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ARTHUR DREWS
Das Ich als
Grundproblem der Metaphysik

[2/4]

"Der naive Menschen meint, es gäbe gar nichts Bekannteres als das reale Sein, und wenn man ihn fragen wollte, was es denn eigentlich heißt, etwas sei real, so schlägt er mit der Hand auf den Tisch und sagt, das sei Realität."

"Wer sich einmal der Mühe unterzogen hat, einen Menschen, der noch ganz in den Banden der naiven Anschauungsweise befangen war, von der bloß ideellen Natur des wahrgenommenen Seins zu überzeugen, der weiß, wie unendlich schwer es ist, einem solchen auch nur den springenden Punkt der Sache klar zu machen. Und in wessen Bewußtsein jene Einsicht zum ersten Mal aufgeblitzt ist, dem wird es für immer unvergeßlich bleiben, welche Revolution in seiner ganzen bisherigen Weltanschauung hervorgebracht wurde, als ihm, was er für die allerbekannteste Realität gehalten hat, sich in ein bloßes Vorstellungsdasein verwandelt, und wie er nun überall auf Rätsel stößt, wo er bis dahin nur Selbstverständliches gefunden hat."

"Die Beweise für die ideelle Natur des Seins, so zwingend sie auch sein mögen, sind doch für die meisten Menschen nicht einleuchtend. Sie erfüllen den Geist nicht mit Licht, sie haben eher die Eigenschaft, ihn dunkel und trübe über sich selbst zu machen. Der Mensch, wenn er zuerst diese Beweise hört und sich ihnen nicht entziehen kann, meint alle Herrlichkeit der Welt sei damit zerstört. Alles ist Vorstellung, das ist ihm so viel wie: alles ist blaß und öde; er ist gewohnt, Vorstellung in einen Gegensatz zur Wirklichkeit, Denken in einen Gegensatz zum Leben, Theorie in einen Gegensatz zur Praxis zu stellen. Das ist nur Vorstellung, ist ihm soviel wie: das ist ein leerer Gedanke, eine müßige Einbildung."

"Wem niemals die Welt um ihn her sich in schwankendem Schein aufgelöst hat, wo er eine Wirklichkeit zu fassen glaubte, wer an sich selbst niemals den Hunger nach der Realität gespürt hat, der wird nicht begreifen, wie man sich um sie bemühen kann, der wird nur ein mitleidiges Lächeln haben für alle, die dort eine umständliche Untersuchung glauben anstellen zu müssen, wo ihm selbst alles klipp und klar erscheint."

Einleitung
Die Aufgabe der Metaphysik
und ihr Ausgangspunkt

Wenn man die Philosophie mit ARISTOTELES als die "Wissenschaft von den Prinzipien" ansieht, eine Bezeichnung, die in unserer Zeit bekanntlich von ÜBERWEG wiederum zur Geltung gebracht ist, so erscheint die Metaphysik als die Wissenschaft von den letzten und allgemeinsten Prinzipien, die allen übrigen Bedingungen der Wirklichkeit zugrunde liegen. Dabei pflegt vorausgesetzt zu werden, daß diese Prinzipien zu einer Sphäre hinter dem unmittelbar erkannten Sein hinführten, und die Metaphysik, die ihren Namen ursprünglich nur von ihrer äußerlichen Stellung in der Sammlung der aristotelischen Schriften herschreibt, wird dadurch zur Wissenschaft vom "meta ta physika", dem Jenseits der Erscheinungswelt, zur Wissenschaft von ihrem substanziellen Wesen.

Diese Bestimmung hat nur ein Mißliches. Das naive Bewußtsein weiß von einem solchen Unterschied zwischen dem gegebenen und einem hinter ihm liegenden Sein, der Erscheinungswelt und ihrem Wesen nichts. Es vermag daher die Notwendigkeit einer Wissenschaft nicht einzusehen, deren Möglichkeit auf dieser Trennung beruhen soll. Das naive Bewußtsein setzt voraus, die Ursachen der Erscheinungen, wie sie ihm unmittelbar entgegentreten, müßten auch innerhalb derselbens Sphäre liegen; es ist geneigt, nur diejenige Erklärung für eine solche anzusehen, die eine Erscheinung auf wahrnehmbare Momente gründet. Die moderne naturwissenschaftliche Bildung hat viel dazu beigetragen, diese Auffassung zu befestigen. Wenn der Naturforscher zur Erklärung eines chemischen Vorgangs die Faktoren desselben in ihre Elemente zerlegt, die letzteren in ihre Moleküle auflöst und diese auf Atome zurückführt, so nimmt er zwar selbst die Atome nicht wahr, allein er zweifelt auch nicht, daß, wenn ihm nur die geeigneten Instrumente zu Gebote ständen, ihm diese auch die Möglichkeit verschaffen würden, jene letzten Bestandteile aller Erscheinungen unmittelbar als solche anzuschauen. Dazu kommt, daß selbst manche Philosophen von einem Sein hinter dem wahrgenommenen Sein nichts wissen wollen und dem naiven Bewußtsein darin beistimmen, daß eine Erklärung die Grenzen der Erscheinungswelt nicht überschreiten dar. Diese alle werden von ihrem Standpunkt aus mit Recht in jener obigen Bestimmung der Metaphysik eine petitio principii [es wird vorausgesetzt, was erst zu beweisen ist - wp] erblicken, sofern sie sich auf eine Voraussetzung gründet, deren Richtigkeit sie keineswegs ohne weiteres anzuerkennen vermögen. Sie werden sagen, sie verständen nicht, ws das sei, ein Sein, das auf keine Weise je erscheinen kann und hätten keine Veranlassung, einem solchen nachzuspüren, da schon der Begriff desselben ihnen einen reinen Nonsens zu enthalten scheint.

