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Kant und das Ding ansich [4/4]
Vierter Abschnitt Dinge ansich und Kategorien [Fortsetzung] 15. Man muß sich bei diesen Darlegungen die wichtige, aber bisher nicht genügend beachtete Tatsache vor Augen halten, daß das Wort Kategorie bei KANT eine doppelte Bedeutung hat. Einmal stellt es den begrifflichen Ausdruck für die synthetischen Funktionen unserer transzendentalen Apperzeptionseinheit dar, vermöge deren wir das Wahrnehmungsmaterial verknüpfen, vereinheitlichen und zu Gegenständen formen; andererseits geht es auf die Resultate dieser Tätigkeit: die durch sie geschaffenen oder gesetzten allgemeinsten Eigenschaften, Verbindungen und Verhältnisse in den Dingen, wie die Einheit, Vielheit, Größe der Gegenstände, ihre Kausalbeziehungen, die Wechselwirkung zwischen ihnen usw. Dort, wo es sich nur um Funktionen und Tätigkeiten handelt, kann von einer Verwendung der Kategorien naturgemäß nur dann die Rede sein, wenn ein sinnliches Anschauungsmaterial vorliegt, an dem beide ausgeübt werden können. Anders im zweiten Fall: da steht der Annahme nichts Entscheidendes im Weg, daß jene allgemeinsten Eigenschaften, Verbindungen und Verhältnisse, in denen wir die Gegenstände der Erscheinungswelt allein denken und begreifen können, wenn sie nur von allen sinnlichen Zutaten (allem auf Raum und Zeit Bezüglichen) gereinigt werden, auch zugleich die Seinsweisen und Beschaffenheiten der Dinge, wie sie ansich sind, bezeichnen. Bei dieser 2. Bedeutung braucht man sogar nicht einmal auf die synthetischen Funktionen zurückgreifen. KANT selbst betrachtet ja, wo er sich zu ihr bekennt, die Kategorien als reine a priori gegebene Begriffe, die
Wir selbst können uns zwar, der Organisation unseres Erkenntnisvermögens entsprechend, eines Zusammengesetzten nur aufgrund einer Zusammensetzung, einer vereinheitlichenden Synthesis bewußt werden, also aufgrund einer Tätigkeit, die gemäß den synthetischen Funktionen unseres Bewußtseins erfolgt. Nichts hindert aber, daß die reinen Begriffe, auf die wir die Resultate dieser Tätigkeiten bringen, zugleich die Beschaffenheiten des ansich Seienden darstellen und also für jede Art begrifflicher Erkenntnis und auch für jede Art des Seins gültig sind. Bei den sinnlichen Anschauungsformen Raum und Zeit wird eine solche Gültigkeit für das ansich Seiende durch die Antinomien ausgeschlossen. Bei den reinen Verstandesbegriffen fehlt ein entsprechender Widerstreit; es fällt damit bei ihnen auch jedes Motiv fort, ihr Beschränktsein auf die Erscheinungen anzunehmen, da sie ja "gänzlich vom reinen Verstand entsprungen" und also ihrem "Ursprung nach von allen sinnlichen Bedingungen unabhängig sind (Werke V, 55). Und bei der Art, wie KANT zahlreichen Aussprüchen zufolge in den Erscheinungen das Transzendente unmittelbar erlebte, mußte er die Übertragung der reinen Verstandesbegriffe auch auf die Dinge-ansich als erlaubt, ja als eine Selbstverständlichkeit betrachten, immer freilich mit dem Zusatz, daß dadurch mangels jeglicher Anschauung keinerlei theoretische Erkenntnis erzielt wird. Das hat dann seinen Standpunkt auch immer noch zur Genüge von dem des alten transzendenten Rationalismus