p-4 J. BergmannJ. RehmkeE. Bullatyvon BechterewA. Drews     
 
JULIUS PIKLER
Die Stelle des Bewußtseins
in der Natur


"Ist das Denken zu einem Ergebnis gelangt, ist eine Entscheidung zwischen den gegensätzlichen Möglichkeiten getroffen, ist die betreffende physische Tendenz frei, so hört das auf die betreffende Frage bezügliche Bewußtsein auf, das Geschehen wird rein physisch, es wird zum Handeln. Und hat sich das Denkergebnis in uns festgesetzt, so denken wir in ähnlichen Fällen nicht mehr, die objektive Tendenz wird sofort frei, das Handeln wird automatisch, rein physisch. Ebenso fällt uns das Gewohnte nicht auf, es bleibt unwahrgenommen, oder kaum wahrgenommen, weil es keinen Widerstand ausübt, weil die gegensätzliche Tendenz schon beseitigt ist."

"Die Wahrnehmung ist eine Augenblickstatsache; kaum war sie da, so ist sie schon Erinnerung, sie bedeutet augenblicklichen Widerstand gegen eine bleibende Tendenz."

I. Ein im Wahrnehmungsfeld befindlicher Gegenstand wird nicht wahrgenommen, wenn nicht früher einmal ein zu ihm gegensätzlicher Gegenstand im Wahrnehmungsfeld vorhanden war. (1) Es bestimmt jedoch das Dasein jenes ersteren Gegenstandes unzweifelhaft ein objektives, physisches Geschehnis im Körper des Subjekts.

Ein solcher Gegenstand hinterläßt auch keine Erinnerung und auch keine (Phantasie-)Vorstellung. Unzweifelhaft hinterläßt er dennoch ein Objektives im Körper des Subjekts, welches, nachdem später einmal ein gegensätzlicher Gegenstand im Wahrnehmungsfeld aufgetreten war, der Erinnerung und der Vorstellung jenes ersteren Gegenstandes zugrunde liegt.

Tritt ein zu einem bisher unwidersprochenen und daher nicht wahrgenommenen und nicht bekannten Gegenstand gegensätzlicher Gegenstand auf, so wird dieser letztere wahrgenommen, oder er kann zumindest wahrgenommen werden. Das dem Dasein des letzteren Gegenstandes entsprechende objektive, physische Geschehnis und der objektive, physische Nachlaß des früheren gegensätzlichen Geschehnisses ergeben  zusammen  eine Wahrnehmung jenes Gegenstandes. Es zeigt sich nämlich die Tendenz zur Wahrnehmung, daß der frühere Gegenstand auch jetzt da sei, welche zurückgewiesen wird, und als Gegensatz wird der gegenwärtige Gegenstand wahrgenommen. Der objektive Nachlaß des Daseins eines Gegenstandes ist eine objektive, physische Tendenz zur Wiederholung des jenem Dasein entsprechenden objektiven, physischen Geschehnisses; eine (gegensätzliche) Wahrnehmung entsteht, indem jede objektive, physische Tendenz auf einen siegreichen, objektiven, physischen Widerstand stößt und ein abweichendes objektives, physisches Geschehnis zustandekommt. (2)  Der rein-objektive physische Widerstand gegen eine rein-objektive, physische Wiederholungstendenz ergibt eine Bewußtseinstatsache, eine Wahrnehmung;  aus rein-objektiven, physischen Elementen,  ensteht  Bewußtsein. Biologisch gesprochen: indem statt einer reinen Wiederholung (reiner Vermehrung?) eine Abänderung (Entwicklung) stattfindet. (3) Und besitzt man eine meines Erachtens richtige - heute allerdings nicht anerkannte - Psychologie  der Wahrnehmung, hält man - was heute allerdings gewöhnlich nicht geschieht - vor Augen, daß alle Wahrnehmung gegensätzlich ist, so kann man die Wahrnehmung nicht anders, als aus objektiven, physischen Elementen entstehend beschreiben. Denn bevor der Gegensatz auftritt, sind die Glieder, zwischen denen der Gegensatz auftritt - die zurückgelassene Tendenz sowie die neue Einwirkung - rein objektiv, physisch. Jenes Entstehen des Bewußtseins aus Rein-Objektivem bedeutet aber nicht, daß physische Energie verschwinden und statt deren ein Bewußtsein auftreten würde; die physische Energie bleibt dabei ein geschlossenes Ganzes, sie bleibt unveränderlich dasselbe Quantum physischer Energie; jenes Bewußtsein bedeutet nur einen Widerstand gegen eine gewisse Umwandlung von physischer Energie und ein abweichendes physisches Geschehen. (4)

Bedeutet die Wahrnehmung im allgemeinen einen siegreichen, objektiven, physischen Widerstand gegen eine im Subjekt vorhandene objektive, physische Wiederholungstendenz, so  bedeutet speziell das Wiedererkennen,  das wiedererkennende Wahrnehmen,  dies und dabei auch die Erfüllung einer gleichfalls im Subjekt schon vorhandenen gegensätzlichen Wiederholungstendenz.  Denn das Wiedererkennen setzt das Bewußtsein gegensätzlicher Möglichkeiten, das Dasein gegensätzlicher Wiederholungstendenzen voraus.