Es ist klar, daß eine Bestimmung, der eine solche Schwierigkeit anhaftet, den Zwecken der Wissenschaft nicht genügen kann. Offenbar hat auch gerade sie die Metaphysik vielfach in Mißkredit gebracht und dazu beigetragen, das Mißtrauen gegen sie wachzurufen. Daß all unser Wissen bloß in der Erscheinung wurzelt, diese Tatsache scheint so selbstverständlich, wie der Schluß, daß es folglich ein leeres Unterfangen sein muß, mit jenem Instrument das Jenseits der Erscheinung zu erforschen. Die Metaphysik hat daher in der Bestimmung ihrer Aufgabe alle Anspielungen auf ein Sein hinter dem gegebenen zu unterlassen, sofern sie auf eine allgemeine Anerkennung Anspruch erhebt. Es ist schon Metaphysik, das Sein in ein erscheinendes und wesenhaftes auseinanderzureißen, und jene Wissenschaft hat wahrlich alle Ursache, sich vor zweifelhaften Ansprüchen und Bestimmungen zu hüten.

Man kann nun darüber streiten, ob es ein Sein hinter dem, wie es sich uns in der Erfahrung darstellt, gibt und welches daher Gegenstand einer besonderen Wissenschaft sein kann, aber man kann nicht darüber streiten, ob es überhaupt etwas gibt. Daß ich existiere, der ich diesen Satz ausspreche, daß der Tisch Realität besitzt, woran ich schreibe, das kann nur einer mit Grund beanstanden, sofern er mit den Worten Realität und Existenz schon einen Sinn verbindet, der in ihnen unmittelbar nicht enthalten ist. Es läßt sich auch nicht leugnen, daß der bloß gedachte Tisch ein anderer ist als der wahrgenommene, oder genauer: daß ich den Tisch, als reinen Inhalt meiner Vorstellungstätigkeit, von demjenigen unterscheide, dem ich das Prädikat der Wirklichkeit beilege. In beiden Fällen ist der Tisch ein Gegebenes, der Inhalt, den ich mit diesem Begriff verbinde, kann sich zum Verwechseln ähnlich sehen - man denke nur an die Erfahrungen des Traumes und der Halluzination! - und doch wird auch der extremste subjektive Idealist, der ein Sein nur als Inhalt des Bewußtseins, nur als Bewußt-Sein gelten läßt, im ersteren Fall nur von einem Vorstellungs- oder ideellen Sein, im letzteren dagegen von einem realen Sein des Tisches reden. Der subjektive Idealist mag sich noch so sehr darauf versteifen, alles Sein seinem Wese nach als ideelles, und zwar als ein subjektiv-ideelles Sein, d. h. als ein Sein in der Form des Bewußt-Seins, anzusehen: er wird sich doch gegen die Anerkennung jenes Unterschiedes innerhalb der Sphäre des ideellen Seins nicht sträuben, und er wird, ebensowenig wie jeder Andere, wenn er Hunger empfindet, mit dem eingebildeten Genuß einer bloß vorgestellten Speise sich begnügen können. Auch er erkennt also an, daß, trotz ihrer inhaltlichen Ununterschiedenheit, die reale Speise eine Mehr gegenüber der bloß vorgestellten oder ideellen Speise enthält, ein Mehr, welches der ersteren einen solchen Wert und eine solche Bedeutung für seine Existenz verleiht, daß es durch keine, auch nicht durch die inhaltsvollste Bereicherung jenes Gegenstandes innerhalb der Sphäre des Ideellen ersetzt werden kann. Es ist also einfach eine Tatsache der Erfahrung, daß sich uns das Sein als ein doppelartiges, als ideelles und als reales darstellt. Wer das bezweifelt, der rüttelt an der Erfahrung selbst, der macht andere Erfahrungen als wir übrigen Menschen, und wir dürfen nicht hoffen, mit ihm jemals eine Übereinstimmung zu erzielen.

Worin besteht nun jenes Mehr des realen Seins, oder wodurch unterscheidet sich das reale Sein vom ideellen?