unterschieden, wie auch vom eigenen der Inauguraldissertation vom Jahr 1770. Auf die Frage, wie denn die Übereinstimmung zwischen den reinen Verstandesbegriffen und den Dingen-ansich zu erklären ist, würde er vermutlich geantwortet haben: man dürfe sich die letzteren (auch die den materiellen Gegenständen der unbelebten Natur entsprechenden) geistig, nach Art von Monaden (wenn auch vielleicht nicht gerade nach denen des LEIBNIZ!) vorstellen, unser Geist muß also als dem ansich Seienden innig verwandt gedacht werden, und da ist es nicht so über alle Maßen wunderbar, wenn seine Organisation ihn in den Stand setzt, in seinen Gedanken die allgemeine Organisation des Reiches der Dinge-ansich begrifflich richtig wiederzugeben, wenn sein Denken, zumindet so weit die allgemeinsten Begriffe in Betracht kommen, und das Sein jener sich in Übereinstimmung befinden. Und schließtlich, als letztes Erklärungsprinzip, würde er wahrscheinlich die gemeinsame Abhängigkeit beider Faktoren (des Vorstellenden und des Vorgestellten) von einem ens realissimum [allerrealstes Sein - wp] geltend gemacht werden. Da nicht ein konkretes Erkennen, sondern nur ein ganz unbestimmtes Denken der allgemeinsten Verhältnisse des ansich Seienden in Frage kommt, mochte seine starke realistische Tendenz ihm die entgegenstehenden Bedenken gering erscheinen lassen. Der in Kr. d. r. V. B 167f gegen ein solches "Präformationssystem der reinen Vernunft" als entscheidend geltend gemachte Einwand: daß dann von Notwendigkeit der Erkenntnisse (des Kausalgesetzes usw.) keine Rede sein kann, fällt hier, wo es sich nicht um die wissenschaftliche Erkenntnis von Erscheinungen, ja überhaupt nicht um wirkliche Erkenntnisse handelt, auf jeden Fall weg. Auf der anderen Seite hat KANT nie bezweifelt, daß der Satz des Widerspruchs unbeschränkte Gültigkeit, auch für die Dinge-ansich hat (Kr. d. r. V. B 348, Werke VIII 193); da mochte und mußte sich ihm die Frage aufdrängen, ob nicht, was vom obersten formalen Grundsatz allen Denkens gilt, auch von seinen allgemeinsten reinen materiellen Begriffen, den Kategorien, behauptet werden darf: daß nämlich ohne sie nicht nur kein Denken, sondern auch überhaupt kein Sein, auch nicht das der Dinge-ansich, möglich ist. War die Frage einmal aufgeworfen, so mußte die ganze Art, wie er die Erscheinungen und in ihnen das Transzendente erlebt, ihn gebieterisch drängen, sie zu bejahen. Denn die transsubjektive Existenz von Dingen-ansich war ihm ja über allen Zweifel erhaben, war ihm persönlich gerade so gewiß, wie das Dasein der Erscheinungen; wie sollte man sich aber die Dinge-ansich auch nur denken und, sei es auch noch so unbestimmt, vorstellen, wenn nicht mittels der Kategorien?! Stellung und Beantwortung der Frage konnten also für KANT nur die Bedeutung haben, daß sich ihm halb instinktives Tun in die Sphäre des vollbewußten erhoben hat. Die Betrachtungen dieses § 15 sollten nicht etwa eine neue Interpretationsweise KANTs einführen, sondern nur das Faktum zum Bewußtsein bringen, daß KANT tatsächlich das Wort Kategorie in zwei ganz verschiedenen Bedeutungen gebraucht und die Kategorien im zweiten Sinn nach Ausweis zahlreicher Stellen ohne jeden Gewissensskrupel auch auf