Die von gegensätzlichen Gegenständen hinterlassenen objektiven Wiederholungstendenzen zeigen sich aber im Bewußtsein nicht nur in der Wahrnehmung, indem sie augenblicklich erfüllt oder vereitelt werden. Mögen sie für den Augenblick erfüllt oder vereitelt und dadurch - wie wir sehen werden - bleibend verstärkt oder abgeschwächt werden, sie sind dabei bleibende Tendenzen. Und  diese bleibenden Tendenzen zeigen sich als Überzeugungen von gegensätzlichen Möglichkeiten außerhalb des Wahrnehmungsfeldes,  für alle Zeiten und Orte, für welche keine Tendenz gegenüber den gegensätzlichen in der Wahrnehmung oder Erinnerung siegreich ist,  und so auch als Erwartungen gegensätzlicher Möglichkeiten  für die Zukunft.

Wenn in Bezug auf einen im Wahrnehmungsfeld schon aufgetretenen Gegenstand ein gegensätzlicher Gegenstand im Wahrnehmungsfeld noch nicht vorhanden war, so üben gegen die vom ersteren Gegenstand zurückgelassene Wiederholungstendenz nur die gegensätzlichen äußeren Kräfte der Umgebung und die gegensätzlichen ursprünglichen (nicht von stattgefundenen Geschehnissen stammenden) inneren Kräfte einen siegreichen Widerstand aus. Dem siegreichen Widerstand der ersteren Kräfte entsprechen normal die äußeren Wahrnehmungen; die letzteren Kräfte bewirken, bloßen Wiederholungstendenzen zum Trotz, normal den jeweiligen Bedürfnissen, d. h. eben dem Sinn der inneren Kräfte entsprechende, die rascheste Umwandlung der inneren Energien bedeutende, wahrnehmbare Tätigkeiten. Doch in abnormen Fällen entstehen diesen inneren Kräften entsprechende angenehme äußere Täuschungen und verhindern die äußeren Kräfte die normalerweise vonstatten gehende Tätigkeit. Und in anderen abnormen Fällen siegen die Wiederholungstendenzen in der Form äußerer Täuschungen und zweckwidriger oder zweckloser, bloß gewohnheitsmäßiger Tätigkeit.

Ist in Bezug auf einen im Wahrnehmungsfeld dagewesenen Gegenstand ein gegensätzlicher Gegenstand schon aufgetreten, so üben auch die von diesen Gegenständen zurückgelassenen zueinander gegensätzlichen Wiederholungstendenzen gegeneinander einen Widerstand aus. Dies wurde schon angedeutet, indem gesagt wurde, daß sie Möglichkeitsüberzeugungen für Zeiten und Orte außerhalb des Wahrnehmungs- (und Erinnerungs-)feldes ergeben. Sie konkurrieren miteinander auch im Bewirken von Gewohnheitstäuschungen und Gewohnheitstätigkeiten. Sie unterstützen auch die ihnen gleichsinnigen äußeren und inneren Kräfte gegenüber den gegensätzlichen Wiederholungstendenzen. (5) Die von mehreren Erlebnissen desselben Gegenstandes summieren sich in dieser Konkurrenz, und die relative Häufigkeit bestimmt den Sieg, in Bezug auf die Möglichkeitsüberzeugungen in dem Sinne, daß der häufiger erlebte Gegenstand mit größerer Wahrscheinlichkeit angenommen (speziell auch erwartet) wird. Hierbei ist die Tatsache von unübertroffener Wichtigkeit, daß Erlebnisse von bestimmten Gegenständen in bestimmten zeitlich-räumlichen Verhältnissen zusammengesetzte Wiederholungstendenzen hinterlassen: wurde in einem gewissen zeitlich-räumlichen Verhältnis mit dem Gegenstand  A  nur der Gegenstand  B,  nie der Gegenstand Nicht- erlebt, dieser also nur mit Nicht-A,  so entstehen die zueinander gegensätzlichen zusammengesetzten Tendenzen zur Wiederholung von  A-mit-B  und von Nicht-A-mit-Nicht-B,  und es existiert (und wirkt) keine Tendenz zur Wiederholung von  B  bzw. nicht- außerhalb den betreffenden Zusammensetzungen. Wird die Tendenz zur Wiederholung von  A  erfüllt, d. h. wird  A  wiedererkennungsmäßig wahrgenommen, so wird schon hierdurch auch die mit ihr zusammengesetzte Tendenz zur Wiederholung von  B  in jenem zeitlich-räumlichen Verhältnis zwar nicht erfüllt, aber widerstandslos, frei; die Tendenz zur Wiederholung von Nicht- in jenem zeitlich-räumlichen Verhältnis wird zusammen mit  Nicht-A  besiegt,  B  wird mit Gewißheit vorausgesetzt, eventuell erwartet. Die Tendenz zur Wiederholung von  B  wird nicht erfüllt, sie wird aber frei. Denn der vergangene oder zukünftige Ablauf der betreffenden Zeit wird mit Gewißheit angenommen; die der Vorstellung des Fließens der Zeit entsprechende Tendenz ist nämlich eine stets siegreiche gegenüber der Tendenz, welcher die Vorstellung des Beharrens des Augenblickes entspricht; und auch das Dasein des betreffenden Ortes ist gewiß, es bedeutet gleichfalls eine im Prinzip unbedingte Bewegungsmöglichkeit. In Bezug auf die Erfüllung der Tendenz zur Wiederholung von  B  gibt es nunmehr bloß Antezedenzien [Vorhergehendes - wp], keine Widerstände (6) Die Anerkennung der Folge einer erfüllten Bedingung,  das Festlegen eines Ergebnisses mittels Denkens  in Form eines Gewißheitsurteils anstelle des früheren Möglichkeitsurteils,  bedeutet daher die Freimachung einer objektiven, physischen Wiederholungstendenz im Körper des Subjekts von einer gegensätzlichen objektiven, physischen Wiederholungstendenz. (7) (8)