Die Wissenschaft im Allgemeinen kümmert sich um diese Frage nicht. Sie handelt nur vom einzelnen Seienden, d. h. von den existierenden Gegenständen und ihren Gesetzen, ohne jedoch die Art ihrer Existenz als solche zu unterscheiden. Die Erkenntnistheorie hat zwar mit dem Gegensatz des ideellen und realen Seins zu tun, aber doch nur, sofern es sich um die Frage handelt, in welchem Verhältnis das reale Sein zum erkennenden Bewußtsein steht. Sie legt zwar das größte Gewicht darauf, ob es eine Art des Seins auch außerhalb des Bewußtseins gibt; allein sie hat gar kein Interesse daran, ob, wenn es ein solches gibt, dieses selbst ein ideelles oder ein reales Sein ist. Es muß also Gegenstand einer besonderen Wissenschaft sein, den Unterschied des ideellen und realen Seins und das Wesen dieser letzteren zu untersuchen. Es muß eine Wissenschaft geben, die nicht so sehr auf den Inhalt, als vielmehr auf die Art oder Gattung des Seienden, auf das Sein als solches und seine eigentümliche Beschaffenheit ausgeht, mit anderen Worten: eine Wissenschaft vom Sein, und diese ist es, die ich mit dem Namen der Metaphysik bezeichne.

Wird die Aufgabe der Metaphysik in dieser Form gestellt, so kann sich auch derjenige ihr nicht entziehen, der die obige Unterscheidung zwischen erscheinendem und wesenhaftem Sein nicht anerkennt, weil ihm alles Sein eben nur in der Erscheinung aufgeht. Denn irgendwie muß doch auch er das Reale vom Ideellen unterscheiden, um die Erfahrung verständlich zu machen, und auch wenn er in ihrer Beantwortung die Sphäre des Bewußtseins nicht überschreitet, so kann der doch die Frage selbst nicht als eine falsch gestellte zurückweisen. Jene Fragestellung beseitigt aber auch zugleich das alte Mißverständnis, als sei es möglich, den ganzen Inhalt der Metaphysik auf rein logischem Weg von irgendeinem allgemeinen Begriff abzuleiten. Denn daß sich aus dem Begriff des Seins, der, als der abgezogenste, zugleich auch der allerleerste ist, ohne Weiteres gar nichts ableiten läßt, das dürfte auch dem subtilsten Dialektiker unmittelbar einleuchten. Die Metaphysik aber hat es gar nicht mit dem Begriff des Seins, sondern nur mit dem wirklichen Sein zu tun. Sie muß also, wie jede andere Wissenschaft, mit dem Gegebenen beginnen. Gegeben aber ist uns alles Sein zunächst und unmittelbar nur als Bewußt-Sein.

Dieser Satz besagt, daß alles Sein erst selbst die Form des Bewußtseins angenommen haben muß, bevor es als Inhalt in ihm enthalten sein kann. Um sich das klar zu machen, beachte man den Unterschied des Baumes in der Wirklichkeit und des Baumes im Fernrohr. Ich kann den wirklichen Baum nicht durch das Fernrohr wahrnehmen, ohne daß ein Bild von ihm hinter der Linse steht; was ich aber dann wahrnehme, ist nicht der Baum in der Wirklichkeit, sondern eben nur sein Bild, der Baum, wie er im Fernrohr enthalten und die ihm von diesem erteilte Form empfangen hat. Dabei handelt es sich gar nicht darum, ob dem Inhalt im Bewußtsein ein Gegenstand außerhalb des Bewußtseins ("Ding-ansich") korrespondiert, so wie der Baum im Fernrohr das unkörperliche Abbild des Baumes in der Wirklichkeit ist. Es kommt bloß darauf an, daß das Bewußtsein allem Inhalt seine eigene Form gleichsam überzieht: diese Form aber ist diejenige des Objektseins für ein Subjekt - folglich, da Subjekt und Objekt Korrelate sind, die sich wechselseitig bedingen, das Subjekt aber das vorstellende Bewußtsein ist, so ist auch das Objekt nur die Vorstellung dieses Subjekts, Sein als Vorstellung oder ideelles Sein.
    "Die Welt", sagt daher Schopenhauer vom unmittelbaren Inhalt des Bewußtseins, "die Welt ist meine Vorstellung: - dies ist eine Wahrheit, welche in Beziehung auf jedes lebende und erkennende Wesen gilt, wiewohl der Mensch allein sie in das reflektierte und abstrakte Bewußtsein bringen kann: und tut er dies wirklich, so ist die philosophische Besinnung bei ihm eingetreten. Es wird ihm dann deutlich und gewiß, daß er keine Sonne kennt und keine Erde, sondern immer nur ein Auge, das eine Sonne sieht, eine Hand, die eine Erde fühlt; daß die Welt, welche ihn umgibt, nur als Vorstellung da ist, d. h. durchweg nur in Beziehung auf ein Anderes, das Vorstellende, welches er selbst ist." (1)
Auch für SCHOPENHAUER ist das Zerfallen in Subjekt und Objekt die charakteristische Form für den Inhalt des Bewußtseins. Aber er schließt nicht, daß derselbe eine Vorstellung ist, weil er Objekt eines Subjekts ist, sondern umgekehrt ist ihm jenes Zerfallen
    "diejenige Form, unter welcher allein irgendeine Vorstellung, welcher Art sie auch sei, abstrakt oder intuitiv, rein oder empirisch, nur überhaupt möglich und denkbar ist." (2)
Damit schießt er indessen offenbar über das Ziel hinaus. Denn es ist zwar ganz gewiß, daß das Objekt eines Subjekts die Vorstellung dieses Subjekts, aber es ist nicht ebenso gewiß, daß die Vorstellung immer das Objekt eines Subjekts sein muß.

