52) ermögliches es dann auch, die abstrakt-begrifflichen Kategorien auf die sinnlich-konkrete Erscheinungswelt anzuwenden; sie weisen jeder Kategorie diejenige Klasse von Erscheinungen zu, auf welche sie anwendbar ist, die nämlich, welche nach dem Grundriß des Schemas gerade dieser Kategorie von der reproduktiven Einbildungskraft ist konstruiert worden; aus ihnen ergibt sich das System der Grundsätze des reinen Verstandes: denn diese beruhen nicht bloß auf der Anwendbarkeit der Kategorien überhaupt auf sämtliche Erscheinungen, vielmehr auf der Anwendbarkeit bestimmter Kategorien auf bestimmte Klassen von Erscheinungen. Allerdings nimmt in der Lehre vom Schematismus KANT seine Schemata nur aus der Reihe der a priori konstruierten Zeitformen, weil in der Zeit all unsere Vorstellungen, nicht bloß die äußeren Anschauungen, sich darstellen; bedenken wir jedoch, daß er sonst auch die freie Konstruktion innerlich angeschauter Raumverhältnisse der produktiven Einbildungskraft zuweist (53), so wie daß er zur Veranschaulichung der Zeitformen auf Raumformen rekurriert (54), so werden wir es als etwas seiner Meinung nicht zu fern Liegendes bezeichnen dürfen, wenn zu den Schemata der Kategorien auch innerlich konstruierte Raumformen gerechnet werden. KANTs Lehre von den Erkenntnisformen als den subjektiven Faktoren unserer Erkenntnis und der Möglichkeit ihrer Aufeinanderbeziehung ist hiermit erschöpft. Die dunkle und schwierige transzendentale Deduktion machte es nötig, längere zeit bei diesem Teil der kantischen Erkenntnistheorie zu verweilen; kürzer können wir uns fassen, wenn wir die zweite Hauptfrage in Betracht ziehen, welche, wie jede Erkenntnistheorie, so auch die KANTs sich vorlegt, die Frage nach Wahrheit unserer in diesen Formen sich vollziehenden Erkenntnis. Oder genauer haben wir zu fragen: inwieweit kommt unserer in diese Formen gefaßten Anschauungs- und Gedankenwelt das Prädikat der Wahrheit, der Charakter der Erkenntnis zu? Die Beantwortung dieser Frage hängt natürlich eng zusammen mit KANTs Ansicht über den aus dem Objekt stammenden Faktor unserer Erkenntnis. ![]()
28) vgl. die in Anmerkung 21 weiter oben zitierte Stell aus der Schrift "Über die Fortschritte der Metaphysik". 29) Daher heißt es Seite 119 von der Einbildungskraft, daß wir uns derselben "selten nur einmal bewußt sind". 30) Vgl. das Wort Kants Seite 664: "Dieses Bewußtsein kann oft nur schwach sein, so daß wir es nur als Wirkung - verknüpfen." 31) Vgl. Seite 673: "Es kann aber nur die produktive Synthesis der Einbildungskraft a priori stattfinden; denn die reproduktive beruth auf Bedingungen der Erfahrung." Der Ausdruck "reproduktiv" ist hier allerdings in einem weiteren Sinn verstanden, als wenn Seite 661 die Synthesis der Reproduktion von der der Apprehension [Zusammenfassung - wp] unterschieden wird, auf der anderen Seite aber auch in einem engeren Sinn, denn jene beiden Synthesen haben je eine empirische und eine apriorische Seite. 32) Notgedrungene Wiederholung des schon weiter oben Gesagten, aber, im Anschluß an den Gedankengang der Kritik selbst, dort wieder Abgebrochenen. 33) Vgl. transzendentale Deduktion, vorläufige Erinnerung, am Schluß von Nr. 1 und 2, Seite 661 und 663. 34) "De mundi sensibilis atque intelligibilis forma et principiis (RI, Seite 325, 326); vgl. auch die späte Schrift gegen Eberhard (RI, Seite 445, 446), wo Raum, Zeit und Kategorien als ursprünglich erworben bezeichnet werden, während als angeboren nur die Beschaffenheit des Ich stehen bleibt, vermöge welcher dasselbe gegen äußere Einwirkungen gerade in diesen Formen reagieren muß. 35) Vgl. das bekannte "a priori im Gemüt bereitliegen", Seite 72. 36) Vgl. Seite 674: "die Einheit der Apperzeption in Beziehung auf die Synthesis - diese sind aber die Kategorien", außerdem Seite 120: "die reine Synthesis, allgemein vorgestellt, gibt nun den reinen Verstandesbegriff". 