Erkennen wir die Erfüllung einer Bedingung bis auf eine Teilbedingung, von welcher wir aber wissen, daß sie eine Tätigkeit ist, die in unserer Macht steht, der kein äußerer Umstand siegreich widersteht, so wissen wir, daß die Erfüllung der Folge nur von uns abhängt. Auch dieses Bewußtsein bedeutet die Freiheit einer objektiven, physischen Wiederholungstendenz, der Tendenz nicht nur zur Wiederholung der Tätigkeit, sondern auch der Folge. Wir wissen zwar in diesem Fall, daß auch eine gegensätzliche Tätigkeit in unserer Macht steht; auch die Tendenz zur Erfüllung einer gegensätzlichen Folgetendenz ist frei. Es existiert der Widerstand der Tendenzen gegeneinander, aber nur dieser. Dieser Widerstand wird für eine Tendenz aufgehoben, in Bezug auf diesen Widerstand wird die eine Tendenz erfüllt, wenn wir eine der gegensätzlichen Tätigkeiten ausführen. Und wir führen stets jene Tätigkeit aus, mit welcher die mit dem größten Wohlgefühl verbundene Erwartung verknüpft ist. Dies heißt, diejenige der zueinander gegensätzlichen, sonst freien objektiven Tendenzen geht in Erfüllung, deren Erfüllung mit dem geschwindesten Energieumsatz, mit der in der Zeiteinheit größten Arbeitsabgabe verbunden ist (9). Dieses Handeln setzt aber das Bewußtsein voraus, daß die Erreichung jener Folge nur von uns abhängt, sonst aber ganz gesichert ist, denn sonst würden wir nicht jene Erwartung hegen, es wäre also auch nicht das Übergewicht des Wohlgefühls, das Übergewicht der Arbeit vorhanden. (10) Das Handeln wird also durch das Denken darum bestimmt, weil das Denken freie, widerstandslose objektive, physische Tendenzen liefert; darum bestimmt das Denken Bewegung. (11)

Wir sehen also, daß unser ganzes Denken eine Freimachung objektiver, physischer Tendenzen in unserem Körper bedeutet. Die Induktion, die Bestimmung der Umstände, welche eine eindeutige Folge besitzen, bedeutet dies, und die Intuition und die mit ihr verbundene Deduktion bedeutet die Wiedererkennung einer Bedingung, mit welcher eine Folge verbunden ist, und hiermit die Erfüllung einer Tendenz und die Freiheit einer mit ihr verbundenen Folgetendenz. Unsere von Augenblick zu Augenblick wechselnden wiedererkennenden Wahrnehmungen mit den an sie sich, eventuell unter der Bedingung gewisser Handlungen, knüpfenden Erwartungen bedeuten das Wechseln der freien objektiven, physischen Tendenzen in unserem Körper. Dies zeigt sich auch darin, daß die Festlegung eines Ergebnisses mittels des Denkens, insofern sie unserem Handeln zugrunde liegt eine Augenblickstatsache ist und kein Prozeß, welcher Dauer hätte; kaum haben wir die entsprechende Erkenntnis, so handeln wir auch. (12) Ist das Denken zu einem Ergebnis gelangt, ist eine Entscheidung zwischen den gegensätzlichen Möglichkeiten getroffen, ist die betreffende physische Tendenz frei, so hört das auf die betreffende Frage bezügliche Bewußtsein auf, das Geschehen wird rein physisch, es wird zum Handeln. Und hat sich das Denkergebnis in uns festgesetzt, so denken wir in ähnlichen Fällen nicht mehr, die objektive Tendenz wird sofort frei, das Handeln wird automatisch, rein physisch. Ebenso fällt uns das Gewohnte nicht auf, es bleibt unwahrgenommen, oder kaum wahrgenommen, weil es keinen Widerstand ausübt, weil die gegensätzliche Tendenz schon beseitigt ist.

Und in dieser Zergliederung des Bewußtseins in rein-objektive, physische Elemente ist absolut nichts Hypothetisches enthalten; eine rein-empirische, psychologische Analyse des Bewußtseins führt zu diesem Ergebnis. Mit der Festlegung der Tatsache, daß die Wahrnehmung gegensätzlich ist, ist es gesichert. Und hiermit erscheint die Stelle des Bewußtseins im physischen Weltgetriebe erklärt. Es ist erklärt, wieso Bewußtsein das körperliche Geschehen bestimmt ohne Energie zu sein, und doch ohne die Energiegesetze zu durchbrechen. Es bestimmt es, weil es Widerstand von physischen Energien gegeneinander, bzw. die Freiheit derselben die Konstellation von Energien bedeutet. Die Schwierigkeit, die inbezug auf diese Frage gewöhnlich gefühlt wird, ist keine metaphysische, sondern sie stammt bloß aus der Tatsache, daß die herrschende Psychologie nicht erkennt, daß alles Bewußtsein gegensätzlich ist. Hiermit entsteht auch ein Zusammenhang des Wahrnehmens, Denkens, Fühlens und Handelns, eine Einheit, welche in der herrschenden Psychologie fehlt. (13) Und hiermit wird schließlich die Vermögenspsychologie zum erstenmal ernsthaft aufgehoben, es bleiben auch im psychischen Leben nur physische Kräfte oder Tendenzen.