Wenn das Sein mir unmittelbar nur als ideelles vorliegt, so erleidet dadurch meine obige Bestimmung der Metaphysik eine nähere Einschränkung. Metaphysik, sagte ich, ist Wissenschaft vom Sein. Nun ist es aber von einem ideellen Sein, dem Sein unserer Vorstellungen leicht, zu zeigen, daß es jeder weiteren Erklärung spottet. Erklären heißt klar machen, und dies geschieht dadurch, daß wir das zu Erklärende auf eine andere uns bekannte Vorstellung beziehen. Die Logik nennt klar eine Vorstellung dann, wenn sie von anderen ihres Gleichen unterschieden ist. Wovon aber soll ich das Sein meiner Vorstellungen unterscheiden? Alles Sein, worauf ich es beziehen könnte, fällt, als Vorstellung, selbst in das Vorstellungssein und führt mich also über den Kreis des Ideellen nicht hinaus. Ich kann wohl Vorstellungen voneinander unterscheiden, allein ich habe nichts, wovon ich das Vorstellen selbst unterscheiden könnte, ohne jenes eben dadurch vorzustellen. Mein Wissen besteht in Vorstellungen, setzt also das Vorstellen schon voraus. Ich müßte über meinen eigenen Kopf springen können, wenn ich hinter das Vorstellen gehen, mir es gegenüberstellen und doch zugleich es vorstellen, in ihm bleiben sollte. Gesetzt auch, ich wüßte, was das reale Sein ist, so könnte ich wohl das ideelle Sein darauf beziehen und angeben, was das letztere nicht ist, sofern nämlich ein wesentlicher Unterschied zwischen ihnen bestehen sollte; allein ich könnte nicht sagen, was es ist, weil es mir dazu einfach an jeglichen Begriffen mangelt. Was also das Vorstellungssein oder das ideelle Sein ist, das läßt sich nicht erklären. Man muß es in sich erzeugen, muß vorstellen, um es zu erfahren, sowie man die Empfindung eines bestimmten Tons oder einer Farbe haben muß, um ihre Beschaffenheit kennen zu lernen (3).

Hiernach ist Metaphysik, als Wissenschaft vom Sein, genauer bloß Wissenschaft vom realen Sein, und dies ist sie selbst dann, wenn der erkenntnistheoretische Standpunkt ein solches außerhalb des Bewußtseins nicht gelten läßt. Denn auch der subjektive Idealist und Positivist kann sich, wie gesagt, der Frage nach dem Wesen der Realität nicht entziehen. Die Auflösung des gesamten realen Seins ins ideelle ist selbst schon gar nichts Anderes als Metaphysik, und wenn die subjektiven Idealisten dies bestreiten, so liegt dies nur an ihrer einseitigen Auffassung, die sie vom Wesen jener Wissenschaft haben. Sie denken nämlich dabei an eine Wissenschaft vom "Ding ansich" und leugnen ihre Möglichkeit, weil sie die Existenz von "Dingen ansich" nicht anerkennen. Darin haben sie insofern ganz recht, weil die Annahme von solchen ganz ebenso eine petitio principii in sich einschließt, wie die oben abgewiesene Zerlegung der Wirklichkeit in ein erscheinendes und wesenhaftes Sein. Bestimmt man dagegen ganz allgemein die Metaphysik als die Wissenschaft vom realen Sein, dann fallen damit zugleich auch die Bedenken weg, welche ihre Gegner gegen die Möglichkeit derselben anzuführen pflegen. Denn auch das ideelle Sein kann unter Umständen die Stelle des realen übernehmen, ja, es liegt sogar hierin allein die Berechtigung für eine subjektiv-idealistische Erkenntnistheorie, auch heute noch die alte kantische Bezeichnung Metaphysik beizubehalten, obwohl eine solche gerade auf die Bestreitung der Möglichkeit einer Metaphysik hinausläuft, und obwohl die Voraussetzung, worauf KANT jene Bestreitung gründet, heute wohl selbst von den ergebensten Anhängern KANTs nicht mehr geteilt wird (4).