37) In der schon oben Anmerkung 20 zitierten Stelle RV, Seite 316. 38) Daher kann ich mit Eduard Erdmanns Urteil über die Deduktion der zweiten Auflage (Grundriß der Philosophie, Bd. 2, § 299, 2., Seite 312) nicht übereinstimmen. 39) So § 16, Seite 139, wo von der transzendentalen Einheit des Selbstbewußtseins gesagt ist, daß apriorische Erkenntnis aus derselben sich ergibt, indem alle meine Vorstellungen als solche den Bedingungen gemäß sein müssen, unter denen sie allein in meinem allumfassenden Selbstbewußtsein verbunden sein können. So kann der Ausdruck "Einheit der Synthesis der Einbildungungskraft" von der einheitlichen Verknüpfung verstanden werden, welche durch die Tätigkeit der Einbildungskraft hervorgebracht wird, wenn wir nicht vorziehen, an die Regel zu denken, was jedenfalls Seite 674 notwendig ist, wo als diese Einheit das System der Kategorien bezeichnet wird. 40) Seite 666: "diejenige Einheit des Bewußtseins, welche vor allen Datis der Anschauung vorhergeht". Auch zu vgl. Seite 673, Anmerkung. 41) Daher der von Schopenhauer unnötigerweise übelberufene Satz am Anfang von § 16: "Das ich denke muß alle meine Vorstellungen begleiten können." 42) So Cohen, Kants Theorie der Erfahrung, Seite 142 und sonst. 43) Seite 140, Anm. fin., da die synthetische Einheit der Apperzeption, der Akt der Verbindung des Mannigfaltigen zur Einheit des Bewußtseins, als der Verstand selbst bezeichnet wird; ebenso § 17, Seite 143. 44) Identisch mit der transzendentalen, und zwar näher synthetischen Einheit der Apperzeption. 45) der empirischen Apperzeption (vgl. oben). 46) Seite 666 47) Objekt hier natürlich im gewöhnlichen, nicht im kantischen Sinn genommen. 48) Einen intuitiven Verstand in diesem Sinn hat Kant bei Maimon gefunden, gegen welchen er sich deshalb erklärte. Vgl. Brief an Herz (R I, Seite 54). 49) Vgl. besonders "Fortschritte der Metaphysik usw." (RI, Seite 502) wo der Begriff der Zusammensetzung als der einzige Grundbegriff a priori und die Kategorien als verschiedene Arten der Zusammensetzung bezeichnet werden. Auch Cohen, a. a. O., Seite 117-119. 50) Seite 161 (Ausgabe B): "Nun ist das, was das Mannigfaltige der sinnlichen Anschauung verknüpft, Einbildungskraft, die vom Verstand der Einheit ihrer intellektuellen Synthesis und von der Sinnlichkeit der Mannigfaltigkeit der Apprehension nach abhängt." 51) Wenn Kuno Fischer (Geschichte der neueren Philosophie, Bd. III, zweite Auflage, Seite 367) zwischen der Erscheinung als dem Objekt der Anschauung und der notwendigen Verknüpfung der Erscheinungen als dem Objekt der Erfahrung in der Weise unterscheidet, daß bloß das Objekt in der letzteren Bedeutung durch die reinen Begriffe, das in der ersteren nur durch die reine Anschauung bedingt sein soll, so muß diese Unterscheidung insofern für unrichtig gehalten werden, als auch die Erscheinung, sofern sie ein zusammengesetzte Anschauungsbild ist (und nur als solches kann sie Objekt heißen), nur durch die Kategorien möglich ist. Kuno Fischer selbst sagt Seite 370 vom Wahrnehmungsobjekt oder der sinnlichen Erscheinung, es sei durch eine notwendige Verknüpfung des in der Empfindung gegebenen Mannigfaltigen gebildet: notwendige Verknüpfung ist aber doch nicht Sache der rezeptiven Sinnlichkeit, sondern einer Spontaneität (hier Einbildungskraft), welche nach den Kategorien verfährt. 52) Genauer vielleicht zu sagen: Das Zusammenfließen verschiedener Bilder desselben Gegenstandes,m so daß die Umrisse der einzelnen dabei sich verwischen, gibt das Schema. 53) vgl. besonders das Seite 152 über die synthesis speciosa Gesagte. 54) Wie es Seite 154 heißt, die gerade Linie ist die äußerliche figürliche Vorstellung der Zeit. |