II. Betrachten wir nun dieselbe Sache von der entgegengesetzten Seite. Das folgende gilt offenbar für alle Naturwissenschaft, doch führe ich es nur in Bezug auf die Mechanik aus.

Die Mechanik läßt die in der Natur stattfindenden Bewegungen einerseits durch das Dasein von Bewegungstendenzen, andererseits durch das Dasein oder Nichtdasein von Widerstand gegen diese Tendenzen bestimmen (möge nun dieser Widerstand von gegensätzlichen Bewegungstendenzen oder von bloßen Widerstandskräften stammen).

Betrachten wir zuerst diese letzteren von der Mechanik notwendigerweise anerkannten Tatsachen des Widerstandes und der Widerstandlosigkeit, der Freiheit.

Diese sind nicht Tatsachen, welche unter unsere Sinne fallen, wie Wärme, Schall, Licht, Bewegung; sie sind sozusagen unmittelbar für die betreffenden Bewegungstendenzen da. Allerdings können wir den betreffenden Widerstand und die betreffende Freiheit fühlen, wenn wir uns selbst unter den gleichen Umständen zu bewegen streben; dies ist aber eine andere Sache, als die Wahrnehmung des Widerstandes und der Freiheit in Bezug auf Bewegungen anderer Körper. Wir setzen diesen Widerstand und diese Freiheit nur fest, indem wir den von uns unter ähnlichen Umständen gefühlten Widerstand und Freiheit in jene Systeme auf eine gewisse Weise hineinlegen, hineindenken. Hierin gleichen Widerstand und Widerstandslosigkeit, Freiheit dem Bewußtsein.

Jene Tatsachen des Widerstandes und der Freiheit sind an das Dasein von Energien und das Aufeinanderwirken von Energien gebunden, sie sind aber selbst nicht Energien. Damit Widerstand oder Freiheit da ist, muß die Energie nicht verschwinden; die gleiche Quantität von Energie besteht immer in anderen Tatsachen; (14) Widerstand und Widerstandslosigkeit entspricht der bloßen Konstellation von Energien. Auch hierin gleichen jene Tatsachen dem Bewußtsein. Allerdings stellen wir das Dasein von Energien in Bewußtseinstatsachen, in Wärme, Schall, Licht, Bewegungen fest; dies stammt aber nur daher, daß wir von der Energie nur dadurch Kenntnis erhalten, daß sie unseren inneren Tendenzen widersteht; dieses Widerstehen und Zurkenntnisnehmen, dieses Bewußtwerden ändert nichts daran, daß Energien nicht zu Bewußtsein werden, sich nicht in Bewußtsein verwandeln. Ebenso gibt sich außerhalb uns liegenden Tendenzen gegenüber außerhalb ihnen liegende Energie nur dadurch kund, daß sie gegen jene Tendenzen wirkt; ihr Dasein und dieser Widerstand sind aber zwei verschiedene Dinge.

Widerstand und Freiheit sind also nicht Energien, sie begleiten aber die Schicksale der Energie, die energetischen Geschehnisse als fortwährende Augenblickstatsachen, und sie bestimmen innerhalb des Erhaltungsgesetzes und der Natur der Tendenzen das Geschehen. Auch hierin gleichen sie dem Bewußtsein.

Wo existieren diese Tatsachen? Widerstand und Freiheit haben weder bloß im Beweglichen ihren Sitz, noch bloß außerhalb von ihm, sie liegen im Zusammenwirken des Inneren und des Äußeren; in Widerstand und Freiheit geht das außerhalb der Tendenzen Seiende in die Tendenzen hinein, es gibt sich ihnen kund, es modifiziert ihr Leben, die Tendenzen erfahren in Widerstand und Freiheit außerhal ihnen Liegendes. Auch hierin gleichen Widerstand und Freiheit dem Bewußtsein.

Widerstand und Freiheit haben also Eigenschaften des Bewußtseins, sie haben diesel Stelle im Weltgetriebe, in der Natur wie dieses. Aber wir nehmen sie nicht als Bewußtsein wahr. Doch auch hierin gleichen sie dem Bewußtsein, wir nehmen fremdes Bewußtsein nicht wahr.

Wenden wir uns nun zu den Tendenzen, welche die Mechanik annimmt.

Daß diese Tendenzen keine sinnfälligen Dinge sind, wenn sie nicht gegen uns gerichtet sind, braucht nicht weiter ausgeführt zu werden. Daß "bloße Tendenzen" bloßen Vorstellungen, Möglichkeitsüberzeugungen, Möglichkeitserwartungen analog sind, ist offenbar.

Indem die Mechanik im Naturgeschehen eine Zweiheit: von Tendenzen einerseits, von Widerstand, Freiheit und Erfüllung andererseits feststellt, stellt sie eine Zweiheit fest, welche der Zweiheit Subjekt und Objekt, Vorstellung und Erkennen, Frage und Erkennen analog ist. Und in der Erfüllung von Tendenzen haben wir die Selbsterhaltung, das Sichselbstgleichbleiben, welches für das Subjekt eines Bewußtseins charakteristisch ist. (15)

Werfen wir zuletzt einen Blick auf die Tatsache, daß die Mechanik die Erfüllung  einer  von gegensätzlichen Möglichkeiten durch die größte virtuelle Arbeit bestimmt. Die Analogie dieser Tatsache mit dem durch das größte Wohlgefühl bestimmten Handeln ist offenbar. Und gedenken wir dessen, daß ebenso wie Widerstand und Freiheit, auch der Unterschied zwischen möglichen Arbeiten kein sinnfälliger, dauernder Prozeß ist, sondern als Augenblickstatsache das Geschehen bestimmt, und seine Analogie mit dem Willensantrieb wird uns noch offenbarer.