Das reale Sein also ist das eigentlich erklärungsbedürftige Sein, das ideelle Sein erklärt sich selbst, indem wir es uns vorstellen. Dem naiven Menschen freilich erscheint es anders. Er meint, es gäbe gar nichts Bekannteres als das reale Sein, und wenn man ihn fragen wollte, was es denn eigentlich heißt, etwas sei real, so schlägt er mit der Hand auf den Tisch und sagt, das sei Realität. SCHOPENHAUER behauptet zwar:
    "Keine Wahrheit ist gewisser, von allen anderen unabhängiger und eines Beweises weniger bedürftig als diese, daß alles, was für die Erkenntnis da ist, also diese ganze Welt, nur Objekt in Beziehung auf das Subjekt ist, Anschauung des Anschauenden, mit einem Wort Vorstellung." (5)
Wer sich jedoch einmal der Mühe unterzogen hat, einen Menschen, der noch ganz in den Banden der naiven Anschauungsweise befangen war, von der bloß ideellen Natur des wahrgenommenen Seins zu überzeugen, der weiß, wie unendlich schwer es ist, einem solchen auch nur den springenden Punkt der Sache klar zu machen. Und in wessen Bewußtsein jene Einsicht zum ersten Mal aufgeblitzt ist, dem wird es für immer unvergeßlich bleiben, welche Revolution in seiner ganzen bisherigen Weltanschauung hervorgebracht wurde, als ihm, was er für die allerbekannteste Realität gehalten hat, sich in ein bloßes Vorstellungsdasein verwandelt, und wie er nun überall auf Rätsel stößt, wo er bis dahin nur Selbstverständliches gefunden hat. Mit Recht hebt daher auch BAUMANN hervor, wie die Beweise für die ideelle Natur des Seins, so zwingend sie auch sein mögen, doch für die meisten Menschen nicht einleuchtend sind:
    "sie erfüllen den Geist nicht mit Licht, sie haben eher die Eigenschaft, ihn dunkel und trübe über sich selbst zu machen. Der Mensch, wenn er zuerst diese Beweise hört und sich ihnen nicht entziehen kann, meint alle Herrlichkeit der Welt sei damit zerstört. Alles ist Vorstellung, das ist ihm so viel wie: alles ist blaß und öde; er ist gewohnt, Vorstellung in einen Gegensatz zur Wirklichkeit, Denken in einen Gegensatz zum Leben, Theorie in einen Gegensatz zur Praxis zu stellen. Das ist nur Vorstellung, ist ihm soviel wie: das ist ein leerer Gedanke, eine müßige Einbildung. Aber Realität, das ist, was alle Sinne belebt, alle Lebenskräfte schwellt. Wirklichkeit ist Zauberklang, der Millionen zu sich lockt, die Gott danken, daß sie nicht von des Gedankens Blässe angekränkelt sind. Denken, was ist das gegen das Leben? Denken ist soviel wie Brüten in sich selbst, Leben aber, das heißt die ganze Welt in sich aufnehmen, alle Seiten unseres Daseins dahingeben an sie und sich erfüllen lassen von ihr." (6)
In der Tat ist hiermit der Unterschied des ideellen und realen Seins treffend geschildert, wie er sich im Bewußtsein des naiven Menschen darstellt. Der Mensch muß erst aus seinem ganzen bisherigen Anschauungskreis herausgerissen und auf einen völlig neuen Boden gestellt werden, er muß erst, was er bis dahin für wahr gehalten hat, als nichtig durchschaut haben, bevor er für eine höhere Erkenntnis die nötige Reife erlangt hat. Streben nach Wahrheit ist Streben nach einem realen Sein. Man muß die Realität erst verloren haben, ehe man das Bedürfnis empfinden kann, ihr nachzuforschen. Wem niemals die Welt um ihn her sich in schwankendem Schein aufgelöst hat, wo er eine Wirklichkeit zu fassen glaubte, wer an sich selbst niemals den Hunger nach der Realität gespürt hat, der wird nicht begreifen, wie man sich um sie bemühen kann, der wird nur ein mitleidiges Lächeln haben für alle, die dort eine umständliche Untersuchung glauben anstellen zu müssen, wo ihm selbst alles klipp und klar erscheint. Das ist auch die Bedeutung des kartesianischen Zweifels, womit die neuere Philosophie begonnen hat. Es ist leicht gesagt, für die Philosophie gäbe es nichts Selbstverständliches. Damit sich aber Jemand der Untersuchung dessen hingibt, was Aneren als selbstverständlich erscheint, dazu muß er erst den inneren Drang in sich verspüren, und dieser kann nicht leichter in ihm entzündet werden als durch die Einsicht in die ideelle Natur des unmittelbar erkannten Seins. Alle Realität ist bloß vorgestellte Realität, ist Vorstellung von Realität und somit Nichtrealität. Erst wer die vernichtende Wucht dieses Gedankens an sich empfunden und die Notwendigkeit begreiftf, über diesen widerspruchsvollen Zirkel hinauszukommen, erst der kann wirklich von einem "metaphysischen Bedürfnis" reden; ein solcher hat damit aber auch bereits die Grenze überschritten, innerhalb deren er sich als naiver Mensch bewegt hat. Aus diesem Grund ist der Satz, daß die Welt nur Vorstellung ist, die Eingangspforte zur Metaphysik, und wie PLATO für seinen Unterricht die Bedingung aufstellte: "medeis ageometretos eisito" [Niemand trete ein ohne Kenntnis der Geometrie. - wp], so wird niemand die Halle der Metaphysik betreten können, ohne vorher den Sinn jenes Satzes begriffen zu haben.

Wenn uns nun das Sein nur als Vorstellung gegeben ist, woran liegt es, daß uns dieser Gedanke so schwer in den Kopf geht, und wie kommt es, daß, selbst wenn wir uns von seiner Wahrheit überzeugt haben, wir trotzdem nicht aufhören, von einer Wirklichkeit zu reden, die mehr ist als ein bloßes Vorstellungssein? Woher mit einem Wort der Gedanke des realen Seins?