die Dinge-ansich anwendet. Und diese Übertragung der Kategorien auch auf das ansich Seiende, um es (zwar nicht um es zu erkennen, aber doch) zumindest denken zu können, darf nicht etwa als ein bloß nachträglicher Zusatz, um die Moraltheologie zu ermöglichen, oder gar als eine mit den Grundlinien des Systems in Widerspruch stehende Inkonsequenz betrachtet werden, sondern ist vielmehr nichts als der natürliche Ausfluß der starken realistischen Tendenz KANTs und die notwendige Konsequenz seiner festen Überzeugung von der zweifellosen Existenz wirklicher Dinge-ansich. Es stehen sich bei ihm eben von vornherein zwei Tendenzen gegenüber und miteinander in Streit. Die eine zieht ihre Kraft vor allem aus dem starken Gegensatz gegen die alte transzendente Metaphysik und drängt dahin, der Wissenschaft (theoretischen Erkenntnis) eine feste Grenze zu setzen. Die andere schöpft unversiegliche Kraft aus KANTs realistischem Erleben und durchbricht jene Grenze, um die als unbezweifelbar gewiß vorausgesetzten Dinge-ansich wenigstens denken zu können. Diese zwei gleich ursprünglichen Tendenzen sind beide wesentliche Grundlagen für KANTs System. Keine von ihnen darf zugunsten der anderen ausgeschaltet werden, ohne die historische Treue zu verletzen und den Charakter des Systems von Grund auf zu verändern. 16. Diese Auffassung wird durch die Tatsache gestützt, daß auch schon Kr. d. r. V. A und die Prolegomena jene Anwendung der Kategorien auf Dinge-ansich vornehmen und als vollkommen berechtigt anerkennen. Auch schon in Kr. d. r. V. A spielt der Gegensatz zwischen Denken und Erkennen eine Rolle, nur daß er noch nicht so offiziell zur Grundlage der Moraltheologie und ihres Anspruchs auf Benutzung der Kategorien im Reich des Übersinnlichen gemacht wird. Zum Beweis stellt ich zunächst einige Äußerungen KANTs zusammen, die sich schon oder nur in Kr. d. r. V. A finden. Nach Kr. d. r. V. B 194f muß,
Auch in dem vielberufenen Abschnitt über die Phaenomena und Noumena (21) wird schon in Kr. d. r. V. A der Unterschied zwischen Denken und Erkennen wiederholt nutzbar gemacht. So Kr. d. r. V. A 245: Reine Kategorien (ohne Schemata) sind
Kr. d. r. V. A 252: "Hieraus entspringt nun der Begriff von einem Noumenon, der aber gar nicht positiv ist und eine bestimmte Erkenntnis von irgendeinem Ding, sondern nur das Denken von Etwas überhaupt bedeutet, bei welchem ich von aller Form der sinnlichen Anschauung abstrahiere." Kr. d. r. V. A 253f; B 309: "Lasse ich [aus einer empirischen Erkenntnis] alle Anschauung weg, so bleibt doch noch die Form des Denkens, d. h. die Art, dem Mannigfaltigen einer möglichen Anschauung einen Gegenstand zu bestimmen. Daher erstrecken sich die Kategorien sofern weiter als die sinnliche Anschauung, weil sie Objekt überhaupt denken, ohne noch auf die besondere Art (der Sinnlichkeit) zu sehen, in der sie gegeben werden mögen. Sie bestimmen aber dadurch nicht eine größere Sphäre von Gegenständen [für die Erkenntnis], weil, daß solche [als Noumena im positiven Sinn] gegeben [nicht nur gedacht!] werden können, man nicht annehmen kann, ohne daß man eine andere als sinnliche Art der Anschauung als möglich voraussetzt, wozu wir aber keineswegs berechtigt sind."