Sollen wir nun annehmen, daß die Tatsachen des Widerstandes und des Freiwerdens im ganzen Weltgetriebe von Bewußtsein begleitet sind? Sollen wir diese Hypothese aufstellen?

Die obigen Erörterungen drängen, so scheint es mir, in großem Maße dazu. Denken wir uns einen schweren Körper, welcher in seinem freien Fall auf eine schiefe Ebene gelangt und seinen Weg auf derselben fortsetzt: wir werden schwer umhin können zu glauben, daß ihn bzw. das ihn Bewegende im Augenblick seiner Richtungsänderung etwas durchzittert, was dem Widerstand in der vertikalen und in den Widerstand bietenden Richtungen und der Freiheit in der neuen Richtung der Bewegung entspricht. "Durchzittern" ist aber ein bildlicher Ausdruck, er bedeutet ja schon Bewegung; wenn etwas diesen Augenblick Charakterisierendes, der Bewegung Vorangehendes, nicht in Bewegung Bestehendes im Beweglichen oder Bewegenden da ist, so kann es kaum etwas anderes sein, als Bewußtsein.

Und erinnern wir uns dessen, was in diesem zu sehr empirischen und evolutionistischen Zeitalter vielleicht am schwerwiegendsten erscheinen wird, daß alle unsere Sinne sich - zumindest nach der herrschenden Ansicht - aus dem Tastsinn, dem Sinn für mechanischen Widerstand, entwickelt haben. (16)

Gewißheit aber kann in dieser Frage offenbar nichts liefern. Diese, die Entscheidung der Frage, ob alle Arten des Naturgeschehens dem Bewußtsein zugänglich sind, erscheint mir aber auch nicht als das Wichtige. Auch jenes Ergebnis scheint mir nicht wichtig, daß, wenn man die Hypothese des allgemeinen Bewußtseins aufstellen will, statt des in diesem Fall üblichen vagen Panpsychismus es sich nun zeigt, wo dieses Bewußtsein im allgemeinen Weltgetriebe einzuschalten sei. Wichtig erscheint mir nur, daß auch die obigen Erörterungen zur Klärung der Stelle des unbezweifelten Bewußtseins im Naturgeschehen dienen.

Sollten wir aber Bewußtsein oder das zu ihm Analoge in Teilen des Naturgetriebes gefunden haben, in welchen Bewußtsein gewöhnlich nicht angenommen wird, so sei nicht vergessen, daß wir ein Analogon zu gewissen unserer Bewußtseinstatsachen im Obigen  nicht  festgestellt haben; nicht zur Tatsache, daß Geschehnisse Wiederholungstendenzen zurücklassen, nicht zur Tatsache, daß zeitlich-räumliche Zusammenhänge zusammengesetzte Tendenzen ergeben. Und eben hierin liegt das Zweckmäßige unseres Bewußtseins, unsere Befähigung vorauszuschauen und für den Zukunftserfolg zu handeln. Diese Befähigung besitzt bekanntlich nicht alles Seiende.

Im Einklang mit den Ausführungen des I. Abschnittes müßte man übrigens das Bewußtsein in jenen Teilen der Welt für ausgeschlossen halten, in welchen Wiederholungstendenzen fehlen, denn wir bestimmten ja im I. Abschnitt nur die Wiederholungstendenzen als solche, denen gegenüber Wahrnehmung entsteht. Vielleicht war aber dies eine zu enge Fassung, vielleicht entstehen Wahrnehmungen auch im Gegensatz zu den ursprünglichen inneren Tendenzen, also auch ohne daß diese Tendenzen schon erfüllt gewesen wären und Wiederholungstendenzen zurückgelassen hätten. Es gibt Tatsachen, welche hierfür zu sprechen scheinen. So erscheint im Pubertätsalter mit dem ersten Sichregen der sexuellen Tendenz die ihre Erfüllung noch nicht enthaltende Welt als schal, als schwunglos; so findet ein gottbegnadeter Künstler, in dem eine neue Ausdrucksweise nach Verwirklichung ringt (z. B. ein Dichter, der im Begriff ist eine neue Art von Satzrhythmus zu schaffen) alle bisherigen Ausdrucksweisen blaß. Bewirken nicht nur Wiederholungs-, sondern auch ursprüngliche Tendenzen die Wahrnehmung von Gegensätzlichem, so ist das Prinzip der Gegensätzlichkeit des Bewußtseins in einem noch allgemeineren Sinn wahr, als in welchen es oben ausgeführt wurde, und in diesem Fall steht das Fehlen von Wiederholungstendenzen der Annahme von Bewußtsein in keinem Teil der Welt im Weg. Auch im entgegengesetzten Fall läßt sich übrigens ein Wohlgefühlbewußtsein, Lust und Unlust überall annehmen. Es sei aber nochmals gesagt, daß nicht die Rechtfertigung der Annahme der Allgemeinheit des Bewußtseins, sondern die Klärung der Stelle des unbezweifelten Bewußtseins in der Natur der Zweck dieser Abhandlung ist.