Die Antwort liegt nahe. Mag nämlich immerhin das Sein uns unmittelbar nur als ideelles gegeben sein, so ist es doch an ein Etwas gebunden, dessen andersartige Beschaffenheit keinen Zweifel duldet. Die Welt, als Objekt des vorstellenden Subjekts, ist Vorstellung dieses Subjekts; aber dieses Subjekt, das die Vorstellung hat, kann selbst nicht wieder eine bloße Vorstellung sein. Die Welt, als Vorstellung, ist getragen vom vorstellenden Subjekt; das letztere jedoch, dieser Träger der vorgestellten Welt, muß jenseits allen Vorstellungsmäßigen in einem Realen wurzeln, weil er andernfalls selbst bloß ein Getragenes und nicht der Träger wäre. Gesetzt, das Objekt oder die Welt umher würde verschwinden indem sie aufhört vorgestellt zu werden, es bliebe noch das Subjekt mit der Möglichkeit des Vorstellens übrig. Gesetzt, das Bewußtsein dieses Subjekts hörte auf, zu existieren, so fiele mit der Möglichkeit des Vorstellens auch die ganze Welt zusammen, und es bliebe weder ein Subjekt noch ein Objekt übrig. Das Subjekt also ist die gesuchte Realität, woran das ideelle Sein haftet. Die Welt ist meine Vorstellung: Das Ich, ich selbst bin der reale Träger allen Daseins.

Dieser Schluß hängt mit dem Satz, daß die Welt unmittelbar bloß Vorstellung ist, so nahe zusammen, daß ihn Jeder zieht, der nur überhaupt die ideelle Natur des Bewußtseinsinhaltes behauptet. So wenig an dieser gezweifelt werden kann, so gewiß, scheint es, muß auch die Realität des Bewußtseinsträgers zugestanden werden. Das Ich erscheint nun gleichsam als ein fester Punkt, vor welchem die einzelnen Vorstellungen, die den Gesamtinhalt der Welt als Vorstellung bilden, nur wie flüchtige Wellen vorüberziehen. Mögen sie kommen und verschwinden, das Ich bleibt, und der Schatten seiner Realität fällt nun auch auf jene Welt der vergänglichen Vorstellungen und macht, daß auch sie mit dem Gepräge der Realität behaftet scheinen. In Wahrheit, so scheint es also, ist zwar nur das Ich wirklich real, aber diese Realität des Ich wird instinktiv auch auf die Welt seiner Vorstellungen übertragen und bedingt dadurch jenen naiven Glauben an das reale Sein, der innerhalb einer reinen Vorstellungswelt sonst unerklärlich wäre.

Wenn der Mensch, dem die Auflösung seiner Welt in bloße Vorstellungen bisher so unerträglich schien, an diesen Punkt der Reflexion gelangt ist, so fängt jene Einsicht an, ihre Schrecken für ihn zu verlieren. Denn nun ist die Realität doch kein bloßer Schein, nun gibt es doch ein Sein, das sich vom ideellen unterscheidet, und was ihm vor allem zur Beruhigung gereicht, dieses Sein ist sogar sein eigenes, ist er selbst, er, der sich schon vom allgemeinen Strudel unaufhaltsam einander ablösender Vorstellungen mit fortgerissen gesehen hat. Möglich bleibt es freilich immerhin, daß diese ganze Überlegung hinfällig ist und daß auch der Glaube an die Realität des Ich zu den illusorischen Bestandteilen des Erkenntnisinhalts gehört. Unsere Vorstellungen bedürfen vielleicht gar keines Trägers, woran sie angeknüpft sind, sie schweben, wie Seifenblasen, gleichsam im Nichts und erzeugen auch das Ich nur als eine Vorstellung unter anderen. Allein diese Annahme erscheint auf unserem jetzigen Standpunkt so absurd, daß wir sie vorläufig ganz beiseite lassen können. Tatsache ist, daß wer die ideelle Natur des gegebenen Seins durchschaut hat, sich zunächst dafür umso heftiger an die Realität des eigenen Ich klammert, und daher kann die Untersuchung des realen Seins nur mit dieser Untersuchung dieses Ich beginnen. Die Welt außerhalb des Ich mag unerforschlich sein; sie bleibt ja für das Ich doch immer nur ein Fremdes, Mittelbares. Das Ich als solches kann dem Ich nicht verschlossen sein, denn es ist selbst das zu lösende Geheimnis und der Hüter dieses Geheimnisses zugleich.