Auf diesen Gegensatz zwischen dem Erkennen durch bestimmte Begriffe und dem bloßen Denken in Kategorien lenkt KANT in den §§ 57-60 ("Von der Grenzbestimmung der reinen Vernunft" immer wieder die Aufmerksamkeit als auf den entscheidenden Punkt. § 57 erklärt es gleich zu Anfang für ungereimt, wenn wir mit Bezug auf irgendein Ding außerhalb des Umkreises möglicher Erfahrung
Um diese Ausführungen ganz zu verstehen, muß man sie zu der "Disziplin der reinen Vernunft in Anbetracht der Hypothesen" (Kr. d. r. V. B 797) in eine enge Beziehung setzen. Nach diesem Abschnitt sind im spekulativen (dogmatischen) Gebrauch der Vernunft Hypothesen auf das Strengste auszuschließen, vor allem dürfen auch nicht Vernunftideen in Form transzendentaler Hypothesen zur Erklärung gegebener Erscheinungen herangezogen werden. Anders im polemischen Gebrauch der Vernunft, wenn es nur gilt, die Scheineinsichten des Gegners zu vereiteln, die einem von uns behaupteten Satz Abbruch tun sollen. Da kann er nur mit dogmatischen Einwänden und Verneinungen kommen, die sich auf kein Besserwissen stützen können, da er hinsichtlich des Transzendenten ebensowenig über irgendein theoretisches Wissen verfügt als wir selbst. Vor allem dann, wenn praktisch notwendige, aber theoretisch nicht beweisbare Voraussetzungen mit Bezug auf das Übersinnliche gemacht werden müssen, ist der Behauptende und (vom praktischen Standpunkt aus) Besitzende dem verneinenden Gegner gegenüber stets im Vorteil und darf sich gegen des letzteren transzendente Angriff auch transzendentaler (= transzendenter) Hypothesen zur Verteidigung bedienen. Aber auch darüber hinaus haben, wie die Zusammenfassung am Schluß des Abschnitts (Kr. d. r. V. B 809f) versichert, transzendentale Hypothese ganz allgemein Gültigkeit "relativ auf entgegengesetzte transzendente Anmaßungen"; sie sind dann
Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß, um solche zur Verteidigung erlaubte Hypothesen auch nur aufstellen und erörtern zu können, es möglich und gestattet sein muß, die Dinge-ansich zumindest zu denken, und zwar auch durch Kategorien zu denken (26). Jede bestimmte Erkenntnis aber bleibt ausgeschlossen; wäre sie irgendwie erreichbar, dann müßte ja zwischen den dogmatischen Behauptungen der angreifenden Gegner und den verteidigenden Hypothesen eine endgültige theoretische Entscheidung getroffen werden können, denn "die von aller Erfahrung abgesonderte Vernunft kann alles nur a priori und als notwendig oder gar nicht erkennen (Kr. d. r. V. B, 803, ähnlich 809). Alles angebliche "Wissen" und "Kennen" von transzendentalen Dingen, alle "Einsicht" in sie weist KANT deshalb auch in diesen Zusammenhängen sehr energisch zurück, so Kr. d. r. V B 804, 805, 808; A 360, 388, 389 , 391, 393-395). Andererseits will er, wenn er einschärft, daß Materie nur Erscheinung, d. h. bloße Vorstellung des Gemüts ist, der ein unbekannter Gegenstand entspricht (Kr. d. r. V. A 391), daß vom unbekannten Gegenstand ansich unserer Sinnlichkeit niemand ausmachen kann, was er tun oder nicht tun kann (Kr. d. r. V. A 392), daß die Körper nicht Gegenstände ansich sind, sondern eine bloße Erscheinung, wer weiß, welches unbekannten Gegenstandes (Kr. d. r. V. A 387), daß
Auf die letztzitierte Stelle folgen die Worte:
Durch § 16 ist erwiesen, daß auch schon Kr. d. r. V. A und die Prolegomena an vielen Stellen dieselbe Ansicht wie Kr. d. r. V. B und die Kritik der praktischen Vernunft vertreten: daß die Kategorien als reine Begriffe auf alle Objekte, einerlei ob Phaenomena oder Noumena, anwendbar sind, um sie unbestimmt zu denken, ohne daß sich dadurch aber auch nur die mindeste Aussicht auf eine bestimmte theoretische Erkenntnis eröffnet. Was die letztere ausschließt, ist nur der Mangel an Anschauung (27). Nicht also in den Kategorien selbst und ihrer positiven Eigenart liegt ein Hindernis, das sich der Erkennbarkeit der Dinge-ansich durch sie entgegenstellt - wie es der Fall sein müßte, wenn sie nur als Begriffe von synthetischen Funktionen in Betracht kommen würden. Der allein entscheidende Punkt ist vielmehr der, daß die Kategorien Begriffe sind und daß kein Begriff für sich allein, ohne Verbindung mit einer Anschauung, jemals zu Erkenntnissen, d. h. zu bestimmten, konkreten, auf wirkliche Objekte bezogenen Vorstellungen, führen kann. 17. Auf den Begriff des unbestimmten Denkens und Vorstellens auch über die Grenze der Erscheinungswelt hinaus kommt KANT immer wieder zurück. Mit Recht, denn er bedarf seiner dringend. Ohne ihn wäre die unbewiesene Prämisse von der Selbstverständlichkeit der Existenz wirkender Dinge-ansich, die seinem System zugrunde liegt, in sich unmöglich: die Dinge-ansich dürften nicht einmal durch die Kategorien Vielheit, Dasein, Kausalität usw. gedacht werden, geschweige denn daß sie als viele wirklich existieren und Kausalität besitzen könnten. Ich gebe noch einige Nachweise. Nach Kr. d. r. V. B XXVIII kann ich mir die Freiheit zwar denken, aber nicht "als Eigenschaft eines Wesens, dem ich Wirkungen in der Sinnenwelt zuschreibe, erkennen, darum weil ich ein solches seiner Existenz nach, und doch nicht in der Zeit, bestimmt erkennen müßte (welches, weil ich meinem Begriff keine Anschauung unterlegen kann, unmöglich ist)". Kr. d. r. V. B 150 beginnt § 24 mit den Worten:
18. In "Fortschritte der Metaphysik", Seite 111/112 geht KANT so weit, daß er die Kategorien als maßgebende "Denkformen für den Begriff von einem Gegenstand der Anschauung überhaupt" betrachtet,
An anderen Stellen denkt KANT anders und beschränkt die Kategorien auf Gegenstände der sinnlichen Anschauung, sie mag der unsrigen ähnlich sein oder nicht, wenn sie nur nicht intellektuell ist (Kr. d. r. V. B 148, 150, 342). Für einen Verstand, der selbst anschaut (wie man sich etwa den göttlichen denkt, der sich nicht gegebene Gegenstände vorstellt, sondern durch dessen Vorstellung die Gegenstände selbst zugleich gegeben oder hervorgebracht werden (31)), würden die Kategorien gar keine Bedeutung haben;
Damit will KANT sicher nicht sagen, daß den etwaigen Gegenständen einer solchen intellektuellen Anschauung Existenz, Einheit, Vielheit, wechselseitige Beziehung bzw. Abhängigkeit usw. gar nicht zukommt - dann wären sie ja überhaupt nicht, nicht einmal als mögliche, denkbar -; sondern er betont in den angeführten Stellen an den Kategorien vor allem ihren funktionalen Charakter (34): daß sie die unserem Geist eigentümlichen Arten synthetischer Vereinheitlichung sind, und dann ist es freilich nur selbstverständlich, daß ein anschauender Verstand sich ihrer schlechterdings nicht bedienen kann. Denn als Funktionen können die Kategoiren sich nur im Zusammensetzen des Anschauungsmaterials betätigen (vgl. den Brief an Tieftrunk vom 11. 