LITERATUR - Julius Pikler, Die Stelle des Bewußtseins in der Natur, Leipzig 1910
    Anmerkungen
    1) Eine - vielleicht als notwendig gefühlte - Aufklärung zu diesem Satz und den nächstfolgenden bietet Anmerkung 2, welche sich auf diese Sätze ingesamt bezieht.
    2) Die Tatsache, daß eine Wahrnehmung nur einer gegensätzlichen Tendenz gegenüber stattfindet, ist meines Erachtens im selben Sinn  a priori  gewiß, wie z. B. die Tatsache, daß beim Dreieck der größere Winkel der größeren Seite gegenüber liegt. Sie wird aber auch durch die Erfahrung bewiesen, wenn wir bei uns selbst Wahrnehmungen von Gegenständen beobachten, welche erst im erwachsenen Alter auftreten. Lebt z. B. jemand stets im Tiefland, so nimmt er die Weichheit, die Unfrische der Luft dort nicht wahr; gerät er dann einmal ins Hochgebirge, so nimmt er die Rauheit, die Frische der Luft daselbst im Gegensatz zur gegensätzlichen Wahrnehmungstendenz, überrascht wahr. Ebenso muß das Kind das Licht zuerst im Gegensatz zu dem im Mutterleib nicht wahrgenommenen Dunkel wahrnehmen, welches eine Wiederholungstendenz zurückläßt. (Vgl. mein "Das Beharren und die Gegensätzlichkeit des Erlebens", Seite 20; "Über Theodor Lipps' Versuch einer Theorie des Willens", Seite 45; "Zwei Vorträge über dynamische Psychologie", Seite 9) - - - Wird mir vorgehalten, daß in solchen Fällen ein Erlebnis, eine Empfindung und sogar eine Wahrnehmung des früheren Gegenstandes doch da war und nur die begriffliche Feststellung, die begriffliche Unterscheidung, die Kenntnis fehlte, so antworte ich: Jenes Erlebnis war nur ein unbewußtes, objektives, physisches Erlebnis; jene "Empfindung" oder "Wahrnehmung" wird nur von Psychologen aufgrund der später auftretenden Bewußtseinszustände in die frühere Zeit hineingelegt; wir haben kein Bewußtsein, keine (bewußte) Empfindung, keine (bewußte) Wahrnehmung, keine bewußte Erinnerung von einem Gegenstand, welche nicht begrifflich, nicht Unterscheidung wäre. Jenes objektive, unbewußte, physische Erlebnis hat Wirkungen, wie sie auch später, nach dem Auftreten eines gegensätzlichen Gegenstandes, im Gefolge der Wahrnehmung auftreten, wie z. B. eine Wohlgefühlsbetonung oder eine Bewegung, es ist aber trotzdem kein bewußtes Erlebnis. Und auch der objektive Nachlaß des Daseins des Gegenstandes besitzt Wirkungen, er, z. B. der unbewußte objektive Nachlaß der Einwirkung der uns umgebenden Luft, geht in die Wohlgefühlsbetonung bewußter Erwartungen unbewußt ein, trotzdem ist er keine (bewußte) Erinnerung. Ich gebe zu: der Inhalt der späteren Erinnerung ist schon beim unwidersprochenen, nicht wahrgenommenen Dasein des Gegenstandes bestimmt, und so dürfen Empfindungs-, z. B. Tonpsychologen bei der Verfolgung ihrer Fragen von der Gegensätzlichkeit, der "Relativität" der Empfindungen absehen und von der Empfindung und Wahrnehmung als absoluten Tatsachen reden; trotzdem bleibt der Satz von der Gegensätzlichkeit der Wahrnehmung richtig. - - - Nach der hier vorgetragenen Ansicht hat ein Kind, welches zwar schon Stille und Töne, aber nur Töne derselben Höhe erlebt hat, eine Wahrnehmung, eine Erinnerung und eine körperliche Reproduktionsfähigkeit eben dieser Töne ohne eine Wahrnehmung und Erinnerung ihrer Höhe. Man könnte es doch trotz dem vorher Gesagten schwer finden, dieser Meinung beizutreten; man könnte es für offenbar, für selbstverständlich halten, daß derjenige, der einen Ton von einer gewissen Höhe durch sein Stimmorgan reproduzieren kann, eine Wahrnehmung dieser Höhe hatte und eine Erinnerung dieser Höhe besitzt. Beachtet man aber die Tatsache, daß jemand, der bei seinen Eltern und überall im Landstrich, wo er verkehrte, immer nur dieselbe "bescheidende" Lebensführung gesehen hat, oder jemand der stets unter einfach gescheiten, aber nicht geistsprühenden Leuten gelebt hat, von dieser Lebensführung, bzw. Geistesart eine Wahrnehmung und Erinnerung besitzt, ohne eine Wahrnehmung oder Erinnerung davon zu besitzen, daß dieselbe bescheiden, bzw. einfach ist, so schwindet diese Schwierigkeit, man begreift ganz gut, daß man die Wahrnehmung, die Erinnerung und die körperliche Reproduktionsfähigkeit eines Tones besitzen kann ohne das leiseste Bewußtsein seiner Höhe.
    3) Bekanntlich hat HERING ("Über das Gedächtnis als eine allgemeine Funktion der organischen Materie") die Vererbung mit dem Gedächtnis in Analogie gesetzt bzw. identifiziert. Der Vererbung ist aber im Bewußtseinsleben vielmehr die Wiederholungstendenz als Tendenz zur wiederholten Wahrnehmung und als Erwartung - wie sie oben im Text festgestellt wird - analog bzw. mit ihr identisch. Man begreift wohl, daß HERING im Bewußtseinsleben nur das Gedächtnis als Analogie der Vererbung fand, denn die herrschende Psychologie kennt jene andere Wiederholungstendenz nicht.