Wenn irgendwo, so scheinen demnach hier die Bedingungen der Erkenntnis günstig, so günstig, daß man glauben möchte, das Ich und damit das Wesen der Realität müßte hiernach vor unseren Blicken offen liegen und überhaupt gar kein Problem mehr sein. Und doch ist die Metaphysik die schwerste aller Wissenschaften - wird sie doch sogar von Vielen für unmöglich gehalten! - und bildet innerhalb der Metaphysik gerade das Ich eine der dunkelsten Partien. Der Grund liegt offenbar in Folgendem: Gesetzt nämlich, die Realität des Ich ist nicht überhaupt nur ein trügerischer Schein, so ist doch das Ich kein bloß reales Sein. Denn indem ich mich auf mich selbst besinne, oder indem ich mein Ich zum Gegenstand der Reflexion erhebe, mache ich das Subjekt selbst zum Objekt und werfe es damit in den Strom der Vorstellungen wieder hinein, aus dem ich es eben gerettet zu haben glaubte. Allein das Ich ist auch kein bloß ideelles Sein. Denn nur insofern es selbst nicht Vorstellung ist, kann das Ich, wie gesagt, Träger der Vorstellungswelt sein. Das Ich ist somit ideelles und reales Sein zugleich: das Erstere, sofern es jederzeit Objekt sein kann, das Letztere, sofern es doch auch als Objekt nicht aufhört, zugleich und in Einem auch Subjekt zu sein. Das Ich, hat man daher gesagt, ist die Identität von Subjekt und Objekt, oder es ist der Punkt, wo Objekt und Subjekt, Ideelles und Reales in Eins zusammenfallen. Indessen hat man damit die Schwierigkeit nur bestimmt, aber nicht behoben. Denn wie etwas Vorstellung sein und doch zugleich über die Sphäre des Vorstellungsmäßigen hinausreichen, Träger und Getragenes in Einem sein kann, ist so wenig unmittelbar einzusehen, daß es vielmehr das dunkelste aller Probleme darstellt.

Daher hat dann auch SCHOPENHAUER jene Identität im Ich den "Weltknoten" genannt und seine Lösung überhaupt für unmöglich gehalten. (7) Wäre sie dies wirklich, so würde uns die Welt des Realen verschlossen bleiben, d. h. es gäbe keine Metaphysik. Vorläufig haben wir jedoch keinen Grund, schon an der Schwelle zu verzagen; hat doch auch SCHOPENHAUER selbst sich einen Eingang in jenes Gebiet zu bahnen gewußt, der mitten durch das Tor des Ich hindurchführt. Soviel ist gewiß: Wer jenen Widerspruch im Ich gelöst hat, der hat damit zugleich das Problem des Ich überhaupt erschlossen, und wer in die Tiefe des Ich mit der Fackel der Erkenntnis geleuchtet hat, der weiß damit zugleich auch um das Wesen des Realen, wer aber das Geheimnis der Realität ergründet hat, der hat die höchste Aufgabe der Philosophie gelöst, der ist damit bis zu jenem Punkt vorgedrungen, in welchem alle übrigen Probleme des menschlichen Denkens zusammenlaufen. So ist das Ich das Grundproblem der Metaphysik; die Aufdeckung der Möglichkeit jener Identität von Subjekt und Objekt aber ist der Schlüssel, womit wir uns das Allerheiligste der Welt uns öffnen müssen.

Wenn das Ich als Identität von Subjekt und Objekt, von ideellem und realem Sein bezeichnet wird, so soll damit selbstverständlich noch keine metaphysische Wahrheit ausgesprochen werden. Jene Identität soll hier noch nichts weiter als der Ausdruck für eine Tatsache der Erfahrung sein. Denn daß es wirklich so scheint, als ob wir im Ich mehr als ein bloß ideelles Sein besitzen, das kann auch auf einem anti-metaphysischen Standpunkt nicht bezweifelt werden. Wir wissen nicht, ob die Welt außerhalb des Ich, die uns unmittelbar nur als ideelles Sein gegeben ist, nicht ebenso wie das Ich, in einem realen Grund wurzelt. Wir erfahren nur, daß, wenn wir den Standpunkt des naiven Bewußtseins überschritten und die ideelle Natur des vorher für real gehaltenen Seins erkannt haben, der Gedanke des realen Seins nicht zuerst wieder draußen an der Peripherie der äußerlichen Welt, sondern drinnen im Zentrum des eigenen Ich emportaucht. Wir wissen nicht, ob dieser Gedanke mehr ist als ein bloßer Gedanke, ob die Realität, die sich im Ich ankündigt, nicht auch nur eine bloß vorgestellte ist. Aber das wissen wir ganz genau, daß sie mehr zu sein scheint, daß wir im Ichgedanken die Realität nicht bloß zu denken, sondern sie zu besitzen, uns ihrer unmittelbar inne zu werden glauben. Auch die äußeren Gegenstände glauben wir unmittelbar in ihrer Realität wahrzunehmen, und doch lehrt die erkenntnistheoretische Besinnung, daß alles, was wir von ihnen wahrnehmen, nicht die Gegenstände selbst, sondern nur unsere subjektiven Wahrnehmung von ihnen sind. Beim Ich dagegen findet ein solcher äußerer Wahrnehmungsakt nicht statt, wobei das Wahrgenommene dem Ich als ein Fremdes gegenübersteht, sondern Wahrnehmendes und Wahrgenommenes scheinen hier identisch: ich selbst, das wahrnehmende Subjekt, bin zugleich das Objekt, und daher scheint die Realität hier noch viel unmittelbarer, als sie es in der äußeren Wahrnehmung ist.