12. 1779 in Werke XII, Seite 221-223); jener Verstand aber bedarf bei seinem intellektuellen Anschauen nicht erst der Zusammensetzung eines zunächst vereinzelt gegebenen Materials. Sondern was beim Menschen getrennt wirkt: Verstand und Sinnlichkeit, ist bei ihm auf höherer Stufe eins; er schaut also ohne weiteres das Zusammengesetzte und die Vielheit als fertige Einheit, ohne erst die letztere aus der Vereinzelung hervorwachsen zu lassen. Darin liegt, daß auch für ihn dieselben allgemeinsten Seinsweisen der Dinge (hier: der Dinge-ansich) vorhanden sein werden, ja vorhanden sein müssen, weil eben Dinge gar nicht anders sein können. Aber er bedarf nicht erst unserer Verstandesfunktionen der Synthesis, um zur Erkenntnis jener Seinsweisen zu kommen, er erkennt die letzteren vielmehr unmittelbar. Auch noch ein weiterer Gedanke schwebte KANT vermutlich vor - und Kr. d. r. V. B 311f bringt er ihn auch zum Ausdruck -: daß bei intellektueller Anschauung von einem abstrakten Denken durch Begriffe und also auch von Kategorien überhaupt nicht die Rede sein kann, daß da vielmehr in für uns unvorstellbarer Weise alles nur angeschaut wird, also auch jene allgemeinsten Seinsweisen, die in den Kategorien als reinen Verstandesbegriffen gemeint sind. Vorhanden sein würden sie also auch für den anschauenden Verstand, nur würden sie nicht abstrakt-begrifflich in Form von Kategorien aufgefaßt werden, sondern konkret-anschaulich in einer für uns unbegreiflichen Weise. ![]()
21) Vgl. auch Kants Nachtrag zu seinem Anfang: "Wir können Noumena nur denken, aber nicht erkennen" (Benno Erdmann, Nachträge zu Kants Kr. d. r. V., 1881, Seite 38). 22) Einige Zeilen vorher (Werke IV 316) heißt es, daß durch die Kategorien außerhalb des Feldes der Erfahrung gar nichts gedacht werden kann. Nach "nichts" müßte dem Folgenden gemäß ergänzt werden: "Bestimmtes, konkret Darstellbares"; noch klarer wäre, wenn "gedacht" durch "erkannt" ersetzt würde. Daß Kant sich in § 34 wiederholt so starker Ausdrücke bedient, liegt daran, daß die Betrachtung der Kategorien im Sinne von bloßen synthetischen Funktionen sich einmischt. Daß er im Übrigen in den Prolegomena weit davon entfernt ist, das unbestimmte Denken der Noumena durch die reinen Kategorien für unmöglich erklären zu wollen, zeigen die Nachweise auf den folgenden Seiten zur Genüge. 23) Vgl. Werke IV 351. - Die nicht einzusehende Möglichkeit, von der IV 352 redet, ist die reale Möglichkeit (vgl. Kr. d. r. V. B XXVI) und dasselbe, was IV 352 nicht darzutuende objektive Realität heißt. In beiden Fällen handelt es sich um den (nicht erbringbaren) wissenschaftlichen, theoretischen Nachweis, daß den betreffenden Vernunftbegriffen (Seele und Gott) korrespondierende Noumena wirklich existieren, und um die (unmögliche) konkrete Erkenntnis ihres Wesens durch bestimmte, anschauliche darstellbare Begriffe. 