    4) Die herrschende Psychologie erkennt es an, daß das Bewußtsein aufhört, daß anstelle desselben etwas Rein-Objektives, Rein-Physisches tritt, wenn der Widerstand aufhört, infolge von Wiederholung, Einübung, Automatisierung. In dieser Tatsache ist es aber schon enthalten, daß das Bewußtsein eine Tatsache des Widerstandes innerhalb des Rein-Physischen ist, aus einem solchen Widerstand entsteht. - - - Die herrschende Psychologie weiß auch, daß dieselben Grundgesetze, welche sich auf Bewußtseinstatsachen beziehen, auf für rein-physische Tatsachen unseres Körpers gelten. So läßt auch nach ihr nicht unsere Wahrnehmung einer von uns ausgeführten Bewegung, sondern die physische Bewegung selbst einen Nachlaß zurück; dieser Nachlaß ist auch nach ihr eine Tendenz zur Wiederholung der Bewegung, nicht nur zu einer Erinnerung oder Vorstellung, er bedeutet eine Gewohnheit. So setzt diese Grundtatsache der Psychologie noch kein Bewußtsein voraus. Statt daß die physische Wiederholung auf das Gedächtnis zurückzuführen wäre (vgl. die vorige Anmerkung), tritt vielmehr, wie sich zeigen wird, das Bewußtsein als Episode jener rein-physischen Wiederholung auf, als Widerstand gegen dieselbe und als Erfüllung, bzw. Befreiung der Tendenz zur Wiederholung gegenüber einem Widerstand. - - - Die herrschende Psychologie weiß auch, daß wenn die Erfüllung von Bedürfnissen, welche gewöhnlich von keinem Bewußtsein begleitet stattfindet, auf ein Hindernis stößt, Unlust und Begehren im Bewußtsein auftritt. Sie merkt auch (obwohl weniger klar), daß ein Wollen  im Bewußtsein  nur in dem Fall eintritt, wenn ein Handeln  augenblicklich  ausgeschlossen ist und aufgeschoben werden muß. - - - All die bekannten Vexierfragen über das Unbewußte, über unbewußte Wahrnehmungen, Vorstellungen, Wollungen werden meines Erachtens nur dann geklärt werden, wenn es einmal anerkannt und als einfache Tatsache hingenommen werden wird, daß das Bewußtsein aus etwas Rein-Objektivem, aus Rein-Physischem entsteht. Damit wird das Bewußtseinsleben, systematisch, konsequent als innerhalb des physischen, körperlichen Lebens stattfindend behandelt werden, anstatt daß es, wie heute, selbständig behandelt wird, wobei der Psychologe fortwährend in größter Verlegenheit bemerkt, daß ihm sein Gegenstand ins Unbewußt-Physische entschlüpft. Dann wird es aufhören, daß die streng reinen Psychologen (wie WITASEK "Grundlinien der Psychologie") das Begehren kennen, das Handeln aber nicht, wo doch das Begehren nur als verhinderte physische Tendenz auftritt.
    5) Eine äußere Gewohnheitstäuschung und die Wahrnehmung einer Gewohnheitstätigkeit findet nach dem eingangs Gesagten nur in dem Falle statt, wenn eine Unterstützung der äußeren, bzw. der ursprünglichen inneren  gegensätzlichen  Kräfte durch eine gleichsinnige Wiederholungstendenz schon vorhanden ist.
    6) Es ist vielleicht von Nutzen zu wiederholen, daß - wie es sich im Falle der Wahrnehmung zeigte - diese Wiederholungstendenz eine echte, richtige Tendenz zur vollen Wiederholung des betreffenden Geschehnisses ist, ganz so, wie die Gewohnheit einer Tätigkeit, welche aus einem Bedürfnis hervorgegangen unter sonst gleichen Umständen auch dann zur Tätigkeit führt, wenn das Bedürfnis nicht vorhanden ist, oder die Wirkung des Bedürfnisses unterstützt. Und die Freiheit jener Tendenz von gegensätzlichen bedeutet dasselbe, wie die Freiheit dieser Tätigkeitsgewohnheit von gegensätzlichen Tätigkeitstendenzen.
    7) Durch diese Freimachung erkennt das Subjekt auch außerhalb des Wahrnehungs- und Erinnerungsfeldes die wirkliche Welt, welche niemals eine Möglichkeit, sondern eindeutig ist, aus sich erfüllenden Tendenzen besteht. In der Freiheit seiner Wiederholungstendenzen erkennt das Subjekt die Erfüllung der äußeren Tendenzen außerhalb des Wahrnehmungs- und Erinnerungsfeldes. - - - Doch muß hinzugefügt werden, daß auch schon das nach gegensätzlichen Erlebnissen zurückbleibende Bewußtsein gegensätzlicher Möglichkeiten außerhalb des Wahrnehmungs- und Erinnerungsfeldes vom Bewußtsein begleitet ist, daß jede Möglichkeit zu jeder Zeit und an jedem Ort  entweder  erfüllt wird  oder  nicht. Auch hierin ist schon das Bewußtsein einer wirklichen, eindeutigen Welt gegeben, nur ist nicht für jeden einzelnen Ort- und Zeitpunkt das ihn charakterisierende Wirkliche bestimmt.  Auch jenes Bewußtsein von Möglichkeiten bedeutet eine Freiheit von Tendenzen,  abgesehen vom Widerstand, welchen sie einander entgegensetzen. Und auch dieses Bewußtsein gegensätzlicher Möglichkeiten setzt die Gewißheitsüberzeugung vom Fließen der Zeit und dem Dasein des Raumes, als die Freiheit der entsprechenden Tendenzen voraus. Die Grundlage allen Denkens (und, wie wir sehen werden, Handelns) ist die Freiheit von bleibenden Tendenzen in uns, mögen sie auch augenblicklich auf Widerstand stoßen. In früheren Schriften ließ ich der "Vorstellung" die "paralysierte" Wiederholungstendenz entsprechen; richtiger muß es die "unerfüllte, bloße" Wiederholungstendenz heißen, möge sie in der negativen Wahrnehmung paralysiert, vereitelt oder in der Gewißheits-, bzw. Möglichkeits-Vorstellungsüberzeugung als freie oder unfreie unerfüllte Tendenz vorhanden sein.