Was soll man nun von diesem Schein halten? Ist er ein bloßer Schein, oder liegt ihm eine Realität zugrunde? Ergreife ich, indem ich mich in mir selbst versenke, ein Sein, das mehr ist, als bloßes Vorstellungssein? Ist das Ich bloß ein ideelles oder zugleich ein reales Sein? Das ist die Frage, auf deren Entscheidung zunächst alles ankommt, und die ganze Metaphysik ist nichts Anderes als die nähere Ausführung dieses einen Gedankens.

Es liegt nun im Wesen des menschlichen Geistes, zunächst die Erfahrung der Realität im Ich unmittelbar als ein metaphysisches Faktum anzusehen. Wie der naive Mensch kein Bedenken trägt, den Gegenständen der Außenwelt ohne Weiteres das Prädikat der Realität beizulegen, so hat auch das philosophische Denken, sobald es seine Aufmerksamkeit auf das Ich, als den Träger der Innenwelt, gerichtet hat, damit begonnen, dieses letztere für ein reales Wesen zu halten. Schon frühzeitig hat sich die Philosophie von jenem instinktiven Glauben an die Wahrheit der äußeren Erfahrung frei gemacht. Mehr und mehr ist sie im Fortgang ihrer Entwicklung dahin gelangt, das eigentliche Wesen der Dinge immer weiter hinter den ursprünglichen Inhalt der Erfahrung zurückzuverlegen, um schließlich auf dem entgegengesetzten Standpunkt anzukommen, daß sie der Erfahrung alle metaphysische Wahrheit abgesprochen hat; gerade deshalb, weil sie Erfahrung ist. Allein was die innere Erfahrung anbetrifft, so steht sie fast allgemein noch auf dem Standpunkt des naiven Menschen, indem sie ihr ein unerschütterliches Vertrauen entgegenbringt. Diese Tatsache kann uns nicht wundern, wenn wir daran denken, wie viel inniger der Glaube an die unmittelbare Realität des Ich mit unserem ganzen sonstigen Bewußtseinsinhalt verschmolzen ist als der Glaube an die Realität der äußeren Dinge. Zumal unser Gefühl mit seinem Urteil schnell zur Hand ist und darauf besteht, daß ihm aller Boden unter den Füßen versinkt, wenn "das Unbegreifliche" hier nicht "Ereignis", unser Ich nicht ein reales Wesen sein soll. Die Wissenschaft aber sollte sich hüten, bei der Entscheidung so wichtiger Fragen den ungeprüften Ansprüchen des Gefühls ohne weiteres Gehör zu verschaffen.

Was hat nun die Philosophie dazu veranlaßt, den Glauben an die Wahrheit der äußeren Erfahrung zu verwerfen? Doch offenbar nur der Umstand, daß sie die Unmöglichkeit erkannte, mit dieser Voraussetzung die Wirklichkeit verständlich zu machen. THALES meinte, aus dem Wasser, wie die sinnliche Anschauung es ihm dargeboten hat, den ganzen Reichtum der Erscheinungswelt erklären zu können, und die ionische Naturphilosophie ist nichts Anderes als der Versuch, die Welt aus einem unmittelbaren Erfahrungsprinzip zu konstruieren. Aber gerade weil dieser Versuch mißglückte, weil alle Bemühungen gescheitert sind, die Wirklichkeit aus dem rohen Stoff der sinnlichen Anschauung aufzubauen, gerade deshalb hat sich das Denken genötigt gesehen, den Standpunkt der Erfahrung zu verlassen, und stieg PLATO zu jenem reinen Äther der Abstraktion empor, wo die sinnliche Anschauung der Erfahrung vor dem Glanz der übersinnlichen Ideenwelt verblaßte. Wie, wenn sich herausstellen sollte, daß auch der Glaube an die Realität des Ich bisher nicht gehalten, was man sich von ihm versprochen hat? Daß er das Denken in unlösbare Widersprüche verstrickt? Daß jeder Versuch, mittels seiner in das Weltgeheimnis einzudringen, das Problem in eine undurchdringliche Finsternis gehüllt hat? Von allen Bestandteilen einer Weltanschauung hat man diesen bisher für den bestbegründeten gehalten. Allein das enthebt uns nicht der Mühe, ihne einer Prüfung zu unterziehen, umso weniger, wenn die Realität des Ich, wie es nach meiner Auffassung der Fall ist, das eigentliche Kernproblem der metaphysischen Untersuchung bildet.

In der Tat scheint dieses Problem nicht passender angefaßt werden zu können, als indem wir uns zunächst die verschiedenen Weisen vor Augen führen, wie sich die Metaphysik unter der Voraussetzung der Realität des Ich bisher gestaltet hat. Wir dürfen hoffen, auf diese Weise nicht bloß eine tiefere Einsicht in die Tragweite und Bedeutung des Ichproblems zu erlangen, sondern außerdem auch noch diejenigen Wege kennen zu lernen, worauf die Natur des Ich nicht zu gründen ist. Diese Einsicht ist vielleicht bloß negativ. Wo das Problem jedoch so schwierig und der Eingang in seine Tiefe so verwachsen ist, da muß man schon froh sein, wenn es einem gelingt, sich wenigstens erst einmal freie Bahn zu jenem Eingang zu verschaffen.
LITERATUR - Arthur Drews, Das Ich als Grundproblem der Metaphysik, Tübingen 1897