24) Vgl. Werke IV 360f, wonach das Feld der reinen Verstandeswesen für uns ein leerer Raum ist, sofern es auf die Bestimmung ihrer Natur ankommt; darum gehören wir, wenn es auf "dogmatisch-bestimmte Begriffe" abgesehen ist, nicht über das Feld möglicher Erfahrung hinauskommen. Aber auch hier wird stark unterstrichen, daß die Grenze etwas Positives ist, das sowohl zu dem innerhalb als zu dem außerhalb gelegenen Raum gehört, und daß demgemäß auch das bloße Vordringen bis zu dieser Grenze eine wirklich positive Erkenntnis bedeutet, weil es der Vernunft ein jenseits der Grenze real Existierendes verbürgt, was ihr aber im Übrigen unbekannt bleibt. Wenn Kant ebendort (IV 361) behauptet, die Vernunft finde jenseits der Grenze einen leeren Raum vor sich, in welchem sie zwar Formen zu Dingen, aber keine Dinge selbst denken kann, so sind mit diesen Dingen konkrete, anschaulich gegebene gemeint, und es muß nach "selbst" aus dem vorhergehenden Satz "durch dogmatisch-bestimmte Begriffe" (IV 361) ergänzt werden; das unbestimmte Denken durch reine Kategorien will Kant auch hier nicht leugnen, es ist vielmehr in den Worten "Formen zu Dingen denken" enthalten. 25) Gemeint sind gemäß Kr. d. r. V. A 373 "äußerliche Gegenstände im transzendentalen [= transzendenten] Sinn", d. h. Dinge-ansich. 26) So spricht Kr. d. r. V. A 391 von der "transzendentalen Ursache unserer Vorstellungen äußerer Sinne". Ähnlich 392. Nach 393 kann man die Lücke unseres Wissens, die in der Unbeantwortbarkeit der Frage: wie in einem denkenden Subjekt überhaupt äußere Anschauung möglich ist, besteht, "niemals ausfüllen, sondern nur dadurch bezeichnen, daß man die äußeren Erscheinungen einem transzendentalen Gegenstand zuschreibt, welcher die Ursache dieser Art Vorstellungen ist, den wir [also wohl denken können] aber gar nicht kennen, noch jemals einen [bestimmten, zur Erkenntnis zureichenden] Begriff von ihm bekommen werden." 27) Das tritt auch Kr. d. r. V. B 288, 300-302, 333f klar hervor. Seite 300: Nimmt man bei den Kategorien die Bedingung der Sinnlichkeit weg, so fällt alle Bedeutung d. h. Beziehung aufs Objekt fort, und man kann sich selbst durch kein Beispiel faßlich machen, was unter dergleichen Begriffen denn eigentlich für ein Ding gemeint ist. Seite 302: Die Kategorien "lassen sich durch nichts belegen und dadurch ihre reale Möglichkeit dartun, wenn alle sinnliche Anschauung (die einzige, die wir haben) weggenommen wir, und es bleibt dann nur noch die logische Möglichkeit übrig, d. h. daß der Begriff (Gedanke) möglich ist, wovon aber nicht die Rede ist, sondern ob er sich auf ein Objekt bezieht und also irgendetwas bedeutet." 28) Ähnlich ist die Kr. d. r. V. B 569 gebrauchte Wendung, daß wir vom intelligiblen Charakter "nichts als bloß den allgemeinen Begriff desselben haben können". 29) Ebenso in der weiter oben Anmerkung 20 zitierten Stelle aus dem Brief an Beck. 30) Im folgenden Satz nimmt Kant freilich das hier Gesagte halbwegs zurück und scheint zwar an andersartige Anschauungen, als die unsere, aber doch immerhin nur an sinnliche zu denken. 31) Kr. d. r. V. B 138: "durch dessen Selbstbewußtsein zugleich das Mannigfaltige der Anschauung gegeben würde." 32) Nach Kr. d. r. V. B 139 würde ein intuitiver Verstand "einen besonderen Aktus der Synthesis des Mannigfaltigen zur Einheit des Bewußtseins nicht bedürfen". 33) Nach Kr. d. r. V. B 308 müßten wir dementsprechend, wenn wir die Kategorien auf Gegenstände, die nicht als Erscheinungen betrachtet werden, anwenden wollten, eine andere Anschauung als die sinnliche zugrunde legen. 34) Kr. d. r. V. B 342 heißt es geradezu: für eine intellektuelle Anschauung würden unsere Funktionen zu denken von gar keiner Bedeutung sein. |