    8) Die aufgrund der Erfahrung desselben Gegenstandes in denselben Zeitintervallen und an denselben Orten unabhängig von jeder anderen Bedingung auftretende Gewißheitsannahme dieses Gegenstandes zu den betreffenden Zeiten und an den betreffenden Orten bedeutet im Sinne des Gesagten, gleichfalls eine freie Wiederholungstendenz. Die infolge der größeren Häufigkeit eines Gegenstandes im Vergleich zu den gegensätzlichen Gegenständen auftretende größere Wahrscheinlichkeit der Annahme des ersteren bedeutet gleichfalls eine größere Widerstandslosigkeit einer Wiederholungstendenz im Vergleich zu den gegensätzlichen.
    9) Siehe mein "Das Beharren und die Gegensätzlichkeit des Erlebens", Kap. V, VI., VII. und VIII.; ferner mein "Über Theodor Lipps etc. a. a. O., Seite 35f und mein "Zwei Vorträge über dynamische Psychologie", Seite 19f.
    10) Genauer gesagt genügt, daß das Produkt von Wahrscheinlichkeit der Erfüllung und von Wohlgefühl auf dieser Seite größer sei, als auf den gegensätzlichen, doch wollen wir von dieser Komplikation abgehen.
    11) Respektive mit Rücksicht auf die letzte Anmerkung, relativ widerstandsloser Tendenzen.
    12) Ebenso ist die Wahrnehmung eine Augenblickstatsache; kaum war sie da, so ist sie schon Erinnerung, sie bedeutet augenblicklichen Widerstand gegen eine bleibende Tendenz.
    13) Vgl. "Die biologische Funktion des Bewußtseins in  Sciencia ("Rivista di Scienzia"), Vol. III, 1909
    14) Bei der Beurteilung der Behauptung, daß Widerstand nicht Energie ist, darf nicht vergessen werden, daß unter Widerstand hier die Ursache gemeint wird, infolge deren statt einer Art von Energie eine andere Art, z. B. statt bewegung Wärme auftritt, also jene Tatsache, welche bei einer Umwandlung von Energie, z. B. von Bewegung in Wärme, sozusagen in der Mitte zwischen dem Dasein beider Energiearten vorhanden ist, richtiger diese Umwandlung begleitet, die Wärme jeden Augenblick auslöst. Ebenso ist bei einer Umwandlung von Distanzenergie in kinetische oder bei gleichmäßiger Bewegung Widerstandslosigkeit, Freiheit eine Ursache dieser Tatsachen  neben  dem Dasein der entsprechenden Energien.
    15) Vielleicht wird gegen diese Parallele eingewendet, die Mechanik betrachte diese Tendenzen nicht in diesem aktiven, dynamischen Sinn, sondern wende sie nur als Rechnungsbehelf an; doch ist dies, wie mir scheint, nicht der Fall, und die Mechanik wäre nicht zu ihren Sätzen gelangt, wenn wir nicht durch den Drucksinn Bewegungstendenzen in der Natur erkannt hätten. Das Psychistische oder Animistische in der Naturwissenschaft ist kein eleminierbares Nebensächliches. Will man statt bloßer Geschehnisse Bedingungen oder Elemente dieser Geschehnisse feststellen, so muß man Hemmungen, Freiheiten und Erfüllungen dieser Geschehnisse in Augenschein nehmen, und dadurch wird das Physische zu einem Psychischen. Und will, umgekehrt, der Psychologe sich nicht mit den oberflächlichen Bewußtseinstatsachen begnügen, so gelangt er zu physischen Geschehnissen, als deren Hemmungen, Befreiungen und Erfüllungen die Bewußtseinszustände figurieren - die Psychologie geht in Physik über.
    16) Betrachten wir auch folgende Parallele, welche mir als höchst bedeutungsvoll erscheint. Ich haben in meinem (Anmerkung 12) erwähnten Artikel in der "Scientia" gezeigt, daß für das Denken und Handeln nur die Gegensätzlichkeit und die Aufhebung des Gegensatzes bestimmend ist, der absolute Inhalt unserer gegenständlichen Bewußtseinsinhalte hingegen auf keine Weise, ausgenommen, daß unser Wohlgefühl durch ihn bestimmt wird. Ebenso gibt es keinen Satz der Mechanik, welcher speziell von einer gewissen Richtung handeln würde, es ist in den Sätzen der Mechanik immer nur von Wirkungen des Gegensatzes und der Freiheit im allgemeinen die Rede, und die Richtung der Geschehnisse wird nur durch die Arbeiten bestimmt, welche an verschiedene Richtungen geknüpft sind. Auch dies weist darauf hin, daß unsere gegenständlichen Bewußtseinszustände Qualitäten, Richtungen des Geschehens, der Tendenzen bedeuten, die Größe unseres Wohlgefühls aber die bloße Größe der Tendenzerfüllung.